Pharmakotherapie der Stressharninkontinenz Duloxetin Der Wirkstoff Duloxetin-HCL ist in Deutschland als neuer Wirkstoff zur medikamentösen Bahandlung der Belastungsharninkontinenz seit Herbst 2004 erhältlich. 1 Pharmakologie Die Wirkung von Duloxetin ist dosisabhängig. Die Dosis, die für die Phase-III-Studien eingesetzt wurde, lag bei 2x 40 mg pro die. Die Halbwertszeit von Duloxetin ist bei Patientinnen 65 Jahre um 4,3 Stunden verlängert. Auch wenn eine Dosisanpassung bei unseren älteren Patientinnen nicht notwendig erscheint, sollte doch eine hohe Aufmerksamkeit bei der Behandlung dieser Patientinnen erfolgen. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt dosisabhängig etwa 12 Stunden. Ein steady-state wird nach 3 Einnahmetagen erreicht. 2 Wirkmechanismus (Abb. 1—2) Duloxetin-HCL wirkt im zentralen Nervensystem und sorgt im Blasenzyklus in der Verschluss- und Speicherphase für eine bessere Harnröhrenabdichtung. Die Speicherung von Urin in der Blase wird durch zwei periphere Nervensysteme — dem sympatischen und dem somatischen Nervensystem — ermöglicht. Der sympatische Nervus hypogastricus und sein Neurotransmitter Noradrenalin sorgt für eine über Rezeptoren vermittelte Relaxation der glatten Detrusormuskulatur und über 1Adrenorezeptoren für eine Kontraktion des glatten urethralen Muskels. Der Wirkmechanismus von Duloxetin im somatischen Nervensystem basiert auf einer Wiederaufnahmehemmung zentraler Neurotransmitter ins präsynaptische Neuron in einem Kerngebiet im Rückenmark auf Höhe S2—S3 von Motoneuronen des Nervus pudendus, dem sogenannten Onuf’schen Nucleus. Die erhöhte Konzentration dieser Neurotranmitter sorgt für eine vermehrte Aktivität im postsynaptischen Neuron und bewirkt eine verstärkte Kontraktion von quergestreifter Harnröhrensphinktermuskulatur durch den Transmitter Acethylcholin, welcher am nikotinergen Rezeptor der Rhabdosphinktermuskulatur wirkt. Die Wirkung von Duloxetin HCL ist in tierexperimentellen Studien nachgewiesen worden. Bei Katzen zeigte sich eine verstärkte EMG-Aktivität der Sphinktermuskulatur. Die Frage, warum Duloxetin in der Speicherphase des Blasenzyklus den Rhabdosphinkter stärkt, aber in der Entleerungsphase den Urinfluss in keinster Weise beeinträchtigt, wird durch die Rolle des Neurotransmitters Glutamat erklärt. Glutamat aktiviert den Nervus pudendus in der Speicherphase des Blasenzyklus’. Dadurch erst wird die rezeptorvermittelte Wirkung eines erhöhten Noradrenalin- und Serotoninspiegels ermöglicht. Gibt das pontine Miktionszentrum dem sakralen Miktionszenturm Impulse die zur Hemmung der Pudendusaktivität führen, geschieht diese Hemmung ebenfalls glutamatvermittelt. Diese Theorie wird tierexperimentell gestützt indem man feststellte dass es bei der Gabe von Duloxetin bei Ratten in Anwesenheit von Noradrenalin und Serotonin es zu keiner erhöhten Pudendusaktivität kommt bis zur Gabe von Glutamat. Wird allerdings nur Glutamat injeziert — ohne Noradrenalin und Serotoningabe — bleibt ebenfalls ein Pudenduseffekt aus. Abb. 1: Im Diagramm wird schematisch die Wiederaufnahmehemmung von Noradrenalin gezeigt. Normalerweise wird Noradrenalin nach der Abgabe in den synaptischen Spalt wieder aufgenommen (Recycling). Durch die Duloxetin-Blockade der Wiederaufnahme von Noradrenalin steigt die Noradrenalin-Konzentration im synaptischen Spalt. Es erfolgt eine verstärkte Rezeptoraktivierung der Zielzelle (hier Nervus pudendus, der den Sphinkter innerviert) und damit eine verstärkte Sphinkteraktivität. Nun kann auch der bei Belastung (Husten, Niesen) entstehende