Forschung Wespenspinnen und der Wert wissenschaftlicher Sammlungen Sammlungsobjekte sind eine wichtige Grundlage für die internationale Forschergemeinschaft von Peter Jäger & Henrik Krehenwinkel Die Taxonomie – also die Wissenschaft von der Unterscheidung der Arten – stellt sicher, dass Forschungsergebnisse vergleichbar und reproduzierbar sind. Jede Artbeschreibung ist aber immer auch lediglich eine Hypothese. Denn mit der Weiterentwicklung unserer Kenntnisse über die Lebewelt – beispielsweise durch molekularbiologische Methoden – ändert sich auch unser Verständnis von den Arten. Die Artbeschreibungen müssen also auch von Zeit zu Zeit überprüft werden. Eine solche weltweite Revision wurde vor Kurzem bei den Wespenspinnen durchgeführt und die arachnologische Sammlung von Senckenberg spielte dabei eine der Hauptrollen. 94 Die Gattung Argiope ist in Mitteleuropa mit nur einer Art vertreten: Argiope bruennichi (Scopoli 1772), die Wespenspinne. Weltweit gibt es 85 Argiope-Arten, die hier einfachheitshalber alle als Wespenspinnen bezeichnet werden, obwohl die meisten von ihnen nicht das typische gelb-schwarze Muster von A. bruennichi auf dem Hinterleib zeigen. Argiope gehört zur Familie Araneidae, den Echten Radnetzspinnen. Die senckenbergische Sammlung ist hier gut bestückt, da der frühere Kurator Manfred Grasshoff ein ausgewiesener Spezialist für diese Familie ist. Auf der Basis des im Senckenberg vorhandenen Materials wurde eine weltweite Revision der Gattung vorgenommen. Den Anfang machten Individuen aus Laos und Thailand, die der Arachnologe Peter Jäger dort gesammelt hatte und mit bereits identifizierten Individuen aus der Sammlung verglich. Doch durch Recherchen in benachbarten Regionen und um auszuschließen, dass die Arten nicht vielleicht unter einem anderen Namen bereits beschrieben worden waren (Synonyme), erweiterte sich der Fokus. Arten, die seit einer grundlegenden Bearbeitung der Gattung (Levi 1983) beschrieben worden waren, mussten aus Sammlungen in China, Irland und den Niederlanden ausgeliehen und gleichfalls untersucht werden. Forschung SENCKENBERG – natur • forschung • museum 142 (3/4) 2012 Das Männchen hinterlässt eine Spur im Weibchen Ein weiterer Grund für die Ausweitung der Abhandlung (Jäger 2012) ist ein Phänomen, das die männlichen Kopulationsorgane betrifft: Begattet ein Männchen ein Weibchen, so bricht in der Regel ein Stück seines Embolus ab, jenes Teils des Kopulationsorgans also, der in das Weibchen eindringt, um das Sperma zu übertragen (s. Exkurs „Kopulationsorgane der Spinnen“). Die abgebrochenen Emboli verhindern, dass das Sperma nachfolgender Konkurrenten die Eizellen befruchten kann (Uhl et al. 2007, 2010, Nessler et al. 2006, 2007). Abb. 1 Der Fund der südostasiatischen Art Argiope chloreis in Laos erweiterte das bekannte Verbreitungsgebiet (Neuguinea bis Sumatra) erheblich. Die selten fotografierte „web decoration“ wurde als Foto zusammen mit dem Sammlungsobjekt SMF 61143 in der Online-Datenbank SeSam hinterlegt. Fotos: Peter Jäger & Henrik Krehenwinkel SENCKENBERG – natur • forschung • museum 142 (3/4) 2012 Fo rsch u n g 95 q Abb. 2 Die arachnologische Sammlung des Senckenberg Forschungsinstituts Frankfurt beinhaltet Material aus knapp zwei Jahrhunderten. Diese Serie der „Goldenen Wespenspinne“ wurde vom ehemaligen Kurator der Malakologie, Adolf Zilch, in El Salvador gesammelt. q Abb. 3 Die Unterfamilie Argiopinae, hier in einer veralteten Schreibweise, umfasst wenige Gattungen, von denen Argiope die größte darstellt. Die Senckenberg-Sammlung besitzt mehr als 460 Serien und somit eine reichhaltige Quelle für systematische Forschung. Darunter befindet sich das Typusmaterial von 24 Arten. Synonymien