Vortrag im Seminar „Ausgewählte Themen aus Algebra und algebraischer Geometrie“ Irrationalität und Transzendenz von π Lukas Haag 29. 04. 2013 Prof. Dr. Thomas Bauer 1 Irrationalität von π Ziel dieses Abschnitts ist der Beweis der Irrationalität von π. Bereits Aristoteles behauptete, dass Umfang und Durchmesser eines Kreises nicht beide ganzzahliges Vielfaches der selben ganzen Zahl sein können. Der erste Beweis zur Irrationalität von π veröffentlichte aber erst im Jahre 1766 Johann Heinrich Lambert mit Hilfe einer Kettenbruchzerlegung des Tangens.1 Ich möchte an dieser Stelle den Beweis von Niven aus dem Jahr 1947 vorstellen (vgl. [Niv47]). Angenommen, π wäre rational, d. h. es gibt Zahlen a, b ∈ Z mit π = ab . Definiere nun für n ∈ N die Polynome xn (a − bx)n f (x) = n! und F (x) = f (x) − f (2) (x) + . . . + (−1)n f (2n) (x). Den Widerspruch erzeugen wir dadurch, dass wir zeigen (i) F (π) + F (0) ∈ Z, (ii) F (π) + F (0) ∈ (0, 1). Für den ersten Teil benötigen wir folgendes 1.1 Lemma (Übungsaufgabe). Sei p ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten. Die Koeffizienten der k-ten Ableitung von p sind immer durch k! teilbar. 1 vgl. [Ebb+92] 1 Beweis. Für Monome xi mit i < k gilt, dass (xi )(k) = 0. Die Behauptung bleibt also für xk+m mit m ≥ 0 zu zeigen. Sukzessives Ableiten des Monoms folgt zu (xk+m )(k) = (k + m)(k + m − 1) · . . . · (m + 1) xk+m−k = {z } | (k + m)! m x . m! k Faktoren Zu zeigen bleibt also, dass Behauptung. (k+m)! m! durch k! teilbar ist. Da nun (k+m)! m!k! = k+m k ∈ Z folgt die 1.2 Proposition (i). F (π) + F (0) ∈ Z. Beweis. Multipliziert man f entsprechend aus erhält man mit dem Binomischen Lehrsatz die Summendarstellung n n n−i 1 X ci · xn+i mit ci = a (−b)i ∈ Z. f (x) = n! i=0 i Man sieht schnell ein, dass 0 eine Nullstelle von f vom Grad n ist (bei der n-ten Ableitung taucht das erste absolute Glied auf, d. h. vorher ist 0 immer eine Nullstelle). Es gilt also f (k) (0) = 0 für alle k < n. Für k = n zeigt das vorige Lemma, dass alle Koeffizienten von f (k) durch n! teilbar sind. Dies beseitigt den Normierungfaktor 1/n!, so dass alle Koeffizienten wieder ganzzahlig sind. Die Koeffizienten der höheren Ableitungen sind dann ohnehin ganzzahlig. Es folgt, dass f (k) (0) ∈ Z für alle k ∈ N. Daraus folgt sofort, dass F (0) ∈ Z. Weiter gilt, dass f (a/b − x) = f (x) (folgt durch Einsetzen und Anwendung des Binomischen Lehrsatzes), d. h. f (0) = f (π), da π = a/b. Insgesamt gilt also F (π) ∈ Z, F (0) ∈ Z ⇒ Behauptung. Um eine obere und eine untere Schranke für F (π) + F (0) zu finden, ist es einfacher, diesen Ausdruck als Integral darzustellen. 1.3 Lemma. Es gilt Z F (π) + F (0) = π f (x) sin x dx. (1) 0 Beweis. F 0 (x) sin x − F (x) cos x ist eine Stammfunktion von f (x) sin x, denn d 0 [F (x) sin x − F (x) cos x] = F 00 (x) sin x + F 0 (x) cos x − F 0 (x) cos x + F (x) sin x dx = sin x(F 00 (x) + F (x)) = f (x) sin x. Es folgt nun mit dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Z π f (x) sin x dx = [F 0 (x) sin x − F (x) cos x]π0 0 = F 0 (π) sin π − F (π) cos π − F 0 (0) sin 0 + F (0) cos 0 = F (π) + F (0), da sin π = sin 0 = 0. 