Sturmschäden Jon Meis Sturmschäden – meteorologische Bedingungen und versicherungswirtschaftliche Folgen Sturmschäden beeinflussen Privathaushalte und die Wirtschaft jedes Jahr beträchtlich. Herumfliegende Sonnenschirme und überschwemmte Keller betreffen dabei nur wenige, eingestellte Zugverbindungen oder Verspätungen durch herab gerissene Oberleitungen dagegen sehr viele Menschen. Auch auf die volkswirtschaftliche Arbeitsleistung ist der Einfluss sehr groß. In Europa sind vor allem Tiefdruckgebiete und Gewitter hauptverantwortlich für schwere Schäden. Tiefdruckgebiete entstehen zumeist bei Island, im Lee von Grönland oder auf dem Nordatlantik. Sie transportieren die kalte Luft am Nordpol nach Süden in Richtung Äquator und subtropische Warmluft nach Norden in Richtung polarer Regionen. In den gemäßigten Breiten mischen sich die Luftmassen. Die Warmluft wird vorderseitig nach Norden geführt, die Kaltluft rückseitig nach Süden. An und für sich führt diese „normale Konstellation“ in der Erdatmosphäre nicht gleich zu Stürmen. Nun gibt es aber Wetterlagen mit langen und stationären Wellen, also Tiefdruckgebieten mit 1000 km Ausdehnung und mehr. An der Südseite dieser Tiefs herrschen starke westliche Winde vor. Wenn an diesem Südrand ein Warm- oder Kaltluftvorstoß stattfindet, entstehen so genannte barokline Wellen – kleine Tiefdruckgebiete, die sich rasch bilden. Diese kleinen, stark dynamischen Druckgebilde ziehen in der schon vorherrschenden starken westlichen Strömung sehr schnell und verstärken den starken Westwind bin hin zu Orkanstärke. Der Orkan „Lothar“, der am 26. 12. 1999 über Mitteleuropa hinwegfegte, ist das beste Beispiel dafür. Eine weitere Quelle für Sturmschäden sind die sommerlichen Gewitter. Sie bringen neben Sturm auch Hagel, Blitz und Überspannung, Starkniederschlag und Tornados/downbursts mit sich. In einem Gewitter kann lokal sehr stark erhitzte Luft nicht am Boden gehalten werden – es entsteht Konvektion, also vertikal aufsteigende warme Luft. Die enthaltene Luftfeuchtigkeit kondensiert beim Aufsteigen und wird als Wolkentröpfchen sichtbar. Wachsen die Wolken weiter nach oben, bilden sich bei den dort herrschenden niedrigen Temperaturen um –20 °C Eisteilchen. Bei Stoßprozessen zwischen Eisteilchen und Regenoder Wolkentropfen erfolgt eine Separierung von Ladungsträgern. Die Grundlage für einen Blitz, und somit das eigentliche Gewitter, wird gelegt. Die Kondensationsprozesse sorgen mit dem Freisetzen von Wärme dafür, dass der Auftrieb unterhalb und innerhalb der Wolke weiter verstärkt. Bei heftigen Gewittern entsteht unter bestimmten Voraussetzungen ein rotierender Aufwind, der als „funnel cloud“ sichtbar wird und sich zu einem Tornado ausbilden kann. Hierbei kann die Luft auf über 400 km/h beschleunigt werden. Bis zum 27. September 2009 wurden in diesem Jahr bereits 39 Tornados in Deutschland registriert. Die Verdunstung der Wolken- und Regentropfen in einem Gewitter läuft genau entgegengesetzt der Konden- sation ab. Hat sich erst einmal Regen gebildet, verdunstet er beim Fallen innerhalb der Wolke in Teilen wieder. Durch das Verdunsten bildet sich kalte Luft um die Tropfen aus, die schwerer ist als die sie umgebende Luft. Somit kann schon in großer Höhe (> 5 km) ein Abwind entstehen. Ein Abwind ist immer auch ein Transportprozess für horizontale Winde. Windgeschwindigkeiten aus großen Atmosphärenhöhen werden unter Abschwächung nach unten gebracht. Beim Auftreffen auf den Boden wird zusätzlich die Abwindgeschwindigkeit in horizontale Richtung umgelenkt und mit dem Horizontalwind überlagert. Ist der untere Bereich der Atmosphäre trocken, verdunstet bereits ein Großteil der Regentropfen beim Fallen. Die Abkühlung durch die Verdunstung ist so stark, dass sie den Abwind noch weiter beschleunigt. Ein „downburst“, ein Gewitterfallwind, kann so entstehen und z. B. Orkanstärke erreichen. Dabei ist es schon vorgekommen, dass Bäume in einigen Metern Höhe einfach „abgerissen“ werden. In Deutschland seltener sind Schäden durch Sturmereignisse bei orografisch induzierten Winden. Kalte Fallwinde, z. B. Bora in der Adria oder am Schwarzen Meer, treten bei uns nicht auf. Auch orografisch verstärkte Winde wie der Mistral in Südfrankreich sind kaum vorhanden. Lee-Effekte, z. B. bei