Von Gegenspielern zu Freunden Portugiesisch-spanische

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SWR2 Wissen - Manuskriptdienst
Von Gegenspielern zu Freunden
Portugiesisch-spanische Grenzbeziehungen
Autor: Nina Gruntkowski
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Maidon Bader
SWR2 Wissen am Dienstag, 10. Mai 2011, 8.30 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
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Atmo - Dudelsack
Sprecherin:
Maria Luisa Roriz geht über die kopfsteingepflasterte, holprige Hauptstraße von Rio de Onor,
am leise rauschenden Onor entlang, dem Fluss, der dem Dorf im nordöstlichsten Zipfel
Portugals seinen Namen gab. Die 86jährige ist unterwegs nach Spanien, zu einer Freundin.
Die lebt nur wenig hundert Meter entfernt. Denn die Grenze verläuft mitten durch den kleinen
Ort, der auf spanischer Seite Rihonor de Castilla heißt.
OT Maria Luisa Roriz
Übersetzerin:
Da vorne fängt schon Spanien an, hier ist noch Portugal ...
Ansage:
Von Gegenspielern zu Freunden – Portugiesisch-spanische Grenzbeziehungen. Eine
Sendung von Nina Gruntkowski.
Sprecherin:
Für die Portugiesin ist der Gang über die Grenze Teil ihres Alltags, doch heute ist sie zu spät
dran:
OT Maria Luisa Roriz
Übersetzerin:
Ohh, da kann man nichts mehr machen. Auf der spanischen Seite gehen jetzt alle in die
Kirche. Der Pfarrer läutet schon zum Gottesdienst.
Sprecherin:
In Portugal ist es erst drei Uhr nachmittags – in Spanien bereits vier – denn beide Länder
liegen in verschiedenen Zeitzonen. Achselzuckend dreht sich die von Kopf bis Fuß in Schwarz
gekleidete Frau um, geht zurück nach Portugal und wartet, bis der Gottesdienst in Spanien
vorbei ist.
Sprecherin:
Trotz gemeinsamer kultureller Wurzeln waren Portugal und Spanien Jahrhunderte lang
Konkurrenten und Gegenspieler. Entlang der Grenze jedoch pflegten die Menschen immer
schon enge Beziehungen – seit dem Beitritt beider Länder zur Europäischen Union bessert
sich das Verhältnis mehr und mehr.
Atmo Kulturzentrum
Sprecherin:
Maria Luisa Roriz geht Mariano Preto besuchen, der auf der portugiesischen Seite ein kleines
Kulturzentrum leitet. Der 68jährige freut sich über die Besucherin, denn in Rio de Onor ist
heute nicht mehr viel los. Landwirtschaft lohnt kaum noch, junge Leute sind längst in Städte an
der Küste oder ins Ausland abgewandert. Auf portugiesischer Seite leben noch 52 Menschen,
fast alle im Ruhestand, auf spanischer Seite sind es nur noch zwölf. Doch die Bewohner beider
Seiten halten nach wie vor zusammen, erzählt Mariano Preto, der sein ganzes Leben in Rio de
Onor gelebt hat.
OT Mariano Preto
Übersetzer:
Von den Häusern bis zur Grenze sind es jeweils etwa 50 Meter; in der Mitte liegt das große
Gemeinschaftsfeld. Jeder hat dort Parzellen. Wir sind immer gut miteinander ausgekommen,
denn viele Portugiesen haben auch auf spanischer Seite Felder und die Spanier haben Land
auf unserer Seite. Früher hatten wir im Dorf 600 Rinder und Ziegen und einen Zuchtbullen. Die
Spanier, die keinen eigenen Bullen hatten, kamen zur Besamung ihrer Kühe zu uns herüber.
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Man vergaß manchmal fast, dass es sich um zwei verschiedene Dörfer handelt. Und ganz
früher war es ja auch mal ein Dorf gewesen. Denn alles hier hat mal zu Spanien gehört.
