WISSENSCHAFT fanden die Ärzte noch nur ein kleiner Zipfel des Krebszellen. Tumors nicht oder nicht Vorteil der Tiefkühlschnell genug auf mindetherapie: Die Kältesonde stens minus 50 Grad abschädigt Blutgefäße und gekühlt, kehrt der Krebs gesundes Gewebe wenizurück. Dosiert der Arzt ger als das Skalpell. So die Kälte zu großzügig, könnten bei der Prostatazerstört er das umliegenbehandlung für die Mande gesunde Gewebe – neskraft notwendige Nereine Gratwanderung, die viel Fingerspitzengefühl In Mainz, Köln und Homburg wird ven funktionsfähig bleiben, hoffen Verfechter und Erfahrung erfordert. eine neue Form der Prostata- und Le- der Kryochirurgie. In der Die Erfolgsquote verbessern könnte ein Simuberkrebstherapie erprobt: Der Tumor stark durchbluteten Lelassen sich Krebsherlationsprogramm, das wird per Kältesonde schockgefroren. ber de kaltmachen, deren eine Arbeitsgruppe der Herausoperieren zu risUni-Klinik Homburg, sien Meng hatte nichts zu verlie- kant wäre. dem dritten Kryochirurren. Leberkrebs im Endstadium Mit Minusgraden Tugie-Standort in Deutschlautete die Diagnose der Ärzte in moren auszumerzen ist Kryochirurg Seifert* land, derzeit entwickelt. seiner Heimat Taiwan – unheilbar, keine keine neue Idee: Schon Künftig sollen Ärzte vor Operation möglich. Meng nahm Kontakt Mitte des letzten Jahrhunderts versuchte der Operation am Monitor austüfteln, zu einer Klinik in Kalifornien auf. Dort, man, mit eiskalten Salzlösungen Brust- wohin sie die Sonden stecken müssen, so hatte er gehört, erprobten Mediziner und Gebärmutterhalskrebs zu bekämp- damit der komplette Tumor gefriert. eine neue Krebstherapie, die Kryochirur- fen. 1961 entwickelte ein englischer Noch bleiben viele Mediziner skepgie. Dabei werden Tumoren nicht heraus- Neurochirurg die erste, noch recht primi- tisch: „Der Grad der Gewebezerstörung geschnitten, sondern schockgefroren. tive Kältesonde, die mit flüssigem Stick- ist schwer steuerbar“, warnt Hartwig Doch Wilson Wong vom Alhambra stoff arbeitete. Begeistert experimentier- Huland vom Universitäts-Krankenhaus Hospital wies Meng ab. Der Arzt hatte ten Mediziner mit der neuen Technik – Hamburg-Eppendorf. Obwohl bereits bislang nur Prostatakrebs vereist, an Le- doch ohne Erfolg. Sie mußten blind mit mehr als 7000 Amerikaner ihren Prostaberkarzinome mochte er sich nicht heran- der Sonde nach dem Tumor tasten, auch takrebs einfrieren ließen, hält der Urolowagen. Unbeirrt reiste der 75jährige Chi- ließ sich die Kälte nicht genau dosieren. ge das Verfahren für „unreif und experinese nach Kalifornien – und überzeugte Die Renaissance der Kryochirurgie be- mentell“. Sein Urteil: „Top-Ärzte in den Wong schließlich. Sechs Monate nach gann, als Ultraschallbilder erlaubten, die USA machen keine Kryochirurgie.“ dem Eingriff waren in Mengs Leber kei- Kältesonden zielsicher in den Tumor zu Kritiker bemängeln, daß bisher keine ne Krebszellen mehr nachweisbar. dirigieren und die Eisbildung zu kontrol- Langzeitstudien über den Therapie-ErHeute, drei Jahre später, ist das Tiefge- lieren. Je nach Art und Größe des Tumors folg vorliegen. Ein endgültiges Urteil frieren von Tumoren in einigen Kliniken bohrt der Arzt bis zu sechs Sonden in die wird erst nach Jahren der Praxis möglich in den USA, Asien und Australien fast Geschwulst. Durch die wenige Millime- sein: Prostatakrebs etwa wächst so langRoutine. Vor allem bei Geschwulsten in ter dicken Metallröhrchen strömt flüssi- sam, daß ein Patient erst zehn Jahre nach Leber und Prostata zeigt die schonende ger, minus 196 Grad Celsius kalter Stick- dem Eingriff als geheilt gilt. Therapie Erfolge; an Nieren-, Brust- und stoff. Um die Sonde bildet sich ein EisErste Erfahrungen mit dem Vereisen Hirntumoren wird sie erprobt. ball. Das Innere der Zellen gefriert; beim von Lebermetastasen veröffentlichte ein Jetzt praktizieren auch einige deutsche langsamen Auftauen bersten zudem die Pionier der Kältetherapie, der AmerikaÄrzte die Kryochirurgie – unter den Zellwände. Zurück bleibt ein Klumpen ner Gary Onik: Zwar lebten trotz Kryoskeptischen Blicken gestandener Kolle- totes Gewebe, der binnen mehrerer Mo- behandlung nach fünf Jahren nur noch gen. „Unsere ersten Ergebnisse sind er- nate vom Körper resorbiert wird. rund 20 Prozent der Patienten. Onik wermutigend“, sagt Joachim Kai Seifert von Das Prinzip klingt einfach, stößt in der tet dies dennoch als Erfolg, denn alle der Mainzer Uni-Klinik. Dort haben die Praxis allerdings an Grenzen: Wird auch Kranken waren mit herkömmlichen MeChirurgen bei bislang thoden nicht mehr zu kurieren. sechs Patienten MetastaZu Euphorie jedoch geben die Zahlen sen in der Leber eingenoch keinen Anlaß. „Wo man schneiden froren. Ob der Kältekann, sollte man schneiden“, empfiehlt schock auf Dauer HeiSeifert. Wie seine Kollegen in Köln und lung bringt, bleibt abzuHomburg greift Seifert nur zur Kältesonwarten. „Das müssen wir de, wenn dem Patienten anders nicht zu drei oder vier Jahre lang helfen ist: Wuchern zu viele Metastasen Kältesonde beobachten“, so Seifert. in der Leber, würde das Skalpell nicht geDie Urologen der Kölnug intaktes Gewebe übriglassen; alte ner Uni-Klinik traktieroder geschwächte Menschen drohen ten innerhalb eines Jahwährend der Operation zu sterben. res 21 Prostatapatienten Auch wenn Kryochirurgie in Einzelmit Frost. Die ersten 11 fällen Leben retten kann – damit sich das passierten bereits die 350 000 Mark teure Gerät rentiert, muß Ultraschallkopf Kontroll-Untersuchung es ausgelastet sein. Deshalb boten die sechs Monate nach dem Mainzer Chirurgen ihren Kollegen von Eingriff – nur bei einem der Urologie an, das Gerät mitzunutzen. Deren Chef Rudolf Hohenfellner zeigte sich allerdings nicht interessiert: „Unsere * Oben: mit Kältesonden; Vereisung von Lebermetastasen*: Berstende Zellen unten: an der Uniklinik Mainz. Strategie ist die Radikaloperation.“ ™ Medizin R. DREXEL Den Krebs kaltmachen DR. J. K. SEIFERT H DER SPIEGEL 38/1996 205