Management / Marketing „Design Thinking“ Ein Katalysator für Innovationen „DesignThinking“, also Denken wie ein Designer, kann die Art und Weise verändern, wie Produkte, Dienstleistungen, Prozesse – ja, gar Strategien – entwickelt werden. W ie werden Designer in der Regel eingesetzt? Im früheren Stadium einer Entwicklung spielen sie meist keine grosse Rolle. Erst wenn ein Produkt so gut wie fertig ist, werden sie einbezogen, um – etwas salopp ausgedrückt – eine schöne Verpackung zu entwerfen. Ihre Rolle ist damit eher taktisch angelegt. Wäre es nicht sinnvoller, sie von Anfang an einzubeziehen, ihre Rolle von der Taktik hin zur Strategie zu verlagern? Designer könnten so Ideen für Produkte kreieren, die die interview Magazin, Nr. 6 / 2012 Kundenbedürfnisse- und wünsche besser befriedigen. Und nicht bloss eine bereits entwickelte Idee attraktiver verpacken. Das entsprechende Umdenken propagiert die d.school in Stanford mit dem so genannten „Design Thinking“. Management / Marketing „Design Thinking“ – also Denken wie ein Designer – sollten wir alle vermehrt einsetzen. Aber was genau heisst Denken wie ein Designer? Im Idealfall untersuchen Designer ein Problem aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Sie integrieren die verschiedenen Aspekte, sie stellen Fragen, sind experimentierfreudig sowie fähig zur Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Fachleuten. Und: Sie haben das Wissen verinnerlicht, dass es mindestens eine neue Lösung gibt, die besser ist, als die bestehende. Wer dieses Denken verinnerlicht, hat ein ideales Werkzeug für die Entwicklung von wahren Innovationen – und zwar nicht nur im Produktbereich sondern auch für Dienstleistungen, ja gar für soziale Fragestellungen. Prozess in sechs Phasen Der „Design Thinking“ Prozess der d.school Standford verläuft durch sechs jeweils iterative Phasen: Zunächst wird versucht, etwas zu verstehen, das heisst die Ausgangslage wird genau analysiert. In der zweiten Phase ist Empathie sehr wichtig: Hier wird ganz genau beobachtet oder allenfalls werden auch Leute befragt, die vom entsprechenden Problem betroffen sind. Die dritte Phase beinhaltet das Definieren und Einnehmen verschiedener Perspektiven. Danach - in der vierte Phase – werden neue Ideen gesucht und daraus schon möglichst bald Prototypen erstellt. Diese müssen nicht schön oder formvollendet sein. Es geht lediglich darum, damit möglichst schnell auch die sechste Phase einzuleiten: Nämlich die Prototypen zu testen und dann zu verfeinern. Wichtig ist, dass stets mit Prototypen gearbeitet wird. Diese brauchen nicht komplex oder teuer zu sein. Eine kleine Bastelarbeit für ein neues Produkt reicht. Für Dienstleistungen fällt „prototyping“ natürlich nicht bildlich aus, sollte aber trotzdem irgendwie greifbar dargestellt werden, z.B. mithilfe eines Rollenspiels. Ziel ist es, anhand eines unausgereiften Objektes die Stärken und Schwächen einer Idee bildlich zusammen zu tragen. Dies, um dann bei der Verfeinerung einen weiter ausgereiften Prototyp herzustellen und diesen wieder auf Herz und Nieren zu prüfen. Und so weiter. Harte Arbeit für brillante Ideen Der Mythos, dass geniale kreative Ideen einfach so und voll ausgereift aus brillianten Köpfern heraus ploppen, hält sich hartnäckig. Normalerweise aber sind sie das Resultat von harter Arbeit, gefolgt von iterativen Prozessen – eben von „prototyping“, Tests und weiterer Verfeinerung. Wer „Design Thinking“ neu anwendet, empfindet es vielleicht zunächst als etwas chaotisch. Mit der Zeit erlebt man allerdings, dass der Prozess top Resultate erzielt, auch wenn seine „Architektur“ sich vom linearen, Meilenstein-basierten Prozess typsicher Businessaktivitäten ziemlich unterscheidet. „Design Thinking“ kann zu Innovationen führen, die über das Ästhetische hinaus gehen. Das heisst allerdings nicht, dass Ästhetik und Form nicht wichtig interview Magazin, Nr. 6 / 2012 wären. Grossartiges Design befriedigt unsere Bedürfnisse und Wünsche. Oft sind es ja Emotionen, die uns für ein Produkt einnehmen. Immer wieder gibt es erfolgreiche Produkte, die nicht von Beginn an „einschlugen“, die uns aber abgesehen vom Funktionellen plötzlich auch emotionell ansprechen. Der iPod beispielsweise war nicht der erste MP3Player auf dem Markt. Aber er war der erste, der einfach schön