1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst Von Gegenspielern zu Freunden Portugiesisch-spanische Grenzbeziehungen Autor: Nina Gruntkowski Redaktion: Udo Zindel Regie: Maidon Bader SWR2 Wissen am Dienstag, 10. Mai 2011, 8.30 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. 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Ansage: Von Gegenspielern zu Freunden – Portugiesisch-spanische Grenzbeziehungen. Eine Sendung von Nina Gruntkowski. Sprecherin: Für die Portugiesin ist der Gang über die Grenze Teil ihres Alltags, doch heute ist sie zu spät dran: OT Maria Luisa Roriz Übersetzerin: Ohh, da kann man nichts mehr machen. Auf der spanischen Seite gehen jetzt alle in die Kirche. Der Pfarrer läutet schon zum Gottesdienst. Sprecherin: In Portugal ist es erst drei Uhr nachmittags – in Spanien bereits vier – denn beide Länder liegen in verschiedenen Zeitzonen. Achselzuckend dreht sich die von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidete Frau um, geht zurück nach Portugal und wartet, bis der Gottesdienst in Spanien vorbei ist. Sprecherin: Trotz gemeinsamer kultureller Wurzeln waren Portugal und Spanien Jahrhunderte lang Konkurrenten und Gegenspieler. Entlang der Grenze jedoch pflegten die Menschen immer schon enge Beziehungen – seit dem Beitritt beider Länder zur Europäischen Union bessert sich das Verhältnis mehr und mehr. Atmo Kulturzentrum Sprecherin: Maria Luisa Roriz geht Mariano Preto besuchen, der auf der portugiesischen Seite ein kleines Kulturzentrum leitet. Der 68jährige freut sich über die Besucherin, denn in Rio de Onor ist heute nicht mehr viel los. Landwirtschaft lohnt kaum noch, junge Leute sind längst in Städte an der Küste oder ins Ausland abgewandert. Auf portugiesischer Seite leben noch 52 Menschen, fast alle im Ruhestand, auf spanischer Seite sind es nur noch zwölf. Doch die Bewohner beider Seiten halten nach wie vor zusammen, erzählt Mariano Preto, der sein ganzes Leben in Rio de Onor gelebt hat. OT Mariano Preto Übersetzer: Von den Häusern bis zur Grenze sind es jeweils etwa 50 Meter; in der Mitte liegt das große Gemeinschaftsfeld. Jeder hat dort Parzellen. Wir sind immer gut miteinander ausgekommen, denn viele Portugiesen haben auch auf spanischer Seite Felder und die Spanier haben Land auf unserer Seite. Früher hatten wir im Dorf 600 Rinder und Ziegen und einen Zuchtbullen. Die Spanier, die keinen eigenen Bullen hatten, kamen zur Besamung ihrer Kühe zu uns herüber. 3 Man vergaß manchmal fast, dass es sich um zwei verschiedene Dörfer handelt. Und ganz früher war es ja auch mal ein Dorf gewesen. Denn alles hier hat mal zu Spanien gehört. ATMO Nationalhymne Spanien Sprecherin: „Es lebe Spanien“, heißt es in der ersten Zeile der Nationalhymne, deren Melodie Preußenkönig Friedrich der Große komponiert hat, „lasst uns alle gemeinsam singen, mit klarer Stimme und einem Herzen“. Doch der Weg zu einem geeinten Spanien war lang: Anfang des 8. Jahrhunderts waren Araber und Berber aus Nordafrika mit einer Invasionsarmee unter Tariq Ibn Ziyad bei Gibraltar gelandet. In nur sechs Jahren brachten sie fast die gesamte Iberische Halbinsel unter ihre Kontrolle und ließen sich für Jahrhunderte vor allem im Süden und der Mitte des heutigen Spanien nieder. In den schwer zugänglichen Gebirgen des Nordens hingegen widersetzten sich die Menschen, abgesehen von