Prof. Dr. Johann Graf Lambsdorff Universität Passau WS 2012/13 y, s.y y* 4. Geld und Inflation c* f(k) (n+d)k s.f(k) s.y* k* Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff k Folie 84 Pflichtlektüre: Mankiw, N. G. (2003), Macroeconomics. 5. Aufl. S. 75108; 524-525. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 85 • Inflation Unter Inflation, p, versteht man eine Situation, in der die Lebenshaltungskosten in einer Volkswirtschaft ansteigen. Deflation bezeichnet dagegen die gegenteilige Situation sinkender Lebenshaltungskosten. Die Lebenshaltungskosten sind ein Maß für die gesamten Kosten der Güter und Dienste, welche von einem typischen Konsumenten gekauft werden. Ein Anstieg der Lebenshaltungskosten bedeutet, dass ein typischer Konsument mehr Euro ausgeben muss, um den Lebensstandard zu halten. Das Statistische Bundesamt stellt hierfür monatliche Daten zur Verfügung. Diese erlauben es, die zeitliche Veränderung der Lebenshaltungskosten zu verfolgen. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 86 • Verbraucherpreisindex Die Lebenshaltungskosten werden auch „Verbraucherpreisindex“ genannt und im Folgenden mit P gekennzeichnet. Zur Bestimmung der Lebenshaltungskosten muss zunächst ein Warenkorb bestimmt werden. • Warenkorb Der Warenkorb enthält die wichtigsten Güter eines typischen Konsumenten. Mit Hilfe von Befragungen von Haushalten werden in periodischen Abständen die passenden Gewichte der einzelnen Güter bestimmt. Haushalte werden hierzu seitens des Statistischen Bundesamtes aufgefordert, ein Jahr lang über ihre Einnahmen und Ausgaben Buch zu führen. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 87 Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 88 • Messung der Inflation Zu den Gütern des Warenkorbes werden regelmäßig die Preise zusammengetragen. Hiermit können dann die gesamten Kosten des Warenkorbes zu unterschiedlichen Zeitpunkten bestimmt werden. Ein Jahr wird als Basisjahr festgelegt und die Ergebnisse anderer Jahre mit denen des Basisjahres verglichen. Die Inflationsrate, p, im Jahre 2012, beispielsweise, ergibt sich gemäß: 𝑃2012 − 𝑃2011 𝜋2012 = × 100 𝑃2011 • Bias in der Messung Der Verbraucherpreisindex ist ein akkurates Maß für das Preisniveau des ausgewählten Warenkorbes, aber er ist kein perfektes Abbild der Lebenshaltungskosten. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 89 1. Substitutionsbias Veränderungen relativer Preise bewirken eine Veränderung des Warenkorbes hin zu preiswerteren Produkten. Durch diese Substitutionseffekte wird der gesamte Warenkorb günstiger. Der Index unterstellt einen konstanten Warenkorb, vernachlässigt also diesen Substitutionseffekt. Hierdurch überschätzt der Index die Inflationsrate. 2. Einführung neuer Produkte Der Warenkorb vernachlässigt die veränderte Kaufkraft, welche durch die Einführung neuer Produkte entsteht. Neue Produkte erhöhen die Wahlmöglichkeiten eines Konsumenten. Dies macht jeden Euro wertvoller. Konsumenten brauchen weniger Euro, um den gleichen Lebensstandard zu erreichen. Der Verbraucherpreisindex vernachlässigt dies und überschätzt daher die Inflationsrate. