Kapitel 9 Starke Wechselwirkung und das - HERA-B

Werbung
Kapitel 9
Starke Wechselwirkung und das
Quarkmodell
Wie wir in den vorherigen Kapiteln gesehen haben, ist ein Atomkern aus Protonen und Neutronen aufgebaut. Es wurde dabei die Existenz einer kurzreichweitigen
“starken Kernkraft” angenommen (r ≈ 1 fm), die die Protonen und Neutronen zusammenhält, ohne aber etwas über das Wesen dieser Kraft auszusagen. Diese Kraft
ist sehr viel stärker als alle Kräfte, die wir aus der makroskopischen Welt kennen.
Was diese “starke Kraft” ausmacht sowie deren Struktur ist Gegenstand dieses Kapitels.
Die starke Kernkraft, im folgenden starke Wechselwirkung genannt, ist neben
der Gravitationskraft, der Elektromagnetischen und der Schwachen Wechselwirkung
eine der vier Grundkräfte der Natur.
9.1
Nukleonen, Isospin
Alle Teilchen, die der starken Wechselwirkung unterliegen, nennt man Hadronen1 .
Aufgrund der heute zugänglichen Auflösungen wissen wir (x ≈ 10−18 m), dass Hadronen aus Quarks bestehen. Dabei unterscheidet man zwischen Dreiquarkzuständen
(Baryonen) und Zweiquarkzuständen (Mesonen). Beispiele für Mesonen sind das
Pion (π), Kaon (K), für Baryonen das Proton (p) oder das Neutron (n). Die Systematik dieser Teilchen wird in diesem Kapitel auf Grund experimenteller Ergebnisse
in historischer Reihenfolge entwickelt. Baryonen haben halbzahlige Spins und sind
demnach Fermionen, Mesonen weisen ganzzahlige Spinzustände auf und gehorchen
der Bose–Einstein–Statistik. Daraus folgt, dass die Wellenfunktion der Baryonen
total antisymmetrisch sein muss, Baryonen also nie in allen Quantenzahlen übereinstimmen können (Pauli–Prinzip). Hingegen können beliebig viele Mesonen im selben
Zustand erzeugt werden, ihre Wellenfunktion ist symmetrisch.
1
von Greichisch αδρoς: groß, stark
9.1 Nukleonen, Isospin
9.1.1
129
Nukleon–Nukleon Systeme
Das Proton und das Nukleon sind, naiv betrachtet, zwei sehr ähnliche Teilchen. Ihre
Massen sind nahezu identisch (mp = 938.28 Mev/c2 , mn = 939.57 MeV/c2 ) und
Nukleon–Nukleon–Wechselwirkungen sind ladungsunabhängig (Bsp. Spiegelkerne).
Das legt die Vermutung nahe, dass es nur ein Kernteilchen, das Nukleon, gibt, wovon
Proton und Neutron zwei Zustände sind, zwischen denen die starke Wechselwirkung
nicht unterscheiden kann.
Formal geht man nun vor wie bei der Atomphysik: Betrachtet man nur die dominierende Coulombwechselwirkung, so sind die magnetischen Qunatenzahlen mj
entartet, durch die Präsenz eines Magnetischen Feldes wird diese Symmetrie gebrochen. Das bedeutet für Hadronen, dass, solange man nur die starke Wechselwirkung
betrachtet, Teilchen, die sich nur durch die Ladung unterscheiden, entartet sind:
p ↔ n
π+ ↔ π0 ↔ π−
∆− ↔ ∆0 ↔ ∆+ ↔ ∆++
etc.
Durch die elektromagnetische Wechselwirkung wird diese Entartung aufgehoben.
Dazu führt man eine neue Quantenzahl Isospin ein, deren Formalismus analog zu
dem des “normalen” Spins konstruiert ist. Demnach hat das Nukleon den Isospin
I = 1/2 und kann entlang einer Achse in einem abstrakten Isospinraum zwei Einstellungen I3 = ± 21 haben. Dem Proton wird dann die Einstellung I3 = + 21 , dem
Neutron I3 = − 12 zugeordnet:
1E
1
|pi = I = , I3 = +
2
2
I
|ni =
(9.1)
1
= , I3 = −
2
2
1E
Entsprechend wie zwei Spin–1/2 Teilchen können auch Nukleon–Nukleon Systeme
zu einem Gesamtisospin I = 3 (Triplett) oder zu I = 0 (Singulett) koppeln:
N −N
pp
nn
pp
np
I
I3
Q
1
1
1
0
+1
−1
0
0
+2
0
+2
+1
Triplet
Singulet
Der Isospin muß nach Konstruktion eine unter der starken Wechselwirkung erhaltene
Größe sein, was bedeutet, dass die Matrixelemente der starken Wechselwirkung nur
von I abhängen, aber nicht von I3 , also unabhängig von der elektrischen Ladung
sind.
Beispiel:
Deuterium 21 H = |pni wird nur im Singulett–Zustand I = 0 beobachtet, das bedeutet, dass im Triplett–Zustand I = 1 die Wechselwirkung zur Bindung nicht
ausreicht.
130
9.1.2
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
Isospin–Multiplets
Wie wir gesehen haben, gibt es zu jedem Isospin I genau 2I + 1 Zustände (−I, −I +
1, . . . , +I − 1, +I), die sich durch ihre jeweilige elektrische Ladung unterscheiden.
Das Konzept, das für die Nukleonen |pi und |ni entwickelt wurde, lässt sich analog
auf Hadronen übertragen, die sich in ihrer Masse und anderen Eigenschaften sehr
stark ähnlich sind. Dies ist zum Beispiel für die Pionen erfüllt:
M [GeV]
I3
π+
π0
π−
139.6 135.0 139.6
+1
0
−1
Im Beispiel der Pionen ist die Ladung Q gleich der dritten Isospinkomponente I3 .
Etwas allgemeiner gilt:
B
(9.2)
Q = I3 +
2
wobei B der Baryonenzahl entspricht. Auf der Suche nach einer Fundamentaldarstellung des Isospins, woraus man alle Teilchenzustände aufbauen kann, haben Gell–
Mann und Zweig vorgeschlagen, dass alle Isospinmultiplets aus der Kombination
zweier hypotetischer Teilchen, den Quarks2 , konstruiert werden können. Analog
zur Spindynamik nannte man die beiden Quarks up and down (|ui und |di), sie
haben entsprechende Antiteilchen und bilden jeweis ein Dublet.
Der Ansatz war, dass man zwei Zustände mit I = 12 bauen musste. Da die
Quarks auch halbzahlige Isospinzustände sein sollten, gelang dies nur, wenn man
die Nukleonen aus drei Quarks aufbaute. Die Forderung I3 = + 21 für das Proton
und I3 = − 21 für das Neutron legte dann deren Quarkinhalt eindeutig fest:
1
1
1
1
|p(I3 = + )i = |u(I3 = + ) u(I3 = + ) d(I3 = − )i
2
2
2
2
(9.3)
|n(I3
1
1
1
1
= − )i = |u(I3 = + ) d(I3 = − ) d(I3 = − )i
2
2
2
2
Die Bestimmung der Ladungen der Quarks war dan reine Kombinatorik um die
richtigen Ladungen der Nukleonen aufzubauen. Alle wichtigen Quantenzahlen der
Quarks sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt:
u
d
u
u
2
I3
+ 21
− 21
+ 21
− 21
Q
+ 23
− 13
+ 13
− 23
B
1
3
1
3
− 13
− 13
Die Bezeichung Quark wurde von Gell-Mann eingeführt. Er war Ire und ein großer Verehrer
von James Joyce, der in seinem Roman “Finnegans Wake” die Ursuppe als Quarks bezeichnet.
9.2 Streuung am Nukleon
131
Daraus folgt für die Quark–Wellenfunktionen der Nukleonen und Pionen:
|pi = |uudi
|π + i = |udi
,
,
|ni = |ddui
1
|π 0 i = √ (|ddi − |uui) ,
2
(9.4)
|π − i = −|udi
(9.5)
Das π 0 ist dann eine Linearkombination der beiden Isospin–neutralen Zustände dd
und uu. Die dazu orthogonale Kombination stellt dann den Singulett–Zustand dar:
1
|ηi = √ (|ddi + |uui)
2
9.2
(9.6)
Streuung am Nukleon
Wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, sind Pionen Teilchen, die an der
Starken Wechselwirkung teilhaben und aus einem Quark–Antiquark–Paar bestehen.
Deshalb eignen sich Pionen, um die Struktur der starken Wechselwirkung selbst zu
untersuchen. Man erhält Pionen, wenn man beispielsweise hochenergetische Protonen auf ein Target schießt. Man kann die Impulse der Pionen in einem Magneten
filtern, und erhält somit einen monoenergetischen Pionenstrahl, mit dem man sehr
gut experimentieren kann.
Im Kapitel über Kernphysik (Kap. 4.2) haben wir die elektromagnetische Eigenschaft des Elektrons ausgenutzt, um in elastischer Elektron–Nukleon Streuung
Aussagen über die Kernstruktur und die elektromagnetischen Eigenschaften der Kerne zu gewinnen. In diesem Schritt nutzen wir nun die hadronische Eigenschaft der
Pionen aus, um etwas über die starke Wechselwirkung der Nukleonen zu lernen.