intraabdominale Druck durch den Duloxetinverstärkten Sphinktertonus kompensiert werden. Der Urin wird gehalten. Abb. 2: Nur wenn Glutamat während der Füllphase vorhanden ist, kann der Serotonin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin zu einer stärkeren Kontraktion des Schließmuskels beitragen. Modellbeispiel Radio: Ist der Einschaltknopf (hier Glutamat) aktiviert, kann man mit den Lautstärkereglern (hier Duloxetin) die Lautstärke (hier die Aktivität des N. pudendus) erhöhen/verstärken. Während der Entleerungsphase ist Glutamat nicht vorhanden. Daher kann Duloxetin (obwohl vorhanden) nicht verstärkend wirken. Damit kann die Entleerung ungestört verlaufen. Der klinische Effekt bei Belastungsharninkontinenz durch Duloxetin-HCL am Menschen ist durch internationale Phase-II- und -III-Studien belegt (s.u.). Auch wenn die placebokontrollierten Studien einen guten Placeboeffekt mit Senkung der Inkontinenzepisodenzahl von 41% zeigten, ist die Wirkung von Duloxetin signifikant (Reduktion von Inkonrtinenzepisodenzahl von 64%). Auch im eigenen Patientinnenkollektiv können wir die Wirksamkeit mit einer Reduktion des Vorlagenverbrauches im ersten Einnahmemonat bei über 60% der Patientinnen feststellen. 3 Dosierung Die Dosis die für die Phase-III-Studien eingesetzt wurde lag bei 2x40 mg pro die. Eigene Erfahrungen zeigten, dass zu Beginn der Behandlung mit 2x40 mg die Nebenwirkungsrate wie Übelkeit und Erbrechen bei mehr als 20% der Patientinnen auftraten. Mittlerweile hat sich eine einschleichende Dosierung durchgesetzt. Der Hersteller empfiehlt die initiale Gabe von 2 x 20 mg für 14 Tage, anschließend dann 2x40mg Gabe. Persönlich empfehlen wir den Beginn der Behandlung mit 20 mg für die ersten 4 Behandlungstage, dann 2x20 mg für 4 Tage gefolgt von der Dosis 20 mg morgens 40 mg abends, und ab dem 12 Behandlungstag 2x40 mg des Wirkstoffes (sog. Rüdesheimer Schema). Durch die Dosisreduzierung zu Beginn der Therapie ließ sich in unserem Patientinnenkollektiv die Nebenwirkungsrate signifikant reduzieren. 4 Indikationen Die Indikationsfrage muss individuell gestellt werden, auch wenn Leitlinien generell den Einsatz von Duloxetin-HCL bei Belastungsharninkontinenz vor jedem operativen Eingriff aufzeigen. Es ist durchaus möglich, dass eine multimorbide Patientin, die schon eine Vielzahl Medikamente einnehmen muss, durch eine minimalinvasive einmalige Inkontinenzprozedur zuweilen unter Lokalanästhesie einen größeren Benefit erzielt als durch die Langzeiteinnahme von Duloxetin. Ein weiterer Aspekt ist der Wunsch der Patientin, die einen hundertprozentigen Erfolg ohne Inkontinenzepisoden erwartet, was Duloxetin meist nicht zu Leisten vermag. Auch wenn minimal-invasive Operationsverfahren diesen Erfolg nicht garantieren können, ist die Erzielung von Trockenheit wahrscheinlicher. Ob es eine Differentialindikaton gibt hinsichtlich eines Therapierfolges, die eher für die Therapie von Duloxetin-HCL spricht als für minimal-invasive Methoden, ist noch unklar. Eine Deszensussituation mit Inkontinenz, bei der alleinige operative Inkontinenzverfahren zu einer Miktionsstörung führen könnten, wäre als solche Differentialindikation denkbar. Im Hinblick auf Therapieschemata muss auch eine Umkehr des empfohlenen Regimes möglich sein, nämlich die Gabe von Duloxetin-HCL bei einer Inkontinenzoperation ohne suffizienten Effekt. Für eine Duloxetineinnahme spricht, dass im Gegensatz zu jeder operativen Therapie keine Miktionsstörungen bekannt sind, und dass es zu keinem Qualitätsverlust an elastischem Gewebe kommen