JOSEF STEINBACH Randbedingungen des Handelns als Forschungsgegenstand der Sozial und Wirtschaftsgeographie Vortrag an der WU Wien 1. Einführung 2. Wie beeinflusst der Raum das individuelle Verhalten? 2.1 Die “Entterritorialisierung” der Geographie 2.2 Systeme und Netzwerke 2.3 Behavior Settings 2.4 Standorte 2.5 Regionsbildung durch Partizipations- und Nutzungschancen 2.5.1 Individuen und Haushalte 2.5.2 Unternehmen 2.6 Ein “System von Systemen” 3. Wie beeinflusst die „Kultur“ das soziale und wirtschaftliche Verhalten? 4. Wie laufen die Prozesse ab, welche die Randbedingungen des individuellen Verhaltens gestalten? 5. Schlussbemerkung 1. Einführung Merkmale der „neuen Sozial- und Wirtschaftsgeographie“: 1. die Vielfalt an erkenntnistheoretischen Paradigmen und der darauf aufbauenden theoretischen Konzepte 2. die zunehmende Abwendung von der objektiv distanzierten Zugangsweise zu den Forschungsobjekten 3. die Tendenzen, die Bedeutung des “Raumes” als Einflussfaktor auf das individuelle Verhalten als immer geringer zu bewerten Sie erhöhen die Gefahr: 1. der Verluste an Kompatibilität mit wichtigen, Nachbarfächern (Regional Science, Wirtschafts- und Politikwissenschaften, empirisch orientierte Soziologie, Architektur und Städtebau etc.) 2. der (noch weitergehenden) Verdrängung aus praxisorientierten Aufgabenfeldern (vor allem in der Raumplanung und in der Politikberatung) und damit 3. der gesellschaftspolitischen Irrelevanz von sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsergebnissen Probleme der beiden Hauptrichtungen der sozial- und wirtschaftsgeographischen Forschung: Objektiv distanzierte Zugangsweise: Probleme der “Wertneutralität” (“Wer Beobachtet die Beobachter?“) von auf objektive Tatbestände ausgerichteten “Beobachtungen erster Ordnung”; Paradigmen des “Kritischen Rationalismus” oder des “Kritischen Realismus” Subjektiv partizipierende Zugangsweise: Probleme der “Wertneutralität”(Rollen, Weltbilder, Interessensstrukturen) der “Beobachter zweiter Ordnung” bestehen aber auch bezüglich der Erfassung von “Bedeutungszuweisungen” (anstelle der realen Gegebenheiten), die im Rahmen von Kommunikationen, Diskursen oder Handlungen entstehen; z.B. Analysen von kultur- und raumbezogenen Semantiken (durch Wiederholungen generalisierte Sinninhalte) nach den Paradigmen des “interpretativen” oder des “erkenntnistheoretischen” Konstruktivismus; Grenzen der Erklärung des individuellen (raumbezogenen) Verhaltens: Ansätze, die sich auf bestimmte Aspekte des Verhaltens beziehen: • ökonomisches Menschenbild: Maximierung des Aufwandes, Minimierung des Nutzens • soziologisches Menschenbild: Orientierung an sozialen Regeln und normativen Bezugsgruppen • Menschenbild der Evolutionsökonomie: Entwicklungspfade des Verhaltens • psychologisches Menschenbild: Bedeutung der Erfahrungsumwelt Ansätze, die sich auf eine “mittlere Position“ beziehen: z.B. Hypothesen zum “relationalen Verhalten” (H. Barthelt, J. Glückler, 2003) bestimmt durch: • Kontextualität: konkrete Strukturen und konkrete Beziehungsmuster bedingen spezifische Handlungsmuster, die nicht durch universelle Kategorien oder Gesetze zu erklären sind • Pfadabhängigkeit: spezifische Handlungszusammenhänge bedingen spezifische Entwicklungen • Kontingenz: es liegt nicht nur die Fortführung von alten, sondern auch der Wechsel zu neuen Entwicklungspfaden im Bereich der Möglichkeiten Hier können Handlungssituationen also nur “individuell” und intuitiv analysiert und bestenfalls “verstanden” werden. Daher sollten die verschiedenen Kategorien von Randbedingungen für das soziale und wirtschaftliche Verhalten mehr in den Mittelpunkt des Interesses der Sozial- und Wirtschaftsgeographie rücken. In den folgenden Ausführungen soll darauf Bezug genommen werden: • wie der “Raum” das individuelle Verhalten beeinflusst; • wie “kulturelle” Ideen, Werte und Normen “produziert” werden und wie sie zur Regulation des Verhaltens beitragen; • wie die Prozesse ablaufen, welche die Randbedingungen des individuellen Verhaltens gestalten. 