aus freier Lust … verbunden

Werbung
„… aus freier Lust …
verbunden …“
Der Werkkomplex „… Einklang freier Wesen …“
von Georg Friedrich Haas
Arnold Plankensteiner
Schriftlicher Teil der künstlerischen Masterarbeit
bei o. Univ.-Prof. Dr. Peter Revers
Graz, im Mai 2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
1
Kurzfassung
Im vorliegenden schriftlichen Teil der künstlerischen Masterarbeit „… aus freier
Lust … verbunden …“ werden nach einer kurzen mit persönlicher Note versehener Einleitung zuerst die biographischen Daten von Georg Friedrich Haas
zusammengefasst und seine wichtigsten Werke aufgelistet. Darauf folgt die
Vorstellung des Werkkomplexes „… Einklang freier Wesen …“ und danach die
Analyse des Solostückes „… aus freier Lust … verbunden …“ für Bassklarinette
in B.
Abstract
In the following written part of the artistic master thesis „… aus freier Lust …
verbunden …“ after a short introduction provided with a personal mark first the
biographic data of Georg Friedrich Haas are summarised and his most
important works are listed. Then the thesis continues with the presentation of
the work complex „… Einklang freier Wesen …“ and ends with the analysis of
the solo piece „… aus freier Lust … verbunden …“ for bass clarinet in B flat.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
2
Inhaltsverzeichnis
Einleitung............................................................................................................ 3
Biographie des Komponisten Georg Friedrich Haas .......................................... 4
Der Werkkomplex „… Einklang freier Wesen …“ bzw. „… aus freier Lust …
verbunden …“ ............................................................................................ 8
„… aus freier Lust verbunden …“ für Bassklarinette in B –
Neufassung 1996 ..................................................................................... 15
Zusammenfassung ........................................................................................... 19
Literaturverzeichnis .......................................................................................... 20
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
3
Einleitung
Georg Friedrich Haas ist ein Komponist, der mich seit Beginn meines Studiums
auf der Kunstuniversität Graz beeindruckte. Da er einen Lehrauftrag als außerordentlicher Universitätsprofessor in Graz inne hat, konnte ich auch einige
Lehrveranstaltungen (Spezialvorlesung für Neue Musik, Repertoire des
20./21. Jahrhunderts und Notationskunde in zeitgenössischer Musik) im
Rahmen meines Studiums „Performance Practice in Contemporary Music“ bei
ihm besuchen.
Weil ich mich mit seiner Herangehensweise an zeitgenössische Musik identifizieren kann und da ich als Grazer über einen in Graz geborenen Komponisten
schreiben wollte, liegt es für mich auf der Hand über ein Stück von Georg
Friedrich Haas meine Arbeit zu verfassen.
Das einzige Solostück, das er bis dato für Klarinette geschrieben hat, ist Teil
seines Zyklus „… aus freier Lust … verbunden …“.
Von der Partitur des Ensemblestückes für 10 Instrumente mit dem Titel „… Einklang freier Wesen …“, das in den Jahren 1994/1995 entstanden ist und 1996
überarbeitet wurde, kann jede Einzelstimme als Solostück unter der Bezeichnung „… aus freier Lust … verbunden …“ aufgeführt werden.
Ein weiterer Aspekt für die Wahl des vorliegenden Themas war, dass die Uraufführung von Ernesto Molinari gespielt wurde. Bei ihm durfte ich ein Semester
lang, organisiert durch das ERASMUS-Programm, an der Hochschule der
Künste Bern studieren.
Dieses Werk leitet auch insofern eine Wende im Schaffen von Haas ein, weil er
sich damit und mit der Arbeit an der Oper Nacht von abstrakten Konstruktionsprinzipien abwandte.1
1
Vgl. Georg F. Haas, Anmerkungen zum Komponieren, in: Musik und Metaphysik, hg. von
Eckhard Tramsen, Hofheim 2004, S. 116–117.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
4
Biographie des Komponisten Georg Friedrich Haas
Die meisten Daten sind aus dem abgedruckten Lebenslauf im Buch Georg
Friedrich Haas: „Im Klang denken“2 von Lisa Farthofer und der Website der
Universal Edition AG3 entnommen.