und beschrieb das bisher unbekannte Weibchen einer Art zum ersten Mal. Die Arachnologische Sammlung von Senckenberg Die Sektion Arachnologie im Frankfurter Forschungsinstitut beherbergt die Sammlungen für die Spinnentiere (Arachnida) und die Tausendfüßer (Myriapoda). Im internationalen Vergleich ist die gesamte Sammlung besonders reichhaltig ausgestattet. Relevant sind hier insbesondere jene Exemplare, die als Belege für die Erstbeschreibung neuer Arten in der Sammlung hinterlegt wurden, sogenannte „Typen“. Von diesen Typen sind in der Sektion weit über 12.000 Serien vorhanden, wobei eine Serie ein Tier bis mehrere Dutzend Tiere umfassen kann. Diese „Urmeter“ oder Namensträger der Arten werden immer wieder von Spezialisten rund um den Globus ausgeliehen, um sie mit potenziell neuen Arten zu vergleichen. So konnten also mit dieser Revision der Gattung der Argiope etliche Fehler und Unschärfen beseitigt werden. Die Datenbasis von der Wespenspinnen ist jetzt sozusagen für die Biodiversitätsforschung „neu kalibriert“. Ohne den Fundus der Sammlung Senckenberg und anderer bedeutender Sammlungen wäre das nicht möglich gewesen. Eine halbe Million Spinnentiere und Tausendfüßer Weiterhin sind in der Sammlung rund 84.000 Serien katalogisiert, davon wiederum über 37.000 Datensätze in der Online-Datenbank SeSam (sesam.senckenberg.de) weltweit frei verfügbar. Die Gesamtanzahl an Individuen kann nur geschätzt werden: Etwa eine halbe Million Spinnentiere und Tausendfüßer sind vorhanden. Aus den Einzelgruppen stechen die Weberknechte (Opiliones) deutlich heraus: Von den über 6.000 bekannten Arten weltweit sind etwa die Hälfte als Belegexemplare wissenschaftlicher Erstbeschreibungen (Typen) vorhanden. Der Grund für diese einmalige Konzentration liegt darin, dass Senckenberg in den 1960er Jahren die Sammlung von CarlFriedrich Roewer erworben hat. Roewer war ein aktiver beschreibender Taxonom und hatte einen Katalog zu den Weberknechten publiziert (Roewer 1923). Ähnlich war es der persönliche Einsatz von Karl Viets und Kurt O. Viets, die Wassermilben (Hydrachnidia) bearbeitet haben. Die zugehörige Sammlung mit ihren mikroskopischen Präparaten zählt zu den drei größten der Welt. Datenbank SeSam: m it einen Mausklick in die Sammlung Basis für den „World Spider Catalog“ Bei den Spinnen war es erneut Roewer, der auch für diese Gruppe erhebliche Mengen zusammentrug und einen Katalog erstellte (Roewer 1942, 1954). Roewers Kataloge dienten übrigens als Grundlage für den „World Spider Catalog“, der über zehn Jahre vom American Museum of Natural History in New York herausgegeben wurde (Platnick 2011). An dieser Stelle mag erwähnenswert sein, dass dieser Katalog in Form einer Datenbank nach Deutschland zurückkehrt: Ab 2014 soll er im Senckenberg fortgeführt werden. Dabei stellte sich heraus, dass in der Senckenberg-Sammlung knapp die Hälfte aller weltweit bekannten Arten ver- Diese winzige Spitze kann in den meisten Fällen jedoch nicht ohne großen Zeitaufwand und zum Teil nur unter Schädigung der weiblichen Spinne herauspräpariert werden. Daher wurde die Untersuchung auf die größeren EmbolusTeile beschränkt, um negative Auswirkungen auf das kostbare, von dieser Gattung seit 1872 gesammelte Material zu vermeiden. Es ergaben sich deutliche Unterschiede zwischen den zehn bisher unterschiedenen Artengruppen: Einige weibliche Kopulationsorgane (Epigynen) lassen ein Abbrechen und Verankern von Teilen des Embolus zu, in anders geformten Epigynen waren fast keine Emboli vorhanden. An dieser Stelle wäre es interessant nachzuforschen, ob sich das Paarungs- und Kopulationsverhalten zwischen diesen Gruppen ebenfalls deutlich unterscheidet. Neben diesen Erkenntnissen