Hausarzt Medizin TSH ok? Kommt auf das Alter an! Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts hat man die Schilddrüse noch für eine Nebendrüse der Atmungsorgane gehalten. Inzwischen hat sich das Verständnis für dieses kleine, aber wichtige Organ des Menschen rasant entwickelt. Wie bei vielen anderen Drüsensystemen auch wandeln sich die pathophysiologischen Mechanismen der Glandula thyroidea mit dem Alter des Menschen. Dr. med. Mathias Beyer Praxis für Endokrinologie Nürnberg Mail: [email protected] 40+60+yz Foto: Alfred Pasieka / Science Photo Library / Agentur Focus 40 Bis zu vierzig Prozent derjenigen Erwachsenen, die in Deutschland zu Zeiten des höhergradigen Jodmangels aufgewachsen sind, haben eine Vergrößerung der Schilddrüse und/oder Knoten entwickelt. Der Hausarzt 15/2014 Vor der Geburt Etwa in der 10. Schwangerschaftswoche beginnen die Tätigkeit und der Jodidbedarf der kindlichen Schilddrüse. Sie ist somit ab jetzt auf eine ausreichende Jodversorgung durch die Mutter angewiesen. Auch und gerade eine Autoimmunerkrankung der Mutter ist keinesfalls eine Kontraindikation gegen eine Jodidgabe in der Schwangerschaft, z. B. 100 – 150 µg Jodid pro Tag. Nach der Geburt In der Regel am 3. Tag nach der Geburt wird eine TSH-Bestimmung aus dem „Trockenblut“ der Ferse durchgeführt, die eine angeborene Hypothyreose ausschließen lässt. Eine früh genug substituierte Hypothyreose hinterlässt im Allgemeinen keine Folgen. Hingegen würde eine unbehandelte Unterfunktion der Schilddrüse unweigerlich zu schweren Entwicklungsstörungen führen („Kretinismus“), da die Schilddrüsenhormone von Beginn an für Wachstumsprozesse und Entwicklungen des Nervensystems zuständig sind. Die Wurzeln für diese mit einer Häufigkeit von etwa 1 : 3000 – 4000 auftretenden Erkrankungen liegen in der Embryonalentwicklung, bei der hier gar kein oder nur zu wenig Schilddrüsengewebe entsteht (Agenesie oder Dysgenesie). Selten spielen auch vererbliche Störungen der L-Thyroxinsynthese oder Schilddrüsenhormonrezeptordefekte eine Rolle. Kinder In der frühen Kindheit gibt es bisweilen Störungen der Schilddrüsenfunktion in Form einer Hypothyreose, die nicht angeboren sind. Hier fallen Gedeihstörungen auf, die in den wichtigen Vorsorgeuntersuchungen erkannt werden und Anlass zu einer weiteren Diagnostik geben. Mögliche Symptome sind Blässe, Verstopfung, Zahn-, Sprach- und Wachstumsverzögerungen, ferner Infektanfälligkeit. Im Allgemeinen wird auch hier der TSHWert eine wichtige Rolle spielen, der allerdings in diesem Alter auf keinen Fall mit den Normwerten der Erwachsenen verglichen werden darf (Tab. 1). Das kindliche TSH liegt je nach Altersstufe teils mehrfach höher als das des Erwachsenen. Auch autoimmunbedingte Hypothyreosen im Sinn der Hashimoto-Thyreoiditis kommen vor, die ebenso konsequent wie angeborene Hypothyreosen substituiert werden. Wenn hypothyreosetypische Beschwerden unter einer ausreichenden Substitution sistieren, ist der Endokrinologe zum Ausschluss weiterer endokriner Störungen gefragt (polyglanduläre Insuffizienzen). Zu beachten ist, dass es Studien zum Verlauf primär pathologischer TSH-Anstiege 65 Hausarzt Medizin bei Kindern gibt, die eine hohe spontane Normalisierungstendenz bei einem großen Teil der Kinder zeigen. Die Entscheidung zu einem abwartenden Verhalten ist unter