Vom Genom zum adulten Lebewesen Frühe Forschungen zur Embryogenese – Ernst Haeckel Der deutsche Gelehrte Karl Ernst von Baer (1792-1876, „Alexander von Humboldt des Nordens“, wirkte in Dorpat) entdeckte 1826 die Eizelle der Säugetiere und untersuchte im Detail die Embryogenese. Dabei formulierte er das „Gesetz der korrespondierenden Stufen“: Baersche Regel: frühe Embryonalstadien ähneln sich unabhängig von der Art sehr stark. Erst in späteren Stufen differenzieren sie sich derart aus, daß ihre Art erkennbar wird. Diese Gedanke wurde von Ernst Haeckel (1834-1919) wieder aufgegriffen und zur Biogenetischen Grundregel umformuliert (1866). Sie zeigt Parallelen zwischen Ontogenese und Phylogenese auf. Ernst Haeckel weist darauf hin, daß in der Ontogenese eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenese stattfindet und sieht dies als unmittelbar faßbaren Beweis für Darwins Abstammungslehre. Beobachtungen: Der Zusammenhang zwischen Ontogenese und Phylogenese zeigt sich insbesondere bei höheren mehrzelligen Lebewesen und so gut wie nicht bei Pflanzen - Der menschliche Embryo bildet nach wenigen Wochen Kiemenspalten an der Halsregion aus, die aber wieder verschwinden - Noch vor der Ausbildung der Wirbelsäule bildet sich eine Chorda - Der menschliche Embryo besitzt eine Schwanzwirbelsäule, die annähernd so groß ist wie bei einem entsprechenden Schweineembryo und erst später abgebaut wird. Die durch das „Biogenetische Grundgesetz“ ausgedrückte Muster in der Embryonalentwicklung gilt nur näherungsweise. Es ergibt sich aus der Aktivierung und Deaktivierung bestimmter Gene, die für die Morphogenese eines mehrzelligen Lebewesens zuständig sind. Die ersten Phasen der Embryogenese eines Mehrzellers Die ersten Phasen der Embryonalentwicklung sind bei jedem mehrzelligen Lebewesen gleich: 1. Phase: Fertilisation (Befruchtung einer weiblichen Eizelle durch ein Spermium) genetisch: Bildung einer diploiden Stammzelle über die Vereinigung zweier haploider Einzelzellen Zygote Eine einzelne befruchtete Eizelle nennt man „Zygote“. Zellbiologischer Befruchtungsvorgang 1. Wiederherstellung eines diploiden Chromosomensatzes 2. Eizelle: liefert Nährstoffe, mRNA, Mitochondrien + Mitochondrien-DNA, Ribosomen 3. Spermium: liefert lediglich haploiden Chromosomensatz und bricht durch den Verschmelzungspunkt die Rotationssymmetrie der Eizelle – 2 Pole liefert ein Centrosom + chemische Botenstoffe, die eine Zellteilung anregen Botenstoffe des Spermiums sind zur Aktivierung bestimmter Gene essentiell, ohne die es zu keiner Embryonalentwicklung kommt - Genomische Prägung Das Erste, was nach der Fertilisation passiert, ist eine Reorganisation des Cytoplasmas der befruchteten Eizelle. Reorganisation des Cytoplasmas 2. Phase: Räumliche Reorganisation des Zellplasmas zur Vorbereitung der ersten Zellteilung - Etablierung einer räumlichen Polarität in der Zygote - Aufteilung des Cytoplasmas in Bereiche unterschiedlicher biochemischer Zusammensetzung (ungleiche Verteilung auf Tochterzelle) - Ausbildung zweier Hemisphären – animale (Kern) und vegetative Hemisphäre – legt Körperlängsachse fest (Konzentrationsgefälle bestimmter Stoffe nach Schwerkraft) Anfangsfestlegung der Symmetrieachsen des Embryos Die nächsten Zellteilungen manifestieren die Konzentrationsunterschiede bestimmter Stoffe (Cytoplasmatische Faktoren) in den Zellen Schlüsselstoffe (Modelllebewesen „Frosch“): ß-Catenin / GSK-3 Vorbereitung der Rücken-Bauch-Achse des Embryos in der Zygote Gewisse Grundsymmetrien des aus der Zygote entstehenden Lebewesens werden bereits durch die Umstrukturierung von dessen Zytoplasma festgelegt. Furchung – Entstehung einer Zellmasse aus der Zygote durch Zellteilung 3. Phase: Folge rascher Zellteilungen zum Aufbau einer Zellmasse, die sich durch Signalkaskaden weiter differenzieren läßt - „Furchungsstadium“ Blastulation Sehr wesentlich für den Fortgang der Furchung ist das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein eines Dotters Fische, Reptilien und Vögel