zu den Kopulationsorganen wurden drei Arten als eigenständig erkannt, die bisher als Synonyme galten. Außerdem entdeckte Jäger vier neue Forschung SENCKENBERG – natur • forschung • museum 142 (3/4) 2012 SENCKENBERG – natur • forschung • museum 142 (3/4) 2012 Mithilfe dieser Hinterlassenschaft können separat gefangene Männchen und Weibchen von Argiope-Arten als Angehörige der gleichen Art (konspezifisch) erkannt werden. Bei einer neu entdeckten Art aus Laos ist das Männchen unbekannt, jedoch konnte – sozusagen als Fahndungshinweis– der männliche Embolus illustriert werden. Um einen Überblick über die Häufigkeit dieses Phänomens zu erhalten und um bisher noch nicht nachgewiesene abgebrochenen Emboli zu katalogisieren, durchforstete Jäger nun die gesamte Sammlung nach eben diesen Strukturen. Zudem bestimmte er alle bisher nicht identifizierten Wespenspinnen. 96 treten ist: 41 Arten in über 400 Serien aus 62 Ländern. Dabei untersuchte der Arachnologe 92 Männchen, 834 Weibchen und präparierte 316 abgebrochene Emboli aus Weibchen heraus. Er konnte die Ergebnisse von Kollegen bestätigen, dass der Embolus an drei verschiedenen Stellen abbrechen kann. Wahrscheinlich ist aber nur die äußerste Spitze für ein effektives „plugging“ verantwortlich (Nessler et al. 2006, 2007, Uhl et al. 2007). Fahndungserfolge in der Sammlung Heutzutage werden aber nicht nur präparierte Tiere in den Sammlungen aufbewahrt. Längst sind digitale Technologien zu einem ebenso wichtigen Werkzeug für den Taxonomen geworden, wie es vor 80 Jahren Skalpell oder Mikroskop waren. Die senckenbergische Datenbank SeSam (www. sesam.senckenberg.de) beispielsweise macht nicht nur Fotos und Zeichnungen des konservierten Materials im Internet verfügbar (z. B. SMF 31458: Holotypus von Argiope manila Levi 1983). Sie zeigt sogar Bilder von lebenden Spinnen, die nach ihrem Ableben in der Sammlung konserviert sind. So ist das Netz mit entsprechender Netzdekoration von A. chloreis unter der Sammlungsnummer SMF 61143 zu sehen. Gesammelt wurde das Weibchen in Süd-Laos (Abb. 1), dem bislang nördlichsten Fundpunkt der Art (vorher bekannt aus Sumatra bis Neuguinea: Platnick 2011). Zudem war das sogenannte „Stabiliment“ dieser Art unbekannt, welches die Spinnen allerdings nicht aus Stabilitätsgründen, sondern zur Tarnung in die Netzmitte weben. Daneben war Argiope jinghongensis Yin, Peng & Wang 1994 nur aus Südchina bekannt und konnte als weiter verbreitete und regional häufige Art bis Süd-Thailand nachgewiesen werden (SMF 61733). Evolutionsforschung im Zeitalter der Molekulargenetik In der oben vorgestellten Studie wurden morphologische Merkmale herangezogen, um Arten innerhalb der Spinnengattung Argiope zu unterscheiden. Genau wie z. B. die Form des männlichen Embolus oder der weiblichen Epigyne kann aber auch die genetische Konstitution eines Tieres als taxonomisch relevantes Merkmal genutzt werden. Je nachdem wie lange zwei Arten bereits voneinander isoliert sind, eignen sich unterschiedliche Regionen ihrer DNS Fo rsch u n g 97 u Abb. 4/5 Links: Das männliche Kopulationsorgan befindet sich am Vorderleib zwischen den Giftklauen und den Laufbeinen. Die Taster oder Palpen besitzen komplexe Strukturen, darunter den Embolus (rot), der in die weibliche Kopulationsöffnung eindringt und abbrechen kann. Dabei verändert er seine Form. Rechts: Abgebrochene Emboli verschiedener Argiope-Arten weisen unterschiedliche Größen und Formen auf, anhand derer sie identifiziert werden können. Die hier dargestellten Emboli von 19 Arten von vier Kontinenten sind alle im selben Maßstab dargestellt. Zeichnungen: Peter Jäger. 