ATMO Nationalhymne Spanien
Sprecherin:
„Es lebe Spanien“, heißt es in der ersten Zeile der Nationalhymne, deren Melodie
Preußenkönig Friedrich der Große komponiert hat, „lasst uns alle gemeinsam singen, mit
klarer Stimme und einem Herzen“. Doch der Weg zu einem geeinten Spanien war lang:
Anfang des 8. Jahrhunderts waren Araber und Berber aus Nordafrika mit einer
Invasionsarmee unter Tariq Ibn Ziyad bei Gibraltar gelandet. In nur sechs Jahren brachten sie
fast die gesamte Iberische Halbinsel unter ihre Kontrolle und ließen sich für Jahrhunderte vor
allem im Süden und der Mitte des heutigen Spanien nieder. In den schwer zugänglichen
Gebirgen des Nordens hingegen widersetzten sich die Menschen, abgesehen von einer
kurzen Besatzungszeit, erfolgreich. Dort entstanden die christlichen Königreiche
Nordspaniens – und Portugal war lange Zeit eine nordspanische Grafschaft unter vielen
anderen.
Ende des 11. Jahrhunderts war Graf Henrique, ein Schwiegersohn des spanischen Königs von
Léon, dessen Statthalter im heutigen Nordportugal. Er war ein geschickter Stratege, keiner
Partei verpflichtet und stellte sich in Konflikten immer auf die Seite des Siegers. Das waren die
ersten Anflüge der Unabhängigkeit Portugals. Sein Sohn Afonso Henrique widersetzte sich
dem neuen König von Léon dann offen. Er wandte sich an Papst Alexander III, der das
portugiesische Königreich 1179 anerkannte. Der Grundstein für den späteren Staat Portugal
war gelegt.
ATMO Nationalhymne
Sprecherin:
Die Nationalhymne des kleineren Portugal hat den deutlich martialischeren Text. Der Refrain
lautet:
An die Waffen, die Waffen
zu Land und zu See.
An die Waffen, die Waffen,
um unser Vaterland zu verteidigen.
Tatsächlich gelang es Portugal vergleichsweise schnell, die maurischen Fremdherrscher nach
Süden zurückzuschlagen. Wegen dieser militärischen Erfolge erkannten 1297 auch die
spanischen Königreiche, die sich unter der Krone Kastiliens zusammengeschlossen hatten,
das portugiesische Territorium an. Die spanische Reconquista dauerte rund zwei
Jahrhunderte länger, markiert aber ebenfalls die Geburtsstunde des spanischen Staates.
Seitdem beschreiten die beiden Nachbarländer im äußersten Südwesten Europas getrennte
Wege, erklärt der Soziologe António Barreto.
OT António Barreto.
Übersetzer:
Das Interessante ist, dass die politischen Verantwortlichen – also erst die Könige und später
die Staatsoberhäupter – die Unterschiede zwischen Spanien und Portugal regelrecht
erschaffen mussten. Denn die Anerkennung Portugals als eigenes Königreich vereinigte es
zwar politisch, machte es aber noch lange nicht zu einem gewachsenen, einheitlichen Staat.
Bis ins 20. Jahrhundert gibt es eine Geschichte der bewussten Trennung Portugals und
Spaniens. Die Portugiesen schufen eine neue Verwaltung, pflegten bewusst unterschiedliche
Bräuche und entwickelten sogar eine neue Sprache, um die Völker immer mehr zur trennen.
Es gab nur zwei Gemeinsamkeiten: Die katholische Kirche, die bis heute auf der ganzen
Iberischen Halbinsel großen Einfluss hat, und die Entdeckungsfahrten.
4
Sprecherin:
Im 15. Jahrhundert lieferten sich Portugal und Spanien ein regelrechtes Wettrennen um die
neu entdeckten Gebiete in Übersee – in einer Mischung aus Machthunger, christlichem
Missionierungseifer und Gewinnstreben. Prinz Heinrich von Portugal, der selbst nie zur See
gefahren war, gründete im frühen 15. Jahrhundert die erste Seefahrtschule Europas – und die
Portugiesen begannen, entlang der afrikanischen Küste den Seeweg nach Indien zu
erkunden. Im September 1492 ankerte die Flottille des genuesischen Seefahrers Christoph
Kolumbus vor den Bahamas – und er meinte Westindien für die spanische Krone entdeckt zu
haben, das spätere Mittelamerika. Zwischen den beiden großen Seefahrernationen bracht
jetzt Streit um die Reichtümer in Übersee aus – und es kam, zunächst vor allem in Mittel- und
Südamerika, zu einem der größten und brutalsten Völkermorde der Geschichte.