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 90 3. Vernachlässigte Qualitätsverbesserungen Wenn sich die Qualität eines Gutes über die Jahre verbessert, erhöht sich der Wert eines hierfür ausgegebenen Euro, ohne dass sich das Preisniveau des Gutes verändert. Sofern im Mittel eher Qualitätsverbesserungen auftreten, kommt es dazu, dass der Verbraucherpreisindex die Inflationsrate überschätzt. • Überschätzung der Lebenshaltungskosten Aufgrund der drei genannten Gründe werden die Lebenshaltungskosten überschätzt. Schätzungen ergeben, dass die gemessene Inflation den tatsächlichen Anstieg der Lebenshaltungskosten um ca. einen Prozentpunkt pro Jahr überzeichnet. Dies kann problematisch sein, sofern ein Inflationsausgleich bei staatlichen Programmen oder in Tarifverhandlungen festgelegt wird (dies wird auch „Indexierung“ genannt. Eine solche Indexierung ist in Deutschland rechtlich aber nur eingeschränkt möglich). Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 91 Interaktives • Inflation Haben Sie Sorge, dass in der Zukunft die Inflation ansteigen könnte? o Ja Nein Gesetzt den Fall, die Inflation würde tatsächlich ansteigen, hätten Sie Sorge, dass dies negative Auswirkungen hätte? o Ja Nein Welche negative Auswirkung würden Ihnen am meisten Sorge bereiten? o Meine Ersparnisse und Vermögen sind weniger wert. o Ich kann mir von meinem jährlichen Einkommen weniger leisten. o Die Wirtschaft wird instabil weil keiner mehr Preisschwankungen versteht. o Die Reichen werden reicher und die Armen werden ärmer. o Andere Gründe. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 92 Die Kosten der Inflation Inflation bei konstantem nominalen Lohneinkommen reduziert die Kaufkraft der Lohnempfänger. Wird mit diesem Argument bereits auf die Kosten der Inflation verwiesen? Nein. Konstanter nominaler Lohn kann mit steigendem Selbstständigenoder Gewinneinkommen einhergehen, denn Produzenten verdienen nominal mehr bei steigenden Preisen. Damit findet eine (evtl. unerwünschte) Umverteilung statt, nicht aber ein allgemeines Sinken des Lebensstandards. Welche Kosten lassen sich klarer identifizieren? Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 93 1. Schuhlederkosten Menschen versuchen, ihre Geldhaltung bei hoher Inflation zu reduzieren. Dies impliziert ein häufigeres Aufsuchen der Bank zum Zweck der Abhebung von zinstragenden Vermögensanlagen. Hierbei entstehen Kosten für die involvierte Zeit und Unannehmlichkeiten. 2. Menukosten Preislisten und Aushängeschilder müssen häufiger aktualisiert werden. Die Bestimmung neuer Preise erfordert kostspielige Informationen, Entscheidungsprozesse, Verhandlungen und Kommunikation. Hierbei werden Ressourcen verbraucht, die ansonsten im Produktionsprozess sinnvoller verwendet werden könnten. Wird hingegen auf häufige Preisanpassungen verzichtet und stattdessen starke Preiserhöhungen relativ selten durchgeführt, dann beeinflusst Inflation die relativen Preise. Dies bewirkt allokative Verzerrungen. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 94 3. Konfusion und Unbequemlichkeit Mit Inflation sind reale Werte schwerer über die Zeit zu vergleichen. Geld verliert teilweise seine Bedeutung als Recheneinheit. Eine realistische Darstellung von Kosten, Profiten und Erträgen einer Firma wird so erschwert. Investoren haben größere Schwierigkeiten, erfolgreiche von erfolglosen Firmen zu unterscheiden. Der Kapitalmarkt wird behindert. 4. Willkürliche Umverteilung Die bisher erwähnten Kosten ergeben sich auch bei einer konstant hohen Inflationsrate. Weitere Kosten ergeben sich bei einer unerwarteten Inflation. Bezieher eines nominal fixierten Lohneinkommens werden benachteiligt. Ebenso werden Kreditgeber von einer unerwarteten Inflation benachteiligt, da zumeist in Kreditverträgen die Nominalzinsen fixiert sind. Kreditnehmer werden von Inflation begünstigt, da ihre Tilgung real günstiger wird. Vermögen wird somit willkürlich umgeschichtet. Hierdurch ergeben sich Verteilungsprobleme, evtl. auch eine abnehmende Bereitschaft, mit regulärer Arbeit Einkommen zu erzielen. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 95 Interaktives • Inflation Ihr Vorgesetzter kommt in Ihr Büro, teilt Ihnen mit, dass Ihr Lohn steigt und beglückwünscht Sie dazu. Beachten Sie die weitere Beschreibung auf Ihrem mobilen Endgerät! Wie schätzen Sie die Auswirkung dieser Nachricht auf Ihre Arbeitsmotivation ein? Die Arbeitsmotivation würde sich verbessern 1 | 2 | 3 | 4 | 5 verschlechtern Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 96 Der Nutzen der Inflation 1. Vermeidung von Unterbeschäftigung Die Erfahrung lehrt, dass sich Inflation nur durch einen Produktionseinbruch und Unterbeschäftigung reduzieren lässt. Gemäß Schätzungen ist zur Reduzierung der Inflation um einen Prozentpunkt ein temporärer Produktionseinbruch zu erwarten. Aggregiert über den Anpassungszeitraum beläuft sich der Einbruch auf 5 Prozent des Inlandsprodukts (z.B. in den ersten beiden Jahren jeweils 2 Prozent und im dritten Jahr 1 Prozent). Ein temporärer Produktionseinbruch kann auch länger anhaltende nachteilige Folgen haben. Eine Rezession kann Investoren abschrecken. Damit sinkt der Kapitalstock und temporär die Produktivität. Temporäre Arbeitslosigkeit kann auch Humankapital vernichten, weil Erfahrungswissen verloren geht. Fortwährende Inflation vermeidet auch diese Kosten. 2. Besteuerung von Geldvermögen Inflation wirkt wie eine Besteuerung von Geldvermögen und verschafft der Zentralbank und damit dem Staat zusätzliche Einnahmen (Inflationssteuer). In Ländern, in denen das Steuersystem nicht gut funktioniert, kann dies eine effiziente Form der Finanzierung öffentlicher Aufgaben darstellen. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 97 3. Verbesserte Anpassung der realen Löhne Nominale Löhne sind teilweise nach unten starr, z.B. weil Gewerkschaften gegen Lohnsenkungen Streiks organisieren können. Bei einer schleichenden realen Entwertung der Löhne durch Inflation bleiben Streiks aber zumeist aus. Dies ist kompatibel mit Umfrageergebnissen: Eine Reduzierung des Nominallohnes bei Nullinflation wird als unfair eingeschätzt, ein konstanter Lohn bei Inflation aber nicht. Dieses Verhalten wird auch als „Geldillusion“ bezeichnet. Eine moderate und konstante Inflation kann daher die notwendige Anpassung der realen Löhne in Krisenbranchen ermöglichen. Dies kann auch langfristig die Produktion eines Landes erhöhen. 4. Verringertes Deflationsrisiko Höhere Inflation verringert das Risiko, dass eine Krise zu Deflation, also einem sinkenden Preisniveau, führt. Warum diese besonders gefährlich ist, wird in Abschnitt 10 gezeigt. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 98 Interaktives • Inflation Welche Inflationsrate, gemessen mit dem VPI, würden Sie für Deutschland bevorzugen? o 0% o 1% o 2% o 3% o 4% oder mehr Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 99 • Optimale Inflation In Abwägung der Vor- und Nachteile der Inflation sollte bedacht werden, dass eine Inflation von Null übermäßig restriktiv wirkt. Aufgrund des Substitutionsbias ist eine Inflationsrate von 1% als Preisniveaustabilität zu werten. Darüber hinaus kann aus den genannten Nutzenerwägungen ein wenig Inflation zugelassen werden. Die EZB hat sich daher ein Inflationsziel von zwischen 1% und 2% gesetzt. Andere Zentralbanken, wie die Norwegens, haben höhere Inflationsziele von 2,5%. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 100 Geld Unter Geld verstehen wir alles, was zur Bezahlung von Gütern und Dienstleistungen oder zur Abdeckung wirtschaftlicher Verpflichtungen akzeptiert wird. Die konkrete Erscheinungsform ist evtl. Änderungen unterworfen. Auch knappe Güter wie Zigaretten oder Butter sind als Geld verwendet worden. Definiert wird Geld insbesondere durch die Funktionen, die es erfüllt. 