Kleiner Unterschied – große Wirkung Unterschiedliche Medikamentenauswirkungen bei Frauen und Männern Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin Inhaltsübersicht 1. Was ist der Unterschied zwischen Mann und Frau? 2. Der derzeitige Stand bei Neuzulassungen von Arzneimitteln 3. Stufen der Arzneimittelentwicklung 4. Unterschiede in der Behandlungsqualität ? 5. Praktische Beispiele 6. Schmerz und Depression 7. Zyklusabhängige Erkrankungen Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 2 1. Was ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen? Körperliche Unterschiede primäre und sekundäre Geschlechtsorgane Größe, Gewicht und Körperzusammensetzung Organgröße und Enzymausstattung Rezeptorverteilung Gehirnfunktionen hormonelle Lage und Zyklus Psychosoziale Unterschiede Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 3 2. Derzeitiger Stand bei Neuzulassungen von Arzneimitteln Seit 1993 in den USA: adäquater Einschluss von Frauen in Arzneimittelstudien gesetzlich vorgeschrieben Die US-Zulassungsbehörde (FDA) darf Studien stoppen, falls Frauen ausgeschlossen werden. „Der Einschluss von Frauen in biomedizinische Studien ist ein ethisches Prinzip.“ Seit 2000 : WHO-Richtlinien: Seit 2004 in der EU: GCP-Richtlinie Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 4 2. Derzeitiger Stand bei Neuzulassungen von Arzneimitteln Tatsächlicher Frauenanteil bei Studien derzeit ca. 50% Bei 185 Studien zur Neuzulassung zwischen 1995 und 1999 in den USA wurden 32mal Unterschiede festgestellt. In keinem Fall war eine Dosisanpassung notwendig. Aber: 8 von 10 Marktrücknahmen gehen auf Nebenwirkungen bei Frauen zurück 1999 bis 2004: bei 18 (auch älteren) Wirkstoffen wurden deutliche Unterschiede gefunden Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 5 3. Stufen der Arzneimittelentwicklung 3.1 Substanzsuche Wirksames Prinzip in (Heil-)Pflanzen, Tieren oder Giften finden, reinigen und verbessern oder Schaltstellen im Körper identifizieren, Rezeptorstrukturen aufklären, in Datenbanken passende Substanzen suchen (Schlüssel-Schloss-Prinzip) meistens beides Versuche mit Modellen, Zelllinien und Tieren Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 6 3. Stufen der Arzneimittelentwicklung Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 7 3. Stufen der Arzneimittelentwicklung 3.2 Arzneimittelzulassung Studienphasen 1-3: „künstliche“ Situation mit strengen Ein- und Ausschlusskriterien Aussagekraft: Arzneimittel A wirkt und ist sicher, hilft besser oder schlechter als B, hat mehr oder weniger Nebenwirkungen als B usw. Keine Aussage zu: Ist es sinnvoll, zu Behandeln? Welchen Nutzen hat der Patient? Ist das Arzneimittel auch bei Patienten mit mehreren Erkrankungen geeignet? Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 8 3. Stufen der Arzneimittelentwicklung 3.3 klinische Forschung Suche nach optimalen Behandlungsstrategien, Aufstellung von Stufenplänen und Leitlinien Beispiel: Stufenplan bei Herzinsuffizienz (Herzschwäche) nach New York Heart Association NYHA. Richtwerte für Blutdruck, Blutzucker, Chlosterin hier ist der Frauenanteil nur 25% ( vor 1993: 0%) Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 9 3. Stufen der Arzneimittelentwicklung 3.3 klinische Forschung z.B. Herzinsuffizienz: Frauen profitieren nicht von Digoxinbehandlung (Digoxin = eines der Herzglykoside) z.B. ASS: Keine Herzinfarktprophylaxe für Frauen unter 65 Jahren Gute Schlaganfallprophylaxe Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 10 4. Unterschiede in der Behandlungsqualität? Studie der BARMER EK: Nach Herzinfarkt werden 53% der Männer aber nur 35% der Frauen mit den notwendigen Arzneimitteln behandelt. Frauen in Dialyse haben im Vergleich zu Männern nur eine 75%-ige Chance ein Transplantat zu bekommen. ( Nur 38% aller Nierenempfänger, aber 60% der Lebendspender sind Frauen) Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 11 4. Unterschiede in der Behandlungsqualität? Die frauentypischen Symptome für Herzinfarkt werden immer noch als „atypisch“ bezeichnet Transatlantische Studie mit Videoclips in USA, Deutschland und Großbritannien Bei Frauen wurden die dargestellten Herzprobleme seltener erkannt, Diagnostik und Therapieempfehlungen waren diffuser Ergebnis: „Geschlechtsstereotypien vermindern offenbar die Chancen von Frauen mit KHK, optimal behandelt zu werden.“ Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 12 5. Auswirkungen in der Praxis ASS: Wirkeintritt später (Magenentleerung und Magen-pH), Abbau 40% langsamer, Wirkspektrum z.T. völlig verschieden, s.o. Paracetamol: wirkt schlechter gegen Schmerzen, wird aber vermehrt zu toxischem Produkt abgebaut; für Frauen nur notfalls zu empfehlen, Maximaldosis unbedingt beachten. Opiode (Morphine): wirken wesentlich stärker ( Männer brauchen 40% höhere Dosis!), deutlich mehr Nebenwirkungen ( Schwindel, Übelkeit) bei Frauen Benzodiazepine: wirken doppelt so lange wie bei Männern ( Blutvolumen, Körperfett) Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 13 5. Auswirkungen in der Praxis ACE-Hemmer: Wirkung bei Frauen schlechter, aber die Nebenwirkung Husten tritt doppelt so häufig auf (ACE-Hemmer = Wirkstoffgruppe mit der Endung -pril ) ß-Blocker: Bei Frauen höhere Konzentrationen im Blut, mehr Nebenwirkungen (z.B. Metoprolol Blutspiegel 40% höher) Herzrhythmusstörungen: Die Nebenwirkungsrate der Arzneimittel ist bei Frauen höher Das heißt: bei Frauen muss der Therapieverlauf häufiger kontrolliert werden! Ca-Antagonisten: Schnellere Ausscheidung Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 14 5. Auswirkungen in der Praxis Cholesterinsynthesehemmer: Die Nebenwirkungsrate der Statine ist bei Frauen deutlich höher (Endung der Wirkstoffgruppe: -statin) Zytostatika, Immunsupressiva: Dosis wird i.d.R. in der Klinik angepasst Narkosemittel: wesentlich schnellerer (Propofol) oder auch stark verzögerter Abbau (Muskelrelaxantien,Midazolam). Dieser Effekt ist Östrogenabhängig, d.h. Einnahme von Pille, Hormonersatz, auch von pflanzlichen Arzneimitteln immer angeben. Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 15 5. Auswirkungen in der Praxis Coffein, Amphetamine, Appetitzügler: Wirkung bei Frauen stärker Antiretrovirale Therapie: Wirkung bei Frauen stärker Antidepressiva: Frauen mit Zyklus: SSRI wirken besser Männer und postmenopausale Frauen: Trizyclika und NARI wirken besser Insulin: Sensitivität und Wirkung bei Frauen stärker Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 16 6. Schmerz und Depression 6.1 Frauen und Schmerz Frauen haben (oder empfinden?) häufiger und stärker Schmerzen als Männer Von einigen Erkrankungen, die mit chronischen Schmerzen einhergehen sind Frauen wesentlich häufiger betroffen z. B. Polyarthritis: 75 % Erkrankte sind Frauen z. B. Migräne: 17,6 % aller Frauen, aber nur 6,2 % aller Männer erkranken Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung in anderen Hirnregion Die zelluläre Schmerzvermittlung durch Leukotriene ist in weiblichen Organismen anders ( klinische Studien mit Anti-Leukotrienen aber nur mit männlichen Tieren) Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 17 6. Schmerz und Depression 6.1 Frauen und Schmerz ein Großteil der chronischen Schmerzpatienten behandelt sich selbst Gleichzeitig Wirksamkeitsunterschiede bei einigen Schmerzmitteln z. B. Paracetamol: schwächere Wirkung bei Frauen z. B. Opioide: stärkere Wirkung bei Frauen Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 18 6. Schmerz und Depression 6.2 Depressionen Werden bei Frauen doppelt so häufig diagnostiziert wie bei Männern Gründe: ? Unterschiede in der Hirnfunktion Hormonelle Einflüsse Psychosoziale Gründe (Sozialisation, sozialer Status, Stress, Gewalterfahrungen) Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 19 6. Schmerz und Depression 6.2 Depressionen Fakten: Frauen bekommen wesentlich häufiger Psychopharmaka verordnet als Männer, vor allem Tranquilizer (Beruhigungsmittel) Nehmen Frauen mehr Beruhigungsmittel weil sie mehr Angst haben? oder werden Frauen von ihren Ärzten schneller ruhig gestellt? Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 20 6. Schmerz und Depression 6.2 Depressionen Tatsache ist: Wenn eine Depression diagnostiziert ist, müssen Frauen länger behandelt werden als Männer, aber mit niedrigeren Arzneimitteldosen Frauen sprechen (je nach Hormonstatus) auf verschieden Wirkstoffklassen der Antidepressiva verschieden gut an Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 21 7. Erkrankungen mit zyklusabhängigem Verlauf Asthma: deutliche Verschlechterung vor und während der Menstruation (Östrogenmangel) Arthritis: wie oben gesagt! Die Pille senkt das Risiko für rheumatische Erkrankung! Migräne: Attacken vor allem während der Menstruation Diabetes: vor und während der Menstruation entgleist der Blutzucker häufiger Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 22 8. Zusammenfassung Geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen in der Erkrankungsentstehung und -häufigkeit in Wirksamkeit und im Nebenwirkungsprofil vieler Arzneimittelgruppen bei Erkrankungen mit zyklusabhängigem Verlauf in der Effektivität von Behandlungsregimes immer noch auch in der Behandlungsqualität! Anja Fries – Apothekerin und Ernährungsberaterin 23 Was tun?