kann, welchen z.B. Operationen induzieren. Auch eine von einigen gefürchtete Langzeiterosionsneigung von bei Inkontinenzeingriffen eingesetzten Materialien ist nicht möglich. Vorteilhaft an der Duloxetintherapie ist, dass nach Beginn der Therapie ein Erfolg relativ kurzfristig in Erscheinung treten muss. In klinischen Studien zeigen unter den Respondern 100% eine positive Wirkung nach spätestens 15 Tagen. Bei fehlender Verbesserung der Situation nach 4 Wochen schleichen wir den Wirkstoff bei unseren Patientinnen im umgekehrten Rüdesheimer Schema wie oben beschrieben aus. 5 Nebenwirkungsspektrum (Abb. 3) Eine Abhängigkeit der Nebenwirkungen von dem Patientinnenalter wird diskutiert. Klinische Studien zeigen eine ähnliche Verträglichkeit bei jüngeren und älteren Paitientinnen. 12.1.6 Ergebnisse In einer Phase II-Dosisfindungsstudie und einer Phase-III-Studie randomisiert, doppelblind, placebokontrolliert wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von Duloxetin ermittelt. In einer Metaanalyse wurden die Ergebnisse dieser Studien bezüglich der Dosierung 2x40 mg vs. Placebo verglichen. Die Metaanalyse zeigte folgende Ergebnisse (1913 Probandinnen): Die mediane Reduktion der Inkontinenzepisoden betrug 52% im Vergleich zu 33% bei den Patientinnen in der Plazebogruppe. Dieser Unterschied ist statistisch signifikant (p< 0,001). Die Untersuchung der Lebensqualität mittels I-QOL-Score zeigte einen mittleren Anstieg im I-QOL-Fragebogen um 9,2 Punkte und damit ebenfalls eine signifikante Erhöhung der Lebensqualität versus Plazebo. In der Gesamtbetrachtung berichteten 64,6% der Patientinnen über eine Verbesserung der Gesamtsituation bezüglich der Harninkontinenz (PGI-I-Fragebogen). Bei den Nebenwirkungen wurde die Übelkeit als häufigste Nebenwirkung angegeben. 23,2% der Patientinnen in der Verumgruppe verspürten Übelkeit versus 5% in der Placebogruppe. Die Intensität der Übelkeit wurde bei 92% der Probandinnen als leicht bis mäßig angegeben. Mundtrockenheit und Müdigkeit traten bei etwa 13,4 bzw. 12,7% der Probandinnen auf. Weitere Nebenwirkungen waren unter anderen Kopfschmerzen 9,7% und Schwindel 9,5%. 7 Eigene Erfahrungen mit Duloxetin (Abb. 4) Die Betrachtung der Nebenwirkungen (qualitative Analyse), die bei mindestens 5 % der Patientinnen in beiden Behandlungsgruppen zu je 100 Patientinnen (erste Gruppe: ab Therapiebeginn volle Dosis; zweite Gruppe: Behandlung nach dem RÜD-Schema auftraten zeigt, dass Übelkeit die am häufigsten angegebene Nebenwirkung ist. Die weiteren Nebenwirkungen, die bei mehr als 60% der Patientinnen auftraten sind Schlaflosigkeit und Schwindel. Verstopfungen, die der Therapie zugeschrieben werden beklagten 50% der Frauen. Mit 41% ist die Mundtrockenheit das am 5 häufigsten beklagte Symptom gefolgt von Kopfschmerzen die 38 % der Patientinnen als Symptom der Therapie zuordneten. Eine Visusstörung wurde von 20% der Patientinnen beschrieben. Weitere Nebenwirkungen sind Schwitzen bei 20% und Müdigkeit bei 18% der Frauen. Diarrhoe, Hautjucken, Abgeschlagenheit, Magenschmerzen und Benommenheit mit 5% sind weitere Nebenwirkungen. Ereignisse die von weniger als 5% der Patientinnen beschrieben wurde sind 26 genannt. Eine Die nach Einnahmemodus betrachteten Ergebnisse zeigen, dass die Übelkeit bei Volldosis in 78% und bei einschleichender Therapie nur in 50% der Fälle auftrat. Das Maximum der Übelkeit findet sich am 2. Therapietag (63% der Patientinnen die Übelkeit verspürten merken sie zu diesem Zeitpunkt). Bei Applikation nach dem RÜD-Schema trat sie am 5. Tag auf. Die Häufigkeitsverteilung