I Streitpunkte der Schilddrüsentherapie Liebe Kolleginnen und Kollegen Zum Jubiläum des 30. Winterthurer Fortbildungskurses ist das Thema wieder einmal die Schilddrüse. Zum Thema Schilddrüsendiagnostik und Therapie fand auch der erste Kurs im Jahr 1979 statt. In der Therapie der Schilddrüsenerkrankungen hat sich zwar in den letzten Jahren nicht wirklich viel Neues getan, aber das heisst nicht, dass deshalb alles klar ist. Überraschend viele Therapien sind nur auf den ersten Blick selbstverständlich, und der Blick zum Nachbarn zeigt, dass er manche Dinge ganz anders macht. Um solche „Streitpunkte“ geht es heute. Es gibt also keinen geordneten Überblick der gesamten Schilddrüsenerkrankungen und ihrer Behandlung, sondern nur die Rosinen aus dem Kuchen. Dies verspricht also ein spannendes und kontroverses Programm zu werden. Auch wenn am Schluss sicher herauskommen wird, dass man viele Dinge halt doch so oder so machen kann und mit beidem ans Ziel kommt. Alle Wege führen nach Rom, und viele Wege führen zum gleichen Ziel. In manchen Fällen mag es also das Ziel sein, einen Konsens und eine Unité de doctrine zu finden, bei vielen anderen geht es mit der heutigen Veranstaltung darum, die verschiedenen Varianten mit ihren Vor- und Nachteilen darzustellen, um im Einzelfall das Passende zu wählen. Herzlich Dr. Dirk Kappeler 080564_Inhalt.indd I 23.5.2008 14:52:50 Uhr II Inhaltsverzeichnis Seiten Frau Dr. med. Maier-Wölfle / PD Dr. med. M. Brändle Was tun mit den Knoten? Dr. med. I. Tosoni Feinnadelpunktion; ist ein Karzinom ein Karzinom ein Karzinom? 6 - 17 Dr. med. Th. Clerici Wie viel „Strumektomie“ ist gut genug? 18 - 21 Prof. Dr. med. Christoph A. Meier Nachsorge von Schilddrüsenkarzinomen 22 - 27 Dr. med. Jörg Furrer Labor; was braucht es, was kann man sparen? 28 - 32 Dr. med. J. Lareida Indikationen und Grenzen des Ultraschalls 33 - 36 Dr. med. A. Meili Die Rolle der Nuklearmedizin 37 - 43 Dr. med. D. Kappeler Cordarone und Schilddrüse 44 - 47 Dr. med. K. Scheidegger Selen und die Schilddrüse 48 - 51 Frau PD Dr. med. M. Christ-Crain Subklinische Dysthyreose; Krankheit oder Laborente? 52 - 55 Dr. med. Christian Meier Sind Schilddrüsenpatienten wirklich anders? 56 - 60 Dr. med. G. von Arx Diagnostik und Management der endokrinen Orbitopathie Das EUGOGO consensus statement 61 - 70 Frau Dr. med. K. Schiessl Schilddrüse und Fertilität 71 - 75 Dank an die Sponsoren 080564_Inhalt.indd II 1-5 76 23.5.2008 14:52:52 Uhr 1 Was tun mit den Knoten? Dr. med. Margarete Maier-Wölfle, Endokrinologie/Diabetologie Kantonsspital St. Gallen Einleitung Schilddrüsenknoten sind häufig. In Autopsiestudien und gezielten grossangelegten sonographischen Untersuchungen weisen bis zu 50% der Schilddrüsen knotige Veränderungen auf (Struma mit einem oder mehreren Knoten). Die Inzidenz steigt mit dem Alter an, pro Lebensdekade um etwa 10%. Interessant ist die Detektionsrate bei der Schilddrüsenpalpation: nur bei 5-10% der untersuchten Organe lassen sich eine knotige Veränderung vermuten. Dies hängt einerseits wesentlich von der Grösse und Lage des Knotens innerhalb der Schilddrüse, der Schilddrüsengrösse per se und der Anatomie des Halses ab, andererseits aber auch von der Expertise des Untersuchers. Müssen nun alle Knoten abgeklärt werden? Warum sollten Schilddrüsenknoten denn überhaupt abgeklärt werden? Mechanische Langzeitprobleme (retrosternale Struma mit Kompression der Trachea und/oder Ösophagus), die potentielle Entwicklung einer Hyperthyreose und die Möglichkeit der malignen Entartung sind von grosser Bedeutung. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um benigne Kolloidknoten, Adenome, zystische oder gemischt solid/zystische Läsionen. Nur bei 510% der palpierten Knoten wird letztendlich ein Malignom diagnostiziert, unabhängig davon, ob es sich um einen Solitärknoten oder eine Struma mit mehreren Knoten handelt. Die Inzidenz von klinisch relevanten Schilddrüsenkarzinomen liegt bei 0.005% pro Jahr dh 5 Fälle pro 100000 Personen pro Jahr. Das papilläre Schilddrüsenkarzinom ist dabei mit ca. 80% das häufigste, gefolgt vom follikulären und medullären (sporadisch oder familiär auftretenden) sowie dem seltenen anaplastischen Karzinom. Lymphome kommen etwas häufiger bei einer zu Grunde liegenden HashimotoThyroiditis vor, maligne Knoten finden sich auch etwas häufiger in der Basedow-Struma verglichen mit einer normalen Schilddrüse. 080564_Inhalt.indd 3 23.5.2008 14:52:54 Uhr 2 Pathogenese und Aetiologie Zu den wichtigsten auslösenden Faktoren der Knotenbildung gehört neben dem Jodmangel die Bestrahlung des Halses in der Kindheit. Die Entwicklung einer Struma wird auch während einer Schwangerschaft beobachtet: ȕ-HCG wirkt ähnlich wie das TSH als Wachstumsstimulans. Ebenfalls fördert Rauchen die Knotenbildung, da die steigende Thiocyanatkonzentration zu einem relativen Jodmangel führt und es dadurch zur vermehrten TSH-Produktion kommt. Auch Wachstumsfaktoren wie z.B. IGF-1 haben einen strumigenen Einfluss – bei Patienten mit Akromegalie finden sich gehäuft knotig veränderte Schilddrüsen. Überdies wird aus Familienstudien, insbesondere mit eineiigen Zwillingen deutlich, dass molekulargenetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen; ebenso das Alter und das Geschlecht. Diagnostik Allem voran steht die Anamneseerhebung mit problem-orientierter Evaluation der persönlichen Vorgeschichte und der Familienanamnese wichtig ist hierbei insbesondere die Frage nach familiär gehäuft auftretenden Schilddrüsentumoren. Wie entwickelten sich welche Symptome in welchem Zeitintervall, was konnte an konsekutiven klinischen Veränderungen beobachtet werden? Bestehen Kompressionssymptome wie Dyspnoe oder Dysphagie? Ergeben sich klinische Hinweise auf eine Hyperthyreose? Als zweiter Schritt folgt dann eine detaillierte klinische Untersuchung (Schilddrüse, Hals/ Nacken, obere Thoraxapertur). An Laboruntersuchungen ist primär die Bestimmung des TSHSerumspiegels ausreichend und sinnvoll. Auf die Bestimmung von Autoantikörpern kann in der Erstuntersuchung verzichtet werden. Die Bestimmung von Thyreoglobulin und Calcitonin ist bei der Grundabklärung ebenfalls nicht zu empfehlen - beide Parameter sind jedoch exzellente Tumorverlaufsmarker beim papillären bzw. medullären Schilddrüsenkarzinom. Die bildgebende Untersuchung der 1. Wahl ist die Schilddrüsen-Sonographie. Mit ihr wird die Morphologie des Organs (Lage, Grösse, Parenchymbeschaffenheit) untersucht. Sie liefert wichtige Informationen bezüglich Anzahl, Grösse und eine detaillierte Beschreibung von intraund extrathyreoidalen Läsionen. Es handelt sich dabei um eine einfach durchzuführende, für den Patienten nicht schmerzhafte, kostengünstige 080564_Inhalt.indd 4 23.5.2008 14:52:56 Uhr 3 Untersuchung. Die Resultate sind jedoch eindeutig von der Expertise des Untersuchers abhängig. Die Untersuchung lässt keine Rückschlüsse auf die Schilddrüsenfunktion zu. Die Aussagekraft bezüglich Malignität ist gering. Im Gegensatz dazu liefert die Schilddrüsen-Szintigraphie eine klare Information bezüglich der Funktionalität von Schilddrüsenläsionen. Es kann zwischen destruktiven und hyperaktiven Veränderungen unterschieden werden. Eine Schilddrüsenszintigraphie sollte nur bei klinischen und biochemischen Hinweisen auf eine Hyperthyreose, insbesondere mit der Fragestellung nach uni- oder multifokaler Autonomie veranlasst werden. Die Sensitivität dieser Untersuchung ist schlecht dh. kleine Läsionen (<1cm) werden nicht detektiert, eine Unterscheidung zwischen soliden und zystischen Veränderungen ist nicht möglich. Die Indikation zur Durchführung einer Computertomographie oder Magnetresonanztomographie ist nur gegeben, wenn präoperativ sonographisch die intrathorakale Ausdehnung der Struma nicht schlüssig beurteilt werden konnte. Als weiterer Meilenstein in der Diagnostik von Schilddrüsenknoten gilt die Feinnadelpunktion, sie wird sonographisch gesteuert durchgeführt. Die Untersuchung bedarf einfacher Hilfsmittel wie Plastikspritze, Nadel und Desinfektionsmittel. Sie ist sehr kostengünstig durchführbar. Komplikationen (Blutungen) sind sehr selten. Die Aspirationszytologie liefert aussagekräftige Informationen bezüglich der Malignität bzw. Benignität eines Schilddrüsenbefundes. Durchgeführt von einem versierten Untersucher liefert sie in mindestens 90% der Punktionen eine verwertbare Zytologie: insgesamt ergeben über 70% der Zytologien keinen Hinweis auf Malignität (sog. makrofollikuläre Veränderungen). In bis zu 10% lassen sich ganz klar maligne Aspekte nachweisen, welche eine Operation implizieren; in weiteren 10% findet man verdächtige Zellbilder, sog. follikuläre Neoplasien, die ebenfalls operativ saniert werden sollten – da in bis zu 10% dieser Neoplasien die letztendliche Diagnose follikuläres Karzinom lautet. Diagnostische und therapeutische Empfehlungen Neu diagnostizierte Schilddrüsenknoten (durch Palpation oder inzidentell diagnostiziert im Rahmen einer andersartigen radiologischen Untersuchung) sollen ab einer Grösse von 1,0-1,5cm weiter abgeklärt werden. Nach einer differenzierten Anamneseerhebung und klinischen Untersuchung – insbesondere unter dem Aspekt von möglichen Hin- 080564_Inhalt.indd 5 23.5.2008 14:52:59 Uhr 4 weisen auf Malignitiät wie familiäre Häufung von Schilddrüsenkarzinomen, Bestrahlung des Halses in der Kindheit, rasche Grössenzunahme des Knotens – wird primär der Frage der Schilddrüsenfunktion durch Messung des TSH-Serumpiegels nachgegangen. A) Liegt eine Euthyreose vor (TSH im Normbereich), erfolgt eine Schilddrüsensonographie, welche den Solitärknoten bestätigt oder eine Struma mit mehreren Knoten beschreibt. Mit der anschliessend durchgeführten Feinnadelpunktion des Solitärknotens oder der dominanten Knoten in der Struma wird der Frage bezüglich Malignität bzw. Benignität Rechnung getragen. - Lautet die zytologische Diagnose makrofollikuläres Zellbild, so entspricht dies einem benignen Befund. Es wird eine klinische und allenfalls sonographische Verlaufskontrolle nach 6 Monaten bei dem gleichen Spezialarzt empfohlen, bei stabilen Befunden dann weitere Kontrollen beim Hausarzt in einem Zeitintervall von z.B. 2 Jahren bzw. engmaschiger entsprechend der Klinik. Treten neu Kompressionssymptome auf (u.a. Dysphonie, Dysphagie und Dyspnoe), ist die chirurgische Intervention die Therapie der Wahl. Die Behandlung eines benignen Solitärknoten oder einer benignen Knotenstruma mit Schilddrüsenhormonen ist in Anbetracht der erhöhten kardiovaskulären Morbidität (Myokarddysfunktion, Tachyarrhythmien) und den ungünstigen Einflüssen auf den Knochenmetabolismus (Osteoporose) nicht zu empfehlen. Der volumenvermindernde Effekt ist inkonsistent (20-50%, je nach Studie) und wird nur erreicht bei TSH-Werten < 0.1mU/l, was meist mit einer floriden Hyperthyreose einhergeht. Nach Absetzen der Hormone wird eine erneute Grössenprogredienz beobachtet. - Lautet die Diagnose Schilddrüsenkarzinom, so ist die Operation indiziert; liegt eine follikuläre Neoplasie vor, wird eine Operation empfohlen, da diese in bis zu 10% maligne sein können. - Ist das durch die Feinnadelpunktion gewonnene Material nicht repräsentativ bzw nicht konklusiv zu beurteilen, muss die Feinnadelpunktion wiederholt werden, bis dass schlüssige Resultate vorliegen. Bei zystischen Läsionen bzw. gemischt solid/zystischen Formationen ist darauf zu achten, dass nicht nur die Zystenflüssigkeit sondern auch die soliden Strukturen innerhalb der Zyste bzw. an der Zystenwand gezielt punktiert und zytologisch aussagekräftig beurteilt werden. Bei suspekter Zytologie ist die Operation die Therapie der Wahl. B) Finden wir laborchemisch ein TSH < 0.6 mU/l vor, erfolgt eine Schilddrüsenszintigraphie mit der Frage nach autonomen bzw. dekompensierten Knoten, die dann – je nach Beschwerdebild und 080564_Inhalt.indd 6 23.5.2008 14:53:02 Uhr 5 Grössenausdehnung - mittels Radiojodtherapie (Grössenreduktion um 40-60 %) oder operativ therapiert werden. Eine Feinnadelpunktion szintigraphisch speichernder Areale im Sinne einer Hyperthyreose sollte aufgrund der meist nur schwer interpretierbaren Zytologie (follikuläre Neoplasie) vermieden werden. Im Übrigen ist die Prävalenz eine Karzinoms in diesen autonomen Arealen vernachlässigbar gering. Liegt ein sogenannter „kalter Knoten“ vor, so sollte eine schlüssige Zytologie gewonnen werden. C) Ist das TSH > 4.0 mU/l ergibt sich der Verdacht auf eine autoimmune Schilddrüsenerkrankung; ergänzend können die AutoAntikörper Anti-TPO und Anti-TG durchgeführt werden. Die Grunderkrankung sollte hier primär therapiert werden. Sind palpatorisch und dann sonographisch bestätigt Knoten darstellbar, ist die Feinnadelpunktion zu empfehlen. Prinzipiell wird empfohlen: Schilddrüsenknoten <1cm sollen bei nicht suspekter Anamnese weder sonographisch verlaufskontrolliert noch punktiert werden. Schilddrüsenknoten >4cm werden meistens direkt dem Chirurgen zur Operation zugewiesen werden. Eine Feinnadelpunktion mit der Frage nach Malignität gleicht hier „der Suche nach der Nadel im Heuhaufen“. Die Gefahr des „sampling errors“ dh des falsch negativen zytologischen Befundes ist bei diesem Knotenvolumen zu gross. Literaturempfehlung 1. Meier CA: Thyroid nodules: pathogenesis, diagnosis and treatment. Baillieres Clin Endocrinol Metab 2000; 14: 411 – 426 2. Burger G.A.: Schilddrüsenknoten und Knotenstruma. Schweiz Med Forum 2002; 44: 1039 - 1043 3. Hegedüs L., Bonnema S.J. et al.: Management of simple nodular goiter: current status and future perspectives. Endocrine Reviews 2004; 24 (1) : 102 – 132 4. AACE/AME Guidelines : Medical guidelines for clinical practise for the diagnosis and management of thyroid nodules. Endocrine Practice 2006; 12 (1): 64 - 102 080564_Inhalt.indd 7 23.5.2008 14:53:04 Uhr 6 Interpretation der Feinnadelpunktion in der Schilddrüsendiagnostik: ist ein Karzinom ein Karzinom ein Karzinom ? 1. Einführung Die Feinnadelpunktion der Schilddrüse ist im Rahmen der Bausteindiagnostik (Anamnese, Klinik, Laborparameter, Bildgebung, Szintigraphie und Morphologie) eine effiziente Methode zur Abklärung diffuser oder fokaler pathologischer Veränderungen mit besonderer Berücksichtigung entzündlicher und tumoraler Entitäten. 2. Feinnadelpunktionstechnik Mit der Feinnadelpunktion kann rasch und einfach Zellmaterial gewonnen werden, am besten unterstützt durch die Ultraschall-gezielte Punktion. Es handelt sich in der Regel um eine risikoarme und wenig belastende, kostengünstige Untersuchung. Die zytologische Diagnosestellung kann bei Bedarf mittels Schnelluntersuchung sofort oder innert Stunden gleichentags mitgeteilt werden. Als sehr seltene mögliche Komplikationen gilt es lokale Blutergüsse, Infektionen und vagovasale Reaktion zu erwähnen. Wie bei allen angewandten Techniken gilt auch hier, dass die/der Erfahrene eindeutig bessere Punktionsresultate erzielt als die/der Unerfahrene, welcher die Feinnadelpunktion nur gelegentlich durchführt. Die adäquate Anwendung der Feinnadelpunktionstechnik ist die unerlässliche Basis für eine aussagekräftige Zytodiagnostik. 2.1. Qualitative Anforderungen an das Punktat zellreich – mindestens 6 Verbände von Schilddrüsenzellen mit 15-20 Zellen pro Verband – Ausnahmen vorbehalten wie z.B. Kolloid- und Blutungszysten dünn ausgestrichen (leicht hämorrhagischer Hintergrund unproblematisch) gut fixiert 080564_Inhalt.indd 8 23.5.2008 14:53:06 Uhr 7 2.2. Feinnadelpunktionstechnik Punktionsmaterial 10 ml Einwegspritze mit Spritzenhalter und Nadeln Objektträger 080564_Inhalt.indd 9 23.5.2008 14:53:11 Uhr 8 Punktionstechnik Ultraschall-gezielte, fächerförmige Punktion des Befundes (Sog dosieren) Spritzeninhalt mit aufgesetzter Nadel in Form von 3-5 mm messenden Tropfen auf die Objektträger geben (Ausnahme: Flüssigkeiten nicht ausstreichen, sondern nativ einsenden) 080564_Inhalt.indd 10 23.5.2008 14:53:14 Uhr 9 Ausstrichtechnik (quer oder längs) Variante 1: Aspirat mit zweitem Objektträger quer dünn ausstreichen Variante 2: Aspirat mit zweitem Objektträger längs dünn ausstreichen 080564_Inhalt.indd 11 23.5.2008 14:53:20 Uhr 10 Fixation und Trocknung Objektträger innert 3 Sekunden mittels 96% Alkohol oder Spray fixieren Objektträger gut trocknen lassen und bruchsicher versenden 080564_Inhalt.indd 12 23.5.2008 14:53:24 Uhr 11 2.3. Fehlerquellen der Feinnadelpunktionstechnik 2.3.1. Fehlerquelle 1: zu dicke Nadel ergibt oft nur Blut mit wenig Zellmaterial oder dann grosse, schlecht fokussierbare Mikrohistofragmente ! 2.3.2. Fehlerquelle 2: zu wenig ausgedehnte FNP wenig oder kaum Zellmaterial nachzuweisen ! 2.3.3. Fehlerquelle 3: Herausziehen der Spritze mit Nadel unter Sog das Material wird in den Spritzenkolben aspiriert (dann Material mit Cytobrush-Bürse aus dem Kolben „abholen“!) 2.3.4. Fehlerquelle 4: zu viele Ausstriche Ausstriche zu dünn mit meist degeneriertem und zerstrichenem Material (nicht verlässlich beurteilbar) ! 2.3.5. Fehlerquelle 5: zu späte Fixation vollständig degenerierte Zellen (nicht verlässlich beurteilbar) ! 3. Diagnostische Zytopathologie der Schilddrüse 3.1. Struma nodosa colloides hohe diagnostische Treffsicherheit Amerkung: - Spreu vom Weizen trennen - Ausschluss der Malignität - (inzidentelles Mikrokarzinom schwierig oder kaum erfassbar) 3.2. hyperplastisch-adenomatoider Schilddrüsenknoten relativ hohe diagnostische Treffsicherheit Anmerkung: – bei mikrofollikulären und kolloidarmen Läsionen mit Kernunruhe ist die Abgrenzung gegenüber einer Neoplasie der Schilddrüse schwierig 080564_Inhalt.indd 13 23.5.2008 14:53:28 Uhr 12 3.3. Thyreoiditis 3.3.1. eitrige Thyreoiditis hohe diagnostische Treffsicherheit: – Primärdiagnose – Mikrobiologie Anmerkung: – Rarität – Immunsuppression – postinterventionell – septikopyämisch – posttraumatisch 3.3.2. granulomatöse Thyreoiditis de Quervain hohe diagnostische Treffsicherheit im floriden Stadium Anmerkung: – wenig Material bei regressiv-fibrosierenden Formen – manchmal nur fokal (Detektion: Ultraschall) – Rarität: spezifischer Infekt (Tbc/Pilze) und Sarkoidose 3.3.3. Palpationsthyreoiditis Diagnose praktisch nur zusammen mit der Anamnese möglich („übermässige Palpation“ DD: posttraumatisch) Anmerkung: – Abgrenzung gegenüber granulomatöser Thyreoiditis de Quervain, spezifischen Infekten und Sarkoidose 3.3.4. Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto) hohe diagnostische Treffsicherheit im floriden Stadium Anmerkung: – Abgrenzung gegenüber unspezifischer Entzündung bei Knotenbildung – falsch-positive Diagnose einer Schilddrüsenneoplasie: Option Zytometrie – in umschriebenen proliferativen nodalen Läsionen manchmal keine Entzündung nachweisbar – Abgrenzung gegenüber MALT-Lymphom (Rarität) schwierig 3.3.5. postpartale Thyreoiditis diagnostische Treffsicherheit im floriden Stadium nur zusammen mit der Klinik (SS/post partum) gegeben Anmerkung: – Abgrenzung gegenüber klassischer Immunthyreoiditis allein morphologisch unmöglich 080564_Inhalt.indd 14 23.5.2008 14:53:32 Uhr 13 3.3.6. Struma Riedel Diagnose meist nur zusammen mit der Klinik und konsekutiv erzwungener Histologie möglich Anmerkung: – Rarität – FNP vielfach zellarm oder zellfrei bei Fibrose – cave: falsch-positiver Befund eines anaplastisches Karzinoms (wegen schwer atypischer reaktiver Spindelzellen) 3.4. Morbus Basedow diagnostisch schwierig Anmerkung: – falsch-positive Diagnosen (Atypie/Malignität) – Option: Zytometrie 3.5. Neoplasien 3.5.1 papilläres Karzinom hohe diagnostische Treffsicherheit seltene Fallgruben: – DD: benigne Makropapillen – DD: Morbus Basedow – DD: follikuläre Varianten 3.5.2. medulläres Karzinom hohe diagnostische Treffsicherheit bei klassischem Bild Anmerkung: – Entität wird nicht zwingend erkannt bei z.B. follikulären oder papillären Varianten 3.5.3. anaplastisches Karzinom hohe diagnostische Treffsicherheit Anmerkung: – DD: anaplastische Metastase – Fehlinterpretation bei sarkomatöser Differenzierung (z.B. MFH-like) – DD: Immunthyreoiditis mit reaktiven „anaplastischen“ Atypien 080564_Inhalt.indd 15 23.5.2008 14:53:34 Uhr 14 3.5.4. follikuläre Proliferation mit Atypien („follikuläre Neoplasie“) „Spreu vom Weizen“ trennen (Screening Tool) Anmerkung: – hyperplastisch-adenomatoider Knoten versus Adenom versus follikuläres Karzinom zytologisch bei atypischem Zellbild nicht auseinanderzuhalten – Auflösung der Differentialdiagnose praktisch nur durch operatives Vorgehen mit histologischer Untersuchung möglich: Ausschluss oder Nachweis von Kapseldurchbrüchen oder Gefässeinbrüchen – Option: Zytometrie und/oder Immunzytochemie zur optimierten Dignitätseinschätzung (Fall-abhängige Indikation) Karzinom ja/nein ? Molekulare Pathologie zur Dignitätseinschätzung: – P53 – RET Onkogen – Telomerase – Galectin-3 – Matrix Metal Protease (MM23) Problem: bisher nur ansatzweise befriedigende Umsetzung für die Routinediagnostik 3.5.5. Malignes Lymphom hohe diagnostische Treffsicherheit bei grosszelligen Lymphomen: – auf dem Boden einer Immunthyreoiditis – bei thyreoidaler Beteiligung eines generalisierten Lymphoms Anmerkung: – Rarität MALT-Lymphom schwierig gegen floride Immunthyreoiditis abzugrenzen 080564_Inhalt.indd 16 23.5.2008 14:53:37 Uhr 15 3.5.6. Metastasen hohe diagnostische Treffsicherheit (in Kombination mit Immunzytochemie) Anmerkung: – DD: papilläre Adenokarzinome anderen Ursprungs (Immunzytochemie) – DD: anaplastische Metastasen 3.6. Therapie-induzierte Veränderungen diagnostisch sehr schwierig: – Radiojod-Therapie – Thyreostatika-Therapie – Strahlentherapie Anmerkung: – cave: falsch-positive Diagnose (Atypie/Malignität) 3.7. zytologische Spezialuntersuchungen 3.7.1. Zytometrie (DNS-Analyse) Die Zytometrie ist eine hilfreiche Zusatzuntersuchung zur Identifikation potentiell maligner Neoplasien bei unklarem, respektive atypischem Zellbild unterstützt die therapeutische bzw. operative Entscheidungsfindung bei morphologisch unklarem, respektive atypischem Zellbild DNS-Analyse mit Bestimmung des Ploidie-Status: – Diploidie – Polyploidie – Triploidie/Tetraploidie / Aneuploidie tetraploide und aneuploide Zellpopulationen repräsentieren in 50 - 70% histologisch maligne Neoplasien unter Einschluss sogenannter atypischer Adenome rein polyploide Zellpopulationen repräsentieren meist reaktive Veränderungen (z.B. Immunthyreoiditis) Prognoseeinschätzung bei Malignomen: – Diploidie: prognostisch günstig – Aneuploidie: prognostisch ungünstig 3.7.2. Immunzytochemie Zusatzuntersuchung bei Läsionen mit Atypien zur Dignitätseinschätzung: 080564_Inhalt.indd 17 – HBME-1 (Human Bone Marrow Endothelial Cell-1) – Galectin-3 (endogenes Lektin) 23.5.2008 14:53:39 Uhr 16 HBME-1: – wird in follikulären und papillären Karzinomen exprimiert Problem: falsch-positive Ergebnisse in 30% der Fälle Galectin-3: – hohe Expression bei papillären Karzinomen – heterogene Expression in follikulären Karzinomen Problem: falsch-negative Ergebnisse für follikuläre Karzinome (15-40%) 4. Stärken der Feinnadelpunktionsdiagnostik Entzündungen – – Thyreoiditis de Quervain Autoimmunthyreoditis (Hashimoto) Neoplasien – Ausschluss der Malignität in > 90% der zytologisch nicht atypischen Knoten Tumortypisierung: – papilläres Karzinom – (medulläres Karzinom) – anaplastisches Karzinom – Metastasenabklärung 5. Grenzen der Feinnadelpunktionsdiagnostik funktionelle Veränderungen (Ueber- oder Unterfunktion; M.Basedow) (hochdifferenzierte papilläre Karzinome) follikulär oder papillär gewachsene medulläre Karzinome follikulärer hyperplastisch-adenomatoider Strumaknoten/follikuläres Adenom mit reaktiven Zellatypien versus Karzinom (zytologisch follikuläre Proliferation mit Atypien, sive “follikuläre Neoplasie”): Auflösung der Differentialdiagnose praktisch nur durch operatives Vorgehen mit histologischer Untersuchung möglich Zytometrie (und Immunzytochemie) als Option zur verbesserten Dignitätseinschätzung 080564_Inhalt.indd 18 23.5.2008 14:53:42 Uhr 17 6. Literatur/Quellenangabe American Association of Clinical Endocrinologists and Associazione Endocrinologici Medici: Medical guidelines for clinical practice for the diagnosis and management of thyroid nodules, Endocrine Practice 2006, Vol. 12 January/February (pdf Internet) Saskia Albrecht und Alfred Böcking: Treffsicherheit der Feinnadelaspirationsbiopsie der Schilddrüse für die Diagnose von Schilddrüsentumoren, Dissertation, Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf, 2004 (pdf Internet) Mary C. Frates et al.: Management of thyroid nodules detected US: Society of radiologists in Ultrasound Consensus Cenference Statement, Radiology 2005; 237: 794-800 Claude Gerber: Zytologie: Zytodiagnostik der Schilddrüse – neue Erkenntnisse aus alten Nadeln, Schweiz Med Forum 2004;4:1313-1314 Heitham Gheriani: Update on epidemiology classification, and management of thyroid cancer, Lybian J Med 2006: AOP:060514 (pdf Internet) Svante R. Orell et al.: Punktionszytologie, Handbuch und Atlas, Georg Thieme Verlag, 1999 Jean-Claude Pache et Massimo Bongiovanni: Cytologie Thyroidienne, Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Zytologie, Kongressbeitrag, 2006 Quiwei Ren et al.: Review on thyroid carcinoma of molecular pathology, Life Science Journal 2007, Vol. 4, No.2: 33-36 Peter Spieler: Klinische Zytologie: eine universelle Diagnosemethode von der Morphologie bis zur Genanalyse, Schweiz Med For 2002, 51/52: 1242 Peter Spieler: Die Feinnadelpunktion – ein Ueberblick, Schweiz Med Forum 2005; 5: 1171-1181 Lester D.R. Thompson, Endocrine Pathology, A Volume in the Series Foundations in Diagnostic Pathology, Churchill Livingstone, 2006: 1-144 Ivo Tosoni und Peter Spieler: Ultraschall und Zytologie: Ultraschall-gezielte Feinnadelpunktion, Praxis 2001, 90: 678-680 Michael Wannenmacher et. al.: Das Schilddrüsenkarzinom: Empfehlungen für eine standardisierte Diagnostik, Therapie und Nachsorge, Schriftenreihe des Tumorzentrums Heidelberg/Mannheim, 2003 (pdf Internet) 080564_Inhalt.indd 19 23.5.2008 14:53:44 Uhr 18 Schilddrüsenoperationen – welche wann ? Resektionsausmass bei gutartiger Struma Th. Clerici, Chirurgische Endokrinologie, Klinik für Chirurgie, Kantonsspital St. Gallen 1. Einleitung Nachdem über Jahrzehnte die subtotale Thyreoidektomie „unter Belassung eines dattelgrossen Lappenrest“ beidseits bei gutartigen Strumaformen als der Operationsstandard galt, ist nun unter angelsächsischem Einfluss auch in unsren Breitengraden die Qualität dieser Operation zunehmend in Frage gestellt. Der Ruf nach radikaleren Resektionsformen fordert von Chirurgen weiter reichende Kenntnisse und Erfahrung als die bislang üblichen subtotalen Resektionsformen. Diese Tatsache wiederum führt zu standespolitischen Diskussionen darüber, wer diese bisher als allgemeinchirurgische Standardoperation geltende Intervention durchführen soll bzw. durchführen darf. Operationstaktisch gilt es grundlegend zwischen nodösen (ungeachtet einer vorliegenden funktionalen Autonomie) und diffusen Strumen zu unterscheiden. 2. Resektionsausmass bei nodösen Strumen In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die Schilddrüsenresektionen bei gutartigen Affektionen eine Letalität von nahezu 40%. Durch Theodor Kocher (1841 – 1917) wurde diese massiv gesenkt. Nachdem er im Jahre 1882 rund 60% aller Patienten mittels einer totalen (radikalen) Thyreoidektomie erfolgreich therapiert hatte, propagierte er dieses Resektionsausmass als Standard, „da diese weniger blutig verlaufe und zudem sicher vor dem Rezidiv schütze, was insbesondere in manch schwerem Fall vorzuziehen sei“1. Wenig später musste Kocher erkennen, dass die radikale Thyreoidektomie insbesondre bei Jugendlichen zu einem Defizitsyndrom mit geistiger Retardierung und Minderwuchs führte, welches er ‚Cachexia strumipriva‘ nannte. In der Folge verurteilte er die von ihm empfohlene radikale Thyreoidektomie als „leichtsinnig“ sowie eine „Versündigung gegen die Interessen des Patienten“. Kocher hatte hinsichtlich der zu operierenden Pathologie sowie der Rezidivproblematik visionär das richtige Resektionsausmass ange- 080564_Inhalt.indd 20 strebt - er war aber an der Tatsache gescheitert, dass zu jenem Zeitpunkt die Funktion der Schilddrüse und damit auch Thyroxin, welches zur Substitution gebraucht worden wäre, nicht bekannt war. In der Folge wurde weitläufig die von Mikulicz (1850 – 1905) beschriebene Resektion unter Belassung von dorsalen Resten beidseits zur Verhinderung der ‚Cachexia strumipriva‘ durchgeführt, wobei Mikulicz bereits selber auf die Problematik der dadurch verursachten StrumaRezidive hinwies. Beobachtungsstudien zeigen, dass in der Tat nach subtotalen Resektionen in 10-40% aller operierten Patienten reoperationspflichtige Rezidive entstehen2-4. Die Ursache dafür liegt in der zu Grunde liegenden „Panthyreopathie“5-7 und der Tatsache, dass im belassenen Restgewebe praktisch immer pathologische Knoten belassen werden. Rezidiveingriffe haben wiederum im Vergleich zur Erstintervention erwartungsgemäss eine deutlich höhere Morbidität. Aus deutschen Multizenterstudien wissen wir, dass sich die Rate an Rekurrensparesen um einen Faktor 6 (0.6% auf 3.6%) und die Rate an Patienten mit definitivem Hypoparathyreoidismus um einen Faktor 3 erhöht (1.1% auf 3.4%)8,9. Im Jahre 1987 schlug T. Reeve, nachdem er ebenfalls wie fast 100 Jahre zuvor Kocher 60% aller Patienten mit einer radikalen Thyreoidektomie behandelt hatte, die totale Thyreoidektomie als Standardoperation für die gutartige Struma vor10. In seiner Hand hatte die totale Thyreoidektomie im Vergleich zu den subtotalen Resektionsformen keine höhere Morbidität hinsichtlich Rekurrensparese und Hypoparathyreoidismus. Natürlich hatte Reeve im Gegensatz zu Kocher den Vorteil, dass die Schilddrüsensubstitution mittels Thyroxin kein Problem mehr darstellte. Nachdem auch andere Autoren (spezialisierte endokrine Chirurgen) bestätigten, dass in geübter Hand radikale Resektionen morbiditätsarm durchgeführt werden können, fand diese Resektionsformen vor allem in angelsächsischen Ländern zunehmend Verbreitung. Die Argumente der Protagonisten sind folgende: 23.5.2008 14:53:46 Uhr 19 30. Winterthurer Fortbildungskurs x Berücksichtigung der Pathogenese im Resektionsausmass (autonome „Panthyreopathie“) x im Vergleich zu subtotalen Resektionen nicht erhöhte Morbidität x sichere Verhinderung von Rezidiveingriffen Zweifelsohne scheint die radikale Thyreoidektomie für die zugrundliegende Pathologie als therapeutisches Konzept kohärent und richtig zu sein. Es stellt sich nun die Frage, ob dieses therapeutische Konzept auch in der Breite als Therapieoption der Wahl Gültigkeit haben soll. Entscheidend dazu ist die Frage, ob NichtSpezialisten ebenfalls in der Lage sind, die radikalere Form der Resektion morbiditätsarm durchzuführen. Falls dies nicht der Fall wäre, würde man den Vorteil der Rezidivfreiheit mit dem Nachteil einer erhöhten Morbidität der Erstintervention erkaufen, was nicht statthaft wäre. Ob dem so ist, lässt sich auf Grund von deutschen Multizenterstudien unter Berücksichtigung von peripheren ‚Versorgungskrankenhäusern‘ ergründen5,11,12. Auf Grund dieser Daten kann man den Schluss ziehen, dass beim Postulat ‘Struma = totale Thyreoidektomie‘ bei funktional autonomer oder euthyreoter Knotenstruma voraussichtlich die Rate von Patienten, welche eine Rekurrensparese erleiden würden von 0.8% auf 2.3% steigen würde. Eindrücklicher ist die Situation hinsichtlich des Hypoparathyreoidismus: hier würde das erwähnte Postulat eine Erhöhung der Komplikationsrate von 0.9% auf 10.5% bedeuten. Gerade diese Komplikation wird m.E. hinsichtlich Bedeutung für die Lebensqualität des Betroffenen sowie den Folgekosten für das Gesundheitswesen stets massiv unterschätzt. Die Datenlage zeigt also, dass die radikale Thyreoidektomie für die Behandlung der Knotenstruma das wohl richtige Therapiekonzept darstellt; dieses Konzept lässt sich jedoch beim gegenwärtigen Ausbildungstand der die Schilddrüsenchirurgie praktizierenden Chirurgen nicht als Therapie der Wahl propagieren. Dieses Dilemma zwischen Rezidivträchtigkeit und Komplikationsrisiko liesse sich nur durch eine Verbesserung der chirurgischen Leistungsfähigkeit lösen. Pragmatisch gesehen hiesse dies eine verbesserte Ausbildung der Allgemein- und Viszeralchirurgen in endokriner Chirurgie oder eine Subspezialisierung eines Teils der Chirurgen in endokriner Chirurgie. Diese Diskussion ist Gegen-stand standespolitischer Auseinandersetzungen in chi- 080564_Inhalt.indd 21 Resektionsausmass benigne Struma rurgischen Gesellschaften auf nationaler wie auch internationaler Ebene13. 3. Resektionsausmass bei diffusen Strumen Etwas anders gelagert ist die Situation bei diffusen Strumen, welcher einer chirurgischen Behandlung bedürfen. Hier liegt die Rezidivproblematik weniger in Form des morphologischen Strumarezidivs sondern viel mehr in der Möglichkeit funktionaler Persistenzen oder Rezidive. Denn der Mehrheit dieser Strumen liegen Erkrankungen zu Grunde, welche zu einer funktionalen Autonomie führen: x Autoimmunhyperthyreose (M. Basedow) x Amiodaroninduzierte Hyperthyreose x Diffuse Schilddrüsenautonomie Diese Indikationen machen in einem chirurgischen Krankengut approximativ 65% aller Operationen bei funktional autonomer Struma aus. Primär werden selbstverständlich die Erkrankungen konservativ symptomatisch mittels thyreostatischer Pharmaka angegangen. Vor der Indikationsstellung zu einer chirurgischen Form der Ablation erfolgt der grundsätzliche Entscheid, ob chirurgisch vorgegangen werden soll oder ob alternativ einer Radiojodablation der Vorzug gegeben werden soll. Dieser Entscheid ist unter anderem auch abhängig davon, wie die nationalen Traditionen diesbezüglich liegen und wie streng die Strahlenschutzauflagen zur Anwendung von Radiojod sind. Grundsätzlich lassen sich beide Methoden für die Behandlung autonomer diffuser Strumen einsetzen. Der chirurgischen Option ist immer dann den Vorzug zu geben, wenn x ein schneller definitiver Wirkungseintritt erwünscht ist x eine relevante Volumenreduktion der Schilddrüse notwendig ist x begleitende Schilddrüsenpathologie histologisch geklärt oder behandelt sein muss14. Folgende Indikationen stellen eine primäre Indikation zur chirurgischen Form der Ablation dar: x Schwierig einzustellende Hyperthyreose x Grosse Struma x Malignitätsverdacht x Schwangerschaft x Stillzeit x Zustand noch Jodexposition (Kontrastmittel, Cordarone®) x Endokrine Orbitopathie. 23.5.2008 14:53:50 Uhr 20 30. Winterthurer Fortbildungskurs Sowohl bei der nuklearmedizinischen wie auch chirurgischen Form der Ablation wird prätherapeutisch mittels Thyreostatika eine Euthyreose angestrebt. Im Falle des M. Basedow erfolgt üblicherweise während einem Jahr ein konservativer Therapieversuch mit konsekutivem Absetzten der thyreostatischen Medikation. Die Indikation zu einer definitiven ablativen Behandlung erfolgt meistens erst nach Eintreten des ersten Hyperthyreoserezdivs. Bei der Festlegung des chirurgischen Resektionsausmasses ist die Verhinderung einer funktionalen Persistenz oder eines funktionalen Rezidivs das prioritäre Ziel. Auf Grund von in den 80er Jahren durchgeführten Studien weiss man, dass zur Erreichung einer Rezidivfreiheit maximal 4-5g Gewebe belassen werden sollten (1g ~ 1ml)15,16. Zur Vermeidung von bilateralen Rezidiveingriffen mit entsprechend erhöhter Morbidität soll das verbleibende Gewebe ausschliesslich auf einer Seite belassen werden. Als Konzession für die erreichte Rezidivfreiheit nimmt man in Kauf, dass der Patient Schilddrüsenhormonersatzpflichtig wird. Auch bei der nuklearmedizinischen Ablationsform stellt die substitutionspflichtige Hypothyreose das Behandlungsziel dar. In der chirurgischen Terminologie wird die beschriebene Operation mit vollständiger unilateraler Resektion mit Belassen von ~4g Gewebe auf der kontralateralen Seite eine ‚HartleyDunhill’sche Resektion‘ genannt. Bei Vorliegen einer endokrinen Orbitopathie besteht Konsens darin, dass eine chirurgische Resektion erfolgen soll, da die Verlaufsresultate hinsichtlich der Orbitopathie besser sind als bei der Verwendung von Radiojod. Resektionsausmass benigne Struma Chirurgenseite würde lediglich die Verbesserung der Ausbildung in endokriner Chirurgie oder die Subspezialisierung in endokriner Chirurgie dazu die Voraussetzungen schaffen. 4. Zusammenfassung: Moderne Tendenzen in der Chirurgie der Schilddrüse zeigen auch bei der Behandlung gutartiger Affektionen eine Zunahme von vollständigen (oder fast-vollständigen) Resektionen. Diese vollständigen Resektionen werden der zugrunde liegenden Pathologie, welche bei belassenem Schilddrüsengewebe zur Entwicklung von Strumarezidiven führt, gerecht. Auf Grund der Tatsache, dass eine generelle Empfehlung zur totalen Thyreoidektomie landläufig zu einer relevanten Erhöhung der operativen Morbidität (insbesondere des Hypoparathyreoidismus) führen würde, ist die Forderung, dass die totale Thyreoidektomie zur Behandlung gutartiger Schilddrüsenaffektionen die Therapie der Wahl darstelle, (noch) nicht statthaft. Von 080564_Inhalt.indd 22 23.5.2008 14:53:53 Uhr 21 30. Winterthurer Fortbildungskurs Resektionsausmass benigne Struma 5. Literatur 1. Kocher,Th. Ueber die Kropfexstirpation und ihre Folgen. Archiv für Klinische Chirurgie 29, (1883). 2. Pappalardo,G., Guadalaxara,A., Frattaroli,F.M., Illomei,G. & Falaschi,P. Total compared with subtotal thyroidectomy in benign nodular disease: personal series and review of published reports. Eur. J Surg 164, 501506 (1998). 3. Rojdmark,J. & Jarhult,J. High long term recurrence rate after subtotal thyroidectomy for nodular goitre. Eur. J Surg 161, 725-727 (1995). 4. 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Weltweit wurde über eine Zunahme der Inzidenz des papillären Schilddrüsenkarzinoms berichtet, wobei insbesondere die Änderungen der histologischen Kriterien, sowie die häufigere Verwendung von Ultraschalluntersuchungen der Schilddrüse und des Halses tragen wesentlich zum Anstieg der Inzidenz bei [2]. Die Prognose nach totaler Thyroidektomie ist beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom nach adäquater Primärtherapie ausgezeichnet [3]; so liegt beim papillären Schilddrüsenkarzinom die 10-Jahresüberlebensrate bei 97% (allerdings mit bis zu 20% Lokal- und Lymphknotenrezidiven) und beim follikulären bei 75% [4]. Die Aggressivität des chirurgischen Vorgehens sowie die Nachbehandlung müssen demzufolge dem Risiko angepasst werden. Patienten mit sehr niedrigem Risiko: Unifokale differenzierte Karzinome 1cm N0 M0 Patienten mit niedrigem Risiko: T 1-2 cm N0 M0 T2 N0 M0 Patienten mit hohem Risiko: Alle T3 und T4 Alle T N1 M1 Untersuchungen bei Verdacht auf Schilddrüsenkarzinom Als erste Untersuchung beim Befund eines Schilddrüsenknotens wird ein TSH Spiegel bestimmt. Falls dieser erhöht oder erniedrigt ist, sollte ein FT4 Wert bestimmt werden. Die Sonographie der Schilddrüse ist die Methode der Wahl für die Diagnose von Schilddrüsenknoten, deren genaue Lokalisation, die Messung der Knotengrösse und die sonographisch gesteuerte Feinnadelpunktion (FNP). Obwohl sonographischen Zeichen, die für eine Malignität des Knotens sprechen, beschrieben wurden (Mikrokalzifikationen, Hypoechogenizität und/oder unregelmässige Begrenzungen oder ein solider Knoten ohne hypoechogenen Randsaum (sogenanntes „Halo“), Blutflussmuster im Farbdoppler), sind diese unzuverlässig und erlauben keine sichere Diagnose der Dignität [8], [9]. Feinnadelpunktiert werden alle Knoten über 1-1.5 cm Durchmesser (oder unter 1 cm bei Risikokonstellation). Bei der Struma multinodosa werden die grössten 2-3 Knoten, oder diejenigen, deren sonographische Erscheinung verdächtig erscheint, feinnadelpunktiert. Die FNP ist die beste diagnostische Untersuchung der 080564_Inhalt.indd 24 23.5.2008 14:53:58 Uhr 23 Schilddrüsenknoten. Sie ist sowohl bei solitären Knoten, wie auch bei der Struma multidonodosa die Untersuchung der Wahl. Die zytologische Untersuchung ergibt die wichtige Unterscheidung einer makrofollikulären (gutartigen) oder einer mikrofollikulären (unsichere Dignität) Läsion und sie erlaubt die Diagnose eines papillären Schilddrüsenkarzinoms. In 10% der Fälle ist sie allerdings nicht diagnostisch, weil zu wenig Material punktiert wurde. Über die Schilddrüsenknoten und deren Abklärung berichtet ausführlich ein früherer Uebersichtsartikel [10,11]. Mit Hilfe der Ultraschalluntersuchung werden etwa so viele Schilddrüsenknoten diagnostiziert, wie bei der Autopsie, d.h. bei >50% der Bevölkerung. Nur ein Zehntel davon wird klinisch je manifest. Die Prävalenz eines Karzinomes in einem Schilddrüsenknoten wird auf etwa 10 – 15% geschätzt, wobei die grosse Mehrzahl papilläre Mikrokarzinome ohne klinische Bedeutung sind. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass mittels der sonographischen Untersuchung Karzinome diagnostiziert werden können, die klinisch nie manifest werden und somit keiner Behandlung bedürften. Therapie des Schilddrüsenkarzinoms Chirurgie Bei der Diagnose eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms sind neben der FNP und einer Halssonographie keine weiteren Untersuchungen indiziert. Nur in Ausnahmesituationen (grosse retrosternale Struma, Verdacht auf Infiltration der Trachea oder des Oesophagus) kann gelegentlich eine zusätzliche MRIUntersuchung zur Operationsplanung sinnvoll sein. Mit Ausnahme des solitären gut differenzierten Mikrokarzinoms (Durchmesser bis 1 cm), bei dem kein Hinweis für Lymphknotenmetastasen besteht und keine frühere Bestrahlung des Halses vorausgegangen ist, ist die totale Thyroidektomie die Therapie der Wahl, wobei diese beim papillären Karzinom risikoabhängig mit einer Lymphknotenresektion im zentralen Kompartiment kombiniert wird. Im Falle von präoperativ nachgewiesenen Lymphknotenmetastasen oder eines intraoperativ verdächtigen Befundes muss eine Lymphadenektomie der befallenen Kompartimente erfolgen [7]. Diese Operation sollte in erfahrenen Zentren durchgeführt werden, um Morbidität und Rezidivrate gering zu halten. Erfahrene Chirurgen operieren mit einem Risiko von 1,6% für persistierende unilaterale Rekurrensparesen und 2-3% für einen persistierenden Hypoparathyreoidismus [6]. Eine Heiserkeit infolge einer passageren Rekurrensschädigung kommt häufiger vor, ist aber meistens innerhalb von 1-6 Monaten regredient. Vorübergehende Hypokalzämien treten in bis zu 1/3 der operierten Patienten auf, die Parathyreoideae erholen sich aber häufig innerhalb von 3 Monaten. Postoperative Radiotherapie (Radiojodablation) Die Radiojodablation wird in speziell ausgerüsteten Zentren durchgeführt mit dem Ziel das verbleibende normale Schilddrüsengewebe, sowie eventuelle mikroskopische Tumorreste mittels 131-Iod zu zerstören. 2-5 Tage nach der Ablation wird eine Ganzkörperszintigraphie (TBS, total body scan) durchgeführt, um mögliche, bisher unerkannte, Tumormetastasen zu erkennen. Ausserdem werden die 080564_Inhalt.indd 25 23.5.2008 14:54:01 Uhr 24 Thyreoglobulinspiegel als wichtiger Verlaufsparameter gemessen. Die Patienten dürfen dazu während mehrere Wochen kein Schilddrüsenhormon eingenommen haben (Ziel: TSH Spiegel > 30 mU/l), dürfen kein Jod erhalten haben (cave: Röntgenkontrastmittel bedingt mindestens 1-2 Monate Wartezeit) und müssen aus rechtlichen Gründen (Strahlenschutz) in speziellen Strahlenschutzzimmern hospitalisiert werden (3-5 Tage). Die Dosis wird je nach Risiko vom Nuklearmediziner festgelegt (i.A. 3700 MBq). Welche Patienten eine Radiojodablation erhalten sollen ist in Tabelle 1 zusammengefasst [13]. Schwangerschaft und Stillzeit sind absolute Kontraindikationen für eine Radiojodbehandlung. Während 12 Monaten nach der Radiojodbehandlung dürfen Frauen zudem nicht schwanger werden. Neuerdings ist es auch möglich die Radiojodablation nach Injektion von rekombinantem TSH durchzuführen, womit ein Absetzen der Schilddrüsenhormone und die z.T. invalidisierenden Symptome der Hypothyreose vermieden werden können. TSH Suppressionstherapie Eine TSH Suppressionstherapie hat folgende Ziele: die Substitution der athyreoten Patienten mit Thyroxin und die Unterdrückung des TSH-abhängigen Wachstums möglicher noch vorhandener Tumorzellen. Bei Patienten, die definitiv geheilt sind (z.B. Mikrokarzinom oder Stadium I), macht die suppressive Therapie keinen Sinn und muss durch eine Schilddrüsenersatztherapie (TSH-Zielwert 0.5-1 mU/L) abgelöst werden. Eine suppressive Therapie wird mit Levothyroxin durchgeführt und hat das Ziel einen TSH Spiegel von 0.1 mU/l (oder gar <0.01 mU/L bei Hochrisikopatienten) mit im hoch-normalen Bereich liegenden FT4 Spiegeln zu erreichen. Nach 3 Monaten sollte eine erste TSH Messung erfolgen. Später werden die TSH Spiegel alle 6-12 Monate kontrolliert. Die Suppressionstherapie ist sicher indiziert bei Patienten mit persistierender Tumoraktivät (radiologisch sichtbar oder bei Thyreoglobulin-positiven Patienten). Bei Patienten mit hohem Risiko, welche eine Remission nach initialer Therapie erreicht haben, wird die Suppressionstherapie für 3-5 Jahre fortgeführt. Bei Patienten mit niedrigem Risiko, bei denen eine Heilung erzielt wurde, ist das Rezidivrisiko gering (< 1%) und die Levothyroxindosis kann angepasst werden, so dass ein TSH Spiegel im unteren Normbereich erzielt wird (0.5 – 1.0 mU/l) [14]. Die wichtigsten Nebenwirkungen einer induzierten subklinischen Hyperthyreose sind kardiale Komplikationen (Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz und erhöhte kardiovaskuläre Mortalität), sowie eine Verminderung der Knochendichte. Deshalb sollte bei älteren Patienten und bei Patienten mit Herzerkrankungen von einer zu aggressiven suppressiven Therapie abgesehen werden. Auch hier gilt es, den Patienten risikogerecht zu behandeln. Andere Therapieformen wie z.B. die externe Radiotherapie oder die Chemotherapie haben keinen Platz in der Therapie des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms, mit Ausnahme von inoperablen und Radiojod-refraktären Tumoren. 