Grundlagen der Genetik und der Gentechnik

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aktuell | ernährungslehre & -praxis
Nr. 9
September 2008
Im dritten Teil der Reihe zur Genetik und Gentechnik werden die
molekularen Mechanismen der Proteinsynthese (= Genexpression)
auf dem Weg vom Genpool zum funktionstüchtigen Organismus
erläutert. Transkription und Translation sind dabei die zentralen
zellulären Vorgänge, jedoch werden die jeweiligen Primärprodukte
– RNA bzw. Proteine – auf vielfältige Weise weiter verändert
(„prozessiert“), bevor sie ihre zelluläre Funktion erfüllen können.
●
Dr. Patricia
Falkenburg
Weidenweg 3
50259 Pulheim
Grundlagen der Genetik
und der Gentechnik
Teil 3: Vom Gen zum Organismus – Genexpression
●
Zur Einführung erinnern wir uns an
das Glossar im zweiten Kapitel: „Das
Genom eines Organismus ist die Gesamtheit seiner Erbinformation. Es
umfasst sämtliche Gene dieses Organismus. Biochemisch handelt es sich
um die DNA ...“ – „Das Genom ist organisiert auf Chromosomen. … Auf
einem Chromosom sind viele Gene lokalisiert.“ – „Gene enthalten die Syntheseanleitung für Proteine.“
Außerdem wurde bereits besprochen,
dass lebende Zellen zu einem großen
Teil aus Proteinen bestehen und dass
Proteine als Biokatalysatoren (Enzyme) sämtliche biochemischen Reaktionen des Organismus steuern. Vereinfachend kann man also sagen, dass
die gesamte Biochemie lebender Organismen auf der Funktion der Proteine beruht. Wie wird nun die in
Form von DNA (bzw. RNA) gespeicherte Erbinformation in Proteine
übersetzt und wie wird dieser Prozess
reguliert und gesteuert?
Es gibt Gene, die praktisch immer transkribiert und exprimiert werden: die
sog. Haushaltsgene (housekeeping genes).
Sie unterliegen keinen Regulationsmechanismen, man spricht auch von
konstitutiv exprimierten Genen. Unabhängig von Zelltyp, Zellstadium und
äußeren Einflüssen müssen ihre Produkte in jeder Zelle ausreichend vorhanden sein. Dies betrifft typischer-
weise Gene, die mit dem Grundstoffwechsel von Zellen zusammenhängen,
z. B. mit dem Glukose-Stoffwechsel. Im
Regelfall aber werden bestimmte Proteine gezielt zu bestimmten Zeiten von
bestimmten Zellen bzw. in bestimmten
Stoffwechselsituationen produziert.
Bevor im nächsten Teil dieser Reihe
diese Regulationsmechanismen anhand einiger Beispiele detaillierter betrachtet werden, ist es wichtig die
grundlegenden Prozesse der zellbiologischen Proteinsynthese zu verstehen.
Von der DNA zur RNA:
die Transkription
Die Transkription ist das zielgerichtete
Kopieren eines bestimmten DNA-Abschnitts, bei der eine zu diesem DNAAbschnitt komplementäre RNA syn-
thetisiert wird, wobei – wie bei der Replikation der DNA – einer der beiden
Stränge der Doppelhelix als Matrize
dient. Grundlage dieses Vorgangs ist –
wie bei der DNA-Synthese – die Basenpaarung komplementärer Nucleotide.
Abermals werden spezifische Enzyme
benötigt, die RNA-Polymerasen, die
die Reaktionen katalysieren.
Auch bei der Transkription unterscheidet man drei Phasen, Initiation,
Elongation und Termination. Allerdings dient nicht der gesamte DNAStrang als Matrize, sondern nur ein
ganz bestimmter Abschnitt. Woher
„wissen“ nun die beteiligten Enzyme,
wo ein Gen anfängt und wo es aufhört?