Wenn man nun Pionen an Protonen streut3 und den Wirkungsquerschnitt in
Funktion der invarianten Pion–Proton–Mase misst, so findet man eine deutliche
Strukturierung, wie dies in Abb. 9.1 dargestellt ist. Die Maximas (oder im Fachjargon Peaks) entsprechen Resonanzen (vergl. dazu die Breit–Wiegner Resonanzkurve
von Gl. 1.112 in Kap. 1.4.3) die wiederum instabilen Teilchen mit kurzen Lebensdauern entsprechen. Somit lässt sich der Wirkungsquerschnitt als eine Überlagerung
eines Untergrundanteils und von Breit–Wiegner Resonanzkurven beschreiben. Entsprechend der Isospindynamik können Resonanzen mit I = 23 auftreten, diese sind
in Abb. 9.1 mit ∆ bezeichnet, sowie solche mit I = 12 , die mit N benannt sind.
Aus der Massenbreite einer Resonanz von ca. 100 MeV ergibt sich die für die Starke
Wechselwirkung typische sehr kurze Lebensdauer:
τ · ∆M = ~
τ ≈ 10−23 s
(9.7)
Ein anschauliches Bild für die Resonanzstrukturen des Wirkungsquerschnittes ergibt sich, wenn man annimmt, dass, wenn die de–Broglie–Wellenlänge des Pions
(λ = h/p) gerade einem (oder einem Vielfachen) des Protondurchmessers entspricht,
das Pion in Resonanz mit dem Proton sei. Das Resonanzsystem wird durch den
3
zB. in einem Wasserstoff–Target
132
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
Abbildung 9.1: Totaler Wirkungsquerschnitt als Funktion der invarianten Masse M
für die πp–Streuung.
Zerfall gedämpft, somit erhält man für die Wellenfunktion der Resonanz und Zerfallswahrscheinlichkeit:
t
Ψ(t) = Ψ(t = 0) · e−iER t · e− 2τ ;
I(t) = |Ψ(t)|2 = I(t = 0) · e−t/τ
(9.8)
Wir hatten oben argumentiert, dass die starke Wechselwirkung unabhängig von
der Ladung sei. In Abb. 9.1 sieht man hingegen eine deutliche Abhängigkeit des
Wirkungsquerschnittes von der Ladung des Pions. Dies ist eine direkte Konsequenz
aus der Isospin–Invarianz: Ein Pion mit I = 1 kann mit einem Proton mit I = 21
zwei mögliche Isospinzustände annehmen: I = 1 + 21 = 23 oder I = 1 − 12 = 21 . Die I3 –
Komponente des Gesamtsystemes ergibt sich dann als Summe der I3 Komponenten
der einzelnen Teilchen:
1
3
=+
2
2
1
1
I3 (π − p) = I3 (π − ) + I3 (p) = −1 + = −
2
2
I3 (π + p) = I3 (π + ) + I3 (p) = +1 +
(9.9)
(9.10)
Der Zustand I3 = 23 kann nur zu I = 23 gehören, hingegen I3 = − 21 kann sowohl
ein Zustand von I = 32 als auch von I = 21 sein. Für beide Isospinzustände gibt
es unabhängige Streumatrixelemente, also müssen auch die Wirkungsquerschnitte
verschieden sein.
9.3 Farbladung und QCD
133
Betrachten wir abschließend noch die 1. Resonanz ∆(1236), deren Masse etwa
1236 GeV beträgt. Der Isospin ist I = 23 , der Spin J ist J = 23 , was auf einen Zustand
von 3 Quarks hindeutet, deren Spins alle in dieselbe Richtung weisen und keinen
relativen Bahndrehimpuls haben. Wie wir in Kap. 9.1.2 gezeigt haben, muss es zu
einem I3 = 23 –Zustand 2I + 1 = 4 Ladungszustände geben. Diese Zustände wurden
tatsächlich auch alle beobachtet, was einer der ersten experimentellen Beweise der
Quarkhypothese war.
I3
Name
Quarks
9.3
1
3
− 32
− 12
2
2
∆−
∆0
∆+
∆++
|dddi |uddi |uudi |uuui
Farbladung und QCD
Wenn wir die ∆–Resonanzen mit dem in Abschnitt 9.1.2 Konstruktionsprinzip betrachen, handeln wir uns ein fundamentales Problem ein. Beispielshalber ist die
Wellenfunktion des Zustandes der ∆++ = |uuui Resonanz völlig symmetrisch unter
der Vertauschung von Quarks, obwohl die ∆–Resonanz ein Fermion ist. Dies ist im
Widerspruch zum Pauli–Prinzip, das zwingend eine total antisymmetrische Wellenfunktion für Systeme identischer Fermionen fordert. Die Wellenfunktion lässt sich
in einen Orts-, Impuls- und Isospinanteil zerlegen:
Ψ∆ = ΨOrt · ΨSpin · ΨIsospin
(9.11)
wobei jeder Anteil symmetrisch ist: Der Ortsanteil wegen L = 04 , der Spinanteil, da
alle Spins ins eine Richtung weisen und schliesslich der Isospinanteil, da der Zustand
|uuui mit drei gleichen Quarks vorkommt.
Dieses fundamentale Problem kann dadurch gelöst werden, wenn man für die
Quarks eine weitere Eigenschaft fordert, bezüglich derer sich die Quarks unterscheiden. Da Baryonen aus drei Quarks aufgebaut sind, muß es drei Einstellungen dieser
Eigenschaft5 geben. In Analogie zur Farbenlehre mit ihren drei Grundfarben rot
(r), grün (g) und blau (b) wird der neue, innere Freiheitsgrad der Baryonen und
Mesonen als Farbe (colour) bezeichnet. Baryon- und Mesonzustände sind, gruppentheoretisch betrachtet, Farbsinguletts, dh. sie sind farbneutral oder in der Sprache
der Farbenlehre weiß. Dies ist von großer Wichtigkeit, da in Hadronspektren kein
zusätzlicher Freiheitsgrad beobachtet wird, der sich mit der Farbe identifizieren ließe. Für Baryonen ist das die antisymmetrische Kombination rgb, für die Mesonen
lautet die Farbwellenfunktion √13 (rr̄ + bb̄ + gḡ).
Die Wellenfunktion läßt sich also wie folgt schreiben:
Ψ∆ = ΨOrt · ΨSpin · ΨIsospin · ΨF arbe
(9.12)
Diese Quantenzahl Farbe wird als die Ladung der Starken Wechselwirkung interpretiert, die Theorie dazu ist die Quantenchromodynamik (QCD). Im Gegensatz
4
Der Grundzustand ist immer symmetrisch.
Mit einer zweiwertigen Quantenzahl wie etwa dem Spin läßt sich keine total antisymmetrische
Wellenfunktion für Dreiquarkzustände aufbauen.
5
134
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
zur Elektrodynamik, in der es nur einen Ladungszustand ±e gibt, existieren in der
QCD deren drei (mit den jeweiligen Antiladugen): r/r̄, g/ḡ und b/b̄. Jedes Quark
trägt eine dieser Ladungen. Wie bei der elektromagnetischen Wechselwirkung das
Photon γ das Austauschteilchen, bzw. der Träger der Kraft ist, ist es im Falle der
starken Wechselwirkung ein Teilchen Namens Gluon g. Da es aber drei verschiedene Ladungszustände gibt, ist das Gluon selbst auch Träger von Farbladung, im
Gegensatz zum Photon. Ein Gluon trägt immer eine “Farbe” und eine “Antifarbe”:
rr̄, r b̄ etc. Von den neun möglichen Kombinationen sind nur 8 linear unabhängig.
9.3.1
Quantenchromodynamik: Kurze Erläuterungen
Die QCD wird mittels der Gruppentheorie formalisiert. Die 8 Farb–Antifarbzustände
der Gluonen können als Generatoren einer Farb–Symmetriegruppe interpretiert werden und entsprechen dabei 8 unabhängigen Drehungen im Farbraum. Analog entsprechen die 3 unabhängigen Generatoren der Drehungen im 3–dimensionalen Raum
den Drehungen um die drei Achsen. Jede Drehung entspricht einer Phase der Wellenfunktion, wenn alle Phasen gleichzeitig um den selben Wert gedreht werden,
so spricht man von einer globalen Transformation. Ist hingegen die Drehung eine
Funktion des Ortes und die Hamilton–Funktion bleibt dennoch invariant, so spricht
man von einer lokalen Transformation. Ortsabhängige Transformationen führen zu
Abbildung 9.2: Globlale und lokale Transformationen.
Spannungen zwischen den Punkten, an denen gedreht wird, wie dies in Abb. 9.2
dargestellt ist. Die Verwerfungen der Linien kann man als Kraftlinien einer Wechselwirkung deuten. Damit die Hamilton–Funktion invariant bleibt, muß ein Kraftfeld
einbezogen werden, das sich entsprechend mittransformiert.
Eine lokale Symmetrietransformation nennt man auch ein Eichung und die entsprechende Theorie eine lokale Eichtheorie. Die Quantenelektrodynamik (QED),
die klassische Elektrodynamik übertragen auf die Quantenmechanik, hat das Eichprinzip von der klassischen Theorie übernommen und auf eine Quantenfeldtheorie
angewandt. Die QED hat, wie oben erwähnt, nur einen Generator. Da sie nur einen
Ladungszustand besitzt, ist die QED eine abelsche Eichtheorie. Die QCD hingegen,
die 8 Generatoren braucht, ist entsprechend komplizierter und zudem nicht ablesch.
