Grundkurs Theoretische Philosophie SoSe 2004 Prof. Dr. Ansgar

Werbung
–2–
Grundkurs Theoretische Philosophie
Prof. Dr. Ansgar Beckermann
SoSe 2004
Materialien für die 3. Sitzung 4.5.2004
Gottesbeweise (besser: Argumente für die Existenz Gottes)
In der Philosophie geht es immer darum, ob es für bestimmte Annahmen gute Gründe gibt – Gründe, die dafür sprechen, dass diese Annahmen wahr sind. (Es geht in
der Philosophie nicht darum herauszufinden, welche Motive Menschen haben können, diese Annahmen für wahr zu halten). In der Religionsphilosophie geht es als
unter anderem um die Frage, ob es gute Gründe für die Annahme gibt, dass Gott existiert. Gott wird in diesem Zusammenhang immer im Sinne des (christlichen) Monotheismus als eine allmächtige, allwissende und allgütige Person verstanden.
Die drei klassischen Gottesbeweise (besser: Argumente für die Existenz Gottes) sind
der teleologische, der kosmologische und der ontologische Gottesbeweis. Dem teleologischen und dem kosmologischen Gottesbeweis ist gemeinsam, dass sie von – allerdings einfachen und kaum bestreitbaren – empirischen Fakten ausgehen. Im Falle
des kosmologischen Gottesbeweises ist dies die Tatsache, dass überhaupt etwas –
das Universum – existiert. Beim teleologischen Gottesbeweis ist es dagegen die Tatsache, dass das Universum geordnet ist bzw. dass es außer den von Menschen konstruierten Maschinen in der Welt auch nicht vom Menschen gemachte zweckhafte
Systeme gibt. Das Standardbeispiel für ein zweckhaftes System ist das Auge.
Bei diesen beiden Versionen handelt es sich jeweils um einen Analogieschluss. Aus
der Tatsache, dass Pflanzen, Tiere und Menschen sowie deren Organe bzw. das ganze Universum den von Menschen konstruierten Maschinen im Hinblick auf ihre
Zweckhaftigkeit ähneln, wird geschlossen, dass sie dann wohl auch im Hinblick auf
ihre Ursachen ähnlich sein müssen.
Analogieschlüsse haben generell die Form:
(1) Dinge vom Typ A haben die Eigenschaft F.
(2) Dinge vom Typ B ähneln Dingen vom Typ A.
Also: Auch Dinge vom Typ B haben die Eigenschaft F.
Kritik
Vorbemerkung
Zentral für die klassischen Varianten des teleologischen Gottesbeweises ist die Tatsache, dass es in der Welt zweckhafte oder teleologische Systeme gibt – d.h. Systeme, deren Teile unter normalen Bedingungen so zusammenwirken, dass das Gesamtsystem ein bestimmtes Ziel erreicht (Überleben, Konstanthalten des Blutdrucks,
Versorgung mit Sauerstoff, etc.).
1.
Der teleologische Gottesbeweis
Variante A (klassisch)
(1) Die Existenz aller Maschinen geht darauf zurück, dass sie von intelligenten
Wesen nach einem Plan geschaffen wurden.
(2) Das ganze Universum ähnelt einer Maschine, da es ebenfalls eine zweckhafte
Struktur aufweist.
Also: Auch die Existenz des Universums geht darauf zurück, dass es von intelligenten Wesen nach einem Plan geschaffen wurde.
Variante B (klassisch)
(1) Die Existenz aller Maschinen geht darauf zurück, dass sie von intelligenten
Wesen nach einem Plan geschaffen wurden.
(2) In der Welt gibt es Dinge (Lebewesen, Organe von Lebewesen), die Maschinen
insofern ähnlich sind, als sie ebenfalls eine zweckhafte Struktur aufweisen.
Also: Auch die Existenz dieser nicht vom Menschen gemachten zweckhaften Systeme geht darauf zurück, dass sie von intelligenten Wesen nach einem Plan geschaffen wurden.
2.
3.
Schwäche der Analogie: Sind Pflanzen, Tiere und Menschen sowie deren Organe bzw. das Universum als Ganzes den von Menschen konstruierten Maschinen tatsächlich so ähnlich, dass man auf ähnliche Ursachen schließen darf?