2. Wie beeinflusst der Raum das individuelle Verhalten? 2.1 Die “Entterritorialisierung” der Geographie die “territoriale Falle” (J. A. Agnew,1994, 1999) in der die “alte” Raumwirtschaftslehre gefangen ist: Isomorphie des Flächen- und des Sozial- bzw. Wirtschaftsraumes,“Container-Raum“, der entscheidenden Einfluss auf das soziale und wirtschaftliche Verhalten nimmt “neue Sozial- und Wirtschaftsgeographie”: der Raum wird reduziert zum bloßen “Beziehungsprodukt” (A. Massey, 2003), zum „Verflechtungszusammenhang” („Figuration” nach Norbert Elias, 1996), zu einem formalen Aspekt menschlicher Tätigkeiten (B.Werlen, 2000) „Da Raum (wie auch Zeit) kein wirkungsfähiger Gegenstand ist, tritt er auch im Rahmen von Theorien nicht in Erscheinung.” (H. Barthelt, J. Glückler, 2003, S. 34) Populäre Grundkonzepte der “modernen Wirtschaftsgeographie“: “kalifornische Schule” (J. Scott, 1998, M. Storper, 1997): “Holy Trinity” der wirtschaftsgeographischen Forschung. Hier stellt der “Raum” als eigene “Produktionswelt” noch einen “Einflussfaktor” dar. “Vier Ionen der relationalen Wirtschaftsgeographie” (H. Barthelt, J. Glückler, 2003): Organisation, Evolution, Innovation und Interaktion als die entscheidenden Ansatzpunkte der wirtschaftsgeographischen Analysen 2.2 Systeme und Netzwerke Systeme = eine Reihe von Elementen (Personen, Unternehmen, Objekte u.a.) ist durch Kommunikations- (Sprache, Symbole) und Austauschprozesse (von analog oder digital vermittelten Texten und Bildern, Geld, Güter, Personen etc.) verknüpft, die systeminternen Beziehungen müssen quantitativ intensiver und qualitativ effektiver sein, als die Beziehungen der Elemente eines Systems zu den „außen liegenden“ Elementen seiner Umwelt, die wieder in anderen Systemen integriert sind; die Steuerung von sozialen Systemen erfolgt durch: akzeptierte „Sinnzusammenhänge“ (Weltbilder, Werte, Normen, Verhaltensweisen) und verschiedene „Steuerungsmedien“ (wie Geld, Macht, Wissen, Loyalität und Vertrauen) “strukturbestimmende” Netzwerke als die “harten Kerne“ von sozialen Systemen: über sie laufen im Rahmen eines Systems (oder zwischen Systemen) die geregelten und in räumlich-zeitlichen Dimensionen mehr oder minder stabilen Austauschprozesse ab. Es handelt sich um „sekundäre Netzwerke“, deren Funktionieren die Verfügbarkeit von „primären Netzwerken“ (technische Transportinfrastruktur und technische Kommunikationsinfrastruktur) voraussetzt. 2.3 Behavior Settings (R. Barker, 1968) 1. die räumlich-zeitlichen Grundeinheiten des individuellen Verhaltens 2. die Grundelemente (“Knoten”) der “sekundären, sozialen Netzwerke” Sie bestehen aus: • mehr oder minder feststehenden Handlungsmustern (erlaubte, z.T. auch unbedingt erforderliche, tolerierte, verbotene Aktivitäten); die teilnehmenden Personen sind austauschbar, sie “schlüpfen” in ihre Rollen, deren konstituierende Handlungsmuster bestehen bleiben, auch wenn die agierenden Personen wechseln (z.B. “eine Kundschaft als Verkäufer bedienen” und “als Kunde Waren einkaufen”) • die Aktivitäten finden in einem “Milieu” aus Elementen des Sachsystems (z.B. “Ausstattung eines Einzelhandelsgeschäftes”) statt, welche an sich unabhängig existieren und ihre Funktion so lange innehaben, wie ein Behavior Setting andauert (z.B. “Öffnungszeiten des Geschäftes”). Die Milieus sind den Handlungen (soziale Rollen) und ihren Strukturen angepasst und umgekehrt. Beispiel: “Altmühltherme” im fränkischen Seenland mit den Behavior Settings: Thermalbad, Hallenwellenbad, Freibad, Erlebnissauna und Restaurant, ihren “Synomorphs”: Ruhehalle, Wintergarten etc., sowie ihren materiellen und personellen “Kundenkontaktpunkten” 2.4 Standorte “Standortproduktion” (D. Bökemann, 1982) der Gebietskörperschaften (vor allem der Gemeinden), die bestimmte “Standorttypen” in die Realität umsetzen. Ziel: “Nutzungspotentiale” von Grundstücken für die Errichtung von bestimmten Behavior Settings durch: • die Anschlüsse an die “primären Netzwerke” der technischen