080564_Inhalt.indd 26 23.5.2008 14:54:05 Uhr 25 Nachfolgeuntersuchungen Ein europäischer Konsensus für die Therapie und die Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms wurde 2004 erarbeitet und publiziert (Figur, [12]) und beruht im Wesentlichen auf der Messung der Serum Thyreoglobulinspiegel (basal und stimuliert durch TSH), Ultraschall und Radiojodszintigraphie. Neu ist die Verwendung von rhTSH, welches die Stimulation durch endogenes TSH nach 6 wöchigem Entzug von Levothyroxin ersetzt. Diese rhTSH Stimulation erlaubt sowohl eine Messung des Thyreoglobulins (Tg) als auch eine diagnostische Ganzkörperszintigraphie und in Spezialfällen sogar eine Radiojodtherapie [15,16]. Für die betroffenen Patienten ist die Stimulation mit rhTSH deutlich weniger belastend und es entstehen keine Arbeitsausfälle. rhTSH ist allerdings teuer (Thyrogen®, Genzyme, kostet 1680.55 CHF, Stand September 07) und wird in der Schweiz als Pflichtleistung der Krankenkassen für 2 Anwendungen übernommen. Eine Bedingung für die Anwendung von rhTSH ist ein sensitiver Thyreoglobulin Test mit Messung der Wiederfindung (Problem der Testinterferenz mit anti-Thyreoglobulin Antikörpern), damit eine ausreichende Sensibilität und Spezifizität erreicht werden kann. Dieser Test wird nicht in allen Labors standardmässig durchgeführt. Die Sonographie des Halses spielt in der Nachsorge ebenfalls eine wichtige Rolle, da sie in geübten Händen eine hohe Sensibilität für Rezidive, die meist lokal sind (Schilddrüsenloge oder Halslymphknoten), aufweist. Eine FNP muss bei jedem verdächtigen Befund durchführt werden und sollte unter Ultraschallkontrolle erfolgen. Theoretisch sollten die meisten Patienten jährlich bis zweijährlich über lange Zeit (>10 Jahre) nachuntersucht werden. Bei Patienten in hohem Alter oder bei Patienten mit sehr geringem Rezidivrisiko macht dies jedoch keinen Sinn und die Ultraschalluntersuchung kann auch durch eine Palpation abgelöst werden. Therapie und Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms, leicht modifiziert nach dem europäischen Konsensus [9] Legende: Tg: Thyreoglobulin; interner Grenzwert: der Thyreoglobulin Grenzwert sollte institutsintern für jede einzelne Messmethode bestimmt warden. FT3: freies Trijodothyronin, LT4: Levothyroxin rhTSH; rekombinantes humanes TSH Sonographie Hals: jeder auffällige Befund muss mittels einer FNP oder anderer Tests abgeklärt werden. TBS ('total body scan'): Ganzkörperszintigraphie *dieses Intervall hängt vom Tg-Spiegel und klinischen Kontext ab ** gewisse Experten schlagen eine zweite rhTSH-stimulierte Tg-Bestimmung nach spätestens 2 – 5 Jahren vor 080564_Inhalt.indd 27 23.5.2008 14:54:08 Uhr 26 Totale Thyroidektomie und 131-Iod Ablation Evalutation zum Zeitpunkt der Ablation: Posttherapeutische Ganzkörperszintigraphie – Status – Tg: Kein Nachweis der Erkrankung Nachsorge nach 3 Monaten: TSH, Tg, fT3 unter Levothyroxin, Sonographie Hals, Status: Kein Nachweis der Erkrankung Nachsorge nach 6 - 12 Monaten: rhTSH-stimuliertes Tg, Sonographie Hals, Status TBS bei positivem posttherapeutischen Scan Nicht nachweisbares Tg Keine anderen Auffälligkeiten Tg nicht nachweisbar, Nachweisbares Tg und aber < internem Grenzwert andere Auffälligkeiten keine anderen Auffälligkeiten oder Tg > interner Grenzwert LT4 Dosis verringern Wiederholung des rhTSH jährliche Evaluation stimulierten Tg in jährTg unter LT4 ± Sonographie** lichen Intervallen* Tg abnehmend LT4 absetzen; Therapie mit hochdosiertem Radio jod und/oder Chirurgie Post-Therapie TBS Tg stabil oder zunehmend Schlussfolgerungen Das differenzierte Schilddrüsenkarzinom ist ein seltener Tumor mit guter Prognose. Die Palpation und Sonographie mit gesteuerter Feinnadelpunktion stellt meist frühzeitig die Diagnose. Therapie der Wahl beim Karzinom über 1.5 - 2 cm Durchmesser ist die totale Thyroidektomie meist (risikoabhängig) mit anschliessender ablativer Radiojodbehandlung. Die suppressive Levothyroxintherapie spielt insbesondere bei hohen Risiken eine wichtige Rolle, muss aber patientengerecht differenziert angewendet werden. In der Folge kann der Patient meist mittels klinischer Untersuchung, Sonographie des Halses und Messung der Thyreoglobulinspiegel nachkontrolliert werden. In Fällen mit höherem Risiko kommt eine rhTSH stimulierte Thyreoglobulin Messung ggf. mit Ganzkörperszintigraphie in Frage. Allenfalls wird bei sehr hohem Risiko oder bei Metastasen eine weitere Radiojodbehandlung angeschlossen. Die Betreuung und Nachsorge dieser Patienten erfolgt am besten interdiszipliär in spezialisiert organisierten Zentren unter Einbezug von Chirurgen, Nuklearmedizinern, Pathologen und Endokrinologen. 080564_Inhalt.indd 28 23.5.2008 14:54:12 Uhr 27 Referenzen 1. Schweizerisches Krebsregister, Globocan 2002, www.vskr.ch 2. Verkooijen HM, Fioretta G, Pache JC, Francesci S, Raymond L, Schubert H, Bouchardy C. Diagnostic changes as a reason for the increase in papillary thyroid cancer incidence in Geneva, Switzerland. Cancer Causes Control, 2003 Feb;14(1):13-7. 3. Schlumberger MJ. Papillary an follicular thyroid carcinoma. N Engl J Med. 1998;338(5):297-306. 4. Triponez F, Simon S, Robert J, Andereggen E, Ussel M, Bouchardy C et al. Thyroid Cancer: the Geneva experience. Ann Chir. 2001 Dec;126(10):969-76 5. Boice JD, Thyroid disease 60 years after Hiroshima and 20 years after Chernobyl. Jama 2006;295:1011-12. 6. Gemsenjäger E, Heitz PU, Seifert B, Benedict M, Schweizer I. 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Dagegen ist das Screening mittels TSH-Bestimmung zur frühzeitigen Erfassung von Hypothyreosen bei Neugeborenen etabliert und kosteneffizient. Wenn wir sparen wollen, müssen wir überlegen, auf welche Parameter weitgehend verzichtet werden kann. So hat etwa die Bestimmung des fT3 (neben dem fT4) bei der Frage nach Hypothyreose keinen zusätzlichen diagnostischen Stellenwert. Gesamt-T4 und T3, sowie das Thyroxinbindende Globulin (TGB) müssen heute in der Routine nicht mehr bestimmt werden. Das gleiche gilt weitgehend auch für die Anti-Thyreoglobulin-Antikörper, da die Anti-TPO-Antikörper sensitiver und bei Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse nur selten negativ sind. Auch Thyreoglobulin wird zu häufig bestimmt, da es bei zu vielen verschiedensten Schiddrüsenerkrankungen erhöht und deshalb sehr unspezifisch ist. Thyreoglobulin ist eigentlich nur für die Nachkontrolle behandelter Schilddrüsencarcinome relevant um Rezidive zu erfassen. Allenfalls noch – wegen der meist tiefen Thyreoglobulin-Werte - zur Stützung eines Verdachtes auf eine Hyperthyreose factitia. Eine Schilddrüsenszintigraphie (mit 99m Pertechnat) sollte nur erfolgen, wenn dadurch diagnostische oder therapeutische Konsequenzen zu erwarten sind. Gute Indikationen sind Hyperthyreosen, bei denen weder klinisch noch labormässig ein M. Basedow vorliegt und die Diagnose ohne Szintigramm nicht genügend sicher gestellt werden kann, während etwa die Frage ob ein Schilddrüsenknoten maligne oder benigne ist mittels Szintigraphie nicht beantwortet werden kann, dazu braucht es die Zytolgie des (oft mittels Ultraschall) durch eine Punktion gewonnenen Materials aus dem Knoten. Auch bei Hypothyreosen bringt eine Szintigraphie nichts, es sei denn für die Suche einer (extrem seltenen) ektopen Schildrüse oder von Schilddrüsenhormonsynthesestörungen im (Klein-) Kindesalter. Zytologische Untersuchungen sind bei der Frage nach Malignität unerlässlich und müssen manchmal wiederholt veranlasst werden, bei Thyreoitiden sind sie nur ausnahmsweise nötig. Die Evaluation bezüglich Iodmangel braucht es dank der Iodierung des Kochsalzes bei der in der Schweiz lebenden Bevölkerung selten, sie sollte wegen des Aufwandes und der delikaten Interpretation nur unter (vorherigem) Beizug eines Spezialisten erfolgen. Indikationen zur TSH-Bestimmung Da Symptome, die durch eine hypo- oder hyperthyreote Stoffwechsellage verursacht sein könnten so häufig sind, wird - um Kosten zu sparen – zur Bestätigung der Euthyreose häufig primär nur das TSH bestimmt. Doch welche Diagnosen verbergen sich hinter den bei diesem Vorgehen isoliert erhaltenen normalen, erhöhten oder erniedrigten TSH-Werten? Nicht immer, was man primär denken würde, so ist der Reflex normales TSH = Euthyreose fast immer richtig, es sei denn es verberge sich dahinter eine zentrale schwere Hypothyreose .........! Dies verdeutlicht: Bei der Interpretation der zum sparen isoliert angefordeten TSH-Werte ist Aufmerksamkeit gefordert. Die unten zusammengestellten Tabellen zur „ Differentialdiagnose von TSH-Werten“ sollten dabei hilfreich sein. Auf die Angabe von Normalbereichen wird bewusst verzichtet, da diese von Labor zu Labor verschieden sein können. Ist der klinische Verdacht auf eine hypo- oder hyperthyreote Stoffwechsellage stark, können TSH und fT4 schon von Anfang an zusammen bestimmt werden, um diagnostische Irrtümer zu vermeiden. Im folgenden ist mit „unbehandelt“ gemeint, dass die (erwachsenen) Probanden nicht wegen einer Schilddrüsenerkrankung behandelt sind. 080564_Inhalt.indd 30 23.5.2008 14:54:19 Uhr 29 Differentialdiagnosen eines normalen TSH bei unbehandelten Probanden TSH normal: keine weiteren Funktions-Tests, wenn kein Verdacht auf zentrale Hypothyreose besteht - Euthyreose (TSH und fT4 normal) - euthyreote Schilddrüsenknoten (Malignität ausschliessen), euthyreote Strumen - hypophysäre Insuffizienz mit sekundärer Hypothyreose (fT4 erniedrigt). Selten, aber es gibt sie, auf weitere Symptome einer Hypophyseninsuffizienz achten, z.B. Amenorrhoe, Potenz-, Libidoprobleme etc) Merke: bei hypophysärer Hypothyreose liegt das TSH oft im Normbereich, manchmal sogar leicht darüber, oder es ist erniedrigt. Dieser diagnostische Fallstrick muss beherzigt werden, da sonst die Diagnose einer (allerdings seltenen) zentralen Hypothyreose verpasst wird. Für die Diagnose einer zentralen Hypothyreose braucht es deshalb die Bestimmung von fT4. - hypothalamische Störungen mit tertiärer Hypothyreose ( fT4 erniedrigt, sehr selten) - Schilddrüsenhormonresistenz (sehr selten, fT4 und fT3 erhöht) Differentialdiagnosen eines erhöhten TSH bei unbehandelten Patienten TSH erhöht: fT4 für das Ausmass der Hypothyreose bestimmen - Hypothyreosen verschiedenster Aetiologie ( autoimmun, atroph, nach Thyreoidektomie, Radiodbehandlung, schwerer Iodmangel in Gebieten ohne Iodprophylaxe; fT4 erniedrigt, fT3 für Diagnose nicht nötig oder gar irreführend, da fT3 trotz manifester Hypothyreose oft im unteren Normbereich liegt). - subklinische Hypothyreose (fT4 normal). Ev. nur transient! - passagere hypothyreote Stoffwechsellagen im Ablauf von Thyreoiditiden (postpartum, silent, de Quervain) Merke: die erwähnten Thyreoiditiden beginnen (nicht immer) mit einer hyperthyreoten Phase und heilen über eine transiente hypothyreote Phase meist mit einer Euthyreose aus. Es ist wichtig dies zu kennen, da sonst möglicherweise eine lebenslängliche Substitutionstherapie mit T4 erfolgt, die gar nicht nötig wäre! - diskret knapp über der oberen Normgrenze selten auch bei zentraler Hypothyreose möglich - Durch Medikamente induzierte Hypothyreosen (Lithium, Amiodaron u.a.) - Medikamentös induzierte leichte Erhöhung der TSH-Sekretion ohne Hypothyreose - Ausheilung eines euthyroid sick syndroms, Morbus Addison - Schilddrüsenhormonresistenz (sehr selten) - TSH-produzierende Hypophysentumoren mit konsekutiver Hyperthyreose (extrem selten) - Analytische Artefakte Differentialdiagnosen eines erniedrigten TSH bei unbehandelten Patienten TSH erniedrigt: fT4 und fT3 für das Ausmass der Hyperthyreose, aber auch zum Ausschluss einer zentralen Hypothyreose, bezw. zur Bestätigung einer Euthyreose mit tiefem TSH - Hyperthyreosen (Basedow, tox. Adenom, multinoduläre tox. Struma) - passagere hyperthyreote Stoffwechsellage bei Thyreoiditiden (postpartum, silent, de Quervain) Merke: bei diesen Thyreoiditiden ist die Biosynthese der Schilddrüsenhormone nicht erhöht. Thyreostatische Therapien sind deshalb nutzlos. Die Diagnose erfolgt klinisch, anamnestisch, bei postpartum und silent Thyroiditiden passen dazu die meist positiven Anti-TPO-Antikörper oder die stark erhöhte Senkung bei der de Quervain Thyreoiditis, Ultraschall und (nur) wenn nötig szintigraphisch, da die Radionukleotidaufnahme trotz peripherer Hyperthyreose erniedrigt ist. Die TRAK sind negativ. - subklinische Hyperthyreose (fT3 und fT4 im Normbereich). Ev. nur transient! - sehr selten bei „Hashitoxikose“, Schilddrüsencarcinomen und eitriger Thyreoiditis - Hyperthyreose factitia, iatrogen (tiefer oder fehlender uptake in der Szintigraphie!) - Schwangerschaftshyperthyreosen (durch hCG bedingt) - Medikamente, die eine Hyperthyreose induzieren können (Amiodaron, 080564_Inhalt.indd 31 23.5.2008 14:54:23 Uhr 30 Interferone und Interleukine, Iod, iodhaltige Medikamente u.a.) - ohne Hyperthyreose (d.h. Euthyreose) bei älteren Patienten, in der Frühschwangerschaft, bei schweren allg. Erkrankungen, Akromegalie und bei Medikamenten, welche die TSHSekretion inhibieren (Dopamin-Agonisten, Glucocorticoide, u.a.) - hypophysäre oder hypothalamische Hypothyreosen (nur mit fT4 fassbar!!) Merke: Ein tiefes TSH ist nicht pathognomonisch für eine Hyperthyreose und kann selten auch bei gesunden, vor allem älteren Leuten gefunden werden. fT4, fT3 und TSH zur Evaluation bei Verdacht auf Hyperthyreose Ein nicht supprimiertes TSH (Voraussetzung hochsensitive Assay der 3. Generation, wie sie in der Schweiz verwendet werden sollten) schliesst eine Hyperthyrose weitgehend aus, denn die Ausnahmen (TSH normal oder erhöht bei erhöhtem fT4): TSH sezernierendes Hypophysenadenom, Schilddrüsenhormonresistenz, paraneoplastische TRHSekretion sind extrem selten. In diesem Sinne kann mit einer alleinigen TSH-Bestimmung eine hyperthyreote Stoffwechsellage weitgehend ausgeschlossen werden. Häufiger ist ein supprimiertes TSH bei normalem fT4. Hier liegt dann meist eine subklinische Hyperthyreose (TSH suprimiert, sowohl fT4 als auch fT3 im Normbereich) oder eine T3-Toxikose (gemäss Literatur einige bis 10% aller Hyperthyreosen) vor. Hat man also klinisch Verdacht auf eine Hyperthyreose und liegt das fT4 im Normbereich , so muss fT3 nachbestimmt werden, wenn TSH supprimiert ist. Ist das TSH grenzwertig tief und besteht klinisch Verdacht auf eine hyperthyreote Stoffwechsellage sollen fT3 und fT4 sicherheitshalber bestimmt werden. Szintigramm und Radionukleotidaufnahme zur Differentialdiagnose von Hyperthyreosen Eine wertvolle Untersuchung, ausser beim sicheren M. Basedow, wo die Szintigraphie für die Diagnose nicht notwendig ist (Sparpotential). Der Uptake ist erhöht, wenn die Hyperthyreose Folge einer gesteigerten Hormonsynthese ist: wie beim M. Basedow, Toxischen Knoten (uni- oder multinodulär), oder TSH induziert (extrem selten). Der Uptake ist erniedrigt, wenn die Hormonsynthese vermindert ist: de Quervain, silent und postpartum Thyreoiditis (CAVE keine Szinigraphie wenn gestillt wird), factitia oder iatrogen. Bei der sehr seltenen Struma ovarii findet sich die Aktivität im Ovar. Bei der iod-induzierten Hyperthyreose ist der uptake erniedrigt, aber auch erhöht, die Distribution des Nucleotids in der Schilddrüse kann fehlen oder ist heterogen. Sparpotential: Auch für die Differentialdiagnose der Nicht-Basedow-Hyperthreosen braucht es nicht immer eine Szinigraphie, so zum Beispiel, wenn klinisch eine De Quervain-Thyreoiditis vermutet, die Schilddrüse stark schmerzhaft, die Senkung sehr hoch ist und im Ultraschall das typische Muster gefunden wird. Untersuchungen mit Radioiod werden praktisch nur noch im Zusammenhang mit Therapien für Schilddrüsenmalignome durchgeführt. „Indikationen“ zur Bestimmung von Schilddrüsen-Antikörpern Anti-TPO-Antikörper Diese sind bezüglich genauerer Diagnostik unspezifisch, kommen sie doch auch bei gesunden Probanden und im Rahmen irgendwelcher Autoimmunerkrankungen vor. Der diagnostische Wert ist deshalb beschränkter als die Anzahl der Bestimmungen vermuten lassen müsste, am ehesten trifft meist noch die Aussage „der Befund passt zu...“ Anti-TPO-Antikörper finden sich vor allem bei (können aber auch negativ sein!): - Chronischer Autoimmun Thyreoiditis (sog. Hashimoto) und bei M. Basedow - Hypothyreose ( bei autoimmuner Pathogenese) - Thyreoiditiden (postpartum, silent, akute Hashimoto). Nicht bei de Quervain, meist negativ. - polyglanduläre Autoimmunsyndrome - Patienten mit anderen Autoimmunerkrankungen 080564_Inhalt.indd 32 23.5.2008 14:54:27 Uhr 31 Anti-Thyreoglobulin-Antikörper Hohes Sparpotential. Auf deren Bestimmung könnte meist verzichtet werden, da sie noch unspezifischer als die Anti-TPO und letztere sensitiver bezüglich Autoimmunprozessen der Schilddrüse sind. Ausnahme bei Verdacht auf Autoimmunthyreoiditis, aber negativen Anti-TPOAntikörper, sowie bei der Nachbetreuung von Patienten mit Schilddrüsencarcinomen, da Anti-TgAK die dort indizierte Thyreoglobinbestimmung stören. Ueberdenken ob die Bestimmung Konsequenzen hat. Stimulierende Antikörper gegen den TSH-Rezeptor (TSI,TRAK) Sie haben einen direkten pathogenetischen Effekt, weil sie den TSH-Rezeptor stimulieren und werden nur bei Verdacht (oder als Argument für den Ausschluss) auf M.Basedow oder bei der „euthyreoten“ endokrinen Orbitopathie bestimmt. Sie gelten als sehr spezifisch für den M. Basedow. Selten liegt klinisch ein M. Basedow vor, die TSH-Rezeptor stimulierenden Antikörper sind jedoch negativ und werden erst im Verlauf postiv, was u.a. mit den Bestimmungsmethoden zusammenhängt. Negative TSI oder TRAK schliessen also einen M.Basedow nicht aus. Sind auch die Anti-TPO-Antikörper negativ liegt einer Hyperthyreose eher eine Autonomie, ev. eine de Quervain Thyroiditis zugrunde. Thyreoglobulin Sehr hohes Sparpotential. Wie in der Einleitung erwähnt sehr selten indiziert, da bei den verschiedensten euthyreoten und hyperthyreoten Schilddrüsenpathologien erhöht (maligne, aber auch benigne Knoten, Strumen, unbehandelte Basedow-Hyperthyreose, Thyreoiditiden, Amiodaron induzierte Hyperthyreosen), das heisst diagnostisch viel zu unspezifisch. Indiziert bei der Nachkontrolle behandelter Schilddrüsencarcinome. Indikationen für TRH-Stimulationstest Hohes Sparpotential, da seit Einführung der ultrasensitiven TSH-Assays nur selten indiziert, Interpretation meist schwierig mit entsprechend beschränkter Aussagekraft, nur für erfahrene Schilddrüsenspezialisten und seltene Fragestellungen. TSH, fT4 und fT3 bei schweren Allgemeinerkrankungen und hospitalisierten Patienten Sollten immer mit einem Spezialisten besprochen werden, bevor therapeutische Entscheidungen getroffen werden, da nur vorübergehend pathologische Veränderungen auftreten können, die sich nach Abheilung der Grundkrankheit wieder normalisieren und die nicht Ausdruck einer hypo- oder hyperthyreoten Stoffwechsellage sind. Ein wichtiges Beispiel ist die bei Magersucht oft gefundene T3- Erniedrigung (ohne dass eine Hypothyreose vorliegt, sog. Low T3-Syndrom), die nicht zu einer Behandlung mit Schilddrüsenhormonen führen darf. Medikamentöse Interaktionen mit Schilddrüsenhormonen und mit TSH Im Titel heisst es: Was braucht es? Immer auch eine sorgfältige Medikamentenanamnese, einige inhibieren (Glucocorticoide, Dobutamin u.a.) oder erhöhen (Metoclopramid u.a.) die TSH Sekretion ohne hyper- oder hypothyreote Stoffwechsellage; induzieren Hyper- (siehe oben) und Hypothyreosen (Lithium u.a.), beeinflussen Bindung (Steroidhormone u.a.), Metabolismus (Phenytoin u.a.), Konversion von T4 zu T3 (Amiodaron u.a.) und bei Einnahme von Thyroxin dessen Resorption aus dem Magendarmtrakt (Cholestyramin u.a.). Wenn klinisch relevant braucht es bei Behandlungen mit solchen Medikamenten bei erhöhten TSH-Werten fT4 oder bei tiefen fT3 und fT4 Bestimmungen zur Bestätigung der Euthyreose. Thyroxin Substitutionstherapien wegen Hypothyreosen Bei primären Hypothyreosen ist nach erreichen der zur Normalisierung des TSH benötigten Dosis die 6-12 monatliche Kontrolle des TSH, welches im mittleren Normbereich liegen soll, meist genügend. Thyroxin sollte bei Kontrollen von fT4 erst nach der Blutentnahme eingenommen 080564_Inhalt.indd 33 23.5.2008 14:54:32 Uhr 32 werden, da sonst die Werte oft leicht über der Norm liegen und zu ungerechtfertigten Dosisreduktionen führen. Ebenso wichtig ist die klinische Beurteilung. In der Schwangerschaft muss bei mit Thyroxin behandelten Frauen häufiger und vor allem im ersten Trimester wegen des erhöhten Bedarfs auch fT4 bestimmt werden. Bei zentraler Hypothyreose muss neben der Klinik immer der fT4-Wert - er soll im oberen Normbereich liegen - beigezogen werden, das TSH ist für die Therapiekontrolle nicht brauchbar und muss nicht zwingend bestimmt werden. Bei Suppressionstherapien nach Behandlung eines Schilddrüsencarcinoms muss durch Kontrolle der peripheren Schilddrüsenhormone sichergestellt werden, dass nicht eine dauernd ausgeprägte iatrogene Hyperthyreose besteht (u.a. zur Vermeidung einer Osteoporose). TSH bei thyreostatischer Behandlung des M. Basedow Nach Beginn bleibt das TSH oft über Monate (oder noch länger) trotz Normalisierung von fT4 und fT3 (welches trotz normalem fT4 hoch sein kann und deshalb speziell zu beachten ist)) supprimiert. Bei euthyreoter Klinik darf die Thyreostatikadosis nicht ohne Kontrolle von fT4 bis zum Anstieg des TSH erhöht werden, da diese erzwungene „Normalisierung“ des TSH ev. mit einer schweren iatrogenen Hypothyreose erkauft wird. Zusammenfassend zeigt diese (unvollständige) Zusammenstellung, dass bei der Schilddrüsendiagnostik durch Verzicht auf unnötige Untersuchungen und schrittweise Laborbestimmungen gespart werden kann, allerdings zum Preis sorgfältiger differentialdiagnostischer Ueberlegungen. Will man kostensparend Labor verordnen, kommt man um eine vertiefte Reflexion in jedem Einzelfall nicht herum und muss sich immer die Frage stellen: Ist die Bestimmung zur Diagnose nötig, hat sie therapeutische Konsequenzen ? Dazu möchte dieses Manuskript einige Anregungen geben. Bei paradoxen Laborkonstellationen braucht es den Beizug eines Spezialisten, er sollte dann nicht weggespart werden. Literatur: U. Kolyvanos, J. Furrer, L. Käser, W. Vetter, Hypothyreose, Praxis 2007;96:14111418. Hyperthyreose, Praxis 2007;96:1505-1512, CME Online-Fortbildung www.praxis.ch. C. Moser, J.Furrer, F.Ruggieri, Halsschmerzen und Fieber nach Peginterferon alpha-2a, Praxis 2007; 96: 205-207 Jörg Furrer Dr. med, dipl.sc.nat.ETH Hohenbühlstrasse 3 CH - 8032 Zürich [email protected], www.desg.ch Zürich, 5. Juni 2008 080564_Inhalt.indd 34 23.5.2008 14:54:36 Uhr 33 Indikationen und Grenzen des Ultraschalls 1. Allgemeines Die Schilddrüsendiagnostik wurde in den vergangenen20 Jahren revolutioniert. Während frührer der Schilddrüsenszintigraphie grosse Bedeutung zukam, ist diese wegen des Ultraschalls in die zweite Reihe zurückgedrängt worden und muss nur noch in speziellen Situationen zu Hilfe gezogen werden. Eine Schilddrüsendiagnostik ohne Ultraschall ist heute kaum mehr denkbar. Sowohl bei nodulären Veränderungen, wie auch bei entzündlichen Schilddrüsenerkrankungen leistet der Ultraschall wertvolle Dienste. Der Ultraschall ist nicht invasiv und relativ billig. Er erkennt Veränderungen, die mittels Szintigraphie oder Palpation nicht erkennbar sind. Nebst einem erfahrenen Sonographeur ist jedoch auch die korrekte Sonde eminent wichtig. So wird am besten eine lineare 7-10MHz Sonde verwendet. 