zeigt, dass selbst bei Erreichen der Volldosis deren Nebenwirkungshäufigkeit nie erreicht wird. Nebenwirkungen finden sich vor allem in den ersten Tagen der Therapie und innerhalb der ersten 28 Behandlungstage werden sie immer seltener beschrieben. Die Frage, wie lange die einzelne Patientin mit dem Andauern einer Nebenwirkung rechnen muss, lässt sich zumindest für die untersuchten Kollektive beantworten: bei 90% der Patientinnen nach RÜD-Schema tritt die Übelkeit über max. 6 Tage auf, während 54% der Patientinnen der Volldosis die Übelkeit mehr als 7 Tage verspürten. Schwindel trat in der Volldosis-Gruppe bei 52,3% und bei 31,8% der Patientinnen der RÜDSchema-Gruppe auf, Schwindel empfanden am ersten Tag der Behandlung 44% Patientinnen der Volldosisgruppe und 23% der RÜD-Schema-Gruppe. Wieder zeigt sich, dass auch bei Erreichen der Volldosis kein Anstieg der Nebenwirkungsrate auftritt. Schwindel nimmt in beiden Behandlungsgruppen im Verlauf der Therapie fast stetig ab und tritt ab dem 20 Behandlungstag kaum noch auf. Länger als 12 Tage hatten in der RÜD-Gruppe 14,3% der Patientinnen Schwindel, in der Volldosisgruppe 24%. Abb. 3: Nebenwirkungsspektrum von Duloxetin Abb. 4: Nebenwirkungsspektrum von Nebenwirkungsverhalten am Beispiel der Übelkeit bei initialer Volldosis vs. Anwendung des „Rüdesheimer Schemas“ Eine dieser Nebenwirkung war eine Halluzinaton. Übelkeit findet sich am 2. Therapietag (63% der Patientinnen die Übelkeit verspürten merken sie zu diesem Zeitpunkt). Bei Applikation nach dem RÜD-Schema trat sie am 5. Tag auf. Die Häufigkeitsverteilung zeigt, dass selbst bei Erreichen der Volldosis deren Nebenwirkungshäufigkeit nie erreicht wird. Nebenwirkungen finden sich vor allem in den ersten Tagen der Therapie und innerhalb der ersten 28 Behandlungstage werden sie immer seltener beschrieben. Die Frage, wie lange die einzelne Patientin mit dem Andauern einer Nebenwirkung rechnen muss, lässt sich zumindest für die untersuchten Kollektive beantworten: bei 90% der Patientinnen nach RÜD-Schema tritt die Übelkeit über max. 6 Tage auf, während 54% der Patientinnen der Volldosis die Übelkeit mehr als 7 Tage verspürten. Schwindel trat in der Volldosis-Gruppe bei 52,3% und bei 31,8% der Patientinnen der RÜDSchema-Gruppe auf, Schwindel empfanden am ersten Tag der Behandlung 44% Patientinnen der Volldosisgruppe und 23% der RÜD-Schema-Gruppe. Wieder zeigt sich, dass auch bei Erreichen der Volldosis kein Anstieg der Nebenwirkungsrate auftritt. Schwindel nimmt in beiden Behandlungsgruppen im Verlauf der Therapie fast stetig ab und tritt ab dem 20 Behandlungstag kaum noch auf. Länger als 12 Tage hatten in der RÜD-Gruppe 14,3% der Patientinnen Schwindel, in der Volldosisgruppe 24%. Ähnliche Ergebnisse liegen bezüglich der Wahrscheinlichkeit, dass eine Patientin zu einem bestimmten Zeitpunkt der Behandlung eine bestimmte Nebenwirkung aufweist vor: eine fast zu jedem Zeitpunkt der Behandlung reduzierte Nebenwirkungsrate bei einschleichender Einnahme (vgl. Abb. 159). (Auftreten der Nebenwirkung während 28 Tage getrennt nach Therapieschema: Schlaflosigkeit 67,5% vs 45,5%; Kopfschmerz 37,5 vs. 36,4 %). Abbrüche der Therapie erfolgten in der Gruppe, die die Volldosis erhielt, bei 21,6% der Patientinnen und bei 11,1% der Patientinnen in der RÜD-Schema-Gruppe. Eine ärztliche Behandlung aufgrund der Nebenwirkungen erfolgte nicht. In der Betrachtung der Effektivität der Therapie anhand der individuellen Vorlagenreduktion zeigt eine Vorlagenreduktion bei 61,2% der Patientinnen, keine Reduktion gaben 38,8% der Patientinnen an. Um die Effektivität weiter zu beschreiben wurde ausgewertet, welches Ausmaß die Reduktion annahm. Mehr als 60% Reduktion der Vorlagenanzahl hatten 65% der Patientinnen, die eine Reduktion angaben. Auch interessierte, ob Patientinnen die ein Dranggefühl bei nicht voller Blase verspürten (keine Dranginkontinenz!), eine Reduzierung desselben empfanden. Diese Frage beantworteten 52% als positiv. Die Lebensqualität wird von mehr als 50% der Patientinnen als besser bzw. wesentlich besser eingestuft. 