Vorlesung X Selbstmedikation und alternative Medizin Prof. Dr. Jürgen Hoyer Dipl.-Psych. Katharina Schierz Dresden, 23. Juni 2016 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Gliederung 1. Selbstmedikation 2. Der Placebo-Effekt 3. Alternative Medizin 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 2 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Selbstmedikation = Behandlung von Krankheiten / Beschwerden oder Einnahme von Medikamenten ohne ärztliche Rücksprache • rezeptfreie Medikamente (und Hausmittel) • 7,15 Milliarden EUR jährlich (2012) 1/5 der verschriebenen Med. (http://www.aerzteblatt.de/archiv/167893) • durch Praxisgebühr Verzicht auf Arztbesuch oder Einnahme von „Restbeständen“ • Stiftung Warentest (2002): 40% der getesteten Medikamente „nicht geeignet“ 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 3 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 4 Folie 4 http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=31004 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Beispiel Generalisierte Angststörung Diffuse Symptome laden zur Selbstmedikation ein 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 5 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin DSM-IV Kriterien für Generalisierte Angststörung (GAS) A. Übermäßige Angst und Sorge (furchtsame Erwartung) bezüglich mehrerer Ereignisse oder Tätigkeiten (wie etwa Arbeit oder Schulleistungen), die während mindestens 6 Monaten an der Mehrzahl der Tage auftraten. B. Die Person hat Schwierigkeiten, die Sorgen zu kontrollieren. C. Drei der folgenden Symptome: Ruhelosigkeit, leichte Ermüdbarkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Muskelspannung, Schlafstörungen D. Sorgen sind nicht auf eine andere Achse-I-Störung beschränkt (z.B. Angst, sich zu blamieren) E. Relevante Beeinträchtigung F. Symptome nicht direkt auf Drogen, medizinische Störungen, affektive oder psychotische Störungen zurückzuführen (Abgrenzung zur Depression) DSM-V: GAS-Definition mit geringfügigen Textveränderungen beibehalten! 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 6 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Epidemiologie • • • 12-Monatsprävalenz (BRD): 2,2% (z.B. Jacobi et al., 2014) Lebenszeitprävalenz (USA): 2,9% (z.B. Kessler et al., 2012) Geschlechterverteilung: Frauen beinahe doppelt so häufig Verlauf: • Inzidenz: in jedem Alter möglich, insb. Aber bei älteren Menschen (anders als bei anderen Angststörungen) • Verlauf: chronisch (meist retrospektive Daten) Hauptproblem in der Versorgung: selten vom Hausarzt erkannt und selten versorgt (Wittchen, Kessler, Beesdo, Krause, Höfler & Hoyer, 2002) 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 7 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Beispiel Generalisierte Angststörung Alles, was gegen „Ängste und Nervosität“ hilft: • • • • • • • 23.06.2016 Kava-Kava Klosterfrau Melissengeist „Kuren“ Ginkgo biloba (Tebonin) Lavendelöl Bibliotherapie Gute Ratschläge Gesundheitspsychologie Folie 8 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Sorge dich nicht… / Don‘t worry… Dale Carnegie Bobby McFerrin (1888-1955) (*1950) • weltweite Auflage: über 15 Millionen • weit über 100 Monate auf diversen Bestsellerlisten • Erstauflage: 1944 („How to stop worrying and start living“) 23.06.2016 „Don‘t worry!“ funktioniert nicht mehr: Gesundheitspsychologie • Patienten mit GAS können z.B. einer Fernsehsendung nicht mehr richtig folgen, weil sie eigentlich mit ihren Sorgen beschäftigt sind und diese eben nicht „abstellen“ können Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 10 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Gingko biloba Ginkgo biloba bei Angststörungen? (Wölk, Arnoldt, Kieser & Hoerr, 2007; Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG) Eingesetzt als Demenzmedikament (Wirkung umstritten) • • bei Älteren angstreduzierender Effekt beobachtet auch bei Jüngeren? Empirie • N = 107 (> ¾ GAS; Rest Anpassungsstörung) • 3 Gruppen: Placebo, niedrige Dosis, hohe Dosis • Outcomes: HAMA, CGI, EAAS (Erlanger Skala für Angst, Aggression, Spannung), Beschwerdeliste Ergebnis: G.b. war dem Placebo überlegen (in allen Maßen) 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 11 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Gingko biloba … eine der verwendeten Methoden: Hamilton Anxiety Scale (HAMA) (Wölk et al., 2007) = Fremdbeurteilungsinstrument zur Einschätzung des Schweregrades einer Angststörung (nicht der Diagnose) • 14 Items • Fremdrating: 0 (nicht vorhanden) bis 4 (ernst) • Beispielitems: • • • • • 23.06.2016 intellektuelle Beeinträchtigung: Konzentration & Gedächtnis somatische Beschwerden: Muskelschmerz, Bruxismus kardiovaskuläre Symptome: Schwäche, Herzklopfen, Brustschmerzen, Tachykardien (Puls ) ängstliche Stimmung: Sorgen, Katastrophisieren Furcht: vor Fremden, allein zu sein, der Dunkelheit Gesundheitspsychologie Folie 12 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Gingko biloba … HAMA Scores (Wölk et al., 2007) 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 13 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Gingko biloba Ginkgo biloba als Alternative? (Wölk et al., 2007) • • G.b. ist sicher und gut akzeptiert, bes. unter Älteren keine Gefahr der Abhängigkeit (vs. z.B. Benzodiazepine) Aber: • • • • Diagnostik in der Studie rein klinisch (orientiert am DSM, aber keine standardisierte Diagnosestellung) HAMA erfasst auch intellektuelle und körperliche Symptome Wirkmechanismus weitestgehend unklar Co-Autoren 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 14 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Gingko biloba Alternative Medizin und Generalisierte Angst: Effekte wie durch Psychotherapie!(?) (Hoyer & Moeser, in Vorb.) ES = 2.8 Alternative Behandlungsmethoden für GAS (within-effects) Studie Methode Dubois et al (2010) Woelk & Schläfke (2010) Sherman et al (2010) Bonne et al (2003) Balneotherapie Lavendelöl (Silexan) Massage Klassische Homeopathie Bystritsky, Kerwin & Feusner (2008) Boerner et al (2003) Woelk et al (2007) Behandlungs -dauer 8 Wochen 6 Wochen 12 Wochen post HAM-A Score mean (SD) 12.4 (4.8) 13.7 (6.7) 14,9 (6.2) N total 237 77 69 N treat 117 40 23 44 22 31.4 (7.2) 10 Wochen 21.7 (11.6) Rosenwurz Kava 10 129 10 43 23.4 (6.0) 23.14 (3.19) 10 Wochen 8 Wochen 14.10 (8.06) 8.37 (7.44) Ginko biloba 107 67 32 35 480 mg 240 mg 23.06.2016 prä HAM-A Score mean (SD) 24.4 (3.7) 25.0 (4.0) 24.8 (5.7) Gesundheitspsychologie 4 Wochen 30.7 (5.2) 29.7 (5.5) 14.3 (7.3) 12.1 (8.6) Folie 15 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Gingko biloba … ähnlich uneindeutig: Tebonin und Demenz (I) Weinman et al., 2010; BMC Geriatrics 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 16 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Gingko biloba … ähnlich uneindeutig: Tebonin und Demenz (II) Weinman et al., 2010; BMC Geriatrics 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 17 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Johanniskraut Johanniskraut (Hypericum; St. John‘s Wort) • Eingesetzt als „natürliches“ Antidepressivum. • Bei leichten und mittelschweren Depressionen Wirkung vergleichbar mit Antidepressiva; überlegen gegenüber Placebo (Röder, Schäfer & Leucht, 2004; Linde et al. 2005); jüngst in Frage gestellt: die neuesten und besten Studien zeigen kleinere Effekte (Werneke, Horn & Taylor, 2004) • Potentielle Nebenwirkung: Lichtallergie; Wechselwirkungen mit Asthma-, Herzmedikamenten oder der Pille • Beschleunigt Abbau anderer Medikamente in der Leber: bis zu 10-fache Dosen nötig (z.B. SSRI - Antidepressiva) 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 18 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Befunde von der Güte der Studien abhängig Linde K, Berner M, Egger M, Mulrow C. St John's wort for depression: Meta-analysis of randomised controlled trials. British Journal of Psychiatry 2005;186:99-107. Folie 19 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 