einer kurzen Besatzungszeit, erfolgreich. Dort entstanden die christlichen Königreiche Nordspaniens – und Portugal war lange Zeit eine nordspanische Grafschaft unter vielen anderen. Ende des 11. Jahrhunderts war Graf Henrique, ein Schwiegersohn des spanischen Königs von Léon, dessen Statthalter im heutigen Nordportugal. Er war ein geschickter Stratege, keiner Partei verpflichtet und stellte sich in Konflikten immer auf die Seite des Siegers. Das waren die ersten Anflüge der Unabhängigkeit Portugals. Sein Sohn Afonso Henrique widersetzte sich dem neuen König von Léon dann offen. Er wandte sich an Papst Alexander III, der das portugiesische Königreich 1179 anerkannte. Der Grundstein für den späteren Staat Portugal war gelegt. ATMO Nationalhymne Sprecherin: Die Nationalhymne des kleineren Portugal hat den deutlich martialischeren Text. Der Refrain lautet: An die Waffen, die Waffen zu Land und zu See. An die Waffen, die Waffen, um unser Vaterland zu verteidigen. Tatsächlich gelang es Portugal vergleichsweise schnell, die maurischen Fremdherrscher nach Süden zurückzuschlagen. Wegen dieser militärischen Erfolge erkannten 1297 auch die spanischen Königreiche, die sich unter der Krone Kastiliens zusammengeschlossen hatten, das portugiesische Territorium an. Die spanische Reconquista dauerte rund zwei Jahrhunderte länger, markiert aber ebenfalls die Geburtsstunde des spanischen Staates. Seitdem beschreiten die beiden Nachbarländer im äußersten Südwesten Europas getrennte Wege, erklärt der Soziologe António Barreto. OT António Barreto. Übersetzer: Das Interessante ist, dass die politischen Verantwortlichen – also erst die Könige und später die Staatsoberhäupter – die Unterschiede zwischen Spanien und Portugal regelrecht erschaffen mussten. Denn die Anerkennung Portugals als eigenes Königreich vereinigte es zwar politisch, machte es aber noch lange nicht zu einem gewachsenen, einheitlichen Staat. Bis ins 20. Jahrhundert gibt es eine Geschichte der bewussten Trennung Portugals und Spaniens. Die Portugiesen schufen eine neue Verwaltung, pflegten bewusst unterschiedliche Bräuche und entwickelten sogar eine neue Sprache, um die Völker immer mehr zur trennen. Es gab nur zwei Gemeinsamkeiten: Die katholische Kirche, die bis heute auf der ganzen Iberischen Halbinsel großen Einfluss hat, und die Entdeckungsfahrten. 4 Sprecherin: Im 15. Jahrhundert lieferten sich Portugal und Spanien ein regelrechtes Wettrennen um die neu entdeckten Gebiete in Übersee – in einer Mischung aus Machthunger, christlichem Missionierungseifer und Gewinnstreben. Prinz Heinrich von Portugal, der selbst nie zur See gefahren war, gründete im frühen 15. Jahrhundert die erste Seefahrtschule Europas – und die Portugiesen begannen, entlang der afrikanischen Küste den Seeweg nach Indien zu erkunden. Im September 1492 ankerte die Flottille des genuesischen Seefahrers Christoph Kolumbus vor den Bahamas – und er meinte Westindien für die spanische Krone entdeckt zu haben, das spätere Mittelamerika. Zwischen den beiden großen Seefahrernationen bracht jetzt Streit um die Reichtümer in Übersee aus – und es kam, zunächst vor allem in Mittel- und Südamerika, zu einem der größten und brutalsten Völkermorde der Geschichte. Als der Konflikt zwischen den beiden damals bedeutendsten katholischen Mächten zu eskalieren drohte, schritt Anno 1493 Papst Alexander