4% bezeichnen sie als gut und 26,7% als unverändert. Eine Fortführung der Therapie wünschen 63% der Patientinnen der RÜD-Schema- Gruppe und 50% der Volldosisgruppe. Leider machten zu dieser Frage 14,8 Prozent der RÜDSchema-Gruppe keine Angabe (2% der Volldosisgruppe). 8 Kritische Bewertung Aufwand, Effektivität und unerwünschte Wirkungen müssen in einer vernünftigen Relation zueinander stehen. Eine Therapie mit einer sehr guten Erfolgsrate, aber einer hohen Anzahl Nebenwirkungen ist ebenso wenig erwünscht wie die nebenwirkungsfreie Behandlung ohne Effektivität. Wird Harninkontinenzoperationen eine gute Effektivität bei geringer Komplikationsrate zugeschrieben, so sind hier die Probleme zu sehen in dem Aufwand einer stationären Therapie inkl. Narkose, ggf. in dauerhaften Veränderungen durch Narben und der Erzeugung unphysiologischer Gewebeverhältnisse sowie Versagern (TVT < 13%) mit verringerter Wahrscheinlichkeit des Erreichens einer restitutio ad integrum. Die Ergebnisse der medikamentösen Therapie der Harninkontinenz mit Duloxetin zeigen bezüglich der Gesamtnebenwirkungsraten beider untersuchten Kollektive eine doch recht hohe Anzahl von Nebenwirkungen [NW], inkl. kumulierter Nebenwirkungen (bei ein und der selben Patientin). Demgegenüber steht eine Effektivität (gemessen an der individuellen Vorlagenreduktion) von immerhin 60%. Diese Relation bewertet jeder anders (Patientinnen, Therapeuten, Industrie). Die Bewertung wird aber besser ausfallen, wenn die die Nebenwirkungsrate sinkt. Durch Einschleichen kann dieses Ziel erreicht werden, ohne das Resultat der Behandlung zu beeinflussen, sieht man davon ab, dass unter Umständen die Effektivität des Wirkstoffes schneller bei Gabe der Volldosis eintritt. Eine Patientin, die über lange Zeit unter Harninkontinenz gelitten hat, wird sicherlich ein paar Tage länger auf den therapeutischen Effekt warten können, wenn sie dafür eine verträgliche Therapie erhält. Die Ergebnisse beider Kollektive zeigen, dass die meisten Nebenwirkungen zu Beginn der Behandlung eintreten, allerdings je nach Therapiemodus auf einem deutlich reduzierten Niveau beim Einschleichen des Wirkstoffes. Die Nebenwirkungszeitprofile zeigen eine Angleichung der Häufigkeit einer NW im Verlauf der Behandlungstage auf niedrigem Nebenwirkungsniveau. Die Nebenwirkungsraten der Volldosistherapie weichen deutlich von denen des Herstellers in den durchgeführten Phase-III-Studien (1913 Patientinnen) ab. Hier wurden z. B. nur bei 25,1% der Patientinnen Übelkeit im Zusammenhang mit der Therapie beklagt (Müdigkeit 10,1%, Schlaflosigkeit 13,7%, Schwindel 11%). Es gibt aber auch bei diesen Studien eine Subgruppe (Patientinnen mit schwerer HIK, die vor einer Operation standen) in der z. B. 45,5% Übelkeit und 27,3 % Kopfschmerz angaben. Inwiefern die Pharmakokinetik hierbei eine Rolle spielt, kann diskutiert werden. Zumindest ist das Studienkollektiv der Metaanalyse mit 53,7 Jahren um durchschnittlich 7 Jahre jünger als das von uns untersuchte Gesamtkollektiv. Klinische Herstellerstudien