DIE PENDENSKONSTRUKTION UND IHRE GRAMMATISCHE DISKUSSION D. Volgger 1. Zur Definition der Pendenskonstruktion im Biblischen Hebräisch Wer sich der grammatischen Analyse von Korpus-Sprachen widmet, stellt nicht so sehr die Frage, ob diese oder jene Phrase, dieser oder jener Satz grammatisch akzeptabel ist oder nicht. Vielmehr wird er in den meisten Fällen davon ausgehen, daß die ihm überlieferten Sprachdokumente vielen kompetenten, früheren Rezipienten grammatisch akzeptabel erschienen sind. Er wird von einem positiven Verdacht gegenüber der Grammatikalität des zu untersuchenden Sprachkorpus ausgehen und nur in äußersten Härtefällen Teile eines Textes als grammatisch inakzeptabel beurteilen. Demzufolge übernimmt der Grammatiker die Rolle eines Textadvokaten, der den Text und seine grammatische Struktur gegenüber vorschnellen Einsprüchen, die zu Textänderungen bzw. Konjekturen führen können, rechtfertigen will. Als Rechtfertigungsinventar ist ihm ein bestimmtes grammatisches Analyseverfahren an die Hand gegeben. Diese gleichsam programmatische Aufgabenstellung soll sogleich an einem Beispiel durchgeführt werden: Wie rechtfertigt eine grammatische Analyse die Textsequenz aus Gen 23,11, h¬dh ntty lk whm„rh ∑år-bw lk nttyh l„yny bny „my nttyh lk? Die deutsche Einheitsübersetzung gibt diesen Abschnitt folgendermaßen wider: “Das Grundstück überlasse ich dir, und die Höhle darauf überlasse ich dir; in Gegenwart der Söhne meines Volkes überlasse ich sie dir”. Ohne Zweifel gibt diese Übersetzung den Satzinhalt, die Proposition, zutreffend wider. Dennoch soll nicht verschwiegen werden, daß ein hebräischer Buchstabe in der Übersetzung nicht gerechtfertigt wurde; er blieb unübersetzt. Es handelt sich dabei um das < h > in der ersten Verbalform nttyh; in der zweiten Verbalform nttyh wird es mit dem deutschen Pronomen “sie” übersetzt. Das hebräische < h > repräsentiert jedoch in beiden Fällen ein ePP,3.ps,f,sg. Versucht man die in der deutschen Übersetzung unterschlagene ePP des hebräischen Textes zu deuten, so wird die Rechtfertigung dieses Textabschnittes bereits schwieriger. Will man das Bezugswort des ePP = h bestimmen, so kommt allein das Nomen = m„rh in Frage, da es in Geschlecht und Zahl mit dem ePP = h (f,sg) übereinstimmt. Dies hat zur Folge, daß die Phrase whm„rh ∑år-bw nicht an den vorhergehenden Satz als Ergänzung von h¬dh angeschlossen werden kann, LA 48 (1998) 105-124 106 D. VOLGGER da in diesem Fall das Bezugswort aus zwei Nomen, aus zwei verschiedenen Entitäten bestehen würde (h¬dh whm„rh ∑år-bw) und damit ein ePP sg,f unwahrscheinlich wäre. Wenn nun aber die erste Verbalform von ntty mit seinem ePP,f,sg = h schon ein direktes Objekt besitzt, bleibt zu fragen, an welche Satzphrase = whm„rh ∑år-bw angehängt werden soll? Oder kann das direkte Objekt zweimal in einer Satzphrase mit dem Verbalausdruck ntn “geben” repräsentiert sein, einmal lexikalisch, einmal pronominal? Oder hängt die Phrase = hm„rh ∑år-bw in der Luft? Vielleicht ist auch noch die Beobachtung von Interesse, daß die Phrase = hm„rh ∑år-bw am Beginn zweier fast wörtlich wiederholter Satzphrasen steht und in beiden Satzphrasen pronominal aufgenommen wird. Steht die lexikalische Phrase am Beginn zweier eng miteinander verwobener Satzphrasen, in denen ein zentrales, gemeinsames Thema an deren Spitze positioniert wird? Viele Grammatiker haben diese und ähnliche Fragen wahrgenommen und dem Problem zunächst einen Namen gegeben: Es handle sich hier um eine “hängende, schwankende” Konstruktion (Pendens-Konstruktion). Damit jedoch aus dieser schwankenden Konstruktion keine “zweifelhafte” wird1, sucht man dieses Phänomen nach umfangreichen Untersuchungen klar zu definieren. Das Ergebnis dieser Analysen ist der Begriff “Pendenskonstruktion”. Eine relativ ausdifferenzierte Definition für diese Konstruktion hat Groß vorgelegt: “Ich verstehe unter Pendentia Wortgruppen, nominale oder pronominale Elemente, die im folgenden Satz syntaktisch oder zumindest semantisch die Rolle eines Syntagmas oder des Teils eines Syntagmas spielen, von diesem Satz aber isoliert sind, insofern in diesem Satz eine pronominale Kopie von ihnen vorhanden und/ oder zu Beginn dieses folgenden Satzes durch w.=/wa=, Konjunktion, Fragepronomen oder Satzdeiktikon eine Satzgrenze angezeigt ist”2. Backhaus3 hat diese Definition mit Hilfe von vier Kriterien wiederholt bzw. verdeutlicht: “Eine Pendenskonstruktion ist durch folgende Kriterien gekennzeichnet: 1. Als Pendens (dem Satz/ der aphrastischen Einheit vorangestelltes Element) fungieren nominale (Substantiv, Infinitiv, Partizip, Präpositional- 1. Vgl. dazu den Bedeutungsumfang von lateinischem “pendeo”. 2. W. Groß, Die Pendenskonstruktion im Biblischen Hebräisch (ATSAT 27), St. Ottilien 1987, 2. 3. F.J. Backhaus, “Die Pendenskonstruktion im Buch Qohelet”, ZAH 8 (1995) 1f. DIE PENDENSKONSTRUKTION 107 gruppe) oder pronominale Einheiten (selbständiges Personalpronomen [sPP], Demonstrativpronomen [DPron]). 