Schließlich gibt es zwischen den verschiedenen Arten von zweckhaften Systemen erhebliche Unterschiede. Dieses Argument richtet sich besonders gegen
Variante A; denn es ist nicht zu sehen, dass das Universum als Ganzes auf irgendein Ziel ausgerichtet ist.
Alternative Erklärung: Gegen Variante B kann man geltend machen, dass es
für die Existenz natürlicher zweckhafter Systeme eine alternative Erklärung
gibt – die Evolution.
Was zeigt das Argument? Das Argument zeigt bestenfalls, dass auch die nicht
vom Menschen gemachten zweckhaften Systeme von intelligenten Wesen nach
einem bestimmten Plan geschaffen worden sind. Es zeigt nicht, dass es sich
hier nur um ein Wesen handeln kann; und auch nicht, dass dieses Wesen allmächtig, allwissend und allgütig ist. Aufgrund der Tatsache, dass gerade die
komplexesten Maschinen nicht von einem, sondern von einer Gruppe von Menschen geschaffen wurden, sollte man vielleicht eher schließen, dass auch die
natürlichen zweckhaften Systeme eher auf Gruppen von intelligenten Wesen
zurückgehen. Und aufgrund der Tatsache, dass auch die natürlichen zweckhaften Systeme keineswegs optimal ‚konstruiert’ sind, sollte man wohl eher schließen, dass ihre Schöpfer alles andere als allmächtig, allwissend und allgütig
sind.
–3–
–4–
Wegen der Schwächen der klassischen Formen des teleologischen Gottesbeweises
ist in den letzten 100 Jahren folgende alternative Formulierung entwickelt worden.
Der kosmologische Gottesbeweis
Variante B (modern)
(1) Das Universum existiert.
(2) Alles, was es gibt, hat eine Ursache.
(3) Eine unendliche, immer weiter zurückreichende Kette von Ursachen ist nicht
möglich.
Also: Es muss eine erste Ursache geben (die ihre eigene Ursache ist).
(1) Das Universum ist so strukturiert, dass sich in ihm im Laufe der Zeit immer
komplexere Dinge entwickelt haben bis hin zu den Lebewesen und am Ende
dem Menschen.
(2) Dass dies möglich war, hängt u.a. an der Geschwindigkeit, mit der das Universum kurz nach dem Urknall expandierte. Wäre sie nur ein wenig geringer gewesen, wäre das Universum sehr schnell wieder in sich zusammengefallen.
(3) Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Parameter, von denen die Entwicklung
des Universums abhängt, solche Werte haben, dass die unter (1) angeführte
Entwicklung möglich ist.
Also: Die Existenz des Universums muss auf ein intelligentes Wesen zurückgehen,
das die Dinge so eingerichtet hat, dass genau diese Entwicklung möglich war.
Variante A
Anders als beim teleologischen Gottesbeweis ist bei diesem Argument weniger die
Frage, ob die Konklusion tatsächlich aus den Prämissen folgt (das Argument ist offenbar gültig); die Frage ist hier vielmehr, ob die Prämissen plausibel sind. Die erste
Prämisse wird man, wie gesagt, allerdings kaum bestreiten können.
Kritik
1.
Kritik
1.
2.
Woher will man wissen, dass es tatsächlich sehr unwahrscheinlich ist, dass die
für die Entwicklung des Universums entscheidenden Parameter solche Werte
haben, dass sich im Universum Leben und schließlich sogar intelligentes Leben
entwickeln konnte? Angenommen z.B., es gäbe sehr, sehr viele Universen mit
sehr unterschiedlichen Parametern, dann wäre es doch sogar eher wahrscheinlich, dass eines dieser Universen diese Parameter aufweist.
Wenn etwas sehr Unwahrscheinliches passiert, ist das tatsächlich ein Grund für
die Annahme, dass ein intelligentes Wesen seine Hände im Spiel hat?
Literatur
Hauptvertreter der klassischen Varianten:
William Paley, The Principles of Moral and Political Philosophy 1785.
William Paley, A View of the Evidences for Christianity 1794.
William Paley, Natural Theology 1802.
Klassische Kritik:
David Hume, Dialogues Concerning Natural Religion 1779.
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft 1781, 1787.
Vertreter moderner Versionen:
J. Barrow and F. Tipplers (eds.) The Anthropic Cosmological Principle. Clarendon
Press 1986.