98 Kopulationsorgane als Merkmale zur Unterscheidung von Arten Spinnen haben wie alle landbewohnenden Gliederfüßer (Arthropoden) eine zuverlässige Form des Spermatransfers entwickelt. Sie haben im Gegensatz zu den Weberknechten keinen Penis und fertigen keine Spermatophoren wie die Skorpione. Bei Spinnenmännchen ist das zweite Extremitätenpaar, die sogenannten Palpen oder Taster, zu Gonopoden umfunktioniert: Vor der letzten Häutung, der Reifehäutung, entwickeln sich an den äußeren Gliedern des Tasters Hartteile (Sklerite), die sich mit weichhäutigen Abschnitten abwechseln. Im Inneren liegt ein blind endender Samenschlauch, der sich an der Spitze des Eindringers (Embolus) öffnet. Nachdem das Männchen einen Samentropfen auf ein eigens gefertigtes Spermanetz abgegeben hat, wird die Flüssigkeit durch die Öffnung am Embolus aufgenommen. Nach erfolgreicher Suche nach einem Weibchen und anschließender Balz dringt der Embolus in die weibliche Geschlechtsöffnung ein und überträgt das Sperma in Spermatheken. Die Formen der männlichen und weiblichen Kopulationsorgane sind exakt aufeinander abgestimmt und unterscheiden sich von Art zu Art. Beinahe jede der heute bekannten 43.000 Spinnenarten kann anhand dieser Organe bestimmt werden. Über das mechanische Zusammenwirken und die Evolution dieser Kopulationsstrukturen insbesondere bei Radnetzspinnen (Familie Araneidae) arbeitete übrigens auch ein Senckenberger, Manfred Grasshoff, der frühere Kurator für dei Spinnensammlung (Grasshoff 1974). Bei Männchen der Gattung Argiope ist es bei vielen Arten die Regel, dass Teile des Embolus abbrechen (Abb. 4, rot gekennzeichnet) und dann den Weg für ein folgendes Männchen blockieren. Man spricht von einem „mating plug“. Die abgebrochenen Emboli zeigen eine erstaunliche Vielfalt (Abb. 5) und sind für Taxonomen willkommene „Hinterlassenschaften“, die gleichermaßen zu Bestimmung der Art dienen können. Männchen werden nämlich nur sehr selten gefangen, da das Weibchen sie meist nach der Paarung verspeist. Auch Männchen und Weibchen, die an verschiedenen Orten gefangen wurden, können auf diese Weise eindeutig einer Art zugeordnet werden. als Marker, um Verwandtschaftsverhältnisse zu rekonstruieren (Abb. 6 und Abb. 7). Erfüllt eine DNS-Region wichtige Aufgaben im Organismus und hängt ihre Funktionalität entscheidend von einer bestimmten Nukleotid-Sequenz ab, setzen Mutationen die Fitness ihrer Träger entscheidend herab. In derartigen Regionen sammeln sich nur wenige Mutationen. Die entsprechende DNA-Sequenz also ist „konserviert“. Eine hochkonservierte Sequenz eignet sich beispielsweise, um die Verwandtschaft verschiedener Tierstämme zu betrachten. Auf der anderen Seite kann man mit schnell mutierenden Sequenzen sogar einzelne Individuen einer Art auseinanderhalten. Artbestimmung mit DNS hat Vorteile Forschung SENCKENBERG – natur • forschung • museum 142 (3/4) 2012 Die Artbestimmung über die DNS besticht durch ihre Einfachheit: Mittels DNS-Sequenzierung kann auch eine größere Anzahl von Individuen einer bestimmten Organismengruppe schnell und akkurat genetischen Linien zugeordnet werden – und zwar ohne tief gehende Kenntnisse der Morphologie. Das erlaubt zwar noch keine endgültigen taxonomischen Rückschlüsse, ermöglicht aber dennoch einen ersten Überblick über die taxonomische Zusammensetzung einer biologischen Aufsammlung. DNS-basierte Analysen sind zudem immer dort hilfreich, wo die Morphologie an ihre Grenzen stößt. DNS unterscheidet Arten, die sich äußerlich gleichen Einer dieser Fälle sind kryptische Spezies, d. h. Arten, die sich morphologisch nicht unterscheiden. Sie sehen absolut identisch aus, gehören aber trotzdem nicht zur gleichen Art. Beispielsweise hat die DNS-Untersuchung des tropischen Schmetterlings Astraptes fulgerator gezeigt, dass