2. Der Beitrag des Erdmagnetismus Geophysikalische Argumente hatten die Anerkennung der Kontinentalverschiebungstheorie in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts behindert, und geophysikalische Argumente sollten ihr schließlich zum Durchbruch verhelfen. Während jedoch die Gegenargumente aus der Seismologie kamen – einer arrivierten Wissenschaft, die das Wissen über den Aufbau des Erdkörpers entscheidend vermehrt hatte, kamen die Pro-Argumente aus dem Paläomagnetismus. Dieser Zweig der Geophysik, der die remanente Magnetisierung von Gesteinen untersucht, wurde von den meisten Geowissenschaftlern überhaupt erst anlässlich dieses Eintretens für die Kontinentalverschiebungstheorie wahrgenommen. 2.1 Paläomagnetismus vor und nach dem magnetic cleaning 2.1.1. Das Dipolfeld Das Magnetfeld der Erde sieht, wenn es in großer Entfernung von den Quellen im äußeren Kern der Erde betrachtet wird, fast aus wie ein Dipolfeld. Wenn die Ursache des Feldes untersucht werden soll, etwa mit Dynamotheorie, gilt dies so nicht: An der Kern-Mantel-Grenze haben alle Terme in der Entwicklung des Magnetfeldpotentials nach Kugelflächenfunktionen etwa die gleiche Energiedichte, und der Dipolterm hat nur noch eine leichte Dominanz gegenüber dem Quadrupol-, Oktupolterm etc. Dass sich an der Erdoberfläche ein dominanter Dipolterm ergibt, liegt nur an der geometrischen 3 Abschwächung, die für den Dipol BOberfl / BKern rK 3 beträgt, für den Quadrupolterm jedoch rE rK 4 4 usw. Im Außenraum kommt zusätzlich die Deformation durch den Sonnenwind hinzu. An der rE Erdoberfläche kann das Erdmagnetfeld aber durch ein Dipolfeld mit den Komponenten 2 0 M cos M sin Br und B 0 in Kugelkoordinaten (r , , ) angenähert werden. Creer , 3 4 r 4 r 3 Irving und Runcorn (1954) erkannten, dass zwischen der Kobreite eines Ortes an der Erdoberfläche und der Inklination I arctan Br der Zusammenhang tan 2 cot I bestehen sollte, wenn der B scheinbare Dipol parallel zur Rotationsachse ausgerichtet ist. Für das Folgende ist zunächst wichtig, dass die remanente Magnetisierung eines Materials, genau wie die magnetische Kraftflussdichte, ein Vektor ist. 2.1.2. Ferromagnetismus Wiederholung: Was ist remanente Magnetisierung? Eine Magnetisierung die bleibt, auch wenn das äußere Magnetfeld, welches sie verursacht hat, wieder abgeschaltet (oder umgepolt) ist. Für die remanente Magnetisierung von Gesteinen ist eine spezielle Spielart des Ferromagnetismus verantwortlich. – Ferromagnetische Materialien haben ein magnetisches Moment wegen Elektronenspins, die nicht von einander unabhängig sind. Weil Elektronen identische Teilchen sind, genügen sie gewissen quantenmechanischen Regeln, die die klass. Elektrodynamik nicht kennt, Effekt: Die Momente ‚benachbarter‘ Elektronen werden parallel ausgerichtet und es entsteht eine spontane Magnetisierung. Bei den Antiferromagnetika (Beispiel: Hämatit Fe 2 O3 ) sind die Elektronenspins paarweise antiparallel ausgerichtet, so dass sich keine makroskopische Magnetisierung ergibt. In Ferrimagnetika (Beispiel Magnetit Fe3O4 ) gibt es ebenfalls eine antiparallele Ausrichtung von Elektronenspins, aber diesmal mit unterschiedlichen magnetischen Momenten, so dass eine makroskopische Magnetisierung bleibt. Wiederholung: Antiferro- und Ferrimagnetismus auf der atomaren Ebene: Eisen hat die Elektronenkonfiguration 1s 2 2s 2 2 p 6 3s 2 6 p 6 3d 6 4s 2 . Fe 2 Ionen haben zwei 4-s Elektronen verloren, d.h. in der äussersten ‚Schale‘ sind sechs 3-d Elektronen, deren Spinanordnung ist, es verbleiben 4 Bohrsche Magneton. Fe 3 Ionen haben zusätzlich ein 3-d Valenzelektron verloren, die Spinanordnung ist und es bleiben 5 Magneton. Magnetische Mineralien sind Oxyde von Eisen, mit Vorzeichenwechsel des Spin in benachbarten Ionen. Verbleibt ein resultierendes magnetisches Moment? Beim Hämatit Fe 23 O32 nein, beim Magnetit Fe 2 