Ethik_Moral

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Was ist eine ethische Fragestellung?
Ethik Workshop
(im Rahmen des Arbeitskreises für Neonatologie
und pädiatrische Intensivmedizin)
Barbara Maier
1. Was ist eine ethische Frage?
• Einige Schwestern weigern sich, die NaladorInfusion (= zur Einleitung eines SS-Abbruchs)
anzuhängen...
• Es hat sich für sie die Frage nach der
(Mit)Verantwortung für den SS-Abbruch (als
„Tötung ungeborenen Lebens“) gestellt...
• Krise...Diskussion der ethischen Problematik durch
alle Beteiligten...anhand von Fallbeispielen.
Wann bricht eine ethische Frage auf?
• Unsere Erfahrung, das, was wir so als
„moralisch“ zu bezeichnen gewohnt sind, gerät
in Konflikt mit dem, was in einer bestimmten
(„neuen“) Situation (von uns) gefordert zu sein
scheint...
• Voraussetzung : moralische Sensibilität,
Erinnerung an gelebte Moralität, Bereitschaft
zu kritischer Auseinandersetzung...
• Bleibende Dynamik in der Aufnahme und
Verarbeitung von ethischen Problemen
2. Klärungen zu Ethik und Moral:
• Moral : Wertvorstellungen in einer
Gesellschaft und ihren Binnenbereichen, in
die wir sozialisiert worden sind...
• Moral ist das uns allen (nur allzu) Vertraute,
das wir gewohnt, für das wir oft
„betriebsblind“ geworden sind...
Klärungen zu Ethik und Moral:
• Ethik : Kritik von Moral.
• Ethik ist ein Angriff auf das (allzu)
Vertraute, das sogenannte „Normale“,
nie mehr Hinterfragte.
• Ethik ist Kulturkritik.
Klärungen zu Ethik und Moral:
• Auch ethische Analyse erfolgt nicht vom
Standpunkt eines unbeteiligten Beobachters
aus...
• Wir alle wurden inkulturiert, (un)moralisch
sozialisiert, (allzu) vertraut mit den Werten,
der Gesellschaft, in der wir leben...
Klärungen zu Ethik und Moral:
• Außerdem: In das Moralische (in das
Gewohnte) geht ein, daß man für die
Befolgung des Üblichen, Beifall
bekommt... machen es doch so viele
ebenso ...
• Für das ethisch-kritisch Erarbeitete, das
Fremde wird man häufig nur Befremden
ernten, transzendiert, korrigiert es doch
das Althergebrachte, das Gewohnte, das,
was allen so vertraut ist.
„Binnenmoral“ in der Neonatologie
• Spezialisierte Bereiche sind mehr oder
weniger in Kontrolle von Expert/Innen.
• Sie bilden eigene Gesetze, Regeln und
Normen aus („Sachzwänge“).
• Konflikte bei fraglicher Kompatibilität mit
gesellschaftlichen Normen.
• Kontrollversuch über (informierten)
öffentlichen Diskurs ( Probleme: Sprache,
Medien...)
Ethik ist gefragt, wenn...(Düwell 2003)
• Wenn es ein moralisches Problem gibt, wenn man
also noch gar nicht weiß, ob Sterbehilfe zulässig ist
oder ob Schwangerschaftsabbruch unmoralisch ist.
• Wenn Reflexion auf unsere moralischen
Überzeugungen, Argumente und Urteile gefordert ist.
• Wenn aufgrund neuartiger Fragen oder Situationen,
moralische Beurteilungen uneindeutig, unklar oder
fraglich sind.
Bioethischer Reflexionsprozeß :
gemischte Urteile
• Deskription...Erhebung allen
möglichen Wissens
• Evaluierung verschiedener
Handlungsalternativen
• Folgenabschätzung
• Präskription
3. Sprache und Moral
• 1) „gut“/“böse“: Was ist gut/schlecht (das Gute
an sich)? Gut/schlecht ist bedeutungslos, bis wir
wissen :
• 2) wer sagt : ...ist gut/schlecht, in welcher
Situation... und für wen, etwas gut oder schlecht
sein soll.
Wie wird das ausgedrückt? Durch ethische
Begriffe (= vage Begriffe) = kontextoffene
Begriffe.