M. A. Corey, God and the New Cosmology: The Anthropic Design Argument.
Rowman and Littlefield 1993.
2.
3.
4.
Auf den ersten Blick scheint das Argument in sich widersprüchlich zu sein.
Denn die zweite Prämisse besagt, dass alles eine Ursache hat, während es in der
Konklusion heißt, dass es eine erste Ursache geben muss (die dann anscheinend
selbst keine Ursache hat). Dieser scheinbaren Widersprüchlichkeit kann man
entgehen, indem man annimmt, dass die erste Ursache (Gott) ihre eigene Ursache ist (causa sui). Diese These wird traditionell durch die Annahme untermauert, dass Gott, und nur Gott, ein notwendiges Wesen ist – ein Wesen, das
existieren muss, das also nicht nicht existieren kann.
Prämisse (2): So plausibel es intuitiv sein mag anzunehmen, dass alles eine Ursache hat („Von nichts kommt nichts.“), eine zwingende Begründung für diese
Annahme ist bisher nicht gegeben worden. Außerdem hat uns die moderne
Physik gelehrt, dass es sogar in der physischen Welt Ereignisse gibt, die keine
hinreichende Ursache haben.
Prämisse (3): Auch diese Prämisse mag in beiden Varianten intuitiv plausibel
erscheinen; eine zwingende Begründung für sie gibt es nicht.
Was zeigt das Argument? Das Argument zeigt bestenfalls, dass es eine erste
Ursache gibt (die ihre eigene Ursache ist). Es zeigt nicht, dass diese erste Ursache eine allmächtige, allwissende und allgütige Person ist. Die erste Ursache
könnte z.B. auch ein unpersönliches Prinzip sein.
Variante B
(1) Das Universum existiert.
(2) Alles hat seine Ursache in sich selbst oder in etwas anderem.
(3) Nicht alles hat seine Ursache in etwas anderem.
Also: Es gibt (mindestens) ein Wesen, das seine Ursache in sich selbst hat.
Diese Variante vermeidet von vornherein die scheinbare Widersprüchlichkeit der
Variante A.
–5–
Kritik
1.
2.
3.
Prämisse (2): Diese Prämisse beruht auf der Prämisse (2) der Variante A. Vgl.
also die obige Kritik.
Prämisse (3): Diese Prämisse wurde bisher genauso wenig zwingend begründet
wie die Prämisse (3) der Variante A.
Was zeigt das Argument? Siehe Kritik an der Variante A.
Literatur
Hauptvertreter:
Thomas von Aquin, Summa Theologica 1265-73.
S. Clarke, A Demonstration of the Being and Attributes of God 1704.
G. W. Leibniz, Monadologie 1714.
Klassische Kritik:
David Hume, Dialogues Concerning Natural Religion 1779.
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft 1781, 1787.
Der ontologische Gottesbeweis
Der ontologische Gottesbeweis geht nicht von empirischen Fakten aus, sondern nur
vom Begriff Gottes.
(1) Gott ist definiert als das vollkommenste Wesen, das man sich vorstellen kann.
(2) Existenz ist eine vollkommenheitsfördernde Eigenschaft. D.h.: Wenn man zwei
Wesen X und Y hat, die sich in allen Eigenschaften gleichen abgesehen davon,
dass X existiert und Y nicht, dann ist X vollkommener als Y.
(3) Wenn Gott nicht existieren würde, könnte man sich vorstellen, dass er vollkommener wäre, als er ist. Aber das widerspräche seiner Definition.
Also: Gott existiert.
Kritik
1. Absurde Konsequenzen: Mit einem völlig analogen Argument könnte man
auch die Existenz der vollkommensten Insel beweisen, die man sich vorstellen
kann (Gaunilo von Marmoutier). Oder des vollkommensten Fußballspielers,
den man sich vorstellen kann. Oder des vollkommensten Philosophen, den
man sich vorstellen kann. Diesen Einwand könnte man durch den Hinweis zu
entkräften versuchen, dass Gott sich von all diesen Dingen dadurch unterscheidet, dass er nicht nur in einer bestimmten Hinsicht, sondern in jeder Hinsicht, also uneingeschränkt, vollkommen ist.