Die benötigten Informationen finden
sich auf der DNA selbst, in ihrer Sequenz, in Form spezifischer, regulativ
wirkender Elemente, die von Protei-
Sinn und Antisinn
Der kodogene DNA-Strang ist die Matrize für die RNA-Synthese. Er wird auch
als antisense-Strang bezeichnet (engl. sense = Sinn), weil seine Sequenz zur
Sequenz der entstehenden mRNA komplementär ist.
Dementsprechend ist der nichtkodogene Strand der sense-Strang: seine Sequenz stimmt mit der Sequenz der mRNA überein.
Eine RNA, deren Sequenz komplementär zur Sequenz des nichtkodogenen
Strangs – und damit identisch mit der Sequenz des kodogenen Strangs – ist,
ist eine antisense-RNA. Sie kann mit dem mRNA-Produkt des kodogenen
Strangs Basenpaarungen eingehen, weil sie zu dieser komplementär ist. Dieser Effekt kann z. B. für gentechnische Zwecke genutzt werden!
Ernährungs Umschau | 9/08
B33
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a) a l s de r bä r aus dem bau k am l ag t au au f dem heu
b) a l s de r bä r aus dem bau k am l ag
c) l s d e r b ä r a us d emb auk aml ag t aua u f d emh eu
Abb. 1: Bedeutung der Tripletts des genetischen Codes am Beispiel eines Satzes aus
Drei-Buchstaben-Wörtern: a) Vollständige Information; b) vorzeitige/r Abbruch/
Termination, es entsteht ein unvollständiges Produkt; c) Verschiebung des Leserasters bei Wegfall der ersten „Base“ – die Information geht komplett verloren.
nen erkannt werden, die die Transkription ermöglichen (Aktivatoren) oder
gegebenenfalls auch verhindern (Inhibitoren). So beginnt die Transkription
stets an einem sog. Promotor, der als essenzieller Bestandteil der kodierenden
Sequenz „stromaufwärts“ (upstream)
vom zu transkribierenden Bereich liegt,
also am 5’-Ende. Zusätzlich können
räumlich weiter entfernte Sequenzen
aktivierend (Enhancer) oder inhibierend (Silencer) auf die Genexpression
wirken.
Die RNA wird in 5’씮3’-Richtung synthetisiert, die Ableserichtung ist dementsprechend umgekehrt, von 3’ nach
5’. Die fertig transkribierten RNA-Moleküle werden in den meisten Fällen
weiter prozessiert: z. B. durch Anhängen einer repetitiven Sequenz aus Adenosin-Nucleotiden (Poly[A]-Schwanz).
Diese Prozessierung ist bei Eukaryonten
1. Base
U
ein hochkomplexer Prozess. Dem sog.
Spleißen werden wir uns weiter unten
nochmals zuwenden. Auch ribosomale
und transfer-RNA werden in unterschiedlicher Weise „nachbehandelt“,
bevor sie einsatzbereit sind.
Die RNA-Typen, die im Rahmen der
Transkription erzeugt werden, spielen
alle eine Rolle in der Translation.
Die ribosomale RNA (rRNA)ist wesentlicher struktureller und funktioneller
Bestandteil der Ribosomen, der Enzymkomplexe, an denen die Translation abläuft.
Die transfer-RNA (tRNA) dient der
Übersetzung des „Vier-BuchstabenAlphabets“ der Nucleinsäuren in das
„20-Buchstaben-Alphabet“ der Proteine.
Und die messenger-RNA (mRNA)enthält die Bauanleitung für die zu synthetisierenden Proteine.
3. Base
2. Base
U
C
A
G
Phe
Ser
Tyr
Cys
U
C
Stopp
Leu
C
Leu
Pro
His
Stopp
A
Trp
G
Arg
U
C
Gln
A
G
A
Ile
Thr
Asn
Ser
U
C
Lys
Arg
Start/Met
G
Val
A
G
Ala
Asp
Gly
U
C
Glu
A
G
Tab.1: Der genetische Code
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Ernährungs Umschau | 9/08
Von der RNA
zum Protein:
die Translation
„Translation“ bedeutet „Übersetzung“:
Nucleinsäuren werden in Proteine „übersetzt“, indem durch
nur vier unterschiedliche Nucleotide 20
Aminosäuren definiert werden. Dies
geschieht mit Hilfe
des genetischen Codes: Jeweils drei aufeinander folgende
Basen (sog. Tripletts
bzw. Codons) auf der
mRNA definieren
eine
Aminosäure
(쏆 Abbildung 1).