2. Im folgenden Satz/ in der folgenden aphrastischen Einheit übernehmen die Pendentia syntaktisch bzw. semantisch die Rolle eines Syntagmas oder des Teiles eines Syntagmas (Groß berücksichtigt also bei der Analyse von Pendenskonstruktionen auch semantische Elemente, so daß die ‘Pendenskonstruktion’ sich nicht nur auf die Ausdrucksseite beschränkt). 3. Die Pendentia sind insofern vom nachfolgenden Satz/ der nachfolgenden aphrastischen Einheit als getrennt anzusehen, da der nachfolgende Satz/ die nachfolgende aphrastische Einheit eine Proform der Pendentia aufweist und/ oder Satzgrenzen zu Beginn des folgenden Satzes durch Satzweiser, Konjunktionen, Fragepronomen und Satzdeiktikon angezeigt werden. Bei nachfolgender aphrastischer Äußerungseinheit fungieren diese Partikel natürlich nicht als Satzgrenzen. 4. Die Pendentia können ‘markiert’ oder auch ‘unmarkiert’ sein, d.h. die syntaktische Funktion, die dem Pendens im zugehörigen Satz/ in der zugehörigen aphrastischen Einheit zukommt, kann am Pendens durch eine Partikel (nota accusativi; Präposition) ausgedrückt sein. Eine solche Markierung kann aber auch aus verschiedenen Gründen fehlen, wobei aber der damalige Sprecher aufgrund seines Sprachgefühls, der Betonung, der Satzmelodie und den Pausen eine eindeutige syntaktische Zuordnung vornehmen konnte”. Ich selbst möchte keine Definition für die Pendenskonstruktion vorschlagen, sondern gehe von der Annahme aus, daß alle sogenannten Pendenskonstruktionen durch ein einziges grammatisches Analyseprinzip in den Korpus akzeptierter grammatischer Äußerungen integriert werden kann. Dieses Prinzip heißt “Casus-Filter” und besagt Folgendes: “Jeder Satz, der eine phonetisch realisierte Nominalphrase (NP) besitzt, ist nicht wohlgeformt, falls diese NP keinen Casus zugewiesen bekommt”. Wenn in dieser knapp formulierten Bedingung für alle wohlgeformten Sätze auch den Anforderungen des Occam’schen Rasiermessers Genüge getan ist, so gebe ich zu, daß die Formulierung nicht sofort einleuchtet. Die Definition des “Casus-Filters” impliziert ein bestimmtes Verständnis von Grammatik. Doch auch die Definitionen von Groß und Backhaus basieren auf einem mehr oder weniger differenzierten grammatischen Modell: Morphologische, syntaktische und semantische Elemente sind in deren Definitionen eingegangen. Dieses Modell mag vielen grammatisch interessierten Menschen geläufiger erscheinen, ist deswegen aber nicht weniger voraussetzungsreich 108 D. VOLGGER als dasjenige, welches ich durch die Formulierung “Casus-Filter” vorschlagen möchte. Es handelt sich dabei um die generative Grammatik, als deren “Pionier” N. Chomsky namhaft gemacht werden muß. Nach Chomsky funktionieren alle Sprachen der Welt nach einer identischen Logik, der “Universalgrammatik”. Als Chomsky am Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrte, entwickelte er diese Theorie auf dem Hintergrund von Computersimulationen. Die zusätzlich noch biologisch abgestützte Sprachauffassung hat die Linguisten dieser Schule mit Hirnforschern, Psychologen und Genetikern zusammengeführt.4 Dies soll als Hintergrundinformation zur generativen Grammatik genügen.5 Bevor die grammatische Analyse der “Pendenskonstruktion” mit Hilfe des Casus-Filter vorgestellt wird, lege ich folgende sieben Textbeispiele vor, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden sollen. 2. Sieben Beispiele zur Analyse von “Pendenskonstruktionen” (1) Bibl. Aram.: Spät-Aram.: (2) 2 Kön 16,15: Ps 89,12b: (3) CH §5: b.êt malek.åHaus des Königs bêtå∑ d.î malek.å∑das Haus des Königs bêteh d.î malek.å∑sein Haus - des Königs „abedåh lemîletå∑ er tat die Sache edåh lah lemîletå∑er tat es - die Sache „ab wayeßawœhû ham.œlœk-∑å˙az ∑œt-∑ûriyåh hak.ohen und der König Achas befahl ihm, dem Priester Urija t.ebel ûmelo∑åh ∑at.åh yesadet.åm der Erdkreis und seine Fülle - du hast sie gegründet åumma … dajjänam åuäti ina dïn idinu enêm ukannûåuma … Wenn … (so) wird man diesem Richter die Änderung des Urteils, das er gefällt, nachweisen … 4. Vgl. N. Chomsky, Language and Nature, in: Mind, 104. Jahrgang, Heft 413, Oxford 1995. 5. Zur historischen Einordnung der generativen Grammatik vgl. z.B. A. Disse, Informationsstruktur im Biblischen Hebräisch. Sprachwissenschaftliche Grundlagen und exegetische Konsequenzen einer Korpusuntersuchung zu den Büchern Deuteronomium, Richter und 2 Könige (ATSAT 56), Teil I, St. Ottilien 1998, 83-99. DIE PENDENSKONSTRUKTION 109 (4) CH §151: åumma … åumma awïlum åü lama sinniåtam åuäti i∆∆azu ∆ubullum eliåu ibaååi bël ∆ubulliåu … Wenn … wenn der betreffende Bürger, bevor er diese Frau heiratet, ein (Schuld-) Darlehen gegen ihn da ist, (so können) seine Gläubiger … (5) Homer E 135f: kaí prín per thumóo(i) memaoós Troóessi máchesthai deé tóte min trís tósson hélen ménos, hoós te léonta6 und zuvor im Herzen geglüht habend, mit den Troern zu kämpfenjetzt ergriff ihn dreimal so mächtiger Mut, wie den Löwen. (6) Est 4,11: k.