Deutsches Ärzteblatt 1992: A-1730

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Manfred Kist
Seit 1986 wird in der Bundesrepublik Deutschland wieder ein signifikanter Anstieg der Salmonellenerkrankungen des Menschen beobachtet, der mit 91 237 Fällen im Jahr 1990 seinen bisherigen Höchststand erreicht hat und der weitgehend auf einer extremen Zunahme
des Serovars S. enteritidis beruht, wobei ein weit überwiegender Anteil dem Colindale Phagentyp 4 zuzuordnen ist. Die Entwicklung in
der Bundesrepublik spiegelt offenbar eine weltweite Zunahme des
Serovars enteritidis wieder. Epidemiologische Einzelbefunde, die in
nahezu allen betroffenen Ländern erhoben wurden, deuten bisher auf
Geflügel und Hühnereier als wichtigste Infektionsquellen hin, zudem
bestehen Hinweise auf eine besondere Geflügelvirulenz des Erregers. Eine erhöhte Menschenpathogenität bleibt vorerst fraglich.
Seuchenartige Zunahme der Infektionen
durch Salmonella enteritidis
nteritis-Salmonellen zählen insbesondere in den
Industrieländern zu den
am häufigsten isolierten
bakteriellen Durchfallerregern des
Menschen und werden in etwa fünf
bis zehn Prozent aller Enteritisfälle
nachgewiesen. Lebensmittel spielen
dabei als Infektionsquelle eine überragende Rolle (1).
E
Zunahme der
Salmonellenerkrankungen
Nach einem Rückgang der nach,
dem Bundesseuchengesetz gemeldeten Salmonellenerkrankungen auf
30 556 im Jahr 1985 wird seit 1986
wieder eine signifikante Zunahme
(Abbildung 1) beobachtet, die 1990
mit 91 237 Fällen ihren vorläufigen
Höchststand erreicht hat, weiterhin
aber eine zunehmende Tendenz aufweist (2, 3). Dies bedeutet für 1990
— bei einer eher niedrig geschätzten
Dunkelziffer von zehn nicht entdeckten Fällen auf einen gemeldeten Fall
— etwa eine Million Salmonellenerkrankungen in der Bundesrepublik.
Eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums von 1977 bis 1982 errechnete bei durchschnittlich 45 000
gemeldeten Salmonellosen eine Belastung von 240 Millionen Mark pro
A1-1730
Jahr (4). Danach wäre für 1990
durch Salmonelleninfektionen ein
volkswirtschaftlicher Schaden zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Mark entstanden.
Überproportional starke
Zunahme des
Serovars enteritidis
Die starke Zunahme der insgesamt gemeldeten Salmonellosen läßt
sich weitgehend auf einen extremen
Anstieg von durch den Serovar enteritidis verursachten Infektionen
zurückführen. So stiegen zum Beispiel die S.-enteritidis-Gesamtisolierungen im Medizinischen Landesuntersuchungsamt Stuttgart (5) von
2268 (1987) auf 16 406 (1990), im
Medizinischen Landesuntersuchungsamt für Südbayern (6) von
431 (1986) auf 5581 (1989) an. Der
relative Anteil von S. enteritidis an
allen Salmonellenisolierungen nahm
in Südbayern im gleichen Zeitraum
von zehn auf 40 Prozent, im Medizinaluntersuchungsamt Freiburg von
20 auf 61 Prozent zu. Der bei weitem
überwiegende Anteil der Isolate gehört dem Colindale Phagentyp 4
(PT4) an. Der Anteil des PT4 betrug
bei Isolierungen vom Menschen 79,9
Prozent, von Lebensmitteln 78,0
Prozent, aus der Umwelt 76,9 Pro-
(62) Dt. Ärztebl. 89, Heft 19, 8. Mai 1992
zent und von Geflügel 66,7 Prozent
(7). Untersuchungen von am Medizinaluntersuchungsamt Freiburg isolierten S.-enteritidis-Stämmen ergaben ein übereinstimmendes Bild (unveröffentlichte Daten). Diese Befunde lassen eine wahrscheinlich klonale Verbreitung des Erregers vermuten.