Georg Friedrich Haas, geboren am 16. August 1953 in Graz, ist auf internationaler Ebene einer der erfolgreichsten österreichischen Komponisten. Aufgewachsen ist er in Tschagguns in Vorarlberg – „in den Bergen – eine Landschaft
und eine Atmosphäre, die ihn nachhaltig geprägt haben“4, wie es Haas gerne
beschreibt. Nach der Matura am Gymnasium Bludenz kehrte Haas 1971 zurück
nach Graz um an der damaligen Hochschule für Musik und darstellende Kunst,
der heutigen Kunstuniversität Graz, Komposition bei Gösta Neuwirth und Ivan
Eröd, Klavier bei Doris Wolf und Musikpädagogik zu studieren. Von 1981 bis
1983 absolvierte er noch ein postgraduales Kompositionsstudium bei Friedrich
Cerha an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (damals Hochschule).
Georg Friedrich Haas war in den Jahren 1980, 1988 und 1990 Kursteilnehmer
an den Darmstädter Ferienkursen und nahm 1991 am „Stage d’Informatique
Musicale pour Compositeurs” am IRCAM (Institut de Recherche et Coordination
Acoustique/Musique) in Paris teil. 1992/1993 war er Stipendiat und 1999 „NextGeneration“-Komponist der Salzburger Festspiele und von 1999 bis 2000 Stipendiat des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) in Berlin. Sein
Violinkonzert wurde 2000 beim International Rostrum of Composers ausgewählt. Im Jahr 2004 war Haas Festivalkomponist von ars musica in Brüssel
und Dozent bei den Darmstädter Ferienkursen. Bei den Klangspuren Schwaz
war er 2005 Schwerpunkt-Komponist und 2006 Festival-Komponist beim
Borealis Festival in Bergen in Norwegen. Schwerpunkt-Komponist bei Wien
Modern war er 2007 und 2011 „Composer-in-residence“ des Lucerne Festivals.
2
Vgl. Lisa Farthofer, Georg Friedrich Haas: „Im Klang denken“, Saarbrücken 2007, S. 111–112.
3
Vgl. Universal Edition [online verfügbar: http://www.universaledition.com/Georg-FriedrichHaas/komponisten-und-werke/komponist/278/biographie, 01.05.2015].
4
Universal Edition [online verfügbar: http://www.universaledition.com/Georg-FriedrichHaas/komponisten-und-werke/komponist/278/biographie, 01.05.2015].
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
5
An Preisen und Auszeichnungen erhielt Georg Friedrich Haas 1992 den
Sandoz-Preis, 1995 den Förderungspreis für Musik des Bundesministeriums für
Wissenschaft, Forschung und Kultur, 1998 den Ernst-Krenek-Preis der Stadt
Wien für die Kammeroper Nacht, 2004 den Musikpreis der Stadt Wien, 2005
den Preis der deutschen Schallplattenkritik für die CD-Aufnahme seines 1. bzw.
2. Streichquartettes mit dem Kairos Quartett und den Andrzej-DobrowolskiKompositionspreis der Steiermärkischen Landesregierung in Graz und 2007
wurde ihm der Große Österreichische Staatspreis verliehen. Des Weiteren erhielt Haas den Kompositionspreis des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden
und Freiburg für limited approximations in Donaueschingen und 2013 den
Musikpreis Salzburg.
Seit 1978 lehrt Georg Friedrich Haas mit wenigen Unterbrechungen an der
Kunstuniversität Graz und war von 2005 bis 2013 Leiter einer Kompositionsklasse an der Hochschule für Musik der Musik-Akademie der Stadt Basel, wo er
2008 zum Professor ernannt wurde. Seit 2013 ist er Professor an der Columbia
University in New York.
Georg Friedrich Haas lebt bzw. lebte abwechselnd in Graz, in der steirischen
Gemeinde Fischbach, in Wien, in Moyrisk in Irland und zuletzt in Basel und New
York.
