Heinz Häfner SCHIZOPHRENIE Erkennen, Verstehen, Behandeln Abbildungen und Tabellen zum Hörbuch erschienen bei LAUSCH 2012 Weitere Hörbücher aus der Reihe WISSEN finden Sie unter: www.merlausch.de Originalausgabe des Buches © Verlag C.H.Beck oHG, München 2010 Satz, Druck u. Bindung: Druckerei C.H.Beck, Nördlingen www.beck.de 1 Tabelle 1: Symptome, die in die diagnostischen Kriterien für Schizophrenie (ICD-10: F20) eingehen1 1. Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug, -ausbreitung 2. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten bezüglich Körperbewegungen, Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen, Wahnwahrnehmungen 3. Kommentierende oder dialogische Stimmen, die über den Patienten und sein Verhalten sprechen, oder andere Stimmen, die aus einem Körperteil kommen 4. Anhaltender, kulturell unangemessener Wahn und völlig unrealistischer Wahn wie der, eine religiöse oder politische Persönlichkeit zu sein, übermenschliche Kräfte und Möglichkeiten zu besitzen, z. B. das Wetter kontrollieren zu können oder in Kontakt mit Außerirdischen zu stehen 5. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, begleitet entweder von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken, ohne deutliche affektive Beteiligung oder begleitet von anhaltenden überwertigen Ideen oder täglich für Wochen oder Monate auftretend 6. Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit, Danebenreden oder Neologismen führt 7. Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien oder wechselnde Biegsamkeit (Flexibilitas cerea), Negativismus, Mutismus und Stupor 8. «Negative» Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte (dies hat zumeist sozialen Rückzug und ein Nachlassen der sozialen Leistungsfähigkeit zur Folge. Es muss sicher- gestellt sein, dass diese Symptome nicht durch eine Depression oder eine neuroleptische Medikation verursacht werden) 1 Aus: Dilling H, Mombour W, Schmidt MH (Hrsg.) (1991). Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10 Kapitel V (F) Klinisch-diagnostische Leitlinien. Huber: Bern/Göttingen/Toronto, S. 96 f. 2 Tabelle 2: Leitsyndrome von Schizophrenie (die Symptome ersten Ranges, die nach K. Schneider (1950) allein die Diagnose einer Schizophrenie tragen können, sind grau unterlegt) Depression und Manie 1. Affektive Symptome Angst 2. Negative Symptome Verminderung von Gefühlsintensität und Initiative Verarmung an sozialen Beziehungen Verlangsamung oder Verarmung von Denken und Sprache 3. Positive Symptome  Halluzinationen aller Sinnesgebiete, vornehmlich jedoch akustische Symptom ersten Ranges Kommentierende Stimmen, Stimmen in Rede- und Gegenrede Wahn (vorwiegend paranoid: Beziehung, Verfolgung, Bedrohung) Symptom ersten Ranges 4. Kognitive Störungen  Beeinflussungswahn, Erlebnis des Gemachten (s. Ich-Störung) Verminderung der Aufmerksamkeit Konzentrationsstörungen Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses und anderer exekutiver Funktionen 5. Subjektive Denkstörungen Gedankenabreißen Symptom ersten Ranges Gedankenentzug Symptom ersten Ranges Gedankeneingebung Symptom ersten Ranges Gedankenausbreitung Symptom ersten Ranges Gedankenlautwerden 6. Objektive Denkstörungen Beeinträchtigung des vernünftigen Zusammenhangs in Denken und Sprache Danebenreden, Ideenflucht Zerfahrenheit 7. Ich-Störungen Desorganisation des Denkens, Erlebens und Verhaltens Symptom ersten Ranges Entmachtung des Ich-Bewusstseins (Erlebnis des «Gemachten», der Steuerung des Denkens und Erlebens von außen etc.) Überschneidungen mit positiven Symptomen und Denkstörungen 8. Katatone Symptome  Bewegungsarmut (Stupor), Sprachlosigkeit (Mutismus), flexible oder starre Muskelspannung, motorische Erregung etc. 3 Tabelle 3: ICD-10: F20–29: schizophrene, schizotype