2 Nun sind wir imstande, den Beweis zu vollenden. Es gilt also folgende 1.4 Proposition (ii). F (π) + F (0) ∈ (0, 1). Beweis. Da f (x) > 0 und sin x > 0 für 0 < x < π gilt 0 < f (x) sin x. Mit x(a − bx) ≤ πa und sin x ≤ 1 erhalten wir die Ungleichung 0 < f (x) sin x < π n an . n! Der rechte Term konvergiert gegen 0, ist also insbesondere kleiner als 1 für genügend großes n. Wir erhalten also 0 < f (x) sin x < 1. Rπ Folglich gilt auch 0 < 0 f (x) sin x dx < 1 für alle x ∈ (0, π). 1.5 Korollar. π ist irrational. 2 Transzendenz von π Erst im Jahre 1882 schaffte es ein Mathematiker (Ferdinand Lindemann), die Transzendenz von π exakt zu zeigen. Er wurde dadurch weltberühmt (Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises). Sein Beweis ist heute nur sehr schwer nachvollziehbar. Ich möchte an dieser Stelle auf den Beweis von David Hilbert aus dem Jare 1893 eingehen, der eine Vereinfachung des Lindemannschen Beweises darstellt.2 Schrittfolge des Beweises (durch Widerspruch): Angenommen, π ist Nullstelle eines rationalen Polynoms. 1. Dann gibt es Zahlen y1 , . . . , yM ∈ C, a ∈ N, so dass ey1 + . . . + eyM + a = 0. (2) und ein ganzzahliges Polynom Q mit Nullstellen y1 , . . . , yM . 2. Betrachte ein bestimmtes Integral w0 , das von Q abhängt und zeige, dass gilt w 0 y1 (e + . . . + eyM + a) = s + p, k! (3) mit s ∈ (−1, 1) und p ∈ Z \ {0}. 3. Daraus folgt ein Widerspruch, da s + p 6= 0. 2.1 Satz (Schritt 1). Falls π algebraisch ist, existieren Zahlen y1 , . . . , yM ∈ C, a ∈ N, so dass ey1 + . . . + eyM + a = 0 und ein ganzzahliges Polynom Q mit Nullstellen y1 , . . . , yM . 2 vgl. [Fri03] 3 Beweis. Angenommen, π ist algebraisch. Dann ist auch, da die algebraischen Zahlen einen Körper bilden, iπ algebraisch. Sei P ein normiertes Polynom mit Nullstelle iπ, deg P = n. Da echt komplexe Nullstellen reeller Polynome stets als Paare komplex konjugierter Zahlen auftreten, ist auch −iπ Nullstelle von P . Seien z1 = iπ, z2 = −iπ, z3 . . . , zn die Nullstellen von P . Aus der wichtigen Gleichung eiπ = −1 folgt 0 = (eiπ + 1)(e−iπ + 1)(ez3 + 1) · · · (ezn + 1) = ey1 + ey2 + . . . + eyN + 1, wobei die yi alle möglichen Summen der Nullstellen zj sind und N = 2n − 1 (ausmultiplizieren, evtl. Beispiel mit n = 3). Einige der yi können Null sein (z. B. z1 + z2 ). Wähle die Nummerierung so, dass y1 , . . . , yM 6= 0 und yM +1 , . . . , yN = 0. Wir erhalten also die Form 2 0 = ey1 + . . . + eyM + a, (4) mit a = N − M + 1. Betrachte die Polynome P1 (x) = P (x) = (x − z1 )(x − z2 ) · · · (x − zn ), P2 (x) = (x − z1 − z2 )(x − z1 − z3 ) · · · (x − zn−1 − zn ), P3 (x) = (z − z1 − z2 − z3 )(x − z1 − z2 − z4 ) · · · (x − zn−2 − zn−1 − zn ), .. . Pn (x) = x − z1 − z2 − . . . − zn , P] (x) = (P1 P2 · · · Pn )(x). Multipliziert man die einzelnen Polynome aus, so erhält man Polynome der Form (anschaulich für das Beispiel n = 3) P1 (x) = x3 − x2 (z1 + z2 + z3 ) + x(z1 z2 + z2 z3 + z1 z3 ) − z1 z2 z3 , d. h. die Koeffizienten der Polynome Pk sind symmetrische Polynome in den zj . Natürlich gilt dies dann auch für P] . Da z1 , . . . , zn die Nullstellen eines Polynoms mit rationalen Koeffizienten sind, sind