Dieser
genetische
Code gilt nahezu
universell: Alle Bakterien ebenso wie
alle höheren Organismen – Pilze, Pflanzen und Tiere – benutzen ein identisches Übersetzungsalphabet und dies
gilt auch für die Bakteriophagen und
Viren, die ja die Proteinsynthesemaschinerie ihrer Wirtszellen nutzen.
Aus diesem Grund können über gentechnische Methoden fremde Gene in
einem Wirtsorganismus zur korrekten
Expression gebracht werden. Niemals
könnte menschliches Insulin von Bakterienzellen produziert werden, würden
Mensch und Mikrobe nicht die gleiche
„Translationssprache“ nutzen.
Zugleich ist dieser universelle genetische
Code ein wichtiges Indiz für die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen
von einem „Ur-Organismus“ im Verlauf
der Evolution.
Man bezeichnet den genetischen Code
als degeneriert, weil die meisten Aminosäuren von mehreren Tripletts kodiert
werden (쏆 Tabelle 1). Dabei bestimmen
i. d. R. die ersten beiden Basen die Aminosäure, an der dritten Position ist dagegen Variabilität möglich (dies bezeichnet man als „wobbeln“ nach dem
englischen Begriff „to wobble“, „wackeln“). Eine Sonderstellung nehmen
die Codons UAA, UAG und UGA ein,
die nicht für Aminosäuren kodieren,
sondern vielmehr als sog. StoppCodons das Ende der Translation signalisieren. Das Codon AUG, das für
Methionin kodiert, fungiert zugleich als
Start-Codon für die Translation. Betrachtet man das „Übersetzungsraster“
des genetischen Codes, so wird leicht
verständlich, dass der Austausch eines
einzigen Nucleotids in der DNA gravierende Folgen für den Organismus
haben kann: eine hypothetische Mutation, bei der das Codon UAU in das
Codon UAA umgewandelt wird, wird
dazu führen, dass die Proteinsynthese
an dieser Stelle abbricht, statt für den
Einbau von Tryptophan zu kodieren. Es
wird kein funktionstüchtiges Protein
mehr gebildet werden mit den entsprechenden unter Umständen katastrophalen Folgen für den Organismus
(vgl. 쏆 Abbildung 1).
Für die Übersetzung des Basen-TriplettCodes in die zugehörigen Aminosäuren
wird die bereits erwähnte transfer-RNA
benötigt. tRNAs sind hoch strukturierte
kleine Moleküle mit einer charakteristischen Sekundär- (Kleeblatt) und Ter-
5´
C
Transkription bei Prokaryonten
CA
3´
Anticodon
Abb. 2: Die tRNA bildet aufgrund einer ausgeprägten intramolekularen Basenpaarung eine typische komplexe Sekundärund Tertiärstruktur (vgl. Text).
tiärstruktur (L-Form, 쏆 Abbildung 2). Das 3’Ende des tRNA-Moleküls bleibt einzelsträngig. Es endet in der Basenfolge CCA, an die
durch die sog. Aminoacyl-tRNA-Synthetasen
spezifisch die zugehörige Aminosäure gebunden wird. Am räumlich gesehen anderen
„Ende“ des Moleküls befindet sich eine charakteristische Sequenz von sieben Aminosäuren mit dem sog. Anticodon in der Mitte. Das
Anticodon ist komplementär zu dem Triplett,
das für die Aminosäure dieser tRNA kodiert.
Eine tRNA, die die Übersetzung des Tripletts
UGG ermöglicht, hat also die Anticodonsequenz ACC und die Aminoacyl-tRNASynthetase wird an ihr CCA-Ende Tryptophan anheften.