und wahnhafte Störungen sowie F31.2 und F31.5: bipolare affektive Störungen1 ICD-10Diagnose nummer Diagnose Erklärung F20 Schizophrenie Vollständig ausgebildete Form F21 Schizotype Störung Schwächere oder unvollständige Form F22 Anhaltende wahnhafte Störungen Begrenzt auf Wahndimension F23 Vorübergehende akute psychotische Störungen Kurzfristige, meist folgenlose Form F24 Induzierte wahnhafte Störung Teilhabe an der Psychose eines Partners F25 Schizoaffektive Störungen Zwischenform schizophren/ affektiv F28 Andere nichtorganische psychotische Störungen Restkategorie F29 Nicht näher bezeichnete nichtorganische Psychose Restkategorie F31.2 Manie mit psychotischen Symptomen F31.5 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen 1 Aus: Dilling H, Mombour W, Schmidt MH (Hrsg.) (1991). Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10 Kapitel V (F) Klinisch-diagnostische Leitlinien. Huber: Bern/Göttingen/Toronto, S. 96 f., S. 93 f. und 118 f. 4 Tabelle 4: Die ersten Zeichen einer schizophrenen Erkrankung nach Häufigkeit verglichen mit «gesunden» Kontrollpersonen aus der Erhebungsregion (Symptome mit Rangplatz 1–10 in einer der beiden Gruppen)1 Symptom SchizophrenieGesunde Kontrollen (Sz) (GK) Sz vs. GK % Rang% Rang Sorgen 19,2 45,4 7 ** Beschwerden, Schmerzen 10,3 –9,2 5 n. s. Nervosität, Unruhe 21,9 24,6 10,52*** Angst 23,2 16,9 6,5 *** Denken, Konzentration 17,1 5 3,9 – *** Depressive Verstimmung 20,6 3 21,5 1 n. s. Mangelndes Selbstvertrauen 11,9 8 10,1 4 n. s. Sozialer Rückzug, Misstrauen 11,6 9 3,8 – * Appetit und/oder Schlaf gestört  Energieverlust, Verlangsamung 15,0 6 11,7 3 n. s. 13,5 7 3,1 – ** Affektverflachung 11,110 0,0 – *** Dissoziales Verhalten 2,4 – 14,6 2 *** Reduzierte Freizeitaktivitäten 5,6 – 4,7 9 n. s. Kommunikation/sozialer Rückzug 8,2 – 4,6 10 n. s. Ehe – Gefühlsbeziehung 1,7 – 4,8 8 n. s. McNemar-Test: n.s. = nicht signifikant; * = p < .05; ** = p < .01; *** = p < .001 1 Aus: Maurer K, Trendler G, Schmidt M, an der Heiden W, Könnecke R, Häfner H (2006). Schizophrenie und Depression. Nervenarzt 77, 809 – 822, modifiziert durch den Autor. 2 Da „Nervosität, Unruhe“ und „Kommunikation/sozialer Rückzug“ mit jeweils 4,6% bei den Kontrollpersonen die gleiche Häufigkeit aufweisen, mussten beide als Rang 10,5 in die Tabelle aufgenommen werden. 5 Tabelle 5: Periodenprävalenzraten der zehn häufigsten Symptome bei schizophren erkrankten Patienten (n = 130) und gesunden Kontrollen; Kursivdruck = Symptome, die auch unter den ersten zehn Symptomen der Krankheit (s. Tab. 4) zu finden waren1 Symptom SchizophrenieGesunde Kontrollen (Sz) (GK) Sz vs. GK % Rang% Rang Sorgen  Nervosität, Unruhe 74,6 9,5 26,9 6,5 *** 88,3 3,5 27,7 5,5 *** Angst  Denken, Konzentration 88,1 4,5 26,9 6,5 *** 93,8 1,5 20,8 – *** Depressive Verstimmung  Mangelndes Selbstvertrauen 84,9 5,5 46,9 1,5 *** 68,3 10,5 35,7 3,5 *** Sozialer Rückzug, Misstrauen  Appetit und/oder Schlaf gestört 79,8 8,5 13,8 – *** 93,8 1,5 43,4 2,5 *** Energieverlust, Verlangsamung  Wahnstimmung 82,5 6,5 15,4 – *** 68,3 10,5 0,0 – *** Wahnhafte Beziehungssetzung 80,3 7,5 0,0 – *** Beschwerden, Schmerzen  Verletzbarkeit, Hypersensibilität 49,2 – 30,8 4,5 ** 22,3 – 25,4 9,5 n. s. Dissoziales Verhalten 15,3 – 22,3 10,5 n. s. McNemar-Test: n. s. = nicht signifikant; ** = p < .01; *** = p < .001 1 Aus: Maurer K, Trendler G, Schmidt M, an der Heiden W, Könnecke R, Häfner H (2006). Schizophrenie und Depression. Nervenarzt 77, 809 – 822, modifiziert durch den Autor. 