nach [Fri03] Satz 2, Teil a) die Koeffizienten rationale Zahlen [wir können P mit dem Hauptnenner der Koeffizienten multiplizieren, dann erhalten wir ganze Koeffizienten]. Die Nullstellen von P] sind die oben definierten Zahlen yk . Dabei hat 0 [einige yk sind ja 0] die Vielfachheit N − M . Multiplikation mit dem Hauptnenner der Koeffizienten und Division durch xN −M liefert Q(x) = b0 + b1 x + b2 x2 + . . . + bM xM mit ganzen Koeffizienten und Nullstellen y1 , y2 , . . . , yM . 2.2 Satz (Schritt 2). Sei g : C → C, g(z) = bM M Q(z), k ∈ N. Betrachte nun Z ∞ w0 := z k [g(z)]k+1 e−z dz. 0 Es gilt, dass w0 y1 k! (e + . . . + eyM + a) = s + p für ein s ∈ (−1, 1) und p ∈ Z \ {0}. 4 (5) Im yj βj,u γj,u αj u 0 Re Abbildung 1: Integrationsweg für w0 Ru Dazu müssen wir das Integral w0 = limu→∞ 0 z k [g(z)]k+1 e−z dz geschickt zerlegen. Betrachte dazu für alle j ∈ {1, . . . , M } einen Integrationsweg über die oben definierten yj (vgl. Abb. 1), nur für u > Re yj , reicht aber hier aus. Es gilt also für j fest αj (t) = t · yj , t ∈ [0, 1], βj,u (t) = t + i · Im yj , t ∈ [Re yj , u], γj,u (t) = u + (1 − t) · i Im yj , t ∈ [0, 1]. Nach der Definition des Wegintegrals erhalten wir also Z u z k [g(z)]k+1 e−z dz w0 = lim u→∞ 0 "Z Z k = lim k+1 −z z [g(z)] u→∞ αj e k dz + k+1 −z z [g(z)] βj,u e Z dz + # k k+1 −z z [g(z)] e dz . γj,u Berechnen wir nun den dritten Summanden (Einsetzen in die Definition des Wegintegrals), so sehen wir Z lim z k [g(z)]k+1 e−z dz u→∞ γ j,u Z 1 = lim u→∞ 0 (u + (1 − t)i Im yj )k · g(u + (1 − t)i Im yj )k+1 e−(u+(1−t)i Im yj ) (−i Im yj ) dt =0, da im Limes u → ∞ die Exponentialfunktion dominiert. Widmen wir uns also nun den 5 ersten beiden Summanden. Wie oben folgt nun hier Z Z 1 k k+1 −z (tyj )k [g(tyj )]k+1 e−tyj · yj dt =: vj und z [g(z)] e dz = αj Z 0 z k [g(z)]k+1 e−z dz = βj,u Z ∞ (t + i Im yj )k [g(t + i Im yj )]k+1 e−(t+i Im yj ) dt Re yj ∞ Z = ↑ (v + yj )k [g(v + yj )]k+1 e−v+yj dv =: wj . 0 t=v+Re yj Wir erhalten also für alle j ∈ {1, . . . , M } w0 = v j + wj . (6) Einsetzen in (3) liefert w0 y1 1 (e + . . . + eyM + a) = (w0 ey1 + . . . + w0 eyM + w0 a) k! k! 1 = ((v1 + w1 )ey1 + . . . + (vM + wM )eyM + w0 a) ↑ k! (6) = v1 ey1 + . . . + vM eyM w0 a + w1 ey1 + . . . + wM eyM + . k! k! | {z } | {z } =:s (7) =:p Wir müssen also nur noch zeigen, dass s ∈ (−1, 1) und dass p ∈ Z \ {0}. Dann sind wir fertig (siehe oben). 2.3 Lemma. s ∈ (−1, 1). Beweis. Es gilt die Abschätzung X X M M yj vj e ≤ |vj eyj | k!|s| = ↑ j=1 j=1 ∆-Ungl. = M X j=1 Z |yj 1 (tyj )k [g(tyj )]k+1 e−tyj dt eyj | | {z } 0 =:vj0 = M X |vj0 | · |yj eyj | ≤ j=1 M X S|yj eyj |. j=1 für eine Schranke S, da die Funktion vj0 stetig ist und auf kompaktem Intervall definiert ist. Sie nimmt also ihr Maximum an und somit gibt es für jedes j ∈ 1, . . . , M eine obere Schranke Sj . Wähle dann S := maxM j=1 Sj . Insgesamt folgt also |s| ≤ S (|y1 ey1 | + . . . |yM eyM |) ≤ 1 k! für genügend großes k. 6 Für die Aussage p betreffend, benötigen wir noch bisschen Vorarbeit. 2.4 Lemma (Übungsaufgabe). Es gilt für n ∈ N Z ∞ z n e−z dz = n! 0 R∞ Beweis. Setze Γ(n) := 0 z n e−z dz. Zeige Γ(0) = 1 und Γ(n) = n · Γ(n − 1). Daraus folgt dann Γ(n) = n! für alle n ∈ N. Es ist Z ∞ −z Γ(0) = e−z dz = [−e−z ]∞ + 1) = 1. 