Viren, Bakterien und Parasiten als Karzinogene

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SONDERREPORT
Viren, Bakterien und
Parasiten als Karzinogene
Neben den Papillomaviren stehen viele weitere Viren sowie Bakterien und Parasiten unter dem
Verdacht, direkt oder indirekt krebserregend zu sein. Impfungen gegen Hepatitis B und HPV gelten vielen als «Krebsprophylaxe», doch neue Vakzinen scheinen noch auf sich warten zu lassen.
s gibt eine lange Liste von Viren, Bakterien und Mikroorganismen, die mit Krebs assoziiert sind (Tabelle) und weitere verdächtige Kandidaten, doch ist
der Ursache-Wirkungs-Mechanismus in vielen Fällen noch
unklar. So kennt man bis heute kein infektiöses Agens,
das unmittelbar krebserregend ist, einen Tumor also
durch die Infektion akut auslösen könnte. Vielmehr sind
mit Tumoren assoziierte Erreger in der Bevölkerung weitverbreitet, aber nur bei sehr wenigen entwickelt sich tatsächlich das entsprechende Karzinom. Mit Ausnahme seltener Erkrankungen, wie etwa dem Purtilo-Syndrom
(X-linked lymphoproliferative syndrome), vergehen in der
Regel Jahrzehnte zwischen der Erstinfektion und dem Ausbruch des Tumors, sodass der Ursache-Wirkungs-Nachweis
sehr schwierig sei, sagte Professor Lutz Gissmann vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg am ECCMID in
Wien.
E
Direkte und indirekte Karzinogene
Als direkte Karzinogene gelten Viren, die mithilfe bestimmter Gene die Transformation einer normalen zu einer
Tumorzelle bewirken und diese in ihrem malignen Status
halten können. So werden virale Onkogene in das Genom
der Zelle geschmuggelt (High-Risk-HPV, EVB, HHV-8, HTLV1, Merkelzell-Polyomavirus), die Viren bedienen sich aktivierter zelleigener Onkogene (Rous-Sarkom-Virus), sie aktivieren zelleigene Onkogene und schalten gleichzeitig
Tumorsuppressorgene ab (bei Tieren nachgewiesen) oder
sie bauen sich gleich komplett ins Wirtsgenom ein und
werden so selbst zum Onkogen (Retroviren, bei Tieren
nachgewiesen).
Infektiöse Erreger, die als indirekte Karzinogene gelten,
schädigen ihren Wirt auf verschiedene Weise und bereiten
so den Boden für ein Tumorwachstum. Dazu gehören Immunsuppression (HIV), chronische Entzündung (HepatitisB- und -C-Virus, Helicobacter pylori, Parasiten), die Blockade des normalen Zelltods (einige HPV-Typen) sowie
die Induktion chromosomaler Instabilität und genetischer
Translokationen (bei Tieren nachgewiesen: Adenoviren,
Herpesviren, endogene Retroviren).
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Infektiologie
Die WHO schätzt, dass gut 18 Prozent aller Tumoren mit
den «grossen 4» in Zusammenhang stehen: Epstein-BarrVirus (EBV), humane Papillomaviren (HPV), Hepatitis-Bund -C-Virus (HBV/HCV) sowie Helicobacter pylori. Die
Häufigkeit der damit assoziierten Tumoren ist bei Frauen
und Männern unterschiedlich. Während bei den Frauen
HPV mit über 50 Prozent der grösste infektiöse Krebsrisikofaktor ist, führt bei den Männern Helicobacter pylori mit
47 Prozent.
Impfungen als Krebsprävention
Die Impfung gegen Hepatitis B (HBV) war die erste, welche gleichzeitig vor (Leber-)Krebs schützen konnte. Bei
etwa 5 Prozent der HBV-Infizierten kommt es zur Chronifizierung, die mit einem erhöhten Leberkrebsrisiko einhergeht; bei 1 von 100 Personen mit chronischer Hepatitis B
entwickelt sich innert eines Jahres ein hepatozelluläres
Karzinom. Ursprünglich dafür gedacht, die akuten Folgen
einer Hepatitis B zu verhindern, wurde die Impfung auch
als Krebsprävention in Ländern eingesetzt, die eine hohe
Rate chronischer Hepatitis aufwiesen, wie beispielsweise
in Taiwan, sagte Gissmann. 20 Jahre nach der Einführung
der Impfung sei dort nun eine vierfach niedrigere Inzidenz
der (seltenen) juvenilen hepatozellulären Karzinome zu
verzeichnen und eine um das Zehnfache geringere Rate
Mit der HPV-Impfung für junge Mädchen erhofft man sich letztlich
einen Rückgang der Zervixkarzinome (Foto: CDC/Judy Schmidt).