2.Schilddrüsenknoten Die Sonographie der Schilddrüse soll helfen relevante Schilddrüsenerkrankungen zu diagnostizieren, insbesondere in der Früherkennung des Schilddrüsenkarzinoms kann sie wichtig sein(1,2)alpatorisch weisen ca 5% der Bevölkerung einen Schilddrüsenknoten auf, aber in ca 50% der Bevölkerung sind sonographisch kleine Schilddrüsenknoten nachweisbar. Asymptomatische Schilddrüsenkarzinome sind in Autopsieserien sehr häufig (bis zu 25%). Klinisch relevante Schilddrüsen-Karzinome treten lediglich mit einer Inzidenz von weniger als 0.005% auf (Tab1,2). Die Sonographie kann die Grösse eines Schilddrüsenknotens mit grosser Präzision beschreiben, kann Zysten von soliden Knoten unterscheiden und je nach Gerät auch die Durchblutung der Schilddrüse respektive der Knoten beschreiben und messen. Sie kann aber nicht eine definitive Diagnose hinsichtlich Dignität geben. Hier sind weitere Abklärungen wie die ultraschallgesteuerte Feinnadelspirationsbiopsie nötig. Da mittels Sonographie auch klinisch nicht relevante Veränderungen dokumentiert werden können, soll er nur in Risikosituationen als Screening Methode eingesetzt werden (Tab 3). Bei allen Patienten, welche eine Knotenstruma aufweisen, sollte eine Ultraschalluntersuchung mit Dokumentation der Knoten durchgeführt werden. Im Bedarfsfall kann gleichzeitig eine ultraschallgesteuerte Feinnadelaspirationsbiopsie gemacht werden(3). Knoten können solide, zystisch oder komplex ( zystische und solide Anteile) sein. Zystische oder komplexe Knoten müssen ebenfalls punktiert werden, da sich papilläre Schilddrüsenkarzinome zystisch präsentieren können. 3. Dysthyreose Der Ultraschall kann bei Hyperthyreose hilfreich sein. Die Unterscheidung zwischen Knotenstruma und entzündlicher Schilddrüsenerkrankung macht der Ultraschall in der Regel ausgezeichtnet, sodass auch eine Schilddrüsenszintigraphie verzichtete werden kann. Zusätzlich kann mittels Doppler-Untersuchung die Durchblutung gemessen werden. 080564_Inhalt.indd 35 23.5.2008 14:54:39 Uhr 34 In der Beurteilung der Autoimmunentzündung der Schilddrüse kann der Ultraschall ebenfalls gelegentlich hilfreich sein. Er kann Schilddrüsenveränderungen erfassen, welche nicht palpabel sind. Da die Thyreoiditis Hashimoto wie auch der M. Basedow mit erhöhter Inzidenz an Schilddrüsenkarzinomen assoziiert ist, stellt diese Erkrankung ebenfalls eine Indikation zur Schilddrüsensonographie dar (4-7). Bei der Amiodaroneinduzierten Thyreotoxikose (AIT) weisen Knoten in die Richtung Typ 1AIT. Eine vermehrte Durchblutung spricht für Typ 1 AIT, eine verminderte Durchblutung für Typ2 AIT (destruktive Thyreoiditis). 4. Zusammenfassung Die Sonographie der Schilddrüse ist eine kostengünstige und effiziente Methode um strukturelle Veränderungen der Schilddrüse nachzuweisen. Es kommt ihr deshalb in der Abklärung von Schilddrüsenknoten und etwas weniger bei entzündlichen Schilddrüsenveränderungen grosse Bedeutung zu. Benigne Kolloidknoten Thyreoiditis Hashimoto Hämorrhagische oder simple Zyste Follikuläres Adenom Subakute Thyreoiditis de Quervain Maligne Primär Follikelzellabkömmlinge Papilläres Ca Follikuläres Ca Anaplastisches Schilddrüsen-Ca C-Zell-Abkömmlinge Medulläres Schilddrüsenkarzinom Lymphom der Schilddrüse Sekundär Intrathyreoidale Metastasen Tab 1: Ursachen von Schilddrüsenknoten: 080564_Inhalt.indd 36 23.5.2008 14:54:42 Uhr 35 St.n. Radiatio des Halses in Kindheit Positive Familienanamnese für papilläres, medulläres Schilddrüsenkarzinom oder MEN 2 Alter <20 oder >70 Männer Grössenwachstum des Knotens Zervikale Lymphadenopathie Verminderte Verschieblichkeit Parese des Nervus Recurrens Tab 2: Risikofaktoren für Malignität • Schlechte Indikationen – Generelles Screening – Niedriges Risiko für Schilddrüsenkarzinom und normaler Schilddrüsenpalpation • Gute Indikationen – Palpabler Knoten – St.n.Bestrahlung des Halses – Positive Familienanamnese für papilläres SD-Ca, medulläres SD-Ca, MEN2 – Unerklärte zervikale Lymphadenopathie Tab 3: Indikationen der Schilddrüsensonographie 080564_Inhalt.indd 37 23.5.2008 14:54:45 Uhr 36 Literatur: 1) Baskin HJ: Ultrasound of thyroid nodules. In Baskin HJ, Editior: Thyroid ultrasound and ultrasound-guided FNA biopsy. Bosaton: Kluwer Academic Publishers; 2000:7186 2) AACE/AME Task Force on Thyroid Nodules. Endocr Pract 2006;12:63-102 3) Hossein Gharib, Enrico Papini: Thyroid nodules: Clinical Importance, Assessment and Treatment. Endocrinol Meta Clin N Am; 36:707-735 4) Del Rio P et al: The association between papillary carcinoma and chronic lymphocytic thyroiditis. Minerva Endocrinol. 2008;33:1-5 5) Boi F et al: High prevalence of suspicious cytology in thyroid nodules associated with positve thyreoid antibodies. Eur J Endocrinol. 2005; 153:637-42 6) Mishira et al: Thyroid nodules in Graves’ disease. J Postgrad Med. 2001;47:244-7 7) Majima et al: Anaplastic Carcinoma associated with Graves’ disease. Endocr.J. 2005; 52:551-7 080564_Inhalt.indd 38 23.5.2008 14:54:48 Uhr 37 Die Rolle der Nuklearmedizin Einleitung Die Nuklearmedizin befasst sich mit der medizinischen Anwendung von Radioisotopen am Patienten aus diagnostischen und therapeutischen Gründen. Die Schilddrüsenstörungen gehören zu den ersten Anwendungsgebieten der Nuklearmedizin mit Verwendung radioaktiven Jods zu therapeutischen Zwecken bereits schon seit 1942. 131-Jod ermöglichte damals erstmals das Studium des Jodzyklus im Körper unter grösster oder millionenfacher molarer Verdünnung ohne Störung der Physiologie durch stoffwechselanaloges Verhalten wie beim stabilen 127-Jod. Heute ist die Schilddrüsenszintigraphie zur funktionellen Erfassung der Schilddrüse bei Funktionsstörungen und die Radiojodtherapie der Hyperthyreose und des differenzierten Schilddrüsencarcinoms zu einem bewährten Routineverfahren geworden. Radiophysik und Anwendungseignung verschiedener Isotopen 131-Jod als Reaktorprodukt steht täglich auf Anforderung zur Diagnostik und vor allem zur Therapie zur Verfügung. Die Gammastrahlung dient zur Funktionsmessung und szintigraphischen Bildgebung, modern spricht man heute von „molecular or functional imaging.“ Das Radiojod ist sowohl spezifischer Stoffwechseltracer und Indikator für die Szintigraphie als auch durch die emittierten Betateilchen therapeutisch wirksam. Die Betaenergie von 0.61 MeV mit einer mittleren Reichweite von nur 0.5mm führt über den crossfire –Effekt und eine verhältnismässig lange Verweildauer zu einer hohen Dosisleistung und damit zum Gewebeabbau bei Hyperthyreose und malignen Schilddrüsentumoren in Verbindung mit grösstmöglicher Umgebungsschonung. Die lange Halbwertszeit von 8.02 Tagen und die hohe Gammaenergie von 364 keV führten dazu, dass zur alleinigen Szintigraphie und für das Radiojodstudium radiohygienisch das 123-Jod als reiner Gammastrahler von 167 keV mit einer kurzen Halbwertszeit von 13 Stunden angewendet wird. Zur schnellen Routinediagnostik findet allerdings heute das preisgünstige 99m Technetium-Pertechnetat als Generatorpeluat mit einer idealen Gammaenergie von 140 keV und einer Halbwertszeit von nur 6 Stunden primäre Verwendung. Das Molekül wird in der Schilddrüse über den Na-Jodsymporter (NIS) analog der Jodisation akkumuliert, aber schnell nach der Aufnahme wieder ausgewaschen, da die Jodisation oder Verstoffwechselung nicht stattfinden kann, sodass nur eine Szintigraphie und initiale Aufnahmemessung möglich ist. Die Szintigraphie der Schilddrüse und des Ganzkörpers Die funktionelle Abbildung der Schilddrüse ist indiziert bei Funktionsstörungen, vornehmlich bei erniedrigtem TSH bei Verdacht auf autonome Schilddrüsenfunktion, prätherapeutisch kombinierbar mit einem Radiojodstudium. Die Untersuchungsdaten dienen dabei gleichzeitig der Dosimetrie zur Radiojodtherapie. Bei supprimiertem TSH findet sich sporadisch eine Thyreoiditis mit typisch fehlender Aufnahme bei Ausschüttungshyperthyreose im akuten Stadium. Bei Morbus Basedow mit entsprechendem klinisch typischem Bild und positivem TRAK-Test genügt der Ultraschall zur initialen Diagnostik vor Thyreostase oder Operation. Im Einzelfall eignet sich 123-Jod und va. 131-Jod zur Erfassung extrahyroidalen Schilddrüsengewebes. 080564_Inhalt.indd 39 23.5.2008 14:54:51 Uhr 38 Bei der Struma multinodosa kann die Szintigraphie Informationen liefern in der Suche kalter Knoten mit Funktionsdefekt in Kombination mit dem Ultraschall mit echoarmen Knoten zur Wahl geeigneter nodöser Veränderungen für die Feinnadelpunktion. Beim differenzierten Jod speichernden Karzinom wird posttherapeutisch die Ganzkörpersszintigraphie mit 131-Jod in Kombination meist mit der Emissionstomographie angewendet zur Erfassung der Speicherfähigkeit und Lokalisation des Tumorgewebes. Bei gesicherter Annahme von Rest- oder Rezidivtumor bei erhöhtem Thyreoglobulin oder positivem Ultraschallbefund mit FNP der Halslymphknoten kann auf das prätherapeutische Szintigramm verzichtet werden, da der posttherapeutische Scan mit der hohen Restaktivität bessere Bilder liefert und in jedem Fall die Therapie vorzusehen ist. Auch das diskutierte Stunning des Tumors durch eine niedrig dosierte prätherapeutische diagnostische Radiojodabgabe kann so vermieden werden nebst besserem Patientenkomfort bei direkter Applikation der metabolischen Radiojodtherapie. Radiodtherapie, Dosisberechnung Die Therapie mit 131-Jod wird heute einfach peroral in Kapselform durchgeführt, die besondere Eleganz des Verfahrens liegt im Umstand begründet, dass nur Schilddrüsenzellen Jod oder Radiojodid aufnehmen können. Bei den benignen Indikationen darf in der Schweiz bis 200 MBq Aktivität ambulant therapiert werden, oft praktikabel beim Morbus Basedow und sehr kleinvolumigen Autonomien. Grösservolumige Autonomie oder Morbus Basedow erfordern eine Hospitalisation bei 400 MBq von mindestens 48 Stunden, bei höheren Aktivitäten länger und bis zum Abfall zur Schwellendosisleistung auf 5uSv/h in 1 m Abstand, eine Fraktionierung in mehrere ambulante Einzeldosen ist aus Strahlenschutz- und –biologischen Gründen unzulässig. Die Strahlungsintensität wird täglich im Isotopentherapie-Einzelzimmer anlässlich der Visite gemessen. Während der Hospitalisation besteht die Anweisung zur Hydrierung, sodass bei erhöhter Trinkmenge das freie Jodid vorwiegend renal ausgeschieden werden kann. Der Speicheldrüsenschutz erfolgt mit angesäuerten Getränken oder Zitronensaft. Die pflegerischen Massnahmen reduzieren sich auf das notwendige Minimum. Schwangerschaft und Stillzeit sind die Kontraindikationen. Für die Radiojodtherapie gibt es keine Altersgrenzen. Aus dem Grundsatz der Notwendigkeit und Rechtfertigung und aus Gründen der richtig dosierten rationalen Therapie ist zur Dosisberechnung ein Szintigramm mit Radiojodstudium erforderlich, abgekürzt möglich auch nur ein quantitatives Pertechnetatszintigramm aus Kostengründen zur Abschätzung der geeigneten Aktivität aufgrund der patientenspezifischen Parameter. Dieses Vorgehen ist in Deutschland aus Qualitätsgründen in der Richtlinie für den „Strahlenschutz in der Medizin“ vorgeschrieben. Die Therapieaktivität MBq 131-J errechnet sich aus der Marinelli-Formel nach dem Zielvolumen, der angestrebten Energie-Herddosis, der Aufnahme und der Verweildauer des Isotops und einer Konstanten: SD-Volumen (ml) * Herddosis (Gy) * K Aktivität (MBq) = -----------------------------------------------------max. uptake in % * eff. HWZ (h) 080564_Inhalt.indd 40 23.5.2008 14:54:54 Uhr 39 Der Wirkungseintritt erfolgt nach etwa 6 Wochen, da es nach der absorbierten Strahlenenergie verzögert zur Apoptose und zum Gewebeabbau kommt mit entsprechendem Abfall der Hormonspiegel. Die Radiojodtherapie bei Morbus Basedow Die Radiojodresektion der Hyperthyreose kann dosissparend mit der Intention Organerhaltung funktionsoptimiert konservativ schonend erfolgen mit dem Risiko einer Zweittherapie einer Resthyerthyreose, die Zieldosis beträgt 150 Gy. Dieses Prozedere kann zu prolongierten Nachkontrollen und fortgesetzter thyreostatischer Therapie führen bis zum Erreichen der Euthyreose oder Hypothyreose zu 50%, Eignung bei niedrigem Rezidivrisiko. Bei nicht vergrössertem Organ ist bei diesem Konzept eine ambulante Therapie mit 200 MBq 131-Jod meistens genügend und unübertroffen kostengünstig. Das ablative Dosiskonzept setzt sich mit der einmaligen Ersttherapie die kalkulierte substitutionsbedürftige Hypothyreose (>90%) zum Ziel. Dieses Dosiskonzept ist einfach und erfolgreich, die Dosis liegt volumenadaptiert mit 20 gr. SD-Gewicht bei 200 Gy, mit 25-40 gr. bei 250 Gy, sonst 300 Gy bei grösseren Schilddrüsen, allerdings verlängert sich dabei zusehends die stationäre Aufenthaltszeit. Bei endokriner Orbitopathie und vor allem bei grösseren Strumen ist mit dem Risiko einer Ankurbelung des autoimmunen Prozesses durch Abbauprodukte zu rechnen, sodass nach Ermessen ein kurzdauernder Steroidstoss empfohlen wird im Anschluss an die Radiojodgabe. Eine Thyreostatikabehandlung kann im Bedarfsfall niedrig dosiert auch über die Therapiephase belassen werden bis zum Wirkungseintritt. Die Radiojodtherapie bei der Autonomie Bei der dekompensierten nodösen Autonomie sowohl in Form der einzelnen Adenome oder plurifokalen Autonomie erfolgt die Radiojodelimination selektiv unter Schonung des supprimierten regelbaren Restgewebes. In Abhängigkeit der genügenden Kapazität der Restschilddrüse kommt es posttherapeutisch bei nicht zu hohem Anteil autonomen Gewebes an der Schilddrüse nicht zu einer Hypothyreose (10-20%). Dies trotz der hochdosierten Therapie mit 400 Gy auf das autonome Volumen, da das supprimierte Gewebe praktisch ohne Jodaufnahme nicht nennenswert geschädigt wird. Beim Eliminationseffekt nach knapp 2 Monaten ist eine laborchemische passagere Unterfunktion die Regel, da im Rahmen der thyreotropen Stimulation nach Wegfall der Autonomie die Restschilddrüse erst wieder rekompensieren muss. Bei der disseminierten Autonomie mit negativem TRAK als Abgrenzung zum Basedow wird das Volumen aus den Aufnahmewerten abgeschätzt und könnte durch ein Suppressionsszintigramm mit Schilddrüsenhormon bei Grenzwerthyperthyreosen genauer erfasst werden. Bei der Frage nach Notwendigkeit der quasi prophylaktischen Therapie eines szintigraphisch kompensierten autonomen Adenomes oder auch gar einer latenten Hyperthyreose folgt die Indikation der klinischen Therapieerwartung. Oft handelt es sich dafür sprechend um Altershyperthyreosen mit dem Problem des Vorhofflimmerns, der Osteoporosegefährdung und dementieller Entwicklung. In jedem Fall muss bei der kompensierten Autonomie während der Therapiegabe eine Schilddrüsenhomonsuppression des Restgewebes stattfinden. In seltenen Fällen tritt posttherapeutisch eine Autoimmunisierung durch die Therapie oder begleitend eine Autoimmunhyperthyreose auf, das Marine-Lenhart Syndrom, beschrieben 1911. Die Behandlung erfolgt entsprechend einem Basedow. 080564_Inhalt.indd 41 23.5.2008 14:54:57 Uhr 40 Welche Therapie bei Hyperthyreose ? Unter Berücksichtigung des Patientenwunsches und der Befürchtungen bezüglich der Strahlung bei Radiojod, der Risiken von Narkose und Operation und der Agranulozytose bei Thyreostase gibt es zusätzliche Entscheidungskriterien: Pro Radiojod Schilddrüsenvolumen bei Basedow unter 60 ml, Autonomie bei Struma unter 100 ml Kein Malignomverdacht Erhöhtes Operationsrisiko, Voroperationen, Recurrensparese bei Rezidiv auf beiden Seiten oder auf der Gegenseite, transienter Hypoparathyreoidismus nach Erstoperation Persistenz der Hyperthyreose Basedow über 6-12 Monate unter Thyreostase oder Rezidiv Selektive Ausschaltung multifokaler Autonomie Pro Operation Nicht Zutreffen obiger Kriterien Kompressionssymptome , Notwendigkeit eines sofortigen Therapieeffektes Persistenz der Hyperthyreose Basedow über 6-12 Monate unter medikamentöser Therapie oder Rezidiv. Prozess zur Histologiegewinnung Pro Thyreostase Morbus Basedow vorwiegend mit geringem Rezidivrisiko (weibliches Geschlecht, Alter unter 40 Jahren, Schilddrüsenvolumen unter 40 ml, TRAK unter 10 U/l) Relevante Begleiterkrankungen oder Umstände, die gegen eine Operation oder Radiojodtherapie sprechen. Radiojodresektion der euthyreoten Struma Alternativ kann bei lokaler oder allgemeiner Inoperabilität erfolgreich die Radiojodresektion mit 150 Gy zur Volumenreduktion in Erwägung gezogen werden. Diese stationäre Therapie erfordert zur Optimierung der Aufnahme und der Wirkung eine thyreotrope Stimulation mit rekombinantem TSH. Bei Trachealkompression durch die Struma ist nach Therapie die Gabe von Steroiden bei Radiothyreoiditis möglich. Die metabolische Radiojodtherapie beim Schilddrüsencarcinom Die Radiojodtherapie findet ihre Anwendung beim differenzierten Schilddrüsencarcinom einerseits in der postoperativen Elimination von Restgewebe zur Erzielung der völligen Athyreose und 080564_Inhalt.indd 42 23.5.2008 14:55:00 Uhr 41 andererseits in der Metastasentherapie. Die Restschilddrüsenablation erfolgt unter prolongierter Hypothyreose mit endogener TSH-Stimulation oder idealerweise unter Thyroxinsubstitution mit je zwei Injektionen von 0.9 mg rekombinantem TSH (Thyrogen) am 1. und 2. Tag und der Radiojodgabe am 3. Tag stationär. Die Thyrogenstimulation ohne Desubstitution ist mit uneingeschränktem Patientenkomfort verbunden und sichert eine optimale Radiojodaufnahme und auch schnellere Elimination unter euthyreoten Stoffwechselverhältnissen. Die Therapie kann individuell dosiert in Abhängigkeit der Ausdehnung des Restgewebes oder mit Standarddosen von 3.7 GBq oder nur 1.1 GBq bei der low risk Gruppe erfolgen. Die Therapie basiert auf folgenden Annahmen: 1. Elimination von mikroskopischen Tumorfoci im Restgewebe und Senkung der Rezidivrate und möglicherweise der Mortalitätsrate. 2. Die erzielte völlige Athyreose ermöglicht die frühe Erkennung von Rezidiven, basiert auf den Thyreoglobulinbestimmungen und ev. 131-Jodscan. 3. Die hohe Aktivität ermöglicht einen sensitiven Scan mit der Therapiedosis zum Ausschluss unerkannter Tumormanifestationen. -Sichere Indikation: high risk / Resttumor oder Metastasen, oder Kapselüberschreitung oder Lymphknotenbefall -Mögliche Indikation: low risk / ungünstige Histologie, T1 über 1 cm, T1 multifokal, unvollständige Thyreoidektomie, keine Lymphknotendissektion, Alter unter 18 und über 45 Jahren. -Keine Indikation: very low risk / unilokulärer Tumor unter 1cm und mit günstiger Histologie. Die Rezidiv- und Metastasentherapie führt in zwei Drittel zur Remission bei lokoregionärem Lymphknotenrezidiv und in einem Drittel bei Fernmetastasen. Die Isotopentherapie wird insbesondere mit dem posttherapeutischen Scan soweit möglich mit der Chirurgie besonders beim Lymphknoten- und Knochenbefall kombiniert, es lassen sich so die besten Resultate erzielen. Bei fehlender Metastasenspeicherung oder erhöhtem und ansteigendem Thyreoglobulin und negativem 131-Jod-Scan soll keine weitere therapeutische Jodgabe erfolgen. Die wiederholbaren Einzeldosen von 7.4-8.0 GBq können kumuliert werden bis 22 GBq, innerhalb dessen die meisten Remissionen mit negativem Scan und nicht nachweisbarem TG erreicht werden. Bei persistierendem Tumor gibt es für den Patienten kein maximales Dosislimit, weitere Radiojodtherapien richten sich individuell nach der Therapieerwartung und insbesondere nach der Knochenmarksreserve unter Berücksichtigung des erhöhten Risikos für Leukämie und Blasencarcinom ab 22-26 GBq. Die perkutane Radiotherapie findet Anwendung bei inoperablem persistierendem cervicomediastinalem Tumor, bei Knochen- und Hirnmetastasen. Die cytotoxische Chemotherapie kommt lediglich zum Einsatz bei unkontrolliert progressivem Leiden aus palliativen Gründen. Die Therapie mit Doxorubicin-Cisplatin scheint bei erhöhtem TSH besser zu wirken. Aktuell werden erfolgversprechender Angiogenese-Inhibitoren wie Thalidomid, Lenalidomid, sowie der VEGF-Rezeptorhemmer Axitinib in Phase 2-Studien untersucht. Therapiekosten Bei den benignen Indikationen ist die ambulante Radiojodtherapie beim Morbus Basedow am effektivsten und billigsten mit 500.