Auch bei der Translation werden Initiations-,
Elongations- und Terminationsphase unterschieden. Alle diese Prozesse laufen an und
mithilfe der Ribosomen ab. Diese Aggregate
aus unterschiedlichen Proteinen und RNA
katalysieren die vielschichtigen Schritte der
Proteinbiosynthese – Tripletterkennung, Bindung der jeweiligen tRNA, Knüpfen der Peptidbindung zwischen Kettenende des entstehenden Proteins und neu hinzugekommener
Aminosäure an der tRNA, Freisetzen der
tRNA usw. Mehrere Ribosomen können
gleichzeitig an eine mRNA binden und an
dieser entlang wandern. So entstehen hochmolekulare sog. Polysomenkomplexe, die
frei im Zytoplasma vorliegen oder membranassoziiert sein können (raues endoplasmatisches Retikulum). Zur detaillierteren Betrachtung der Vorgänge an den Ribosomen
sei auf entsprechende Lehrwerke verwiesen.
Der Informationsfluss von der DNA über die
Prokaryontische Promotoren bestehen aus unterschiedlichen Elementen, für die spezifische Konsensussequenzen (DNA-Sequenzen, die bei
den meisten Promotoren vorkommen) definiert werden können und die
von Abschnitten mit größerer Variabilität unterbrochen werden. Bestimmte Elemente kommen bei nahezu allen Promotoren vor, z. B. die
– nach ihrer typischen Sequenz – so genannte TATA-Box. Je besser die
Sequenz des Promotors mit der Konsensussequenz übereinstimmt,
umso stärker wirkt er, d. h. umso besser bindet das Protein, das die Initiation der Transkription bewirkt, an diesen DNA-Abschnitt.
Bei den Prokaryonten wird die Transkription durch Bindung einer Untereinheit der RNA-Polymerase – des σ-Faktors – an den Promotor intiiert.
Die RNA-Polymerase der Bakterien, die aus mehreren Untereinheiten
besteht, ist ein echter Alleskönner: der σ-Faktor erkennt und bindet an
den Promotor, eine weitere Untereinheit sorgt dann für die Entspiralisierung der DNA in diesem Bereich und wieder andere Untereinheiten
katalysieren in den folgenden Schritten die RNA-Synthese. Nur eine
RNA-Polymerase synthetisiert alle RNA-Typen: mRNA, die rRNA und
tRNA.
Bei Prokaryonten existieren zwei unterschiedliche Mechanismen der Termination der Transkription: am einfachsten ist die Termination mittels
eines Sequenzelements am Ende des kodierenden Bereichs, das zu sich
selbst komplementär ist und damit eine Basenpaarung innerhalb eines
DNA-Strangs in Form einer „Haarnadelstruktur“ erlaubt. Erreicht die
RNA-Polymerase diesen Bereich, wird sie gestoppt und fällt von der DNA
ab. Eine andere Form der Termination ist proteinabhängig.
Transkription bei Eukaryonten
Diese verläuft komplizierter: Es ist bereits schwieriger, eukaryontische
Promotoren klar zu definieren. Zwar gibt es auch hier Elemente wie die
TATA-Box, weitere Konsensus-Sequenzen sind aber kaum zu definieren.
Im menschlichen Genom hat man bislang ca. 775 verschiedene Promotorsequenzen identifizieren können! Dem entsprechend kann man die
„Stärke“ oder „Schwäche“ eines Promotors auch nicht so leicht anhand
seiner Sequenz vorhersagen. Zahlreicher als bei Prokaryonten sind ferner Enhancer- und Silencer-Sequenzen, die die Transkription durch Bindung von Aktivatoren oder Inhibitoren steuern und die auch in größerem
Abstand von den betroffenen Genen lokalisiert sein können.
Der entscheidende Schritt für die Initiation der Transkription ist die Bindung sog. Transkriptionsfaktoren an den Promotor. Mehrere verschiedene Proteine, die teils unmittelbar an die DNA, teils aber auch an die
anderen Proteine binden, bilden zusammen einen sog. Initiationskomplex. Seine Aufgabe ist es, das Chromatin an der Stelle der Transkription ausreichend aufzulockern – bei Eukaryonten kann die Häufigkeit der
Expression eines Gens auch durch die Verpackung der DNA bestimmt
werden! – und die Doppelhelix aufzuwinden. An diesen Initiationskomplex
bindet dann eine RNA-Polymerase und die Elongationsphase beginnt.