Weltweite
Ausbreitung von
Salmonalla enteritidis
In Großbritannien ist bereits seit
1984 ein sprunghafter Anstieg der
Salmonellenisolierungen beim Menschen zu beobachten. So nahmen die
Isolierungen von S. enteritidis in
England/Wales von 1979 bis 1987 um
427 Prozent zu, in Schottland im
gleichen Zeitraum gar um 629 Prozent. Im Jahr 1990 waren bereits 60
Prozent der Isolate dem Serovar
S. enteritidis zuzuordnen, 85 Prozent
dieser Stämme gehörten zum Phagentyp 4 (1). Nach Untersuchungen
von Rodrique und Mitarbeitern (8)
ist dieses Phänomen keineswegs auf
Großbritannien beschränkt. In Spanien war S. enteritidis bereits 1979
mit 22 Prozent aller Isolierungen
ausgesprochen häufig und zeigte bis
1987 eine weitere Zunahme um 209
Prozent. Anstiege um 85 Prozent
weisen die USA und Kanada auf, in
Südamerika ist eine ähnliche Tendenz zu beobachten. Diese weltweite
Ausbreitung überwiegend eines einzigen Serovars mit gleichzeitiger Bevorzugung eines Phagentyps deutet
auf gemeinsame epidemiologische
Besonderheiten bei der Übertragung
hin.
Geflügelbestände und
Hühnereier als
Infektionsquellen
Berichte aus den USA, Ungarn,
Spanien, Frankreich und Norwegen
(8) belegen, daß die zu beobachtende Salmonellen-Pandemie in vielen
Einzelfällen auf den Verzehr von Eiern und Eiprodukten zurückzuführen ist.
Einer der größten lebensmittelbedingten Ausbrüche durch S. enteritidis PT4 in Großbritannien betraf
1989 insgesamt 190 Teilnehmer eines
Hochzeitsempfangs (9), wobei Saucen, die schwach erhitztes Rohei enthielten, als Infektionsquelle identifiFälle
(x 1000)
ziert wurden. Cowden und Mitarbeiter (10) sicherten schließlich die epidemiologische Bedeutung von Geflügel, Eiern und Eiprodukten durch eine Fall-Kontroll-Studie an 232 Patienten mit sporadischen S.-enteritidis-Infektionen, die zusammen mit
einer Kontrollgruppe aus gleichen
Wohngegenden und entsprechender
Alters- und Geschlechtsstruktur auf
die Risikofaktoren Verzehr von
Frischei, Eiprodukten, angebratenen
Hähnchen und Hackfleisch hin untersucht wurden. Die Erkrankungen
an S. enteritidis PT4 waren signifikant assoziiert mit dem Verzehr von
im Haushalt hergestellten Roheiprodukten (Mayonnaise, Eiscreme und
eihaltigen Milchmixgetränken), wie
auch mit dem Verzehr kommerziell
vertriebener Sandwiches, die Mayonnaise oder Eier enthielten. Eier,
die nur leicht angebraten waren, erwiesen sich ebenso wie nicht durcherhitzte Brathähnchen als weitere
epidemiologische Risikofaktoren. Im
Gegensatz dazu wurden weichgekochte Eier nicht erkennbar als Infektionsquelle identifiziert.
Enteritis infectiosa (BRD)
70
e Salmonellosen
•
60
O----O "übrige Formen"
50
40
30
Besondere Geflügelpathogenität von
S. enteritidis PT4
Zunehmend ergeben sich Hinweise auf chronisch-septikämische
Geflügelinfektionen durch S. enteritidis, die mit Organabsiedlungen,
auch unter Einbeziehung der Ovarien einhergehen können.