zeigen, dass für Patientinnen älter 65 Jahre eine vergleichbare Verträglichkeit besteht wie für die Gesamtstudienpopulation der Metaanalysen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass ein Einfluss der Halbwertszeit der älteren Patientinnen gegenüber dem Gesamtkollektiv festgestellt wurde. Dass das Alter in unseren Studienkollektiven nicht für die Nebenwirkungsrate verantwortlich gemacht werden kann, zeigt die zufällige Übereinstimmung der Altersmediane von 60,9 Jahren. Allerdings unterschieden sich die Kollektive hinsichtlich des BMI: der höhere BMI gehört zu der Gruppe mit einschleichender Dosierung. Der Einfluss des BMI auf die Pharmakokinetik von Duloxetin ist uns nicht bekannt. Eine von der Herstellerempfehlung abweichende Dosierung wurde von uns kritisch diskutiert und erst nach Rücksprache mit Kollegen aus dem psychiatrischen Fachgebiet, die seit vielen Jahren klinische Erfahrung mit Serotonin- und Noradrenalinwiederaufnahmehemmern haben und nach umfassender Aufklärung der Patientinnen verantwortet. Hinsichtlich des Einschleichens hat der Hersteller insofern reagiert, als eine SGGB-Studie unter Einschluss von 512 Patientinnen durchgeführt wurde die unsere Ergebnisse und das von uns vorgeschlagene Einschleichen bei Duloxetin bestätigte. Ereignisse, die von weniger als 5% der Patientinnen beschrieben wurden, sind 26 genannt. Da diese z. T. nur einmal genannt wurden und auch unter rationalen Gesichtspunkten eher nicht der Therapie zugeordnet werden können (Rückenschmerzen), wird auf diese nicht näher eingegangen. Dennoch sollte eine Nebenwirkung nicht unerwähnt bleiben: eine Patientin hatte am vierten Tag der Therapie der Volldosis eine Halluzination während einer Autofahrt beschrieben. Unerwähnt sollte diese NW vor allem nicht bleiben, weil sie für die Patientin unter Umständen schwere Folgen hätte haben können (Autounfall mit Fußgängerbeteiligung). Der verordnende Arzt muss als forensische Konsequenz die Frage beantworten, ob seine Aufklärung adäquat erfolgte. In jedem Fall muss jede schwere Nebenwirkung, die unter Einnahme eines Medikamentes auftreten kann und auch mit Wahrscheinlichkeit mit dieser Einnahme in Verbindung steht, dem Hersteller gemeldet werden. Dieser wird die Fälle prüfen und ggf. Warnhinweise verfassen. Die Empfehlung der WHO hinsichtlich der Durchführung einer Duloxetintherapie im Rahmen eines Behandlungsschemas muss kritisch gesehen werden. Zum einen erfolgte diese Empfehlung aufgrund weniger Studien zu einem Zeitpunkt, zu dem es noch zu wenig Anwendungserfahrung gab (vgl. Ereignis „Halluzination“, welches laut Angaben des Herstellers erst zweimal europaweit auftrat) und noch viele Fragen offen waren (zum Beispiel nach einem einheitlichen Schema zum Ausschleichen der Behandlung oder die Antwort auf die Frage, ob ein Behandlungserfolg durch Absetzen der Behandlung nachlässt oder mit der Zeit ein Gewöhnungseffekt eintritt und der Wirkstoff an Effektivität einbüßt). Ganz zu schweigen von Langzeitnebenwirkungen, die zwar von ähnlichen Wirkstoffen bekannt sind, aber eben nicht von Duloxetin in der verwendeten Dosierung. In jedem Fall muss eine individuelle Therapientscheidung getroffen werden. Es sollte nicht prinzipiell nach einem starren, vorgegebenen Schema vorgegangen werden. Es ist durchaus möglich, dass eine multimorbide Patientin nach Abwägung einen größeren Nutzen durch eine Inkontinenzoperation (minimal-invasiv durchgeführt) hat, als durch eine insgesamt belastendere medikamentöse Therapie mit geringerer Effektivität. Auf der anderen Seite kann