Bundesgesetz Forschung an überzähligen Embryonen

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Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes über
die Forschung an überzähligen Embryonen und
embryonalen Stammzellen
Der in die Vernehmlassung gegebene Entwurf zu einem Embryonenforschungsgesetz ist
begleitet von einem „Erläuternden Bericht zum Entwurf“. Der Entwurf und der erläuternde
Bericht zeigen die Bemühung, den aktuellen Stand der Forschung, der Bestimmungen aus der
Bundesverfassung und der aktuellen Gesetzgebung genau zu eruieren. Dennoch sind wichtige
Berichtigungen im Bereich der Embryologie nötig.
A. Berichtigungen zur Embryologie
1. Totipotenz. Die Annahme, dass Totipotenz nur bis zum Acht-Zell-Stadium besteht
(Entwurf S.13, abgekürzt E13), geht auf experimentelle Daten von Tierexperimenten
zurück. Es gibt jedoch Evidenz, dass beim menschlichen Embryo Totipotenz auch
noch im Zwölf-Zell-Stadium bestehen kann.
2. Zona pellucida (E14). Die Ausführungen über die Zona pellucida müßten
dahingehend ergänzt werden, dass die Zona pellucida Garant der Individualität und
der Überlebensfähigkeit des Embryos ist.
3. Zygote wird hier so definiert (E14), dass sie identisch ist mit dem Stadium der
„Kernverschmelzung“. Es gibt jedoch gute Gründe, schon das Pronucleusstadium als
Zygote zu bezeichnen. Nach dem Ausstoßen des 2. Polkörpers liegt die genetische
Identität des neuen Individuums fest. Von da an entwickelt sich das Individuum
kontinuierlich. Aus diesem Grund sind heute viele Embryologen der Ansicht, dass
bereits das Pronucleusstadium als Zygote zu bezeichnen ist. In diesem Sinne wird der
Begriff Zygote auch von der Nationalen Ethikkommission (NEK) gebraucht1.
4. Ektoderm und Entoderm. Die zweiblättrige Keimscheibe (E15) besteht nicht aus
Ektoderm und Entoderm, sondern aus Epiblast und Hypoblast. Ektoderm, Entoderm
und Mesoderm entstehen später aus dem Epiblast. Das Entoderm verdrängt den
Hypoblast weitgehend.
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„Zur Forschung an embryonalen Stammzellen“ Seite10.
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Stellungnahme zum Entwurf des Embryonenforschungsgesetzes
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5. Primitivstreifen und Körperachsen. Es trifft nicht zu, dass die „Achsen des Embryos“
(E15) durch den Primitivstreifen festgelegt werden. Die dorso-ventrale Achse ist
schon lange vorher bestimmt. Die kranio-kaudale Achse wird spätestens durch die
kaudale Proliferationszone und den Randbogen definiert, welche vor dem
Primitivstreifen auftreten.
6. Primitivstreifen und Individuum (E15). Diese Debatte wurde vor etwa 10 Jahren
intensiv geführt. Inzwischen ist man zu der Ansicht gelangt, dass hier ein
Missverständnis des Begriffs des Individuums vorliegt.
7. Gastrulation (E15). Dieser Begriff ist für die Vorgänge bei niedrigen Vertebraten
geeignet, nicht aber für Säuger und für den Menschen. Er meint die Invagination einer
einschichtigen Blastula, wodurch eine zweischichtige Gastrula entsteht, die ein mit
Entoderm ausgekleidetes Archenteron enthält.
B. Zur 14-Tage Regel
Auf E59 wird begründet, warum in Art. 3, alinea 2b des Gesetzestextes der 14. Tag als
Grenze festgelegt wird, über die hinaus Embryonen nicht am Leben gelassen werden sollen.
Dafür werden die folgenden Argumente gegeben zu denen hier Stellung genommen wird.
1. Das erste Argument bezieht sich auf den Primitivstreifen und die Körperachsen. Dass
dieses Argument nicht zutrifft, wurde bereits im vorigen Abschnitt (Punkt 5) gezeigt.
2. Im zweiten Argument wird der Primitivstreifen als „deutlich erkennbare Zäsur in der
Entwicklung eines Embryos hin zu einem Menschen“ bezeichnet. Der Primitivstreifen
ist aber genauso wenig eine Zäsur wie die Unterteilung des Embryoblasten in zwei
Schichten, das Auftreten des sekundären Nabelbläschens oder die Entstehung der
ersten Nervenzellen. Wenn von der „Entwicklung eines Embryos hin zu einem
Menschen“ gesprochen wird, dann wird unterstellt, dass der Embryo noch kein
Mensch sei. Wenn dies gemeint ist, dann müsste gezeigt werden, wie aus einem NichtMenschen ein Mensch entsteht.
3. Drittens wird davon ausgegangen, dass „die Schutzwürdigkeit des Embryos graduell
wächst und den Stufen der Embryonalentwicklung folgt“. Dieses Argument impliziert,
dass auch ein Neugeborenes weniger schutzwürdig ist als ein erwachsener Mensch,
weil sein Gehirn noch nicht ausgereift ist. Es kann z.B. noch keine Objekte erkennen,
noch nicht mit Begriffen operieren etc. Diese Argumentationslinie führt also in die
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Stellungnahme zum Entwurf des Embryonenforschungsgesetzes
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Nähe der Position des australischen Philosophen Peter Singer, der die Würde der
Person nur vollbewussten und aktuell frei entscheidenden Menschen zuschreiben will.
4. Viertens wird die geringere Schutzwürdigkeit des Embryos damit gerechtfertigt, dass
„der größte Teil der natürlich gezeugten Embryonen innerhalb der ersten 14 Tage 
abstirbt“. Dieses Argument ist ein naturalistischer Fehlschluss (siehe auch
Stellungnahme der NEK S.55).
Die im Gesetz vorgesehene Grenze von 14 Tagen kann also weder durch embryologische
Befunde noch durch philosophisch-ethische Überlegungen abgestützt werden. Dass sie
willkürlich festgelegt ist, geht auch schon daraus hervor, dass die NEK eine deutlich frühere
Grenze vorsieht, nämlich das Ende des Blastozystenstadiums (NEK S.67), allerdings auch
ohne stichhaltige Begründung. Wenn dennoch an dieser Grenze festgehalten werden soll,
dann sollte man die Argumentation nicht durch unhaltbare Begründungen unglaubwürdig
machen, sondern lediglich die pragmatischen Gründe angeben (z.B. die Tatsache, dass in
einigen anderen Ländern die 14-Tage-Regel gilt).
Fribourg, den 25. Juni 2002
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Prof. DDr. Günter Rager
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