Bei Eukaryonten gibt es drei spezialisierte RNA-Polymerasen: die RNAPolymerase I synthetisiert rRNA, die RNA-Polymerase II mRNA und einige kleinere RNA-Spezies, die RNA-Polymerase III tRNA und snRNA
(small nuclear RNA, die regulative Eigenschaften hat). Unterschiedliche
Terminationsmechanismen beenden die Transkription der drei verschiedenen eukaryontischen RNA-Polymerasen – insgesamt ist die Termination der Transkription aber bei den Eukaryonten in ihren Details
noch weniger verstanden als bei Prokaryonten.
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DNA
5´
3´
TGC AGC T C CGGAC T C CAT
ACG T CGAGG C CT GAGG TA
3´
5´
Transkription
mRNA
5´
3´
UG C A G CUC CGG AC UC C AU
G AG
AC
C
tRNA
Leu
Gly
Anticodon
Translation
Ser Ser Cys
Peptidkette/Protein
Abb. 3: Von der DNA zum Protein: Im Zuge der
Translation wird von einem proteinkodierenden Gen anhand der Paarung komplementärer Basen eine mRNA erzeugt, die
dann in der Translation als Matrize für die
Synthese des entsprechenden Proteins
dient. Dabei werden Basentripletts der
mRNA von spezifischen tRNA-Molekülen
erkannt, die die zugehörigen Aminosäuren gebunden haben und deren Einbau in
die wachsende Proteinkette ermöglichen.
RNA zum Protein im Ganzen ist schematisch in 쏆 Abbildung 3 gezeigt. Bei
Prokaryonten laufen Transkription und
Translation meist paralell ab, d. h. Ribosomen binden bereits an die entstehende mRNA und die Translation beginnt, bevor die Transkription
abgeschlossen ist. Dies ist bei Eukaryonten allein aufgrund der räumlichen
Trennung zwischen Zellkern, der die
DNA enthält, und Zytoplasma, in dem
die Ribosomen lokalisiert sind, unmöglich. Hier muss die neu synthetisierte
RNA zunächst in einem zielgerichteten
Prozess aus dem Zellkern ausgeschleust
werden.
Ein Gen – ein Protein?
Bei Bakterien werden die Gene für die
rRNA zusammenhängend transkribiert,
wobei die eigentlichen rRNA-Sequenzen von sog. Spacern unterbrochen
sind. Diese nicht zur rRNA gehörenden
Abschnitte werden bereits während der
Transkription entfernt. Die prokaryontische mRNA wird nach der Transkription wie bereits erwähnt polyadenyliert,
steht dann aber unmittelbar der Translation zur Verfügung: eine bestimmte
mRNA kodiert für ein bestimmtes Gen.
Lange Zeit galt dies als Grundprinzip
der Molekularbiologie, bis sich zeigte,
dass die Situation bei Eukaryonten erheblich komplexer ist: Hier werden die
kodierenden Bereiche eines Gens, die
Exons, unterbrochen von nicht-kodierenden Abschnitten, den Introns, wie
ein Vergleich der Sequenz der fertigen
Proteine mit den zugehörigen Genen
ergab. Die Introns werden nach der
Transkription in einem „Spleißen“ genannten Prozess aus dem Primärtranskript entfernt. Die Spleißstart- und Endpunkte sind wiederum durch die
Nucleinsäuresequenz definiert. Wesentliche Katalysatoren für den Spleißvorgang sind die sog. snRNAs (small nuclear RNA), weiterhin sind unterschiedliche Proteine daran beteiligt. Ohne
diesen Vorgang im Einzelnen zu betrachten: durch diesen Mechanismus
ergeben sich vielschichtige Möglichkeiten, um von ein und derselben DNA-Sequenz durch alternatives Spleißen unterschiedliche mRNAs und damit
unterschiedliche Proteinprodukte zu
erzeugen.