auch nach einer fehlgeschlagenen Inkontinenzoperation eine Duloxetineinnahme versucht werden. Es gibt noch keine Empfehlungen, wie im Einzelnen mit Nebenwirkungen umgegangen werden soll. Die Übelkeit unter Duloxetin gilt als relativ behandlungsresistent. Wann bei Nichterfolg eine Therapie abgebrochen werden kann/sollte, ist auch nicht eindeutig zu sagen. Die Erfahrung bei Behandlungsfällen auch außerhalb des beschriebenen Kollektivs lassen vermuten, dass wenn nach 4 Behandlungswochen keine Veränderung eingetreten ist, die Behandlung beendet werden kann, da durch eine längere Einnahme keine Verbesserung mehr erreicht wird. Welche Patientinnen überhaupt prospektiv von einer Behandlung profitieren, ist noch nicht geklärt. Bis jetzt gilt bezüglich der Therapie das Prinzip des „Ausprobierens“. Eine individuelle — am Wohl des Patienten orientierte - Behandlung berücksichtigt auch, dass Patientinnen beim Auftreten von Nebenwirkungen unter Umständen im häuslichen Umfeld ohne Ansprechpartner sein können. Um auch solchen Patientinnen gerecht werden zu können, sollte eine enge Patientenführung erfolgen, ggf. auch unter stationären Bedingungen, im Wissen, dass die meisten NW in den ersten Tagen der Behandlung auftreten. Eine Sozialanamnese ist zu erheben, ebenso eine Medikamentenanmnese, beide sind zu dokumentieren. Wegen der nicht vorhersagbaren NW sollte z. B. bei Patientinnen vor bevorstehender Autofahrt oder vor einer Prüfungssituation eine solche Therapie nicht eingeleitet werden. Bei rationalen Überlegungen bezüglich der Harninkontinenzentstehung sollten es vor allem die Patientinnen sein, die ein muskuläres Defizit im Bereich der periurethralen Muskulatur haben. Ob eine Stimulation bei normaler muskulärer Aktivität eine Kompensation anderer defizitärer Kontinenzmechanismen erreicht, ist noch zu untersuchen. 9 Schlussbetrachtungen Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt schon kurz nach Einführung des Medikamentes Duloxetin, dieses als festen Bestandteil eines Behandlungsschemas für Harninkontinenz aufzunehmen. Im Rahmen des konservativen Therapiespektrums kann mit Yentreve® ein Erfolg in der Behandlung der Symptome der Belastungsharninkontinenz erzielt werden. Das Medikament ist zu Beginn der Behandlung nicht nebenwirkungsarm, allerdings kann eine einschleichende Behandlung die Nebenwirkungsrate deutlich reduzieren. Eine medikamentöse Therapie sollte individuell ohne unkritische Übernahme von starren Behandlungsschemata erfolgen. Dabei ist vor allem auch auf das Nebenwirkungsspektrum der Therapieformen zu achten. Im Einzelfall ist auch eine Umkehr der von den verschiedenen Fachgruppen (ICS, WHO, AGUB) vorgeschlagenen/empfohlenen Schemata zu erwägen, zum Beispiel bei Misserfolg einer Inkontinenzoperation. Unsere ersten persönlichen Erfahrungen mit dem Wirkstoff sollen dazu beitragen, ein tieferes Verständnis für diese neue Therapie und ihre pharmakodynamischen Eigenschaften zu entwickeln. Dabei soll ein spezieller Schwerpunkt auf den Nebenwirkungen liegen, denn eine neue Therapieform sollte nicht nur an den Erfolgsraten gemessen werden, sondern auch der potentielle Schaden den sie verursacht, muss mit erwogen werden. Nur die Einsicht in unerwünschte Wirkungen einer Therapie ermöglicht uns Ärzten dem §8 der Musterberufsordnung gerecht zu werden, nämlich der ... rechtzeitigen und vollständigen Aufklärung über Risiken, Nebenwirkungen, Unverträglichkeiten, Dosierung, usw. nach: Armin Fischer: Praktische Urogynäkologie – spannungsfrei; Verlag Haag & Herchen, Frankfurt 2006; ISBN 3-89846-371-0