6 Tabelle 6: Übersicht über morphologische Hirnveränderungen, erfasst mit struktureller Magnetresonanztomographie (sMRT) bei Schizophrenie (geschätzte Mittelwerte), unabhängig vom Krankheitsstadium im Vergleich mit «gesunden» Kontrollen1 Hirnregion Befund Gesamtes Hirnvolumen* Vermindert etwa 3%, graue Substanz etwa 4% Seitenventrikel** Erweitert etwa 22%• – mit starken Unterschieden Dritter Ventrikel** Erweitert etwa 26%• Frontallappen* Vermindert etwa 3% Temporallappen* Vermindert etwa 5–6% Hippokampus** Vermindert etwa 4% Parahippokampus*** Vermindert etwa 8% (rechts) 11% (links) – deutliche Unterschiede  Vermindert etwa 11% – deutliche Unterschiede Amygdala*** Thalamus*** Teilweise vermindert Basalganglien** Globus pallidus vergrößert etwa 18% meist links > rechts Zusammenhang mit Neuroleptika-Einnahme? Insel**** Verminderung, aber noch ungesichert Mit den damaligen Methoden präzise Abgrenzung kaum möglich • = überholte Werte, * = mehr als 50 Studien; ** = 10–50 Studien; *** = weniger als 10 Studien; **** = 2 Studien 1 Aus: McIntoshA, WhalleyH, Job D, JohnstoneE, LawrieS (2004). Genetic liability, brain structure and symptoms of schizophrenia. In: Gattaz WF, HäfnerH (eds). Search for the causes of schizophrenia, vol. V. Steinkopff: Darmstadt, p. 163, modifiziert durch den Autor. 7 Tabelle 7: Rezeptorwirkungsprofile ausgewählter Antipsychotika (AP)1 Antipsychotikum Chemische Klasse Trizyklisch Klinische Einteilung D1 D2 D3 5-HT2A M1 α1 H1 Amisulprid Benzamid – AAP 0 ++ ++ 0 0 0 0 Aripiprazolab Phenylpiperazinylchinolin – AAP 0 +++ +++ ++ 0 + + Chlorpromazinb Phenothiazin + Konv. NP/MP + ++ +++ +++ ++ +++ ++ Clozapinb Dibenzodiazepin + AAP ++ + ++ +++ +++ + +++ Haloperidolb Butyrophenon – Konv. HP + +++ + 0 0 ++ 0 Olanzapinb Thienobenzazepin + AAP ++ +++ + +++ +++ + +++ Quetiapin Dibenzothiazepin + AAP + + + + 0 + ++ Risperidonb Benzisoxazol – AAP 0 +++ + +++ 0 ++ + Sertindol Indol – AAP ++ +++ + +++ 0 ++ 0 Ziprasidonb Benzisothiazin – AAP + ++ ++ +++ 0 + ++ Die Daten sind aus In-vitro-Rezeptoraffinitäten der Antipsychotika zusammengestellt und spiegeln daher nicht direkt die klinischen Wirkungen (in vivo) wider. AP wirken primär als Antagonisten, d. h. blockierend an Neurotransmitterrezeptoren. Daneben werden durch höhere Konzentrationen Enzyme und Ionenkanäle gehemmt. Konv. = konventionell; HP = hochpotent; NP = niederpotent; AAP = konventionelles AP mit ausgeprägt atypischen Eigenschaften; a = Partieller D2/D3-Agonist; b = D4-Antagonist 1 Aus: Benkert O, Hippius H (Hrsg.) (2009). Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie, 7. Aufl. Springer, Heidelberg, S. 178 f.; modifiziert durch den Autor. 8 Tabelle 8: Klinische Konsequenzen der Rezeptorblockade durch Antipsychotika – ohne Angaben über die Häufigkeit des Auftretens (Grad des Risikos)1 Beeinflusster Rezeptortyp Induzierte erwünschte oder unerwünschte Wirkung H1-Rezeptorblockade Sedierung, Schläfrigkeit, Potenzierung zentral dämpfender Wirkung, Gewichtszunahme (?) ACh-Rezeptorblockade (M1–M5) m Akkommodationsstörungen, Erhöhung des Augeninnendrucks, Mundtrockenheit, Sinustachykardie, Obstipation, Harnverhalt, Merkfähigkeitsstörungen, Delir a1-Rezeptorblockade Orthostatische Hypotension, Benommenheit, Schwindel, Reflextachykardie, Ejakulationsstörungen, verstopfte Nase D2-Rezeptorblockade – mesolimbisch-mesokortikal – nigrostriatal – tuberoinfundibulär – hypothalamisch – Area postrema Antipsychotischer Effekt, Libidostörungen, Anhedonie (?), EPS, Prolaktinanstieg, Zyklus- und sexuelle Funktionsstörungen, Störungen der Thermoregulation (in der Regel Hypothermie), antiemetische Wirkung 5-HT2A-Rezeptorblockade Leichte Sedierung, Zunahme der Tiefschlafphasen, Verbesserung von Negativsymptomatik (?) 5-HT2C-Rezeptorblockade Appetit- und Gewichtszunahme, Abnahme des durch D2-Blockade verursachten Prolaktinanstiegs Aus: Benkert O, Hippius H (Hrsg.) (2009). Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie, 7. Aufl. Springer, Heidelberg, S. 183; modifiziert durch den Autor. 1 9