1. Tauschmittelfunktion (Wertübertragungsfunktion). Naturaltausch ist kaum zu organisieren, da eine doppelte Übereinstimmung der Bedürfnisse oder eine Kette von Tauschtransaktionen organisiert werden muss. Dies würde hohe Suchkosten implizieren. Geld hilft dabei, den Tausch in Kauf und Verkauf aufzuspalten. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 101 2. Recheneinheit; allgemeines Wertausdrucksmittel. Der Wert aller Güter, Forderungen und Verbindlichkeiten wird in Einheiten ein und derselben Bezugsgröße ausgedrückt. Werden 200 Güter gegeneinander getauscht, müssten (n(n-1))/2=19900 Austauschverhältnisse bekannt sein. Ist ein Gut davon eine Recheneinheit, so reduziert sich die Anzahl der Austauschverhältnisse auf 199. Dies bewirkt eine Einsparung an Informationskosten. 3. Wertaufbewahrungsfunktion; Wertspeicher. Oftmals liegt eine zeitliche Trennung von Kauf und Verkauf vor. Geld ermöglicht es, Kaufkraft zu „lagern“. Geld hat hierbei allerdings den Nachteil, dass es keine Zinsen abwirft. Andere Formen der Vermögensanlage (Sparguthaben, Wertpapiere oder Sachvermögen) bringen Zinsen, Dividenden, Pacht oder Mieten hervor. Außerdem partizipieren diese u.U. an Preissteigerungen. Dafür ist Geld allerdings risikolos (keine Kursschwankungen). Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 102 • Geldnachfrage Die drei Funktionen implizieren, dass Wirtschaftssubjekte Geld zu halten wünschen. Insgesamt wird um so mehr Geld nachgefragt, je mehr Gütertransaktionen in einer Volkswirtschaft getätigt werden, je höher also das reale Inlandsprodukt ist. Zudem wird bei einem Anstieg des Preisniveaus eine erhöhte Geldhaltung erforderlich. Wird die Geldnachfrage hingegen durch den Verbraucherpreisindex, P, dividiert, so sprechen wir von der „realen“ Geldnachfrage. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 103 • Geldnachfrage und Zinssatz Geld hat im Vergleich zu anderen Vermögensanlagen den Nachteil, keine Zinsen oder Dividenden zu erbringen. Daher werden Wirtschaftssubjekte um so weniger Geld zu halten wünschen, je höher der (nominale) Zinssatz ist. Hierzu können wir uns die Abwägung eines Wirtschaftssubjekts zwischen dem Halten von Geld und dem Halten von festverzinslichen Staatsanleihen (Bonds) vorstellen. Die Geldnachfrage und die Bondnachfrage sind voneinander abhängig. Steigt der Zinssatz, so werden Bonds attraktiver. Wirtschaftssubjekte reduzieren dann die Geldhaltung, um verstärkt die zinstragenden Staatsanleihen zu halten. Bei der knappen Geldausstattung müssen sie für die täglichen Güterkäufe häufiger zur Bank gehen und einen geringen Betrag Bargeld abheben. Bonds werden häufig ge- und verkauft um den Saldo des Girokontos gering zu halten. Bei niedrigen Zinsen wird hingegen mehr Geld gehalten und die häufigen Käufe und Verkäufe von Bonds lohnen sich nicht. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 104 • Reale Geldnachfrage Das nominale Zinsniveau und das reale Inlandsprodukt bestimmen somit die reale Geldnachfrage, Lr. 