Fe 23 O42 ja. 2.1.3. Verletzung der Inklinationsregel in realen Daten der remanenten Magnetisierung Paläomagnetismus begann mit der Entdeckung, dass die Inklination der remanenten Magnetisierung von Gesteinen an vielen Fundorten der Regel tan 2 cot I nicht folgt. Also musste nach der Aufprägung der remanenten Magnetisierung – z.B. durch Abkühlung von Lava unter die CurieTemperatur des ferrimagnetischen Materials - entweder der Dipol seine Orientierung verändert haben, oder die erstarrte Lava hat sich in dieser Zeit im Magnetfeld der Erde bewegt. Um diese Frage zu beantworten, wurde zunächst die Beobachtungsgrösse apparent polar wander path definiert, sie besteht aus einer Folge von virtuellen geomagnetischen Polen (VGP), abgeleitet von magnetithaltigen Gesteinsproben aus der gleichen geologischen Einheit, aber mit unterschiedlichen Abkühlungsaltern. Ein virtueller geomagnetischer Pol ist etwa der Durchstoßpunkt der Dipolachse durch die Erdoberfläche, und in einem 2D Schnitt durch die Erde ergibt sich die Kobreite dieses VGP aus der Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Kobreite eines Probenfundortes und der aus der Inklination der Remanenz vorhersagten Kobreite. Nebenbemerkung. Die dritte Komponente des Magnetfeldes eines achsenparallelen Dipols ist B 0 , wegen der Rotationssymmetrie. Man kann also mit dieser Methode nicht auf West-Ost-Bewegungen schließen. Zwar weißt die remanente Magnetisierung von Gesteinsproben neben der Inklination auch eine Deklination auf, aber diese ist ein Hinweis auf Drehbewegungen der Lithosphärenplatte des Probenfundortes seit der Abkühlung (falls man die Bewegung dieser Platte überhaupt akzeptiert). Der einfache 2D Schnitt durch den Planeten ist dann durch etwas sphärische Trigonometrie zu ersetzen. 2.1.4. Bewegung des Dipols vs. Bewegung der Platten Um zwischen den beiden oben erwähnten Alternativen – Bewegung des Dipols oder Bewegung der magnetitisierten Probe- zu unterscheiden, werteten Creer, Irving und Runcorn schließlich die apparent polar wander paths von unterschiedlichen Lithosphärenplatten (damals hießen diese einfach noch Erdteile) aus: ergibt sich für verschiedene Erdteile dieselbe scheinbare Polwanderungskurve, dann ist dies ein starker Hinweis auf eine tatsächliche Polbewegung (oder eine gemeinsame Bewegung aller Platten relativ zur Rotationsachse). Creer, Irving und Runcorn erhielten aber sehr unterschiedliche Polwanderungskurven für verschiedene Kontinente, und dies war der erste geophysikalische Nachweis von Relativbewegungen der Platten zu einander. Allerdings war die Durchschlagskraft des Arguments begrenzt durch das begrenzte Auflösungsvermögen paläomagnetischer Messungen: Jede einzelne Probe konnte nach der Aufprägung der remanenten Magnetisierung durch tektonische Prozesse ‚gekippt‘ (um eine horizontale Achse verdreht) werden, wodurch die Inklination der Probe verfälscht wird. Man führt deshalb eine statistische Mittelung über unterschiedliche Proben aus der gleichen geologischen Einheit (etwa gleiches Abkühlungsalter) durch; und erhält neben einem Mittelwert für die Lage des VGP auch ein Varianz-Maß für eine gewisse Trefferwahrscheinlichkeit: Der ‚wahre‘ VGP liegt mit dieser Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Kegels mit dem halben Öffnungswinkel , und 20 würde (in mittleren Breiten) auf eine Ungenauigkeit der zu bestimmenden Kobreite von 2*10° führen. 