Als der Konflikt zwischen den beiden damals bedeutendsten katholischen Mächten zu
eskalieren drohte, schritt Anno 1493 Papst Alexander VI ein. Er teilte die Welt in eine
portugiesische und eine spanische Hälfte. Der 1494 abgeschlossene Vertrag von Tordesillas
verhinderte Krieg zwischen den jungen Kolonialmächten Spanien und Portugal.
OT António Barreto.
Übersetzer:
Wenn man sich den Globus anschaut, dann hat man hier Nord-, Mittel- und Südamerika und
dort Afrika. Und für diese beiden winzigen Länder am Rande des kleinen Europa wurde eine
Linie gezogen, die besagte, dass alles was westlich davor entdeckt wird, Spanien gehört und
Portugal Anspruch auf alles hat, was östlich davon liegt. Natürlich wurde die genaue Lage
dieser Linie später heftig diskutiert, weil man damals noch keine exakte Vermessungstechnik
kannte. Da Christoph Kolumbus ja nach Amerika gesegelt war, wurde Spanien die Erdhälfte
westlich der Linie zugeteilt. Portugal bekam neben Afrika aber auch einen Teil der Neuen Welt,
das heutige Brasilien. Doch der Rest von Nord-, Mittel- und Südamerika wurde Spanien
zugesprochen.
Sprecherin:
Der Konflikt zwischen Portugal und Spanien schwelte dennoch weiter. Auf der Iberischen
Halbinsel versuchte das mit Spanien verbündete Frankreich Portugal zu erobern. 1703
verbündete sich Portugal seinerseits mit Großbritannien, den Niederlanden, großen Teilen des
heutigen Deutschlands und Österreichs – Staaten, die sich gegen die Bündnispartner Spanien
und Frankreich zusammengeschlossen hatten. Doch trotz der langwierigen Grenzkriege und
mehrerer Invasionen Napoleons Anfang des 19. Jahrhunderts, blieb der Verlauf der
portugiesisch-spanischen Grenze bestehen.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzten sich schließlich der Nationalstaatsgedanke und die Idee
staatlicher Souveränität durch. Portugal und Spanien einigten sich, ihre Grenze – die als die
älteste Staatsgrenze Europas gilt – genau zu vermessen. In Rio de Onor und an anderen
Stellen wurde mit den Territorialherren beider Seiten um jeden Meter gefeilscht, erklärt der
Ethnologe Joaquim País de Brito, der lange Zeit in Rio de Onor geforscht hat.
OT Joaquim País de Brito
Übersetzer:
Die Felder um Rio de Onor gehörten zu verschiedenen Grafschaften. Und weil keiner der
Grafen auf Land verzichten wollte, zog man die Grenze 1856 schließlich mitten durch den Ort.
Denn niemand war daran interessiert, das Machtgefüge zu ändern. Die Abgaben der Bauern
auf der spanischen Seite gingen weiter an den Grafen von Benavento und die Portugiesen
brachten ihre Abgaben nach Braganca. Die Grenze zwischen den Grafschaften war nie genau
festgelegt worden. Jetzt aber markierte man die Grenze in Rio de Onor, die endgültig zur
Landesgrenze wurde.
5
Sprecherin:
Den Alltag der Bauern ging weiter wie vorher. Beiderseits der Grenze sprach man einen
Dialekt – eine Mischung aus Portugiesisch und Spanisch, erklärt der Leiter des
portugiesischen Kulturzentrums, Mariano Preto. Grenzüberschreitende Verständigung war
wichtig: Jeder Dorfbewohner hatte Anteil an dem bewässerten Gemeinschaftsfeld in der
Ortsmitte – unabhängig davon, ob er in Portugal oder Spanien wohnte.