• 3) Was wird bezüglich gut/schlecht
angenommen bzw. unterstellt?
Sprache und Moral
• 4) Ethische Aussagen beziehen sich auf
unsere Wünsche, Wertvorstellungen, unser
Wissen über uns selbst, über die Welt...in
unserem Lebenskontext.
• Shibles : „With ethical terms their senses are
seldom explicitly specified but merely
assumed.“
• „Gut/schlecht“ stehen als kontextoffene
Begriffe für...
“Das Gute an sich“ ist ein Kategorienfehler...
Moralische Begriffe
• Moralische Begriffe bedürfen als
„kontextoffene“ Begriffe (Shibles) einer
Kontextualisierung, um eine „bestimmte“
Bedeutung zu bekommen.
• Sie sind als solche „an sich“ bedeutungslos.
• Sie sind wert- und emotionsgeladen.
• Sie kommen in „Sprachspielen“ vor und
entfalten dort ihre Bedeutung (Wittgenstein).
4. Ethik arbeitet unter folgenden Prämissen:
• Ethische Analyse orientiert sich an vernünftigen
Argumenten, an absehbaren Folgen.
• Sie arbeitet kontextbezogen und prüft, ob sich vertraute
moralische Prinzipien auf besondere, fremde, weil andere
Situationen und Menschen anwenden lassen.
• Ethische Analyse ist in ständiger Weiterentwicklung, sich
mit dem Zuwachs an Wissen und Können verändernd,
dynamisch das Vertraute durch Entfremdung
herausfordernd und dabei offen für Korrekturen.
• Besonderes Augenmerk ist auf Inkonsistenzen zu
legen...häufig gilt: weil (allzu) vertraut, wird die
Inkonsistenz gar nicht mehr wahrgenommen.
• Sie ist diskursiv, über den Dialog.
Die Herausforderung
• „Ich habe nicht versucht zu zeigen, wie
unsere vertrauten und bequemen
moralischen Überzeugungen auf neue
Situationen angewandt werden können,
sondern vielmehr, in welcher Weise wir
von den neuen Situationen und
Entdeckungen der medizinischen
Forschung und Praxis in unseren
Grundüberzeugungen herausgefordert und
dazu gezwungen werden, die Probleme
noch einmal ganz neu zu überdenken.“
Praktische Ethik
• Praktische Ethik: Konkreter (erlebter) Umgang mit
ethischen Problemen - aktive, kreative
Auseinandersetzung. (A. Schweitzer, Abstraktion ist
der Tod von Ethik...)
• Fallbeispiele sensibilisieren, motivieren,
orientieren,...laden zum Argumentieren, Entscheiden
und Handeln denkerisch wie empathisch ein.
• Verständnis für eine etwaige Kluft zwischen
„Sollen“ und Können.
5. Henk ten Have, 2 Fragen in der
Auseinandersetzung mit Technologien
• 1. Wie und unter welchen Umständen wenden
wir neonatologische Intensivmedizin,... an ?
Dabei wird sie als akzeptiert vorausgesetzt und
nur die Bedingungen ihrer Anwendung
festgelegt.
• 2. Welche Erfahrungen werden in und mit der
Neonatologie,... gemacht ? Dabei werden die
Technologien als solche und ihre Implikationen
für unser Leben hinterfragt.
Neue Technologien
• werfen immer auch die Frage nach einer
Reevaluierung der von ihnen abgedeckten
(medizinischen, sozialen,...) Implikationen und
Folgen auf...
• bei unserer Thematik die Frage nach einer
Reevaluierung von Behinderung...„behindert gehindert - verhindert“...Wenn Behinderung
verhinderbar wird... führt der Weg vom genetischen
zum sozialen Risiko, ein Kind mit besonderen
Bedürfnissen zu bekommen...
Ambivalente Technologien:
Frühgeburtlichkeit an der Grenze der
Lebensfähigkeit (Frauenarzt 12/1998)
• Vor 22 SSW: entsprechend ihrer Würde im
Sterben betreut...
• 22.-24. SSW: 50% überleben, davon 30% mit
schweren körperlichen und geistigen
Behinderungen...
