Status des Partizips Partizipien des Präsens nicht „morphologische Formen von Elementen der Wortklasse Verb“, sondern „durch Wortbildung aus Verben entstandene Adjektive“, da „nie als Teile periphrastischer Verbformen verwendet“ (Zifonun et al. 1997: 2205f.; cf. ähnlich auch Eisenberg 2006: 212). Sprachübergreifender Befund: • Perfektpartizipien oft im Tempus- und teilweise auch im Genus-VerbiParadigma grammatikalisiert. • Anderen Partizipien nur attributiv oder als Ersatz für Adverbialsätze, selten auch prädikativ mit Kopula, nutzbar. auch im klassischen Latein oder im modernen Französischen ein Partizip Präsens Aktiv. in anderen Sprachen, z. B. slawischen, müsste eine große Zahl von Partizipien ab sofort zur Wortbildung statt zum Paradigma des Verbs gerechnet werden. ebenso sämtliche Konverben in Sprachen wie Türkisch oder Mongolisch, die per definitionem keine periphrastischen Verbformen bilden können Bedeutung des Partizips Partizip Präsens Aktiv (Partizip 1) Tempus = Gleichzeitigkeit: Sie winkt uns lachend nach. (‚Sie winkt uns nach, wobei sie lacht.‘) Sie winkte uns lachend nach. (‚Sie winkte uns nach, wobei sie lachte.‘) Sie wird uns lachend nachwinken. (‚Sie wird uns nachwinken, wobei sie lachen wird.‘) Bei attributivem Gebrauch oft auf progressive Bedeutung reduziert, gelegentl. auch ‚Allgemeingültigkeit‘ (wie auch Präsens selbst: Auf dem Bild waren lachende Kinder zu sehen = auch vor und nach dem Betrachten Partizip Präsens = ‚Gleichzeitigkeit‘ sowie ‚Andauern‘ oder ‚Allgemeingültigkeit‘ ebenso z. B. im Lateinischen (cf. Rubenbauer/Hofmann 1995: 208) oder Türkischen, (cf. Lewis 2000: 160). Partizip 1 stets aktivisch: Bildungen wie betroffen seiend oder verkauft werdend nur zu Übersetzungszwecken gebracht. Partizip Perfekt (Partizip 2), Aktiv und Passiv Primär nicht ein Tempus, Aspekt aus: perfektiv oder resultativ (cf. Abraham 2000: 152; Kotin 2000: 322). aspektuelle Bedeutung von ge- = Bezeichnung für „das fertige, völlige eines thuns“ (Grimm/Grimm 1878/1999: 1613) Ursprünglich getrennt ausgedrückte Bedeutungen formal zusammengefallen (cf. Brugmann 1904/1970: 608) kein äußerer Unterschied mehr zwischen aktivischen und passivischen Perfektpartizipien, z. B.: aufgewacht, aktivisch vs. aufgeweckt, passivisch Funktion: Tempusbildung, Passivbildung; Attribut nur mit Partizipien von • transitiven Verben = passivisch • intransitiven Verben mit perfektiver Bedeutung = resultativ • das entzündete Feuer (transitives Verb, Partizip Passiv) • das entbrannte Feuer (inchoatives intransitives Verb, resultatives Partizip Aktiv) • *das gebrannte Feuer (intransitives Verb ohne perfektive Aktionsart, durativ) Cf. auch: die eben angekommenen Gäste (resultativ) vs. *die eben gekommenen Gäste (nicht explizit resultativ) Gerundiv attributiv: formal identisch mit Partizip Präsens plus zu (der zu lesende Text) prädikativ: formal identisch mit Infinitiv plus zu (der Text ist zu lesen) Bedeutung: passivisch, modal (ausführlicher hierzu: Hentschel, im Druck) Morphologische Einteilung von Verben – – – – starke Verben und schwache Verben, unregelmäßige Verben Suppletivstämme, Verben mit trennbaren und mit untrennbaren