2. Existenz ist keine Eigenschaft, sondern die Voraussetzung dafür, dass etwas
überhaupt Eigenschaften haben kann. Der ontologische Gottesbeweis tut aber
so, als seien nicht existierende Dinge Dinge, die es zwar irgendwie gibt, de-
–6–
nen aber eine Eigenschaft fehlt, die Eigenschaft zu existieren. Wenn wir sagen, Sherlock Holmes gibt es nicht, dann sagen wir damit jedoch nicht, dass
es jemanden ‚gibt’, der alle Eigenschaften hat, die man Sherlock Holmes zuspricht, dem nur die Eigenschaft der Existenz fehlt, wir sagen einfach: Sherlock Holmes gibt es nicht. Und nicht existierende Dinge haben überhaupt keine Eigenschaften. Da Existenz keine Eigenschaft ist, kann man sie auch nicht
in Definitionen verwenden. Die Definition „Junggesellen sind unverheiratete
Männer im heiratsfähigen Alter“ ist sinnvoll, die Definition „Junggesellen
sind existierende unverheiratete Männer im heiratsfähigen Alter“ dagegen
nicht.
3. Kohärenz: Ist der Begriff des vollkommensten Wesens, das man sich vorstellen kann, überhaupt kohärent? Wie wäre es mit dem Begriff der größten Zahl,
die man sich vorstellen kann?
Literatur
Klassische Hauptvertreter:
Anselm von Canterbury, Proslogion 1078.
René Descartes, Meditationen 1641 (Med. 5).
Baruch Spinoza, Ethik 1670.
G. W. Leibniz, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand 1701-4. (Buch
4, Kap. 10 und Anhang X)
Klassische Kritik:
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft 1781, 1787.
–7–
–8–
Widerspruchsbeweis (reductio ad absurdum)
Struktur des ontologischen Gottesbeweises bei Anselm von Canterbury
Text: Proslogion, hrsg. und übers. von F.S. Schmitt, 3. Auflage, Stuttgart-Bad
Cannstatt: Friedrich Frommann 1995, Kap. 2
Anselm geht von folgender Definition Gottes aus:
Gott = etwas, über dem nichts Größeres gedacht werden kann.
Das Argument geht in zwei Schritten vor sich:
Erstens will Anselm zeigen, dass Gott im Verstand existiert.
Zweitens will er zeigen, dass sich aus der Annahme, dass Gott nur im
Verstand, aber nicht in Wirklichkeit existiert, ein Widerspruch ergibt.
Wenn beides zutrifft, folgt zwingend:
Gott existiert nicht nur im Verstand, sondern auch in Wirklichkeit.
Für die erste Annahme argumentiert Anselm so:
Dass Gott im Verstand existiert, ergibt sich daraus, dass auch der, der Gott
leugnet, den Ausdruck „Gott“ („etwas, über dem nichts Größeres gedacht
werden kann“) versteht. (Konsequenz: Selbst der, der die Existenz Gottes
leugnet, muss zugeben, dass Gott wenigstens im Verstand existiert.)
Die zweite Annahme ergibt sich nach Anselm aus dem folgenden Argument:
(i) Gott existiert nur im Verstand, aber nicht in Wirklichkeit. (Annahme)
(ii) Wenn Gott nur im Verstand, aber nicht in Wirklichkeit existiert, dann
kann gedacht werden, dass er auch in Wirklichkeit existiert. (Prämisse)
(iii) Ein Wesen, das nicht nur im Verstand, sondern auch in Wirklichkeit
existiert, ist größer als ein Wesen, das (ansonsten ganz gleich ist und)
nur im Verstand existiert. (Prämisse)
(iv) Wenn Gott nur im Verstand, aber nicht in Wirklichkeit existiert, dann
kann gedacht werden, dass Gott größer ist als er tatsächlich ist. (aus (ii)
und (iii))
(v) Wenn Gott nur im Verstand, aber nicht in Wirklichkeit existiert, dann
kann gedacht werden, dass etwas, über dem nichts Größeres gedacht
werden kann, größer ist, als es tatsächlich ist. (aus (iv) und Def.)
(vi) Es kann gedacht werden, dass etwas, über dem nichts Größeres gedacht
werden kann, größer ist, als es tatsächlich ist. (aus (i) und (v) – Widerspruch!!)
Um eine Annahme A zu begründen, zeigt man, dass aus der Annahme des Gegenteils (nicht-A) ein Widerspruch folgt.
© Ansgar Beckermann 2004
Herunterladen