20 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Vorteil (?) Weniger Absetzen des „Medikaments“ (Linde et al, 2007) 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 21 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Selbstmedikation – Gefahren • Medikamentencocktails (auch bei Selbstmedikation parallel zu Behandlung ohne Wissen des Arztes) • Nebenwirkungen beachten (wirklich den Apotheker gefragt?) • „Natürlich“ ≠ Ungefährlich: Nebenwirkungen (Kava Kava: Leberschäden vermutet; Zulassung ausgesetzt) • Abhängigkeitspotential: Schmerz-/Abführmittel, sogar Nasenspray • • 1,5 Mio. Medikamentenabhängige in D, davon >1 Mio. Benzodiazepin-Abhängige • Verzögerung des Arztbesuchs • Förderung eines medizinischen Krankheitsmodells 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 22 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Beispiel für Nebenwirkungen bei der Selbstmedikation: „Bestäubungsmittel“ (SZ-Magazin) 23.06.2016 • Ich bin nasensprayabhängig. Meine Nase ist immer verstopft. Frei atmen kann ich nur, wenn ich mir alle fünf bis sechs Stunden ein Schnupfen-medikament in die Nase sprühe. Tue ich das nicht, fühle ich mich, als wäre eine Vakuumpumpe an meine Nase angeschlossen, als würden die Nasenlöcher zubetoniert .. • Entzug: Man kann wochenlang nicht schlafen, denn vor allem nachts ist die Nase ständig verstopft. Man hat Kopfschmerzen, wird übellaunig, befindet sich in einem permanenten Dämmerzustand, der Mund ist ausgetrocknet, man hechelt wie ein Hund. Und überhaupt: Wenn man andauernd durch den Mund atmet, sieht man ja auch etwas dümmlich aus. Trotzdem, ich will nicht länger Junkie sein. Gesundheitspsychologie Folie 23 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 24 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Selbstmedikation – Fazit • Nur bei leichten, diagnostisch sicher einzuschätzenden Beschwerden • Zeitlich beschränkt (max. 1-2 Wochen), niemals Dauergebrauch • Bei Verschlechterung sofort zum Arzt • Packungsbeilage beachten, Apotheker fragen • Viel hilft nicht zwangsläufig viel, sondern kann auch viel schaden (Keine Wirkung ohne Nebenwirkung) • Wechselwirkungen beachten (chronische Erkrankungen)! Aber: nicht selten hilft es doch ! PLACEBO-Effekt ! 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 25 Gliederung 1. Selbstmedikation 2. Der Placebo-Effekt 3. Alternative Medizin 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 26 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Der Placeboeffekt (I) (Kaptchuk, 2002) = unspezifischer Effekt durch das Ritual der Behandlung und den (gestärkten) Glauben an Besserung bei Anwendung nicht wirksamer Medikamente oder Behandlungen. • Einige Jahrhunderte neben Erbrechen und Schwitzen der medizinische Wirkmechanismus • Wirkung der Hälfte aller Medikamente vor 1950 vermutlich durch Placebowirkung (biochemische Wirksamkeit in Folge zweifelhaft, Shapiro & Shapiro, 1997) • Kulturabhängig: Wirkung bei Magengeschwüren: Deutschland 60%; Brasilien 6% – Schamanen und Rituale von heute? • Auch Tiere und Kinder sprechen auf Placebos an 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 27 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin 23.06.2016 • Trennung spezifischer Effekt (Medikament) vs. unspezifischer Effekt (Placebo) problematisch • Patienten können oft anhand von Nebenwirkungen des Medikaments erkennen, ob sie in der Versuchsgruppe sind – Erwartungen werden bestärkt (rechts) Daher sog. „aktive Placebos“ Gesundheitspsychologie Placebo Placeboeffekt wird in klinischen Studien berücksichtigt (links) Placebo • Medikament Placebo Medikament Placebo Der Placeboeffekt (II) (Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008) Folie 28 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Der Placeboeffekt (III) (de Saintonge & Herxheimer, 1994) • Ausmaß des (zusätzlichen) Placeboeffekts ~ Behandlungsart bzw. ritual: • • Qualität: • • • Infusion > große Kapseln > kleine Tabletten gelbe Pillen wirken eher