OT Mariano Preto
Übersetzer:
Früher war die Grenze hier streng bewacht. Dies war das Zollhaus, in dem sechs Beamte mit
einem Auto stationiert waren. Auf der spanischen Seite gab es ebenfalls sechs Zollbeamte, ein
Auto und sogar einen Offizier. Nur wir Dörfler durften ohne Papiere auf die andere Seite. Es
gab ein Abkommen, damit wir unsere Felder bestellen konnten.
Sprecherin:
Die politischen Beziehungen zwischen Portugal und Spanien entspannten sich. Ab den 30er
Jahren herrschten in beiden Ländern autoritäre Regime. In Portugal kam 1933 Diktator
Salazar an die Macht, und Franco errichtete ab 1939 in Spanien – mit deutscher Hilfe – eine
Diktatur. Die beiden verbündeten sich zwar nicht, respektierten sich aber gegenseitig. In
Portugal beenden oppositionelle Militärs die Diktatur 1974 durch einen weitgehend unblutigen
Putsch. Er ging als Nelkenrevolution in die Geschichte ein, weil die Bevölkerung den Soldaten
Nelken in die Gewehrläufe steckte. Eineinhalb Jahre später starb der spanische Diktator
Franco und Spanien wurde wieder zur parlamentarischen Erbmonarchie.
Beide Länder fürchteten, dass die Anhänger der alten Regime gemeinsam eine
Widerstandsbewegung aufbauen könnten. Deshalb wurde die Grenze zwischen Nordportugal
und Spanien fortan wesentlich strenger bewacht. In Rio de Onor wurde der Schlagbaum mit
einem Vorhängeschloss gesichert. Bei den Bauern sorgte das für großen Unmut. Denn die
Zollbeamten erschienen erst um neun Uhr zum Dienst; die Bauern wollten aber im Sommer
bereits mit dem ersten Hahnenschrei auf ihren Feldern arbeiten. Doch in Rio de Onor fand
man immer einen Weg, auf die andere Seite zu kommen, lacht Maria Luisa Roriz, und macht
sich erneut auf den Weg zu ihrer Freundin nach Spanien. Eine portugiesische Freundin
begleitet sie.
OT Maria Luisa Roriz
Übersetzerin:
Schau, wenn Du mit deinem Heuwagen hier ankamst und keiner da war, musstest du erst mal
einen Zöllner rufen, der dir die Schranke aufgemacht hat. So konnte das nicht bleiben.
Deswegen haben wir die Straße hier etwas verbreitert, damit wir mit unseren Ochsenkarren an
der Absperrung vorbei fahren konnten.
Sprecherin:
Das Vorhängeschloss wurde erst 1990, vier Jahre nach dem Beitritt beider Länder zur
Europäischen Union entfernt – und der Grenzposten geschlossen. Dass Maria Luisa Roriz und
ihr Freundin spanischen Boden betreten, merken sie jetzt nur noch an dem blauen Schild, das
hier wie an allen EU-Binnengrenzen steht.
ATMO
Portugiesin ruft ihre spanische Freundin
Maria Luisa: Maria!!!
Ai, Maria!
Maria: Hey.
Maria Luisa: Anda ca, estou a tua espera.
Maria: Ja vai.
6
Sprecherin:
Auf der spanischen Seite kommt ihnen Maria do Melim entgegen. Die Spanierin begrüßt Maria
Luisa Roriz und ihre Freundin mit Küsschen, die in beiden Ländern obligatorisch sind.
Atmo Begrüßung
Sprecherin:
Die Frauen gehen in die Küche, wo sich Maria do Melim am großen Holzkohleofen wärmt.
Atmo Küche
Sprecherin:
Die Frauen lachen: Nove meses de inverno, tres meses de inferno, sagt man hier – Neun
Monate Winter, drei Monate Hölle. Dann nehmen die Portugiesinnen auf einer Holzbank vor
dem Fenster Platz. Maria Luisa Roriz erinnert die Spanierin daran, dass sie momentan gleich
alt sind.
OT Maria Melim.
Übersetzerin:
Sie wird im Juni 87 und ich im November. Aber wir müssen ja nicht 87 sagen, wir können die
Zahlen ja auch einfach vertauschen.