VI ein. Er teilte die Welt in eine portugiesische und eine spanische Hälfte. Der 1494 abgeschlossene Vertrag von Tordesillas verhinderte Krieg zwischen den jungen Kolonialmächten Spanien und Portugal. OT António Barreto. Übersetzer: Wenn man sich den Globus anschaut, dann hat man hier Nord-, Mittel- und Südamerika und dort Afrika. Und für diese beiden winzigen Länder am Rande des kleinen Europa wurde eine Linie gezogen, die besagte, dass alles was westlich davor entdeckt wird, Spanien gehört und Portugal Anspruch auf alles hat, was östlich davon liegt. Natürlich wurde die genaue Lage dieser Linie später heftig diskutiert, weil man damals noch keine exakte Vermessungstechnik kannte. Da Christoph Kolumbus ja nach Amerika gesegelt war, wurde Spanien die Erdhälfte westlich der Linie zugeteilt. Portugal bekam neben Afrika aber auch einen Teil der Neuen Welt, das heutige Brasilien. Doch der Rest von Nord-, Mittel- und Südamerika wurde Spanien zugesprochen. Sprecherin: Der Konflikt zwischen Portugal und Spanien schwelte dennoch weiter. Auf der Iberischen Halbinsel versuchte das mit Spanien verbündete Frankreich Portugal zu erobern. 1703 verbündete sich Portugal seinerseits mit Großbritannien, den Niederlanden, großen Teilen des heutigen Deutschlands und Österreichs – Staaten, die sich gegen die Bündnispartner Spanien und Frankreich zusammengeschlossen hatten. Doch trotz der langwierigen Grenzkriege und mehrerer Invasionen Napoleons Anfang des 19. Jahrhunderts, blieb der Verlauf der portugiesisch-spanischen Grenze bestehen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzten sich schließlich der Nationalstaatsgedanke und die Idee staatlicher Souveränität durch. Portugal und Spanien einigten sich, ihre Grenze – die als die älteste Staatsgrenze Europas gilt – genau zu vermessen. In Rio de Onor und an anderen Stellen wurde mit den Territorialherren beider Seiten um jeden Meter gefeilscht, erklärt der Ethnologe Joaquim País de Brito, der lange Zeit in Rio de Onor geforscht hat. OT Joaquim País de Brito Übersetzer: Die Felder um Rio de Onor gehörten zu verschiedenen Grafschaften. Und weil keiner der Grafen auf Land verzichten wollte, zog man die Grenze 1856 schließlich mitten durch den Ort. Denn niemand war daran interessiert, das Machtgefüge zu ändern. Die Abgaben der Bauern auf der spanischen Seite gingen weiter an den Grafen von Benavento und die Portugiesen brachten ihre Abgaben nach Braganca. Die Grenze zwischen den Grafschaften war nie genau festgelegt worden. Jetzt aber markierte man die Grenze in Rio de Onor, die endgültig zur Landesgrenze wurde. 5 Sprecherin: Den Alltag der Bauern ging weiter wie vorher. Beiderseits der Grenze sprach man einen Dialekt – eine Mischung aus Portugiesisch und Spanisch, erklärt der Leiter des portugiesischen Kulturzentrums, Mariano Preto. Grenzüberschreitende Verständigung war wichtig: Jeder Dorfbewohner hatte Anteil an dem bewässerten Gemeinschaftsfeld in der Ortsmitte – unabhängig davon, ob er in Portugal oder Spanien wohnte. OT Mariano Preto Übersetzer: Früher war die Grenze hier streng bewacht. Dies war das Zollhaus, in dem sechs Beamte mit einem Auto stationiert waren. Auf der spanischen Seite gab es ebenfalls sechs Zollbeamte, ein Auto und sogar einen Offizier. Nur wir Dörfler durften ohne Papiere auf die andere Seite. Es gab ein Abkommen, damit wir