Differenzielles Spleißen findet bei
einer großen Zahl von Genen statt.
Ein Beispiel sind Gene für Ionenkanäle wie den Serotoninrezeptor 2C
von Primaten, der eine wichtige
Rolle in der Membranfunktion z. B.
von Nervenzellen spielt. Alternatives
Spleißen ermöglicht hier Adaptationsvorgänge in Bezug auf motorische Fähigkeiten und höhere kognitive Leistungen (s. z. B. KISHORE u.
STAMM: Science [2005] 311:230–
232). Auch in den Genen für Proteine des sog, Histokompatibilitätskomplexes (diese sind als Marker auf
der Zelloberfläche wesentlich für die
eigene Gewebeerkennung des Organismus) spielt alternatives Spleißen
eine wichtige Rolle. Die genetische
Komplexität bei Eukaryonten erhöht
sich durch diese Modifikationsmöglichkeiten enorm: Eine menschliche
Zelle enthält ca. 33 000 Gene, von
denen aber 500 000 bis 1 000 000 unterschiedliche Proteine hergestellt
werden können, jeweils in Abhängigkeit vom aktuellen zellulären Bedarf.
Der noch relativ junge Forschungszweig
der Molekularbiologie, der die zu
einem bestimmten Zeitpunkt gegebene
Proteinausstattung der Zellen – das Proteom – detailliert untersucht, etwa um
daraus Hinweise auf bestimmte Krankheitsprozesse zu gewinnen, wird als Proteomik bezeichnet.
Noch mehr Komplexität:
Proteinprozessierung
Damit nicht genug: nach der eigentlichen Translation werden auch die Proteinprodukte auf vielfältige Weise weiter prozessiert. Generelle Vorgänge
sind das Abspalten des N-terminalen
Formylrests bei Bakterien, gegebenenfalls auch des N-terminalen Methionins.
Somit beginnen durchaus nicht alle reifen Proteine mit Methionin, wie durch
das Startcodon vorgegeben. Im Weiteren sind aber diverse biochemische Modifikationen bestimmter Aminosäuren
möglich, die für die spätere Funktion
des Proteins von entscheidender Bedeutung sind. Hierzu zählen u. a. Phosphorylierung durch Proteinkinasen,
Hydroxylierung von Prolin- oder Lysinresten, Glykosylierungen, also das Anheften von Zuckerresten/oder das gezielte Knüpfen von Disulfidbrücken
zwischen Cystein-Resten.
Bereits im ersten Teil dieser Reihe
wurde die komplexe räumliche Struktur der Proteine besprochen, die für
deren korrekte Funktion unerlässlich
ist. Schon während der Translation binden sog. „Chaperone“ (engl. „Anstandsdamen“) an die wachsenden Polypeptidketten und sorgen für eine
korrekte Faltung. Welch dramatische
Folgen eine Fehlfaltung von Proteinen
haben kann, zeigen krankheitsauslösende Proteinaggregate, die entstehen,
wenn sich falsch gefaltete Proteine zu
unlöslichen Aggregaten zusammenballen, die dann die Zellen irreversibel
schädigen. Beispiele sind die Plaque-bildenen Proteine bei der Alzheimer Demenz, aber auch fehlerhafte Parkin-Proteine bei der Parkinsonkrankheit.
Der nächste Beitrag beschäftigt sich u. a. mit
der Frage, wie z. B. die Gene für die Hormone
der Hunger-Sättigungsregulation zur rechten Zeit ein- bzw. ausgeschaltet werden.
„Ernährungslehre und -praxis“, ein Bestandteil der „Ernährungs Umschau“. Verlag: UMSCHAU ZEITSCHRIFTENVERLAG Breidenstein GmbH, Sulzbach/Ts. Zusammenstellung und
Bearbeitung: Dr. Eva Leschik-Bonnet, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Dr. Udo Maid-Kohnert, mpm Fachmedien (verantwortlich).
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