Bei der Untersuchung von 81 klinisch auffälligen Masthähnchen wurde von 47 Tieren (58 Prozent) aus
Perikardflüssigkeit, Milz und Caecuminhalt S. enteritidis PT4 teilweise in hohen Keimzahlen angezüchtet
(11). Die experimentelle orale Inokulation mit 10 6 Keimen führte bei
42 Hühnern ohne erkennbare klinische Symptome zu einer invasiven
Infektion von Peritoneum, Leber
und Caecum sowie von Ovar und
Ovidukt. Zehn Tage nach der Inokulation waren zehn Prozent der Eier
infiziert (12). Im Zusammenhang mit
der beobachteten Zunahme der Geflügelvirulenz wurde ein 38 MDa
„Virulenzplasmid" von S. enteritidis
PT4 beschrieben, das für die Ausprägung von Pathogenitätseigenschaften
in der BALB/c Maus erforderlich zu
sein scheint (13). Bisher ist es nicht
gelungen, dieses Plasmid mit einem
definierten mikrobiellen Virulenzfaktor zu assoziieren, dennoch vermuten die Autoren aufgrund epidemiologischer Korrelationen, daß es
auch für die erhöhte Geflügelvirulenz mitverantwortlich sein könnte.
Bei einer Stichprobenuntersuchung
aus dem Bereich der Bundesrepublik
waren bei 403 S.-enteritidis-Isolaten
in 86,8 Prozent ausschließlich ein —
wahrscheinlich mit dem 38 MDa
Plasmid identisches — 37 MDa Plasmid nachweisbar. Bei den S.-enteritidis-PT4-Stämmen betrug dieser Anteil sogar 95,5 Prozent (7).
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Campylobacter
Yersinia
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Clostridium difficile
Rotaviren
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1
1
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1980 81 82 83 84 85 86 87 88 89
Abbildung 1: Enteritis-Salmonellosen und Enteritiserreger „übrige
Formen", Meldungen nach dem
Bundesseuchengesetz in der
Bundesrepublik
Deutschland
(nach 2)
Erhöhte Menschenpathogenität von
S. enteritidis?
Es besteht der Eindruck, daß Infektionen durch Salmonella enteriti-
dis, insbesondere bei Risikogruppen,
aber auch bei anderen Patienten ohne besondere Gefährdung, klinisch
Dt. Ärztebl. 89, Heft 19, 8. Mai 1992 (65)
A1-1733
eher gravierender verlaufen; daß
häufiger ein stationärer Aufenthalt
erforderlich wird und daß besonders
bei älteren Patienten eine erhöhte
Letalität auftritt. Dieser Verdacht
bedarf jedoch noch der Bestätigung
durch entsprechende prospektive
Studien.
Salmonellenbefall
von Hühnereiern
Die Kontaminationsquote von
frischen Hühnereiern war in der
Bundesrepublik Deutschland bis
1989 offenbar noch sehr niedrig (14),
wahrscheinlich deutlich unter einem
Prozent. In Nordbayern wurde bei
insgesamt 7801 Hühnereiern, die von
1980 bis 1989 als Planproben untersucht wurden, kein einziger Fall einer Salmonellenkontamination festgestellt (15), entsprechendes gilt für
Verdachtsproben bis zum Jahr 1988.
Bei der Beurteilung solcher Befunde
sollte allerdings in Betracht gezogen
werden, daß sich sehr niedrige Keimzahlen (<10), wie sie in frischen Eiern angetroffen wurden (16), möglicherweise dem Nachweis entziehen
können. Experimentell infizierte Legehühner zeigten einen relativ häufigen Befall der Gelege, der allerdings
zeitlich auf ein bis zwei Wochen limitiert war, sodaß auch mit einer intermittierenden Infektion der Eier gerechnet werden muß (17). Bei allen
experimentell infizierten Hühnern
mit positiven Isolierungen war jeweils auch der Eiinhalt kontaminiert.
Ein intermittierender Befall der Gelege wurde auch von Humphrey et al.
(16) in einem kleinen, natürlicherweise infizierten Bestand von 35 Tieren beobachtet. Dabei erfolgte eine
Keimübertragung auf die Eier regelmäßig nur bei etwa 30 Prozent der
befallenen Legehennen. In allen Fällen fanden sich im Frischei Keimzahlen unter zehn Salmonellen pro Ei.
Diese Erfahrung sollte bei weiteren
Untersuchungen zur Kontaminationsprävalenz von Hühnereiern, aber
auch bei der Interpretation vorliegender Studien, berücksichtigt werden. Gleichzeitig zeigen diese Befunde jedoch, daß die konsequente
Kühllagerung von Frischeiern
(<5° C) deutlich zur Reduktion des
A1 1734
-
Infektionsrisikos für den Verbraucher beitragen müßte.