SONDERREPORT
Tabelle:
Infektiöse Erreger, die mit Tumoren
assoziiert sind
Viren
Epstein-Barr-Virus:
B-Zell-Lymphome, Burkitt-Lymphom,
nasopharyngeale Karzinome, Morbus
Hodgkin (20–30%), Magenkrebs (10%),
bestimmte T-Zell-Lymphome
Humanes
Kaposi-Sarkom, Lymphome der
Herpesvirus Typ 8:
Körperhöhle
High-Risk-HPV
Zervixkarzinom und andere anogenitale
(16, 18 u. a. ):
Tumoren, oropharyngeale Tumoren
(25–30%)
EV-assoziierte
einige squamöse Hauttumoren
HPV-Typen
(Epidermodysplasia
verruciformis):
MC-Polyomavirus:
Merkelzell-Karzinom
Hepatitis B:
hepatozelluläres Karzinom
Hepatitis C:
hepatozelluläres Karzinom
Nichts in der Pipeline?
Retroviren
HTLV-1:
T-Zell-Leukämie bei Erwachsenen
HIV-1/-2:
aktivieren andere Tumorviren durch
Immunsuppression
Bakterien
Helicobacter pylori:
Magenkrebs, Magenlymphome
Parasiten
Schistosoma
einigen der HPV-Typen gezeigt, die nicht in dem Vakzin
enthalten sind, fügte er hinzu.
Da zwischen HPV-Infektion und Zervixkarzinom bekanntermassen eine lange Latenzzeit liegt, wird es aber noch
viele Jahre dauern, bis klinische Aussagen zu einem allfälligen Rückgang der Zervixkarzinominzidenz möglich sein werden. Gissmann ging an diesem Punkt auch auf
Kritiker ein, die einen klinischen Beweis
der Wirksamkeit (= weniger Zervixkarzinome) vor der Einführung der HPV-Impfung gefordert hatten. Eine klassische
plazebokontrollierte Studie mit dem
Endpunkt Zervixkarzinom sei schlicht
unmöglich, so Gissmann, denn «das
würde bedeuten, die Frauen solange im
Lutz Gissmann
Follow-up zu haben, bis sie ein Zervixkarzinom bekommen. Das ist ganz offensichtlich nicht möglich, denn diese Frauen müssen behandelt werden, sobald sie Präkanzerosen entwickeln!»
Blasenkrebs
haematobium:
Opisthorchis viverinni Cholangiokarzinome, Leberkrebs
und felineus,
Clonorchis sinensis
(verschiedene
Leberegel)
Quelle: Vortrag von Lutz Gissmann am ECCMID in Wien, 12. April 2010
chronischer Infektionen. Man dürfe darum hoffen, dass
man in etwa 20 Jahren auch einen deutlichen Rückgang
der hepatozellulären Karzinome bei Erwachsenen sehen
werde.
Die HPV-Impfung wurde von Anfang an als «Krebsschutzimpfung» konzipiert. In den Zulassungsstudien erhielten
mehr als 40 000 Mädchen und junge Frauen einen bi(HPV 16/18) oder quadrivalenten (HPV 6/11/16/18) Impfstoff. Die Impfung habe sich als gut verträglich erwiesen
und eine anhaltende Bildung HPV-neutralisierender Antikörper bewirkt, sagte Gissmann. Bei HPV-naiven Personen
erreiche man mit der Impfung einen annähernd 100-prozentigen Schutz vor hochgradigen Zervixdysplasien und
vor einer persistierenden Infektion mit den genannten
HPV-Typen. Erstaunlicherweise habe sich in den Studien
darüber hinaus eine gewisse Kreuzreaktivität gegenüber
Mit der absehbaren Einführung neuer Impfungen rechnet
Lutz Gissmann trotz der beeindruckenden Liste potenziell
kanzerogener Erreger nicht. «Die einfachen Sachen sind
gemacht, was jetzt kommt, ist viel komplizierter», verriet
er ARS MEDICI am Kongress in Wien. Er rechnet für die Zukunft zwar mit weiteren Generationen von HPV-Vakzinen
im Zusammenhang mit dem Zervixkarzinom, sieht für die
Entwicklung anderer Vakzinen, aber eher schwarz: «Wir
als Wissenschaftler können das für noch so interessant
halten, aber um eine Firma zu überzeugen braucht es
mehr.» Beispielsweise würden er und sein Team gern ein
neues HPV-Vakzine gegen Hautwarzen für immunsupprimierte Patienten entwickeln, fänden dafür aber keinen
Sponsor. Gerade grössere Firmen scheinen nicht daran interessiert, einen neuen Impfstoff von Anfang an zu entwickeln. Doch Gissmann hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben: «Vielleicht macht es ja eine kleinere Firma – und
die wird dann später von einer grossen deswegen gekauft», meinte er schmunzelnd.
Renate Bonifer
Keynote lecture von Lutz Gissmann: Microorganisms as human carcinogens: a list without an end. ECCMID Wien, 12. April 2010.
Infektiologie
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