aufmerksamer Beobachtung und ggf. auch laborchemischen Kontrollen der kleinen Patient(inn)en möglich. Überfunktionen in dieser Altersstufe sind selten und eigentlich vorwiegend durch Autoimmunprozesse (Morbus Basedow) verursacht. Es fallen Durchfälle, eine warme und feuchte Haut, bisweilen eine Hyperaktivität bis hin zu Wutanfällen auf. Die Zahnentwicklung ist verfrüht. Bei einem daraufhin gemessenen niedrigen TSH-Wert ist hier die zusätzliche Bestimmung der Schilddrüsenhormone (freies T3 bzw. freies T4) unabdingbar, um ggf. eine thyreostatische Therapie einleiten und kon­ trollieren zu können. Wegen des geringeren Verteilungsvolumens sollte die Behandlung einer kindlichen Hyperthyreose unter Rücksprache mit einem in der Kinder­endokrinologie erfahrenen Arzt durchgeführt werden. Ein nicht zu unterschätzendes Problem sind Erwartungshaltungen von Eltern, die ein in ihren Augen bestehendes Fehlverhalten der Kinder (z. B. schlechte Schulnoten, Unruhe, Müdigkeit) mit latenten Funktionsstörungen der Schilddrüse in Verbindung bringen. Hier ist eine vorsichtige Aufklärung wichtig. Bei hypothyreosenahen Funktionsstörungen kann die Gabe von Schilddrüsenhormonen über eine kurze Zeit in niedriger Dosierung hilfreich sein, um die Situation empirisch zu klären. Jugendliche und junge Erwachsene Standen bei älteren Kindern und jungen Erwachsenen früher die jodmangelbedingten Störungen im Vordergrund, sehen wir zurzeit kaum noch große juvenile Strumen oder gar Knoten (Abb. 1). Es ist zu vermuten, aber bis jetzt nicht 66 zu beweisen, dass nach (noch nicht kompletter) Verbesserung der Jodmangelsituation in Deutschland die malignen Knoten sozusagen „übrigbleiben“. Trotzdem ist es nicht zu einem relativen Anstieg des Malignitätsrisikos „jugendlicher“ Schilddrüsenknoten gekommen. Bei Knoten in dieser Situation sind engmaschige Kontrollen unter Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden nicht invasiven Mittel (Sonographie mit Doppler, nach sorgfältiger Indikationsstellung Szintigraphie und Feinnadelpunktion, Calcitonin-Bestimmung zum Screening von medullären Karzinomen) erforderlich. Tab. 1: TSH-Normwerte bei Kindern und Jugendlichen Alter TSH [mU/l] Nabelschnur 1 – 3 Tage 3 – 30 Tage 30 – 60 Tage 2 – 12 Monate 1 – 5 Jahre 5 – 10 Jahre 10 – 20 Jahre 3,00 – 40 0,80 – 20 0,50 – 10 0,45 – 10 0,40 – 7 0,40 – 7 0,35 – 5 0,35 – 5 Kinderwunsch und Schwangerschaft Bei bestehendem Kinderwunsch ist das Vorliegen einer Euthyreose hilfreich, z. B. weil ein hohes TSH das Prolaktin stimuliert, was den Eisprung behindern kann. Die Aussage, dass man mit einer subklinischen Hypothyreose nicht schwanger werden könnte, ist zwar durch größere Studien nicht zu halten, trotzdem wird bei einem unerfüllten Kinderwunsch eine latente Hypothyreose sicherheitshalber substituiert werden. Bei einer bestehenden Schwangerschaft wird der TSH-Wert im mittleren Normbereich gehalten. Schwangere haben einen erhöhten Jodbedarf (s. oben). Dieser Tatsache ist ungeachtet einer et- waigen Autoimmunthyreopathie der werdenden Mutter Rechnung zu tragen. Die vielfach bestehende Angst vor der Verschlechterung einer Hashimoto-Thyreoiditis bei vernünftig dosierter Jodidgabe ist wissenschaftlich nicht zu begründen. Manifeste Überfunktionen haben in der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für Komplikationen wie