ål-„abedê ham.œlœk we„am-medînôt ham.œlœk yôde„îm ∑aåær k.ål-∑îå we∑iå.åh ∑aåær yåbô∑-∑œl-ham.œlœk ∑œl-hœ˙åßer hap.enîmît ∑aåær lo∑-yiq.åre∑ a ∑ ˙at d.åtô lehåmît lebad me∑aåær … Alle Diener des Königs und das Volk in den königlichen Provinzen (sind) wissend(e), daß jeder, Mann und Frau, der zum König in den inneren Vorhof kommt, der nicht gerufen ist, nur eines sein Gesetz (das Gesetz für ihn) ist, ihn töten zu lassen, außer daß … (7) Ijob 38,29b: ûkepor ååmayim mî yelådô und der Reif des Himmels wer hat ihn geboren? 6. Zum Transskriptionssystem vgl. D. Steriade, “Greek Accent: A Case for Preserving Structure”, LI 19 (1998) 271-314. 110 D. VOLGGER Da die deutschen Übersetzungen zu diesen Beispielen meine grammatische Einschätzung der fremdsprachlichen Phrasen wiedergeben, werde ich keine weiteren grammatischen Erläuterungen dazu bieten. Vielmehr will ich im folgenden die Anforderungen an eine Grammatik formulieren, die es erlaubt, die grammatischen Probleme in den Beispielen (1-7) im Zusammenhang zu diskutieren. 3. Die sich aus den Beispielen 1-7 ergebenden Anforderungen an eine Grammatik ad Bsp. (1): Beispiel (1) enthält zunächst drei Phrasensequenzen, die in einem Satz integriert werden könnten. Besonders auffallend sind die verschiedenen Möglichkeiten, zwei NP ( “Haus” und “König”) in Beziehung zu bringen (CsVerbindung bzw. durch d.î bei status emphaticus bzw. pronominalis getrennt). Zudem ist die Möglichkeit der Zusammensetzung von “sein Haus” bêteh und d.î malek.å∑ “des Königs” zu beachten, da das ePP sich direkt auf den König bezieht. Ähnlich verhält es sich mit dem Satz in der letzten Zeile von (1). Dabei sind jedoch die zwei Phrasen lah und lemîletå∑ mit ihren inhaltsidentischen NP in einem Satz mit finitem Verb integriert. Diese Beobachtungen stellen an eine Grammatik folgende Anforderungen: Die Beziehungen zwischen Nominalphrasen untereinander bzw. zwischen Nominalphrase und dazugehörigem Verb sind systematisch darzulegen. Zudem ist mit dieser Bestimmung eine Satztheorie zu leisten, die auf den Inhalt der NP Bezug nimmt. ad Bsp. (2): In Beispiel (2) aus 2 Kön 16,15 wayeßawœhû ham.œlœk-∑å˙az ∑œt-∑ûriyåh hak.ohen fällt gegenüber (1) „abedåh lah lemîletå∑die Stellung der sich inhaltlich entsprechenden NP (ePP = hû und ∑œt-∑ûriyåh hak.ohen ) auf. Beide sind durch die Phrase ham.œlœk-∑å˙az voneinander getrennt. Dasselbe gilt für Ps 89,12b (t.ebel ûmelo∑åh und ePP = m). Von daher ergibt sich für eine Grammatik die Aufgabe, die Stellung der einzelnen Satzglieder und deren Beweglichkeit zu verdeutlichen. ad Bsp. (3): Beispiel (3) enthält einen akkadischen Satz. Gegenüber dem Biblischen Hebräisch realisiert diese Sprache Casus als morphologisch unterscheidbare Kasusendungen. Eine Grammatik, die sich auch im Sprachvergleich bewähren will, bedarf folglich eines verschieden abgestuften Abstraktionsniveaus der grammatischen Analyse, so daß z.B. die verschiedenen Grade morphologischer Realisierung von Casus dem syntaktischen Vergleich nicht im Wege stehen. DIE PENDENSKONSTRUKTION 111 ad Bsp. (4): Wenn von Soden ein Beispiel wie (4) als zusammengesetzten Nominalsatz bzw. als Anakoluth, Satzbruch, einstufen würde7, wenn dabei aber ein ganz ähnliches Phänomen wie die biblisch-hebräische Pendenskonstruktion vorliegt (vgl. Bsp. 2), so muß eine adäquate grammatische Analyse fähig sein, Identität und Differenz verschiedener Sprachphänomene über Sprachgrenzen hinweg zu verdeutlichen. Dasselbe gilt für das griechische Beispiel (5), das Schwyzer als Nominativus absolutus klassifiziert8. ad Bsp. (5-7): Zudem hat eine Grammatik verschiedene sprachliche Gegebenheiten im Hinblick auf systematische Ähnlichkeiten zu untersuchen: Wie ist ein Partizip (Ptz; vgl. Bsp. 5), ein Infinitiv (Inf; vgl. Bsp. 6) darzustellen? Wie ist ein Relativsatz (RS; vgl. Bsp. 6), ein Fragesatz (FS; vgl. Bsp. 7) darzustellen? Im folgenden wird dargelegt, wie das Modell der generativen Grammatik all diesen Anforderungen entspricht. Dabei ist es notwendig, das vorgeschlagene grammatische Modell etwas ausführlicher darzustellen. Dies geschieht im folgenden Abschnitt der Untersuchung. 4. Die generative Grammatik9 4.1 Die zwei Parameter “Präzedenz” und “Dominanz” Als grundlegende Parameter grammatischer Analysen gelten “Präzedenz” und “Dominanz”. In einer Grammatik gilt es einerseits die Aneinanderreihung von einzelnen sprachlichen Elementen zu erfassen (lineare Anordnung, Präzedenz), andrerseits die verschiedenen Zusammengehörigkeits- 7. Vgl. W. von Soden, Grundriss der Akkadischen Grammatik samt Ergänzungsheft zum GAG (AnOr 33/47), Rom 1969, §128 bzw. 183. 