- bis 600.- Franken nach TARMED abgerechnet. 080564_Inhalt.indd 43 23.5.2008 14:55:03 Uhr 42 Beim stationären Vorgehen liegen die Kosten für den Versicherer bei 2200.- bis 3400.- Franken in der Grundversicherung, sich zusammensetzend aus maximal möglicher Aktivität von 7.4 GBq zu Fr. 1144.-, Aufenthaltspauschale 1606.- und Tagespauschale Fr. 636.-, für den Chirurgiepatienten vergleichbar. Die engeren Betriebskosten einer Strumaoperation (DRG 290 mit der Hauptdiagnose E04) liegen schon 2005 über 8000.- Franken unter Berücksichtigung der Inanspruchnahme der Infrastrukturkosten der Operation, Anästhesie und Pflege. Bei der Thyreostase müssen die erheblichen Kosten einer prolongierten Behandlung mit wiederholten Konsultationen und Laborkosten summiert und mit dem ablativen Vorgehen der Chirurgie oder Nuklearmedizin verglichen werden. Nebenwirkungen und Risiko Die Radiojodtherapie bei benignen Erkrankungen führt beim ablativen Dosiskonzept zur beabsichtigten Hypothyreose, sonst nur sporadisch. Selten ist die Immunthyreopathie nach Autonomie oder Aggravation einer endokrinen Orbitopathie und einer Sialadenitis oder manifesten Radiothyreoiditis. Es besteht kein erhöhtes somatisches oder genetisches Risiko, dieses liegt theoretisch bei 0.01 bis 0.05%. Bei den radiojodtherapierten malignen Erkrankungen besteht dagegen ein erhöhtes Risiko für somatische Mutationen mit Leukämie und Zweittumoren ab kumulativen Dosen über 22 GBq. Bleibende Defekte deterministischer Art mit Schwellendosis nach wiederholten metabolischen Radiojodgaben können eine Xerostomie sein , verfrühte Menopause, ebenfalls Hypospermie und Lungenfibrose nach diffuser Lungenmetastasierung, allenfalls Knochenmarksinsuffizienz. Sporadisch transient möglich Radiothyreoiditis bei grossen Restschilddrüsen und Sialadenitis und Geschmackstörungen, Nausea bei Gastritis. Wegen der stochastischen Zufallsrisiken der Mutation ist Spermienbanking empfehlenswert oder keine Konzeption während mindestens 4 Monate, entsprechend der Spermienlebensdauer. Bei Frauen Antikonzeption für mindestens 6 Monate, Abortrate innert 6-12 Monaten noch leicht erhöht. Bei Kinderwunsch muss die Prognose des Leidens mitberücksichtigt werden. 18 F-FDG-Positronenemissionstomographie Seit August 2006 gibt es eine kassenpflichtige Indikation für PET beim Jod-131-Stoffwechselnegativen Schilddrüsenkarzinom zum Restaging und Rezidivdiagnostik extrapulmonaler Läsionen im Hinblick auf eine vorwiegend präoperative Abklärung. Die Untersuchung ist sensitiver bei erhöhtem TSH. Die Prognose der nicht Jod speichernden und FDG-positiven Tumoren ist ungünstiger. Die Kombination von 131-Jod-Scan und PET ergeben die höchste Sensitivität durch vorwiegend alternierenden Uptake. 080564_Inhalt.indd 44 23.5.2008 14:55:06 Uhr 43 Literatur Joseph G. Hamilton and Mayo H. Soley: Studies in iodine metabolism by the use of a new radioactive isotope of iodine, Am J Physiol Legacy Content, Sept 1939; 127: 557-572 Society of nuclear medicine procedure guidelines for thyroid scintigraphy, February 7,1999 DGN, Dietlein M. et al, Leitlinie zur Schilddrüsendiagnostik Bell E., Grünwald F., Radiojodtherapie bei benignen und malignen Schilddrüsenerkrankungen. Springer 1999, Berlin EANM Procedure guidelines for therapy with iodine-131, 14.2.2002 Marinelli LD, Dosage determination with radioactive isotopes. Am J Röntgenol 1948; 59: 260 - 281 Radiojodtherapie bei benignen Schilddrüsenerkrankungen, Leitlinien Nuklearmedizin AWMF 2004 online, www. uni-duesseldorf.de DGN, Dietlein M. et al, Leitlinie zur Radiojodtherapie bei benignen Schilddrüsenerkrankungen 2007 Therapeutische Konzepte der Radiojodtherapie bei der Autoimmunhyperthyreose vom Typ Morbus Basedow, 2005 online, www.publikationen.ub.uni-frankfurt.de Nygaard B. e.a., : Radioiodine treatment of multinodular non-toxic goitre, BMJ,1993;307:828-832 European consensus for the management of patients with differentiated thyroid carcinoma of the follicular epithelium. European Journal of Endocrinology (2006) 154, 787-803, ISSN 0804-4643 Society of Nuclear Medicine Procedure Guideline for Scintigraphy for differentiates Papillary and Follicular Thyroid Cancer. www:snm Richtlinie „Strahlenschutz in der Medizin“, zur StrlSchV, www.bmu.de/strahlenschutz Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Gesundheit, Weisungen, www.str-rad.ch. Weisung L-04-01 Therapeutische Applikation von 131-Jod, L-07-03 Abschirmungen für 131-JodTherapie-Patientenzimmer. F.Pacini et al., Radioiodine Ablation of thyroid remnants after preparation with human thyreotropin in differentiated thyroid carcinoma: results of an international, randomized, controlled study. The Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism 91: 926-932 ,2006 080564_Inhalt.indd 45 23.5.2008 14:55:09 Uhr 44 Amiodarone und die Schilddrüse: Amiodarone ist ein in der Kardiologie gern verwendetes Klasse-III-Antiarrhythmikum. Leider kann es aber neben seinen positiven Wirkungen am Herzen auch diverse Nebenwirkungen an anderen Organen aufweisen. Von endokrinologischer Seite fallen hier vor allem die Wirkungen auf die Schilddrüse ins Gewicht. Eine Störung des Schilddrüsenstoffwechsels durch Amiodarone kommt einerseits durch eine spezifische Wirkung des Amiodaronemoleküls andererseits einfach durch die grosse enthaltene Jodmenge zustande. Bei einer Tagesdosis von 600 mg Cordarone beträgt die aufgenommene Jodmenge etwa 9 mg. Dies entspricht einem mehrfachen der normalen Tagesmenge. Auf Grund der Lipophilität wird Amiodarone ausserdem im Fett- und Muskelgewebe eingelagert, was zu einer extrem langen Halbwertszeit von ca. 100 Tagen führt. Physiologie der Schilddrüse: Die Schilddrüse produziert auf Stimulation der Hypophyse mittels TSH hauptsächlich T4 (Thyroxin) und kleine Mengen T3 (Trijodthyronin). Das T4 ist aber nur gering aktiv. Das eigentlich aktive Schilddrüsenhormon ist T3 welches in den Zielorganen, hauptsächlich der Leber, in T3 umgewandelt wird. Diese Umwandlung erfolgt durch unterschiedliche Dejodinasen. Je nach entferntem Jodatom entsteht entweder T3 bei Entfernung eines Jodatoms am äusseren Phenylring, oder reverses T3 bei Entfernung eines Iodatoms am inneren Tyrosinring. Zur Bildung des aktiven T3 ist die 5’-Deiodinase nötig. 080564_Inhalt.indd 46 23.5.2008 14:55:12 Uhr 45 Reguläre Wirkungen des Amiodaron auf die Schilddrüse: Amiodaron hemmt die 5’-Deiodinase und führt damit zu einem Abfall von T3 und einer Zunahme von reversem T3 und durch Rückstau auch des T4. Daneben wird auch die Aufnahme von T4 in die Zelle und die Bindung von T3 an den Zellkern gehemmt. In der Kardiologie wird diese Steigerung des rT3-Spiegels zur Dosiskontrolle verwendet. Bei korrekter Dosierung steigt rT3 auf das doppelte bis dreifache der Norm an. Werte des fünfbis sechsfachen der Norm liegen im toxischen Bereich und können zu plötzlichem Herztod und anderen Komplikationen führen. Zu Beginn der Therapie kann es vorübergehend zu einem TSH-Anstieg kommen, im Verlauf normalisiert sich das TSH in den meisten Fällen. Sowohl leicht erhöhte wie erniedrigte TSHWerte können aber auch ohne eigentliche Schilddrüsenstörung vorkommen, so dass das TSH als Beobachtungsparameter relativ ungeeignet ist. Das T4 steigt an und bleibt unter Therapie im oberen Normbereich oder leicht erhöht. Die Aussagekraft ist damit auf erniedrigte Werte bei amiodaroeninduzierter Hypothyreose beschränkt. Das T3 sinkt ab Therapiebeginn in den unteren Normbereich und ist damit bei einem Anstieg der beste Marker für eine amiodaron-induzierte Hyperthyreose während das rT3 nur zur obgenannten Dosiskontrolle herangezogen werden kann. Vor einer Amiodarontherapie sollte ein vorbestehendes Schilddrüsenleiden gesucht werden. Neben TSH, fT4 und fT3 sollten auch die Anti-TPO- und ev. TRAK bestimmt werden. Bei positiven TPO-Antikörpern besteht ein erhöhtes Risiko für Hypothyreose, bei positiven TRAK für einer Typ1-Hyperthyreose. Auch eine Struma sollte mindestens manuell oder mit Ultraschall gesucht werden. Bei knotiger oder grösserer diffuser Struma ist das Risiko für eine Typ1-Hyperthreose erhöht. Unter Therapie empfiehlt es sich, alle 3-6 Monate die Hormonwerte zu wiederholen. Komplikationen von Amiodaron an der Schilddrüse: Im Gegensatz zu den Komplikationen an anderen Organen scheinen diese an der Schilddrüse dosisunabhängig aufzutreten. Es kommen sowohl eine amiodaroneinduzierte Hypothyreose wie eine Hyperthyreose vor. Die relative und absolute Häufigkeit hängen vor allem von der Jodversorgung der Region ab. Eine gute Jodversorgung führt zu einer Abnahme der Hyperthyreosen hingegen zu einer Zunahme der Hypothyreosen durch Amiodarone. In einer Studie von Martino von 1984 wurde die Inzidenz in Pisa in der Toskana, einer Region mit Jodmangel, mit der Inzidenz in Worcester, Massachusetts, einer Region mit guter Jodversorgung, verglichen. Die Häufigkeit der Hypothyreose betrug in Pisa 5%, in Massachusetts hingegen 22%, die Hyperthyreose in Pisa hingegen 10% und in Massachusetts nur 2%. Für die Entstehung der Dysfunktion wird eine Störung im Wolff-Chaikoff-Effekt postuliert. Normalerweise wird bei Aufnahme grosser Jodmengen die Syntheseleistung der Schilddrüse vorübergehend heruntergefahren. Diesen sogenannten Wolff-Chaikoff-Effekt macht man sich bei der Plummerung hyperthyreoter Patienten beispielsweise vor chirurgischen Eingriffen zu Nutze. Nach einigen Tagen erholt sich die Syntheseleistung spontan. Bei der amiodaron-induzierten Hyperthyreose Typ 1 ist diese Downregulation der Synthese gestört. Verantwortlich dafür sind vorbestehende Schilddrüsenerkrankungen wie Autonomie, M. Basedow o.ä. Bei der amiodaron-induzierten Hypothyreose ist hingegen die Wiederaufnahme der Syntheseleistung nach der Downregulation gestört. Hier wird eine vorbestehende Dysthyreose vom Typ Hashimoto vermutet. Die dritte Form der Schilddrüsenkomplikationen ist die Hyperthyreose Typ 2. Ursächlich ist hier ein direkter toxischer Effekt mit Zelldestruktion. 080564_Inhalt.indd 47 23.5.2008 14:55:15 Uhr 46 Amiodaron-induzierte Hypothyreose: In Regionen mit guter Jodversorgung liegt die Häufigkeit bei ca. 20% der mit Amiodaron behandelten Patienten. Die Hypothyreose zeigt eine Präferenz für ältere Patienten und ist etwas häufiger bei Frauen als bei Männern. Bei vorbestehend erhöhten Anti-TPOAntikörpern ist das Risiko deutlich erhöht. Die Klinik unterscheidet sich nicht von der herkömmlichen Hypothyreose ohne Amiodaron. Wichtigster diagnostischer Faktor ist ein erniedrigtes oder tief normales fT4, da dieses unter Amiodarone normalerweise hoch normal ist. Das TSH ist nur bei deutlich erhöhten Werten diagnostisch. Die Therapie gestaltet sich unkompliziert mit T4-Präparaten. Ein Absetzen des Amiodarone ist nicht nötig. In Fällen in denen Amiodarone abgesetzt wurde erholte sich allerdings die Schilddrüsenfunktion in den meisten Fällen innert einiger Monate. Amiodaron-induzierte Hyperthyreose (Amiodaroninduzierte Thyreotoxikose = AIT) : Die Häufigkeit ist in Regionen guter Jodversorgung recht niedrig und liegt um 1%. Es werden zwei Formen unterschieden; Typ 1 und Typ 2. Beiden gemeinsam ist ein Auftreten erst im Verlauf, nach Monaten bis Jahren Therapie, teils sogar nach bereits erfolgtem Absetzen des Medikaments. Die Klinik ist im Vergleich zur spontanen Hyperthyreose abgeschwächt auf Grund der kardialen Wirkung des Amiodarone. Leitsymptome sind Gewichtsverlust, Durchfall, Nervosität und Angstzustände. Zur Diagnostik eignet sich vor allem das T3, welches normalerweise unter Amiodarone im unteren Normbereich ist. Hoch normale Werte sind verdächtig, erhöhte Werte beweisend. Das T4 ist hingegen auch normalerweise unter Amiodarone leicht erhöht. Als pathologisch können hier nur deutlich erhöhte Werte gelten. Ähnlich verhält es sich auch mit dem TSH. Ein supprimiertes TSH ist nur im Zusammenhang mit den peripheren Werten aussagekräftig, es kann unter Amiodarone auch ohne Hyperthyreose bis 0 reduziert sein. - AIT Typ 1: Die Amiodaroninduzierten Thyreotoxikose (AIT) Typ 1 tritt nur bei vorgeschädigter Schilddrüse auf. Diese führt zu einem Versagen des Wolff-Chaikoff-Effekts. Durch die grossen in Amiodarone enthaltenen Jodmengen kommt es zu einer vermehrten Syntheseleistung. Teils führt dies dazu, dass trotz der grossen Jodmengen weiterhin eine normale oder sogar gesteigerte Jodaufnahme in der Szintigraphie nachweisbar ist. In den meisten Fällen kommt es aber wie generell unter Amiodarone zu einer Übersättigung mit Erliegen der Jodaufnahme in die Schilddrüse. Sonographisch findet sich im Doppler eine vermehrte Perfusion als Ausdruck der gesteigerten Syntheseleistung. Zur Unterscheidung vom Typ 2 kann unter Umständen Interleukin-6 als Marker der Zelldestruktion herangezogen werden. Auf Grund der Ätiologie ohne Zellzerstörung ist das Il-6 typischerweise normal oder nur leicht erhöht. - AIT Typ 2: Die AIT Typ 2 tritt in gesunden Schilddrüsen ohne prädisponierende Schädigung auf. Sie entsteht durch eine direkte toxische Wirkung des Amiodarone auf die Schilddrüsenzellen. Durch Zelldestruktion kommt es zu vermehrter Freisetzung gespeicherter Hormone in die Zirkulation. Die Jodaufnahme ist dementsprechend reduziert, die Durchblutung nicht gesteigert. Typisch sind deutlich erhöhte Interleukin-6-Spiegel. Im Verlauf kann es längerfristig zum Übergang in eine Hypothyreose kommen. In Regionen mit Jodmangel nimmt die Häufigkeit der AIT Typ 1 zu. Bei guter Jodversorgung ist der Grossteil der AIT vom Typ 2. 080564_Inhalt.indd 48 23.5.2008 14:55:18 Uhr 47 Die Unterscheidung ist nicht immer möglich. Einerseits auf Grund relativ häufiger Mischformen, andererseits wegen schwierigen Diagnosekriterien. Eine vorhandene oder gesteigerte Jodaufnahme beweist praktisch den Typ, ist aber nur selten vorhanden. Eine fehlende Aufnahme hilft hingegen zur Unterscheidung nicht weiter. Die Perfusion zeigte prospektiv bei Verlaufsstudien eine gute Differenzierung aber ist stark untersucherabhängig und in der Momentaufnahme schlechter zu beurteilen. Das Interleukin-6 hilft vor allem bei stark erhöhten Spiegeln, während leicht erhöhte Werte kaum Aussagekraft haben. Entsprechend findet sich in der Literatur nur in einem Teil der Studien eine gute Aussagekraft des Il-6. Zusätzlich in Betracht gezogen werden sollten die für Typ-1 nötigen prädisponierenden Faktoren. Bei Struma nodosa oder grösserer Struma diffusa ebenso wie bei positiven TRAK ist von einem Typ 1 auszugehen. Therapie der Amiodaron-induzierten Hyperthyreose: Sofern die Unterscheidung von Typ 1 und 2 klar ist, erfolgt die Therapie unterschiedlich. Beim Typ 1 mit gesteigerter Hormonsynthese kommen Thyreostatika zum Einsatz. Allerdings ist die Wirksamkeit durch das Amiodarone stark reduziert so dass hoch dosiert werden muss. Bevorzugt zu verwenden ist Propylthiouracil, da dieses gleichzeitig auch die Konversion von T4 zu T3 hemmt. Im allgemeinen sind Dosen von 600mg-800mg PTU nötig. Trotzdem ist eine reine Thyreostatikatherapie oft ungenügend. Zusätzlich kann mit NaPerchlorat (Irenat) die Jodaufnahme in die Schilddrüse gehemmt werden. Unter dieser Kombination kann meist innert 2-6 Wochen eine Euthyreose erzielt werden. Allerdings hat Na-Perchlorat vor allem in höherer Dosierung und bei längerer Gabe ein Risiko für Agranulozytose, aplastische Anämie und nephrotisches Syndrom. Es sollte daher mit Bedacht eingesetzt und nach spätestens 6 Wochen abgesetzt und die Tagesdosis von 1 g nicht überschritten werden. Beim Typ 2 sind Thyreostatika auf Grund der fehlenden Hormonsynthese ineffizient. Hier erfolgt die Therapie mit Kortikosteroiden. Neben der antiinflammatorischen Wirkung hemmen diese auch die 5’-Deiodinase und führen damit zu einer Reduktion des T3. Die Dosierung liegt bei zwischen 15-80mg, initial meist 40-60mg/die. Bei unklarem Typ oder Mischformen kann kombiniert werden mit beispielsweise 40 mg Prednison und 400 mg PTU täglich. Da die Radioiodtherapie auf Grund der gestörten Jodaufnahme in den meisten Fällen unmöglich ist, ist die Operation bei fehlendem Ansprechen die Ultima ratio Sie stellt allerdings, vor allem bei weiterhin florider Hyperthyreose und kardial vorbelastetem Patienten, ein Risikoeingriff dar. Für ein Ausheilen der AIT ist ein Absetzen des Amiodaron nötig. Die medikamentöse Kontrolle der Hyperthyreose bei Fortführen der Medikation gelingt nur schwer. Allerdings ist mit einer Besserung der Ansprechens auf Thyreostatika erst nach einigen Monaten zu rechnen. Kurzfristig kann es zu einer Verschlechterung der kardialen Situation kommen. Neben der initial beim Einsetzen gewünschten Wirkung des Amiodarone hat dieses auch einen paradoxen kardioprotektiven Effekt bezüglich der Hyperthyreose, welcher beim Absetzen verloren geht. 080564_Inhalt.indd 49 23.5.2008 14:55:21 Uhr 48 Selen und die Schilddrüse K.Scheidegger, Endokrinologie/Diabetologie FMH, St.Gallen Einleitung Selen wurde bereits 1817 vom schwedischen Chemiker Brezelius entdeckt. Wegen seiner bekannten Toxizität in hohen Dosen war es in der medizinischen Forschung aber lange Zeit wenig attraktiv. Erst 1957 wurde es als essentielles Spurenelement anerkannt. In den letzten rund 30 Jahren entwickelte sich ein reges Interesse an diesem Halbmetall. Am 13.Winterthurer Fortbildungskurs über Spurenelemente bezeichnete Prof. Truniger Selen als „möglicherweise bedeutsames prophylaktisches und/oder therapeutisches Prinzip bei verschiedensten Krankheiten und Schädigungen, vor allem aber in Zusammenhang mit Krebs und Karzinogenese“. Grundsätzliches zu Selen Selen kommt in sehr unterschiedlicher Konzentration ubiquitär im Boden vor. In Nordamerika (USA und Kanada) findet man vielerorts eine hohe Konzentration. Selenmangel mit seinen entsprechenden Folgen kommt dort kaum vor. Am anderen Ende des Spektrums liegt China, wo sogar spezifische durch Selenmangel bedingte Krankheiten auftreten können. Europa liegt – mit grösseren geologischen/ geografischen Unterschieden – zwischen den Extremen. Die Schweiz gehört zwar nicht zu den eigentlichen Selen-Mangelgebieten. Es stellt sich aber auch in unserem Land die Frage, ob in gewissen Situationen eine (zusätzliche) Selen-Supplementation sinnvoll sein könnte. Die ausserordentlich stark unterschiedliche Selenversorgung in verschiedenen Ländern erschwert die Interpretation medizinischer Studien sehr. Hauptsächliche Selenquellen für den Menschen sind „Meerfrüchte“ (Hummer, Crevetten, Austern), Lachs und Kabeljau, Innereien bzw. – je nach Tierfütterung – generell Fleisch. Beim Getreide, insbesondere Weizen, gegessen hauptsächlich als Brot oder Teigwaren, spielt die Herkunft eine ausgeprägte Rolle. Paranüsse sind zwar sehr selenreich, ihr Verzehr ist in der Regel aber limitiert. Wichtigste chemische Form ist das Selenomethionin. Die recommended dietary allowance (RDA) für Selen wird unterschiedlich angegeben. Sie liegt in etwa bei (knapp) 1 ȝg / kg Körpergewicht / Tag. Der upper recommended level (URL) ist bei etwa 400 ȝg / Tag festgelegt, der upper tolerable level (UTL) bei etwa 800 ȝg / Tag. Die für eine optimale Selenversorgung nötige Zufuhr liegt also nur um den Faktor 8 – 10 unter der Toxizitätsgrenze. Biologische Bedeutung von Selen Selen ist essentiell für die Synthese von Selenocystein, dem zentralen Bestandteil der Selenoproteine, von denen bis heute ca. 35 entdeckt wurden. Wichtigste Enzymfamilie ist die Glutathion-Peroxidase, von der 4 Formen bekannt sind. Die Glutathion-Peroxidase ist ein potentes Antioxidans. Es katalysiert die Beseitigung von Wasserstoffperoxid (und anderen Hydroperoxiden). Selenmangel limitiert die Aktivität der GSH-Peroxidase und begünstigt damit die Ueberflutung mit Sauerstoff- 080564_Inhalt.indd 50 23.5.2008 14:55:24 Uhr 49 radikalen. Das Wissen um diese Zusammenhänge weckte das Interesse an der Bedeutung von Selen auf Alterungsvorgänge, Atherosklerose, Karzinogenese und andere Krankheiten, welche mit erhöhter Produktion von freien Radikalen verbunden sind. Zahlreiche – hauptsächlich epidemiologische – Beobachtungen, aber auch gewisse Interventionsstudien mit Selen-Supplementation bestätigen die herausragende Bedeutung von Selen auf die Gesundheit: - In Selenmangelgebieten besteht ein erhöhtes Risiko für Bronchus-, Magenund Pankreaskarzinome Supplementation mit 200 ȝg Selen / Tag reduzierte die Inzidenz für Bronchus-, Colon- und Prostatakarzinome Es wird angenommen, dass die Entwicklung neuer Influenzavirus-Subtypen nicht zufällig in China, der Ausbruch der HIV-Infektion nicht zufällig in Zaire stattfand. Beide Länder sind ausgesprochene Selenmangel-Gebiete. Bei der HIV-Infektion korreliert der Plasma-Selenspiegel mit der Zahl der CD4Helfer-T-Zellen, und zwar unabhängig von einer allfälligen Malnutrition. Die Selenkonzentration ist ein guter Prädiktor für die HIV-Prognose. Bei genügender Selen-Versorgung wird die Entwicklung der Hepatitis B und C zu einem hepatozellulären Karzinom gehemmt. PS: Viren sind fähig, das Selen-Depot des Wirts zu knacken und für den Aufbau eigener Selenoproteine zu verwenden. Die Rate von Frühaborten ist erhöht bei Selenmangel Selenmangel beschleunigt den kognitiven Zerfall im Alter Patienten mit Alzheimer haben deutlich tiefere Plasma-Selenspiegel als Gesunde etc. Beim Menschen sind mindestens 2 Selenmangel-Krankheiten bekannt. Sie wurden in China beschrieben: Bei der Keshan-Krankheit handelt es sich um eine entzündliche, dilatative Kardiomyopathie. Die Kashin-Beck-Krankheit ist eine destruierende Arthropathie. Co-Faktoren spielen in deren Entstehung wahrscheinlich eine Rolle (Coxsackie-Virus-Infektion?). Schwere Mangelzustände mit Myopathie und Kardiomyopathie kommen heute nur noch selten vor, am ehesten im Rahmen einer langdauernden parenteralen Ernährung, eines schweren Malabsorptionssyndroms oder bei schwerem chronischem Alkoholabusus. Das essentielle Spurenelement Selen hat also eine wichtige Bedeutung in der antioxidativen Abwehr, in der Verminderung der mutagenen Aktivität zahlreicher karzinogener Substanzen, in der Bekämpfung von Entzündungsreaktionen und in der Immunmodulation. Selen und Schilddrüse Aufgrund dieser Eigenschaften und dem Umstand, dass die JodothyroninDejodinasen, welche für die Produktion und Regulation des aktiven Hormons T3 (aus T4) verantwortlich sind, ebenfalls zur Familie der Selenoenzyme gehören, kommt dem Selen neben Jod die wohl bedeutendste Rolle in der (Patho-)Physiologie der Schilddrüse zu. Es ist unverzichtbar für Synthese und Metabolismus der Schilddrüsenhormone. 