war. Er ist ein gutes Beispiel für „Design Thinking“. Wenn ein Produkt erfolgreich sein soll, muss es also sowohl funktionell als auch emotionell stimmig sein. Und dies wird in Zukunft sogar noch wichtiger werden: Die Bedeutung von Schönheit und von emotionellen Aspekten nimmt zu. Je mehr unsere Grundbedürfnisse befriedigt sind, umso mehr suchen wir nach Produkten und Dienstleistungen, die uns auch auf der Gefühlsebene ansprechen. „Design Thinking“ ist ein Werkzeug, mit dem man sich die Erfahrungen, die Kundinnen und Kunden machen wollen, prospektiv vorstellen kann. So kann man ihnen die ersehnte Form geben. Über Produkte und Dienstleistungen hinaus Egal wohin wir schauen: Auch über Produkte und Dienstleistungen hinaus sehen wir Fragestellungen und Probleme, die nur durch Innovationen gelöst werden können. Z.B. das unbezahlbare Gesundheitswesen oder unseren Ener- Management / Marketing giebedarf, der bald nicht mehr durch die bisherigen Ressourcen gedeckt werden kann. In all diesen Bereichen gibt es Fachleute, die sich eingehend mit den anfallenden Problemen beschäftigen. Diese Leute benötigen eine menschen-zentrierte, kreative, iterative und praktische Herangehensweise, um die besten Ideen und besten Lösungen zu finden. „Design Thinking“ ist eine mögliche Herangehensweise zu wahren Innovationen. Fallstudie: Reiseerlebnisse für Senioren Im Folgenden werden die sechs Phasen des „Design Thinking“ an einem Innovationsprojekt grob skizziert, das im Auftrag eines Reiseanbieters durchgeführt wurde. Erster grober Prototyp der „Golden Box“ Erste Phase – Verstehen: Ältere Leute haben Geld und Zeit und lieben es zu reisen. Die Anzahl der reisefreudigen Seniorinnen und Senioren (ab 70 Jahre) nimmt laufend zu. Es gibt wenige Angebote, die speziell auf diese Kundengruppe fokussiert sind. Zweite Phase – Beobachten: In kleinen Teams werden ad hoc Interviews mit Seniorinnen und Senioren in Fussgängerzonen durchgeführt. Jedes Arbeitsteam interviewt mit einem groben Leitfaden 4-7 Leute. Wichtig dabei ist, dass nur offene Fragen gestellt werden und sich ein Gespräch zwischen Interviewer und Senior bzw. Seniorin entwickelt. Durch den anschliessenden Austausch der verschiedenen Teams und die Synthese der unterschiedlichen Aussagen kommt man zur folgenden Erkenntnis: Seniorinnen und Senioren möchten solange wie möglich unabhängig reisen aber doch eine gewisse Sicherheit haben. Vor allem die Sicherheit, dass das Hotel qualitativ gut und sauber ist. Dritte Phase – Sichtweise definieren: Man legt sich im Innovationsteam auf die folgende Fragestellung (Sichtweise) fest: „Wie kann man älteren Leuten ein Ferienerlebnis bieten, das sie sowohl individuell planen können - also keine Gruppenreise -, das aber doch die Sicherheit einer Pauschalreise vermittelt?“ Vierte Phase – Ideen finden: In Kleingruppen werden über 50 Ideen zur Fragestellung gesucht. Von „Senior führt Senior durch Stadt und gibt Tipps zu Hotels und Restaurant“ über „Interaktive Webplattform, auf welcherTipps speziell für Senioren ausgetauscht werden“ bis zu „Flottillien-Reisen – Gemeinsame begleitete Reise zum Ferienziel mit komplett unabhängiger Tagesplanung“. Fünfte Phase – Prototypen entwickeln: Also eine der vielversprechendsten Ideen wird die „Individuelle Golden Box“ weiterverfolgt. Die Golden Box ist eine Geschenksbox, die der Sohn bzw. die Tochter den Eltern schenken kann. In der Golden Box „Berlin“ ist zum Beispiel eine Auswahl von drei gleichwertigen Hotels, drei getesteten Restaurants und fünf möglichen Ausflugsmöglichkeiten für ältere Leute. So können nun – aus einer kleinen aber feinen, vorgegebenen Auswahl – individuelle Ferien zusammen gestellt werden. licher Kundschaft präsentiert und dabei getestet. Die Verbesserungsvorschläge fliessen gleichentags direkt wieder in den neuen Prototypen ein. Das Resultat: Momentan wird die Kommerzialisierung der „Golden Box“ geprüft. Kontakt Chris Brügger Partner & Mitgründer Kreativitätstrainer und Innovationsberater Jiri Scherer Partner & Mitgründer Kreativitätstrainer Autor Denkmotor GmbH Militärstrasse 90 CH-8004 Zürich Sechste Phase – Testen: Tel. Fax Der einfache Prototyp der Golden Box wird gleich in der Fussgängerzone mög- [email protected] www.denkmotor.com interview Magazin, Nr. 6 / 2012 +41 (0)44 450 28 28 +41 (0)44 450 28 29