Die Eckdaten der Uraufführungen seiner wichtigsten Werke sind:
1981
Kurzoper Adolf Wölfli beim steirischen herbst in Graz
1993
Descendiendo für großes Orchester in Wien
1996
Kammeroper Nacht bei den Bregenzer Festspielen
1996
„… Einklang freier Wesen …“ in Graz
1998
Violinkonzert in Wien
2000
Torso in Bregenz
2000
in vain für 24 Instrumente in Köln
2001
Blumenstück für 32-stimmigen Chor, Basstuba und Streichquintett in
Stuttgart
2003
Oper Die schöne Wunde bei den Bregenzer Festspielen
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
2003
6
Natures mortes für großes Orchester bei den Donaueschinger
Musiktagen
2004
Konzert für Violoncello und großes Orchester durch die Münchner
Philharmoniker in München
2005
Ritual für 12 große Trommeln und 3 Blaskapellen in Galtür
2005
Sieben Klangräume für Chor und Orchester in Salzburg
2006
Poème für großes Orchester durch das Cleveland Orchestra unter
Franz Welser-Möst in Cleveland
2006
Hyperion für Licht und Orchester bei den Donaueschinger Musiktagen
2007
Bruchstück für großes Orchester in München
2007
Konzert für Klavier und Orchester, bei Wien Modern
2008
Konzert für Baritonsaxophon und Orchester
2008
Oper Melancholia an der Opéra National de Paris
2009
Traum in des Sommers Nacht in Leipzig
2010
ATTHIS in Berlin
2010
La profondeur in Amsterdam
2010
limited approximations für 6 Klaviere im Zwölfteltonabstand und
Orchester bei den Donaueschinger Musiktagen
2010
Arthur F. Becker (od. Buhr?)
2010
„… damit … die Geister der Menschen erhellt und ihr Verstand
erleuchtet werden …“ für Ensemble in Basel
2011
6. Streichquartett
2011
Oper Bluthaus bei den Schwetzinger Festspielen
2011
chants oubliés für Kammerorchester
2011
7. Streichquartett
2011
Mlake / Laaken
2012
Duchcov in München
2012
„Ich suchte, aber ich fand ihn nicht“ bei musica viva in München
2012
„… e finisci già“ bei den Salzburger Festspielen
2012
Tetraedrite beim Eröffnungskonzert der Klangspuren Schwaz
2013
Oper Thomas bei den Schwetzinger Festspielen
2014
dark dreams durch die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle in
Berlin
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
2014
concerto grosso Nr. 1 in München
2014
concerto grosso Nr. 2 beim Tectonics Festival in Glasgow
2014
8. Streichquartett
7
An der obigen Liste, die ja nur die wichtigsten Stücke beinhaltet, ist zu erkennen, dass Georg Friedrich Haas insbesondere in den letzten Jahren ein
äußerst produktiver Komponist ist und so schon ein reichhaltiges Œuvre geschaffen hat. Haas gibt fast alle seine Werke bei der Universal Edition oder im
Eigenverlag heraus.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
8
Der Werkkomplex „… Einklang freier Wesen …“ bzw. „… aus
freier Lust … verbunden …“
Das Hauptwerk trägt den Titel „… Einklang freier Wesen …“ und ist für Ensemble mit 10 Instrumenten, nämlich für Bassflöte, Bassklarinette, Trompete,
Posaune, Basstuba, 2 Schlagzeugspieler, Viola, Violoncello und Kontrabass,
komponiert.
Das Stück wurde für das Klangforum Wien geschrieben und laut den Informationen der Universal Edition am 11. Oktober 1996 unter dem Dirigenten
Johannes Kalitzke in Graz uraufgeführt. Das Konzert fand im Saal Steiermark
des Grazer Congresses im Rahmen des Festivals musikprotokoll im steirischen
herbst statt.
Diese Uraufführung war jedoch die der neueren Version, die erste Version
wurde bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik am 21. April 1995 vom
Klangforum Wien unter der Leitung von Peter Rundel uraufgeführt. Das Stück
war ein Kompositionsauftrag des österreichischen Bundesministeriums für
Wissenschaft, Forschung und Kunst.
Andere Ensembles, die das Werk danach zur Aufführung brachten, waren
außerdem das Ensemble Intercontemperain, das Collegium Novum Zürich, das
Seoul Philharmonic Orchestra oder das Ensemble Phoenix Basel.
„… Einklang freier Wesen …“ wurde also in den Jahren 1994/1995 fertiggestellt
bzw. 1996 überarbeitet und jede der einzelnen Instrumentalstimmen des Ensemblestücks kann für sich selbst aufgeführt werden oder in gewissen Besetzungen in kleineren Untergruppen gespielt werden. Diese reduzierten
Fassungen tragen dann die Bezeichnung „… aus freier Lust … verbunden …“.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
9
Die Werkeinführung von Georg Friedrich Haas lautet:
„Der Begriff des 'Solistenensembles' (als solches versteht sich das Klangforum Wien selbst) ist in dieser Komposition wörtlich genommen. Ein Zyklus
von zehn Solostücken sollte zu einem Ensemblestück (wobei sämtliche zehn
Solostücke gleichzeitig gespielt werden) verbunden werden können. Auch
kleinere 'Unterensembles' sind vorgesehen: ein Duo für zwei Schlagzeuge,
ein Trio für Trompete, Posaune und Baßtuba, ein Trio für Viola, Violoncello
und Kontrabaß, ein Quartett für Baßflöte, Baßklarinette und 2 Schlagzeuge.