8. Vgl. E. Schwyzer, Griechische Grammatik. II. Syntax und syntaktische Stilistik (HAW Abteilung II.1.2), München 51988, 403f. 9. Die folgenden Ausführungen lehnen sich an die Darstellung von A. Radford, Transformational Syntax. A Student’s Guide to Chomsky’s Extended Standard Theory, Cambridge 1981, an. Dieser Modellstand genügt, um die Probleme der “Pendenskonstruktion” zu diskutieren. 112 D. VOLGGER grade dieser Elemente untereinander aufzuzeigen (hierarchische Anordnung, Dominanz). Die zwei Parameter “Präzedenz” und “Dominanz” werden in der Baum- oder Klammerstruktur schematisiert: (1) Baumstruktur: X´´ Y´´ X´ X Christian grüßt Y´´ Sabine. (2) Klammerstruktur: [S: [NP [VP [V[NP]]]]] S … Satz; NP … Nominalphrase; VP … Verbalphrase; V … Verb Generelle Phrasenstrukturregel: X´´ > Y´´ X’ X’ > XY´´ 4.2 Präzisierung der Idee “Dominanz” Um den Zusammenhang von zwei aufeinander folgenden NP, von V und NP, von Präp und NP in einem Satz darzustellen, muß noch die Idee “Dominanz” präzisiert werden. X regiert Y nur im folgenden Fall: I. X ist ein Regierungsknoten, der eine Konstituente (k) Y k-kommandiert. Für X kommt V, Präp, Nom (Nomen), ev. Adj (Adjektiv) in Frage. - X k-kommandiert Y nur im Fall, daß der erste Verzweigungsknoten, der X dominiert, zugleich Y dominiert und X nicht Y dominiert, noch Y X. II. Es gibt zudem keinen Regierungsknoten Z, so daß gilt: (a) X k-kommandiert Z und (b) Z k-kommandiert Y und (c) Z k-kommandiert nicht X. DIE PENDENSKONSTRUKTION 113 Während die erste Bedingung I die in Frage kommenden Regierungsknoten und deren exakte Konstellation zueinander festlegt, definiert die zweite Bedingung II die Wirkdomäne der “Regierung”. Somit ergeben sich für die NP in einem Satz folgende Generalisierungen: (1) Eine NP ist “Nominativ”, wenn sie von TENSE regiert wird (TENSE ist ein abstrakter Regierungsknoten, der V und NP (Nominativ) in syntaktische Abhängigkeit bringt). Die NP ∑at.åh in 2 Kön 16,15 (Bsp. 2) erhält z.B. von TENSE des Verbs yesadet.åm Casus (Nominativ). (2) Eine NP ist “Objekt”, wenn sie von einem transitiven Verb oder einer Präp regiert wird. Die NP (ePP) = m in 2 Kön 16,15 (Bsp. 2) erhält vom Verb ysdt = Casus und wird zugleich mit diesem Verb univerbiert. Die NP = mîletå∑ aus Bsp. (1) erhält zunächst von seiner Präp l = Casus. Daß diese PP (Präpositionalphrase) in diesem Satz (bezogen auf die Übersetzungssprache “Deutsch”) als direktes Objekt fungiert, muß eine Subkategorisierungsregel für das Verb „abedåh im aramäischen Lexikon regeln. (3) Eine NP ist “Genetiv”, wenn sie von POSS regiert wird (POSS ist ein abstrakter Regierungsknoten, der zwei NP in syntaktische Abhängigkeit bringt). Die NP b.êt weist der NP malek.å durch POSS Casus zu (vgl. Bsp. 1); in Bsp. (6) findet sich eine zweifache Zuweisung von Casus durch POSS innerhalb einer komplexen NP: Die NP „abedê weist der NP ham.œlœk über POSS Casus zu; zugleich erhält die NP„abedê durch POSS Casus von der NP k.ål. Die NP k.ål repräsentiert dabei in der komplexen NP k.ål-„abedê ham.œlœk den “Kopf” der gesamten Konstituente. Damit die oben in I und II formulierten Bedingungen gültig sind, ist es von Bedeutung, daß die NP ham.œlœk nicht auch noch von der NP k.ål Casus erhält. Diese bereits formulierte Bedingung kann in der Barrieren-Bedingung für Casuszuweisung noch einmal hervorgehoben werden. Barrieren-Bedingung für Casuszuweisung NP und S-bar (siehe 4.2) sind absolute Barrieren für Casuszuweisung. Dadurch erscheint in unserem Beispiel k.ål-„abedê ham.œlœk die NP-Grenze 114 D. VOLGGER zwischen „abedê und ham.œlœk als Barrieren für eine weitere Casuszuweisung von k.ål auf ham.œlœk. Ebenso wird dadurch verhindert, daß das Verb „abedåh über die Präp l = hinweg der NP mîl etå∑ Casus zuweist, da diese NP bereits von der Präp l = Casus erhält. Der sogenannte Casus-Filter benennt in diesem Zusammenhang die Bedingungen für Nominalphrasen (NP) bezüglich wohlgeformter Sätze. Er funktioniert demnach als NP-orientierte Satztheorie. Casus-Filter Jeder Satz, der eine phonetisch realisierte NP besitzt, ist nicht wohlgeformt, falls diese NP keinen Casus zugewiesen bekommt. Demzufolge wäre die Phrasensequenz von Bsp. 4 åumma awïlum åü lama sinniåtam åuäti i∆∆azu ∆ubullum eliåu ibaååi kein wohlgeformter Satz, da die NP awïlum åü keinen Casus zugewiesen erhält, während die zweite NP (Nominativ) ∆ubullum von TENSE des Verbs ibaååi Casus erhält. Könnten die zwei NP (awïlum åü und ∆ubullum ) in der realen Welt identifiziert werden, so ließe sich mit einer doppelten Casuszuweisung der NP (Nominativ) wie bei Appositionen argumentieren. Da dies aber für diese zwei NP nicht zutrifft, ist es notwendig, die syntaktische Analyse von Nominalphrasen durch einen semantischen Aspekt zu erweitern. Dieser semantische Aspekt der Analyse wird im folgenden präzisiert. 4.3 Semantische Bindungskonditionen von Anapher, Pronomen, lexikalische NP Drei Beispiele können den Unterschied der NP-Phänomene Anapher, Pronomen und lexikalische NP verdeutlichen10. 