2.1.5. ‚Viskose’ Remanenz und magnetic cleaning Während dieses Problem durch eine Mittelung über genügend viele Proben verringert werden kann, erfordert die sogenannte viskose Remanenz zusätzliche Labortechniken: Die natürliche remanente Magnetisierung NRM besteht neben der Thermoremanenz TRM – sozusagen das Nutzsignal des Paläomagnetismus – auch aus dieser VRM, eine langsamen magnetischen Nachwirkung, die dadurch entsteht, das die magnetisierbare Probe auch nach der Abkühlung noch dem Magnetfeld der Erde ausgesetzt ist, u.U. mit anderen Richtungen als zur Zeit der Abkühlung. Magnetic cleaning bezeichnet die Entfernung dieses Störsignals vor der paläomagnetischen Auswertung, durch schrittweise Abmagnetisierung der Probe (As-Zijderveld, 1958), entweder durch Erhitzen bis fast zur Curietemperatur, oder durch eine Wechselfeldentmagnetisierung. Deklination und Inklination der Probe während der Abmagnetisierung werden in Zijderveld-Diagrammen dargestellt, als Richtung der ‚sauberen‘ TRM werden D und I kurz vor dem Verschwinden der Remanenz angenommen. 2.1.6. Die Dipolhypothese Zwar machte das magnetic cleaning die paläomagnetischen Daten konsistenter, aber die Zweifler wiesen darauf hin, dass die Dipolhypothese der Paläomagnetismus letztendlich nicht beweisbar ist. Diese Hypothese besagt, dass der scheinbare Dipol, über kurze geologische Zeiträume (100000a) gemittelt, stets parallel zur Rotationsachse ausgerichtet ist; nur wenn dies stimmt, kann die Nord-SüdPosition der Probe während der Abkühlung aus tan I 2 cot bestimmt werden. Die zeitliche Mittelung ist notwendig, weil wegen der Säkularvariation des erdmagnetischen Hauptfeldes die Dipolachse häufig gerade nicht genau parallel zur Rotationsachse ausgerichtet ist – z.Z. ist der Dipol um 11° gegen die Rotationsachse verdreht. Bei der Arbeit im Gelände werde Proben mit nur etwa dem gleichen Abkühlungsalter (z.B. aus verschiedenen Lavaströmen des gleichen Vulkans) genommen werden und die Säkularvariation dadurch herausgemittelt. Für die letzten 100000 Jahre ist die Dipolhypothese bewiesen (in dieser Zeit haben sich die Platten nur um wenige km bewegt, d.h. die für verschiedene Zeitpunkte innerhalb der letzten 100000 a gefundenen VGP sind wirklich geomagnetische Pole infolge der Säkularvariation, sie gruppieren sich tatsächlich um den geographischen Nord- bzw. Südpol). Da für ältere geologische Zeiten zwischen Platten- und Dipolbewegungen nicht so einfach unterschieden werden kann, ist man dort auf Plausibilitätsbetrachtungen angewiesen: 1) In der zur Beschreibung des Geschwindigkeitsfeldes im flüssigen äußeren Erdkern modifizierten Navier-Stokes-Gleichung überwiegen zwei Terme: der Coriolis- und der Lorentzterm, und sie sind etwa gleich groß (während z.B. Trägheitskräfte gegenüber Corioliskräften vernachlässigbar sind), also spielt die Rotation bei der Aufrechterhaltung des Magnetfeldes eine Rolle. 2) Die starken Magnetfelder von Jupiter und Saturn haben auch Dipolterme, die einen etwa zur Rotationsachse parallelen Dipol beschreiben (Uranus und Neptun aber nicht....) 2.2 Umkehrungen des Magnetfeldes und seafloor spreading 2.2.1. Die fraktale Umpolungsfolge Seit Brunhes (1906) wurden auch Proben mit inverser Magnetisierung gefunden (d.h. D und I sind gegenüber den zum Fundort gehörenden Werten um 180° verdreht). Nach der Entdeckung der Selbstumkehr der remanenten Magnetisierung (Néel, 1948) wurde etwa 10 Jahre über die Alternativen „Selbstumkehr der remanenten Magnetisierung der Proben“ oder „Feldumkehr des erdmagnetischen Hauptfeldes“ gestritten. Entschieden wurde die Frage mit Hilfe der Magnetostratigraphie, der Ableitung einer zeitlichen Folge von Umpolungen aus der Analyse von magnetisierten Sedimenten. Weil dabei für ganz verschiedene Testgebiete dieselbe Umpolungsfolge herauskam, wurde die Feldumkehr akzeptiert. Wir wissen heute, dass die Umpolungsfolge fraktal ist: Wenn die Epochen gleicher Polarität, die sog. Chrons, in Größenklassen eingeteilt werden, dann führt die Darstellung von log(Anzahl pro Klasse) als Funktion von log(Länge der chrons dieser Klasse) auf eine Gerade mit negativer Steigung. 