unsere Felder bestellen konnten. Sprecherin: Die politischen Beziehungen zwischen Portugal und Spanien entspannten sich. Ab den 30er Jahren herrschten in beiden Ländern autoritäre Regime. In Portugal kam 1933 Diktator Salazar an die Macht, und Franco errichtete ab 1939 in Spanien – mit deutscher Hilfe – eine Diktatur. Die beiden verbündeten sich zwar nicht, respektierten sich aber gegenseitig. In Portugal beenden oppositionelle Militärs die Diktatur 1974 durch einen weitgehend unblutigen Putsch. Er ging als Nelkenrevolution in die Geschichte ein, weil die Bevölkerung den Soldaten Nelken in die Gewehrläufe steckte. Eineinhalb Jahre später starb der spanische Diktator Franco und Spanien wurde wieder zur parlamentarischen Erbmonarchie. Beide Länder fürchteten, dass die Anhänger der alten Regime gemeinsam eine Widerstandsbewegung aufbauen könnten. Deshalb wurde die Grenze zwischen Nordportugal und Spanien fortan wesentlich strenger bewacht. In Rio de Onor wurde der Schlagbaum mit einem Vorhängeschloss gesichert. Bei den Bauern sorgte das für großen Unmut. Denn die Zollbeamten erschienen erst um neun Uhr zum Dienst; die Bauern wollten aber im Sommer bereits mit dem ersten Hahnenschrei auf ihren Feldern arbeiten. Doch in Rio de Onor fand man immer einen Weg, auf die andere Seite zu kommen, lacht Maria Luisa Roriz, und macht sich erneut auf den Weg zu ihrer Freundin nach Spanien. Eine portugiesische Freundin begleitet sie. OT Maria Luisa Roriz Übersetzerin: Schau, wenn Du mit deinem Heuwagen hier ankamst und keiner da war, musstest du erst mal einen Zöllner rufen, der dir die Schranke aufgemacht hat. So konnte das nicht bleiben. Deswegen haben wir die Straße hier etwas verbreitert, damit wir mit unseren Ochsenkarren an der Absperrung vorbei fahren konnten. Sprecherin: Das Vorhängeschloss wurde erst 1990, vier Jahre nach dem Beitritt beider Länder zur Europäischen Union entfernt – und der Grenzposten geschlossen. Dass Maria Luisa Roriz und ihr Freundin spanischen Boden betreten, merken sie jetzt nur noch an dem blauen Schild, das hier wie an allen EU-Binnengrenzen steht. ATMO Portugiesin ruft ihre spanische Freundin Maria Luisa: Maria!!! Ai, Maria! Maria: Hey. Maria Luisa: Anda ca, estou a tua espera. Maria: Ja vai. 6 Sprecherin: Auf der spanischen Seite kommt ihnen Maria do Melim entgegen. Die Spanierin begrüßt Maria Luisa Roriz und ihre Freundin mit Küsschen, die in beiden Ländern obligatorisch sind. Atmo Begrüßung Sprecherin: Die Frauen gehen in die Küche, wo sich Maria do Melim am großen Holzkohleofen wärmt. Atmo Küche Sprecherin: Die Frauen lachen: Nove meses de inverno, tres meses de inferno, sagt man hier – Neun Monate Winter, drei Monate Hölle. Dann nehmen die Portugiesinnen auf einer Holzbank vor dem Fenster Platz. Maria Luisa Roriz erinnert die Spanierin daran, dass sie momentan gleich alt sind. OT Maria Melim. Übersetzerin: Sie wird im Juni 87 und ich im November. Aber wir müssen ja nicht 87 sagen, wir können die Zahlen ja auch einfach vertauschen. Sprecherin: Die Frauen spaßen vertraut miteinander. Sprachprobleme gibt es keine – sie sprechen ihre Muttersprachen und passen sie ein wenig an die jeweils andere Sprache an. Hier und da benutzen sie Wörter aus ihrem Grenzland-Dialekt. Dabei stammt Maria do Melim gar nicht aus Rihonor de Castilla, sondern war erst mit ihrem Vater hergezogen, als