10. In diesem Zusammenhang bedeutet <**> “grammatisch nicht wohlgeformt”; <O.K.> “grammatisch wohlgeformt”. Wenn Groß, Die Pendenskonstruktion, 2, davon ausgeht, daß Pendentia im “folgenden Satz” syntaktisch oder zumindest semantisch die Rolle eines Syntagmas oder des Teiles eines Syntagmas spielen, so wird daraus nicht ganz klar, inwiefern die Semantik dabei berücksichtigt werden muß. Da ich gegen eine generative Semantik bin, die die syntaktische Komponente zu reproduzieren scheint (vgl. D. Volgger, Notizen zur Textanalyse von Ps 89 [ATSAT 45], St. Ottilien 1994, 50ff), sehe ich die Bedeutung der Semantik für die Pendensanalyse in der Differenzierung der NP (v.a. pronominale und lexikalische) DIE PENDENSKONSTRUKTION 115 (1) **John2 hurt himself3. -- O.K: John2 hurt himself2. (2) **König Achaz2 befahl ihm2. -- O.K.: König Achaz2 traf den Priester Urija3; und der König Achaz2 befahl ihm3. (3) ** und der König Achaz2 befahl dem Priester Urija2. (1) Eine Anapher muß in ihrer Regierungskategorie gebunden sein (, wenn sie eine hat). (2) Eine pronominale NP muß innerhalb ihrer Regierungskategorie frei sein (, wenn sie eine hat). (3) Eine lexikalische NP muß überall frei sein. Diese drei Bestimmungen lassen sich in folgenden Bindungskonditionen systematisch schematisieren: (1) X ist gebunden, wenn X ein Argument ist, das mit einem k-kommandierenden Argument koindiziert ist; wenn es nicht gebunden ist, ist es frei. (2) Ein Argument ist eine NP-Position innerhalb von S oder NP (z.B.: Subjekt, dir./indir. Obj, …). (3) Zur Erklärung von “k-kommandieren” siehe oben 4.2 I! (4) X ist die Regierungskategorie für Y, wenn X die minimale NP oder der minimale S ist, die/der die Konstituente enthält, die Y regiert. (5) X regiert Y, wenn X der minimale mögliche Regierungsknoten ist, der Y k-kommandiert, und wenn kein(e) dazwischen liegende NP oder Sbar Barriere zwischen X und Y auftritt (zu S-bar vgl. 4.2). Für Bsp. 4 ergibt sich daraus: Die NP awïlum åü ist nicht mit der NP ∆ubullum zu koindizieren, sondern mit der pronominalen NP = åu in eliåu. Für diese pronominale NP ist die Regierungskategorie S, die die NP ∆ubullum und das Verb ibaååi enthält. Würde die Regierungskategorie S auch noch die NP awïlum åü dominieren, so wäre dies ein Verstoß gegen die obige Annahme, daß eine pronominale NP innerhalb ihrer Regierungskategorie frei sein muß. Eine lexikalische NP und eine damit koindizierte pronominale NP können jedoch durchaus innerhalb ein und derselben Regierungskategorie stehen und casusmarkiert sein, wenn beide in einem Appositionsverhältnis bezüglich ihrer Regierungskategorie. Es geht dabei um grammatisch akzeptable bzw. nicht akzeptable Koindizierungen von NP, die ausschließlich aus dem “Weltwissen”, nicht aus dem Wissen um die syntaktische Funktion der NP erschlossen werden können. 116 D. VOLGGER zueinander stehen. Daß dabei diese zwei NP nicht in Kontaktstellung stehen müssen, soll die folgende Analyse verdeutlichen, die sich mit der Bewegung von NP beschäftigt. 4.4 Transformation Durch die Idee “Transformation” soll der Zusammenhang verschiedener grammatischer Gegebenheiten v.a. bezüglich der NP in den Blick kommen. Für diese Analyse wird die Unterscheidung von Tiefenstruktur (TS) und Oberflächenstruktur (OS) eingeführt. Die TS ist die rekonstruierte Ausgangsstruktur der Analyse. Sie wird durch verschiedene grammatische Phänomene in eine OS überführt (vgl. u.a. den Parameter “Präzedenz”). Folgende vier NP-Bewegungen sind von Relevanz: Die Passivbewegung (4.4.1); die Relativsatzbewegung (4.4.4.1); die Fragesatzbewegung (4.4.4.2), die Appositionsbewegung (4.4.5). 4.4.1 Die Passivbewegung Die Passivbewegung läßt sich in diesem Rahmen wie folgt schematisieren: TS: NP1 (in Subj-Position: ø) - V (passiv) - NP2 (-Casus, in Obj-Position) > OS: NP2 (+Casus in Subj-Position) -V (passiv). Die passive Verbalform weist der NP2 in Obj-Position keinen Casus zu, diese NP2 wird in die freie Subj-Position bewegt und wird dort casusmarkiert. Die NP-Bewegung ist satzintern. Bsp. 6 enthält einen Satz mit einer passiven Verbalform lo∑-yiq.åre∑ “er wird nicht gerufen”. Der Satz mit entsprechendem aktiven Verb müßte folgendermaßen lauten: “sie, die Diener (z.B.), rufen ihn”. Wird das Verb ins Passiv gesetzt, so wird die NP (Subj) frei und die NP (Objekt) erhält vom passiven Verb keinen Casus mehr: TS “ø wird/werden… gerufen [**ihn]” > (Die NP (dir Obj/ TS) wird in Subjekt-Position bewegt und erhält dort von TENSE Casus. Das ergibt den Satz “er wird gerufen”. Die Relativ- und Fragesatzbewegung bedürfen noch der zusätzlichen Annahme einer satzexternen Position, die eng mit dem RS bzw. FS in Verbindung steht. Diese Position wird Complementiser (Comp) genannt. DIE PENDENSKONSTRUKTION 117 4.4.2 Die Comp-Position Die Comp-Position ist satzextern und wird sekundär durch S-bar mit S verbunden. In Comp steht z.B. eine Junktion (Jun), ein RPron, FrPron, … Sie kann auch leer sein. Da Comp zugleich mit Jun und RPron belegt sein kann (vgl. “gebenedeit, der da (RPartikel) kommt”), wird das RPron bzw. das FrPron an Comp angeschlossen. Comp zeigt dann folgende Struktur: Comp NP PRO [S´ der Comp +WH da [S kommt…]] Da im Biblischen Hebräisch ∑aåær in einigen Fällen unbedingt als Konjunktion zu analysieren ist11, legt sich dort, wo ∑aåær in Comp eines RS steht, eine Tilgung des RPron in Comp nahe. ∑aåær wäre folglich Junktion. Der grammatische Begriff “Tilgung” bedarf noch der Präzisierung. 