Sprecherin:
Die Frauen spaßen vertraut miteinander. Sprachprobleme gibt es keine – sie sprechen ihre
Muttersprachen und passen sie ein wenig an die jeweils andere Sprache an. Hier und da
benutzen sie Wörter aus ihrem Grenzland-Dialekt. Dabei stammt Maria do Melim gar nicht aus
Rihonor de Castilla, sondern war erst mit ihrem Vater hergezogen, als sie zehn Jahre alt war.
Später führte sie mit ihrem Mann beinahe 50 Jahre lang die „Taberna do Melim“ – lange Zeit
die einzige Kneipe und Einkaufsmöglichkeit dies- und jenseits der Grenze und damit Dreh- und
Angelpunkt des Dorflebens. Seit ihr Mann gestorben ist, führt der Sohn den Laden. Doch die
Spanierin pflegt weiter enge Kontakte mit den portugiesischen Nachbarn.
OT Maria Melim.
Übersetzerin:
Ich habe mein ganzes Leben mit den Portugiesen verbracht. Ich habe oft gesagt, was wäre
wohl ohne sie aus mir geworden? Ich mag Portugal sehr gerne. Und die Portugiesen berühren
mich. Es freut mich immer, sie zu sehen, denn wir haben gemeinsam viel erlebt in all den
Jahren.
Atmo - Dudelsack
OT António Barreto
Übersetzer:
Im Norden Portugals leben Tausende von Kleinbauern, im Süden dagegen
Großgrundbesitzer. Die Kleinbauern scheren sich aber nicht weiter um Grenzen. Wenn das
Gras auf der anderen Seite grüner scheint, treiben sie ihre Rinder einfach dorthin. Sie
überqueren die Grenze wann und wo immer sie wollen. Das ist ihr Leben. Und das Gelände im
Norden ist sehr hügelig und schwer zugänglich, so dass es praktisch unmöglich ist, die Grenze
zu kontrollieren. Im Süden Portugals hingegen liegen riesige, flache Ländereien, die man
relativ leicht überwachen kann. Deshalb wurden dort auch viele Burgen gebaut, denn die
Portugiesen rechneten stets damit, dass die Spanier im leichter zugänglichen Süden einfallen
würden. Ihnen war immer klar, dass sie sich hauptsächlich in dieser Region verteidigen
müssen.
7
Sprecherin:
Jahrhunderte lang fürchtete Portugal – das gerade mal ein Fünftel der Fläche Spaniens hat –
die Invasion des größeren Nachbarn. Beiderseits der Grenze entstanden an strategischen
Punkten gewaltige Burgen und Festungsanlagen. Besonders umkämpft war das kleine,
ehemals portugiesische Olivenza, das heute zur spanischen Extremadura gehört.
Atmo Schulhof
Sprecherin:
Ausgelassen steigt eine spanische Schulklasse die Steintreppe des riesigen Wachturms
hinauf, der über der quadratisch angelegten Festungsanlage mit vier weiteren Türmen thront.
Oben angekommen, erzählt der Touristenführer Servando Rodriguez Franco, dass der
portugiesische König Diniz die Anlage bauen ließ, nachdem man 1297 die Grenze festgelegt
hatte. Olivenza gehörte fortan zu Portugal, obwohl es durch den Fluss Guadiana vom Rest des
Landes getrennt ist.
OT Servando Rodriguez Franco,
Übersetzer:
Olivenza war einer der wichtigsten militärischen Stützpunkte an der Grenze zu Spanien. Der
Verlust Olivenzas ist den Portugiesen bis heute ein Dorn im Auge, denn es ist der einzige
territoriale Verlust, den Portugal an dieser ältesten Grenze Europas hinnehmen musste.
Sprecherin:
500 Jahre lang war Olivenza portugiesisch – bis zum so genannten Orangenkrieg von 1801:
Die Bündnispartner Frankreich und Spanien hatten unter Napoleon Bonaparte geplant
Portugal einzunehmen. Sie forderten das kleine Nachbarland auf, seine Häfen für britische
Schiffe zu sperren. Das mit Großbritannien verbündete Portugal konnte dem nicht folgen, und
so marschierten französisch-spanische Truppen in Olivenza ein. Der spanische General
Godoy pflückte im nahegelegenen Elvas einen Orangenbaumzweig und schickte ihn der
spanischen Königin Marie Luise von Bourbon-Parma mit der Bitte, bis Lissabon vordringen zu
dürfen.