sie zehn Jahre alt war. Später führte sie mit ihrem Mann beinahe 50 Jahre lang die „Taberna do Melim“ – lange Zeit die einzige Kneipe und Einkaufsmöglichkeit dies- und jenseits der Grenze und damit Dreh- und Angelpunkt des Dorflebens. Seit ihr Mann gestorben ist, führt der Sohn den Laden. Doch die Spanierin pflegt weiter enge Kontakte mit den portugiesischen Nachbarn. OT Maria Melim. Übersetzerin: Ich habe mein ganzes Leben mit den Portugiesen verbracht. Ich habe oft gesagt, was wäre wohl ohne sie aus mir geworden? Ich mag Portugal sehr gerne. Und die Portugiesen berühren mich. Es freut mich immer, sie zu sehen, denn wir haben gemeinsam viel erlebt in all den Jahren. Atmo - Dudelsack OT António Barreto Übersetzer: Im Norden Portugals leben Tausende von Kleinbauern, im Süden dagegen Großgrundbesitzer. Die Kleinbauern scheren sich aber nicht weiter um Grenzen. Wenn das Gras auf der anderen Seite grüner scheint, treiben sie ihre Rinder einfach dorthin. Sie überqueren die Grenze wann und wo immer sie wollen. Das ist ihr Leben. Und das Gelände im Norden ist sehr hügelig und schwer zugänglich, so dass es praktisch unmöglich ist, die Grenze zu kontrollieren. Im Süden Portugals hingegen liegen riesige, flache Ländereien, die man relativ leicht überwachen kann. Deshalb wurden dort auch viele Burgen gebaut, denn die Portugiesen rechneten stets damit, dass die Spanier im leichter zugänglichen Süden einfallen würden. Ihnen war immer klar, dass sie sich hauptsächlich in dieser Region verteidigen müssen. 7 Sprecherin: Jahrhunderte lang fürchtete Portugal – das gerade mal ein Fünftel der Fläche Spaniens hat – die Invasion des größeren Nachbarn. Beiderseits der Grenze entstanden an strategischen Punkten gewaltige Burgen und Festungsanlagen. Besonders umkämpft war das kleine, ehemals portugiesische Olivenza, das heute zur spanischen Extremadura gehört. Atmo Schulhof Sprecherin: Ausgelassen steigt eine spanische Schulklasse die Steintreppe des riesigen Wachturms hinauf, der über der quadratisch angelegten Festungsanlage mit vier weiteren Türmen thront. Oben angekommen, erzählt der Touristenführer Servando Rodriguez Franco, dass der portugiesische König Diniz die Anlage bauen ließ, nachdem man 1297 die Grenze festgelegt hatte. Olivenza gehörte fortan zu Portugal, obwohl es durch den Fluss Guadiana vom Rest des Landes getrennt ist. OT Servando Rodriguez Franco, Übersetzer: Olivenza war einer der wichtigsten militärischen Stützpunkte an der Grenze zu Spanien. Der Verlust Olivenzas ist den Portugiesen bis heute ein Dorn im Auge, denn es ist der einzige territoriale Verlust, den Portugal an dieser ältesten Grenze Europas hinnehmen musste. Sprecherin: 500 Jahre lang war Olivenza portugiesisch – bis zum so genannten Orangenkrieg von 1801: Die Bündnispartner Frankreich und Spanien hatten unter Napoleon Bonaparte geplant Portugal einzunehmen. Sie forderten das kleine Nachbarland auf, seine Häfen für britische Schiffe zu sperren. Das mit Großbritannien verbündete Portugal konnte dem nicht folgen, und so marschierten französisch-spanische Truppen in Olivenza ein. Der spanische General Godoy pflückte im nahegelegenen Elvas einen Orangenbaumzweig und schickte ihn der spanischen Königin Marie Luise von Bourbon-Parma mit der Bitte, bis Lissabon vordringen zu dürfen. OT Servando Rodriguez Franco, Übersetzer: Wir bewahren