stimulierend/antidepressiv weiße eher schmerzlindernd Richtung: • • 23.06.2016 wenn Ärzte ärgerlich, abweisend: negativ (Nocebo) Steigerung wenn sie zeigen, dass sie an Wirkung glauben Gesundheitspsychologie Folie 29 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Der Placeboeffekt (IV) Moseley et al. (2002): Chirurgie als Placebo • Arthrose – Schmerzen im Knie: Kniespülung plus Glättung des Knorpels • Vergleich: • Tatsächliche therapeutische Arthroskopie (Spülung; mit/ohne Glättung) • vs. einfache Schnitte (nur Operationswunde = Placebo) • Ergebnis: • Keine Unterschiede bzgl. Knieschmerzen und Beschwerden nach 1 und 2 J. • Jährlich in Dtl. ca. 400.000 Arthroskopien 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 30 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Der Placeboeffekt (V) McRae et al., 2004 • Ebenfalls kein Unterschied zwischen der tatsächlichen und der nur vorgetäuschten (sham surgery) OP (Stammzellentransplantation bei Parkinson-Erkrankung). • Diejenigen Patienten verbesserten sich am meisten, die glaubten, sie hätten tatsächlich die OP erhalten. 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 31 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Nocebo-Effekt (I) (Engelhardt, 2004; Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008) • Placebos (Medikamente ohne Wirkstoffe) können ebenfalls unerwünschte Nebenwirkungen haben: Müdigkeit, Kopfschmerz, Nervosität, Übelkeit, Durchfall,… • … die nicht durch die pharmakologische Wirkung des Medikaments erklärt werden können = Nocebo-Effekt Eine Erklärung: leichte körperliche Symptome sind in der Bevölkerung weit verbreitet, diese werden durch das Placebo besser wahrgenommen und auf das Medikament attribuiert 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 32 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Nocebo-Effekt (II) (Engelhardt, 2004; Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008) • In einer Medikamentenstudie erlebten circa 20% der gesunden Vergleichspersonen Nebenwirkungen, obwohl sie in der PlaceboBedingung waren (Rosenzweig, Brohier & Zipfel, 1993). • Nebenwirkungen in Depressions-Behandlungsstudien in der Placebobedingung höher, wenn es um Trizyklika (relativ starke Nebenwirkungen) gegenüber SSRI (geringere Nebenwirkungen) ging! (Rief et al., 2009) • Nocebo-Effekte häufiger, wenn behandelnder/verschreibender Arzt verärgert oder zurückweisend • Kann Ursache für Non-Compliance sein Überschneidung mit optimalem Arztverhalten (Vorlesung 9) 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 33 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 34 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Vom Placebo lernen (I) (Kaptchuk, 2002) Der Placeboeffekt ist Element jeder (guten) medizinischen Behandlung: • Aufmerksamkeit & Anteilnahme • Beeinflussung und Steuerung von: • • • Erwartungen (Wirksamkeit der Behandlung/Handlungs-Ergebnis-Erwartungen) Angst (Optimismus vs. Risikowahrnehmung) Selbstaufmerksamkeit • Aktivierung sehr früh konditionierter Reaktionen: krank: Arzt (weißer Kittel) -> Besserung • Therapeutisches Verhalten, das den Placeboeffekt verstärkt, findet sich oft in unkonventionellen Therapiesettings! (TCM) 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 35 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Vom Placebo lernen (II) (Kaptchuk, 2002) Placeboeffekt schon in der Ausbildung explizit als therapeutischen Mechanismus berücksichtigen! • Faktoren identifizieren und nutzen, die Wirkung maximieren & Nebenwirkungen minimieren • Placeboeffekt am größten, wenn Kombination mit spezifischer Behandlung • langfristige, alleinige Wirkung zweifelhaft: vgl. emotions-orientierte Bewältigungsstrategien (vs. problem-orientierte) 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 36 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Bewusste Gabe von „Placebo“: ethisch vertretbar? (Engelhardt, 2004) Transparenz und Partnerschaft (Compliance) vs. gute Unterhaltung mit positivem Effekt (Placebo)? • Dilemma: je besser Patient informiert und aufgeklärt, desto resistenter gegenüber Placebowirkungen • Bedeutung für Arzt (Lüge?) und Arzt-Patient-Verhältnis? • langfristige Folgen, wenn Placeboeinsatz bekannt wird? • Wirkung von Placebos früher als Beweis für einen „eingebildeten Kranken“ – schlicht falsch Der Placeboeinsatz i.e.S. (Scheinbehandlung) ist ethisch problematisch und vermutlich auch gar nicht notwendig! 