DTPPP_Münsterlingen, 11.09.2015 Traumadiagnostik unter besonderer Berücksichtigung des ETI und ETI-KJ PD Dr. Sefik Tagay LVR-Klinikum Essen Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universität Duisburg-Essen Übersichtsarbeit: Tagay et al., 2013 Warum eine valide standardisierte Diagnostik? Notwendigkeit einer validen Diagnostik Ausdehnung des Traumabegriffs - Rosen & Taylor, 2007; McNally, 2003; Rosen, 2005 PTSD wird als Diagnose oft übersehen bzw. fehldiagnostiziert - Escalona et al., 1997 - Mueser et al., 1998 - Samson et al., 1999 - Zimmermann & Mattia,1999 - Weisberg et al., 2002 - Munro et al., 2004 - Gomez et al., 2006 - Katzman et al., 2005 PTSD ist eine häufig vorkommende psychische Störung - Breslau et al., 1998 (PTSD-Lebenszeitprävalenz: 9.2%) - Kessler et al., 2005 (PTSD-Lebenszeitprävalenz: 6.8%) - Creamer et al., 2001 (PTSD-12-Monatsprävalenz:1.3%) - Kessler et al., 2005 (PTSD-12-Monatsprävalenz: 3.5%) PTSD: Hohe Komorbidität!! - Davidson & Connor, 1999 - Switzer et al., 1999 - Perkonigg et al., 2000 - Creamer et al., 2004 Posttraumatische Stress-Skala (PTSS-10) (Raphael et al. 1989) PTSD-Gutachten: Interpretation von PTSS-10 Fall 2: Testdiagnostik zur Frage nach dem Vorliegen einer PTSD bei Herrn K. (29 Jahre, seit 4 Jahren in D.) In seinem Gutachten vom 01.08.2009 schreibt Herr … zur PTSS-10: „…Zusätzlich wird dieses Verfahren herangezogen, um die depressiven Beschwerden genauer zu eruieren.“ (S. 125) „… dieses Testverfahren (PTSS-10) , … wurde bei Herrn K. eingesetzt, um das aktuelle Ausmaß der festgestellten depressiven Beschwerden bei ihm zu überprüfen, wozu sich die PTSS-10 wie auch das BDI eignen.“ (S.5). „Im Falle von Herrn … konnten Hinweise …auf authentische Depressionen in der PTSS-10 gefunden werden.“ (S.6) Interviews Strukturierte Interviews (Tagay et al., 2009) Deutschsprachige Interviews Strukturierte Interviews Abkürzung Autoren Klassifikationssystem Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV SKID Wittchen et al. (1997) DSM-IV Diagnostisches Interview bei Psychischen Störungen DIPS Schneider & Margraf (2002) DSM-IV-TR Clinician-Administered PTSD Scale CAPS Schnyder & Moergeli (2002) DSM-IV Interview zur komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung I-kPTBS Baroske-Leiner et al. (2008) unspezifisch ETI Tagay et al. (2007) DSM-IV Essener Trauma-Inventar Modul für PTSD Modul für PTSD Modul für PTSD Fragebögen Valide Diagnostik? Kriterien DSM-IV ICD-10 Stressorkriterium - Ereignis, das schwere körperliche Verletzung, tatsächlichen oder möglichen Tod oder eine Bedrohung der physischen Integrität der eigenen Person oder anderer Personen beinhaltet A1 - Subjektive Reaktion mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen A2 - Belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes - Bedingung ist, dass das Ereignis bei fast jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würde Hinreichende Symptome Vorliegen von Symptomen aus den Bereichen - Intrusion (mind. 1) B - Vermeidung/emotionale Taubheit (mind. 3) C - Autonome Übererregung (mind. 2) D Wiederholte unausweichliche Erinnerungen oder Wiederinszenierung des Ereignisses in Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen in Zusammenhang mit einem traumatischen Ereignis Dauer der Störung Mindestens 4 Wochen E Keine Angaben Beginn der Störung - Keine Beschränkung E Spezifikation des verzögerten Beginns, wenn die Symptomatik ab 6 Monate nach dem Trauma einsetzt Innerhalb von 6 Monaten nach dem Trauma Klinische Beeinträchtigung / Leidensdruck Durch Symptomatik bedingte klinisch bedeutsame Beeinträchtigung in wichtigen Lebensbereichen F Keine Angaben Trauma-Skalen für