hier im Archiv die Kopie des Antwortbriefes der Königin auf. Am Ende schreibt sie „die Orangen sind sehr gut“. (lacht) Daher kommt auch der Name Orangenkrieg, denn es war kein wirklicher Krieg, sondern eher eine schnelle Besetzung, die auf keinen größeren Widerstand stieß. Olivenza hat sich nicht wirklich verteidigt. Im Juni 1801 wurde dann in Badajoz ein Vertrag unterschrieben, der den Fluss Guadiana als Grenze festlegt. Olivenza ging damit an Spanien über. Sprecherin: Seit über 200 Jahren ist Olivenza nun Spanisch, doch noch Elterngeneration von Servando Rodrigues Franco sprach Portugiesisch – und das obwohl die Sprache früher an den Schulen nicht gelehrt und auch im Unterricht nicht geduldet wurde. Der 41-Jährige hat Portugiesisch jedoch nicht mehr von seinen Eltern gelernt, sondern an der Universität studiert. OT Servando Rodriguez Franco, Übersetzer: Die Generation meiner Eltern hat in den 50er, 60er Jahren beschlossen, dass die Zukunft ihrer Kinder nicht die portugiesische Sprache, sondern Spanisch ist. Von da an sprachen sie mit uns nur noch Spanisch, auch wenn sie weiterhin unter sich, oder wenn sie mit uns schimpften, Portugiesisch redeten. So kam es zu einer mehr oder weniger natürlichen Akkulturation. Denn es ist klar, dass Menschen, die Teil einer anderen Nation werden, irgendwann auch deren Kultur übernehmen. 8 ATMO Tapasbar Sprecherin: In Olivenzas Tapasbars drängen sich Ladenbesitzer und Angestellte der Stadtverwaltung zum in Spanien üblichen, späten Mittagessen. Im Stehen trinken sie ein Glas Wein oder Bier und bestellen kleine Teller mit geräuchertem Schinken, deftigen Würsten oder gegrillten Paprika. Es wird ausführlich geplaudert – erst zwei Stunden später geht es zurück an die Arbeit. Der Alltag in Olivenza ist eindeutig spanisch geprägt, erklärt Mila Rodriguez Perrez, die gerade eine Tortilla gegessen hat. Doch, wie viele Menschen in Olivenza, fühlt auch sie sich mit Portugal verbunden. OT Mila Rodriguez Perrez Übersetzerin: Ich habe auch etwas portugiesisches Blut und bin gerne in Portugal. Es ist ganz normal für mich, in Elvas einen Kaffee zu trinken oder essen zu gehen. Weil ich so nahe an der Grenze aufgewachsen bin, sind meine Wurzeln nicht klar einem Land zuzuordnen. Ich bin eine richtige Grenzgängerin und finde, dass man sich heutzutage auf die Außengrenzen von Europa beschränken sollte. Denn die Grenze zwischen Spanien und Portugal spielt ja eigentlich keine größere Rolle mehr. Wir sind Europäer, auch wenn sich die Menschen hier schon sehr spanisch fühlen. Sprecherin: Wie die meisten der 30- bis 40jährigen in Olivenza hat auch die kleine Frau mit blond gefärbten, kurzen Haaren nie engeren Kontakt mit der portugiesischen Sprache gehabt. Doch seit ein paar Jahren ist Portugiesisch in Olivenza obligatorisches Unterrichtsfach in der Schule. Und auch sonst gibt es Bemühungen, die portugiesische Vergangenheit in Erinnerung zu behalten. Vor Kurzen wurden an allen Straßenecken Schilder mit den ursprünglichen portugiesischen Straßennamen angebracht. Politisch gesehen ist der Fall Olivenza seit zwei Jahrhunderten in der Schwebe. Praktisch gesehen haben die Menschen sich in ihrem Alltag eingerichtet – und seit dem Beitritt beider Länder zur Europäischen Union 1986 spielen die Grenzen für die meisten Bürger im Grenzgebiet keine größere Rolle mehr. ATMO Straßen von Elvas