Fehl- oder Frühgeburten usw. und sind deswegen medikamentös zu behandeln. Wegen der Plazentagängigkeit der Thyreostatika (nicht der Schilddrüsenhormone) wird nur soweit behandelt, dass das TSH noch supprimiert ist, die peripheren Schilddrüsenhormone aber im oberen Grenzbereich liegen. Der Streit, welches Thyreostatikum während der Schwangerschaft gegeben werden darf, dauert seit Jahren an. Derzeit wird im 1. Trimenon Propylthiouracil, danach Thiamazol/Methimazol in nicht zu hohen Dosierungen und unter regelmäßigen Kontrollen von TSH und den Schilddrüsenhormonen empfohlen. Erwachsene und ältere Menschen Diejenigen Erwachsenen, die in Deutschland zu Zeiten des höhergradigen Jodmangels aufgewachsen sind, haben zu bis zu 40 % eine Vergrößerung der Schilddrüse und/oder Knoten entwickelt. Dabei ist die Chance, innerhalb dieser Knoten eine Malignität zu entwickeln, auch bei „älteren“ Erwachsenen weiterhin sehr gering, aber doch mit dem Alter ansteigend. Dennoch ist nicht jeder kalte Knoten operationsbedürftig. In der letzten Zeit fällt auf, dass immer mehr Erwachsene vegane Ernährungsformen bevorzugen und teilweise auch auf ihre Kinder übertragen. Es ist jedoch anzumerken, dass in Deutschland Milch und Fleisch noch vor jodiertem Speisesalz in die Reihe relevanter Jodlieferanten aufgerückt sind. Eine streng vegane Der Hausarzt 15/2014 Hausarzt Medizin Abb. 1: Häufigkeit vergrößerter Schilddrüsen bei 11- bis 17-Jährigen 40 36 33 30 22 20 9 10 0 1991/92 n = 744 1995/96 n = 982 1998 n = 760 2000 n = 386 Jahr Quelle: Nach Meng W. Schilddrüsen­erkrankungen, Urban & Fischer, 2002 Foto: dieKLEINERT.de / Mathias Dietze / picture alliance Ernährung könnte langfristig möglicherweise zu jodmangelbedingten Folgen wie Struma- oder Knotenbildung führen. Daher gehört die Frage nach der Ernährungsform und nach eventuell bestehenden Unverträglichkeiten für Nahrungsmittel in das Anamnesegespräch beim Hausarzt mit hinein. Bei älteren Menschen treten häufig latente Funktionsstörungen auf, die sich nur über ein zu niedriges TSH (subklinische Hyperthyreose) oder ein zu hohes TSH (subklinische Hypothyreose) zu erkennen geben. Bei der subklinischen Hyperthyreose muss die Frage nach einer fokalen oder diffusen Autonomie beantwortet werden. Dagegen ergibt sich bei einer subklinischen Hypothyreose die Frage, ab welchem TSH eine Substitution mit Schilddrüsenhormonen (T4 als Monopräparat, langsam einschleichen) erforderlich ist. Hier werden immer wieder Stimmen laut, die die entsprechende Schwelle deutlich weiter als bisher nach oben verschieben, um gerade bei beschwerdefreien alten Patienten eine unnötige Erhöhung des myokardialen SauerstoffverDer Hausarzt 15/2014 brauchs zu vermeiden. Andererseits ist gerade bei zerebral eingeschränkten Patienten manchmal eine subklinische Hypothyreose ein weiterer Baustein zur Verschlechterung des geistigen Zustands. Literatur beim Verfasser Interessenskonflikte: keine Fazit ▪▪ Jodmangelausgleich ist in Deutschland weiterhin wichtig. ▪▪ Bei Kindern: ▪▪ Andere Normwerte für das TSH beachten ▪▪ Ultraschalluntersuchung der Schilddrüse ▪▪ BeiSchwangeren: ▪▪ Jodid geben ▪▪ Hypothyreose evtl. substituieren ▪▪ Hyperthyreose nicht übertherapieren ▪▪ Bei alten Patienten: ▪▪ Manifeste Hypothyreosen vorsichtig substituieren ▪▪ Subklinische Hypothy­reo­sen ggf. beobachten 67