Erwachsene Items 7 DSM-IV Kriterium A Nein Trauma-Ereignis-Skalen CES: Combat Exposure Scale Format Selbsteinschätzung ELS: Evaluation of Lifetime Stressors Selbsteinschätzung & Interview 56 Ja LEC: Life Events Checklist Selbsteinschätzung 17 Nein LSC-R: Life Stressor Checklist-Revised Selbsteinschätzung 30 Ja PSEI: Potential Stressful Events Interview Interview 62 Ja SLESQ: Stressful Life Events Screening Questionnaire Selbsteinschätzung 13 Nein TAA: Trauma Assessment for Adults Selbsteinschätzung & Interview 17 Nur A-1 THS: Trauma History Screen Selbsteinschätzung 13 Ja THQ: Trauma History Questionnaire Selbsteinschätzung 24 Nur A-1 TEQ: Traumatic Events Questionnaire Selbsteinschätzung 13 Nur A-1 TLEQ: Traumatic Life Events Questionnaire Selbsteinschätzung 25 Nur A-1 THQ: Trauma History Questionnaire Selbsteinschätzung 24 Ja TSS: Traumatic Stress Schedule Interview 9 Nur A-1 DSM-IV: E- und F-Kriterium (Boals & Hathaway, 2010) Aus Boals & Hathaway (2010): DSM-IV: A-, E- und F-Kriterium PCL: PTSD Check List (Weathers et al., 1994) AWMF_Leitlinien: PTSD Instrumente / Selbstbeurteilungsverfahren www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-010l_S3_Posttraumatische_Belastungsstoerung.pdf IES / IES-R: Impact of Event Scale-Revised PDS: Posttraumatic Diagnostic Scale Breslau-Skala: Kurze Screening Skala für PTBS PSS-SR: PTBS-Symptom Scale Self-Report PTSS-10: Postraumatic Stress Scale-10 Flatten et al., 2013 AFT: Aachener Fragebogen zur Traumaverarbeitung ETI: Essener Trauma-Inventar Essener Trauma-Inventar (ETI) Essener Trauma-Inventar für Kinder und Jugendliche (ETI-KJ) Essener Trauma-Inventar (ETI) Tagay et al., ZPPM Essener Trauma-Inventar für Kinder und Jugendliche (ETI-KJ) Tagay et al., 2011, ZKJP ETI und ETI-KJ inzwischen auch als Interview vorhanden! http://www.uni-due.de/rke-pp/ ETI mittlerweile in 15 Sprachen vorhanden! ETI-KJ in 10 Sprachen! Tagay et al., 2007, ZPPM Tagay et al., 2011 ETI / ETI-KJ: Beschreibung und Aufbau Ein Selbstbeurteilungsfragebogen zur Erfassung psychotraumatischer Ereignisse und posttraumatischer Störungen (Akute Belastungsstörung und PTSD). Das ETI setzt sich aus 47 Items zusammen (ETI-KJ: 43 Items), die streng an den Kriterien des DSM-IV orientiert sind. ETI / ETI-KJ lässt sich in fünf Teile gliedern: Modul I: Traumaliste (15 Items für ETI und 12 Items für ETI-KJ) Modul II: Zeitliche Einordnung des schlimmsten Ereignisses, A-Kriterium Modul III: 23 Symptomfragen (aus 4 Bereichen) Modul IV: körperliche Symptomatik, Schwere der Gesamtsymptomatik zeitliche Einordnung der Symptome Modul V: Beeinträchtigung im Alltag (verschiedene Funktionsbereiche: z.B. sozial, beruflich) ETI, Modul I: Trauma-Liste ETI, Modul II: Schlimmstes Ereignis und A-Kriterium Auftritt des schlimmsten Ereignisses A1 mind. 1 A2 mind. 1 ETI, Modul III: Traumasymptomatik Intrusion 5 Items Vermeidung 7 Items Übererregung 5 Items Dissoziation 6 Items ETI, Modul IV: Körperliche Beschwerden und aktuelle Belastung ETI, Modul V: Beeinträchtigung in mehreren wichtigen Funktionsbereichen F-Kriterium PTSD-Prävalenz nach PTSS-10* und ETI (N=952) *Posttraumatic Stress Scale (Raphel, Lundin, Weisaeth 1989, Acta Psychitr Scand Suppl) Alle Gruppenvergleiche: p<0,001 PTSS-10 47,3 50 ETI+A-Kriterium 45 40 35 33,3 % 30 25 17,4 20 15 15,8 9 10 5,6 7,3 5 4,9 0 Gesamtgruppe N=952 Psychisch Kranke N=287 Körperlich Kranke N=522 Blutspender N=143 - Psychotherapiepatienten und Blutspender (Tagay et al., 2008): N=317 - Kurdische und türkische Patienten in der Primärversorgung (Tagay et al., 2008): N=195 Traumadiagnostik bei Kindern und Jugendlichen Pynoos et al., 2009, JTS Kriterien für PTSD (nach Steil & Füchsel, 2006) DSM-IV PTSD (309.81) Kriterium A: Traumakriterium -Ereignis, das schwere körperliche Verletzung, tatsächlichen oder möglichen Tod oder eine Bedrohung der physischen Integrität der eigenen Person oder anderer Personen beinhaltet -Subjektive Reaktion mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen Kriterium B: Wiedererleben / Intrusionen (1 Symptom) -Wiederkehrende belastende Erinnerungen an das Ereignis in Bildern, Gedanken oder Wahrnehmungen (Intrusionen) -Wiederkehrende, belastende Träume -Handeln oder Fühlen, als ob das Ereignis wiederkehrt (Flashbacks) -Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internen/externen Hinweisreizen, die an Aspekte des Traumas erinnern -Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen/externalen Hinweisreizen Besonderheiten der PTSD-Symptomatik bei Kindern & Jugendlichen - Für jüngere Kinder ist nur objektives Traumakriterium (A1) erforderlich (Scheeringa et al., 1995) - altersunangemessene sexuelle Handlungen sind grundsätzlich als Trauma zu werten, auch wenn sie vom Kind nicht mit Furcht, Entsetzen oder Hilflosigkeit erlebt wurden - Bei Kindern auch Reaktionen in Form von aufgelöstem, agitiertem Verhalten (APA, 1994) - Wiederholtes und wenig lustbetontes Nachspielen der traumatischen Situation oder von Aspekten davon (APA, 1994) - Bei Kindern auch allgemeine Albträume ohne wiedererkennbaren Inhalt (APA 1994) - auch traumaspezifisches Wiederaufführen in Form von Zeichnungen, Geschichten oder Spielen (APA, 1994; Scheeringa, 1995) - kann sich äußern in anklammerndem oder auffällig aggressivem Verhalten, Angst vor der Dunkelheit oder dem Alleinsein, Bauch- oder Kopfschmerzen Kriterien für PTSD (nach Steil & Füchsel, 2006) DSM-IV PTSD (309.81) Kriterium C: Vermeidung traumabezogener Reize und Symptome emotionaler Taubheit (mind. 3 Symptome) - bewusste Vermeidung von Gedanken, Gefühlen, Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen - bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten, der Menschen, die an das Trauma erinnern - Unfähigkeit, sich an wichtige Aspekte des Traumas zu erinnern - deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten, die vor der Traumatisierung von Bedeutung waren - Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen - Eingeschränkter Affekt - Wahrnehmung einer eingeschränkten, verkürzten Zukunft Besonderheiten der PTSD-Symptomatik bei Kindern & Jugendlichen - Bei Kindern wahrscheinlich seltener als bei Jugendlichen und Erwachsenen (Mirza et al., 1998 - Eingeschränktes Spielverhalten unabhängig vom posttraumatischen Nachspielen oder Wiederaufführen der Situation (Scheeringa et al. 1995) - bei Kindern wahrscheinlich seltener als bei Jugendlichen und Erwachsenen (Mirza et al., 1998), eher sozialer Rückzug (Scheeringa et al., 1995) - Automutilation - kein Glaube mehr daran, jemals erwachsen zu werden, die Schule zu beenden etc. (APA, 1994), übermäßige Besorgnis, Familienmitgliedern oder Freunden könne etwas zustoßen - Verlust von prätraumatisch schon erworbenen Fähigkeiten (z.B. lesen oder schreiben), regressives Verhalten (z.B. Daumenlutschen, sekundäre Enuresis oder Enkopresis) Kriterien für PTSD (nach Steil & Füchsel, 2006) DSM-IV PTSD (309.81) Kriterium D: Symptome der erhöhten autonomen Erregung (mind. 2 Symptome) - Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen Erhöhte Reizbarkeit und Aggressivität - Konzentrations- und Gedächtnisprobleme - übermäßige Wachsamkeit (Hypervigilanz) - übermäßige Schreckreaktionen Kriterium E: Dauer Unterscheidung zwischen Akut, Chronisch und mit verzögertem Beginn Kriterium F: Beeinträchtigungen Vorliegen eines klinisch bedeutsamen Leidens