• Ab 25.SSW: 60-80% Überlebenschance,
Behinderungen in Abhängigkeit von
Zusatzfaktoren
Ambivalente Technologien: Frühgeburtlichkeit an
der Grenze der Lebensfähigkeit (Frauenarzt
12/1998)
• Einerseits der Versuch der Vermeidung von Kindern
mit Behinderung über PND/PID, andererseits die
Inkaufnahme von schweren Behinderungen nach
neonatologischer intensivmedizinischer Betreuung
an der Grenze der Lebensfähigkeit.
• Unvermögen, Grenzen anzuerkennen, unsere
Begrenzung am Beginn des Lebens zu akzeptieren.
Gruppe für Paare nach glückloser Schwangerschaft
(Inhalt der Begleitbroschüre)
• Was erwartet mich in der Klinik?
• Pränatalmedizinische Abklärung in
der Schwangerschaft und mögliche
Konsequenzen
• Die Trauer des Vaters
• Wie Geschwister trauern
• Die Zeit danach
• Informationen zu gesetzlichen
Regelungen; Bestattung
• Wo können Sie zusätzlich Beratung
und Hilfe finden ?
• Buchempfehlungen, Kinderbücher
6. Fragen, kritische Überlegungen,...
• Werden die Bedürfnisse vom Kind her definiert
oder von der Erwachsenenwelt?
• Grenzen am Beginn des Lebens zu setzen, bleibt
letztlich eine Arbeit in Grauzonen...
• In einer Gesellschaft mit Betonung von Vernunft,
Bildung, Selbständigkeit, Kommunikation, Fitness
als sozialer Indikatoren für „gesellschaftsfähig“
(sozial lebensfähig) werden Entscheidungen davon
nicht unbeeinflußt getroffen...was für eine Moral?
Was muten wir uns und anderen zu? (J Rücker)
Verantworten als Antworten auf die Fragen:
• Hat ein Neugeborenes das gleiche Lebensrecht
wie ein Erwachsener?
• Gibt es einen Unterschied zwischen
FRÜHgeborenen und REIFgeborenen Babies?
• Gibt es einen Unterschied zwischen behinderten
und gesunden Babies?
• Darf Ressourcenknappheit Entscheidungen
präformieren?
• Welchen Babies darf eine weiterführende Therapie
entzogen werden und wer soll das entscheiden
dürfen/müssen?
Was muten wir uns und anderen zu? (J Rücker)
Verantworten als Antworten auf die Fragen:
• Welche Art von Therapie darf wann und unter welchen
Umständen beendet werden?
• Begleitung im Leiden und Sterben darf nie beendet
werden,...
• Wer trifft Letztentscheidungen? Pluralistische
Konsensentscheidung? Prospektive Evaluierung der
Konsequenzen?
• Individuelle PROGNOSE: Spektrum des Schweregrades
einer Erkrankung, kindliche Vitalität und
Kompensationsvermögen, bevorstehendes Leidensausmaß,
Erreichbarkeit von Entwicklungszielen, soziales
Umfeld,...?
Nichtbehandlung bzw. vorzeitige Therapiebeendigung
(1992 revid. Einbecker Erklärung)
• Das NG wird in absehbarer Zeit sterben, unabhängig von
angewandter Therapie.
• Das Gehirn ist so schwer geschädigt, daß der Tod dem
Leben vorzuziehen ist (Prognosegenauigkeit ca. 80%).
• Schmerzen und Ausmaß des Leidens lassen kein
erträgliches Leben zu.
• Als Arzt/Ärztin habe ich einen Heilungsauftrag, nämlich
den Mitmenschen Gesundheit, d.h. körperliches und
seelisches Wohlbefinden in einem solidarischen sozialen
Umfeld zu vermitteln bzw zu erhalten,...sofern dies
MÖGLICH ist. Wenn das nicht mehr der Fall ist, besteht das
Primum nihil nocere in der Anerkenntnis dessen, was ist und
in dem entsprechenden Handeln.
Oldenburger Fall...“Ensuring a stillborn?“
• Spätabtreibung eines Kindes mit DownSyndrom...Kind überlebt
• Neonatologisches Intensivmanagement
• Zusätzliche Schädigung durch
Frühgeburtlichkeit und Abtreibungsversuch.
• Sicherung eines „gewünschten“
Abtreibungsergebnisses durch
vorausgehenden Fetozid?
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