Das Kraftfeld der QED ist das Photonenfeld, im Falle der QCD ist es ein Gluonenfeld, das sich in vielerlei Hinsicht von dem der QED unterscheidet. Der Raum
9.3 Farbladung und QCD
135
ausßerhalb eines Baryons oder eines Mesons ist farbfrei, das bedeutet, dass das
Gluonfeld nur im Innern eines Teilchens anwesend ist, außerhalb aber verschwinden
muß. Die Kraft wird durch den Austausch eines Gluons beschrieben, aber die Gluonen tragen selbst Ladung, somit wird im Austauchprozess im Gegensatz zur QED
Ladung übertragen (Abb. 9.3). Da die Gluonen selbt Ladungsträger sind, können sie
auch aneinander koppeln, ganz im Gegensatz zu den Photonen. Die Anwesenheit eines Elektromagnetischen Feldes verändert beispielsweise den Strahlengang von Licht
nicht. Die Kopplung der Gluonen aneinander ist eines der wichtigsten Merkmale der
starken Wechselwirkung und ist entscheiden mit verantwortlich für die innere Struktur der Hadronen.
qb
αs
qr
grb_
qr
αs
qb
Abbildung 9.3: Gluonaustausch bei der Quark–Quarkwechselwirkung.
In Abb. 9.3 ist an den Vertices die Kopplungskonstante αs dargestellt, sie ist das
Analogon zur Feinstrukturkonstanten α, mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie
keine Konstante ist, sondern mit zunehmendem Impulsübertrag q 2 immer kleiner
wird, man bezeichet αs als die laufende Kopplungskonstante:
αs =
12π
2
(33 − 2nf ) ln( Λq 2 )
(9.13)
Man spricht hierbei von der asymptotischen Freiheit. Die Konstante Λ ≈
200 MeV, entsprechend etwa dem Abstand von 1 fm, was der Größe eines Teilchens
entspricht, charakterisiert den Übergang zwischen starker Bindung und asymptotischer Freiheit.
Das Potential der QED fällt bei der Separation zweier Ladungen mit 1/r ab, das
Potential der QCD hingegen nimmt linar bei der Separation zweier Quarks mit ∼ r
zu. Das klassische Analogon dazu ist die Federkraft. In der zunehmenden Separation
wird demnach immer mehr Energie gespeichert, die sich, wenn sie zur Produktion
neuer Quarks ausreicht, durch Erzeugung neuer Teilchen manifestiert, man spricht
von einer “Hadronisation”. Anschaulich kondensiert die in der zunehmenden Bindung gespeicherte Energie zu Materie. Dieses Kraftgestez führt dazu, dass Quarks
nicht frei auftreten und man Farbladungen nicht isoliert beobachten kann. Diese
Tatsache wird als Confinement bezeichnent und ist eine weitere fundamentale
Eigenschaft der starken Wechselwirkung. Zusammen mit der laufenden Kopplungskonstanten und der asymptotischen Freiheit macht sie die wesentliche Eigenschaft
der starken Wechselwirkung aus.
Bei hochenergetischen Streuprozessen, die wir im nächsten Kapitel eingehend
besprechen werden, kann man Quarks voneinander trennen. Die Produktion neuer
136
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
e
e
p
Abbildung 9.4: Streuung eines Elektrons an einem Quark im Proton zur Erzeugung
von Hadronjets.
Teilchen im Farbfeld des abspeparierten Quarks nennt man hadronische Jets. Das
Prinzip ist in Abb. 9.4 dargestellt. Deren experimentelle Existenz ist eine klare
Bestätigung der QCD und der Richtigkeit der Theorie (Abb. 9.5).
Die Existenz der Quarks wurde in Reaktionen der Elektron–Positron Vernichtung erstmals 1979 bei DESY in Hamburg experimentell bestätigt. Abbildung 9.6
zeigt das Prinzip. Die Reaktion e+ e− → q q̄ → 2Jets verlangt aus Gründen der
Energieerhaltung zwei sich im transversalen Impuls balanzierenden Ereignisse. Man
fand jedoch zusätzlich Ereignisse, die drei hadronische Jets im Endzustand aufwiesen (Abb. 9.7). Da aus Gründen der Erhaltung der Baryonenzahlen und der Energie
nicht drei Quarks im Endzustand erzeugt werden können, der dritte Jet aber deutlich hadronischen Ursprungs ist, kann er nur aus der Abstrahlung eines Quarks,
das anschließend wie die Quarks in farbneutrale Teilchen fragmentiert, entstehen.
Das Prinzip der Reaktikon ist in Abb. 9.6 dargestellt und ist eine experimentelle
Bestätigung der Existenz der Gluonen.
9.4
Das SU (3) Modell der leichten Quarks
In weiterführenden Experimenten zur Pion–Nukleonstreuung fand man Mesonen mit
sehr langen Lebensdaueren. Die Annahme war naheliegend, dass es sich dabei um
die Anwesenheits eines weiteren Quarks handeln muß und das Teilchen nur über die
schwache Wechselwirkung zerfallen kann.
9.4.1
Strangeness
Bei den gleichen Streuprozessen, in denen die ∆–Resonanzen entdeckt und untersucht wurden entdecket man in den 50’er Jahren auch andere, völlig neuartige Teilchen. In der Streureaktion
π− + p → π− + π+ + π− + p
(9.14)
fand man bei einer Invarianten Masse Mpπ des pπ − –Systemes von 1116 MeV ein
Teilchen, das man als Λ–Baryon bezeichnete. Überraschenderweise fand man in allen Fällen, in denen ein π − mit dem p ein Λ bildet, auch im System der anderen
9.4 Das SU (3) Modell der leichten Quarks
137
)+*$,.-/#10
"$#&%
!
'
(
Abbildung 9.5: Erzeugung eines Hadronjets aus dem Farbfeld eines gestreuten
Quarks.
beiden Pionen einen Zustand fester Masse, das K 0 –Meson. Es gelang nie, das Λ
isoliert zu erzeugen, sodern immer nur in Verbindung mit einem weiteren neuartigen Teilchen. In Abb. 9.8 ist eine solche Reakton in einer Blasenkammer zu sehen
(V0 –Ereignisse). Es ist deutlich zu sehen, dass es zwei neutrale Teilchen gibt, die von
einem gemeinsamen Wechselwirkungspunkt (Vertex) weglaufen und anschliessend
in geladene Teilchen zerfallen. Die Zuordnung zu Λ und K 0 ist damit eindeutig:
K 0 → π+ + π−
Λ → p + π−
(9.15)
Gleichermassen seltsam wie die assoziierte Produktion ist die Lebendsauer dieser
Teilchen, die mit τ ≈ 10−10 s etwa 13 Größenordnungen über denen der Baryon–
e+
e-
γ
q
e+
_
q
e-
αs
γ
q
g
_
q
Abbildung 9.6: Jet Erzeugung in Elektron–Positron Anihilation, mit zusätzlicher
Abstrahlung eines Quarks.
138
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
Abbildung 9.7: 3–Jet Ereignis: q q̄–Ereignis mit Abstrahlung eines Gluons – Experimentelle bestätigung der Exsistenz von Gluon.
und Pionresonanzen. Die langen Lebensdauern können nur mit der schwachen Wechselwirkung erklärt werden. Die beiden Phänomen, die assoziierte Produktion in einem Prozess der starken Wechselwirkung und der anschliessenden schwachen Zerfall
erschien so merkwürdig, dass man den neuen Teilchen eine neue, additative Quantenzahl, die Seltsamkeit oder Strangeness zuordnete, die in der starken und elektromagnetischen Wechselwirkung erhalten sein sollte, aber nicht in der schwachen
Wechselwirkung. Die historische Zuordung war
K 0 : S = +1
Λ : S = −1,
(9.16)
Somit gilt in der Reaktion π − p → K 0 Λ die Erhaltung von S, hingegen ändert sich
S um eine Einheit in der Zerfällen 9.15. Diese sind daher nur über die schwache
Wechselwirkung möglich.
Ein konsistentes Bild erhät man, wenn die folgenden Zuordnugen gemacht werden:
Teilchen
S
I
K0
+1
1
2
Λ
−1
0
0
K
−1
1
2
Λ
+1
0
π
0
1
p
0
n
0
1
2
1
2
Wie bereits oben erläuteret, hatten Gell–Mann und Zweig 1964 postuliert, dass
Hadronen Konstituenten haben, sogenannte Quarks. Wir hatten bereits die d und
u Quarks kennen gelernt. Es ist also naheliegend anzunehmen, dass die seltsamen
Teilchen, oder Teilchen mit der Quantenzahl S 6= 0, ein weiteres Quark besitzen,
9.4 Das SU (3) Modell der leichten Quarks
139
Abbildung 9.8: Die Spuren eines doppelten V0 –Ereignisses als Beispiel der
Strangeness–Produktion.
140
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
das strange oder s–Quark. Die Quantenzahlen, die in der starken Wechselwirkung
erhalten sind, entsprechen Eigenschaften der Quarks. Die Erhaltung der Strangeness
bedeutet dann, dass das s–Quark die Quantenzahl S = −1 trägt.