Föhn, sind nicht ausgeprägt, kommen aber insbesondere auf der Alpennordseite und im Lee des Harzes vor. An der Alpennordseite bricht der warme Föhnwind als Sturmböe zum Boden durch. Noch wichtiger ist – wenn es um Sturmschäden geht – die dem Wind überlagerte Turbulenz, also die Böigkeit des Windes. Mathematisch betrachtet ist die Turbulenz die Abweichung vom Mittelwert des Windes – wobei in der Meteorologie generell ein 10-Minuten-Mittel genommen wird. Ist der Turbulenzanteil gering, wird auch eine recht hohe Windgeschwindigkeit keinen Schaden anrichten. Bei hoher Turbulenz – wie z. B. an Kaltfronten von Orkantiefs – ist der Schaden dagegen enorm. Wirkung des Windes Wind oder Sturm kann auf verschiedene Weise auf Objekte wirken und Schäden verursachen. Dabei wird unter Sturm auch die Böenwirkung verstanden: – Staudruck des Windes. Beispiel: eine Mülltonne wird vom Wind gegen ein parkendes Auto gedrückt, ein Bauzaun oder ein Baum fällt um. – Sogwirkung des Windes. Beispiel: Ein Dach wird auf der leewärtigen Seite abgedeckt – Anregung von Schwingungen. Beispiel: Einsturz der Tacoma Bridge 1940 Ein Windschaden entsteht häufig durch die Kombinationen dieser Ursachen. Gerade die Turbulenz bringt schnel- Ernst & Sohn Special 6/2009 Hochwasserschutz und Katastrophenmanagement 17 Sturmschäden Bild 1. Windverhältnisse an einem Gebäude (Grafik: EWC) Bild 2. Einteilung der Bundesrepublik in Windzonen (Grafik: Wikipedia) le Wechselwirkungen von Staudruck und Sogwirkung zustande, so dass die genaue Ursache der Krafteinwirkung nicht immer eindeutig zuzuordnen ist. Die Turbulenzelemente in der Atmosphäre werden häufig aus höheren Luftschichten zum Erdboden transportiert. So lassen sich Ereignisse mit Böen erklären, die plötzlich von oben wirken. Schäden innerhalb großer Waldflächen zeigen ein solches Bild. Sie gehen nicht vom Waldrand aus. Während die Turbulenz einfach zu beschreiben ist, lässt sie sich doch nur recht aufwendig messen. Im operationellen Betrieb an Wetterstationen geschieht dieses nur rudimentär. Das Verhältnis von maximaler Windgeschwindigkeit und mittlerem Wind lässt auf die Turbulenz schließen. Wie stark die zeitliche Änderung der Windgeschwindigkeit war, bezogen z. B. auf ein 5-Sekunden-Intervall, bleibt unklar. Dabei ist doch gerade diese zeitliche Änderung wichtig für die Ausprägung eines Sturmschadens. Es kommen immer wieder Fälle vor, bei denen auch im Sommer bei relativ niedrigen Windgeschwindigkeiten Markisen zerstört werden. In der einen Sekunde drücken 5 Windstärken von oben auf die Markise. In der nächsten Sekunde gibt es eine konvektive Bö, die plötzlich mit anderen fünf Windstärken aus einer anderen Richtung unter die Markise greift. Der Differenzwind erreicht in diesem Beispiel Windstärke 8 oder 9. Bei meteorologischen Messungen wird der Wind aber skalar gemessen – also nur der Betrag der Windgeschwindigkeit. Bei dieser Art der Messung erreichen wir in Sekunde 1 fünf Windstärken und in Sekunde 2 ebenfalls fünf Windstärken. Der Differenzwind wäre quasi null. Sturmschäden und Versicherungen Wie das Versicherungsunternehmen Münchener Rück dieses Jahr bekanntgab, hat sich die Zahl der wetterbedingten Naturkatastrophen seit 1980 im Jahresdurchschnitt etwa verdreifacht. Im Zuge der steigenden Werte und zunehmenden Besiedelung auch gefährdeter Gebiete, z. B. Überschwemmungsgebiete an Flüssen, stiegen auch die Schadenwerte. Während die Häufigkeit und die Intensität von Stürmen nicht zunimmt, brechen die Sachschäden auch in Deutschland Rekorde. 18 Stürme und Orkane treffen Deutschland großflächig – und das meist im Herbst, Winter oder Frühjahr. Je nach Stärke des Orkans kann die Anzahl der Schäden hoch oder immens hoch sein. Im letzten Fall spricht man in Versicherungsunternehmen von einem Kumulschadenfall. Ein Trend zeichnet sich nun dahingehend ab, dass mehr und mehr Kumulereignisse auch im Sommer stattfinden und dass nicht mehr nur die Orkane dafür verantwortlich sind. Gewitter, also lokale, meist kleinräumige Wettererscheinungen, bringen Böen in Sturm- und Orkanstärke mit sich. Schäden durch Gewitter sind durch die verschiedenen meteorologischen Phänomene vielfältiger und mit den Sturmschäden aus Orkanen nicht direkt vergleichbar. Tornados ziehen