Die Fassungen für ein bis vier Instrumente werden unter dem Titel … aus
freier Lust … verbunden … (unter Zusatz der jeweiligen Besetzung), das Ensemblestück unter dem Titel … Einklang freier Wesen … veröffentlicht.
Die Stimmen sind – in ihrem Tonhöhenverlauf – durch eine identische harmonische Struktur (wobei in den Soloparts 'Harmonie' primär als Zusammenwirken des jeweils nacheinander Erklingenden gedacht ist) verbunden. In formaler Hinsicht werden Zäsuren und Einheiten in jeder Stimme weitgehend
unabhängig von den anderen Instrumenten gebildet.
Die Titel sind einem Ausschnitt aus Friedrich Hölderlins Roman Hyperion entnommen:
"Ich fühl’ in mir ein Leben, das kein Gott geschaffen und kein Sterblicher gezeugt. Ich glaube, daß wir durch uns selber sind, und nur aus freier Lust so
innig mit dem All verbunden …
… Was wär auch diese Welt, wenn sie nicht wär ein Einklang freier Wesen?
Wenn nicht aus eignem frohen Triebe die Lebendigen von Anbeginn in ihr
zusammenwirkten in ein vollstimmig Leben, wie hölzern wäre sie, wie kalt?"
(Hyperion, zweiter Band, zweites Buch, Kapitel XXVII)“ 5
5
Universal Edition [online verfügbar: http://www.universaledition.com/bdquo-Einklang-freierWesen-ldquo-Georg-Friedrich-Haas/komponisten-und-werke/komponist/278/werk/16,
01.05.2015].
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
10
Hyperion oder Der Eremit in Griechenland ist ein lyrischer Briefroman in zwei
Bänden des deutschen Dichters Friedrich Hölderlin (1770–1843), wovon der
erste Band 1797 und der zweite 1799 erschienen ist.
Im Schaffen von Georg Friedrich Haas hat das Werk des Lyrikers eine große
Bedeutung, denn in der 1996 uraufgeführten Oper Nacht steht der Dichter
Friedrich Hölderlin im Zentrum und auch im 2006 entstandenen Konzert für
Licht und Orchester Hyperion weist der Titel auf den Roman hin.
Die Daten der Uraufführungen der jeweiligen Fassungen von „… aus freier Lust
… verbunden …“ sind in der folgenden Liste angeführt, wobei einige Soloversionen noch gar nicht gespielt wurden.
Bassflöte
Martin Fahlenbock
10. April 1998 in der Jesuitenkirche Innsbruck
Bassklarinette in B
Ernesto Molinari
5. April 1995 im Minoritensaal in Graz
Trompete in C
Michael Gross
31. Jänner 2000 in der daadgalerie Berlin
Posaune
Basstuba
Klaus Burger
2. April 1995 im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses
Schlagzeug I
Schlagzeug II
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
11
Viola
Predrag Katanic
29. Oktober 1999 in der Pfarrkirche Herrnau in Salzburg
Violoncello
Barbara Körber
1998 in der Yamaha Concert Hall in Wien
Kontrabass
Ernst Weißensteiner
25. Juli 2002 im Kunsthaus Bregenz
2 Schlagzeugspieler
Rainer Römer und David Haller
3. Mai 2005 in der Oper Frankfurt am Main
Viola, Violoncello und Kontrabass
Ensemble Recherche unter Kwamé Ryan
6. Dezember 1996 in Paris
Bassflöte, Bassklarinette und 2 Schlagzeugspieler
Collegium Novum Zürich
10. März 2001 im Kleinen Tonhallesaal in Zürich
7 Instrumente (Bassflöte, Bassklarinette, 2 Schlagzeugspieler, Viola, Violoncello und Kontrabass)
Ensemble Recherche unter Kwamé Ryan
6. Dezember 1996 in Paris
Von den kleineren Ensembles dürfen nach Angabe des Komponisten ausschließlich die oben angeführten Besetzungsgruppen gespielt werden.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
12
Das Werk „… Einklang freier Wesen …“ stellt eine Art Wende im Schaffen von
Haas dar, indem er von seriellen Kompositionstechniken Abstand nahm.