diese morphologische Spezies tatsächlich aus mindestens zehn Arten besteht. Alle diese Arten leben als Larven von einer anderen Futterpflanze, sind aber als Adulti nur über DNS-Sequenzierung zu identifizieren (Hebert et al. 2004). In der DNS tauchen viele Mutationen auf, die keinen unmittelbaren Effekt auf den Phänotyp, also die Erscheinungsform eines Individuums haben. Obwohl zwei Linien sich bereits differenzieren, sind sie unter Umständen morphologisch noch völlig identisch. Hier zeigt sich die besondere Stärke molekulargenetischer Arbeiten. Die Untersuchung junger, sich differenzierender Linien erlaubt es, den Beginn von Artbildungsprozessen zu verfolgen und zeitlich einzugrenzen. p DNS zerfällt mit der Zeit Eine weitere Schwierigkeit bei der Arbeit mit altem Museumsmaterial ergibt sich durch den natürlichen Zerfall von DNS-Molekülen. In den Zellen eines lebenden Tieres liegt das Erbmaterial in Form langkettiger Moleküle aus vielen Millionen Nukleotid-Bausteinen vor. Nach dem Tod des Organismus zerfällt diese Kette in kleinere Fragmente und degradiert schließlich vollständig. Dieser Prozess läuft mitunter sehr schnell ab und schon nach wenigen Tagen kann das Erbmaterial fast völlig zersetzt sein. Dementsprechend ist eine angemessene Konservierung nötig, die diesem Zerfall entgegenwirkt. Im einfachsten Fall verlangsamt eine kalte Lagerung die DNS-Degradation. So lässt sich beispielsweise noch DNS aus Mammutkadavern isolieren, die viele Tausend Jahre im sibirischen Permafrostboden lagen (Schwarz et al. 2009). Neben der Temperatur hat auch die Wahl des Konservierungsmittels entscheidenden Einfluss auf die Qualität der DNS. Hochprozentiges Ethanol eignet sich nicht nur hervorragend zur nassen Konservierung von Geweben, es konserviert auch die DNS. Um mit der DNS eines Tieres zu arbeiten, muss diese zunächst aus den Zellen extrahiert und aufgereinigt werden (Abb. 7). Hier offenbart sich ein entscheidender Nachteil molekulargenetischer Arbeiten. Zur DNS-Isolation wird Gewebe benötigt, d. h. ein kleiner Teil des Organismus entfernt und zerstört. Handelt es sich bei dem Tier um ein wertvolles Typusexemplar (s. auch Exkurs zur Arachnologischen Sammlung), gilt es, den Nutzen einer DNS-Analyse genau abzuwägen. Viele Museumssammlungen wurden vor über 100 Jahren zusammengetragen, in einer Zeit, als noch niemand den Wert von DNS-Analysen erahnen konnte. Damals diente die Konservierung lediglich dem Erhalt der äußeren Gestalt eines Tieres. Dabei kamen mitunter DNS-schädigende Reagenzien wie Formalin zum Einsatz. Glücklicherweise scheint Formalin bei der Konservierung von Spinnentieren nie eine große Rolle gespielt zu haben. Arachnologen verwahren ihr Material traditionell in 70-prozentigem Ethanol. Arachnologische Sammlungen sind also ein vielversprechender Fundus für molekularbiologische Untersuchungen. SENCKENBERG – natur • forschung • museum 142 (3/4) 2012 Fo rsch u n g Molekulare Taxonomie – vom Museumstier zur DNS-Sequenz Abb. 6/7 Links: Ausschnitt aus einer sog. Alinierung des CytochromOxidase-Untereinheit-I-Gens (kurz COI) aus dem mitochondrialen Genom verschiedener Wespenspinnen. Bei einer Alinierung von DNS-Sequenzen werden zueinander homologe Positionen untereinander geschrieben. Das erlaubt die schnelle Identifikation von fixierten Mutationen in bestimmten genetischen Linien. Das vorliegende Beispiel zeigt COI-Sequenzen von Europäischen, Japanischen und Azorischen Wespenspinnen. Diese drei genetischen Linien unterscheiden sich hier an mehreren Basenpositionen. Zwei Individuen (Japan 2 und Griechenland) tragen zusätzliche Mutationen, die sie wiederum von ihrer genetischen Linie unterscheiden. Stammbaum einiger Wespenspinnen, auf