9.4.2
Eigenschaften der leichten Quarks
Für die drei Quarks, die bis 1964 bekannt waren, gibt es die Quantenzahlen: B
(Baryonenzahl), Q (Ladung), J (Spin), I (Isospin, mit der Komponente I3 ) und S
(Strangeness). Die Hyperladung Y ist definiert als:
Y =B+S
(9.17)
und die Gell-Mann–Nichijima Gleichung gibt den Zusammenhang zwischen Ladung,
Hyperladung und Isospin:
Y
(9.18)
Q = I3 +
2
Zusammengefaßt erhält man für die Quantenzahlen die folgenden Werte, alle ladungsartigen Quantenzahlen wechseln ihre Vorzeichen, wenn man zu den Antiteilchen übergeht.
Flavour
up u
down d
strange s
q
B
Q
J
I
1
3
1
3
1
3
2
3
1
2
1
2
1
2
1
2
1
2
−B
− 13
− 13
−Q
J
0
I
I3
+ 12
− 12
0
−I3
S
0
0
−1
−S
Y
1
3
1
3
− 32
−Y
Die Quark–Flavour (u, d und s) ist in der starken und elektromagnetischen Wechselwirkung erhalten, was zur assoziierten Produktion von Flavour–Quantenzahlen
führt, wie wir das im Prozess π − p → ΛK 0 gesehen hatten. Das Quarkdiagramm des
Prozesses ist im folgenden Bild dargestell. Die dynamische Erzeugung und Vernichtung von Quark–Antiquarkpaaren erhält man über die Ankopplung an das Gluonfled
π−
d
_
u
d
u
π−
Λ
d
_
u
d
u
u
p
u
_
s
d
d
Λ
s
s
u
K
ο
p
u
_
s
d
d
K
ο
Die Flavours bleiben bei Prozessen der starken Wechelwirkung erhalten. Flavour–
ändernde Ströme treten nur in der schwachen Wechselwirkung auf, wie zum Beispiel
beim K 0 Zerfall, wo ein s–Quark durch Ankopplung an ein W –Boson in ein u–Quark
übergeht. Die schwache Wechselwirkung wird in Kapitel 11 ausfürhlich besprochen.
u
W
K
ο
_
s
d
+
_
d
_
u
d
π+
π−
9.4 Das SU (3) Modell der leichten Quarks
141
Im Quarkmodell wird die Isospin–Symmetrie der u– und d–Quarks (SU (2)) auf
drei Quarks erweitert (SU (3)). Eine Rotation im abstrakten SU (3)–Raum (verg.
Abb. 9.9) ändert die Dynamik der starken Wechselwirkung nicht, Streuprozesse sind
unabhängig von der jeweileigen beteiligten Quarkflavour. Die SU (3)–Symmetrie ist
allerdings nur eine grobe Näherung, da die Masse des s–Quarks (ms ≈ 150 MeV)
sehr viel größer als die der d– und u–Quarks ist (md,u ≈ 5 MeV). Eine exakte
Symmetrie würde nur dann gelten, wenn die Massen exakt null wären.
Y
Y
_
s
+2/3
d
u
+1/3
-1/2
d
+1/2
s
s
+1/3
I3
-1/3
u
+2/3
-2/3
Quarks
I3
-1/2
+1/2
-1/3
_
u
-2/3
_
d
Antiquarks
Abbildung 9.9: Rotation im SU (3)–Raum und die Basisdarstellungen der SU (3).
Aus der Gruppentheorie erhält man die Basisdarstellungen für die Quark– und
Antiquarktriplets als zweidimensionale Darstellung die die Quantenzahlen I3 und
Y (oder S) benutzt. Die Gruppensymmetrie schreibt nun vor, wie aus den möglichen Kombinationen von Quarks und Antiquarks SU (3)–Zustände zu konstruieren
sind. Die möglichen Zustände treten in Mulitplets auf, analog zum Isospinmultiplet, deren Repräsentanten sich durch I3 unterscheiden. Im Folgenden betrachetn
wir höhere Multiplets für Mesonen (qq), Baryonen (qqq) sowie Antibarionen (qqq).
Andere Kombinationen wurden experimentell nicht gefunden, offensichtlich ist die
Bindungsenergie dann zu klein.
9.4.3
Mesonen–Multiplets
Die 9 q q̄–Kombinationen der Mesonen teilen sich in ein Singulett und in ein Oktet
auf, die man formal als 3 ⊗ 3̄ = 1 ⊕ 8 schreibt.
Das J P = 0− –Multiplett
Wegen der Symmetriebrechung durch die relativ große s–Quarkmasse sind die physikalischen Zustände nicht mehr eindeutig einem Multiplett zugeordnet. Es treten Mischungszustände der flavourneutralen Zustände η und η 0 auf, die Isospin–Singuletts
sind (I = 0) und orthogonale Kombinationen von uū, dd¯ und ss̄ sind. Davon liegt
je einer im Oktett und einer im Singulett, weshalb alle Zustände in einem Nonett
dargestellt werden. Die Nomenklatur der Mesonen erfolgt nach deren Transformationsverhalten, transformiert sich der Zustand bespielsweise wie ein Vektor, so spricht
man von einem Vektormeson.
142
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
S
S
ds
πo
uu
dd ss
-1/2
du
su
us
+1
π-
η
η’
+1/2
ud
sd
Ko
a)
K*+
ds
π+
-1
K-
K*o
K+
Ko
I3
ρ-
ρo
uu
dd ss
-1/2
du
us
+1
ω
su
K* -
φ’
ρ+
+1/2
-1
b)
ud
I3
sd
K*o
Abbildung 9.10: Die Nonetts der Pseudoskalaren Mesonen (J P = 0− ) und Vektormesonen (J P = 1+ ).
Die Oktett– und Singulett–Wellenfunktion der beiden Isospin–Singluletts lauten:
1
¯ − 2|ss̄i)
|ηi8 = √ (|uūi + |ddi
6
1
¯ + |ss̄i)
|ηi1 = √ (|uūi + |ddi
3
(9.19)
Die experimentell beobachteten Zustände sind orthogonale Mischungen der SU (3)–
Zustände:
|ηi = cos θ · |ηi8 + sin θ · |ηi1
|η 0 i = − sin θ · |ηi8 + cos θ · |ηi1
(9.20)
mit einem Mischungswinkel θ, der experimentell bestimmt werden muss.
Die pseudoskalaren Mesonen sind die leichtesten Hadronen und zerfallen daher
schwach oder elektromagnetisch mit entsprechend langen Zerfallszeiten:
Teilchen
π±
π0
η
K±
KS0
KL0
dominater Zerfall Lebensdauer
π ± → µ± νµ (ν̄µ )
∼ 10−8 s
π 0 → γγ
∼ 10−16 s
η → γγ(∼ 30%)
∼ 10−18 s
η → 3π(∼ 70%)
K ± → µ± νµ (ν̄µ )
∼ 10−8 s
KS0 → 2π
∼ 10−10 s
KL0 → 3π
∼ 10−8 s
Der η–Zerfall in 3 Pionen kann nur unter Isospin–Verletzung als elektromagnetische
Reaktion erfolgen.
Die Flavour– und CP -Eigenzustände der neutralen K–Mesonen
Neutrale Kaonen sind aus verschieden Gründen von Interesse. Zum einen ermöglichen sie einen sensitiven Test der CP –Erhaltung und führten zur Entdeckung kleiner
9.4 Das SU (3) Modell der leichten Quarks
143
Abweichungen davon. Werden anderseits die Prinzipien der Quantenmechanik auf
die neutralen Kaonen angewand, so findet man überraschende Effekte, die z.B. den
Test der Symmetrie zwischen Teilchen und Antiteilchen erlauben. In beiden Fällen
ist das zugrundliegende Phänomen die K 0 –K̄ 0 –Mischung.
Wir nehmen zunächst an, dass die CP –Invarianz exakt ist und die neutralen
Kaonen Eigenzustände des CP –Operators seien. Einzeln gilt:
C|K 0 i = −|K̄ 0 i
P |K 0 i = −|K 0 i
C|K̄ 0 i = −|K 0 i
P |K̄ 0 i = −|K̄ 0 i
,
,
(9.21)
und für den kombinierten Operator erhält man dann:
CP |K 0 i = |K̄ 0 i
,
CP |K̄ 0 i = |K 0 i
(9.22)
Aus Gl. 9.21 und Gl. 9.22 folgt sofort, dass die CP –Eigenzustand der neutralen
Kaonen wie folgt aussehen müssen
i
1 h
|K10 i = √ |K 0 i + |K̄ 0 i
2
h
i
1
|K20 i = √ |K 0 i − |K̄ 0 i
2
(9.23)
Ferner gilt für diese Zustände:
CP |K10 i = |K10 i
,
CP |K20 i = −|K20 i
(9.24)
Gemäss der ursprünglichen Annahme entsprechen diese Zustände den tatsächlich
beobachteten Teilchen. Aus den CP –Eigenwerten kann man auf die Zerfallsarten
schließen. Das K10 muss einen Endzustand mit CP = 1 von n Pionen (Gl. 9.15)
haben6 , während das K20 in einen Zustand mit CP = −1 zerfallen muss. Für n
Pionen im Endzustand folgt mit P = Pπn · (−1)L folgt für die Zerfälle der Teilchen:
K10 → π + π − / π 0 π 0
K20 → π + π − π 0 / π 0 π 0 π 0
(9.25)
Die Endzustände mit 2 Pionen haben CP = 1, für jene mit 3 gilt CP = −1. Dies
ist von zentraler Bedeutung der Inerprätation der Experimente.