Haas schreibt, dass im „… Einklang freier Wesen …“ Denkweisen einiger Komponisten enthalten sind, vor allem die von Anton Webern und von Iwan
Wyschnegradsky, letzterer in den mikrotonalen Passagen. Auch Einflüsse von
Giacinto Scelsi und dem Formprinzip von Alois Hába verwendet er. Das mikrotonale Komponieren ist aber nur ein Mittel zum Erreichen eines bestimmten
Ziels.6
Georg Friedrich Haas erklärt dazu:
„Ein Stück, das sicherlich einen Art Wendepunkt für mich darstellt, ist „…
Einklang freier Wesen …“. Bis dahin habe ich immer wieder mathematische
Prozesse als Hintergrund genommen, z.B. auch bei quasi una tânpûrâ. Das
ist zwar frei komponiert, aber das Netz aus Tonhöhe und Dauer ist berechnet, mit strengen Schnittproportionen, die übereinandergelagert sind, mit
gleichmäßigen Verlangsamungen und Prozessen der Tonhöhenveränderungen usw. Dann kam „… Einklang freier Wesen …“, wo ich mir die absurde
Aufgabe gestellt habe, zehn Solostücke zu schreiben, die zusammen ein Ensemblestück ergeben sollen. Da begann ich wieder zu konstruieren, bemerkte aber: Wenn ich hier jetzt auch noch konstruieren möchte, bin ich
überfordert. Und deshalb habe ich dann vollkommen frei gearbeitet und nur
die harmonischen Felder definiert. Wie lange diese jedoch zu dauern haben
und wie sie sich verändern, das habe ich jedes Mal frei entschieden – und zu
meiner Überraschung festgestellt, dass das gut funktioniert. […] Vielleicht
kann man das sogar mit gesteigertem Selbstvertrauen definieren. Man
muss/möchte sich beim Komponieren anfangs immer für alles rechtfertigen.
Irgendwann einmal bemerkt man jedoch, dass das absurd ist, und dass sich
die Musik nicht durch den Goldenen Schnitt und die Exponentialgleichung
definiert, sondern durch die Fantasie, die trotz Goldenen Schnitts und Expo-
6
Vgl. Georg F. Haas, Mikrotonalitäten, in: Österreichische Musikzeitschrift 65/Nr. 6 (1999), S.
13.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
13
nentialgleichung immer noch die Musik ausmacht. Man kann metaphorisch
sagen, dass das Stützkorsett irgendwann zur Bleiweste wird.“7
Im Stück „… Einklang freier Wesen …“ gibt es meines Erachtens eine „globale
Struktur“, die für alle Stimmen gilt. Obwohl alle Stimmen im Großen und
Ganzen einem ähnlichen formalen Schema folgen, hat jedes Instrument in der
Partitur seine Eigenheiten, wobei vor allem das Schlagzeug ein bisschen abgesetzt ist.
Haas arbeitet mit Klangblöcken. Zu Beginn wandern die gleichen Töne in verschiedenen Figurationen durch die einzelnen Instrumente, was insgesamt breit
gespreizte Akkorde zur Folge hat. Auf die komplizierte Textur folgt die Fixierung
auf einen Ton, danach werden andere Töne zu Grundtönen, wodurch sich wieder neue Töne und Konstellationen ergeben. Auf diesen figurativen Anfang folgt
in allen Stimmen ein geräuschhafter Teil und nach diesem Teil verebbt die bewegliche Statur langsam zu einer statischen, aber in sich beweglichen. Alle
Stimmen verfolgen den gleichen Prozess und werden immer flächiger ausgerichtet. Die rhythmische Profilierung vom Anfang führt in der allgemein ruhigeren Tendenz immer mehr zu einer Parallelführung bis teilweise sogar zu unisono-Teilen. Insgesamt haben alle Stimmen ein ähnliches Material, z.B. sind
alle flächig oder alle motivisch oder alle geräuschhaft etc.
Da in jeder Stimme beinahe die gleiche strukturelle Strategie angewandt wird,
beschränke ich mich in dieser Arbeit auf die genauere Analyse der Bassklarinettenstimme.