Grundlage des Vergleichs von 1.200 Nukleotiden der DNSSequenz des mitochondrialen COI-Gens. Asiatische, Azorische und Europäische Tiere lassen sich zweifelsfrei auseinanderhalten. Das spanische und nordafrikanische Tier sind genetisch identisch. Gleiches gilt für Tiere von verschiedenen Azoreninseln, die sich kaum voneinander unterscheiden, sowie das vermeintlich mexikanische Tier. Der Maßstabsbalken unten rechts stellt die genetische Distanz zwischen verschiedenen Linien dar. Die Länge des Maßstabs entspricht knapp zwei Mutationen zwischen zwei Sequenzen im Stammbaum. 99 t Die Autoren Abb. 12 Die europäische Wespenspinne Argiope bruennichi. Ursprünglich war die Art vorwiegend im Mittelmeerraum beheimatet. Nach einer rasanten Arealausweitung, finden sich die Tiere heute sogar in Finnland. Die Abbildung zeigt ein Weibchen aus Norddänemark, auf ihrem gerade fertiggestellten Kokon. Dr. Peter Jäger ist seit 2002 wissenschaftlicher Kurator der Arachnologie im Frankfurter Senckenberg Forschungsinstitut. Neben der weltweiten Bearbeitung der Riesenkrabbenspinnen widmet er sich seit fast zehn Jahren der Erfassung und Beschreibung der Spinnenfauna in Laos. Dabei revidiert er auch andere Spinnengruppen, hier die zu den Radnetzspinnen gehörenden Gattung Argiope. Henrik Krehenwinkel ist derzeit Doktorand in der Abteilung für Evolutionsgenetik am MaxPlanck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. Sein Dissertationsprojekt behandelt die Rolle genetischer Anpassungen im Ausbreitungserfolg invasiver Tierarten. Als Modellorganismus dient die Europäische Wespenspinne, die gegenwärtig ihr Areal rasant nach Norden ausweitet. Kontakt (Korresp. Autor): Dr. Peter Jäger, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum, Senckenberganlage 25, D-60325 Frankfurt a. M., [email protected] Eine DNS-Untersuchung im Museum Im Rahmen eines Projektes zur Arealausweitung der Wespenspinne Argiope bruennichi (Abb. 12) wurde eine Serie von etwa 200 Individuen aus der Sammlung des Senckenberg Forschungsinstituts untersucht. Ziel unserer Untersuchung war es, rezente genetische Veränderungen im Areal der Spinne zu identifizeren und die Ausbreitungsgeschichte der Art zu rekonstruieren. Die Wespenspinne ist über die gesamte Paläarktis verbreitet, von den Azoren bis nach Japan. Innerhalb ihres Verbreitungsgebietes wurde die Art in mehrere Unterarten gegliedert. Unsere Sammlung deckt beinahe das gesamte Verbreitungsgebiet der Wespenspinne ab und beinhaltet auch die beiden Unterarten Argiope bruennichi africana aus Marokko und A. bruennichi orientalis aus Java. p Abb. 8–11 Die Arbeitsschritte von der Spinne bis zur DNS-Sequenz. 1. DNS-Extraktion: Ein Bein der Spinne wird entfernt, zerkleinert und aufgelöst, um die DNS-aus den Zellen zu lösen. 2. Polymerase-Kettenreaktion (PCR): Die DNS wird in eine Platte mit vielen kleinen Reaktionsgefäßen pipettiert und anschließend in einer PCR vervielfältigt. 3. Die Basensequenz der DNS wird von einer Sequenziermaschine bestimmt. 100 Unterarten, die gar keine Unterarten sind! Eine DNS-Untersuchung dieser Tiere ergab ein unerwartetes Ergebnis. Genetisch setzt sich die Wespenspinne aus zwei Gruppen zusammen, einer westpaläarktischen, die Exemplare aus Europa, Kleinasien und Nordafrika beinhaltet, und einer östlichen Linie, deren Vertreter in Ostasien zuhause sind. Diese Differenzierung ist vermutlich auf eine Isolation west- und ostpaläarktischer Wespenspinnen während der Eiszeitzyklen des Pleistozäns zurückzuführen. Bei A. bruennichi africana handelt es sich daher keineswegs um eine eigenständige genetische Linie. Vielmehr unterscheiden die Tiere sich kaum von ihren europäischen Verwandten. Durch Untersuchung von