𝐿𝑟 = 𝐿 𝑌, 𝑖 , mit 𝑑𝐿𝑟 𝑑𝑌 > 0; 𝑑𝐿𝑟 𝑑𝑖 < 0, Bei einer Verdoppelung des Verbraucherpreisindex, P, wird sich die nominale Geldnachfrage ebenfalls verdoppeln. Für alle Güterkäufe ist die doppelte Kasse für Transaktionszwecke notwendig. Daher resultiert für die nominale Geldnachfrage, Ln: 𝐿𝑛 = 𝑃 ∙ 𝐿 𝑌, 𝑖 Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 105 i Lr(Y,i) i Lr Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Lr Folie 106 • Kausalität Die Kurve für die Geldnachfrage erlaubt zwei verschiedene Lesarten. Bei einem vorgegebenen Zins zeigt sich, in welcher Höhe die Geldnachfrage resultiert. Es kann aber auch von einer vorgegebenen Geldmenge ausgegangen werden. In diesem Fall bestimmt die Kurve die Höhe des nominalen Zinssatzes. Welche Variante anzuwenden ist, hängt von der Politik der Zentralbank ab. • Verschiebung der Geldnachfragekurve Zwei Variablen können die Geldnachfragekurve nach rechts verschieben: ein höheres Inlandsprodukt und ein exogener Anstieg. Wenn z.B. Bonds als riskant eingestuft werden, wollen Anleger lieber risikoloses Geld halten und erhöhen autonom die Geldnachfrage. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 107 Fallstudie III. Fallstudie Goldstandard Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 108 Fallstudie • Zentralbanken garantieren einen Preis zwischen ausgegebenen Banknoten (und Münzen) und Gold. Sie verpflichten sich, ausgegebene Banknoten gegen Gold zu konvertieren. • Zentralbanken sind damit in der Höhe der ausgegebenen Banknoten beschränkt. • Die Geldmenge wird durch die Höhe der Goldreserven begrenzt. • Die Höhe der Zinsen resultiert bei fixierter Geldmenge aus der Geldnachfragekurve. • Sofern Zentralbanken untereinander ihre Zahlungen in Gold abwickeln und Staaten den internationalen, privatwirtschaftlichen Transfer von Gold erlauben, spricht man von einem internationalen Goldstandard. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 109 Nachteil: Die Höhe der Geldmenge ist fixiert und bestimmt damit den Zinssatz. Damit kann die Höhe der Zinsen nicht mehr den Bedürfnissen der lokalen Wirtschaft angepasst werden. In einer wachsenden Wirtschaft erhöht sich permanent die Geldnachfrage. Ein Zinsanstieg ist nur durch stetige Deflation zu vermeiden. • Vorteil: Staaten können nicht eine unsolide Budgetplanung durch Gelddrucken finanzieren. Fallstudie • Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 110 Fallstudie • 1833: Per Gesetz wird die Bank of England verpflichtet, ausgegebene Noten in Gold zu konvertieren. • 1870-1914: Der Goldstandard setzt sich gegen Silber international durch. Zentralbanken schließen sich Großbritannien an und begründen einen internationalen Goldstandard. • 1919-1931: Währungen werden vereinzelt wieder an Gold gebunden. • 1944: Auf der Konferenz von Bretton Woods wird der Dollar an Gold gebunden und andere Währungen an den Dollar, mit der Möglichkeit der Abwertung. • 1971: Präsident Nixon beendet Bindung des Dollar an Gold. Damit können US-Dollar unbegrenzt emittiert werden. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 111 17 ab. 2011 Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 112 • Organisation Die Durchführung der Geldpolitik wird vom EZB-Rat vorgenommen. Der EZB-Rat besteht aus dem Direktorium mit dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und vier weiteren Mitgliedern sowie den Präsidenten der nationalen Zentralbanken. • Grundsätzlich beschließt der EZB-Rat (wie auch das Direktorium) mit einfacher Mehrheit, wobei im Falle der Stimmengleichheit die Stimme des Präsidenten den Ausschlag gibt. Das Direktorium ist für die Umsetzung der Entscheidungen des EZB-Rats verantwortlich. Die Ausführung der Beschlüsse obliegt den Nationalen Zentralbanken auf Weisung des Direktoriums. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 113 Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 114 Geldmengenaggregate der Europäischen Zentralbank Stand: März 2012 • Bargeldumlauf im Nichtbankensektor (843) • Sichteinlagen der Nichtbanken bei den Geschäftsbanken (3941) • Einlagen der Nichtbanken bei den Geschäftsbanken mit vereinbarter Laufzeit von bis zu zwei Jahren sowie mit vereinbarter Kündigungsfrist von bis zu drei Monaten (3836) • Repogeschäfte, Geldmarktfondsanteile und Geldmarktpapiere, Schuldverschreibungen bis zwei Jahre von Nichtbanken (1138) Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff M1 M2 M3 Folie 115 • Moderne Zentralbankpolitik Während im Goldstandard die Höhe der Geldmenge fest vorgegeben war, gibt es eine solche Beschränkung für die EZB nicht. Die EZB gibt vielmehr die Höhe der Zinsen vor. Die Höhe der Geldmenge wird dann durch die Geldnachfrage bestimmt. • Monopol bei der Notenemission Die beherrschende Stellung der Zentralbank bei der Bestimmung des Zinsniveaus ergibt sich aus ihrem Recht zur Emission von Banknoten und der Kontrolle des Bankensystems. Genauso bestimmt die EZB über das Ausgabevolumen an Münzen. • Kreditvergabe der EZB an Geschäftsbanken Haushalte und Unternehmen wünschen Geld teilweise in Form von Bargeld zu halten. Wenn Banken Kredite an Unternehmen vergeben, so müssen sie sich für die Auszahlung teilweise Bargeld verschaffen. Hierbei sind sie auf die Zentralbank angewiesen. Die Banken müssen sich zur Versorgung mit Bargeld bei der Zentralbank verschulden. Hierfür bestimmt die Zentralbank die Höhe der zu zahlenden Zinsen. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 116 Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 117 2012W11 2011W43 2011W23 2011W03 2010W35 2010W15 2009W48 2009W28 2009W08 2008W40 2008W20 2007W52 2007W32 2007W12 2006W44 2006W24 2006W04 2005W36 2005W16 2004W49 2004W29 2004W09 2003W41 2003W21 2003W01 2002W33 2002W13 2001W45 2001W25 2001W05 2000W37 2000W17 1999W49 1999W29 1999W09 1000000 Banknotenumlauf 800000 Kredite der EZB an Geschäftsbanken 600000 400000 200000 0 • Mindestreserve Die Zentralbank hat weitere Möglichkeiten, die Kosten der Kreditvergabe der Banken, und damit die von Unternehmen zu bezahlenden Zinsen, zu beeinflussen. Derzeit müssen die Banken eine verpflichtende Einlage (Mindestreserve) in Höhe von (nur) 1 % der Sichteinlagen, bezogen auf die Girokonten von Haushalten und Unternehmen bei Banken, bei der EZB halten. Vergibt z.B. eine Bank einen Kredit i.H.v. 1000 €, so wird der Kreditnehmer (Unternehmer) hiermit Zahlungen durchführen, die bei Empfängern (z.B. Haushalte) zu Sichteinlagen führen. Dann werden aber 20 € Mindestreserven fällig. In dieser Höhe müssten die Banken Kredite bei der Zentralbank aufnehmen. Je höher die Mindestreserve, desto stärker müssen sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank verschulden. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 118 • Arten der Kreditvergabe an die Geschäftsbanken Die Kredite der EZB haben derzeit Laufzeiten von einer Woche (Hauptrefinanzierungsfazilität, Mindestbietungssatz seit Juli 2012: 0,75%) oder drei Monaten (längerfristige Refinanzierungsfazilität). Daneben gewährt die Zentralbank eine unbegrenzte Spitzenrefinanzierungsfazilität zu einem höheren Zinssatz von 1,50% (Stand Juli 2012). Umgekehrt gewährt die EZB den Geschäftsbanken auch die Möglichkeit, überschüssige Mittel bei der EZB zu halten (Einlagenfazilität) und bezahlt den Banken hierfür Zinsen von derzeit allerding 0,00% (Stand Juli 2012). Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 119 • Einfluss der Zentralbankzinsen Die Zentralbank beeinflusst die Höhe, mit der sich Banken untereinander Geld leihen (gemessen mit dem EONIA; Euro OverNight Index Average). Dies lässt sich insbesondere mit Arbitragegeschäften erklären. So kann der EONIA nie über die Spitzenrefinanzierungsfazilität steigen, da sich Banken sonst günstiger über die EZB finanzieren können. Genauso kann der Zinssatz nicht unter das Niveau der Einlagenfazilität sinken, da Banken sonst überschüssige Mittel eher bei der EZB anlegen als diese anderen zur Verfügung zu stellen. Je höher die Zentralbankzinsen und je höher der EONIA, desto kostspieliger ist für Banken die Kreditvergabe. Diese Kosten werden von den Banken durch höhere Zinsen weitergereicht. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 120 5 1999-01 1999-04 1999-07 1999-10 2000-01 2000-04 2000-07 2000-10 2001-01 2001-04 2001-07 2001-10 2002-01 2002-04 2002-07 2002-10 2003-01 2003-04 2003-07 2003-10 2004-01 2004-04 2004-07 2004-10 2005-01 2005-04 2005-07 2005-10 2006-01 2006-04 2006-07 2006-10 2007-01 2007-04 2007-07 2007-10 2008-01 2008-04 2008-07 2008-10 2009-01 2009-04 2009-07 2009-10 2010-01 2010-04 2010-07 2010-10 2011-01 2011-04 2011-07 2011-10 2012-01 2012-04 2012-07 6 Zinssatz Einlagefazilität Zinssatz Spitzenrefinanzierungsfazilität Zinssatz Hauptrefinanzierungsgeschäfte Geldmarktsätze: EONIA (Monatsdurchschnitt) 4 3 2 1 0 Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 121 • Die Quantitätstheorie Welches Verhältnis besteht zwischen Inflation und Zentralbankpolitik? Eine einfache und klassische Verbindung wurde bereits von dem englischen Philosophen John Locke im 17. Jhdt. formuliert, die Quantitätstheorie. • Eine einfache Faustformel Die Menge an Gütern einer Volkswirtschaft, Y, könnte proportional zur Höhe der realen Geldmenge, M/P, sein. Ist die reale Geldmenge zu hoch, so sollten langfristig zum Ausgleich die Preise steigen. Dies wird auch als „Neutralität des Geldes“ bezeichnet: Ein Anstieg der Geldmenge beeinflusst nicht die Höhe des realen Inlandsprodukts, sondern nur die Preise. • Umlaufgeschwindigkeit Die genannte Proportionalität impliziert, dass die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes konstant ist, also bildlich gesprochen die Schnelligkeit, mit der ein Euro in der Wirtschaft von einer Geldbörse zur anderen wandert. Umlaufgeschwindigkeit=P.Y/M Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 122 Geld und Preise in der Hyperinflation c) Deutschland Index (Jan. 1921 = 100) 100 Bill. Preisniveau 1 Bill. 10 Mrd. Geldangebot 100 Mill. 1 Mill. 10,000 100 1921 1922 1923 Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff 1924 1925 Folie 123 Nominales BIP, Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit 10000 8 9000 7 8000 6 Mrd. DM (ab 1999 €) 7000 5 6000 5000 4 4000 3 3000 2 2000 1 1000 0 2009 2007 2005 2003 2001 1999 1997 1995 1993 1991 1989 1987 1985 1983 1981 1979 1977 1975 1973 1971 1969 1967 1965 1963 1961 1959 1957 0 BIP, Eurozone Geldmenge M1, Eurozone Geldmenge M1, Deutschland BIP, Deutschland Umlaufgeschwindigkeit, M1 Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 124 • Zur Brauchbarkeit der Quantitätsgleichung Die Faustformel funktioniert relativ gut bei Hyperinflation, also einer Inflation, welche einen Wert von 50 v.H. im Monat übersteigt. In Zeiten moderater Inflation ist die Umlaufgeschwindigkeit aber nicht konstant. Die Umlaufgeschwindigkeit sinkt bei niedrigen Zinsen, da Haushalte und Unternehmen dann mehr Geld zu halten wünschen. Insgesamt wird dieser Faustformel in der Zentralbankpolitik heutzutage keine herausragende Bedeutung mehr beigemessen. Wir werden den Zusammenhang zwischen Zentralbankpolitik und Inflation noch genauer untersuchen. Makroökonomik WS 2012/2013, Prof. Dr. J. Graf Lambsdorff Folie 125