Templer in Tomar T E X T: M O N I K A G U Z Y philoSCIENCE D ie Portugiesen selber nennen ihre Heimat nach den geographischen Gegebenheiten das „Land des Sonnenuntergangs“. Versetzen wir uns doch selber in die Stimmung, wenn wir, an den Ufern des Atlantik stehend, die blutrote Sonne im Meer versinken sehen. Und dann verstehen wir die traditionellen Tänze und Lieder, sehr innig und stark, die in den portugiesischen Bars vom Meer, der Sehnsucht und der Liebe erzählen. Sie berichten auch vom Glanz, den die Hochburgen der Ritter im Mittelalter entzündet und die großen Seefahrer wie Vasco da Gama in die ganze Welt getragen haben. Ganz still und leise schlummern im Sonnenuntergang noch Zeugen dieser Epoche, die mit ihrer Toleranz, ihrer Wissenschaft und ihrer Suche nach Einheit die Neuzeit in Europa eingeleitet haben. Bereits damals existierte der noch heute lebendige Mythos von einem König, der eines Tages wiederkehren wird, gleich dem schlafenden König vom Untersberg in Salzburg. Es ist dies der König von Thule, zugleich auch der König Artus, geboren in einer Zeit, die als goldenes Zeitalter gilt, um sein Volk zum Licht zu führen. Die Templer in Tomar hinterließen Zeichen und Spuren, an denen wir die bewusste Erinnerung an dieses besondere Zeitalter erkennen können. Das wunderbare Tomar Portugal ist immer eine Reise wert. Lissabon atmet in seiner anmutigen Schönheit die Seele des Portugiesen. In Porto haben wir natürlich auch die Lager der Portweinkellerei besucht. Aber unvergesslich hat sich mir unser Besuch in Tomar, der legendären Templerresidenz eingebrannt. Die Klosterburg von Tomar erzählt mit ihrer Symbolik, festgehalten durch ei- 31 ne unglaubliche Vielfalt an arabischen und christlichen Zeichen und Bildern, vom Mut und der Mystik der Menschen und der geistigen Ziele der Wissenschaft. Die Bilder und Zeichen versinnbildlichen den Weg des Menschen auf der Suche nach seiner Seele. Die Burg wurde 1983 als Weltkulturerbe in die Liste der UNESCO aufgenommen. Sie stammt aus dem 12. bis 17. Jahrhundert, wurde vom Templerorden erbaut und ging nach dessen Auflösung in den Besitz des Orden der Christusritter über. In ihrer Entstehung und ihrem Bestand widerspiegelt sie die ruhmreiche Geschichte Portugals. Die Templer in Portugal Das Königreich Portugal wurde im Jahre 1139 gegründet, als D. Alfonso Henriques die entscheidende Schlacht von Ourique gegen fünf maurische Könige gewann. Auch wenn die „fünf“ vielleicht nur symbolischen Charakter aufweisen, trägt die portugiesische Flagge heute noch fünf Schilder mit fünf weißen Punkten. 1159 erhielt der Orden der Tempelritter von König Alfonso I. das Gebiet um Tomar im Flusstal des Nabão, etwa 130 km nördlich von Lissabon und 135 km südlich von Coimbra. Hier sollten sich die von den erfolgreichen Kreuzzügen zurückkehrenden Ritter niederlassen. Schon 1160 war Baubeginn der Burg durch den kriegserfahrenen Ordensmeister Gualdim Pais an der Stelle der vorherigen Ritterburg Ceras. 1305 wurde unter kräftiger Mithilfe des französischen Königs Philipp des Schönen, der in den Besitz der Reichtümer des Tempelritterordens gelangen wollte, von Papst Klemens V. der Orden aufgelöst. Der zu dieser Zeit Fortsetzung Seite 34 A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 4 / 2 0 0 6 Tomar - die Residenz des Christusordens Auf der Akropolis der Stadt finden wir die im 12. Jahrhundert gebaute Burg der Templer. Man betritt die Klosterburg durch eine Gartenanlage mit Resten der ältesten Burgmauern. Das 16-eckige Sanktuarium der Templer wurde als Chor der Christusritterkirche genutzt. Die Art der Konstruktion spiegelt verschiedene Neuheiten dieser Zeit wider, die wahrscheinlich vom Templer Gualdim Pais aus dem Orient mitgebracht wurden. Darauf zurückzuführen sind vor allem die stärkere und dickere Basis der Mauern, die runden Türme und der Torre de Menagem mit der Inschrift vom regierenden König Alfonso, dass er diese Festung Gott und den Tempelrittern widme. Der Grundriss der Burg widerspiegelt die Sternenkonstellation Boötes (Stern Arcturus). Unüblich für diese Zeit und daher beachtenswert ist die achteckige Kapelle mit dem Eingang gegen Osten. Zwei unterirdische Ströme fließen durch die Kapelle und kreuzen sich im Zentrum. Einer fließt von West nach Ost, der andere von Nord nach Süd. Der Grundriss des Chores zusammen mit dem Kreis der Kapelle basiert auf dem Doppelquadrat. Eine ähnliche Konzeption findet man bei dem im Alten Testament beschriebenen Tempel von Salomon. Zusätzlich existiert ein Labyrinth von unterirdischen Gängen. 1484 wurde unter dem Großmeister und künftigen portugiesischen König Manuel I. der Kreuzgang und die Christusritterkirche gebaut. In dieser Zeit wurde die gesamte Burganlage reich ausgestattet, und Tomar erhielt seine noch heute bestehende Form mit dem typischen gotischbarocken Stil. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde die Burg mehrfach ausgebaut, erweitert und umgestaltet. So stammen unter anderem die Klosteranlage mit den Mönchszellen sowie ein 5 km langer Aquädukt aus dieser Epoche. Der großzügig angelegte Innenhof beherbergt in seiner Mitte einen wunderschönen Barockbrunnen. Der Hof wird vom Claustro dos Filipes umschlossen. Hier soll im zweiten Stock 1580 der spanische König Philipp II. zum König von Portugal gekrönt worden sein. Die Sternenkonstellation Boötes (Stern Arcturus) Der Templerorden 1120 Templerorden gegründet (Hugo von Payens und Gottfried von Saint-Omer u.a.) als „Arme Ritter Christi“; Gelübde: Armut, Keuschheit und Gehorsam 1128 Konzil in Troyes - schriftliches Festlegen der Ordensregeln 1139 In Bulle „Omne datum optimum“ dem Papst direkt unterstellt (unantastbar für weltliche Herrscher) 1305 Der Ketzerei und Sodomie angeklagt 1307 Freitag, 13. Oktober - alle Kommandanturen und eine große Zahl der dienenden Brüder werden überraschend in Frankreich verhaftet. 1312 Auflösung des Ordens Südansicht der Kreuzritterburg in Tomar Die Wendeltreppe Das Einganstor 34 philoSCIENCE regierende portugiesische König Dinis wollte die Templer in seinem Lande vor Verfolgung und Schaden bewahren und gründete daher einen neuen Orden: den Orden der Christusritter. Man kann davon ausgehen, dass König Dinis auch ein Tempelbruder gewesen war, da er während des Prozesses der Inquisition im übrigen Europa den Templern Zuflucht gewährt hatte und mit einigen geschickten diplomatischen Schachzügen vom Vatikan die Erlaubnis erhalten hatte, den neuen Orden zu gründen. Es war dies der Christusorden, in dem alle portugiesischen Tempelritter sichere Zuflucht fanden. Auf diese Weise konnten etliche Aspekte der Tempelritter im Christusorden weiter bestehen. Der Christusorden sollte in späterer Zeit der Grundstein für die portugiesischen Entdeckungen in Übersee werden. Die Residenz des Christusritterordens war Tomar. Tomar - der Ausgangshafen der Entdeckungen Der Thronfolger D. Henrique, Oberster des Christusordens, begründete ab dem Jahre 1420 gemeinsam mit den „neuen Templern“ das Zeitalter der großen portugiesischen Entdeckungen. Die Templerstadt Tomar wurde der Hafen dieser Odyssee, die das geographische wie auch das menschliche Weltbild unseres Planeten grundlegend revolutionieren sollte. Als Christoph Columbus nach Amerika aufbrach, war diese Bewegung schon über 70 Jahre aktiv. Jahre, in denen die Portugiesen wissenschaftlich und methodisch begleitet zu neuen Horizonten aufbrachen, unter anderem an die afrikanische Küste. Christoph Columbus erhielt seine Ausbildung von den RitterNavigatoren des Christusordens, und zumindest bei seiner ersten Reise trug er das Templerkreuz auf seiner Rüstung. Im Jahre 1498, mit der Entdeckung Indiens durch Vasco da Gama, ebenfalls ein Ritter des Christusordens, war die größte Ausdehnung Portugals erreicht. Eine Ausdehnung, die in der Geschichtsschreibung als ein „Werk der Titanen“ bezeichnet wird. Das Siegel der Tempelritter - 2 Reiter auf einem Pferd symbolisiert die doppelte Natur des Ordens: die Kriegerseite und die geistig/esoterische. Das Templerkreuz (auch Tatzenkreuz) Der Mut, die Mystik und die Wissenschaft Diese portugiesische Entdeckungszeit war nur dank der Dreiheit von Mut, Mystik und Wissenschaft möglich. Der Mut als eine der ritterlichen Tugenden ließ die Seefahrer zu immer neuen Gestaden aufbrechen. Die Mystik stützte sich auf zwei Pfeiler: der erste war die Frage des Auffindens des Königreichs von Priester John (mit dem Mythos des heiligen Grals gleichgesetzt), der zweite war der portugiesische Kult zum Heiligen Geist. Der Geist der religiösen Toleranz war eine der Grundlagen der Tempelritter, der sich bis zur portugiesischen Inquisition Mitte des 16. Jahrhunderts in Portugal erhalten hat. Christoph Columbus schrieb in seinem Libro de las Profecias (Buch der Prophezeiungen): „Ich sage, dass der Heilige Geist in Christen, Juden und Moslems arbeitet und in allen anderen jedweder Sekte, und nicht nur in denen, in denen wir ausgebildet wurden.“ A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 4 / 2 0 0 6 philoSCIENCE Und letztlich die Wissenschaft, die durch das Studium der Natur die Werkzeuge für die erfolgreichen Entdeckungen bereitgestellt hatte. Mit dem Beginn der Inquisition in Portugal wurde der Christusorden aus der Verbindung mit dieser Tradition herausgerissen. Es bleibt die Legende Was bleibt, ist die Legende vom schlafenden König. Der Geist der Tempelritter hatte sich tief in das Unterbewusstsein des Volkes zurückgezogen. Die Legenden und Mythen, die in den wehrhaften Mauern der Burg schlummern, warten auf ihre Wiederbelebung. Dann wird es wieder Zeit für den schlafenden König, sich von seinem Thron zu erheben und sein Reich der Gerechtigkeit zu erneuern. Q Non nobis Domine, non nobis, sed Nomini tuo da gloriam. (Nicht uns, o Herr, nicht uns, nein, Deinem Namen die Ehre) Psalm 115,1; Motto der Tempelritter A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 4 / 2 0 0 6 35