080564_Inhalt.indd 51 23.5.2008 14:55:27 Uhr 50 Selen in der Kontrolle des Metabolismus der Schilddrüsenhormone Zur Synthese der Schilddrüsenhormone bedarf es einer adäquaten Versorgung mit Jod, Selen, Eisen und Calzium. Wegen der Wichtigkeit einer sowohl lokal wie systemisch genügenden Konzentration des aktiven Hormons T3 wird die Funktion der Jodothyronin-Dejodinasen präferentiell aufrecht erhalten, auch im Zustand leichten bis mässigen Selenmangels. Sie stehen in der Hierarchie der Selenverteilung im Organismus (bei ungenügender Reserve für alle selenabhängigen Funktionen) zuoberst. Allerdings können die Dejodinasen unabhängig von der Selenversorgung durch Zytokine, Wachstumsfaktoren und Medikamente beeinflusst werden. Bei gleichzeitigem Jodmangel kann die Dejodinierung mit entsprechendem Jodverlust im Urin die Jodversorgung noch weiter kompromittieren und das Auftreten einer Hypothyrose begünstigen, wenn Selen vor dem Jod ersetzt wird. Die Ueberversorgung mit Selen hat einen negativen Einfluss auf die Aktivität der Dejodinasen und führt dadurch zu einem Abfall von T3 und einem Anstieg von T4 und rT3, ev. sogar des TSH. Eine unkritische und unkontrollierte SelenSupplementation ist deshalb klar unerwünscht. Selen und Schilddrüsen-Autoimmunität Die Bedeutung von Selen bei der Autoimmunthyreoiditis hat wohl viel mit seiner Eigenschaft als Antioxidans zu tun. Erhöhte TSH-Spiegel bedeuten vermehrten oxidativen Stress. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die tägliche Gabe von 200 ȝg Selen, welche eine optimale Wirkung der Glutathione-Peroxidase garantiert, zu einer signifikanten Reduktion bzw. sogar zum Verschwinden der TPOAntikörper führen kann. Dieser Effekt ist unabhängig vom initialen Selenstatus. Der Antikörper-Titer konnte auch bei selen-suffizienten Patienten gesenkt werden. Allerdings wurden bis heute nur vereinzelte Fälle publiziert, bei denen die Behandlung mit Selen auch die Schilddrüsenfunktion (Reduktion von TSH) positiv beeinflussen konnte. Als Hinweis auf eine verminderte Entzündung/Destruktion nahm bei zahlreichen Patientinnen die für eine aktive Autoimmunthyreopathie typische Hypoechogenität in der Ultrasonografie ab. Bei schwangeren Frauen mit positivem TPO-Antikörper-Titer konnte durch eine konsequente Supplementation von Selen während der Schwangerschaft und in der postpartalen Periode das Auftreten einer Hypothyreose signifikant reduziert werden. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Intervention früh im Verlauf einer Autoimmunthyreopathie erfolgen sollte. Ueber die Bedeutung von Selen bei der Autoimmunhyperthyreose vom Typ des Morbus Basedow ist noch recht wenig bekannt. Die Produktion freier SauerstoffRadikale ist beim Basedow erhöht, die Expression von Entzündungsfaktoren wie TNF-Į oder Interleukin in Lymphozyten verändert. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass eine adäquate Selenversorgung für Patienten mit Morbus Basedow wichtig ist. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass bei gleichzeitiger Gabe eines Thyreostatikums und von Selen rascher eine Euthyreose erzielt werden konnte als mit Methimazol allein. Rezidive nach thyreostatischer Therapie eines Morbus Basedow traten bei Patienten mit höheren Selenspiegeln seltener auf. 080564_Inhalt.indd 52 23.5.2008 14:55:30 Uhr 51 Selen und Schilddrüsen-Karzinom Wie für andere Karzinome (siehe oben) konnte auch für differenzierte Schilddrüsenkarzinome gezeigt werden, dass Selenmangel ein Risikofaktor ist. Ausblick Es bestehen heute keine Zweifel mehr, dass dem Selen eine grosse Bedeutung zukommt in der (Patho-)Physiologie der Schilddrüsenhormone, im Rahmen von Autoimmunthyreopathien (mit konsekutiver Hypo- und Hyperthyreose) und bei der Entstehung des Schilddrüsenkarzinoms. Ein faszinierendes neues Forschungsgebiet hat sich aufgetan. Zum heutigen Zeitpunkt sind allerdings mehr Fragen offen als je zuvor. Für unsere tägliche Arbeit in der Praxis ist es klar zu früh, Empfehlungen abgeben zu können. Wir sollten aber ein Basiswissen über Selen und seine mögliche gesundheitliche Bedeutung – insbesondere auf die Schilddrüse - haben, da uns immer mehr Patienten darauf ansprechen werden. Nach dem jetzigen Stand des Wissens dürfen wir denen, welche ihre Krankheit begleitend mit einer SelenSupplementation behandeln möchten guten Gewissens sagen: „Nützt’s nüt, so schad’s nüt“, sofern sie die tägliche Dosis von 200 ȝg respektieren. Literatur Rayman MP et al.; Am J Clin Nutr 2008 Febr; (2) : 370 – 8 Wertenbruch T et al.; Med Chem 2007 May; 3 (3) : 281 – 4 Negro R et al.; J Clin Endocrinol Metab 2007 Apr; 92 (4) : 1263 – 8 Hashemipour M et al.; Exp Clin Endocrinol Diabetes 2008 Febr; 116 (2) 75 – 9 Gärtner R et al. ; J Clin Endocrinol Metab 2002 Apr ; 87 (4) : 1687 – 91 Chanoine JP et al. ; J Clin Endocrinol Metab 2001 Mar ; 86 (3) : 1160 – 3 Riese C et al. ; Endocrinology 2006 Dec ; 147 (12) : 5883 – 92 Schomburg L et al. ; Endocrinology 2006 Mar ; 147 (3) : 1306 – 13 Gärtner R. Et al.; Biofactors 2003; 19 (3-4) : 165 – 70 Köhrle J; Thyroid 2005 Aug; 15 (8) : 841 – 53 Duntas LH Thyroid 2006 May; 16 (5) : 455 – 60 Brown KM et al.; Public Health Nutr 2001 Apr; 4 (2B) : 593 – 9 Truniger B, 13. Winterthurer Fortbildungskurs 1991 : 36 – 9 Scheck R et al.; Ernährung & Medizin 2007 ; 22 : 20 – 5 Duntas LH et al.; Eur J Endocrinol 2003 ; 148 : 389 – 93 Turker O et al. ; J Endocrinol 2006 ; 190 : 151 – 6 Rayman MP, Lancet 2000 ; 356 : 233 – 41 Berger MM, Schweiz Med Forum 2003 ; 31 : 720 – 26 080564_Inhalt.indd 53 23.5.2008 14:55:33 Uhr 52 Subklinische Dysthyreose: Krankheit oder Laborente? Durch die vermehrte Bestimmung des TSH (Thyroid-stimulating hormone) im Rahmen von Screeninguntersuchungen und durch die verbesserten Assays zu dessen Bestimmung werden immer häufiger so genannt subklinische Störungen der Schilddrüsenfunktion diagnostiziert, definiert als erhöhter resp. erniedrigter TSH-Wert mit noch normalen peripheren Schilddrüsen-Hormonwerten ((f)T3, (f)T4). Dabei stellt sich die Frage, ob eine solche Laborkonstellation klinische Konsequenzen hat und somit behandlungsbedürftig ist oder nicht. 1) Subklinische Hypothyreose Eine subklinische Hypothyreose ist biochemisch charakterisiert als Funktionsstörung mit erhöhtem Serum-TSH (>4.49 mU/l) und normalen peripheren Schilddrüsenwerten. Die Prävalenz liegt je nach untersuchtem Kollektiv zwischen 2.5% und 15.4 % und ist in der Gruppe der über 60 jährigen Frauen am höchsten. Insgesamt sind Frauen etwa 9x häufiger betroffen als Männer. Umgerechnet für die Schweiz bedeutet dies, das etwa 400'000 Personen betroffen sind. Die Ursachen der subklinischen Hypothyreose sind die gleichen wie die der manifesten Hypothyreose: -Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis): häufigste Ursache, schmerzlos; charakterisiert durch die Präsenz von Thyreoperoxidase (TPO)-Antikörpern. -Frühere Behandlung mittels Radiojod oder chirurgische Intervention aufgrund einer Hyperthyreose, Struma oder eines Malignoms. -Direkte medikamentöse Wirkung (Lithium, Sulfonamide, Phenylbutazon), exzessive Jodzufuhr und dadurch Blockade der Schilddrüse. -Ungenügende Substitution bei manifester Hypothyreose. Differentialdiagnostisch muss auch an ein sogenanntes ‚euthyroid sick syndrom’ gedacht werden. Im Rahmen von schweren Allgemeinerkrankungen wird die Schilddrüsenfunktion reduziert, was sich in erniedrigten T3-Werten zeigt. Das TSH kann in einer solchen Situation sowohl erniedrigt als auch (vor allem in der Erholungsphase) erhöht sein (bis maximal 20 mU/l). Eine subklinische Hypothyreosen kann in eine manifeste Unterfunktion übergehen. Die jährliche Rate dabei beträgt etwa 4-8 % und ist vor allem abhängig von der Höhe des initialen TSH-Wertes (je höher desto wahrscheinlicher und früher tritt eine manifeste Hypothyreose auf) und der Präsenz und Titerhöhe von TPO-Antikörpern (1). Allerdings ist der Prozentsatz der Patienten etwa gleich hoch, die innerhalb der nächsten 2-4 Jahre wieder eine Normalisierung des TSH-Wertes aufzeigen (2). Eine subklinische Hypothyreose ist meist asymptomatisch, oft finden sich jedoch oligosymptomatische Formen. Abhängig von der Höhe des TSH-Wertes sind unspezifische Beschwerden wie u.a. Müdigkeit, trockene Haut oder Parästhesien bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose doppelt so häufig wie bei Kontrollen. Die Verwendung eines standardisierten klinischen Scores zur Erfassung der Symptomatik hat sich bewährt. Eine wesentliche metabolische Veränderung bei subklinischer Hypothyreose ist die Dyslipidämie, charakterisiert durch erhöhtes totales und LDL-Cholesterin, im Schnitt um etwa 18 % höher als bei einer gesunden Kontrollgruppe. Bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose mit hohem TSH (>12mU/l) und hohem LDL-Cholesterin kann eine Normalisierung des TSH durch Substitution zu einer signifikanten Verbesserung der LDL-Konzentrationen führen (3). Etwas weniger Klarheit besteht bezüglich Zusammenhang mit Blutdruck und kardialer Funktion. So scheint der diastolische Blutdruck bei subklinischer Hypothyreose erhöht zu sein, ebenfalls die arterielle Pulswellengeschwindigkeit als Marker der arteriellen Steifigkeit. Ebenfalls findet sich häufiger echokardiographisch eine diastolische Dysfunktion, die unter Substitution reversibel ist. Diese Veränderungen scheinen auch Auswirkungen auf die Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Morbidität zu haben: so zeigte unter anderem die Rotterdam-Studie eine Assoziation zwischen subklinischer Hypothyreose, aortaler Atherosklerose und dem Auftreten einer koronaren Herzkrankheit (4-6). Die Evidenz, dass eine Behandlung der subklinischen Hypothyreose einen Benefit bringt in Bezug auf kardiovaskuläre Endpunkte steht aber aus. Als kardiovaskuläre Risikofaktoren gelten unter anderem auch ein erhöhter Homozystein- und ein erhöhter C-reaktiver Protein (CRP)-Wert. CRP ist bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose höher als bei einem euthyeoten Kontrollkollektiv. Allerdings führte eine Behandlung mittels T4 Präparat nicht zu einer signikanten Senkung der Homocystein- oder CRP werte (7). 080564_Inhalt.indd 54 23.5.2008 14:55:35 Uhr 53 Im Jahr 2004 hat ein Expertenkommitee die vorhandene Literatur bezüglich Evidenz einer Behandlung der subklinischen Hypothyreose gesichtet und folgendermassen zusammengefasst (8): a) asymptomatische subklinische Hypothyreosen mit einem TSH zwischen 4.5 bis 10 mU/l sollten nicht behandelt werden, da die Evidenz dazu fehlend ist. Eine regelmässige Verlaufskontrolle ist jedoch indiziert. b) Ausnahmen: bereits Substitution bei einem TSH zwischen 4.5 – 10 mU/l bei unerfülltem Kinderwunsch, Schwangerschaft, Dyslipidämie, Depression, Vorliegen einer Struma c) bei einem TSH > 10 mU/l wird eine Substitution mit dem Ziel einer TSH-Normalisierung empfohlen Die Substitution sollte mit einem reinen T4-Präparat durchgeführt werden, das eine lange Halbwertszeit (180 Stunden) und eine hohe Bioverfügbarkeit aufweist. Die T-4 Dosis sollte individuell in 25ȝg Schritten alle 4-6 Wochen angepasst werden. Ziel ist das Erreichen eines normalen TSH (= Verlaufsparameter) und Vermeiden einer TSH-Suppression. Ein Kombinationspräparat mit einem T3Anteil führt gemäss einer Meta-Analyse nicht zu einem besseren Endresultat, sondern kann aufgrund der rascheren Halbwertszeit (T3: 18 Stunden) und stärkeren Plasmaschwankungen zu Nebenwirkungen wie Palpitationen führen. Bei einer Schwangerschaft steigt der Bedarf an Schilddrüsenhormonen normalerweise um etwa 45% an. Somit sollte bei festgestellter Schwangerschaft die vorbestehende Substitution um etwa 1/3 erhöht werden mit Laborkontrollen alle 4 Schwangerschaftswochen bis zur 20. Woche, wo sich der Bedarf in der Regel stabilisiert. Postpartal sollte erneut eine Laborkontrolle wegen wieder sinkendem Bedarf durchgeführt werden. 2) Subklinische Hyperthyreose Als subklinische Hyperthyreose wird die Laborkonstellation eines supprimierten TSH (<0.3 mU/l) und normalen peripheren Hormonen bezeichnet. Die Prävalenz beträgt etwa 0.3 bis 1%. Auch hier stellt sich die Frage, ob diese Laborkonstellation klinische Konsequenzen hat und behandlungsbedüftig ist. Kardial findet sich bei einer subklinischen Hyperthyreose gehäuft Vorhofflimmern: dessen Inzidenz lag bei 2% in einer euthyreoten Population, bei 14 % bei Vorliegen einer manifesten Hyperthyreose und bei 13% bei subklinischer Hyperthyreose. Vergleichbar die Resultate einer Untersuchung bei 2000 über 70 jährigen Personen mit einer mehr als verdoppelten Inzidenz von Vorhofflimmern, wenn das TSH unter 0.1 mU/l supprimiert war. Echokardiographisch fand sich eine vergrösserte Dicke des Septums und der Hinterwand des linken Ventrikels, verbunden mit einer vermehrten Inzidenz einer diastolischen Dysfunktion. Eine subklinische Hyperthyreose kann somit vor allem für Patienten mit vorbestehender Herzerkrankungen von erheblicher Bedeutung sein. Die Auswirkungen auf die kardiovaskulären Endpunkte und insbesondere die Gesamtmortalität sind aber widersprüchlich: Im allgemeinen wird in Studien das erhöhte Risiko für Vorhofflimmern bestätigt, es besteht jedoch bei subklinischer Hyperthyreose kein erhöhtes Risiko für eine erhöhte kardiovaskuläre Gesamtmortalität. Eine manifeste Hyperthyreose führt zu einer verminderten Knochendichte und zu einer vermehrten Frakturrate. Unklar bleibt, ob auch eine subklinische Hyperthyreose die Knochendichte vermindert; Knochenumbaumarker wie das Osteokalzin und das Deoxy-Pyridinolin können erhöht sein. Konkrete Guidelines zum Management einer subklinischen Hyperthyreose existieren nicht. Auch hier gab ein Expertenkommitee im Jahr 2004 Empfehlungen zur Therapie heraus (8): Hohes Risiko für Komplikationen (kardial (insbesondere Vorhofflimmern), Skelett (Osteoporose)) TSH <0.1mU/l Abklärung und Therapie TSH >0.1mU/l im Einzelfall und in Absprache mit Patient Tiefes Risiko für Komplikationen TSH <0.1mU/l im Einzelfall und in Absprache mit Patient TSH >0.1mU/l beobachten 080564_Inhalt.indd 55 23.5.2008 14:55:39 Uhr 54 Bei etwa 50% der Patienten kann eine spontane Normalisierung des TSH wertes festgestellt werden. Deshalb wird in jedem Fall eine Kontrolle des TSH-Wertes nach 4-6 Wochen empfohlen, sowie dann in regelmässigen Abständen. Von spezieller Bedeutung bei jeder Form einer subklinischen Hyperthyreose ist die JodExpositionsprophylaxe. Unser täglicher Jodbedarf beträgt etwa 200-300ȝg täglich. Kontrastmittel für Computertomographien oder Koronar-/Angiographien sind sehr jodhaltig mit 150 bis 300 mg Jod / ml Kontrastmittel. Eine solche Jodbelastung kann somit ein bisher relativ stabiles Gleichgewicht zur Entgleisung bringen: eine manifeste Hyperthyreose oder gar eine thyreotoxische Krise, die mit einer Mortalität von 20-50% assoziiert ist, kann die Folge sein. Aus diesem Grund wird eine JodExpositionsprophylaxe mit Thyreostatika bei Patienten mit subklinischer Hyperthyrose empfohlen: 210 Stunden vor Jodapplikation sollten 20mg Neo-Mercazole verabreicht werden, diese Dosis sollte während 7 Tagen nach Jodgabe weiter eingenommen werden. Zusammenfassung Subklinische Störungen der Schilddrüsenfunktion sind definiert als pathologische TSHKonzentrationen bei noch normalen peripheren Schilddrüsenhormonen. Die Prävalenz der subklinischen Hypothyreose (erhöhtes TSH) liegt zwischen 2.5 bis 15%, sie kann, insbesondere bei TSH Werten >10mU/L mit Allgemeinsymptomen und einer Dyslipidämie assoziiert sein. Deshalb wird eine Substitution in der Regel erst ab einem TSH von > 10ȝU/l empfohlen und sollte mit einem reinen T4-Präparat durchgeführt werden. Bei tieferen TSH-Werten richtet sich die Indikation nach zusätzlichen Risikofaktoren und Symptomen, es gibt aber keine Evidenz dass der Patient davon einen Benefit hat. Die subklinische Hyperthyreose (supprimiertes TSH) ist mit einem erhöhten Risiko für das Aurtreten von Vorhofflimmern assoziiert, mit erhöhter kardialer Morbidität wohl eher nicht, obwohl dies kontrovers diskutiert wird. Die Indikation zur Diagnostik und Therapie richtet sich individuell nach dem Risiko. Bei hohem Risiko (speziell Vorhofflimmern und Osteoporose) wird eine Therapie ab einem TSH-Wert <0.1mU/L empfohlen. Eine konsequente Jod-Prophylaxe mit Thyreostatika sollte bei Exposition mit Röntgenkontrastmitteln durchgeführt werden. Referenzen 1. Huber G, Mitrache C, Meier C, Guglielmetti M, Huber P, Staub JJ. 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Subclinical thyroid disease: scientific review and guidelines for diagnosis and management. Jama. 2004;291(2):228-38. 080564_Inhalt.indd 57 23.5.2008 14:55:45 Uhr 56 Sind Schilddrüsenpatienten wirklich anders? Psychische Veränderungen bei Hypo- und Hyperthyreosen Dr. Christian Meier, Endokrinologische Praxis und Labor, 4055 Basel Psychiatrische Auffälligkeiten bei Patienten mit Schilddrüsenfunktionsstörungen können sehr vielgestaltig sein. So werden häufig kognitive Funktionsstörungen und depressive Zustandsbilder, seltener Angststörungen sowie psychotische Zustände mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen beschrieben. Wie aus Fallsammlungen bekannt kann sich eine Hypo- bzw. Hyperthyreose alleinig durch diese psychischen Veränderungen manifestieren ohne dass typisch organisch geprägte Symptome bestehen müssen. Um eine zugrundeliegende Schilddrüsenerkrankung frühzeitig erkennen und gezielt behandeln zu können, ist die Kenntnis psychischer Manifestationsformen erforderlich. 1. Psychiatrische Manifestationen bei Hypothyreosen Schwere psychotische Krankheitsverläufe im Rahmen fortgeschrittener hypothyreoter Stoffwechselentgleisungen treten heute durch eine frühzeitige Diagnostik (TSH-Screening) nur noch selten auf (Inzidenz <5% der Hypothyreosen). Trotzdem werden bei Patienten mit manifesten Hypothyreosen häufig leichte, individuell sehr unterschiedliche psychische Alterationen beobachtet. Bei frühzeitiger Diagnose und entsprechender kausaler Behandlung können lange, für den Patienten oft sehr belastende Krankheitsverläufe verhindert werden. Neben unspezifischen Allgemeinsymptomen wie Müdigkeit oder Schwäche und typischen somatischen Beschwerden werden bei Patienten mit manifester Hypothyreose schon zu Beginn der Erkrankung nicht selten kognitive Veränderungen beobachtet. Auf gezieltes Erfragen werden von den Patienten Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Frühgedächtnisstörungen sowie verlangsamte Gedankengänge beschrieben. Diese meßbar verlängerte Reaktionszeit geht in einen Verlust an Initiative und Interesse über und schließlich tritt eine allgemeine Stumpfheit und Lethargie mit konsekutiver Persönlichkeitsstörung auf. Bewusstseinsveränderungen mit Somnolenz und Koma (Myxödemkoma) können bei schweren Verläufen beobachtet werden. Hypothyreose-assoziierte depressive Zustandsbilder wie melancholische Verstimmung, Antriebshemmung, Interessenverlust und Rückzugsverhalten (bis zur Isolierung) müssen von affektiven Psychosen abgegrenzt werden. Im Gegensatz zur depressiven Gehemmtheit werden selten auch agitierte Phasen beobachtet. Dabei können innere Unruhe, Bewegungsdrang, Schlaflosigkeit und Reizbarkeit bis hin zu psychotischen Entgleisungen mit Angstzuständen (speziell Agoraphobien) oder Halluzinationen (“myxedema madness”) auftreten. Diese psychotische Manifestationsformen sind heute dank verbesserter Diagnostik und frühzeitiger Behandlung der Hypothyreose nur noch selten (ca. 5%) anzutreffen. Tab. 1: Psychiatrische Manifestationen und deren Häufigkeit bei Hypothyreose kognitive Veränderungen (50-90%) Depressives Zustandsbild (40%) Agitiertes Zustandsbild (<5%) Bewusstseinsveränderungen (<5%) 080564_Inhalt.indd 58 x x x x x x x x x x x x x Aufmerksamkeitsstörungen Konzentrationsstörungen Gedächtnisstörungen Verlangsamte Gedankengänge Initiativenlosigkeit Stumpfheit, Lethargie Melancholische Verstimmung Antriebshemmung Interessenverlust Rückzugverhalten (Isolation) Innere Unruhe, Bewegungsdrang Schlaflosigkeit, Reizbarkeit Psychotische Entgleisung mit Angstzuständen, Halluzinationen (“myxedema madness”) x Somnolenz und Koma (Myxödemkoma) 23.5.2008 14:55:48 Uhr 57 Kontrovers bleibt, inwieweit psychische Beschwerden bei Patienten mit subklinischen Hypothyreosen anzutreffen sind. Definitionsgemäss sind Patienten mit dieser frühen Form der Schilddrüsenunterfunktion asymptomatisch. Basierend auf neueren Arbeiten muss jedoch angenommen werden, dass individuell unterschiedlich klinische Veränderungen auftreten können. Gemäß einer Untersuchung von Haggerty und Mitarbeitern ist das Risiko, zu Lebzeiten an einer Depression zu erkranken, gegenüber euthyreoten Kontrollpersonen signifikant erhöht (56% vs 20%). In Tab. 2 sind kontrollierte, prospektive Studien, welche einen günstigen Effekt einer T4Substitutionsbehandlung bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose untersucht haben, zusammengefaßt. In allen Studien wurden die Patienten mit einem T4-Präparat substituiert mit dem Ziel einer euthyreoten Stoffwechseleinstellung. Bei relativ hoher T4-Substitutionsdosis und entsprechend tiefnormalen TSH-Werten kann in den Arbeiten von Nyström und Monzani nicht ausgeschlossen werden, dass bei einzelnen Patienten durch eine passagere Ueberdosierung im Sinne einer leichten TSH-Suppression der Therapieeffekt überschätzt wird. Tab. 2: Effekte auf neuropsychologische Parameter bei subklinischer Hypothyreose unter LT4 Therapie LT4Therapie Dauer (Monate) 12 6 6 10 3 12 Patienten (n) TSH vor LT4 TSH nach LT4 Psychiatrische Parameter 17 17 14 18 19 31 10,8 ± 2,2 7,7 ± 0,9 8,8 ±1,5 12,3 12,0 ± 1,2 12,8 ± 1,4 2,6 ± 0,5 1,9 ± 0,4 1,3 ± 0.2 4,6 2,2 ± 0.3 3,1 ± 0,3 Hypothyreosesymptomatik Ļ Gedächtnisleistung Ĺ, Reaktionszeit Ļ Gedächtnisleistung Ĺ, Ängstlichkeit Ļ Gedächtnisleistung Ĺ Gedächtnisleistung Ĺ Hypothyreosesymptomatik Ļ Referenz Cooper et al. Nyström et al. Monzani et al Jaeschke et al. Baldini et al. Meier et al. Prävalenz von Hypothyerosen im psychiatrischen Krankengut Neben den dargestellten psychiatrischen Sympomen von Patienten mit manifester bzw. subklinischer Hypothyreose stellt sich die Frage, wie häufig eine Hypothyreose in einem psychiatrischen Krankengut anzutreffen ist. Aus methodischen Gründen (Labormethodik; Testsensitivität; ambulantes oder stationäres Krankengut; Untersuchungen in Gegenden unterschiedlichen Jodgehalts) ist die Erfassung der Hypothyreoseprävalenz bei psychiatrischen Patienten erschwert. So fanden sich bei 27.6% der 880 in eine deutsche psychiatrische Klinik eingewiesenen Patienten Veränderungen der T4- und TSH-Konzentrationen. Bei der Mehrzahl der Patienten waren die Hormonveränderungen unspezifisch und reversibel, nur bei 9 der aufgenommenen Patienten (0.1%) fand sich eine Hypothyreose (2 manifest, 7 subklinisch; davon 6 bereits bekannte Hypothyreosen). Aehnliche Prävalenzahlen ergab eine retrospektive kanadische Studie, in der bei 13.7% der psychiatrische eingewiesenen Patienten pathologische Schilddrüsenwerte gemessen wurden, aber nur bei 0.9% der Patienten eine Schilddrüsendysfunktion neu diagnostiziert werden konnte. Laborabklärungen Aufgrund der alters- und geschlechtsabhängig erhöhten Prävalenz von Hypothyreosen bei psychiatrischen Patienten wird insbesondere Frauen über 60 Jahren ein TSH-Screening empfohlen. Weitere Kriterien für eine erhöhte Inzidenz von Hypothyreosen sind “rapid-cycling” bipolare Störungen, therapierefraktäre Depressionen und Patienten unter einer Lithiumtherapie. Da psychiatrische Manifestationen bei hypothyreoten Patienten unspezifisch sind und eine Schizophrenie, eine affektive Psychose oder einen paranoiden Zustand vortäuschen können, ist eine gezielte Anamnese und körperliche Untersuchung bezüglich somatischer Hypothyreosestigmata wegweisend. Zur Bestätigung bzw. zum Ausschluß einer hypothyreoten Stoffwechsellage ist die Bestimmung der Serumkonzentrationen von TSH und fT4 angezeigt. Dank der hohen Testsensitivität ist meist eine klare Abgrenzung zu primär psychiatrischen Erkrankungen möglich. 