oder einer Beeinträchtigung in sozialen oder beruflichen (schulischen) Funktionsbereichen Besonderheiten der PTSD-Symptomatik bei Kindern & Jugendlichen - Auch nächtliche Furcht, nächtliches Erwachen, auch unabhängig von Alpträumen (Scheeringa et al. , 1995) - prätraumatisch bestehende Leistungsstörungen werden verstärkt, Schulleistungen sinken (Yule & Udwin, 1991) Keine Angaben - nach Scheeringa et al. (1995) bei Kindern nicht notwendig Strukturierte Interviews: Kinder u. Jugendliche Instrumente Autoren ab Costello, Angold & Fairbank, 1998 9 Jahren Fletscher, 1996 k. A. Child Posttraumatic Stress Reaction Index (CPTS-RI) Frederick, Pynoos & Nader, 1992 7 Jahren Nicht an ICD oder DSM angelehnt. Clinician Administered PTSD Scale for Children and Adolescents (CAPS-CA) Nader et al., 1996 7 Jahren An DSM-IV angelehnt Diagnostic Interview for Children and Adolescents – Revised (DICA-R) Reich, Shayka & Taibleson, 1991 6 Jahren und ab 13 Jahren Diagnose nach DSM-IIR und DSM-IV möglich Interviews zu Belastungsstörungen bei Kindern u. Jugendlichen (IBS-KJ) Steil & Füchsel, 2006 7 Jahren An DSM und ICD angelehnt Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter (Kinder-DIPS) Unnewehr et al., 1995 6 Jahren An DSM-IV und ICD-10 orientiert Tagay et al., 2011 12-17 Jahren Child and Adolescent Psychiatric Assessment (CAPA) Childhood PTSD Interview Bemerkungen Diagnostik und Schwere psychiatrischer Störungen An DSM angelehnt Deutschsprachig Essener Trauma-Inventar (ETI-KJ) An DSM-IV angelehnt, erfasst Akute Belastungsstörung und PTSD. Standardisierte Fragebögen: Kinder u. Jugendliche Instrumente Autoren ab Briere, 1996 8 Jahren Enthält Subskalen zu PTSD Symptomen, nicht an DSM-Kriterien angelehnt Impact of Event Scale (Modifikation) Dyregrov et al., 1996 6 Jahren Weder an ICD noch an DSM orientiert: 3 Subskalen The Children`s Impact of Traumatic Events Scale-Revised (CITES-R) Wolfe et al., (1991) 8 Jahren Posttraumatische Symptomatik nach sexuellem Missbrauch, nicht vollständig an DSM angelehnt Foa et al., 2001 7 Jahren An DSM-IV angelehnt, N=75 Schulkinder 2 Jahre nach Erdbeben befragt, 8-15 Jahre (M=11,8 Jahre) The Cildren`s Revised Impact of Event Scale (CRIES-13) Perrin et al., 2005 7 Jahren Weder an ICD noch an DSM angelehnt, N=63 Unfallpatienten (10-16 Jahre), N=52 körperlich Kranke (7-15 Jahre), hohe PTSD Prävalenzen Child PTSD Reaction Index (CPTS-RI) Frederick et al., 1992 7 Jahren Berechnung eines Summenscores, keine exakte Anlehnung an DSM bzw. ICD Child PTSD Reaction Index (CPTS-RI) Landolt 7 Jahren Berechnung eines Summenscores, keine exakte Anlehnung an DSM bzw. ICD Essener Trauma-Inventar für Kinder und Jugendliche (ETI-KJ) Tagay et al., 2011 12-17 Jahren Trauma Symptom Checklist for Children (TSCC) The Child PTSD Symptom Scale (CPSS) Bemerkungen Deutschsprachig An DSM-IV angelehnt, erfasst Akute Belastungsstörung und PTSD. PTSD-Prävalenzen nach CRIES und ETI-KJ (N=276) *Children`s Revised Impact of Event Scale (Perrin et al. 2005, Behav Cogn Psychother) N=96; Alter: M=14.8 Zusammenfassung Selbstbeurteilungsfragebögen sollten das A-Kriterium unbedingt berücksichtigen. Besonders wichtig ist die Erhebung des A1-Kriteriums; das A2-Kriterium hingegen besitzt nur einen geringen prädiktiven Wert für eine PTSD (Breslau & Kessler, 2001). Die geringste PTSD-Prävalenz zeigt sich dann, wenn alle DSM-IV-Kriterien (A-F) erfüllt sind (Boals & Hathaway, 2010). Die hohe Komorbidität bei Traumafolgestörungen sollte stets diagnostisch untersucht werden (Kessler et al., 2005; Maercker, 2009). „Gold-Standards“ zur Sicherstellung von Diagnosen sind Strukturierte Interviews: z.B. SKID (Wittchen et al., 1997) und