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 37 Gliederung 1. Selbstmedikation 2. Der Placebo-Effekt 3. Alternative Medizin 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 38 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin TCM – Akupunktur (I) (Kaptchuk, 2002) Akupunktur wirkt • • Unklar: Gegen Erbrechen nach Operation/Chemotherapie und Übelkeit bei Schwangerschaft Gegen Zahnschmerzen • • • Chronischer Schmerz Rückenschmerz (LBP) Kopfschmerz ? Akupunktur ist bei chronischem Knieschmerz (Arthrose) und chr. Rückenschmerzen (Lendenwirbelsäule) Kassenleistung! 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 39 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin TCM – Akupunktur (II) (Leibing et al., 2002) Akupunktur bei chronischem Rückenschmerz (low back pain) besser als Placebo? • N = 131; Patienten mit mind. 6 Monaten LBP • 3 Gruppen: • • • 23.06.2016 Gruppe 1: Physiotherapie Gruppe 2: Physiotherapie + 20 x Verum-Akupunktur Gruppe 3: Physiotherapie + 20 x Sham-Akupunktur = Placebo-Akupunktur: oberflächlich (nicht so tief) und nicht an Akupunkturpunkten, sonst identisch = aktiver Placebo! (s.o.) Gesundheitspsychologie Folie 40 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin TCM – Akupunktur (III) (Leibing et al., 2002) Ergebnis: • (Verum)-Akupunktur ist Kontrollgruppe (1) überlegen bzgl.: • • • Schmerzintensität Behinderung durch Schmerz psychischer Stress • Auch noch nach 9 Monaten, aber schwächer • V-Akupunktur ist S-Akupunktur nur in der Reduktion des psychischen Stress überlegen; nicht aber in Bezug auf: Schmerzintensität, Behinderung durch Schmerz Spricht das jetzt für oder gegen Akupunktur? 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 41 Rubrik „Die spannende Studie“ | Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 42 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Direkte Wirkung ist unwahrscheinlich! (mindert) Gingko/ Rotwein/ Johanniskraut... 23.06.2016 Depression Gesundheitspsychologie Folie 43 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Indirekte und unspezifische Effekte sind wahrscheinlicher (kein Effekt) Gingko/ Rotwein/ Johanniskraut... Depression Pos. Erwartungen Mehr Aktivität Erleichterung 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 44 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Fazit – alternative Medizin • • Oberstes Kriterium: keinen Schaden anrichten Kein Ersatz für konventionelle Therapien bei ernsten Erkrankungen Gefährlich, wenn als Ersatz gesehen Evtl. Ressource, wenn ergänzend eingesetzt • • 23.06.2016 Unspezifischer Placeboeffekt sehr wahrscheinlich Je nach Passung Krankheit – Arzt – Setting – Patient sogar Verstärkung des Placeboeffekts Gesundheitspsychologie Folie 45 Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin Fragen • • • • • Was verstehen Sie unter Selbstmedikation? Wie bewerten Sie sie? Begründen Sie Ihre Antwort! Erklären Sie den Placeboeffekt – auch an einem Beispiel! Überlegen Sie sich Mechanismen, über die ein Placebo Wirkung entfalten kann! Was ist ein Nocebo-Effekt? Nennen Sie Einflussgrößen! Wie kann man die Wirkung unkonventioneller Therapien vor dem Hintergrund des Placeboeffekts und Ihnen bekannter Konzepte wie Selbstaufmerksamkeit, Optimismus und Selbstwirksamkeit erklären? Sie erfahren vom Patient, dass dieser sich neben der Behandlung bei Ihnen auch noch von einem Geistheiler in Hinblick auf seinen Bluthochdruck behandeln lässt. Wie sollten Sie reagieren? Ihr Ziel: Arzt-Patienten-Verhältnis und Compliance fördern/sichern. 23.06.2016 Gesundheitspsychologie Folie 46