080564_Inhalt.indd 59 23.5.2008 14:55:52 Uhr 58 Speziell kontrollbedürftig sind Patienten unter einer Lithiumtherapie. Es wird angenommen, dass Lithium einen direkten antithyroidalen Effekt durch Hemmung der Schilddrüsenhormonsekretion und durch Modulation einer vorbestehenden Autoimmunität ausübt. Neben der strumigenen Wirkung (Strumainzidenz etwa 50%) wird bei 2% bis 10% der Lithium-behandelten Patienten im Verlauf eine Hypothyreose beobachtet. Die höchste Prävalenz findet sich während der ersten beiden Behandlungsjahren, insbesondere bei Frauen über 40 Jahren (Prävalenz >20%). Bei fortgesetzter Lithiumbehandlung ist eine Schilddrüsenhormonsubstitution indiziert. Insbesondere bei Patienten mit bipolaren Störungen und raschem Phasenwechsel (“rapid cycling”) sollte die Schilddrüsenfunktion regelmässig kontrolliert werden: bei rund 50% dieser Patienten trat im Verlauf unter Lithium eine manifeste Hypothyreose auf, wohingegen bei Patienten mit “non-rapid cycling” Störungen unter einer Lithiumtherapie viel seltener eine Hypothyreose festzustellen war. Therapeutische Maßnahmen bei Hypothyreosen Psychische Veränderungen bei hypothyreoten Patienten sind meist nach adäquater T4Substitutionsbehandlung reversibel. Erfahrungsgemäss kann man 4 bis 8 Wochen nach Beginn der Hormontherapie damit rechnen, dass die psychiatrische Symptome abklingen, seltenerweise kann die Dauer bis zur vollständigen klinischen Erholung bis 6 Monaten verlängert sein. Ausgenommen sind Patienten, bei denen zusätzlich zur Hypothyreose eine endogene affektive Psychose vorliegt. Allgemein genügt zur Substitutionsbehandlung der Einsatz eines reinen T4Präparates (Thyroxin). Kontrovers wird die zusätzliche Gabe von T3 (Triiodothyronin) diskutiert. Aufgrund tierexperimenteller Studien, in denen zur Normalisierung der Gewebshypothyreose (gemessen anhand der gewebespezifischen Deiodinaseaktivität) die zusätzliche Gabe eines T3-Präparat in physiologischer Dosierung notwendig war, wird ein günstiger Effekt einer T4/T3Kombinationsbehandlung postuliert. Ob diese Daten auf hypothyreote Patienten mit depressiver Symptomatik übertragen werden können, bleibt unklar. Generell gilt in der Substitutionsbehandlung, dass die T4-Dosis individuell angepasst und die prinzipiell niedrigste Dosierung zum Erreichen einer euthyreoten Stoffwechsellage angestrebt werden sollte. Als Therapieoption bei euthyreoten Patienten mit therapierefraktärer Depressionen wird nicht selten der Einsatz von T4- oder T3-Präparaten (Augmentationsbehandlung) erwogen. Bei 50% bis 60% der Patienten mit schwerer, therapierefraktärer Depression konnte mit supraphysiologischen T4-Dosen (480 ȝg tgl.) zusätzlich zur antidepressiven Therapie innerhalb von 3 Monaten eine klinische signifikante Besserung erreicht werden konnte. Augrund der Tatsache dass bei Patienten mit therapierefraktärer Depression eine subklinische Hypothyreose häufiger als in der Allgemeinbevölkerung ist, kann zumindest bei einigen Patienten ein Schilddrüsenhormonmangel als Kofaktor postuliert werden. In Anbetracht des Nebenwirkungspotentials der supraphysiologischen Schilddrüsenhormondosis sollten diese therapeutischen Optionen für ausgewählte Fälle reserviert bleiben. 2. Psychiatrische Manifestationen bei Hyperthyreosen Bei Patienten mit manifesten Hyperthyreosen sind psychische Veränderungen häufig anzutreffen. Neben den typischen somatischen Hyperthyreosezeichen werden oft Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Ungeduld, emotionale Labilität, Schlafstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen beschrieben. Seltener präsentieren sich Patienten deutlich euphorisch und hyperaktiv, in extremen Fällen kann ein psychotisches manisches oder deliriöses Zustandsbild bestehen (Inzidenz etwa 1%). Bei Patienten mit bekannten chronischen Psychosen (Manie, bipolare Psychose) kann eine neuaufgetretene manifeste Hyperthyreose Auslöser eines neuen psychotischen Schubes sein. Nächtliche Schlafstörungen bei hyperthyreoten Patienten führen meist zu einer ausgeprägten Müdigkeit und Schwäche tagsüber, ein wichtiges Merkmal zur Differenzierung zu endogenen manischen Erkrankungen, bei denen die Patienten tagsüber vitalitäts- und antriebsgesteigert sind. Wechselnde manische und depressive Phasen (Zyklothymie) sind meist Ausdruck einer vorbestehenden bipolaren Depression. Differentialdiagnostisch sind zudem Angstzustände und Panikattacken von manifesten Hyperthyreosen mit psychiatrischen Manifestationen abzugrenzen. 080564_Inhalt.indd 60 23.5.2008 14:55:56 Uhr 59 In einer retrospektiven Studie wurden die Daten von 18 innerhalb eines Zeitraumes von 20 Jahren stationär behandelte Patienten zusammengefasst, bei denen sich eine floride Hyperthyreose durch schwere psychotische Veränderungen manifestiert hat. Ein spezifisches klinisches Bild war bei den hyperthyreoten Patienten nicht feststellbar, es dominierten jedoch die affektiv ausgestalteten Psychosen. Weniger häufig waren schizophrene Psychosen, in je einem Fall wurden eine paranoide Psychose und ein Delirium diagnostiziert. Erwartungsgemäß besserte sich die psychische Symptomatik bei den meisten Patienten nach einer anfänglichen Behandlung rasch und weitere psychiatrische Erkrankungen traten in der Folge nicht mehr auf. Vor allem bei älteren Patienten kann die Hyperthyreose im Gegensatz zu den erwähnten Manifestationsformen atypisch verlaufen. Bei der sogenannten “apathetic thyrotoxicosis” handelt es sich um einen meist oligosymptomatischen Hyperthyreoseverlauf mit Überwiegen einer depressiven Symptomatik. Geriatrische Patienten präsentieren sich nicht selten apathisch, geistig verwirrt und dement. Die klinische Diagnose wird erschwert durch das häufige Fehlen klassischer Hyperthreosesymptome wohingegen meist ein beträchtlicher Gewichtsverlust vorliegen kann. Tab. 3: Psychiatrische Manifestationen bei Hyperthyreosen x x x x x x x Emotionale Labilität, Stimmungsschwankungen (häufig) Reizbarkeit, Unruhe, Ungeduld Schlaflosigkeit, Müdigkeit (tagsüber) Konzentrations- und Gedächtnisstörungen Euphorie, Hyperaktivität Aengstlichkeit (etwa 40%) Manisches oder deliriöses Zustandsbild (<5%) x Bewusstseinsveränderungen mit Somnolenz oder Koma (Thyreotoxische Krise; < 1%) Prävalenz von Hyperthyerosen im psychiatrischen Krankengut Die Prävalenz neuentdeckter Hyperthyreose in psychiatrischen Kliniken ist klein (neu-entdeckte manifeste Hyperthyreose in <1%, subklinische Hyperthyreosen in 5-6%). Bei Patienten mit supprimierten TSH-Werten ist eine Abgrenzung zu unspezifischen, nicht-thyroidal bedingten und im Verlauf reversiblen Schilddrüsenhormonveränderungen erforderlich. Therapeutische Maßnahmen bei Hyperthyreosen Die Behandlung hyperthyreoter Patienten mit psychiatrischen Begleitbeschwerden erfolgt unabhängig von der zugrunde liegenden Schilddrüsenpathologie initial durch eine thyreostatische Behandlung (Carbimazol, Propylthiouracil). Eine Radiojodbehandlung oder ein operatives Vorgehen ist in der akuten Situation meist nicht möglich. Zur symptomatischen Therapie haben sich der zusätzliche Einsatz von E-Rezeptorenblockern und Neuroleptika (Haloperidol, Chlorpromazin) bewährt. Trizyklische Antidepressiva sind kontraindiziert, da nicht selten schwer verlaufende thyreotoxische Entgleisungen induziert werden können. 3. Schilddrüsenhormonveränderungen als Folge von psychiatrischen Erkrankungen Die Beurteilung der Schilddrüsenfunktion kann bei Patienten mit nicht-thyreoidalen Erkrankungen, einschließlich psychiatrischen Leiden, erschwert sein. Typischerweise können bei akut erkrankten Patienten erniedrigte T3- und T4-Konzentrationen sowie leicht supprimierte oder auch erhöhte TSH-Werte nachgewiesen werden (“euthyroid-sick syndrome”). Diese laborchemischen Variationen, welche auf eine verminderte T4/T3-Konversion sowie auf eine veränderte Proteinbindung der Schilddrüsenhormone zurückgeführt werden können, sind nicht krankheitsspezifisch, im Verlauf reversibel und meist nicht therapiebedürftig. Bei hospitalisierten psychiatrischen Patienten sind primäre Hypo- und Hyperthyreosen selten (Prävalenz ca. 1%). Bei depressiven Patienten findet man häufig ein partielles TSH-Suppressionssyndrom mit basal leicht supprimiertem TSH und vermindertem TSH-Anstieg nach TRH-Stimulation. In der Erholungsphase kann das basale TSH auch leicht erhöht sein (bis maximal 20 mU/l). Bei Patienten mit akuten psychotischen Manifestationen, vor allem Schizophrenien, können passager erhöhte T4-Konzentrationen mit/ohne TSH-Suppression beobachtet werden. 080564_Inhalt.indd 61 23.5.2008 14:56:00 Uhr 60 Zur Screeninguntersuchung werden heute in der klinischen Routine ultrasensitive TSH-Assays mit einer funktionellen Sensitivität von 0,01 mU/l (zum Teil bis 0,005) angewendet. Dank dieser hochsensitiven Assays ist meist eine klare Abgrenzung nicht-thyroidaler Laborveränderungen von behandlungsbedürftigen hyperthyreoten Stoffwechsellagen möglich. Eine endogene Hyperthyreose ist bei basal nicht meßbarem TSH (<0.005 mU/l) und erhöhtem fT4 (und T3) anzunehmen. Ein basales TSH >20 mU/l spricht für das Vorliegen einer manifeste Hypothyreose; in beiden Fällen ist eine weitere endokrinologische Abklärung indiziert. Bei hospitalisierten psychiatrischen Patienten empfiehlt sich die gleichzeitige Bestimmung von TSH und fT4 zum gezielten Ausschluß einer Schilddrüsendysfunktion. Da die meisten Schilddrüsenhormonveränderungen bei hospitalisierten Patienten passager sind, ist eine Wiederholung des Schilddrüsenstatus in unklaren Fällen 2-4 Wochen nach Entlassung angezeigt. 080564_Inhalt.indd 62 23.5.2008 14:56:04 Uhr 61 Consensus Statement of the European Group on Graves' Orbitopathy (EUGOGO) on Management of Graves' Orbitopathy “Empfehlungen der European Group on Graves' Orbitopathy (EUGOGO) zur Abklärung und Behandlung der endokrinen Orbitopathie“ publiziert in Thyroid. 2008 Mar;18(3):333-46 und Eur J Endocrinol. 2008 Mar;158(3):273-85 Georg von Arx, basedow.ch, 4600 Olten Die Behandlung von Patienten mit endokriner Orbitopathie (EO) ist eine grosse klinische und therapeutische Herausforderung. Die EO ist die häufigste extrathyroidale Manifestation der Autoimmunhyperthyreose vom Typus M.Basedow. Sie kann schon vor (euthyreote EO), gleichzeitig mit der Manifestation der Hyperthyreose, aber auch erst im späteren Verlauf auftreten. In einem kleinen Prozentsatz tritt sie jedoch auch bei Patienten mit Hypothyreose vom Typ Thyroiditis Hashimoto auf (hypothyreote Form). Weil eine ausführliche Diskussion der Pathogenese der EO den Rahmen dieses Vortrages sprengen würde, soll hier lediglich auf die Beziehung dieses Krankheitsbildes zwischen Schilddrüsenerkrankung und orbitaler Manifestation verwiesen werden, was klinische und therapeutische Bedeutung hat. Die optimale Abklärung und Behandlung der EO erfordert ein koordiniertes Vorgehen zur Behandlung sowohl der Schilddrüsenfehlfunktion, wie auch der EO. Die EO ist zwar oft mild und selbstlimitierend, whs. in der Häufigkeit auch eher abnehmend, aber immer noch mit ca. 3-5% schweren, visusbedrohenden Formen. Manifestation und Progression der EO werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst, welche teils selbst beeinflusst werden können wie etwa Zigaretten-Rauchen, Dysthyreose und Wahl der Behandlung der Dysthyreose. Suboptimale Behandlungen von Patienten mit EO scheinen leider weitverbreitet zu sein. Das Ziel dieses Vortrags soll die praxisbezogene 080564_Inhalt.indd 63 23.5.2008 14:56:07 Uhr 62 Information von Spezialisten und Nicht-Spezialisten zur Verbesserung der Abklärung und Behandlung von Patienten mit EO sein. EUGOGO ist ein multidisziplinäres Konsortium von Klinikern aus 12 Europäischen Universitätszentren, welche sich der Erforschung der EO und der Verbesserung der Behandlung dieser anspruchsvollen Erkrankung verschrieben haben (www.eugogo.org). Im November 2006 wurde eine Arbeitsgruppe gebildet mit dem Auftrag ein Arbeitspapier für ein “Consensus Statement” zu erarbeiten. Dieses wurde in der Folge an verschiedenen Arbeitssitzungen und im Plenum diskutiert, revidiert und danach der European Thyroid Association (ETA), sowie der European Society of Ophthalmic Reconstructive and Plastic Surgeons (ESORPS) zur kritischen Durchsicht und Begutachtung unterbreitet. Das so entstandene Dokument wurde dann im September 2007 am ETA Jahreskongress in Leipzig erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Relevante Literaturquellen und Referenzen wurden mittels MEDLINE gesucht (MESH: Graves’ ophthalmopathy oder Orbitopathy, thyroidassociated ophthalmopathy oder Orbitopathy und thyroid-eye disease). Die gebrauchten Definitionen der “Types of Evidence” und des “Grading of Recommendations” folgt den Richtlinien und Empfehlungen der “Agency for Health Care Policy and Research” (AHCPR), neu “Agency for Healthcare Research and Quality” (AHRQ) (www.ahrq.gov). Betreffs relevanter Literatur und detaillierter Information wird an dieser Stelle auf die o.e. Publikation in den Fachzeitschriften „Thyroid“ und „European Journal of Endocrinology“ vom März 2008 verwiesen. 080564_Inhalt.indd 64 23.5.2008 14:56:09 Uhr 63 1. Kombinierte Spezialsprechstunden für Patienten mit EO Grundversorgern, Hausärzten, Internisten und Spezialärzten, ohne spezielle Erfahrung (no particular expertise) in der Behandlung der EO, wird empfohlen, Patienten mit EO in spezialisierte Sprechstunden (combined thyroid-eye clinics) zur weiteren Abklärung und Behandlung zuzuweisen. (IV,C). Abklärung und Zuweisungskriterien (as recommended by EUGOGO (IV, C). - Patienten mit Autoimmundysthyreose (Graves’ disease), welche weder Zeichen, noch Symptome einer EO aufweisen, brauchen weder weitere ophthalmologische Abklärungen, noch müssen sie an ein spezialisiertes Zentrum (combined thyroid-eye clinic) zugewiesen werden. - Patienten mit ungewöhnlichem Krankheitsbild (asymmetrische u/o unilaterale EO oder euthyreote EO) sollten hingegen zur Sicherung der Diagnose und Behandlungseinleitung überwiesen werden, wie mild deren klinische Zeichen und Symptome auch immer sind. - Alle anderen Patienten sollten gemäss folgendem Protokoll behandelt werden (IV, C): Dringliche Überweisung bei folgenden Symptomen und/oder Befunden: Symptome Unerklärte Sehverschlechterung Störungen des Farbsinns (Rotentsättigung, Farbsinnstörung) Plötzlicher Exophthalmus und/oder Subluxatio bulbi Befunde Hornhauttrübungen Lidschlussdefizit Papillenschwellung / Papillenödem Nicht dringliche Überweisung bei folgenden Symptomen und/oder Befunden: Symptome Auffällige Lichtempfindlichkeit mit Zunahme im Verlauf der letzten 1-2 Monate Extrem kratzende Augen ohne Besserung auf befeuchtende Therapie innert 1 Woche Schmerzen in oder hinter den Augen mit Zunahme in den letzten 2 Monaten Progrediente, sichtbare Veränderung der Augen / Augenlider in den letzten 1-2 Monaten Veränderungen der Augen/Augenlider, welche den Patienten beängstigen Neuauftreten von Doppelbildern Befunde Beschwerden durch Lidretraktion / Lagophthalmus Ungewöhnliche Schwellung und / oder Rötung der Augen und / oder Augenlider Auftreten von restriktiven Motilitätsstörungen und / oder manifestem Strabismus Auftreten einer Kopfzwangshaltung (KZH) zur Vermeidung von Doppelbildern 080564_Inhalt.indd 65 23.5.2008 14:56:13 Uhr 64 2. Rauchen und EO Alle Patienten mit Autoimmundysthyreose (M.Basedow = Graves’ disease) müssen über die Risiken des Rauchens bezüglich EO informiert werden (IV, C) unter besonderem Hinweis auf den schädlichen Effekt hinsichtlich: -Neuauftreten einer EO (IIb, B) -Exazerbation einer vorbestehenden EO (IIb, B) -schlechteres Ansprechen einer manifesten EO auf die Therapie (IIb, B) -Risiko der Progredienz einer EO nach Radiojodtherapie (Ib, A) Wenn die Aufklärung alleine die Patienten nicht zum Rauchverzicht bewegen kann, sollte eine Zuweisung in eine Rauchstop-Sprechstunde (kantonale Lungenliga), und / oder andere Rauchstop-Strategien erwogen werden. (IV, C) 3. Behandlung der Hyperthyreose und EO Bei allen Patienten mit EO sollte so rasch und so konsequent wie möglich Euthyreose wiederhergestellt werden (III, B). Ein engmaschiges Monitoring (alle 4-6 Wochen) der SD-Werte in der Initialphase, oder solange noch mit Veränderungen und Schwankungen der SD-Werte gerechnet werden muss ist dabei zwingend (IV, C). Patienten mit aktiver EO, welche mit Radiojod behandelt werden, sollten prophylaktisch mit Steroiden abgeschirmt werden (initial mit 0.3-0.5 mg Prednison/kg KG pro die p.o 1-3 Tage nach Radiojodapplikation und dann über 3 Monate langsam ausschleichend) (Ib, A). Kürzere Steroidgaben (1-2 Monate) können u.U. denselben protektiven Effekt haben (IV, C) Patienten mit inaktiver EO kann problemlos ohne Steroidschutz Radiojod verabreicht werden, solange eine Hypothyreose konsequent vermieden wird (IIb, B), und keine weiteren Risikofaktoren für eine Progredienz der EO wie insbesondere Rauchen vorliegen (IV, C). 080564_Inhalt.indd 66 23.5.2008 14:56:16 Uhr 65 4. Einfache Massnahmen zur Verminderung der lokalen Symptome bei EO Befeuchtende Augentropfen tags und Gel oder Salben nachts bei allen Patienten mit EO und Symptomen der Hornhautexposition (III, B). Prismenfolien bei Patienten mit Doppelbildern sofern möglich. Andernfalls Okklusivverband/-Folie auf ein Auge (IV, C). Botox-Injektion in die Oberlidretraktoren zur Verminderung der Lidretraktion durch einen in dieser Technik erfahrenen Augenarzt (IV, C). 5. Bestimmung von Aktivitäts- und Schweregrad bei EO EUGOGO empfiehlt die Bestimmung von Aktivitäts- und Schweregrad der EO in spezialisierten Zentren mit ausreichender Erfahrung durchzuführen (IV, C): (a) Bestimmung der Aktivität basierend auf den klassischen Entzündungszeichen: Der Clinical Activity Score (CAS) ist die Summe aller einzelnen Punkte: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Spontane retrobulbäre Schmerzen Zunahme der Schmerzen bei Blickhebung und/oder Seit-/Abblick Gerötete Augenlider Injektion (Rötung) der Konjunktiven Chemose (Schwellung der Konjunktiva) Injektion und/oder Schwellung der Plica semilunaris und / oder der Caruncula Schwellung (Oedeme) der Augenlider Ein CAS > 3/7 definiert eine aktive EO (b) Bestimmung des Schweregrades: 1. Lidspalte (Distanz zwischen den Lidrändern in mm bei Blick geradeaus und gemessen in der Pupillenachse = Primärposition) 2. Lidödeme (keine/fraglich – mässig - schwer) 1 3. Rötung der Augenlider (nein - ja) 1 4. Rötung (Injektion) der Konjunktiven (nein - ja) 1 5. Chemose (nein - ja) 1 6. Rötung (Injektion) der Caruncula/Plica (nein - ja) 1 7. Exophthalmus (in mm mit immer demselben Hertel Exophthalmometer und immer derselben Basis in jedem einzelnen Patienten) 8. Subjektiver Diplopie Score (0 = keine DB; 1 = intermittierend, zB. In Primärposition bei Müdigkeit oder beim Aufwachen; 2 = inkonstant, zB. Bei extremen Blickwendungen; 3 = konstant, also immer und in allen Blickrichtungen DB) 9. Motilitätseinschränkung (Monokulare Duktionen in Grad) 1 10. Hornhautbeteiligung (nein – Stippen – Ulkus) 11. Dysthyreote Opticus Neuropathie = DON (bester korrigierter Visus, Farbsinn, Papille, RAPD (nein - ja), Gesichtsfeld, VEP) 1 080564_Inhalt.indd 67 www.eugogo.org 23.5.2008 14:56:20 Uhr 66 6. Klassifizierung des Schweregrades der EO EUGOGO empfiehlt die folgende Klassifizierung (IV, C): 1. 2. 3. Visusbedrohende EO: Patienten mit Dysthyreoter Opticus Neuropathie (DON) und/oder Hornhautdekompensation. Diese Patienten gelten als absolute NOTFÄLLE und ERFORDERN SOFORTIGE BEHANDLUNG Mittelschwere bis schwere EO: Patienten ohne visusbedrohende EO mit ausreichender Beeinträchtigung der täglichen Lebensqualität, welche die Risiken einer immunsuppressiven Therapie (bei aktiver EO) oder einer chirurgischen Intervention (bei inaktiver EO) rechtfertigt. Patienten mit mittelschwerer bis schwerer EO weisen üblicherweise einen oder mehrere der folgenden Befunde auf: Lidretraktion > 2 mm; mittelschwere bis schwere Beteiligung der Weichteilgewebe; Exophthalmus > 3 mm über der Geschlechtsund Ethnie-korrigierten Norm; inkonstante oder konstante Doppelbilder Milde EO: Patienten deren Symptome und Zeichen der EO eine zu geringe Beeinträchtigung der täglichen Lebensqualität verursacht, welche eine immunosuppressive oder chirurgische Therapie rechtfertigen würde. Diese Patienten weisen üblicherweise einen oder mehrere der folgenden Befunde auf: Lidretraktion (<2mm); milde Weichteilbeteiligung; Exophthalmus < 3 mm über der Geschlechts- und Ethnie-korrigierten Norm; intermittierende oder keine Doppelbilder; auf eine befeuchtende Therapie gut ansprechende Hornhautbeteiligung 7. Behandlung der DON mit Steroiden oder chirurgischer Orbitadekompression Die bis heute einzigen erwiesenermassen wirksamen Behandlungen der DON sind die hochdosierte Gabe von IV-Glucocorticoiden (IVGC) und die chirurgische Orbitadekompression (III, B) Die hochdosierte Gabe von IVGC ist die bevorzugte Primär-Behandlung bei der DON (III, B). Falls die hochdosierte Gabe von IVGC nach 1-2 Wochen zu keiner Funktionsverbesserung führt, oder die erforderliche Dosis/Therapiedauer der IVGC zu signifikanten Nebenwirkungen führt, sollte eine unverzügliche chirurgische Orbitadekompression zur Entlastung des N.opticus durchgeführt werden (IV, C). Eine Orbitadekompression sollte bei Patienten mit DON und / oder Hornhautdekompensation und Steroidunverträglichkeit /-Kontraindikation schon primär angeboten werden (III, B). Sowohl die Behandlung mit hochdosierten IVGC, wie auch die chirurgische Orbitadekompression, sollten ausschliesslich an spezialisierten Zentren mit ausreichender Erfahrung durchgeführt werden (IV, C). 