Die experimentell beobachteten Kaonen werden als KS0 (K–short) und KL0 (K–
long) bezeichnet. Sie haben eine fast identische Masse von 498 MeV/c2 aber sehr
verschiedene Lebensdauern (τKS = 8.9·10−9 s und τKL = 5.3·10−6 s). Das KS zerfällt
in zwei Pionen im Endzustand, das KL in deren drei. Damit ist die Identifikation
KS0 = K10
KL0 = K20
(9.26)
naheliegend. Exakte CP –Erhaltung würde also bedeuten, dass das KL ausschließlich
in drei Pionen zerfällt. Es wurden aber 1964 mit einem Verzweigungsverhältnis von
6
Wir haben die Erhaltung von CP vorrausgesetzt.
144
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
10−3 Zerfälle beobachtet, in denen das KL in zwei Pionen zerfällt, was die erste experimentelle direkte Evidenz der CP –Verletzung in der schwachen Wechselwirkung
war.
Es ergibt sich also die Situation, dass die schwach zerfallenden Teilchen die KL
und KS sind, aber die starke Wechselwirkung auf die Flavour–Eigenzustände K 0 und
K̄ 0 wirkt: Die Teilchen werden als K 0 oder K̄ 0 erzeugt, zerfallen hingegen als KS
und KL , was zu typischen quantenmechanischen Effekten führt. Da in der schwachen
Wechselwirkung die Flavour nicht erhalten ist, kann ein als K 0 produziertes Teilchen
in ein K̄ 0 oszillieren. Solche Oszillationen sind in eineindeutiger Weise mit der CP –
Verletzung verbunden. Dazu trägt das folgende Diagramm bei:
W+
_
s
K
ο
u
_
d
K
u
s
W−
d
ο
Das J P = 1− –Multiplet: Bei den Pseudoskalaren Mesonen hat das Quark– Antiquarkpaar keinen relativen Bahndrehimpuls und die beiden Spins sind entgegengerichtet. Die Vektromesonen sind hingegen Zustände, bei denen die Spins gleichgerichtet sind (also Gesammtspin S = 1 haben) (J P = 1− . Abb. 9.10).
Die Teilchen dieses Multiplets können als Anregungen der leichten pseudoskalaren Mesonen angesehen werden und können über die starke Wechselwirkung in die
leichteren Mesonen mit entsprechend kürzeren Lebensdauern (O(10−23 ) s) zerfallen.
Die neutralen Vektormesonen (ρ0 , ω, φ), die keine s–Quarks enthalten, besitzen die
gleichen Quantenzahlen J P C = 1−− wie das Photon, und können deshalb direkt daran ankoppeln. Über die e+ e− –Anihilation in ein Photon werden deshalb bevorzugt
Vektormesonen erzeugt (Vektordominanzmodell VDM):
e+
e-
γ
q
_
q
V
Der e+ e− –Wirkungsquerschnitt als Funktion der Schwerpunktsenergie zeigt deshalb resonanzartige Maximas bei den Massen der Vektormesonen (Abb. 9.11). Auf
diese Weise wurden viele neue Mesonen gefunden und das c–Quark (charm–Quark)
als cc̄–Vektormeson entdeckt.
Oberhalb der Energie, die der Masse der gebundenen q q̄–Zuständen entspricht,
werden Hadronen ebenfalls über die Ankopplung an q q̄–Paare erzeugt, die bei
genügender Energie als Jets von Hadronen sichtbar werden. In Abb. 9.11 ist das
9.4 Das SU (3) Modell der leichten Quarks
145
Verhältnis R der Wirkungsquerschnitte für e+ e− → Hadronen und e+ e− → µ+ µ−
dargestellt, das das Verhältnis der folgenden Feynmanngraphen zeigt:
e+
e-
e
γ
eq
q
e+
_
q
e-
µ+
e
γ
e
µ-
Die Kopplungsstärke ist an jedem Vertex des Photons proportional der Ladung
der beteiligten Teilchen. Da für die Ladung der Quarks eq = Qq · e gilt, trägt jeder
Quarkgraph mit einem Anteil Q2q zu R bei. Da über alle Quarksorten unterschiedlicher Flavours und alle Farbladungen (colours) summiert werden muß, erhält man:
R=
X X
X
σ(e+ e− → Hadronen)
2
=
Q
=
3
·
Q2q
q
+
−
+
−
σ(e e → µ µ )
colour f lavour
f lavour
(9.27)
Für die drei ersten Quarkflavours u, d und s ist R = 3 · ( 49 + 91 + 91 ) = 2. Jede neue
Quarkflavour mit einer Ladung von 2/3 bzw. −1/3 führt zu einem Sprung von R
um 4/3 bzw. um 1/3, wobei jeweils vor dem Sprung die entsprechenden gebundenen
q q̄–Zustände als Vektormesonen beobachtet werden können. Mesonspektroskopie ist
also eines der fundamentalsten Instrumente, um Aussagen über die Quark–Flavours
zu gewinnen.
Abbildung 9.11: Das Verhältnis R der Wirkungsquerschnitte für e+ e− → Hadronen und e+ e− → µ+ µ− . Die Überhöhung bei den Massen der Vektormesonen und
die Stufen, bei denen die Schwellen für die Produktion einer neune Quark–Sorte
überschritten werden, sind deutlich sichtbar.
146
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
9.4.4
Baryonen–Multiplets
Baryonen sind qqq–Zustände, die Antibaryonen entsprechend q̄ q̄ q̄–Zustände. Die Nu+
kleonen treten in einem Oktett mit J P = 21 auf, die Anfangs des Kapitels ein+
gefürhten ∆–Resonanzen in einem Dekuplett mit J P = 23 (Abb. 9.12). In jeder
horizontalen Reihe liegt ein Isospin–Multiplett, wobei von oben nach unten der Gehalt an s–Quarks (Strangeness) zunimmt. die Massendifferenzen von Zeile zu Zeile
betragen ca. 150 MeV, was etwa der effektiven Masse der s–Quarks entspricht.
Y
M/MeV
n
p
udd
Σo
Σdds
-1/2
dss
Λ
uds
Σ+
uss
Ξ
a)
uus
+1/2
-1
Ξ-
(939)
uud
+1
o
I3
(1193)
(1116)
∆-
∆o
ddd
udd
Σdds
M/MeV
Y
+1
∆+
∆++
uud
uuu
Σo
-1/2
Ξ-
(1318)
Σ+
uds
-1
dss
b)
+1/2
uus
I3
Ξo
(1232)
(1384)
(1533)
uss
Ω-
-2
sss
(1672)
Abbildung 9.12: Das Baryonenoktett (a) und das Baryonendekuplett (b).
Der erste große Erfolg des Quarkmodelles war die Vorhersage und die anschließende experimentelle Bestätigung des Ω− . Das Ω− ist ein Baryon, das aus drei
s–Quarks besteht, und dessen Existenz vom SU (3)–Modell der leichten Quarks vorrausgesagt wird. 1964, unmittelbar nach der Veröffentlichung des Quarkmodelles
durch Gell-Mann und Zweig, wurde das Ω− experimentell bestätigt. Das Ω− zerfällt
über die schwache Wechselwirkung in einer Kaskade in Teilchen mit jeweils einem
s–Quark weniger (Abb. 9.13):
Ω− (S = −3) → Ξ0 (S = −2) → Λ(S = −1) → p(S = 0)
9.5
9.5.1
(9.28)
Schwere Quarks: Charm
Der Cabbibo–Winkel und der GIM–Mechanismus
Im letzten Kapitel hatten wir gesehen, dass mit dem Modell der leichten Quarks (u,
d und s) sehr viele Phänomene und Teilchenreaktionen beschrieben werden konnten.
Trotzdem liegt die Vermutung nahe, dass dieses Modell noch nicht vollständig ist,
insbesondere wegen der Unsymmetrie der d und s Quarks mit der Ladung − 31 e und
des u Quarks der Ladung 23 e. Es wurde bald die Hypothese der Existenz eines vierten
Quarks aufgestellt, dessen Anwesenheit sehr charmant wäre, das die Ladung + 23 e
haben sollte, und dem eine neue, Ladungsartige Flavour–Quantenzahl, der Charm,
zugeordent wurde.
9.5 Schwere Quarks: Charm
147
Abbildung 9.13: Der Zerfall eines Ω− (S = −3) über eine Kaskade, bei der in jedem
Schritt ein Baryon mit einer um eine Einheit verringerte Strangeness auftritt.
148
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
Das theoretische Argument für die Existenz von Charm kam aus der Analyse
der schwachen Zerfälle von W –Bosonen. Das W –Boson ist das Austauschteilchen
der Schwachen Wechselwirkung (Kap. 11.2.2) und kann leptonisch (dh. in l + ν̄l )
oder hadronisch (dh. in q1 q̄2 ) zerfallen. Bei den leptonischen Zerfällen wurde beobachtete, dass die Kopplung universell ist, unabhängig davon, ob das Lepton ein e,
µ oder τ ist. Der Zerfall W ± → l± νl ist demnach unabhängig von der Struktur und
Kopplungsstärke für alle Leptonen.
l+
+
W
−
ν
l
Bei den entsprechenden Zerfällen in Quarks ist das anders. Schwache Wechselwirkungen von Quarks sind immer mit einer Änderung der Quarkflavours verbunden.