2.2.2. Gleichzeitig bewiesen: Feldumkehr und Plattenbewegung Für die Plattentektonik wurde diese fraktale Umpolungsfolge wichtig, nachdem Mason (1958) bei der Auswertung der magnetischen Daten eines Forschungsschiffes, das vor der Küste von Oregon gemessen hatte, magnetische Streifenmuster entdeckte: Offenbar hat die ozeanische Kruste eine remanente Magnetisierung, die streifenweise der heutigen und der entgegengesetzten Polarität des Erdmagnetfeldes entspricht. Diese magnetischen Streifenmuster wurden in den folgenden Jahren überall in der ozeanischen Kruste entdeckt. Vine und Matthew (1963) zeigten schließlich, dass die Ortsfolge, die sich aus einem Schnitt senkrecht zu den Streifenmuster von Mason ergibt, mit der Zeitfolge der Magnetostratigraphie korreliert, wenn sich zwei ozeanische Platten mit v 3cm / a von einem mittelozeanischen Rücken wegbewegen. Wenn dort Lava austritt und bei der Abkühlung unter die Curie-Temperatur eine remanente Magnetisierung in Richtung des dann existierenden äußeren Feldes erfährt, dann folgt aus der Kombination von zeitlicher Feldumkehr und Plattenbewegung die räumliche Folge von remanenten Magnetisierungen der ozeanischen Kruste mit der heutigen bzw. der dazu inversen Richtung. Die Arbeit von Vine und Matthew (1963) entschied also die bei Fragen „Selbstumkehr oder Feldumkehr“ und „Horizontale Plattenbewegung – ja oder nein?“ gleichzeitig zu Gunsten der Feldumkehr und der Plattenbewegung. Historische Randbemerkung: Vine & Matthews (1963) waren nicht die ersten. 1962 hatte Lawrence Morley eine Arbeit mit der gleichen Hypothese bei ‚Journal of Geophysical Research‘ eingereicht, die aber abgelehnt wurde mit der Begründung, die Hypothese würde nur einen guten Party-Gag hergeben. 2.3 Der virtuelle geomagnetische Pol und Rekonstruktion der Plattenbewegungen Wegen der o.g. Nebenbemerkung zu B 0 können aus einer Folge von VGPs einer Platte mit verschiedenen Abkühlungsaltern nicht die Positionen der Platte zu diesen Zeiten bestimmt werden. Die Informationen reichen lediglich, um die Paläobreiten sowie die Verdrehungen der Platten (relativ zur heutigen Lage) anzugeben. Zusätzliche Informationen: Zwei Kontinentalplatten können nicht zur gleichen Zeit am gleichen Ort gewesen sein. Außerdem lässt sich u.U. aus den Streifenmustern der letzten maximal 250 Millionen Jahre die Bewegungsrichtung (nämlich senkrecht zu den Streifen) rekonstruieren (Nebenbemerkung: Ältere ozeanische Kruste gibt es nicht mehr, weil die bereits wieder subduziert worden ist). Wenn VGPs von heute verschiedenen Platten vor einem geologischen Alter plötzlich zusammengehen, ist dies ein Hinweis auf das ‚Zerbrechen‘ ein Paläoplatte – z.B. der Zerfall von Godwanaland vor 200 Millionen Jahren zu Afrika, Südamerika, Indien, Antarktika und Australien. Wenn VGPs nach einem geologischen Alter zusammengehen, ist dies ein Hinweis auf Kontinententstehung durch das ‚Zusammenbacken‘ von sogenannten Teraenen, also streifenförmige Mini-Kontinente – z.B. die Entstehung Mitteleuropas aus Rhenoherzynikum, Saxothuringikum und Moldanubikum. Merken sollte man sich Während des Perm (225 Millionen Jahre) hingen fast alle Platten zusammen, Superkontinent Pangaea Während des Trias (200 Millionen Jahre) 2 Superkontinente: Laurasia (Nordamerika, Europa, Asien ohne Indien) und Godwanaland (Südamerika, Afrika, Antarktika, Australien, Indien und Neuseeland) Schließung des Iapetus Ozeanes (Protoatlantik) von 160 Millionen Jahren, dabei Austausch von Mikroterraenen: Heutiges Schottland, Nordirland vor dieser Schließung mit Nordamerika verbunden; gleichzeitig war New Brunswick vor der Schließung mit ‚Avalonia‘ (=England, Nordfrankreich) verbunden. Fast-Schließung der Tethys (Rest-Tethys = heutiges Mittelmeer) seit 180 Millionen Jahren (Trias) und Subduktion der europäischen unter die afrikanische Platte; in der Folge alpine Gebirgsbildung mit Höhepunkt im Tertiär. Indien bewegte sich in nur 60 Millionen Jahren 60 Breitengerade nordwärts: mittlere Plattengeschwindigkeit 11 cm/Jahr – Beginn der Himalya-Faltung seitdem.