0 = lim (−e z→∞ 0 Weiter gilt mit partieller Integration [Erinnerung: Rb a uv 0 = uv|ba − Rb a u0 v] ∞ Z e−z dz z n |{z} |{z} Γ(n) = 0 v0 u −z n )]∞ 0 = [|{z} z · (−e | {z } u ∞ Z n−1 −z nz ) dz | {z } (−e | {z } − 0 v = [z n · (−e−z )]∞ 0 +n | {z } u0 v ∞ Z z n−1 e−z dz = n · Γ(n − 1), 0 =0 da die Exponentialfunktion die Potenzfunktion dominiert. 2.5 Lemma. Es gilt k+1 w0 = (bM k! + c(k + 1)!, M b0 ) wobei c ∈ Z. Beweis. Da Q ein Polynom M -ten Grades ist, ist Qk+1 ein Polynom M (k +1)-ten Grades, d. h. M (k+1) X [g(z)]k+1 = ai z i (8) i=0 und damit folgt M (k+1) ∞ Z k w0 = k+1 −z z [g(z)] 0 e X dz = ↑ = ↑ 2.4 X i=0 z k+i e−z dz ai 0 i=0 (8) M (k+1) ∞ Z M (k+1) ai (k + i)! = a0 ·k! + |{z} [g(0)]k+1 X ai (k + i)! i=1 M (k+1) X k+1 = (bM k! + (k + 1)! M b0 ) ai (k + i) · . . . · (k + 2) . i=1 | {z ∈Z 7 } 2.6 Lemma. p ∈ Z \ {0} Beweis. Wir zeigen zuerst, dass w1 ey1 + . . . + wM eyM durch (k + 1)! teilbar ist. Aus Zeigründen verzichten wir darauf, da dieser Beweis ähnlich zu dem Beweis von Lemma 2.5 ist. Es gilt also w1 ey1 + . . . + wM eyM = d(k + 1)! für eine ganze Zahl d. Mit Lemma 2.5 und der Definition von p in (7) folgt p= k+1 a(bM k! + c(k + 1)! + d(k + 1)! k+1 M b0 ) = a(bM + (c + d)(k + 1) ∈ Z. M b0 ) k! Der erste Summand ist ungleich Null (a war eine Summe von Einsen, bM ist der Leitkoeffizient von Q und für b0 konnten wir dies oben zeigen). Es ist also p 6= 0 ⇔ (c + d) 6= − k+1 a(bM M b0 ) . k+1 Die rechte Seite ist genau dann eine ganze Zahl, wenn (k + 1) den Zähler teilt. Wählen wir also k derart, dass (k + 1) eine Primzahl ist, die den Zähler nicht teil (z. B. eine, die größer ist, als alle auftretenden Faktoren im Zähler), so ist die rechte Seite sicher keine ganze Zahl und p somit sicher ungleich Null. Solch ein k können wir wählen, da es unendlich viele Primzahlen gibt. Insgesamt folgt daraus nun das wichtige 2.7 Korollar. π ist transzendent. 3 Exkurs Funktionentheorie Zum Beweis der Transzendenz von π benötigen wir etwas Funktionentheorie. Dazu definieren wir den Begriff des Wegintegrals. P 3.1 Definition. Sei U ⊂ C offen, f : U → C stetig, γ : [a, b] → U , γ = nk=1 γk ein stückweise stetig differenzierbarer Weg. Dann ist Z f (z) dz := γ n Z X k=1 f (γ(t))γ 0 (t) dt. [ak ,bk ] 3.2 Satz (Komplexer Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung). Sei U ⊂ C, γ : [a, b] → U ein stetiger Weg, f : U → C stetig und F : U → C eine Stammfunktion von f . Dann gilt Z f (z) dz = F (γ(b)) − F (γ(a)). γ Insbesondere gilt: Das Integral hängt nicht vom Integrationsweg ab! 8 Literatur [Ebb+92] Heinz-Dieter Ebbinghaus u. a. Zahlen. 3. Berlin, Heidelberg, New York: SpringerVerlag, 1992. Kap. 5. [Fri03] Rudolf Fritsch. „Hilberts Beweis der Transzendenz der Ludolphschen Zahl π“. In: Differentialgeometrie der Mannigfaltigkeiten von Figuren 34 (2003), S. 144–148. [Niv47] Ivan Niven. „A Simple Proof that π Is Irrational“. In: Bull. American math. Society 53 (1947). [Str12] Dorothea Strauer. Funktionentheorie I (Vorlesungsskript). Philipps-Universität Marburg, 2012. 9