Präfixen. Starke Verben, Kennzeichen: Ablaut. ursprünglich sechs systematische Ablautsreihen (nach Grimm; heute auch: Ablautreihen) quantitativer (entsteht aus Längenunterschieden: Dehnstufe, Reduktionsstufe Murmelvokal, Sprossvokal) vs. qualitativer Ablaut (vermutlich ursprünglich Tonhöhen: es erscheinen gänzlich andere Vokale) Beispiele: I. Reihe: got. urreisan, urrais, urrisum, risans 'aufstehen' II. Reihe: got. liugan, laug, lugum, lugans 'lügen' III. Reihe: got. bindan, band, bindum, bundans 'binden' IV. Reihe: got. niman, nam, nêmun, numans 'nehmen' V. Reihe: got. giban, gaf, gêbun, gibans 'geben' VI. Reihe: ahd. heffen, heffu, huob, huobun, irhaban 'heben' (got: hafjan 'heben', -hafnan 'sich erheben') cf. auch Derivation: die Binde, das Band, der Bund Moderne starke Verben: zwei bis drei Stammvokale, keine Systematik mehr erkennbar, nicht mehr produktiv binden – band – gebunden reiten – ritt – geritten sehen – sah – gesehen e/i-Wechsel: einige starke Verben auf -e- bzw. -ä-, -ö- (Präsensstamm): ich gebe – du gibst, ich gebäre – du gebierst ich erschrecke – du erschrickst (Präteritum: erschrak) aber: ich erschrecke dich – du erschreckst mich (Präteritum: erschreckte) ich erlösche – du erlischst (Präteritum: erlosch) aber: ich lösche das Licht – du löschst das Licht (Präteritum: löschte) schwache Verben Dentalsuffix: lachen – lachte, langweilen – langweilte etc. unregelmäßige Verben (schwach = regelmäßig) • sog. gemischte Verben, Ablaut plus Dentalsuffix: senden – sandte, brennen – brannte etc. • unregelmäßige Verben mit Ablaut und weiteren konsonantische Veränderungen mit oder ohne Dentalsuffix: denken –dachte, bringen – brachte; gehen – ging, stehen – stand etc. • unregelmäßige Verben ohne Ablaut: haben – hast, hatte • Präteritopräsentia wissen – wusste – gewusst Modalverben Suppletivstämme: sein ie. Wurzeln: *ues-, *es-, *bheu– *ues: war, gewesen (cf. engl. was, were) – *es: sein, ist, sind, seid (cf. engl. is) – *bhe : bin, bist (cf. engl. be, been) trennbare und untrennbare Verben Trennbares Element bei vielen Autoren nicht Präfix, sondern Verbpartikel (auch: Halbpräfix) ( Unterscheidung in Präfix- und Partikelverben) warum: ich stehe auf, aber nicht: *ich stücke früh warum: ich sage an, aber nicht: *ich sage ver er fährt den Pfosten um sie umfährt den Pfosten Trennbarkeit: Präsens, Präteritum, Infinitiv mit zu, Partizip fahre um vs. umfahre; fuhr um vs. umfuhr; umzufahren vs. zu umfahren umgefahren vs. umfahren Sonderfall missverstehe – missverstand – missverstanden aber: misszuverstehen (cf. hierzu auch Becker/Peschel 2003) Semantische Klassifikation von Verben Basiseinteilung: Handlung gehen – – Vorgang schimmeln – – Zustand stehen Aktionsarten: • inchoativ oder ingressiv (erblühen) • egressiv (verblühen). Auch: finitiv, terminativ, resultativ, effektiv • punktuell (platzen) • iterativ, auch: frequentativ, multiplikativ (streicheln) • diminutiv oder deminutiv, auch: attenuativ (hüsteln) • intensiv (schnitzen). • transformativ: Deadjektiva (reifen) oft hier aufgeführt, jedoch andere Kategorie (Syntax): - kausativ (tränken) - faktiviv (töten) Semantik und Morphosyntax: Die Perfektbildung mit sein und