OT Servando Rodriguez Franco,
Übersetzer:
Wir bewahren hier im Archiv die Kopie des Antwortbriefes der Königin auf. Am Ende schreibt
sie „die Orangen sind sehr gut“. (lacht) Daher kommt auch der Name Orangenkrieg, denn es
war kein wirklicher Krieg, sondern eher eine schnelle Besetzung, die auf keinen größeren
Widerstand stieß. Olivenza hat sich nicht wirklich verteidigt. Im Juni 1801 wurde dann in
Badajoz ein Vertrag unterschrieben, der den Fluss Guadiana als Grenze festlegt. Olivenza
ging damit an Spanien über.
Sprecherin:
Seit über 200 Jahren ist Olivenza nun Spanisch, doch noch Elterngeneration von Servando
Rodrigues Franco sprach Portugiesisch – und das obwohl die Sprache früher an den Schulen
nicht gelehrt und auch im Unterricht nicht geduldet wurde. Der 41-Jährige hat Portugiesisch
jedoch nicht mehr von seinen Eltern gelernt, sondern an der Universität studiert.
OT Servando Rodriguez Franco,
Übersetzer:
Die Generation meiner Eltern hat in den 50er, 60er Jahren beschlossen, dass die Zukunft ihrer
Kinder nicht die portugiesische Sprache, sondern Spanisch ist. Von da an sprachen sie mit uns
nur noch Spanisch, auch wenn sie weiterhin unter sich, oder wenn sie mit uns schimpften,
Portugiesisch redeten. So kam es zu einer mehr oder weniger natürlichen Akkulturation. Denn
es ist klar, dass Menschen, die Teil einer anderen Nation werden, irgendwann auch deren
Kultur übernehmen.
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ATMO Tapasbar
Sprecherin:
In Olivenzas Tapasbars drängen sich Ladenbesitzer und Angestellte der Stadtverwaltung zum
in Spanien üblichen, späten Mittagessen. Im Stehen trinken sie ein Glas Wein oder Bier und
bestellen kleine Teller mit geräuchertem Schinken, deftigen Würsten oder gegrillten Paprika.
Es wird ausführlich geplaudert – erst zwei Stunden später geht es zurück an die Arbeit. Der
Alltag in Olivenza ist eindeutig spanisch geprägt, erklärt Mila Rodriguez Perrez, die gerade
eine Tortilla gegessen hat. Doch, wie viele Menschen in Olivenza, fühlt auch sie sich mit
Portugal verbunden.
OT Mila Rodriguez Perrez
Übersetzerin:
Ich habe auch etwas portugiesisches Blut und bin gerne in Portugal. Es ist ganz normal für
mich, in Elvas einen Kaffee zu trinken oder essen zu gehen. Weil ich so nahe an der Grenze
aufgewachsen bin, sind meine Wurzeln nicht klar einem Land zuzuordnen. Ich bin eine richtige
Grenzgängerin und finde, dass man sich heutzutage auf die Außengrenzen von Europa
beschränken sollte. Denn die Grenze zwischen Spanien und Portugal spielt ja eigentlich keine
größere Rolle mehr. Wir sind Europäer, auch wenn sich die Menschen hier schon sehr
spanisch fühlen.
Sprecherin:
Wie die meisten der 30- bis 40jährigen in Olivenza hat auch die kleine Frau mit blond
gefärbten, kurzen Haaren nie engeren Kontakt mit der portugiesischen Sprache gehabt. Doch
seit ein paar Jahren ist Portugiesisch in Olivenza obligatorisches Unterrichtsfach in der Schule.
Und auch sonst gibt es Bemühungen, die portugiesische Vergangenheit in Erinnerung zu
behalten. Vor Kurzen wurden an allen Straßenecken Schilder mit den ursprünglichen
portugiesischen Straßennamen angebracht.
Politisch gesehen ist der Fall Olivenza seit zwei Jahrhunderten in der Schwebe. Praktisch
gesehen haben die Menschen sich in ihrem Alltag eingerichtet – und seit dem Beitritt beider
Länder zur Europäischen Union 1986 spielen die Grenzen für die meisten Bürger im
Grenzgebiet keine größere Rolle mehr.
