Grundlagen und Wiederholung

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Neuropsychologie der
Zwangsstörung
WS 2005/06
Was ist Neuropsychologie?
Etymologie
• altgriech.
Psyche
=
Lebensodem,
Lebenskraft, Seele; Gattin des Eros
• Logos = Wort, Lehre
• Psychologie = Lehre vom Seelenleben
• Neuron = Sehne, Flechte, Band, Nerv
Gefahren bei der Interpretation der
Befunde
• Korrelationen lassen nicht zwingend auf
Kausalität schließen
• Die Aktivität in einem Hirnareal ist nicht
das subjektiv erlebte psychologische
Phänomen
• Studium
der
Zusammenhänge
zwischen
Gehirnfunktionen und sogenannten höheren
Verhaltensweisen (KOLB/WISHAW 1996).
• Teilgebiet der Psychologie, in dem die
Beziehung zwischen dem Gehirn und dem
Verhalten/Erleben
untersucht
wird.
Die
Neuropsychologie befasst sich mit der
Erforschung der zentralnervösen Grundlagen
des Bewusstseins und des Verhaltens.
Untersucht werden insbesondere die Einflüsse
von Hirnschäden auf menschliches Verhalten
(LAUTENBACHER/GAUGGEL 2004).
Gliederung
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Grundlagen und Wiederholung
Neuropsychologische Tests
Neuropsychologische Befunde
Befunde bildgebender Verfahren
Die Rolle des Serotonins
Modelle
1) Physiologisches Modell
2) Modell-Modell
3) Baxter-Modell
4) Schwartz-Modell
Zwangsspektrumsstörungen
WATKINS-Studie: Vergleich ZS mit TS
Grundlagen und Wiederholung
• Orbitofrontaler Cortex: höchstes
Integrationszentrum für emotionale
Informationsprozesse; steuert den aktiven
Ausdruck emotionaler Reaktionen auf
signifikante biologische Stimuli sowie die
Hemmung von Verhaltensreaktionen, wichtige
Rolle bei motivationalen Aspekten des
Entscheidens; Neurone zuständig für „error
detection“, d.h. sie feuern, wenn die Dinge
anders sind als sie sein sollten oder „etwas
falsch läuft/ist“
• Wenn orbitofrontaler Cortex überaktiv:
Bewertung der Konsequenzen einer
Handlung ist überhöht Æ unkontrollierte
Gedanken und Verhaltensweisen
Grundlagen und Wiederholung
• Anteriorer cingulärer Cortex: wichtig für
„error detection“, „conflict monitoring“ und
emotionale Bewertung von Handlungskonsequenzen
Grundlagen und Wiederholung
• Basalganglien: bestehen aus mehreren Kernen
(Nucleus caudatus, Putamen, Globus pallidus) im
Vorderhirn, die mit Mittelhirn, Zwischenhirn,
Thalamus und Cortex in Verbindung stehen; Teil
des motorischen Systems (traditionell); Aufgabe:
die verschiedenen vom Kortex kommenden Inputs
integrieren und die Information dazu nutzen,
bestimmte motorische und kognitive Programme
auszuwählen; Modulation und Automatisierung
komplexer Verhaltenssequenzen im raumzeitlichen Zusammenhang
Grundlagen und Wiederholung
• Striatum: Streifenkörper; gemeinsame
Bezeichnung zweier subcortikaler Kerne
der Basalganglien: Nucleus caudatus und
Putamen
Striatum ist das „Eingangstor“ zu den
Basalganglien, hier laufen konvergierende
Informationen vom limbischen System und
assoziativen Cortices zusammen
Grundlagen und Wiederholung
• Amygdala: Ausdruck von Angst und
Furcht, wahrscheinlich aber auch in
Prozesse der Belohnung und Motivation
involviert durch Verbindungen mit Nucleus
accumbens und OFC; Dysfunktion der
Amygdala, worauf bildgebende Verfahren
bei manchen ZS Patienten hinweisen,
könnte nicht-spezifische Angst gegenüber
obsessiven Gedanken vermitteln
Grundlagen und Wiederholung
• Thalamus: Kerngruppe im Diencephalon, wichtiges
Schaltzentrum für Impulse, die zum Endhirn gesendet
werden oder dieses verlassen; Relaisstation für die
meisten subcortikalen Strukturen; hat Anteil am
Ausdruck von Emotionen durch Verbindungen mit