über Städte, wie 2004 in Duisburg. Hagel führt zu großen Schäden an Autos, Gebäuden und Feldfrüchten wie in Villingen-Schwenningen 2006. Starkregen führt zu Überschwemmungen wie 2008 im Killertal an der Schwäbischen Alb. Gewitter können in großen Gewitterkomplexen mehrere Stunden existieren und dabei über 1000 km zurücklegen. Dabei können hohe Schadenzahlen entstehen. In den Versicherungspolicen zur Gebäude- oder Inhaltsversicherung sind fast alle Naturgefahren standardmäßig abgedeckt. Die monetären Belastungen der Versicherungen bei Kumul- oder Extremwetterereignissen sind groß, da von Jahr zu Jahr immer größere Werte versichert werden. Gleichzeitig wurde in den letzten Jahren unter dem Druck der Kostenreduktion die personelle Kapazität, also die Zahl der Sachbearbeiter, abgebaut. Findet ein Großereignis statt (wie die Stürme „Emma“, „Kyrill“ oder „Lothar“), schnellt die Arbeitsbelastung der Versicherungssachbearbeiter in die Höhe. Sonderarbeitspläne aus den Schubladen für Krisenmanagement erlangen Gültigkeit, der Kumulschadenfall tritt ein. Die detaillierte Schadenprüfung wird zu Gunsten einer unbürokratischen und schnellen Bearbeitung zurückgestellt und der Mitarbeiterstab aufgestockt. Bei Orkan „Lothar“ führte das dazu, dass Sachbearbeiter aus dem Urlaub zurückkehren mussten. Mitarbeiter aus anderen Sparten und den Stabsabteilungen wurden in der Sachversicherungsabteilung für die Schadenregulierung eingesetzt und weitere Call-CenterArbeitsplätze geschaffen. Der Sturm „Lothar“ beispiels- Ernst & Sohn Special 6/2009 Hochwasserschutz und Katastrophenmanagement Sturmschäden weise verursachte 1999 bei der SV-Versicherung, die den alten Gebäude-Monopolversicherer in Baden-Württemberg übernommen hatte, eine Gesamtschadensumme von fast 1 Mrd. DM. Die Versicherungslandschaft kündigte inzwischen an, auf diese Bedrohung mit Preiserhöhungen für Gefährdungslagen zu reagieren. Vertragliche Regelungen bei Sturm Die Versicherungen haben auch darauf hingewirkt, dass bauliche Maßnahmen zum Schutz vor Stürmen ergriffen werden. In der Schadenregulierung wird als Schwellenwert für einen Sturmschaden das Auftreten von Windböen in Windstärke 8 herangezogen. Die Ursache liegt darin, dass in der Beauforttabelle die Worte „Sturm“ und „Orkan“ bei Windgeschwindigkeiten größer 62 km/h, also ab Windstärke 8, aufgeführt sind. Diese meteorologisch nicht ganz einwandfreie Klassifizierung des Begriffs „Sturm“ durch Juristen erleichtert dennoch allen Beteiligten die Regulierung von Schäden. Rein die Schwellenwertüberschreitung von 62 km/h bei Windböen führt zu einem regulierungspflichtigen Schaden. Schaut man sich jedoch die geografische Verteilung von Sturmtagen in Deutschland an, wird schnell klar, dass Orte an der Küste und in den Höhenlagen der Mittelgebirge häufigere Sturmereignisse zu verzeichnen haben als Orte im Flachland. Der Gesetzgeber hat 2005 reagiert und neue Windlastzonen als Berechnungsgrundlage für die Bauplanung eingeführt. Planer müssen diese Windlastzonen bei der Auslegung der Gebäude berücksichtigen. Damit hält die Häufigkeit eines Ereignisses Einzug in die Planungsgrundlagen. Das Maß für die Häufigkeit ist die Jährlichkeit, also das Widerkehrintervall eines Ereignisses. Ein Sturm trifft eindeutig häufiger die Nordseeküste als die Region RheinMain. EWC Weather Consult hat sich in Deutschland als Qualitätsführer in Sachen Sturmanalysen etabliert. Seit mehr als zehn Jahren liefern die Karlsruher Meteorologen professionelle Wetteranalysen, -gutachten und -vorhersagen. Mit Hilfe von detaillierten Wetterdatenbanken, mit amtlichen und Fernerkundungsdaten und hochgenauen Ortsdaten erstellen sie präzise Aussagen zum Wetterhergang. Stündliche Updates von Wettervorhersagen helfen z. B. dem Risiko- und Katastrophenmanagement, die richtigen Entscheidungen aufgrund aktuellster Informationen zu treffen. Wasserhaushaltsmodelle berechnen mehrmals am Tag die Wasserstände an Flüssen und arbeiten dem Hochwasserschutz und Wassermanagement zu. Weitere Informationen: EWC Weather Consult GmbH, Mira Diehm, Haid-und-Neu-Straße 7, 76131 Karlsruhe, Tel. (07 21) 6 63 23 0, Fax (07 21) 6 63 23 23, [email protected], www.wettergutachter.de Ernst & Sohn Special 6/2009 Hochwasserschutz und Katastrophenmanagement 19