ATMO Straßen von Elvas
Sprecherin:
In Elvas – einer portugiesischen Stadt etwa 20 Kilometer von Olivenza entfernt – schlendern
Jung und Alt durch die engen Gassen. Die imposanten, sternförmig angelegten Wälle um den
alten Stadtkern deuten auf die kriegerische Vergangenheit mit dem wenige Kilometer
entfernten Badajoz hin – der Hauptstadt der spanischen Extremadura. Doch heute mischt sich
auf den Straßen beider Städte Spanisch mit Portugiesisch. Die Spanier kommen gerne zum
Mittag- oder Abendessen nach Elvas, wo die Restaurants preiswerter sind; die Portugiesen
hingegen fahren zum Einkaufen oder Tanken nach Badajoz, weil das in Spanien billiger ist.
Verständigungsschwierigkeiten gibt es keine, sagt die Krankenschwester Maria José Ferreira
die im Krankenhaus von Elvas arbeitet.
OT Maria José Ferreira
Übersetzerin:
Wer an der Grenze geboren wurde und aufgewachsen ist, spricht und versteht Spanisch. Das
ist für uns normal. Denn unser ganzer Alltag ist eng mit Spanien verbunden. Und es wundert
auch keinen, wenn er bei uns in Elvas im Krankenhaus von spanischen Ärzten behandelt wird.
Für die schwangeren Frauen bilden sie sogar eine Art Brücke rüber nach Badajoz.
Sprecherin:
Um ihre Kinder zu gebären, fahren die meisten Schwangeren aus dem portugiesischen Elvas
über die Grenze. Die Geburtsstation des kleinen Krankenhauses auf der portugiesischen Seite
9
wurde 2006 geschlossen, da immer weniger Kinder geboren wurden. Da auch in Badajoz die
Zahl der Geburten immer weiter zurückgeht, einigte man sich auf eine Kooperation. Seitdem
können sich die Schwangeren aus Elvas frei entscheiden, ob sie ihr Kind in der spanischen
Nachbarstadt oder den weiter entfernt liegenden portugiesischen Städten Portalegre oder
Evora zur Welt bringen möchten. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten in
beiden Fällen.
OT / ATMO Celina Teixeiras
Sehr lautes Geräusch der Ultraschalluntersuchung
Übersetzerin:
Das Baby in meinem Bauch ist grade sehr aktiv (lacht).
Ich bin in der 40. Woche und hatte heute die ersten Anzeichen von Wehen. Es wird bald
losgehen.
Sprecherin:
Celina Teixeiras erzählt, dass sie ein Mädchen erwartet – ihr erstes Kind. Für sie, wie die
meisten Frauen aus Elvas, war von Anfang an klar, dass sie zur Geburt nach Spanien fahren
wird.
OT / ATMO Celina Teixeiras
Übersetzerin:
Ich werde nach Badajoz gehen – das ist nur ein Katzensprung von Elvas entfernt. Im Notfall
sind wir viel schneller in Badajoz. Das sind gerade mal 12 Kilometer, während es nach
Portalegre 58 Kilometer wären. Trotzdem würde ich mein Kind lieber in Portugal zur Welt
bringen. Schließlich ist das unser Land.
Sprecherin:
Während die Menschen beiderseits der Grenze durch den alltäglichen Kontakt immer mehr
zusammen wachsen, blieb die Politik beider Länder lange Zeit distanziert. Doch mit den ersten
grenzüberschreitenden Abkommen, wie der gemeinsamen Nutzung medizinischer
Einrichtungen, setzten nun auch Politiker erste zaghafte Anzeichen einer Zusammenarbeit.
Durch die globale Finanzkrise, die beide Länder erschütterte, sitzen nun das größere und
wirtschaftlich einst wesentlich erfolgreichere Spanien und das kleinere, seit eh und je ärmere
Portugal in einem Boot. Welche Auswirkungen das auf die politischen Beziehungen zwischen
den beiden einst verfeindeten Staaten haben wird – die die Welt unter sich hatten aufteilen
wollten – wird sich noch zeigen.
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