anteriorem Nucleus des Thalamus und Mamillarkörpern;
die Fasern aller sensorischen Systeme (außer des
olfaktorischen) ziehen durch Schaltstationen im
Thalamus, auch die aus dem limbischen System, den
Basalganglien und dem Cerebellum zum Cortex
ziehenden Fasern
Neuropsychologische Tests 1
• California Verbal Learning Test (CVLT): erfasst verbales
Gedächtnis unter Lern- und Interferenzbedingungen
• Go-NoGo-Test: erfasst Fähigkeit zur Unterdrückung
einer nicht adäquaten Reaktion, also die inhibitorische
Kontrolle; sensitiv für frontale Dysfunktion v.a. im
orbitofrontalen Bereich
• Mini-Mental Status Test (MMST): einfaches Verfahren
zur Erfassung kognitiver Leistungseinbußen bei älteren
Menschen
mit
demenziellen
und
psychischen
Erkrankungen,
umfasst
5
kognitive
Aspekte:
Orientierung, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit und
Rechenfähigkeit, Erinnerungsfähigkeit und sprache
Neuropsychologisches Tests 2
• Object Alternation Test (OAT): misst
exekutive Funktionen indem er verlangt,
über Rückmeldungen zu erkennen, dass
der Zielreiz immer von einem Ort zum
zweiten wechselt, sobald der Ort des
Zielreizes richtig erkannt wurde
• Rey-Osterrieth Complex Figure Test
(ROCFT): Erfassung von Störungen der
visuellen Wahrnehmungsorganisation, des
visuellen Gedächtnisses und zeichnerisch
visuokonstruktiver Leistungen
Neuropsychologische Tests 3
• Stroop-Test: misst konzentrativen Widerstand
gegenüber dominierenden Reaktionstendenzen
• Tower
of
London:
Erfassung
der
vorausschauenden
Planung
und
des
prozessorientierten Problemlösens
• Trail Making Test (TMT-A/TMT-B): erfasst
Symbolerkennung,
Scanning
und
Umstellfähigkeit, TMT-A besteht nur aus
Zahlenmatrizen,
TMT-B
aus
ZahlenBuchstaben-Matrizen mit der Aufgabe die
Symbolsequenzen zu erkennen und zu
verbinden
Neuropsychologische Tests 4
• Verbal Fluency Test: misst Fähigkeit zur
schnellen Reproduktion verbaler Inhalte
• Wisconsin Card Sorting Test (WCST):
untersucht
Abstraktionsund
Umstellungsfähigkeit
Neuropsychologische Befunde
• Defizite in Fluency-Maßen, Stroop-, Trail
Making, Planungstest und WCST legen
frontalhirnbezogene Zuordnung nahe
• Interpretation: Störung der Regelkreise,
die von spezifischen Frontalhirnabschnitten zu den Basalganglien ziehen
• bei Zwangspatienten stärkere Beteiligung
des orbitofrontalen Kortex, über dessen
lateralen Teil die unmittelbare Umstellung
zweier Handlungsabfolgen vermittelt wird
Woher weiß man das?
• Doppelte Dissoziation: Methode der Begründung
spezifischer neuropsych. Unterschiede
• Schizophrene und ZS Patienten bearbeiten
WCST und Object Alternation Test;
• OAT: sensitiv für orbitofrontal vermittelte
kognitive Funktionen
• WCST: sensitiv für dorsolateral präfrontal
lokalisierte kogn. Funktionen
• Defizite im OAT nur bei ZS, schizophrene
Patienten produzierten nur im WCST mehr
Fehler
Strategische Defizite
• Analyse der Bewältigung der ReyOesterrieth-Figur und des California
Verbal Learning Tests Æ Defizite der ZS
Patienten beruhen auf Minderleistung in
der Generierung lösungsrelevanter
Strategien
Störungen der kognitiven Inhibition
• Unfähigkeit einer automatischen
Unterdrückung von Intrusionen, Patienten
zeigen kürzere Reaktionszeiten auf vorher
ignorierte Stimuli einer semantischen
Priming-Aufgabe Æ Disinhibition
Emotionshaltiges Material
• ZS Patienten haben überlegene
Gedächtnisleistung für bedrohungsassoziierte Stimuli im Vergleich zu KG und
Angstpatienten
Konditional-assoziatives Lernen
• Lernen von Paarassoziationen zwischen Wörtern und
Schattenrissen, emotional neutrales Material vs.