4.4.3 Tilgung Sprachliche Elemente, die “keinen” semantischen Inhalt besitzen, die im Kontext ohneweiters rekonstruiert werden können, sind an der Oberfläche tilgbar. Mit diesen Überlegungen lassen sich RS und FS wie folgt analysieren: 4.4.4.1 Die Relativsatzbewegung Die Relativsatzbewegung weist für Bsp. 6 folgende Schematisierung auf: Bsp. 6: ∑aåær lo∑-yiq.åre∑ TS: NP1 - [S NP1 V] > OS: NP1 [S´ Comp [RPron(NP1) [S V]]. lo∑-yiq.åre∑ kål … ∑aåær 11. Vgl. dazu Th. Seidl, “∑aår als Konjunktion. Überblick und Versuch einer Klassifikation der Belege in Gen - 2 Kön”, in: W. Groß - H. Irsigler - Th. Seidl (Hg.), Text, Methode und Grammatik. FS W. Richter, St. Ottilien 1991, 445-469. 12. Vgl. R. Meyer, Hebräische Grammatik. III. Satzlehre (SG 5765), Berlin - New York 1972, 77. 118 D. VOLGGER Eine NP, die im Satz Casus erhält, wird bei RS-Bewegung in Form eines RPron über den Satz hinaus bewegt. Die betreffende Phrase wird dabei pronominalisiert. 4.4.4.2 Die Fragesatzbewegung In Bsp. 7 kommt ein FS vor: mî yelådô “wer hat ihn geboren?” Der entsprechende Aussagesatz würde lauten “YHWH hat ihn (den Reif des Himmels) geboren”. TS: [S´ Comp [S NP1 V NP2]] > (NP1 pronominalisiert in Comp) > OS: [S´ NP1 (FrPron) [S V NP2]] mî yelådô Wie beim RS wird die satzintern casusmarkierte NP oder PP über den Satz hinaus bewegt. Die Phrase wird dabei pronominalisiert (FrPron). Abschließend soll noch die Appositionsbewegung im Unterschied zur Passiv-, RS-, FS-Bewegung charakterisiert werden. 4.4.5 Die Appositionsbewegung Bei der Appositionsbewegung wird eine casusmarkierte NP satzintern bewegt. Im Gegensatz zur Passivbewegung ändern das Verb bzw. TENSE ihre Casuszuweisungen nicht. Im Gegensatz zur RS- und FS-Bewegung erfolgt bei der Appositionsbewegung keine Pronominalisierung der bewegten lexikalischen NP, ebenso kommt es zu keiner Bewegung über S hinaus. In Bsp. 3 ist demnach die NP dajjänam åuäti (dir Obj /Akk) von der pronominalen NP = åu = in ukannüåuma wegbewegt, wobei beide NP vom Verb ukannü = in der TS Casus erhalten haben. 4.5 Partizip und Infinitiv Zum Abschluß sollen noch Partizip und Infinitiv in ihrer syntaktischen Funktion dargestellt werden. Das Partizip und der Infinitiv zeigen als Wortart sowohl nominale (Ptz als morphologisches Nomen, Inf mit Präp kombinierbar, usw.) als auch verbale (Rektion (VP) bei Ptz und Inf) Merkmale. DIE PENDENSKONSTRUKTION 119 Die Analyse der beiden Gefüge erfolgt mittels zweier Sätze in der TS. Das Partizipialgefüge wird dabei mittels eines zugrundeliegenden RS analysiert, die Infinitivgruppe mittels eines zugrundeliegenden Nicht-RS. Für die Partizipialkonstruktion in Bsp. 5 bietet sich in der TS der RS an: “und der, der zuvor im Herzen geglüht hatte, mit den Troern zu kämpfen, - ihn ergriff jetzt…” Für die Infinitivkonstruktion “mit den Troern zu kämpfen” Troóessi máchesthai bietet sich in der TS der Satz an: “weil er mit den Troern kämpfen wollte”. Freilich kann dieser TS-Satz nicht unmittelbar vom Verb, Ptz memaoós getrennt werden. Diese Überlegungen sollen für die Analyse der Pendenskonstruktion im Biblischen Hebräisch und in anderen Sprachen genügen. Welche syntaktischen Konstruktionen in den Beispielen 1-7 vorliegen, wird im folgenden auf dem Hintergrund der vorgelegten Grammatiktheorie diskutiert. 5. Analyse der Beispiele (1-7) im Rahmen der generativen Grammatik 5.1 Beispiel (1) In allen Beispielen ist keine NP (lexikalisch bzw. pronominal) ohne Casus; die ersten drei komplexen Phrasen zum Bibl. Aram. müßten allerdings erst in eine Satzphrase integriert werden. In der Beispielphrase bêteh d.î malek.å∑ kopiert malek.å∑ von der ePP = h Casus (“Apposition”), der von bêt = durch POSS zugewiesen wird. Das enkl. PPron in der PP lah und das Nomen in der PP lemîletå∑ erhalten je Casus von der Präp l =. Daß diese zwei PP in Kontaktstellung vom Verb „abedåh abhängen, müßte als Subkategorisierungsregel des Verbs im Lexikon verzeichnet werden: „bd V, +[_PP(dir Obj)]; P…l = 5.2 Beispiel (2) In Bsp. (2) sind alle NP mit Casus versehen; das ePP = hû in 2 Kön 16,15 ist mit dem Verb univerbiert. Die NP ham.