für den Bereich Kinder und Jugendliche der IBS-KJ (Steil & Füchsel, 2006). Beide Interviews orientieren sich an DSM-IV. Das Essener Trauma-Inventar (ETI) wie auch das Essener Trauma-Inventar für Kinder und Jugendliche (ETI-KJ) können sehr valide und reliabel traumatische Ereignisse und Traumafolgestörungen streng nach DSM-IV messen (Tagay et al., 2007; Tagay et al., 2010; Hauffa et al., 2010). Beide liegen sowohl als Interview als auch Fragebogen vor. Es gibt eine enge Beziehung zwischen körperlichen Beschwerden und Traumatisierung. Bei Menschen mit auffällig vielen somatoformen Beschwerden sollte eine mögliche Traumagenese in Betracht gezogen werden (Sack et al. 2007, J Nerv Ment Dis; Tagay et al. 2004, PPmP; Tagay, Schlegl, Senf 2010, Eur Eat Disord Rev). ANHANG Einführung in Psychotraumatologie Was ist ein traumatisches Ereignis? Kontroverse Debatte um den Traumabegriff und das Konzept der PTSD Journal of Traumatic Stress Vol. 22, 2009 - Brewin, Lanius, Novac, Schnyder, Galea: Reformulating PTSD for DSM-V: Life after Criterion A - Kilpatrick, Resnick, Acierno: Should PTSD Criterion A be retained? - Resick & Miller: Posttraumatic Stress Disorder: Anxiety or Traumatic Stress Disorder? Weathers & Keane: The Criterion A problem revisited: controversies and challenges in defining and measuring psychological trauma Journal of Anxiety Disorders Vol. 21, 2007 McNally 2003: „Conceptual bracket creep“ Rosen 2005: „criterion creep“ - Rosen & Taylor: Pseudo-PTSD - Bodkin, Pope, Detke, Hudson: Is PTSD caused by traumatic stress? - Spitzer, First, Wakefield: Saving PTSD from itself in DSM-V Jones & Wessley: A paradigm shift in the conzeptualization of psychological trauma in the 20th century McNally: Can we solve the mysteries of the National Vietnam Veterans readjustment Study? Bryant: Does dissociation further our understanding of PTSD? McHugh & Treisman: PTSD: A problematic diagnostic category Coyne & Thompson: Posttraumatic stress syndromes: useful or negative heuristics? Traumadefinition nach ICD-10 Im ICD-10 (Dilling et al., 1991) wird ein traumatischer Stressor als ein belastendes Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß beschrieben. Die WHO definiert „Trauma“ in der ICD-10 wie folgt (Dilling et al., 1991, S. 124): „Die Betroffenen sind einem kurz- oder langanhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verstörung auslösen würde.“ Fallbeispiel: BG Frau B., 42 Jahre, verheiratet – 13.05.2008 Kampfhundeangriff während ihrer beruflichen Paketzustellung, mit erheblichen Verletzungen, stationäre Behandlung – Psychotherapeutische Behandlung – arbeitsunfähig in Folge des Unfallereignisses vom 13.05.2008 Auszug aus dem Gutachten: Zusammenfassung, S.21 „Eine posttraumatische Belastungsstörung wurde aktuell nicht festgestellt, entsprechend gibt es auch keine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung… Eine teilweise Hunde Phobie als Unfallfolge wird festgestellt. Die Probandin kann aber offensichtlich doch mit Hunden umgehen, zum Beispiel dem ihrer Schwester. Eine „typische Phobie“ würde auch auf einen Hundeübungsplatz nach wenigen Minuten (max. 20-30 Minuten) ein Abklingen der Angstreaktion auslösen, da die körpereigenen Botenstoffe vom Adrenalin-Typ dann erschöpft sind, somit ergeht hierfür keine eigene MdE Vergabe.“ Seite 24: „Für die Kriterien der posttraumatischen Belastungsstörung wird in der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD 10) eine außergewöhnliche Bedrohung oder katastrophale Bedrohung, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde, genannt. Naturereignisse oder menschlich verursachte Katastrophen wie Kampfhandlungen, schwerer Unfall oder Zeuge eines gewaltsamen Todes oder selber Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderer Verbrechen zu sein. Dies wird bei einem Hundeangriff nicht entsprechend erreicht.