Wenn die schwache Wechselwirkung universell ist, darf ihre Kopplungsstärke nicht
von der Art der Quarks abhängen.
u
+
W
u
+
W
−s
−
d
Im Experiment wurde aber eine deutliche Unterdrückung der Kopplung and das
¯
(us̄)–Paar im Vergleich zum (ud)–Paar
beobachtet. Um das Konzept der Universalität zu retten, hatte Cabbibo postuliert, dass die schwache Kopplung zwischen
dem u– und dem d–Quark wegen der verschiedenen möglichen Übergänge zwischen
Quarkflavours aus einem Mischungszustand d0 besteht:
|d0 i = cos Θc · |di + sin Θc i · |si
(9.29)
mit einem Mischungswinkel Θc , dem Cabbibo–Winkel. Der Cabbibo–Winkel muss
experimentell bestimmt werden, beispielsweise aus dem Vergleich des Neutron–
Zerfalles (∝ cos Θc ) mit Hyperon–Zerfällen7 (∝ sin Θc ), woraus man einen Wert
von sin θc = 0.22 erhält. Daraus ergibt sich eine Unterdrückung für Prozesse, an
denen s–Quarks beteiligt sind, um (sin Θc / cos Θc )2 ≈ 0.05.
Die Leptonen treten bezüglich der schwachen Wechselwirkung immer in Dubletts
auf, die an das W –Boson koppeln (Leptonfamilien):
"
νe
e−
#
;
"
νµ
µ−
#
;
"
ντ
τ−
#
(9.30)
Entsprechend existiert ein Quarkdublett
"
7
u
d0
#
Hyperonen sind Baryonen mit intrinsischer Strangeness (enthalten s–Quarks).
(9.31)
9.5 Schwere Quarks: Charm
149
Es drängt sich natürlich die Frage auf, ob es nicht ein entsprechendes Dublett gibt,
mit einem Zustand s0 , der orthogonal zu d0 ist:
|d0 i = cos Θc · |di + sin Θc i · |si
|s0 i = − sin Θc · |di + cos Θc i · |si
(9.32)
Die Quark–Eigenzustände der schwachen Wechselwirkung, die mit |d0 i und |s0 i bezeichnet wurden, ergeben sich durch eine Drehung um Θc aus den Eigenzuständen
|di und |si der starken Wechselwirkung. Das fehlende Quark mit der Ladung + 23 im
zweiten Dublett sollte dann das Charm–Quark sein
"
u
d0
#
;
"
c
s0
#
(9.33)
Mit dieser Erweiterund des Cabbibomodelles haben Glashow, Iliopoulis und Maniani
(GIM) 1970 die Unterdrückung gewisser Übergänge erklären können: Wenn ein
Übergang von einer Quarkfamiele in die andere erfolgt, also von einem Dublett zum
anderen, ist dieser mit (sin Θc / cos Θc )2 ≈ 0.05 unterdrückt.
9.5.2
Die Entdeckung des Charm–Quarks
Das Charm–Quark wurde im November 1974 simultan an zwei Experimenten entdeckt, einerseits am e+ e− –Speicherring SPEAR in Standford (Gruppe von B. Richter
et al.) und anderseits in Proton–Kern Reaktionen in Brookhaven (Gruppe von S.
Ting et al.). Beide Gruppen beobachteten den niedrigsten Vektormeson–Zustand cc̄
bei einer Masse von ca. 3.1 GeV. Das Teilchen bekam den Doppelnamen J/ψ, da
die Gruppe von Ting es ähnlich dem chinesischen Zeichen für “Ting” J nannten, die
Gruppe von Richter benannte das Teilchen ψ.
Am SPEAR wurde das J/ψ als scharfer Peak im Wirkungsquerschnitt bei einem
Energiescan um 3 GeV in den folgenden Reaktionen beobachtet (Abb. 9.14):
e+ e− → e + e−
e + e − → µ + µ−
e+ e− → Hadronen
(9.34)
Die überaschend geringe Breite von Γ = 87 keV, die einer langen Lebensdauer
entspricht, wies auf eine neue, erhaltene Quantenzahl hin. Man ordente dem c–
Quark die Charmquantenzahl C = +1 zu, dem Antiquark c̄ wurde entsprechened
C = −1 zugewiesen. Die Entdeckung des J/ψ in den Proton–Kernreaktionen erfolgte
als Resonanz, die in der invarianten e+ e− –Masse beobachtet wurde (Abb. 9.15):
p + Be → e+ e− + X
9.5.3
(9.35)
Charmonium
Gebundene Zustände von c und c̄–Quarks nennt man Charmonia8 , die sich auf
Gund ihrer großen Masse hervorragend für spektroskopische Untersuchungen eignen. Wegen der sehr viel größeren Charmmasse (mc ≈ 1.5 GeV) entkoppeln die
8
Allgemein spricht man bei Teilchen–Antiteilchen Systemen identischer Teilchen von “–onia”
150
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
Abbildung 9.14: Elektron–Positron Wirkungsquerschnitt im Bereich der J/ψ–
Resonanz.
Abbildung 9.15: Entdeckung des J/ψ durch die Gruppe von S. Ting.
9.5 Schwere Quarks: Charm
151
cc̄–Zustände weithgehend von den leichten Quarks und die Spektren werden sehr
übersichtlich. Solange ein Charmonium–Zustand noch nicht in Teilchen mit “offenem Charm” (dh. Mesonen, die aus einem c– und einem leichtem Quark bestehen)
zerfallen kann, sind keine Übergände der starken Wechselwirkung möglich. Es treten dann häufig radiative Übergänge (γ–Emission) zwischen den verschiedene cc̄–
Anregungszuständen auf (Abb. 9.16).
Das Studium der Charmonium–Spektroskopie hat wesentlich zum Verständis der
QCD beigetragen, die die Dynamik der Quarkbindungen beschreibt. Es zeigte sich,
dass die starke Wechselwirkung durch ein Potential beschrieben werden kann, das
einen Coulomb–artigen kurzreichweitigen Anteil und einen langreichweitigen Term
der Form 9.36 hat:
3 αs (M 2 )
+a·r
(9.36)
V (r) = −
4
r
Die Skala der Kopplungskonstante αs ist die Charmonium–Masse M . In Abb. 9.17
wir die resultierende Farbkraft der Quarkonium–Systemes mit der elektromagnetischen Kraft (QED) verglichen.
9.5.4
Offener Charm
Analog zur Quantenzahl Strangeness S für die Hadronen, die ein s–Quark besitzen,
führ man auch eine Quantenzahl Charm C für Hadronen ein, die ein c–Quark
beinhalten. Im Gegensatz zur Stangeness, für die aus historischen Gründen gilt
S(s − Quark) = −1 gilt für Charm C(c − Quark) = 1. Die leichtesten Teilchen,
die ein c–Quark besitzen, sind die D–Mesonen mit J P = 0− , deren Masse etwa bei
mD = 1856 MeV liegt. Die Schwelle für die assozierte Produktion offenen Charm
liegt somit bei 2mc = 3730 MeV. Die zweite radiale Anregung des Jψ (verborgener
Charm), das ψ 00 (3770) liegt oberhalb der Schwelle und zerfällt deshalb bevorzugt in
D D̄–Paare:
ψ 00 → D 0 D̄ 0 , D + D −
und das entsprechende Quarkdiagram sieht dann wie folgt aus:
_
c
_
c
d
c
_
d
c
D
−
ψ’’
D
+
Die leichtesten Charm–Hadronen, die oben erwähnten D–Mesonen, können hingegen nur über die schwache Wechselwirkung zerfallen, wobei das c–Quark bevorzugt
in ein s–Quark übergeht. In Zerfällen von Hadronen mit Charm erwartet man also als Zerfallsprodukte typischerweise die leichtesten Mesonen mit s–Quarks, also
K–Mesonen.
152
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
Abbildung 9.16: Das vom Experiment “Crystall Ball” (SPEAR, SLAC) aufgenommene Photonenspektrum des Charmoniums. Der Detektor besteht aus NaJ–
Kristallen.
9.6 Die dritte Fermionenfamilie
153
Abbildung 9.17: Form des QCD–Potentiales aus der Analyse der Bindugszustände
schwerer Quarks und ein Vergleich der Farbkraft mit der elektromagnetischen Kraft
als Funktion des Abstandes der entsprechenden Elementarladungen.
_
u
u
_
u
D
π0
ο
W+
c
_
d
s
K
ο
Zusammen mit den drei leichtesten Quarks bildet das Charm–Quark weitere
Meson–Zustände. In Abb. 9.18 sie die entsprechenden 16–Plets für die pseudoskalaren und Vektormesonen gezeigt. Entsprechend den Quantenzahlen I3 , S und
C müssen die Multiplets dreidimensional dargestellt werden. Da die Masse des c–
Quarks sehr viel größer als die der andern Quarks ist, erhält man mit dem Einschluss
des vierten Quarks allerdings keine höhere Symmetrie.