œlœk-∑å˙az erhält von TENSE Casus. Die PP ∑œt-∑ûriyåh hak.ohen ist mit dem ePP = hû zu koindizieren. Diese erhält vom Verb Casus (dir Obj). Daß beide koindizierten Phrasen durch die NP (Nominativ) voneinander getrennt sind, kann durch Appositionsbewegung erklärt werden. Dabei ist auch 120 D. VOLGGER die Univerbierung von Verb und ePP von Bedeutung: Die NP (Nominativ) wird direkt an das Verb angeschlossen, freilich an das mit dem ePP univerbierte Verb. In Bsp. (1) befinden sich die zwei PP in Funktion eines direkten Objektes lah lemîletå∑ noch ohne Transformation in Kontaktstellung. Ähnliches gilt für das Beispiel Ps 89,12b: Das PPron ∑at.åh und das ePP = m sind durch TENSE bzw. durch das Verb ysdt = casusmarkiert. Die NP t.ebel ûmelo∑åh, die mit dem ePP = m zu koindizieren ist, erhält Casus in Appositionsstellung zu = m und wird dann an die Spitze des Satzes S bewegt. 5.3 Beispiel (3) Ähnlich wie in Ps 89,12b kopiert die NP dajjänam åuäti Casus vom ePP = åu =, das mit dem Verb ukannü = univerbiert ist. Dieses ePP erhält dabei Casus vom Verb. Von Bedeutung ist dabei, daß die NP den syntaktisch entsprechenden Casus (Akkusativ für dir Obj) aufweist. In der Appositionsbewegung wird die lexikalische NP dajjänam åuäti an die Spitze von S bewegt. Die restlichen NP in Bsp. (3) bereiten in der Casuszuweisung keine Probleme: Die NP im Genetiv enêm (Inf) erhält Casus von der Präp ina. Die Konstruktion dïn idinu kann als verkürzte RS-Konstruktion aufgefaßt werden, die NP dïn erhält Casus vom Inf enêm, der verbale Rektion aufweist. Anders verhält es sich in Bsp. (4). 5.4 Beispiel (4) In diesem Textabschnitt sind v.a. die NP awïlum åü und die ePP = åu in der PP eliåu von Interesse. Beide NP (lexikalisch, pronominal) sind miteinander zu koindizieren. Der Unterschied zu Bsp. (4) besteht darin, daß die NP awïlum åu Nominativ als Casus aufweist. Wenn man die Textsequenz åumma awïlum åü… ˚ubullum eliåu ibaååi als einen Satz analysiert, so könnte dieser Casus (Nominativ) wie bei der NP ˚ubullum allein von TENSE stammen. Doch diese beiden NP sind nicht zu koindizieren. Beide lexikalischen NP müssen innerhalb ihrer Regierungskategorie S und darüber hinaus frei sein. Es kann sich demnach bei der NP awïlum åü nur um eine von ˚ubullum eliåu ibaååi verschiedene Regierungskategorie S handeln. Nun stellt sich die Frage, woher die NP awïlum åü innerhalb ihrer DIE PENDENSKONSTRUKTION 121 Satzdomäne Casus erhält. Dies kann durch Tilgungsmechanismen verdeutlicht werden: Eine NP (Nominativ) erhält von TENSE Casus. Es müßte folglich ein Verb in der TS ergänzt werden. Als Verbergänzung bietet sich ibaååi “er ist” vom folgenden Satz an. Nachdem dieses Verb der NP awïlum åü Casus zugewiesen hat, wird es getilgt. Damit ergibt sich folgende Ergänzungsstruktur für die zwei Sätze åumma awïlum åü… ˚ubullum eliåu ibaååi: TS: [S1´ Comp åumma [S1awïlum åü ibaååi [Sx lama sinniåtam åuäti i˚˚azu]] [S2´[Comp åumma [S2 ˚ubullum eliåu ibaååi] > Tilgung der unterstrichenen Worte OS: [S1´ Comp åumma [S1awïlum åü [Sx lama sinniåtam åuäti i˚˚azu]] [S2´[Comp ø [S2 ˚ubullum eliåu ibaååi] Ähnliches gilt für Bsp. (5). 5.5 Beispiel (5) Das Ptz im Nominativ memaoós muß mit dem PPron im Akkusativ min koindiziert werden. Dabei erhält das PPron Casus vom Verb hélen. Da aber das Ptz memaoós Nominativ als Casus realisiert, kann es nicht als Apposition zu min mit anschließender Appositionsbewegung analysiert werden. Die Casuszuweisung (Nominativ) muß in der TS durch TENSE eines getilgten Verbs erfolgen. Dabei kann das Verb hélen [+ dir Obj] nicht als Ergänzung veranschlagt werden, da eine NP (dir Obj) im ersten Satz fehlen würde. Es bietet sich wieder eine Verbalform von “sein” an: eée(n) bzw. éeen “er war” (einer, [RS] der…). 5.6 Beispiel (6) In Bsp. (6) erhalten die NP k.ål-„abedê ham.œlœk und = „am-medînôt ham.œlœk Casus von TENSE, das diese NP mit einer getilgten Verbalform von hyy verbindet. Die NP ham.œlœk und hœ˙åßer hap.en îmît im zweiten ∑aåœr-Satz sind durch die Präp ∑œl jeweils casusmarkiert. Die zwei NP ∑aa˙at und d.åtô erhalten Casus durch TENSE des zugrundeliegenden Verbs von hyy. Ohne Casus bleibt die NP k.ål-∑îå we∑iå.åh im ersten ∑aåœr-Satz. Es gilt zunächst das Augenmerk auf den Infinitiv lehåmît zu legen. Die H-Lesart dieser Verbalform würde eine NP (dir Obj) erwarten lassen. Diese NP (dir Obj) kann nur k.ål-∑îå we∑iå.åh sein, da in der TS der König als NP in Subj-Position zu rekonstruieren ist (“er läßt [sie] 122 D. VOLGGER töten”). Diese NP in Subj-Position bekommt vom Infinitiv, der ohne TENSE bleibt, keinen Casus zugewiesen. Sie muß daher an der Oberfläche getilgt werden (“[sie] töten zu lassen”). Die Tilgung der NP (dir Obj “[sie]”) kann in diesem Fall als fakultativ eingeschätzt werden. Im ersten ∑aåœr-Satz wäre demzufolge in der TS eine passive Verbalform von “töten” mwt zu ergänzen: “daß jeder, Mann und Frau, der zum König in den inneren Vorhof kommt, der nicht gerufen ist, getötet wird, -”. Freilich würde dies die folgende Information z.T. störend vorwegnehmen, wodurch eine verkürzte Konstruktion nur wahrscheinlicher wird. Eine andere Lösung des syntaktischen Problems bezüglich der NP k.