“ Traumadefinition nach DSM-IV Traumadefinition nach dem Klassifikationssystem Psychischer Störungen (DSM-IV) (APA, 1994): Kriterium A1: Die Person erlebte, sah oder war konfrontiert mit einem oder mehreren Ereignissen, die aktuellen oder möglichen Tod oder schwere Verletzung beinhalteten oder eine Bedrohung der physischen Integrität der eigenen Person oder der anderer. Kriterium A2: Die Reaktion der Person beinhaltete intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. Was ist ein psychisches Trauma? Unterscheidung zwischen: Belastung, Stress, kritisches Lebensereignis und Trauma Belastung, Stress („critical life events“) hohe Belastung z.B. durch Krankheit, berufliche Probleme, finanzielle Schwierigkeiten, Umzug, Kündigung, Trennung, Schwangerschaft… Trauma (Psychotraumatologie) Nähe zum Traumaereignis Trauma Unmittelbare Betroffenheit Beispiele: Vergewaltigung, andere sexuelle Gewalt, physische Gewalt, Unfall… Mittelbare Betroffenheit Beispiele: Plötzlicher Tod eines nahen Angehörigen, Zeuge einer Gewalttat… Entwicklungswege nach einem Trauma ??? Mögliche Entwicklungswege nach einem Trauma Psychopathologischer Entwicklungsweg adaptiv Adaptiver / salutogenetischer Entwicklungsweg Traumafolgestörungen Neurobiologische Veränderungen Erhöhte Vulnerabilität für psychische Störungen salutogenetisch Trauma Ohne psychiatrische Morbidität / Kompensation durch Abwehrmechanismen Gute Bewältigung aufgrund personaler, sozialer und struktureller Ressourcen Persönliche Reifung Tagay et al. 2013, Psychotherapeut • Akute Belastungsstörung • PTSD • Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung • Traumaentwicklungsstörung Neurobiologische, kognitive, emotionale, motivationale und behaviorale Veränderungen Psychische Störungen • Depressionen • Angststörungen • Somatoforme Störungen • Dissoziative Störungen • Anpassungsstörungen • Essstörungen • Psychotrope Störungen • Persönlichkeitsstörungen • Entwicklungsstörungen • Sonstige psychische Störungen Bei Chronifizierung: Hohe psychische Komorbidität! Persönliche Reifung erschwert Traumafolgestörungen nach DSM-IV und ICD-10 Traumafolgestörungen nach DSM-IV und ICD-10 DSM-IV Sektion: Angststörungen 308.3 Akute Belastungsstörung DSM-IV 309.81 Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10 Sektion: Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen F43.0 Akute Belastungsreaktion F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung F43.2 Anpassungsstörungen F43.8 Andere Reaktion auf schwere Belastung F43.9 Nicht näher bezeichnete Reaktion auf schwere Belastung Sektion: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen F62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung F62.1 andauernde Persönlichkeitsänderung nach psychischer Erkrankung DSM-5 (2013) DSM-5 Trauma- und Stressbezogene Störungen 313.89 (F94.1) Reaktive Bindungsstörung mit Hemmung 313.89 (F94.2) Störung des Sozialverhaltens mit Enthemmung 309.81 (F43.1) Posttraumatische Belastungsstörung 308.3 (F43.0) Akute Belastungsstörung Anpassungsstörungen 309.0 (F43.21) mit depressiver Stimmung 309.24 (F43.22) mit Angst 309.28 (F43.23) gemischter ängstlicher und depressiver Stimmung 309.3 (F43.24) mit Auffälligkeit des Verhaltens 309.4 (F43.20) gemischter Auffälligkeit der Emotionen und des Verhaltens 309.9 (F43.20) nicht weiter spezifiziert Traumafolgestörungen: Zeitkriterium Zeitleiste Akute Belastungsreaktion (ICD-10: F43.0) max. 3 Tage Akute Belastungsstörung (DSM-IV: 308.3) max. 1 