haben Transitive Verben: stets mit haben Intransitive Verben: mit haben oder sein Mehrheitlich wurde haben generalisiert, aber folgende Ausnahmen: – Verben, deren Semantik 'Abgeschlossenheit' im weitesten Sinne beinhaltet (inchoative, egressiv, punktuell): Die Rose ist erblüht. (inchoativ) Die Rose hat geblüht. (durativ) Die Rose ist verblüht. (egressiv) Die Knospe ist geplatzt. (punktuell) Ebenso: Das Schiff ist gesunken. Sie ist ertrunken. Alle sind gestorben. etc. Cf. auch: Sie hat die ganze Nacht getanzt. (durativ) Sie ist über die Bühne getanzt. (abgeschlossen) – Zentrale Verben der Bewegung und einige andere besonders frequente Verben (sein, werden, bleiben) zeigen ebenfalls noch die alte Bildung mit sein. – Bei den Positionsverben zeigt sich im Norden des Sprachgebiets das sprachgeschichtlich jüngere haben (ich habe gesessen, gestanden, gelegen), im Süden das ältere sein (ich bin gesessen, gestanden, gelegen). Syntaktische Klassifikation: Funktionsklassen Vollverben Hilfsverben (Auxilare, Auxilarverben) Kopulaverben Modalverben modifizierende Verben Funktionsverben z. B. bringen: in Ordnung bringen, zur Sprache bringen, aus dem Konzept bringen, in Verlegenheit bringen Typische Eigenschaften: - Ersetzbarkeit durch einfaches Verb (zur Sprache bringen ansprechen) - keine Pronominalsierbarkeit (*dazu/zur ihr bringen) - Artikelgebrauch festgelegt, keine Attribuierung möglich: *zu einer Sprache bringen, *zu der klaren Sprache bringen etc. - oft keine Passivierung möglich (z. B. die Ereignisse nahmen ihren Lauf *Ihr Lauf wurde von den Ereignissen genommen.) In manchen Grammatiken noch weitere Unterscheidungen. Literatur: Abraham, Werner (2000): „Das Perfektpartizip: seine angebliche Passivbedeutung im Deutschen“. Zeitschrift für germanistische Linguistik 28: 141–166. Becker, Tabea/Peschel, Corinna (2003): "'Wir bitten Sie das nicht misszugeneralisieren'. Sprachverhalten in grammatischen Zweifelsfällen am Beispiel trennbarer und nicht-trennbarer Verben". Linguistik online 16, 4/2003: 85– 104. (www.linguistik-online.com/16_03 ) Brugmann, Karl (1904/1970): Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen. Auf Grund des fünfbändigen 'Grundrisses der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen von K. Brugmann und B. Delbrück' verfasst. Strassburg 1904: Trübner. Photomechanischer Nachdruck. Berlin 1970: de Gruyter. Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm (1897/1999): Deutsches Wörterbuch. Band 5. Leipzig 1897: Hirzel. Fotomechanischer Nachdruck. München 1999: dtv. Hentschel, Elke (im Druck): "Infinite Verbformen". In: Hentschel, Elke/Vogel, Petra (eds): Handbuch der deutschen Morphologie. Berlin/New York: de Gruyter. Kotin, Michail L. (2000): „Das Partizip II in hochdeutschen periphrastischen Verbalfügungen im 9.–15. Jhd. Zur Ausbildung des analytischen Sprachbaus“. Zeitschrift für germanistische Linguistik 28: 319–345. Lewis, Geoffrey (2000): Turkish grammar. 2. edition. Oxford etc.: Oxford University Press. Rubenbauer, Hans/Hofmann, Johann Baptist (1995): Lateinische Grammatik. 12., korrigierte Auflage. Neu bearbeitet von R. Heine. Bamberg/München: Buchners, Lindauer, Oldenbourg.