Daniel Ender schreibt über dieses Werk:
„Freiheit als real erklingende Möglichkeit findet sich in der Konzeption einer
Werkgruppe, in der Georg Friedrich Haas die Interaktion zwischen Individuum und Gruppe abseits der Konzertsituation und unter Erweiterung des
herkömmlichen Werkbegriffs zur Disposition stellt: „… Einklang freier Wesen
7
Georg Friedrich Haas im Gespräch mit Lisa Farthofer am 29.03.2005 in Graz, in: Lisa
Farthofer, Georg Friedrich Haas: „Im Klang denken“, S. 133–134.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
14
…“ für zehn Instrumente (1994/95/96) sowie „… aus freier Lust … verbunden“ für ein bis vier Instrumente (1994/95) mit den einzelnen Stimmen aus
„… Einklang freier Wesen …“ bilden einen Komplex, bei dem die Komposition in vollständiger Besetzung gleichberechtigt neben Solostücken und
kammermusikalischen Besetzungen in kleineren Formationen steht. Während diese Stücke den Begriff des Solistenensembles, als das sich das
Klangforum Wien versteht, wörtlich umsetzt, kommt hier eine Idee von Freiheit zum Vorschein, der ein utopischer, radikaler Subjektbegriff zu Grunde
liegt – eine Utopie, die Georg Friedrich Haas mit den Romantikern teilt.“8
8
Daniel Ender, Der Wert des Schöpferischen. Der Erste Bank Kompositionsauftrag 1989 –
2007. Achtzehn Porträtskizzen und ein Essay, o.O. [Wien] 2007, S. 196–198.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
15
„… aus freier Lust verbunden …“ für Bassklarinette in B –
Neufassung 1996
Da ich das Solostück selbst zur Aufführung bringen werde, möchte ich es in
dieser Arbeit auch besonders aus der Sicht eines Instrumentalisten untersuchen.
Zuerst stellt sich für mich die Frage: Welche verschiedenen Spieltechniken sind
vorhanden?
Gleich zu Beginn wechselt die Spielanweisung zwischen senza vibrato und
poco vibrato, auch später ist gelegentlich vibrato zu spielen. Einzelne Töne sind
auch mit Flatterzunge (in den Noten abgekürzt als „Fltzg“) bestückt. Ab Ziffer 9
– das Stück ist mit Studierziffern versehen – kommen slaps vor, Haas schreibt,
dass sie „sehr perkussiv mit kaum wahrnehmbarer Tonhöhe“ gespielt werden
sollen. Später gibt es auch die Anweisung slaps kurz aufeinanderfolgend „quasi
gettato“ zu spielen.
Des Weiteren gibt es Mikrotöne, die entweder in Vierteltonalterationen oder mit
einem kleinen Pfeil am Versetzungs- bzw. Auflösungszeichen als Sechsteltonveränderung angegeben werden. Auch Glissandi (abgekürzt als „gliss“) zu einer
mikrotonalen Veränderung werden öfters eingesetzt.
Nach Ziffer 20 gibt es für eine Note die Anweisung „tonlos blasen“, gegen Ende
des Stückes nach Ziffer 52 gilt es eine längere Passage tonlos zu spielen, dann
in Verbindung mit Flatterzunge und auch mit slap als Artikulationsbeginn.
Nun zur Struktur des Stückes:
In den beginnenden Takten 1 bis 5 durchforscht Haas mit den Tönen h, f, e und
c (hier als Stimme in B angegeben, also eigentlich einen Ganzton tiefer klingend) verschiedene Intervallkombinationen: Tritonus (über die Oktave), kleine
Septime, kleine Sext (über die Oktave), Non, zwei Mal Tritonus (über Oktave),
Quint und Non. Die Dynamik bewegt sich im unteren Bereich zwischen dreifachem piano und mezzopiano.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
16
Von Takt 6 bis 10 folgt eine Art – im klassischen Verständnis würde man es so
bezeichnen – Nachsatz, in dem die Töne cis und gis hinzukommen. Dies mit
den Intervallen große Septim bzw. große Sext, Terz und Quint (jeweils über die
Oktave). Während im vorigen Absatz beschriebene erste Einheit als Phrase
offen bleibt, führt die zweite ins tiefe Register, wo der lange Abschlusston auch
erstmals vom pianissimo ins mezzoforte aufblüht und wieder zurückgeht mit
einem Übergang von poco vibrato zu senza vibrato.
Die Takte 1 bis 10 bzw. die Studienziffern 1 bis vor 4 können als langsame Einführung ins Material verstanden werden. Haas spielt in einem langsamen
Tempo (Viertel ist 60) und rhythmischer Unregelmäßigkeit frei mit den Intervallen.