Interventionsmaßnahmen
Von einer vollständigen Sanierung der Legehennen- und Schlachtgeflügelbestände wäre nach aller
Voraussicht ein signifikanter Rückgang menschlicher Salmonelleninfektionen durch S. enteritidis zu erwarten. Um dieses Ziel zumindest
annähernd zu erreichen, müssen folgende Infektionsquellen und Übertragungswege berücksichtigt werden:
Kontaminierte Futtermittel, besonders Fischmehl, Kontamination der
Stallungen durch Schadtiere, Streu,
Staub, Wasser und Abwasser, weiterhin eine vertikale, wahrscheinlich
transovarielle Infektion der Nachzuchtküken sowie schließlich eine
Infektionsverbreitung durch Kreuzkontaminationen beim Schlachtprozeß (1).
Dies macht folgende Interventionsmaßnahmen erforderlich:
• Identifizierung infizierter Bestände, vor allem auch durch Umgebungsuntersuchungen im Bereich
der Stallungen sowie durch serologische Untersuchungen mit neueren
Methoden (18, 19).
• Eliminierung infizierter Bestände, wenn anderweitig keine Sanierung möglich ist.
41) Hygienisch einwandfreie Nachzuchtmethoden (20).
• Dekontamination von Futtermitteln und Trinkwasser.
• Schadlose Beseitigung von Abfällen und Abwässern.
• Weitere
Verbesserung
der
Schlachthygiene.
el Verbraucheraufklärung, wobei
besonders auf die Notwendigkeit der
Kühllagerung von Frischeiern und
andererseits auf die ausreichende
Erhitzung bei der Zubereitung hinzuweisen ist. Die wahrscheinlich vermehrte Hitzeresistenz von S. enteritidis sollte dabei berücksichtigt werden (21).
Die Zusammenarbeit zwischen
Öffentlichem Gesundheitsdienst,
Forschungseinrichtungen, Produzenten und Handel muß weiter gefördert werden, sowohl im Hinblick auf
die Durchführung epidemiologischer
(66) Dt. Ärztebl. 89, Heft 19, 8. Mai 1992
Studien als auch bei der Einbeziehung moderner molekularbiologischer Typisierungsverfahren.
Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -1730-1734
[Heft 19]
Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis im Sonderdruck,
anzufordern über den Verfasser.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Manfred Kist
Institut für Medizinische
Mikrobiologie und Hygiene
Abteilung Mikrobiologie
und Hygiene
Klinikum der Albert-LudwigsUniversität Freiburg
Hermann-Herder-Straße 11
W-7800 Freiburg
Wann muß erneut gegen
Hepatitis B geimpft werden?
Die aktive Immunisierung gegen
das Hepatitis-B-Virus hat sich weitgehend durchgesetzt. Die Immunisierung hängt von dem Antikörpertiter gegen HBV-Oberflächenantigen
(Anti-HBs) ab. Bislang wurde der
Anti-HBs-Titer einen Monat nach
einer Boosterimpfung abgenommen.
Die Autoren schlagen eine anderes
Procedere vor: Aufgrund der bei 218
senegalesischen Kindern gewonnenen Daten nach drei Injektionen von
Hepatitis-B-Vaccine im Abstand von
sechs Wochen und einer Booster-Injektion nach 13 Monaten empfehlen
sie, zum Zeitpunkt der Booster-Impfung den Anti-HBs-Titer zu bestimmen. Zu diesem Zeitpunkt kann der
Erfolg der Impfung genau so vorhergesagt werden wie einen Monat nach
der Boosterung.
Coursaget P.; B. Yvonnet; W. R. Gilks; Ch.
C. Wang; N. E. Day; J.-P. Chiron; I. DiopMar: Scheduling of revaccination against
hepatitis B virus. Lancet 1 (1991)
1180 — 1183.
Institut de Virologie de Tours et Laboratoire de Microbiologie, Faculte de Pharmacie, Tours, France.
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