Monat Posttraumatische Belastungsstörung (309.81, F43.1) mind. 1 Monat Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10: F62.0) mind. 2 Jahre Kriterien für PTSD nach DSM-IV und ICD-10 Kriterien DSM-IV ICD-10 Stressorkriterium -Ereignis, das schwere körperliche Verletzung, tatsächlichen oder möglichen Tod oder eine Bedrohung der physischen Integrität der eigenen Person oder anderer Personen beinhaltet A1 -Subjektive Reaktion mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen A2 - Belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes - Bedingung ist, dass das Ereignis bei fast jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würde Hinreichende Symptome Vorliegen von Symptomen aus den Bereichen - Intrusion (mind. 1) B - Vermeidung/emotionale Taubheit (mind. 3) C - Autonome Übererregung (mind. 2) D Wiederholte unausweichliche Erinnerungen oder Wiederinszenierung des Ereignisses in Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen in Zusammenhang mit einem traumatischen Ereignis Dauer der Störung Mindestens 4 Wochen E Keine Angaben Beginn der Störung - Keine Beschränkung E Spezifikation des verzögerten Beginns, wenn die Symptomatik ab 6 Monate nach dem Trauma einsetzt Innerhalb von 6 Monaten nach dem Trauma Klinische Beeinträchtigung / Leidensdruck Durch Symptomatik bedingte klinisch bedeutsame Beeinträchtigung in wichtigen Lebensbereichen F Keine Angaben Kriterien für Akute Belastungsstörung nach DSM-IV und ICD-10 Kriterien DSM-IV ICD-10 Stressorkriterium - Ereignis, das schwere körperliche Verletzung, tatsächlichen oder möglichen Tod oder eine Bedrohung der physischen Integrität der eigenen Person oder anderer Personen beinhaltet A1 - Subjektive Reaktion mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen A2 Außergewöhnliche physische oder psychische Belastung Hinreichende Symptome Vorliegen von Symptomen aus den Bereichen - Dissoziation (mind. 3) B - Intrusion (mind. 1) C - Vermeidung D - Angst oder erhöhtes Arousal E Typischerweise ein gemischtes und wechselndes Bild, beginnend mit einer Art von „Betäubung“, mit einer gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, vegetative Zeichen panischer Angst, wie Schwitzen und Erröten Klinische Beeinträchtigung / Leidensdruck Durch Symptomatik bedingte klinisch bedeutsame Beeinträchtigung in wichtigen Lebensbereichen F Keine Angaben Beginn der Störung / Dauer der Störung - Tritt innerhalb von 4 Wochen nach dem traumatischen Ereignis auf G - Mindestens 2 Tage und höchstens 4 Wochen G - Tritt nach der Belastung auf - Klingt innerhalb von Stunden oder Tagen ab Ausschluss - Störungsbild geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück H Das frühzeitige Erkennen von Traumata Wichtige Hinweiszeichen auf Traumatisierung sind insbesondere: Ständige Nervosität und Schreckhaftigkeit Kaum verstehbare Ängste Emotionale Instabilität Vermeidung spezieller Aktivitäten und Situationen Körperliche Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Bauchschmerzen Häufige Konflikte mit anderen Menschen Misstrauen Schlafstörungen und Alpträume Antisoziales Verhalten / Aggressivität Typische Merkmale nach Trauma I Wie sie sich i.d.R. innerhalb von Wochen oder Monaten, aber gelegentlich auch erste später einstellen -Sich aufdrängende lebhafte Bilder des traumatischen Ereignisses (flashbacks) oder einschießende Erinnerungen (Intrusionen), bei einem gleichzeitigen Gefühl von emotionaler Betäubung (numbing) -Vermeiden von Situationen, die an das Trauma erinnern. „vergessen wollen aber nicht vergessen können“ -Hohes Stressniveau mit Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Schlaflosigkeit und Alpträumen. Typische