Mit den Tönen d, g und fis kommt in Ziffer 4 ein neues Material dazu und auch
die Struktur verdichtet sich zunehmend, sodass ab Ziffer 6 sogar fast arpeggioähnliche Akkordzerlegungen sozusagen die großen Sprünge vom Anfang auffüllen. Auch die Notenwerte werden immer kleiner und nach Ziffer 5, wo das
Tempo auf Viertel = 72 erhöht wird, werden auch die Töne b und dis (bzw.
später auch als es) ins Spiel gebracht. Die unterschiedliche Bezeichnung als dis
oder es ist von Haas nicht beabsichtigt und ergibt sich nur aus der Transposition der Stimme für die Bassklarinette in B.
Dieser Anfangsteil endet vor Ziffer 9 mit einem offenen Schluss nach oben hin.
Insgesamt kommen die Intervalle Tritonus und Quint sehr häufig vor und interessanterweise wird der Ton a bis dahin komplett ausgespart. Die Meidung des
Tones a ist aber ein reiner Zufall, der sich aus den Akkordkombinationen ergibt.
In Ziffer 9 beginnt ein neuer geräuschhafter Teil mit perkussiven slaps, es
folgen nach ein paar Takten Einschübe einzelner Töne im dreifachen piano –
zuerst mit Flatterzunge, dann ordinario – und nach Ziffer 11 enden die slaps,
indem die Einschübe sozusagen erweitert werden. Hier wird auch erstmalig das
vorher gemiedene a verwendet.
Eine Passage mit „ausnotierten Tremoli“ folgt ab Ziffer 12, was im Prinzip auch
ein Spiel mit Intervallen bedeutet. Des Weiteren wird die Konzentration für
längere Zeit auf einen Ton wichtiger.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
17
Ab Studienziffer 13 verwendet Haas nach unten geführte Skalen, die sich durch
ständigen Wechsel von Schritten (enge Intervalle) und Sprüngen auszeichnen.
Hier wird die Anhäufung der Noten fortgesetzt, indem oft Tritoni mit Zwischentönen verdichtet werden. In den ersten beiden Takten in 14 wird z.B. auch ein
ähnliches Material wie schon zuvor in Ziffer 6 benutzt.
Etwas ganz Neues entsteht dann in Ziffer 15, indem nach einem im dreifachen
piano lange ausgehaltenen dis ein artikulierter Rhythmus auf dem Ton gis quasi
die davor abfallenden Skalen ersetzt.
Nach einer kurzen Passage mit einigen schnellen Abweichtönen von gis gibt es
in Ziffer 17 die ersten Mikrotöne, die Erhöhungen oder Erniedrigungen vom zuvor kaum vorkommenden a – was ja nur Zufall ist – darstellen. Zwischen den
Mikrotonspielen kommen dann vorher nicht angekündigte hohe „Spitzentöne“,
die wieder in ein Intervallspiel ab Ziffer 19 münden.
Das rhythmische Spiel mit dem Ton gis wird in Ziffer 20 mit Anweisungen wie
„tonlos blasen“ oder slap erweitert, bis nach einem dynamisch ausgeformten h
und einem kurzen Intervallspiel eine Passage mit „Slap-Gettati“ folgt. Auch die
Dynamik wird immer wichtiger, indem Haltetöne eine Steigerung vom dreifachen piano ins dreifache forte erfahren.
Einen Takt vor Ziffer 25 gibt es einen Temposprung auf Presto (Viertel ist 160),
der sich in dynamisch und rhythmisch differenzierten liegenden Notenwerten
des Tones h aber nicht bemerkbar macht.
Nach einem Takt Intervallspiel, wo auch das Tempo in Viertel = 72 geändert
wird, folgt in Ziffer 27 ein Teil im unteren Dynamikbereich mit vielen Vorschlägen, die wie Verzierungen im Barock wirken. Die Ausfüllung mit Tönen –
hauptsächlich im großen und kleinen Sekundabstand – der Zwischenräume
wird hier noch gesteigert. Die aus drei bis fünf Tönen bestehenden Vorschläge
sind zur Mitte symmetrisch. Man könnte sagen, dass die Verdichtung des
Materials ins Extreme geführt wird, auch dadurch, dass das ganze Register des
Instruments durchlaufen wird. Dieser Teil endet schließlich mit dem tiefsten Ton
der Bassklarinette, der noch drei Mal ins mezzoforte aufblüht und wieder
zurückgeht.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
18
Die beiden Takte nach Ziffer 32 würde ich als „Überbleibsel“ des Intervallspiels
bezeichnen, das mit ritardando molto und Fermate in hoher Lage offen bleibt.