Mikrosatelliten, schnell mutierender DNSAbschnitte, wurden sogar die nächsten Verwandten der afrikanischen Wespenspinne identifiziert. Afrikanische Argiope Forschung bruennichi sind genetisch fast identisch mit spanischen Tieren. Vermutlich haben Wespenspinnen nacheiszeitlich den westlichen Mittelmeerraum über Nordafrika besiedelt. Typusexemplare mit falschem Fundort Noch überraschender war das Ergebnis der Sequenzierung der ostpaläartkischen Unterart A. bruennichi orientalis. Wie auch A. bruennichi africana gleicht dieses Taxon genetisch europäischen Wespenspinnen. Vor dem Hintergrund der tatsächlichen genetischen Zusammensetzung der Wespenspinne wäre die Verwandtschaft von A. bruennichi orientalis aber vielmehr in Ostasien zu suchen. Eine mögliche Erklärung ist, dass A. bruennichi orientalis, die nur auf Basis eines einzigen Typusexemplars beschrieben wurde, versehentlich einem falschen Fundort zugeordnet wurde. Ein weiteres Beispiel einer offenbar falschen Fundortangabe ist eine Wespenspinne, die vermeintlich aus Mexiko stammt. Bei dieser Spinne handelt es sich eindeutig um ein europäisches Tier. und wenige Wärmeinseln in Mitteleuropa beschränkt, finden sich die Tiere heute fast flächendeckend in Europa. Mithilfe genetischer Methoden können die Arealausweitung der Art nachvollzogen und rezente genetische Veränderungen von Wespenspinnenpopulationen identifiziert werden. Das wiederum erlaubt Rückschlüsse auf jüngere genetische Anpassungen, die es den Tieren ermöglichen könnten, im kalten nordeuropäischen Winter zu überleben. Gegenwärtig untersuchen wir die DNS mehrerer Hundert Museumsexemplare der Wespenspinne und vergleichen sie mit der genetischen Zusammensetzung heutiger Spinnenpopulationen. Die Sammlungen unserer Naturkundemuseen sind also keinesfalls langweilige und verstaubte Katakomben. Im Gegenteil: Nicht nur für morphologische Studien sind sie unersetzbare Ressource. Ihre reichhaltigen Sammlungen eröffnen auch Molekularbiologen ein noch vielfach ungenutz- tes Potenzial. Gerade für evolutionsgenetische Studien haben sie einen unschätzbaren Wert. Hinzu kommt, dass die Naturkundemuseen – zumindest in Deutschland – die Hochburgen des Taxonomie-Know-hows sind: Taxonomie wird an Universitäten fast gar nicht mehr gelehrt. Dort ist sie in den vergangenen Jahrzehnten quasi ausgestorben und anderen Lehrstühlen gewichen, etwa der Ökologie oder der reinen Molekulargenetik. Taxonomie wird heutzutage in der Tat nur noch an großen Naturkundemuseen gelehrt und praktiziert, und Senckenberg ist eines der bedeutendsten deutschlandweit. Dank Großer Dank gebührt Prof. Dr. Diethard Tautz (MPI Plön), der die molekularbiologischen Arbeiten ermöglicht hat. Danken möchte Henrik Krehenwinkel auch Frau Anja Krause (Kiel) für die kritische Durchsicht des Manuskriptes. Schriften Genetische Methoden sind aber besonders nützlich, wenn es darum geht, rezente Veränderungen innerhalb von Arten nachzuvollziehen. Die europäische Wespenspinne ist ein schönes Beispiel für derartige Veränderungen. Die wärmeliebende Art hat in den letzten hundert Jahren ihr Areal rasant ausgeweitet. Ursprünglich auf den Mittelmeerraum Cooper, A. & Poinar, H. N. (2000): Ancient DNA: do it right or not at all. – Science, 289: 1139. & Grasshoff, M. (1974): Transformierungsreihen in der Stammesge& Hebert, P. D. N., Penton, E. H., Burns, J. M., schichte – mechanischer Wandel an Kopulationsorganen von Radnetzspinnen. – Natur und Museum, 104 (11): 321–330. Janzen, D. H. & Hallwachs, W. (2004): Ten species in one: DNA barcoding reveals cryptic species in the neotropical skipper butterfly Astraptes fulgerator. – Proceedings & Jäger, P. 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