Merkmale nach Trauma II Man-made disaster (Folter, Vergewaltigung,..) -Zerstörung des Urvertrauens „shattered assumptions“ -Angst und schwere Depression mit Suizidalität -Gestörte Wahrnehmung der Umgebung und der eigenen Person (Derealisation, Depersonalisation) -Allgemeines Misstrauen gegenüber dem gesamten Umfeld -Sozialer Rückzug und Isolation Komplexe PTSD (Sack, 2014, Psychotherapeut) Störungsbereiche der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (mod. nach Pelcovitz et al., 1997) I.Störungen der Regulation von Affekten und Impulsen a) starke Stimmungsschwankungen mit Unfähigkeit sich selbst zu beruhigen b) Verminderte Steuerungsfähigkeit von aggressiven Impulsen c) Autodestruktive Handlungen und Selbstverletzen d) Suizidalität e) Störungen der Sexualität f) Exzessives Risikoverhalten II. Störungen der Wahrnehmung oder des Bewusstseins a)Amnesien b)Dissoziative Episoden oder Depersonalisation III. Störungen der Selbstwahrnehmung a)Unzureichende Selbstfürsorge b)Gefühl dauerhaft zerstört zu sein c)Schuldgefühle d)Scham e)Gefühl isoliert und abgeschnitten von der Umwelt zu sein f)Bagatellisieren von gefährlichen Situationen Komplexe PTSD (Sack, 2014, Psychotherapeut) Störungsbereiche der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (mod. nach Pelcovitz et al., 1997) _ Teil2 IV. Störungen in der Beziehung zu anderen Menschen a) Unfähigkeit zu vertrauen b) Wiederholte Viktimisierungen c) Viktimisierung anderer Menschen V. Somatisierung a)Somatoforme Symptome b)Hypochondrische Ängste VI. Veränderung von Lebenseinstellung a)Fehelende Zukunftsperspektive b)Verlust von persönlichen Grundüberzeugungen und Werten Andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung ICD-10 (F62.0) A. Nachweis einer eindeutigen, anhaltenden Änderung in der Wahrnehmung, Beziehung und im Denken in Bezug auf Umgebung und sich selbst, nach einer Extrembelastung B. Persönlichkeitsänderung sollte ausgeprägt sein. Unflexibles und unangepasstes Verhalten. Vorliegen von mindestens 2 Symptomen: 1. Feindliche oder misstrauische Haltung 2. Sozialer Rückzug 3. Andauerndes Gefühl von Leere und Hoffnungslosigkeit 4. Andauerndes Gefühl von Nervosität ohne von Bedrohung ohne äußere Ursache 5. Andauerndes Gefühl der Entfremdung, ggf. Verbunden mit dem Gefühl der emotionalen Betäubung C. Persönlichkeitsstörung hat deutliche Störung der alltäglichen Funktionsfähigkeit zur Folge, subjektives Leiden oder nachteilige Auswirkungen auf Umgebung D. Persönlichkeitsstörung sollte nach Extrembelastung aufgetreten sein. E. Mindestens seit 2 Jahren bestehen, nicht in Beziehung zu Episoden anderer psychischer Erkrankungen F. Oft eine PTSD vorausgegangen, Symptome beider Störungen können sich überlappen, Persönlichkeitsänderung kann chronischen Verlauf einer PTSD darstellen (d.h. die Diagnose erfordert hier mindestens 2-jährige PTSD plus mindestens 2-jährige Persönlichkeiständerung) Standards der psychologischdiagnostischen Begutachtung Psychosomatikpatienten: Die häufigsten Traumata Tagay et al. 2005, Journal of Psychosomatic Research Schwerer Unfall 36 Sexueller Mißbrauch 32 Lebensbedrohliche Krankheit 30 Gewalt (Fremd) 24 Gewalt (Familie) 22 Sexuelle Gewalt (Familie) 19 Sexuelle Gewalt (Fremd) 17 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Prozent N=583, ambulante Patienten der Psychosomatik, Essen Anzahl potentiell traumatischer Ereignisse (Tagay & Senf, in press) N=178, 37 J. N=270, 23 J. N=276, 50 J. N=838, 55 J. N=60, 79 J. N=105, 44 J. N=100,37 J. N=268, 33 J. N=107, 29 J. N=233, 41 J. N=69, 37 J. Klassifikation potentiell traumatischer Ereignisse (PTE) (Tagay & Senf, in press) % Trauma-Prävalenzen nach Geschlecht