bedrohliche Substantive (Zwang: Herd; Anorexie:
Waage)
• alle Diagnosegruppen lernten die bedrohlichen Begriffe
mit vergleichbaren, im Normbereich liegenden Raten,
was für eine Unversehrtheit dorsolateral-präfrontaler
Funktionen spricht
• bei Zwangs- und AnorexiepatientInnen
Verschlechterungen beim Erlernen neutralen Materials
Æ Übergewicht des direkten orbitofrontal-striatalen
Regelkreises und der damit einhergehenden
übermäßigen „error detection“, die sich insbesondere bei
Material unklarer Emotionalität auswirken sollte
Neuropsychologische Befunde Zusammenfassung
• Minderungen aus dem Bereich exekutiver und
visuokonstruktiver Funktionen v.a. wenn die
Lösungswege bei komplexen, zeitgebundenen Aufgaben
selbst generiert werden müssen
• Schwierigkeiten einer internalen Generierung der für
zielgerichtete erfolgreiche Handlungen erforderlichen
Hinweisreize und der selektiven Ausblendung
handlungsirrelevanter Stimuli werden mit funktionellen
Veränderungen der Basalganglien und ihrer kortikosubkortikalen Schleifen in Verbindung gebracht; dies ist
in Übereinstimmung mit den Ergebnissen bildgebender
Verfahren
Befunde bildgebender Verfahren
• Hypermetabolismus in den neuronalen
Regelkreisen, die vom präfrontalen,
insbesondere dem orbitofrontalen Kortex
zum Neostriatum ziehen (bildet sich durch
VT oder pharmakologische Intervention
zurück)
• je stärker die Symptome, desto auffälliger
die Abweichungen
Je nach Art des Zwangs unterschiedliche
Muster cortikaler Aktivierung:
• Wasch-Bilder: ventrale präfrontale und
limbische Regionen sowie dorsale
präfrontale Regionen
• Kontroll-Bilder: dorsale präfrontale
Regionen
• Sammel-Bilder: ventrale präfrontale und
limbische Regionen
• RAUCH et al. 1994:
8 Patienten mit Handlungszwängen sollen
sich während PET den Stimulus
vorstellen, der die Ritualhandlung auslöst
Æ Hyperaktivitäten in orbitofrontalen
Kortexbereichen sowie im rechten Nucleus
caudatus, linken Thalamus und
linksanterioren Gyrus cinguli
Bei keiner anderen psychischen Störung
findet sich derart konsistent eine auf die
Basalganglien, die orbitofrontalen Cortizes
und den Thalamus beschränkte
Hyperaktivität!
Die Rolle des Serotonins
• Serotonin: mit Gefühlen der Unsicherheit
und Überschätzung potenzieller Gefahren
assoziiert, an Verhaltensklassen der
Impuls-, Aggressions- und Stresskontrolle
sowie der Affektregulation und der
Steuerung der Kooperativität beteiligt,
indem es Reaktionslatenzen verlängert
und die Reaktion auf irrelevante Stimuli
unterdrückt
• SSRI hemmen die Wiederaufnahme von
Serotonin von der präsynaptischen
Membran Æ Transmitter Serotonin ist
länger im synaptischen Spalt verfügbar
(agonistische Wirkung)
• vermehrt verfügbares Serotonin wird durch
präsynaptische Autorezeptoren
antagonisiert
Modelle: Physiologisches Modell
• Kerne der Basalganglien sind über
zahlreiche Regelkreise mit dem Kortex
verbunden
• Für ZS ist v.a. eine vom präfrontalen
Kortex zu den Basalganglien laufende
direkte und indirekte Verbindung von
Bedeutung
• Direkter Weg: bewirkt Aktivierung des
Kortex über die kurzzeitige Enthemmung
des Thalamus
• Indirekter Weg: exitatorische Projektion
des direkten Weges wird abgeschwächt
Beide Projektionswege haben verschiedene
verhaltenssteuernde Funktionen:
• Direkter Weg: verantwortlich für
Aufmerksamkeitsfokussierung bei der
Durchführung komplexer Verhaltenssequenzen
• Indirekter Weg: wichtig für Modulation des
direkten Weges, um auf alternative Handlungspläne umschalten zu können
Relatives Übergewicht des direkten Weges
bei der Zwangsstörung!