ål-∑îå we∑iå.åh könnte darin bestehen, diese NP direkt in den Satz NP ∑aa˙at d.åtô… zu integrieren. Da die Phrase k.ål-∑îå we∑iå.åh Casus morphologisch nicht realisiert, kann diese NP auch in Obj-Funktion agieren. Man könnte von einem adverbiellen Akkusativ sprechen, der eine Beziehung ausdrückt12. Demnach wäre Bsp. (6) wie folgt zu interpretieren: “… daß bezüglich der Gesamtheit von Mann und Frau, die zum König in den inneren Vorhof kommt, die nicht gerufen ist, eines sein (des Königs) Gesetz ist, sie (die Gesamtheit, alle), töten zu lassen, …”. Für die grammatische Theorie ist von Interesse, daß beide Möglichkeiten der Analyse in den Blick gekommen sind. 5.7 Beispiel (7) In Bsp. (7) ist die NP = kepor ååmayim mit dem ePP = ô zu koindizieren. Eine Appositionsbewegung von = kepor ååmayim (TS) an die Spitze des Satzes (OS) ist jedoch unmöglich, da ein Fragesatz vorliegt, der die CompStelle bereits mit mî besetzt hat. Eine zweite Bewegung in diese CompStelle und darüber hinaus würde die Bewegung als FS-Bewegung qualifizieren. Diese verlangt aber die Pronominalisierung der satzintern casusmarkierten NP. Dies ist bei = kepor ååmayim nicht der Fall. Von daher liegen in Bsp. (7) zwei Sätze vor. Es bleibt noch die Frage zu beantworten, woher die NP = kepor ååmayim Casus erhält. Das Verb des FS yld bietet sich dabei als mögliche Ergänzung in der TS an. Man müßte dann folgende Struktur annehmen: TS: “und er (YHWH) hat den Reif des Himmels geboren, …”. Vielleicht müßte man sogar in Parallelität zum folgenden Satz eine FS-Struktur postulieren: “wer hat den Reif des Himmels geboren, (wer hat ihn geboren)?” Freilich greift diese Interpretation der TS schon auf die OS des FS “wer hat ihn geboren” voraus. Eine Verkürzung der TS ist die logische Folge dieses Sachverhalts. DIE PENDENSKONSTRUKTION 123 6. Schlußüberlegungen Die Beispiele (2) und (3) können im Zusammenhang einer Appositionsbewegung diskutiert werden. (4), (5), (7), ev. (6) sind im gegebenen grammatischen Analyserahmen nur durch zwei Sätze mit Tilgungsmechanismen an der Oberfläche interpretierbar. Beispiel (6) könnte auch durch die Deutung von k.ål-∑îå we∑iå.åh als NP (Obj / “adv Akk”) in den Satz ∑aa˙at d.åtô integriert werden. Die Diskussion der verschiedenen Beispiele hat gezeigt, daß die Analyse mit Hilfe der generativen Grammatik unabhänigig von der morphologischen Realisierung von Casus in verschiedenen Sprachen funktioniert. Zudem wurden die Qualifizierungen “Pendenskonstruktion”, “Anakoluth”, “zusammengesetzter Nominalsatz”, ev. auch “Apo koinou Konstruktion” in den Gesamtzusammenhang der Syntax integriert. Dabei hat sich der “Casus-Filter” als Satztheorie bewährt und zu differenzierten Einschätzungen akzeptabler grammatischer Äußerungen geführt. Freilich kann bezweifelt werden, ob die Ergänzungen in der TS und die Tilgungen an der OS in allen Fällen Sprachrealität abbilden. Zunächst ist von Bedeutung, daß sich die Logik der generativen Grammatik in der Analyse bewährt hat. Dann muß man sich auch fragen, was denn eigentlich bei der Produktion von Pendenskonstruktionen u.ä. geschieht. Bei der Äußerung “und der Reif des Himmels – wer hat ihn geboren” bricht der Textproduzent bewußt oder unbewußt nach der Phrase “der Reif des Himmels” die Äußerung bzw. die Satzkonstruktion ab und beginnt mit dem Fragepronomen neu. Dieser Abbruch bedeutet aber, daß der Produzent vorhatte, die geäußerte Phrase in eine Satzphrase zu integrieren. Zugleich nimmt er im folgenden Satz “wer hat ihn geboren” auf die bereits geäußerte Phrase Bezug. Der Effekt dieses Vorgangs besteht darin, daß der Rezipient erhöhte Arbeitsintensität aufwenden muß, um die Gesamtproposition aus der Oberflächengestaltung des Gehörten, Gelesenen eruieren zu können. Der Rezipient ist in seiner syntaktischen Erwartung, die die Sequenz “und der Reif des Himmels” insinuiert hat, enttäuscht worden. Er wird genötigt, die Anwendung seiner syntaktischen Hypothese zu revidieren. Genau dieser Vorgang spiegelt sich auch in der Analyselogik der generativen Grammatik. Zunächst wird die OS solange mit den verfügbaren syntaktischen Hypothesen – ohne Annahme von TS-OS, Transformation, Tilgung u.ä. – bearbeitet, bis dies nicht mehr möglich ist. In einem zweiten Anlauf wird die grammatisch bereits akzepierte Textsequenz durch die Annahme von Ergänzungen in der TS, Tilgungen dieser TS und Transformationen einzelner NP im Hinblick auf die OS gerechtfertigt. Die syntaktische Hypothese, die 124 D. VOLGGER die Beispiele (1-7) erfolgreich analysiert, bedarf nicht neuer Einteilungskriterien und Bezeichnungen syntaktischer Konstruktionen. Allein die Anwendung der wenigen, in Punkt 4 vorgestellten Parameter der generativen Grammatik bzw. die Anwendung des “Casus-Filters” genügen, um die Textsequenzen (1-7) syntaktisch verständlich zu machen. David Volgger, ofm Pontificium Athenaeum Antonianum, Roma