Sprecherin: In Elvas – einer portugiesischen Stadt etwa 20 Kilometer von Olivenza entfernt – schlendern Jung und Alt durch die engen Gassen. Die imposanten, sternförmig angelegten Wälle um den alten Stadtkern deuten auf die kriegerische Vergangenheit mit dem wenige Kilometer entfernten Badajoz hin – der Hauptstadt der spanischen Extremadura. Doch heute mischt sich auf den Straßen beider Städte Spanisch mit Portugiesisch. Die Spanier kommen gerne zum Mittag- oder Abendessen nach Elvas, wo die Restaurants preiswerter sind; die Portugiesen hingegen fahren zum Einkaufen oder Tanken nach Badajoz, weil das in Spanien billiger ist. Verständigungsschwierigkeiten gibt es keine, sagt die Krankenschwester Maria José Ferreira die im Krankenhaus von Elvas arbeitet. OT Maria José Ferreira Übersetzerin: Wer an der Grenze geboren wurde und aufgewachsen ist, spricht und versteht Spanisch. Das ist für uns normal. Denn unser ganzer Alltag ist eng mit Spanien verbunden. Und es wundert auch keinen, wenn er bei uns in Elvas im Krankenhaus von spanischen Ärzten behandelt wird. Für die schwangeren Frauen bilden sie sogar eine Art Brücke rüber nach Badajoz. Sprecherin: Um ihre Kinder zu gebären, fahren die meisten Schwangeren aus dem portugiesischen Elvas über die Grenze. Die Geburtsstation des kleinen Krankenhauses auf der portugiesischen Seite 9 wurde 2006 geschlossen, da immer weniger Kinder geboren wurden. Da auch in Badajoz die Zahl der Geburten immer weiter zurückgeht, einigte man sich auf eine Kooperation. Seitdem können sich die Schwangeren aus Elvas frei entscheiden, ob sie ihr Kind in der spanischen Nachbarstadt oder den weiter entfernt liegenden portugiesischen Städten Portalegre oder Evora zur Welt bringen möchten. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten in beiden Fällen. OT / ATMO Celina Teixeiras Sehr lautes Geräusch der Ultraschalluntersuchung Übersetzerin: Das Baby in meinem Bauch ist grade sehr aktiv (lacht). Ich bin in der 40. Woche und hatte heute die ersten Anzeichen von Wehen. Es wird bald losgehen. Sprecherin: Celina Teixeiras erzählt, dass sie ein Mädchen erwartet – ihr erstes Kind. Für sie, wie die meisten Frauen aus Elvas, war von Anfang an klar, dass sie zur Geburt nach Spanien fahren wird. OT / ATMO Celina Teixeiras Übersetzerin: Ich werde nach Badajoz gehen – das ist nur ein Katzensprung von Elvas entfernt. Im Notfall sind wir viel schneller in Badajoz. Das sind gerade mal 12 Kilometer, während es nach Portalegre 58 Kilometer wären. Trotzdem würde ich mein Kind lieber in Portugal zur Welt bringen. Schließlich ist das unser Land. Sprecherin: Während die Menschen beiderseits der Grenze durch den alltäglichen Kontakt immer mehr zusammen wachsen, blieb die Politik beider Länder lange Zeit distanziert. Doch mit den ersten grenzüberschreitenden Abkommen, wie der gemeinsamen Nutzung medizinischer Einrichtungen, setzten nun auch Politiker erste zaghafte Anzeichen einer Zusammenarbeit. Durch die globale Finanzkrise, die beide Länder erschütterte, sitzen nun das größere und wirtschaftlich einst wesentlich erfolgreichere Spanien und das kleinere, seit eh und je ärmere Portugal in einem Boot. Welche Auswirkungen das auf die politischen Beziehungen zwischen den beiden einst verfeindeten Staaten haben wird – die die Welt unter sich hatten aufteilen wollten – wird sich noch zeigen. ***