bilden auf dem Dotter eine Keimscheibe aus, aus dem sich das Embryo entwickelt Verschiedene Blastozyten (Blastula)bilden die Grundlage für verschiedene Gewebe und später Organe des Embryos - Blastozyste (ca. ab 32-Zellstadium) Entstehung einer Blastozyste aus einem Säugetierei Zygote Morula-Stadium Blastula / Blastozysten-Stadium Maulbeerkeim Während dieser Phasen erfolgt kein Größenwachstum Es entsteht ein mit Flüssigkeit umschlossener Hohlraum (Blastocoel) Morula Blastula Dotterverteilung in der Zygote bestimmt Form der Blastozyte viel Dotter – vegetativer Pol - seltenere Furchung wrenig Dotter – animaler Pol - häufigere Furchung Organ- und Gewebebildung innerhalb der Blastula Einstülpung: Gastrulation (Beispiel: Frosch-Ei) Es bilden sich die ersten drei differenzierten Gewebetypen aus, die sich später zu verschiedenen Organen entwickeln: Ektoderm / Neuroextoderm Entoderm Mesoderm Drei Keimblätter Die Gastrulation legt den Körperbauplan fest Einstülpung der Blastozyte am vegetativen Pol und Ausbildung einer inneren Oberfläche mit Öffnung („Urmund“) - Gastrula Die Gastrulation läuft bei verschiedenen Tiergruppen unterschiedlich ab. Die entstehende Öffnung wird als „Urmund“ bezeichnet. Er entwickelt sich bei den Protostomiern zur Mundöffnung, bei den Deuterostomier zur Afteröffnung (alle Säugetiere). Beispiel: Keimblattentwicklung beim Froschembryo Blau: Ektoderm Gelb: Entoderm Rot: Mesoderm Die Gastrulation beginnt, wenn sich die Zellen direkt unter dem Zentrum des grauen Halbmondes nach Innen bewegen, um die dorsale Lippe des zukünftigen Urmundes (Blastophorus) zu bilden. Die Zellen des animalen Pols breiten sich aus und drängen Oberflächenzellen unter ihnen auf die dorsale Urmundlippe zu und über deren Rand. Diese Zellen gelangen so ins Innere des Embryos, wo sie Entoderm und Mesoderm bilden. Dieses Einrollen erzeugt den Urdarm und verdrängt das Blastocoel. Die Urmundlippe bildet einen Kreis, wobei Zellen rund um den Urmund ins Innere wandern; in den Urmund ragt der Dotterpropf. Blau: Ektoderm Gelb: Entoderm Rot: Mesoderm Auf die Gastrulation folgt die Neurulation, die durch die Entwicklung des Nervensystems aus dem Ektoderm gekennzeichnet ist. Blau: Ektoderm Gelb: Entoderm Rot: Mesoderm Die Blastopore (Urmund) definiert das hintere Körperende und entwickelt sich zum After. Ein Teil des eingestülbten Hohlraums entwickelt sich zum Magen- Darm-Trackt, der andere Teil bildet die sekundäre Leibeshöhle (Coelom). Aus dem „oberen“ Teil des Mesoderms bildet sich als Ausgangspunkt für die Wirbelsäule die Chorda dorsalis. Neurulation Hohlzylinder Neurahlrohr Vollzylinder Neurulation Mit der primären Neurulation beginnt die Entstehung des Nervensystems. Ausgangspunkt: Chorda dorsalis Entstehung einer Neuralplatte Gibt Signalstoffe ab, die die benachbarten Ektodermzellen veranlassen, sich zu Neuroektodermzellen umzuwandeln Aus dem „breiten“ Bereich entwickelt sich das Gehirn Grün: Ektoderm Aus dem Neuralrohr entwickelt sich bei Wirbeltieren das Rückenmark und das Gehirn. Fetus-Entwicklung Nachdem sich alle inneren Organe im Embryo ausgebildet haben, spricht man von einem Fetus. Er ist besonders durch Größenwachstum und der Einschaltung der grundlegenden Lebensfunktionen gekennzeichnet: Beispiel Mensch: 12. 18. 22. 24. 28. 34. Woche: Woche: Woche: Woche: Woche: Woche: Geschlecht wird bestimmbar Verdauungssystem beginnt zu arbeiten Herzschlag setzt ein Gehirn beginnt aktiv zu arbeiten Riechfunktion wird eingeschaltet Fetus beginnt auf Lichtreize zu reagieren Die Ontogenese ist ein hochgradig gesteuerter und zeitlich determinierter Prozeß, der durch innere Umorganisation in Verbindung mit Apoptose außergewöhnlich komplexe Lebewesen aus einer einzigen, oftmals nur wenige Mikrometer großen befruchteten Eizelle entstehen läßt. Dabei werden Mechanismen genutzt, die sich im Laufe der Stammesentwicklung (Phylogenese) herausgebildet und deshalb z.T. auch rekapituliert werden. Nächstes mal: Wie sind alle diese faszinierenden Dinge entstanden?