9.6
9.6.1
Die dritte Fermionenfamilie
Die Entdeckung des Tau–Leptons
Wenn man mit den Entdeckungen soweit ist, dass zwei Leptonfamilien (u und d–
Quarks mit e und νe als erste Familie und s und c–Quarks mit µ und νµ als die
zweite) als gesichtert gelten, stellt sich sofort die Frage, ob es noch weitere Familien
gibt. Trotz intensiver Suche ist bis heute nur eine weitere Leptonfamilie gefunden
worden. Es gibt starke experimentelle Hinweise darauf, dass es auch nicht mehr als
drei Leptonfamilien geben kann.
154
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
Abbildung 9.18: Multipletts der pseudoskalaren Mesonen (a) und der Vektormesonen
(b) der ersten 4 Quarkflavours.
Den ersten Hinweis auf die Existenz der dritten Leptonfamilie lieferte die Entdeckung des τ Leptons. Kurz nach der Entdeckung des Charmquarks wurden 1975
in e+ e− –Kollisionen bei SPEAR (SLAC)9 Reaktionen der folgenden Signatur beobachtet:
e+ e− → e± µ∓ + fehlende Energie
(9.37)
Auf den ersten Blick verletz diese Reaktion die Leptonzahlerhaltun und den Energiesatz. Wenn man aber die Hypothese zu Grunde legt, dass der Reaktion ein Erzeugungsmechanismus
e+ e− → τ + τ −
(9.38)
zugrunde liegt, und die τ –Leptonen die selben Zerfallskanäle wie das Myon haben
(dh. z.B. τ + → µ+ νµ ν̄τ oder τ − → e− ν̄e ντ ) so sind die auslaufenden Neutrinos für
die fehlende Energie im Detektor und die scheinbare Verletzung der Leptonzahlerhaltung verantwortlich. Eine genaue Analyse dieser Ereignisse ergab eine Masse für
das neue Lepton von mτ = 1777 MeV.
In der Folge wurde in umfangreichen Experimenten gezeigt, dass das τ ein “sequentielles” Lepton ist, sich also genau so verhält, wie das Elektron und das Myuon.
Insbesondere gibt es auch eine τ –Leptonerhaltung und die Universalität der schwachen Wechselwirkung ist für die τ –Leptonen erfüllt.
Da das τ –Lepton eine relativ hohe Masse hat, kann es auch in Hadronen über die
drei leichtesten Quarks zerfallen. Die Endzustände bestehen dann erwartungsgemäß
aus Kaonen und Pionen. Ein typisches Beispiel ist in Abb. 9.19 gezeigt: in einem
e+ e− → τ + τ − –Ereignis zerfällt das eiene τ in 3 Pionen, das andere in ein leichteres
Lepton (Elektron oder Myon). Solche Ereignistopologien können sehr gut von 2–
Jet Ereignissen unterschieden werden, die ihrerseits typisch für eine cc̄–Produktion
wären.
9
Am selben Detektor, bei dem bereits die ψ–Resonanzen gefunden wurden
9.6 Die dritte Fermionenfamilie
155
Abbildung 9.19: Ein typisches Ereignis für e+ e− → τ +τ − mit einem Lepton und
drei Pionen im Endzustand.
Die Lepton–Universalität bedeutet, dass das τ –Lepton über den W –Austausch
an die fundamentalen Fermionen–Dublets mit universeller Stärke ankoppelt (Prozess
τ → W + ν und W → f + f¯):
"
f
f¯
#
=
"
e−
ν̄e
# "
,
µ−
ν̄µ
# "
,
d cos θc + s sin θc
ū
#
(9.39)
wobei nicht nur die Kopplungsstärke universell ist, sondern auch die Kopplungstruktur, die durch den W –Austausch vermittelt wird. Das W –Boson tritt sowohl
als Vektor (J P = 1− ) als auch als Axialvektor (J P = 1+ ) auf, im Gegensatz zum
Photon, das nur als Vektor auftritt. Wir hatten gesehen, dass das Photon bevorzugt in Vektorteilchen übergeht (Vekordominanzmodell Kap. 9.4.3, ρ, ω, φ, J/ψ).
Das W koppelt hingegen sowohl an Vektor– als auch an Axialvektorteilchen. Dieses
Verhalten muss demnach beim Zerfall von τ –Leptonen auch beobachtbar sein. Dies
ist in Abb. 9.20 gezeigt: das Massenspektrum ist von zwei Pionen in τ –Zerfall der
ρ–Resonanz (J P = 1− ) und von drei Pionen von der a1 (1260)–Resonanz (J P = 1+ )
dominiert.
Die Entdeckung des τ –Leptons war der Einstieg in die dritte Fermionfamilie,
man erwartete dann die Entdeckung der entsprechenden Quarks (t,b) mit den neuen
Flavour–Quantenzahlen Bottom (Beauty, Q = −1/3) und Top (Truth, Q = 2/3).
156
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
Abbildung 9.20: Massenspektren von zwei und drei Pionen in τ –Zerfällen (τ − →
π − π 0 ντ und τ − → π − π − π + ντ ), die Spektren werden sehr gut durch die theoretischen
Vorhersagen beschrieben.
9.6.2
Die dritte Quark–Familie: Bottom und Top
Das physikalische Szenario der Entdeckung des J/ψ (Kap. 9.5.2) hat sich 1977 bei
einer Massenskala von 5 GeV wiederholt. Am Beginn stand die Entdeckung einer
neuen Resonanz (Υ) mit einer Masse von 9460 MeV durch die Gruppe von Lendermann am Fermi–Laboratorium (USA). Dieses Meson, heute als Υ(1S) bezeichnet,
wurde zuerst im Massenspektrum der Reaktion
p + (Cu,Pb) → µ+ µ− + X
(9.40)
des externen 400 GeV–Protonenstrahles des Fermi–Labs mit einem Blei- und Kupfertarget mit höheren Zuständen beobachtet (Abb. 9.21). Die bald daraufhin durchgeführten Experimente am e+ e− –Speicherring DORIS bei DESY erlaubtem die Bestimmung der Eigenschaften des neuen Teilchens, das als gebundener Zustand eines
neuen Quarks mit dem Namen bottom b und einer Masse von mb ≈ 5000 MeV
identifiziert wurde:
|Υi = |bb̄i
(9.41)
Dem neuen Quark wurde die Quantenzahl Beauty (oder Bottom) B̃ = −1 zugeordnet.
Das Spektrum der Vektormesonzustände ist in Abb. 9.22 gezeigt. Wie das J/ψ
hat auch das Υ eine Zerfallsbreite, die kleiner als die Energieauflösung des Beschleunigers ist. Die vierte radiale Anregung, das Υ(4S), liegt knapp über der Schwelle der
asozierten Produktion von Mesonenpaaren mit offener Bottom–Flavor. Diese Resonanz zerfällt fas ausschließlich in die leichtesten (pseudoskalaren) Bottom–Mesonen
(Kap 9.5.4):
Υ(4S) → B 0 B̄ 0 , B + B −
Die genaue Erforschung der Eigenschaften der B–Mesonen ist eines der aktuellsten Forschungsgebiete der modernen Teilchenphysik. In den USA (Experiment
BaBar am SLAC in Standford) und in Japan (Experiment Belle am KEK) werden e+ e− –Beschleuniger mit einer Schwerpuktsenergie der Υ(4S)–Resonanz als “B–
Fabriken” betrieben. Dabei werden B B̄–Ereignisse erzeugt, um deren Eigenschaften zu untersuchen, und, als wichtigster Forschungsgegenstand, die Verletzung der
9.6 Die dritte Fermionenfamilie
157
Abbildung 9.21: Die Entdeckung der Υ–Resonanz im Massenspektrum der Reaktion
p + (Cu,Pb) → µ+ µ− + X.
Abbildung 9.22: Der Wirkungsquerschnitt für die Reaktion e+ e− → Hadronen im
Bereich der Υ–Resonanzen.
158
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
CP –Symmetrie zu messen. Ein entsprechendes Experiment, das die B–Produktion
im hadronischen System ausnutzt, wurde am HERA–Ring aufgebaut (HERA–B,
Abb. 3.28). Dabei wird der Protonenstrahl von HERA auf ein festes Draht–Target
geschossen:
p + Kern → bb̄ + X
(9.42)
Die B 0 - und B̄ 0 –Mesonen sind den neutralen Kaonen sehr ähnlich, insbesondere
können auch die neutralen B–Mesonen ineinader übergehen (B 0 B̄ 0 –Oszillationen).
Für die Messung der CP –Verletzung nutzt man CP –Eigenzustände aus, in die sowohl das B 0 als auch das B̄ 0 zerfallen kann:
B 0 (B̄ 0 ) → J/ψKs0 → l+ l− π + π −
(9.43)
Das J/ψ zerfällt in ein Leptonenpaar und das Ks0 in ein Pionpaar. Wenn man die Bottomquatenzahl des assoziierten produzierten B–Mesons bestimmt und eine Asymmetrie in der Häufigkeit von b und b̄ feststellt, kann man daraus die CP –Verletzung
messen.