ÆWegen der verminderten Kapazität des
indirekten Weges kann von einmal
gestarteten Verhaltens- oder Gedankensequenzen nicht mehr auf adaptive
Programme umgeschaltet werden
Therapieziel:
Weges
Stärkung
des
indirekten
Funktionelle Bedeutung des
orbitofrontalen Kortex:
• „error detection“
• Wiedererkennung der für Verhaltensprogramme
relevanten Stimuli und der Organisation zielgerichteter
Antworten
• Lateraler Teil: beteiligt beim „reversal learning“, der „twochoice-alternation“ bei verzögerten Alternierungsaufgaben, visuell vermittelten Arbeitsgedächtnisleistungen und bei Go-Nogo-Aufgaben
• Medialer Teil: Verarbeitung imaginierter, insbesondere
aversiver Stimuluskomponenten, Wiedererkennung
gelernter Strafreize, Löschung gelernter Verhaltensweisen, Online-Monitoring und Fehleridentifikation
Physiologisches Modell Zusammenfassung
• neurophysiologische Basis der Zwangsstörung
liegt in einer mangelnden Abschwächung des
direkten orbitofrontal-neostriatalen Weges durch
den indirekten dorsolateral/präfrontalneostriatalen Weg Æ diese mangelhafte
Modulation des exitatorischen Weges führt über
die Beteiligung des orbitofrontalen Cortex zu
Beeinträchtigungen der Handlungsregulation in
emotional bedeutsamen Situationen
Modell-Modell
• Ursache der Zwangssymptome: positive
Feedback-Schleife zwischen
orbitofrontalen Bereichen und Thalamus
(medial dorsaler Nucleus)
Baxter-Modell
• Ursache: Überfunktion des direkten
(striato-pallidalen) Weges im Vergleich
zum indirekten Weg
Schwartz-Modell
• Ursache: Störung im Striatum; TANs
(„tonically active neurons“, cholinerge
Interneurone des Striatums) modifizieren
ihre Aktivität durch jegliche für das
Individuum bedeutende Information; wenn
Störung Æ falsche Projektionen in OFC
und ACC Æ Gefühl, dass „etwas falsch ist“
Zwangsspektrumsstörungen
• Metakategorie für z.B. Anorexia Nervosa,
Trichotillomanie, Tourette, Kleptomanie,
Spielsucht
• Gemeinsamkeit: repetitiver Charakter einzelner
Symptome und Unfähigkeit der Unterdrückung
unangemessener Impulse und
Verhaltenstendenzen; hohe Komorbiditäten
• All diese Störungen sind durch pathologische
Veränderungen der präfrontalen, insbesondere
orbitofrontalen Rindenabschnitte und ihrer
zugehörigen Regionen im Striatum
gekennzeichnet
WATKINS et al. 2005: „Executive function
in Tourettes´s syndrome and obsessivecompulsive disorder
Leistungsvergleich TS und ZS in den Bereichen:
• Aufmerksamkeitskontrolle
• Planen
• Entscheiden
Basis beider Störungen im Frontalcortex und den
Basalganglien Æ gleiche bzw. ähnliche kognitive
Defizite werden erwartet
• N = 20 TS und 20 ZS Patienten, 20 KG
Verschiedene Tests:
•
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•
•
Psychometrische Tests
Attentional set-shifting Test
Tower of London
Go/NoGo-Test
Test zum Entscheidungen treffen
Ergebnisse für ZS
• Defizite im Bereich des „pattern
recognition memory“, langsameres
Reagieren auf Muster- und räumliche
Wiedererkennung, Beeinträchtigungen im
ED-shifting beim Attentional set-shifting
Test und beim Go/NoGo Test
Ergebnisse für TS
• Beeinträchtigung des „spatial recognition
memory“, ED-shifting und beim Treffen von
Entscheidungen
• Leistung beim Go/No-go Test ist relativ intakt,
Ticks also kein Resultat frontal-exekutiver
inhibitorischer Dysfunktion; Ursache liegt wohl
eher auf einer niedrigeren Ebene der „response
control“, wahrscheinlich im Striatum
Æ Unterschiede im Bereich Entscheiden,
„recognition memory“ und Go/No-go
• Bei ZS Patienten deutliches Defizit auf der
ED-shift-Stufe Æ mangelnde kognitive
Flexibilität, da eine Beeinträchtigung der
inhibitorischen Funktion das adaptive
Wechseln zwischen verschiedenen
Handlungen und Gedanken stört
• Gleiches Prinzip erklärt Minderleistung bei
der Go/No-go reversal Aufgabe
Literaturverzeichnis
• AOUIZERATE, B. et al. (2004): Pathophysiology of
obsessive-compulsive disorder. A necessary link
between phenomenology, neuropsychology, imagery
and physiology. In: Progess in Neurobiology, 2004, 72,
195-221.
• KOLB, B. / WHISHAW, I.Q. (1996): Neuropsychologie. 2.
Aufl. Heidelberg: Spektrum.
• LAUTENBACHER, S. / GAUGGEL, S. (Hrsg.) (2004):
Neuropsychologie psychischer Störungen. Heidelberg:
Springer.
• WATKINS, L.H. et al. (2005): Executive function in
Tourette´s syndrome and obsessive-compulsive
disorder. In: Psychological Medicine, 2005, 35, 571-582.
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