080564_Inhalt.indd 68 23.5.2008 14:56:24 Uhr 67 8. Visusbedrohende Hornhaut-Dekompensation bei der EO Die visusbedrohende Hornhautdekompensation muss als Notfall behandelt werden (IV, C). Behandlung der visusbedrohenden Hornhautdekompensation: Häufige befeuchtende Therapie (konservierungsmittelfreie Augentropfen und Gels), Uhrglasverband, Blepharo-/Tarsorrhaphie, oder andere temporäre Massnahmen bis zur Abheilung der Hornhaut (IV,C). Systemische Steroide oder chirurgische Dekompression, falls die o.e. Massnahmen allein nicht ausreichend sind (IV, C). Bei Hornhautperforation und/oder schwerem Hornhautulkus, adäquate Antibiose, sofortige Fibrinklebung, passagere Deckung mit Amnionmembran, oder Hornhauttransplantation je nach Situation (IV, C). Ist die Hornhautdekompensation einmal unter Kontrolle, muss zwingend eine adäquate Verbesserung des Lidschlussdefizits (Lagophthalmus) folgen, damit eine erneute Dekompensation verhindert werden kann (IV, C). 080564_Inhalt.indd 69 23.5.2008 14:56:28 Uhr 68 9. Behandlung der mittelschweren bis schweren, AKTIVEN EO Behandlung der Wahl für die mittelschwere bis schwere, aktive EO (CAS > 3/7) ist die gepulste Immunsuppression mit IVGC (iv Glucocorticoide) (Ib, A). Diese Behandlung sollte in Zentren mit ausreichender Erfahrung durchgeführt werden (IV, C). Die totale kumulative Dosis Methylprednisolon sollte 8 g pro individuellen Behandlungszyklus nicht übersteigen (III, B). Bei Patienten, die mit hochdosierten IVGC behandelt werden sollen, müssen vor Therapiebeginn Kontraindkationen wie etwa Leberfunktionsstörungen, arterielle Hypertonie, gastrointestinale Ulkusleiden, Diabetes mellitus, Harnwegsinfekte und Glaukom ausgeschlossen werden. Alle Patienten müssen, während der gesamten Therapiedauer monitorisiert werden (IV, C). Bisphosphonate werden bei Langzeitbehandlungen (> 3 Monate) mit oralen Steroiden (durchschnittliche Tagesdosis > 5 mg Prednisonäquivalent) empfohlen (Ia, A). Dies ist auch bei IVGC sinnvoll (IV, C). Eine Orbitabestrahlung sollte bei Patienten mit aktiver EO und restriktiven Motilitätsstörungen erwogen werden (Ib, A). Orbitabestrahlungen mit niedrigen kumulativen Dosen (10 Gy) können genauso wirksam und besser verträglich sein als höhere kumulative Dosen (20 Gy) (Ib, A). Dosen >20 Gy werden nicht empfohlen (IV, C). Bei Patienten unter 35 Jahren sollten Orbitabestrahlungen zurückhaltend verschrieben werden; bei Patienten mit diabetischer und/oder hypertensiver Retinopathie sind Orbitabestrahlungen kontraindiziert (III, B Die Kombination von oralen Steroiden mit Orbitabestrahlung ist wirksamer (more effective) als die Monotherapie mit einer Therpiemodalität alleine (Ib, A), aber randomisierte klinische Studien, welche dies auch für IVGC zeigen würden fehlen bis heute (IV, C). 080564_Inhalt.indd 70 23.5.2008 14:56:31 Uhr 69 10. Zeitpunkt und Reihenfolge chirurgischer Eingriffe bei der EO Zeitpunkt und Reihenfolge chirurgischer Eingriffe sollten sorgfältig geplant werden (IV, C). Folgende sequentielle Reihenfolge sollte wenn immer möglich eingehalten werden: Orbitadekompression – Schieloperation – Lidverlängerungen mit oder gefolgt von blepharoplastischen Eingriffen, da der Effekt jedes vorangehenden Eingriffs mit dem folgnden Eingriff interferieren kann (III, B). Rehabilitative Eingriffe sollten nur in Patienten erfolgen, die eine während mindestens sechs Monaten inaktive EO ohne jegliche Veränderungen aufweisen (III, B). Rehabilitative Eingriffe bei EO sollten nur in Zentren mit ausreichender Erfahrung durchgeführt werden (IV, C). 11. Behandlung der milden EO Bei milder EO sind Steroide selten indiziert, da deren mögliche Risiken und zu erwartenden Nebenwirkungen den potentiellen Nutzen überwiegen (IV, C). Ein exspektatives Verhalten ist in den meisten Fällen gerechtfertigt (IV, C). In einer Minderheit der Patienten mit milder EO, kann die Lebensqualität dermassen eingeschränkt sein, dass eine Behandlung wie bei einer mittelschweren und schweren EO zu rechtfertigen ist (IV, C). 12. Diabetes und arterielle Hypertension bei EO Diabetes und/oder arterielle Hypertension sind keine Kontraindikationen gegen eine Behandlung mit Steroiden oder chirurgische Behandlungen bei EO (IV, C). Eine diabetische Retinopathie und/oder eine schwere arterielle Hypertension sind hingegen absolute Kontraindikationen hinsichtlich Orbitabestrahlung (III, B). Diabetes ohne Retinopathie ist eine relative Kontraindikation gegen eine Orbitabestrahlung, jedoch ist die Beweislast (evidence) diesbezüglich weniger klar (IV, C). 080564_Inhalt.indd 71 23.5.2008 14:56:34 Uhr 70 13. EO bei Kindern und Jugendlichen Euthyreose so rasch und konsequent wie möglich wiederherstellen (III, B) Kinder mit EO sollten konservativ behandelt visusbedrohende Situation vorliegt (IV, C). werden, solange keine Einfache Massnahmen zur Behandlung spezifischer Symptome wie bei Erwachsenen wenn immer möglich (sh. unter 4) (IV, C). Steroide sollten bei Kindern wenn immer möglich vermieden werden (IV, C). Orbitabestrahlung ist bei Kindern kontraindiziert (IV, C). Anstreben einer konsequenten passives Rauchen (IV, C) 080564_Inhalt.indd 72 Expositionsprophylaxe für aktives und 23.5.2008 14:56:37 Uhr 71 Schilddrüse und Fertilität Dr. Katharina Schiessl Klinik für Reproduktions-Endokrinologie UniversitätsSpital Zürich Die Schilddrüsenfunktion der Frau hat grundlegende Bedeutung für die normale Zyklusfunktion, Fertilität und Schwangerschaft sowie die fetale Entwicklung. Dies ist umso bedeutender, da Schilddrüsenerkrankungen deutlich häufiger bei Frauen als bei Männern vorkommen. Störungen der Schilddrüsenfunktion können ursächlich sein für gynäkologische Erkrankungen und sollten früh in die Differentialdiagnose mit einbezogen werden. In der Schwangerschaft ist eine ausreichende fetale Versorgung mit Schilddrüsenhormon essentiell für die kindliche zerebrale Entwicklung. [1] Schilddrüse, Zyklus und Fertilität Notwendig für einen ungestörten ovulatorischen Zyklus ist ein ungestörter und funktionierender Regelkreis Hypothalamus-Hypophyse-Ovar. Alle Formen einer Schilddrüsendysfunktion beeinflussen direkt oder indirekt die Funktion der Ovarien und damit des Reproduktionssystems. Frauen mit Schilddrüsendysfunktion neigen zu Menstruationsstörungen, Infertilität, Aborten und erhöhter Morbidität in der Schwangerschaft. Die Abklärung der Schilddrüsenfunktion gehört heute zu den Standards der Sterilitätsabklärungen und steht am Anfang der Diagnostik. Bei Vorliegen einer Störung wird zunächst die Schilddrüsenfunktion durch Substitution oder Suppression normalisiert und damit sowohl die spontane Fertilität als auch die Ausgangslage für eine Sterilitätsbehandlung verbessert. Hypothyreose 2-4 % der Frauen im reproduktiven Alter leiden an eine Hypothyreose, die am häufigsten durch eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse bedingt ist. Bei der Hypothyreose führt der erhöhte hypotalamische TRH-Stimulus nicht nur zu einer erhöhten TSH-Sekretion, sondern auch zu einer erhöhten Prolaktinfreisetzung aus der Hypophyse. Zusätzlich kommt es zu einer Störung des Östrogenmetabolismus, indem vermehrt statt Östradiol das weniger stark wirksame Östriol gebildet wird. Die so veränderte Rückkopplung der Östrogene stört den Regelkreis auf hypothalamisch-hypophysärer Ebene und führt zusammen mit der Hyperprolaktinämie zur Störung des LH-Pulsmusters. Je nach Ausmass führt dies zu zunehmenden funktionellen Störungen des normalen Zyklus: von einer Störung der Follikelreifung mit nachfolgender Corpus-Luteum-Insuffizienz über das Entstehen anovulatorischer Zyklen mit Durchbruchblutungen bis hin zur Amenorrhoe. Während ältere Arbeiten das Vorkommen von Menstruationsstörungen bei der Hypothyreose mit bis zu 70 % bezifferten, sprechen neuere Arbeiten von einer Prävalenz von 20-25 %. Zusätzlich führt die verminderte SHBG-Produktion der Leber bei Hypothyreose zu einem Anstieg des freien (wirksamen) Testosterons, so dass Androgenisierungserscheinungen wie Hirsutismus auftreten können. Unabhängig von diesen hormonellen Effekten kann eine Hypothyreose über eine verminderte Produktion von Gerinnungsfaktoren zu Menorrhagien führen. Latente (subklinische) Hypothyreose Die subklinische Hypothyreose ist ein in der Fertilitätsmedizin seit langem diskutierter Befund. Sie liegt vor, wenn die Schilddrüsenhormonkonzentration noch im Referenzbereich 080564_Inhalt.indd 73 23.5.2008 14:56:41 Uhr 72 liegt, TSH aber wiederholt oberhalb desselben gemessen wird. Heute nicht mehr allgemein gebräuchlich ist der TRH-Test, dessen überschiessende Reaktion bei normalen Basalwerten ebenfalls zu dieser Diagnose führt. Untersuchungen aus den 80er Jahren brachten diese Konstellation in Zusammenhang mit Zyklusstörungen im Sinne einer Corpus-Luteum-Insuffizienz und plädierten daher für eine Substitutionsbehandlung [2]. Nachfolgende Untersuchungen konnten diesen Zusammenhang nur zum Teil nachvollziehen, wobei die Datenlage insgesamt schwer vergleichbar ist und Kontrollgruppen zum Teil fehlen. Aktuelle Daten scheinen eine niedrigere Schwangerschaftsrate und eine höhere Abortrate für Frauen mit latentern Hyopthyreose zu belegen, unabhängig von dem Vorliegen einer Autoimmunthyreoiditis. Hyperthyreose Eine hyperthyreote Stoffwechsellage führt neben den bekannten Symptomen zu einer vermehrten SHBG-Produktion in der Leber und dadurch zu einer Abnahme des freien Testosterons sowie zu einer vermehrten Östrogensynthese aus den androgenen Präkursoren. Der teilweise zu beobachtende LH-Anstieg mit Verlust der Pulsatilität ist bisher pathophysiologisch noch unvollkommen verstanden. Im Allgemeinen bleibt aber der ovulatorische Zyklus bei der Hyperthyreose erhalten, während die Aborthäufigkeit erhöht ist. Latente Hyperthyreose Die subklinische Hyperthyreose kommt in der Normalbevölkerung mit einer Häufigkeit von 1-5 5 vor. Sie kann Hinweis auf eine noch kompensierte Stoffwechsellage sein, die unter den Bedingungen einer Schwangerschaft exazerbieren könnte und sollte daher abgeklärt werden. Immunthyreopathie 5-10 % der Frauen im gebärfähigen Alter sind von einer Immunthyreopathie betroffen, Männer in 5-10fach geringerem Mass. Sie ist die häufigste Schilddrüsenerkrankung von Frauen und damit auch die häufigste Ursache einer Schilddrüsendysfunktion, kann aber auch symptomlos verlaufen. Trotz schwieriger Vergleichbarkeit der vorliegenden Studien scheinen doppelt soviel Frauen mit Fertilitätsstörungen davon betroffen zu sein. Es besteht ein Zusammenhang zum Vorkommen der Endometriose und des PCO-Syndroms sowie anderer Autoimmunerkrankungen. Zum pathogenetischen Zusammenhang der Immunthyreopathie mit Sterilität liegen weder In-vitro-Studiendaten noch Tiermodelldaten vor, so dass Erklärungsmodelle augenblicklich spekulativ bleiben [3]. Schilddrüsenstörungen und männliche Fertilität Auf die männliche Fertilität und Spermienproduktion hat die Schilddrüsenfunktion deutlich weniger Einfluss als auf die weibliche. Bisherige Untersuchungen können keinen wesentlichen und konstanten Einfluss auf die Spermienanzahl und Qualität in Bezug auf Schilddrüsenerkrankungen belegen [4]. Schilddrüsenstörungen in der Reproduktionsmedizin Neuere Untesuchungen zeigen einen signifikanten Einfluss des TSH-Spiegels auf den Erfolg einer IVF-Behandlung: Frauen mit hohen Werten hatten häufiger keine Befruchtung der Eizellen [5]. Die kontrollierte ovarielle Überstimulation im Rahmen einer IVF/ICSI-Behandlung führt zur gleichzeitigen Reifung mehrerer Eizellen und damit zu einer Erhöhung des Östradiolspiegels auf Werte, die denen des mittleren Schwangerschaftsdrittels entsprechen [3]. Hohe Östrogenspiegel führen zu einem Anstieg des Thyroxin-bindenden Globulins TBG, das 75 % des zirkulierenden T4 bindet und damit zu einem Absinken des freien wirksamen T4 führt. Dies stellt eine wichtige Ursache für eine TSH-Erhöhung im Rahmen der Behandlung dar. 080564_Inhalt.indd 74 23.5.2008 14:56:44 Uhr 73 Schilddrüsenantikörper Patientinnen mit TPO-Antikörpern und normaler Schilddrüsenfunktion haben im IVFProgramm eine normale Schwangerschaftsrate, aber signifikant erhöhte Abortraten [6]. Metaanalysen zeigen eine klare Assoziation zwischen der Präsenz von Schilddrüsenantikörpern und dem Risiko einer Fehlgeburt [7], das auf das 3-5fache steigt. Schilddrüsenantikörper scheinen per se einen negativen Einfluss auf die Implantation zu haben und führen zu erhöhten Frühaborten. Augenblicklich existieren drei erklärende Hypothesen: 1. sie repräsentieren als Marker eine generelle Imbalance des Immunsystems, die sich auf das fetale Gewebe auswirkt 2. trotz peripherer Euthyreose liegt bei den betroffenen Frauen eine leichte Unterversorgung oder Fehlanpassung an den durch hohe Östrogenspiegel oder Schwangerschaft erhöhten Bedarf vor (ausgehend von dem Befund, dass bei Abortus imminens die Frauen mit niedrigerem Schilddrüsenhormon häufiger abortierten) 3. durch den (unerklärten) Zusammenhang von Immunthyreopathie und Sterilität werden die betroffenen Frauen später schwanger – und Alter ist ein starker unabhängiger Faktor für Aborte. Es gibt inzwischen mehrere Studien, die zeigen, dass durch eine frühzeitige adäquate T4Substitution die Abortrate (und Frühgeburtenrate) gesenkt werden kann [8]. Für eine generelle Substitutions-Empfehlung fehlen allerdings noch die Daten einer grossen doppelblinden placebokontrollierten Studie. Diagnostik Durch die moderne Labordiagnostik mit hochsensitiven Assays kann eine Euthyreose heute allein aufgrund des TSH-Wertes sicher nachgewiesen werden. Strittig ist aber immer mehr der obere Grenzwert, der als normal anzusehen ist. Aufgrund neuerer epidemiologischer Untersuchungen präferieren mehrere Autoren einen oberen Grenzwert von 2-2,5 mIU/l (z.B. die National Academy of Clinical Biochemistry) und empfehlen diesen für Frauen, die eine Schwangerschaft planen. Frauen mit einem TSH-Wert im Bereich von 2,5 – 4 mIU/l sollten eine zusätzliche Bestimmung von TPO-Antikörpern durchführen, da bei positiven Antikörpern langfristig die Gefahr einer Hypothyreose bestehen kann [3] . Schwangerschaft Während der Schwangerschaft steigen die Bindungsproteine der Schilddrüsenhormone stark an, während die Konzentration des nicht gebundenen stoffwechselaktiven Schilddrüsenhormons konstant bleibt. Dieser Effekt erklärt sich unter anderem durch die TSH-ähnliche Wirkung des Schwangerschaftshormons HCG, die auf der partiellen Strukturgleichheit beruht und die ausreichende Schilddrüsenhormonversorgung des Feten sicherstellen soll [9, 10]. Grundsätzlich ist diese für die kindliche zerebrale Entwickung eminent wichtig, entscheidend für das Vermeiden eines kindlichen Kretinismus ist die ausreichende Schilddrüsenhormonversorgung im 1. und 2. Schwangerschaftstrimenon [11]. Vorbestehende Schilddrüsenerkrankungen wie Autoimmunthyreoditiden, behandelte Hypothyreosen oder substituierte Patientinnen nach Schildrüsenresektion können dazu führen, dass der erhöhte Schilddrüsenhormonbedarf in der Schwangerschaft nicht erfüllt werden kann und eine hypothyreote Stoffwechsellage resultiert. Bei mit L-Thyroxin behandelten Frauen sollte der TSH-Zielbereich zwischen 0,5-2 mIU/l liegen. Hyperemesis Die Hyperemesis gravidarum ist definiert als persistierendes Erbrechen mit einer Frequenz von mehr als fünfmal pro Tag, eine Gewichtsabnahme von mehr als 5 % sowie erschwerte Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Das Krankheitsbild ist teilweise mit einer hyperthyreoten Stoffwechsellage vergesellschaftet (HCG-assoziierte Hyperthyreose). Speziell 080564_Inhalt.indd 75 23.5.2008 14:56:47 Uhr 74 bei hohen HCG-Werten wie bei dem Vorliegen von Gemini oder einer Blasenmole bindet HCG am TSH-Rezeptor und kann so zur Überfunktion führen. Ursächlich kommen aber auch TSH-Rezeptorvarianten in Frage [12]. Es wird angenommen, dass ein selbstlimitierender transienter Hyperthyreoidismus der Hyperemesis gravidarum (THHG) existiert. Er kann bis zur 18. SSW bestehen und ist nicht therapiebedürftig. Voraussetzung für die Diagnose eines THHG sind, - dass pathologische serologische Befunde während einer Hyperemesis festgestellt werden, - keine Überfunktion der Schilddrüse vor der Schwangerschaft bestand, - keine klinischen Zeichen eines Hyperthyreoidismus existieren und - ein negativer Antikörpertiter vorhanden ist [13]. Hyperthyreose Eine unbehandelte Hyperthyreose geht einher mit einem erhöhten Risiko für Frühgeburten, intrauteriner Wachstumsretardierung, fetalen Tachykardien, Präekklampsie, Totgeburten, einer neonatalen Thyreotoxikose und der Gefahr einer postpartalen Autoimmun-Thyreoiditis Hypothyreose Eine unbehandelte Hypothyreose geht einher mit erhöhten Abortraten, Frühgeburten und Störungen der zerebralen kindlichen Entwicklung (Neuronale Zelldifferenzierung und Migration, axonales und dentritsches Wachstum, Myelinformation und Synaptogenese) [14]. Hinweise für die Praxis x x x x Patientinnen mit Zyklusstörungen, Sterilität oder wiederholten Aborten sollten bezüglich der Schilddrüsenfunktion abgeklärt werden (basales TSH, bei pathologischen Werten weitere Abklärung) vor einer Sterilitätsbehandlung sollten Schilddrüsendysfunktionen behandelt werden schon präkonzeptionell substituierte Patientinnen haben unter einer IVF/ICSIBehandlung sowie in der Schwangerschaft einen erhöhten Bedarf und sollten engmaschig kontrolliert und mit der Dosis angepasst werden Frauen mit subklinischer Hypothyreose sollten bei Zyklusstörungen und Sterilitätsbehandlungen substituiert werden Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 080564_Inhalt.indd 76 Haddow, J.E., et al., Maternal thyroid deficiency during pregnancy and subsequent neuropsychological development of the child. N Engl J Med, 1999. 341(8): p. 549-55. Bohnet, H.G., K. Fiedler, and F.A. Leidenberger, Subclinical hypothyroidism and infertility. Lancet, 1981. 2(8258): p. 1278. Poppe, K., B. 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Winterthurer Fortbildungskurs wird vollumfänglich durch die folgenden Firmen finanziert: ABBOTT AG Primary Care, Baar ABBOTT Diabetes Care, Baar ASTRA ZENECA AG, Zug BAYER (Schweiz) AG, Diabetes Care, Zürich BIOFORCE AG, Roggwil ELI LILLY (Suisse) S. A., Vernier ESSEX Chemie AG, Luzern FUTURELAB – ILAMED, Frauenfeld GLAXO SMITH KLINE AG, Münchenbuchsee IBSA S. A., Lugano MEPHA Pharma AG, Aesch BL MERCK Schweiz AG, Dietikon MERCK SHARP & DOME-CHIBRET AG, (Schw.) Glattbrugg NOVARTIS Consumer Health (Schweiz) AG, Bern NOVARTIS Pharma (Schweiz) AG, Bern NOVO NORDISK Pharma AG, Küsnacht-Zürich PERMAMED AG, Therwil PFIZER AG, Zürich ROCHE Diagnostics (Schweiz) AG, Rotkreuz ROCHE Pharma (Schweiz) AG, Reinach/BL SANOFI - AVENTIS Pharma (Suisse) S. A., Meyrin SERVIER (Suisse) S. A., Meyrin TAKEDA - PHARMA AG, Lachen VIOLLIER Winterthur AG, Winterthur Den oben genannten Firmen möchten wir von Herzen danken, dass Sie immer bereit sind, die ärztliche Fortbildung zu unterstützen. Wissenschaftliche Leitung: Dr. med. D. Kappeler Der nächste 31. Winterthurer Fortbildungskurs findet statt: Donnerstag, den 04.06.2009 Thema: Nebennieren 080564_Inhalt.indd 78 23.5.2008 14:56:59 Uhr III Referentenverzeichnis Dr. med. Georg von Arx Facharzt Ophthalmologie FMH ADMEDICO Augenzentrum Fährweg 10 4600 Olten Tel. 062 206 87 37 [email protected] Prof. Dr. med. Christoph A. Meier Departementsleiter Innere Medizin Chefarzt der Klinik für Innere Medizin Stadtspital Triemli Dept. für Innere Medizin Birmensdorferstr. 497 8063 Zürich Tel. 044 466 21 01 [email protected] Dr. med. Ivo Tosoni Leitender Arzt Facharzt für Pathologie und klinische Zytopathologie FMH Kantonsspital Winterthur Brauerstr. 15 / Postfach 834 8401 Winterthur Tel. 052 266 25 05 [email protected] PD Dr. med. Mirjam Christ-Crain Oberärztin Endokrinologie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel Tel. 061 265 52 06 [email protected] Dr. med. Thomas Clerici Leitender Arzt FMH Schwerpunkt Viszeralchirurgie Klinik für Chirurgie Kantonsspital St. Gallen 9007 St. Gallen Tel. 071 494 13 35 [email protected] Dr. med. Katharina Schiessl Oberärztin Klinik für Reproduktions-Endokrinologie Dept. Frauenheilkunde UniversitätsSpital Zürich Frauenklinikstr. 10 8091 Zürich Tel. 044 255 50 09 [email protected] 080564_Inhalt.indd 79 23.5.2008 14:57:01 Uhr IV Dr. med. Jürg Lareida Facharzt Endokrinologie/ Diabetologie FMH Vordere Vorstadt 16 5000 Aarau Tel. 062 822 27 66 [email protected] Dr. med. Christian Meier Facharzt Endokrinologie/Diabetologie FMH Missionsstr. 24 4055 Basel Tel. 061 264 97 97 [email protected] Dr. med. Karl Scheidegger Facharzt Endokrinologie/Diabetologie FMH Vadianstr. 31 9000 St. Gallen Tel. 071 223 51 52 [email protected] Dr. med. Dirk Kappeler Facharzt Endokrinologie/Diabetologie Untertor 1 8400 Winterthur Tel. 052 232 08 40 [email protected] Dr. med. Jörg Furrer Hohenbühlstr. 3 8032 Zürich Dr. med. Margarete Maier-Wölfle Fachärztin Endokrinologie/Diabetologie FMH Kantonsspital St. Gallen Rorschacherstrasse 9007 St. Gallen [email protected] Dr. med. Andreas Meili Leitender Arzt Nuklearmedizin Institut für Radiologie und Nuklearmedizin Kantonsspital Winterthur Brauerstr. 15 8400 Winterthur Tel. 052 266 26 33 [email protected] 080564_Inhalt.indd 80 23.5.2008 14:57:04 Uhr