In Abb. 9.22 ist ein Anstieg des Wirkungsquerschnittes für die Reaktion e+ e− →
Hadronen oberhalb der Υ–Resonanzen zu beobachten (∆R = 1/3). Daraus lässt
sich ableiten, dass der Betrag der Ladung des b–Quarks 1/3 ist, und somit war
zu erwarten, dass es noch ein sechstes Quark mit der neuen Flavour–Quantenzahl
Top (oder Truth) T = 1 mit einer Ladung Q = +2/3 geben muss. Das Top–
Quark t wurde schließlich nach langem Suchen bei einer unerwartet hohen Masse von
mt = 176 GeV gefunden. Der Beschleuniger, mit dem diese Entdeckung möglich war,
ist der pp̄–Speicherring TEVATRON am Fermi–Laboratorium in Chicago (USA)
(Tab. 3.3) mit einer Schwerpunktsenergie von 2000 GeV.
In pp̄–Reaktionen können tt̄–Paare durch Quark–Antiquark Annihilationen oder
Gluonfusion erzeugt werden:
p + p̄ → tt̄ + X
(9.44)
p
p
t
q
t
g
g
g
q
t
p
t
p
b)
a)
Ein Top–Quark geht bevorzugt dur Emission eines reellen W –Bosons in ein
Bottom–Quark über:
t → b + W+
(9.45)
t
b (Jet)
+
W
l+
νl
oder 2 Quarkjets
9.6 Die dritte Fermionenfamilie
159
Das b–Quark produziert einen hadronischen Jet und das W –Boson zerfällt in ein
Leptonpaar oder in zwei Quarkjets. In Abb. 9.23 ist ein tt̄–Ereignis zu sehen, wie es
in der Reaktion pp̄ → tt̄ + X mit dem CDF–Detektor am Tevatron gemessen wurde.
Jet 3
Jet 2
Jet 1
CDF SVX Display
24 September, 1992
run #40758, event #44414
l1
l2
e+
l1
= 4.5 mm
l2
= 2.2 mm
Jet 4
ν
2
MFit
top = 170 ± 10 GeV/c
Abbildung 9.23: Kandidat für ein tt̄–Ereignis, bei dem die Sekundärvertizes der B–
Mesonen deutlich zu sehen sind.
9.6.3
Überblick über die drei Fermion–Familien
Mit der Entdeckung des Top–Quarks ist auch die dritte Fermion–Familie vollständig.
Alle bisherigen experimentellen Ergebnisse sind damit konsistent, dass die Fermionen
elementare und punktförmige Spin– 12 Teilchen (Dirac–Teilchen) sind10 . Den Quarks
werden die folgenden Quantenzahlen zugeordnet (Q: Ladung, B: Baryonenzahl, I/I3 :
Isospin, S: Strangeness, C: Charm, B̃: Beauty, T : Truth):
10
Unter puktförmig versteht man, dass bis zu den heute zugänglichen Ortsauflössungen von
∆x = 10−18 m keine Substruktur erkennbar ist.
160
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
Flavor
u
d
s
c
b
t
q̄
Masse [MeV]
5
7
120
1500
5000
176000
mq = mq̄
Q
B
I
I3
2
3
− 31
2
3
− 31
2
3
− 13
1
3
1
3
1
3
1
3
1
3
1
3
1
2
1
2
1
2
− 12
−Q
−B
0
0
0
0
0
0
0
0
I −I3
S
C
0
0
0
0
-1
0
0
1
0
0
0
0
−S −C
B̃
T
0
0
0
0
0
0
0
0
-1
0
0
1
−B̃ −T
Tabelle 9.1: Die Eigenschaften und Quantenzahlen aller Quarks.
Die Ladung der Quarks wird durch die verallgemeinerte Gell–Mann–Nishijima–
Gleichung festgelegt:
1
Q = I3 + (B + S + C + B̃ + T )
2
(9.46)
Es ist sehr wahrschleinlich, dass es nicht mehr als drei Fermion–Familien gibt. Der
stärkste Hinweis darauf stammt von den unsichtbaren Zerfällen des Z–Bosons:
Z 0 → νi ν̄i
(9.47)
Die Zerfallsbreite ist sensitiv auf die Zahl der existierenden Neutrinoarten, die gemessene Zerfallsbreite stimmt sehr gut mit der theoretischen Vorhersage für drei
Neutrinoarten überein (Abb. 9.24, Messung am LEP (CERN): nν = 2.993 ± 0.011).
Eine bis heute offene Frage ist die der Massen der Neutrinos. Von Experimenten,
die direkt die Neutrinomassen messen, gibt es bisher keine verlässlichen Hinweise auf
massive Neutrinos. Die Massen der Leptonen, soweit sie heute bekannt sind bzw.
wie genau man deren Obergrenze experimentell abhschätzen kann (Ausschließungsgrenzen) lauten wie folgt:
Lepton
Masse [MeV]
e
µ
τ
νe
0.511 105.66 1777 < 3 · 10−6
νµ
ντ
< 0.19 < 18.2
Im Standartmodell der Teilchenphysik sind die Neutrinos masselos. Danach hat
jede Leptonfamiele ihre eigene, absolut erhaltene Leptonzahl. Falls es sich aber zeigen würde, dass die Neutrinomassen doch nicht Null sind, sondern einen endlichen
Wert haben, könnte auch die Leptonzahlerhaltung verletzt sein, was zu Oszillationen
zwischen den Neutrinosorten führt. Es gibt heute experimentelle Hinweise, dass solche Oszillationen bei atmosphärischen Neutrinos tatsächlich auftreten (Experiment
KAMIOKANDE in Japan) und Neutrinos somit eine endliche Ruhemasse hätten.
Die Neutrinophysik ist eine weiteres, sehr aktuelles und wichtiges Gebiet der modernen Teilchenphysik.
9.6 Die dritte Fermionenfamilie
161
Abbildung 9.24: Der Wirkungsquerschnitt der Reaktion e+ e− → Hadronen im Bereich der Z 0 –Resonanz gemessen am LEP (CERN) im Vergleich zur theoretischen
Vorhersage von Modellen, die 2, 3 oder 4 Neutrinosorten beinhalten.
9.6.4
Die Cabibbo–Kobayashi–Maskawa Matrix
Bei Quarks gibt es keine absolute Erhaltung der Flavours innerhalb einer Familie,
die schwache Wechselwirkung vermittelt über den Austausch von W und Z–Bosonen
Übergänge zwischen den Quarkflavours und den Familien. In Abschnitt 9.5.1 hatten
wir gesehen, dass die möglichen Übergänge zwischen den ersten beiden Familien
durch eine orhtogonale Mischung der Quarks mit der Ladung |Q| = 1/3 beschrieben
werden kann:
M ∼ [u c]
"
cos θc sin θc
− sin θc cos θc
#"
d
s
#
= ud · cos θc + . . .
(9.48)
Die Mischungsmatrix ist in diesem Fall rein reell und nur durch einen Parameter, den
Cabbibo–Winkel θc gegeben. Im allgemeinen kann die Matrix aber komplex sein, die
Orthogonalität der Matrix ist dann durch deren Unitarität zu ersetzten (M · M T =
I → M ·M T ∗ = I). Die Unitarität garantiert dabei die Wahrscheinlichkeitserhaltung.
Die Erweiterung auf drei Familien ist von Kobayashi und Maskawa vorgeschlagen
worden:



Vud Vus Vub
d





M ∼ [u c t] 
(9.49)
 Vcd Vcs Vcb   s 
Vtd Vts Vtb
b
wobei bespielsweise Vus die relative Stärke des Überganges s → u angibt, also Vus ≈
sin θc (Gl. 9.48). Die Diagonalelemente sind alle nahe bei 1, was bedeutet, dass
Übergänge innerhalb der Familien bevorzugt sind.
162
Starke Wechselwirkung und das Quarkmodell
Unter der Vorraussetzung der Unitarität hat die Mischungsmatrix (die CKM–
Matrix, Cabbibo–Kobayashi–Maskawa Matrix) für den Fall von drei Fermionfamilien vier Parameter: drei Winkel und eine Phase. Wenn die Phase verschieden von
Null ist, die Matrix also komplex, können durch die Quarkmischung CP –verletzende
Prozesse auftreten. Für Antiteilchen gilt die konjugiert komplexe CKM–Matrix, was
eine Phasendifferenz zwischen Teilchen– und Antiteilchenreaktionen bewirkt und damit zu einer Verletztung der CP –Erhaltung führen kann.
Eine Parametrisierung der CKM–Matrix, die die Unitarität approximiert und die
Größenverhältnisse der Kopplungen zwischen den Familien relativ gut wiedergibt,
ist die Wolfenstein–Darstellung:
VCKM

2

λ
λ3 A(ρ − i · η)
1 − λ2


2

=
−λ
1 − λ2
λ2 A


λ3 A(1 − ρ − i · η) −λ2 A
1
(9.50)
einer Entwicklung nach Potenzen von λ = sin θc .
Die Präzesionsbestimmung der CKM–Matrixelemente und die Überprüfung, ob
die CKM–Matrix wirklich unitär ist11 , ist eine der wichtigen Belange der aktuellen Forschung. Wenn die CP –Verletzund im K–System durch eine komplexe Phase
der CKM–Matrix erklärt werden kann, ergeben sich daraus Vorhersagen für das
Auftreten CP –verletzender Zerfälle in B–Systemen. Bei den oben erwähnten Experimenten BaBar (SLAC, USA) und Belle (KEK, Japan) ist die CP –Verletzung im
B 0 B̄ 0 –System tatächlich gemessen worden.
11
Dies wäre ein weiterer Hinweis auf die Existenz von nur 3 Fermionfamilien
Herunterladen