Nach einer Generalpause beruhigt sich das Stück in Ziffer 33 wieder mit drei
ausgehaltenen Tönen g, die vom vierfachen piano ins einfache piano und
wieder zurück geführt werden, und die auch jeweils von Fermaten-Pausen
unterbrochen werden.
Nach dem dritten g wird wieder neu aufgebaut, was in Ziffer 38 zu schnellen
Mikroton-Umspielungen führt.
Darauf folgen Vierteltonskalen im Tritonus-Abstand, womit die Räume noch
enger werden. Die großen Intervalle vom Beginn des Stückes finden quasi mit
Vierteltonskalen ihre höchste Verdichtung.
Das „Finale“ beginnt in Ziffer 46 mit dem Intervallspiel im dreifachen forte und
der zusätzlichen Anweisung „jeder Ton mit voller Kraft“. Ab Ziffer 50 beruhigt
sich das wieder ein wenig in liegenden Tönen, die aber immer wieder vom
mezzoforte ins forte gesteigert werden, bis in Ziffer 52 noch einmal ein „SlapTeil“ kommt und danach eine Art Coda, die in ähnlicher Charakteristik wie am
Anfang den Bogen des Stücks schließt.
Insgesamt kann man zum Stück sagen, dass hier in jedem Teil ein neuer Aspekt Wichtigkeit erlangt.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
19
Zusammenfassung
Das faszinierende an der Musik von Georg Friedrich Haas ist, dass immer der
Klang im Mittelpunkt steht. Dieser Umstand beginnt meiner Meinung nach mit
dieser Werkgruppe.
Der Komplex „… Einklang freier Wesen …“ und „… aus freier Lust … verbunden …“ bildet meines Wissens generell das einzige Werk, das nach dem Prinzip aufgebaut ist, dass jede Einzelstimme einer Partitur auch ein eigenes Solostück darstellt.
Obwohl Haas nach eigenen Aussagen mit dem Stück nicht mehr zufrieden ist,
da er formal zu eingeschränkt gewesen sei, finde ich das Werk in sich sehr faszinierend.
Georg Friedrich Haas plant auch ein neues Stück nach diesem Konzept zu
komponieren, jedoch mit der Erweiterung, dass die SpielerInnen in der Gesamtaufführung des großen Ensembles räumlich versetzt sind, sodass jede Person
im Publikum während des Stückes frei entscheiden kann, ob er oder sie eher
den Gesamtklang, eine Instrumentengruppe oder einen einzelnen Solopart
hören möchte. Diese Vorgaben stellen jedoch ein äußerst kompliziertes Unterfangen dar, wodurch Haas meint, er könne „frühestens im Jahr 2022“ ein solches Werk schreiben.
Arnold Plankensteiner
2015
„… aus freier Lust … verbunden …“
20
Literaturverzeichnis
ENDER, Daniel: Der Wert des Schöpferischen. Der Erste Bank Kompositionsauftrag 1989 – 2007. Achtzehn Porträtskizzen und ein Essay, o.O. [Wien]:
Sonderzahl 2007.
FARTHOFER, Lisa: Georg Friedrich Haas: „Im Klang denken“, Saarbrücken:
PFAU-Verlag 2007.
FINSCHER, Ludwig (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine
Enzyklopädie der Musik, 2., neubearbeitete Ausgabe, Kassel u.a.:
Bärenreiter 2004.
HAAS, Georg F.: Mikrotonalitäten, in: Österreichische Musikzeitschrift 65/Nr. 6
(1999).
HIEKEL, Jörn P. (Hg.): Veröffentlichungen des Instituts für Neue Musik und
Musikerziehung Darmstadt, Bd. 47: Orientierungen. Wege im Pluralismus
der Gegenwartsmusik, Mainz u.a.: Schott 2007.
Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique (IRCAM) [online
verfügbar: http://brahms.ircam.fr, 01.05.2015].
musikprotokoll im steirischen herbst [online verfügbar:
http://musikprotokoll.orf.at, 01.05.2015].
SCHAUFLER, Wolfgang: Trügerische Spiralen. Zur Musik von Georg Friedrich
Haas, in: Musikblätter 5 (2013).
TRAMSEN, Eckhard (Hg.): Musik und Metaphysik, Hofheim: Wolke 2004.
Universal Edition [online verfügbar: http://www.universaledition.com,
01.05.2015].
Wikipedia: Die freie Enzyklopädie [online verfügbar: http://de.wikipedia.org,
01.05.2015].
Arnold Plankensteiner
2015
Herunterladen