Transportinfrastruktur, der Kommunikationsinfrastruktur sowie an die Leitungen der Ver- und Entsorgungsinfrastruktur • die Etablierung von “Barrierensystemen” der Flächennutzung, welche den Grundstücken bestimmte Nutzungsarten (Behavior Setting-Typen) zuweisen und einander störende Nutzungen ausschließen sollen Daher ergeben sich zwei Arten von Standortfaktoren: • “gebundene Standortfaktoren” beziehen sich auf die im “Container” selbst bestehenden Voraussetzungen für wirtschaftliche oder soziale Aktivitäten • “vermittelte Standortfaktoren” werden hingegen über die “primären Netzwerke“ (vor allem über die Verkehrs- und Kommunikationsnetzwerke) transportiert und bieten zumeist eine Vielfalt an Partizipations- und Nutzungschancen an den diversen Angeboten von anderen Standorten und Regionen. 2.5 Regionsbildung durch Partizipations- und Nutzungschancen 2.5.1 Individuen und Haushalte “Raum-Zeit Geographie” (T. Hägerstrand,1975 u.a.): Einfluss der räumlichen und sozialen Umwelt auf das individuelle Verhalten; Chancen zur Ausübung von sozialen Rollen und Aktivitäten werden bestimmt durch: • “Erreichbarkeitsbedingungen” der Behavior Settings im Wohnumfeld über die verfügbaren Verkehrsnetze • “Koppelungsbedingungen”: Möglichkeiten zum Hintereinanderschalten von Aktivitäten in verschiedenen Behavior Settings (mit vorgegebenen oder präferierten “Benutzungszeiten”); sie werden auch entscheidend bestimmt durch die Größe der “Zeitfenster”, zwischen den unbedingt erforderlichen Aktivitäten (biologisch-physiologischen Grundbedürfnisse, soziale Schlüsselrollen, besonders Beruf oder Ausbildung) • “Zutrittsbedingungen“: Qualifikationen, Fertigkeiten, finanzielle Mittel für die Konsumation von Gütern und Dienstleistungen, Anzahl von konkurrierenden Nachfragern, soziale Akzeptanz etc Raum-Zeit-Prisma (nach T. Hägerstrand) Aus den so konstituierten “standörtlichen Handlungsspielräumen” von Wohnstandorten resultieren (für bestimmte Zeitabschnitte) relativ konstante Tätigkeitensysteme (der sozialen Schlüssel- und Folgerollen), als rhythmische Phänomene in Raum und Zeit. Sie laufen über “persönliche Netzwerke” von Behavior Settings ab, welche sich um die Wohnstandorte aufspannen: • • • das unmittelbare Wohnumfeld das regelmäßige äußeres Netzwerk das unregelmäßige und temporäre äußere Netzwerk Raum und Zeit sind also mehr sind als bloße formale Aspekte des menschlichen Handelns. Denn von den räumlichen Verbreitungsmustern der Behavior Settings (bzw. ihrer Standorte) - besonders im “unmittelbaren Wohnumfeld” und im “regelmäßigen äußeren Netzwerk” - sowie von ihren Zeit- und Zugangsregimen hängt es ganz wesentlich ab, mit welchen anderen Akteuren eine Person in sozialen Kontakt treten kann. 2.5.2 Unternehmen komplexe Strukturen von “Unternehmensnetzwerken” (hier soll nur auf die unternehmensexternen Netzwerke Bezug genommen werden): • die verschiedenen Geschäftsfelder eines Unternehmens (Forschung und Entwicklung, Produktion, Marketing, Beschaffung, Vertrieb und Absatz u.a.) können in sehr unterschiedliche Netzwerke eingebunden sein • die Fertigungsprogramme der nach den Produktionsregimen des “Neofordismus” organisierten Unternehmen bleiben auf bestimmte Kernfunktionen beschränkt (“Single-” und “Modular-Sourcing”) • mit dem Ausbau der “primären” Netzwerke in Transport und Kommunikation sowie mit den Senkungsrunden von Zöllen und Tarifen bzw. mit der Deregulierung der Finanzmärkte haben sich die Rahmenbedingungen für Kontinente übergreifende Wertschöpfungsketten enorm verbessert • es haben aber auch mehr oder minder lokale Kooperationsformen nicht an Bedeutung verloren, sondern in manchen Fällen sogar dazu gewonnen Gründe für die für den räumlichen Verbund von Unternehmen (nach diversen Autoren): • Verringerung von Transaktionskosten, etwa bei der Informationsbeschaffung, bei der Anpassung an die Partner-Unternehmen sowie bei der Kommunikation zwischen den Partnern • relationale und strukturelle “Embeddedness”: gegenseitiges Vertrauen in die Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und Loyalität von Partnern, welches besonders durch häufige Erfahrungen aufgebaut wird, vor allem auch dann, wenn sich die privaten und geschäftlichen Aktionsräume überlagern • störungsfreie Abwicklung von “Just-in-Time” Produktionsketten Raum und Zeit bilden auch hier nicht bloß einen variablen Handlungsrahmen für die relationalen Verhaltenssstrategien der Unternehmer. Erst durch ein bestimmtes räumliches Verbreitungsmuster von Behavior Settings und durch die Erschließung ihrer Standorte mit bestimmten “primären” Netzwerken werden die angesprochenen “externen Agglomerationswirkungen” voll wirksam, und es können “sozio-institutionelle Einbettungen”, “innovative Milieus“, “lernende Regionen” oder andere “regionale Systeme” entstehen. Prozesse der Ausbildung des räumlichen Verbunds von Unternehmen 1. “aus sich selbst heraus” entstandene Strukturen (“Marshallische Netzwerke“): • länger andauernde historische Prozesse (Netzwerke des “Dritten Italiens”) • relativ spontan ablaufende Gründungszyklen, die “Wachstumsbranchen“ betreffen, wobei Unternehmer der “ersten Generation” ihre Standortwahl nach nur wenigen Kriterien treffen (Spill-Overs von Wissen und Personal aus benachbarten Universitäten, “Governance”), während die folgenden Ansiedlungen in den bereits bestehenden technologischen und organisatorischen Funktionsverbund (als “Window of Locational Opportunities”) “hineinpassen” müssen. 2. “gemachte” Strukturen: “Hub and Spoke” Netzwerke von großen Konzernen, etwa OEM der Automobilindustrie, die ihre (höherrangigen) Zulieferer dazu veranlassen können, sich mit ihnen im räumlichen Verbund anzusiedeln; hier treffen die Hypothesen des Raumes als bloßes “Beziehungsprodukt” oder als “Figuration” noch am ehesten zu. Regionen als „Districts of Networks“ • verschiedenartige “persönliche” und “unternehmerische” Systeme von im räumlichen Verbund angesiedelten Individuen, Haushalten und Unternehmen laufen als “sekundäre Netzwerke” über die “primären Netzwerke” der Leitungsinfrastruktur ab • diese “strukturbildenden” Netzwerke überlagern einander, sind zu wesentlichen Teilen verflochten (Individuen als Beschäftigte der Unternehmen, diverse wirtschaftliche Kontakte zwischen den Unternehmen, Transaktionen auf den verschiedenen Märkten usw.), so dass sie in ihrer Gesamtheit mehr oder minder offene regionale Systeme bilden können • wenn man diese Systeme nach dem Verbreitungsmuster ihrer „harten Kerne“ als „Disticts of Networks“ (A. Lipietz, 1993) betrachtet, dann stellen (funktionale) „Regionen“ verdichtete Zellen (Cluster) innerhalb von viel weiterreichenden (national bis global) sozialen und ökonomischen Netzwerken dar, mit bestimmten Topographien und in der Regel fließenden Übergängen zu ihrer Umwelt 2.6 Ein “System von Systemen” • • • man muss davon ausgehen, dass die Lebenschancen von Individuen und Haushalten sowie die Ertragschancen von Unternehmen höchstens zum Teil von den dargestellten regionalen Systemen abhängen; sie werden immer mehr durch das Zusammenspiel mit anderen Systemen gestaltet, deren „strukturbestimmenden“ Netzwerke sich auf unterschiedlichen räumlichen Verbreitungsebenen erstrecken (Grundprinzipien der „globalisierten Territorialität“: das räumliche Umfeld beeinflusst das Verhalten von Haushalten und Unternehmen, es selbst wird aber immer mehr durch Eingriffe aus höherrangigen Systemebenen gestaltet) Auch auf diesen Ebenen können bestimmte Systeme - z.B. die Organisationen der transnationalen Regulation (WTO, IMF,WELTBANK u.a) - so sehr miteinander verflochten sein, dass sie zu, mehr oder minder geschlossenen Komplexen zusammentreten, die dann - ebenso wie die unabhängigeren Teilsysteme ihrer Verbreitungsebene - Einflüsse auf „darunter liegende“ Systemebenen ausüben können Die Hierarchie der Verbreitungsebenen ist in ihren wichtigen Elementen „von oben“ „nach unten“ folgendermaßen strukturiert (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): • (mehr oder minder) globale Ebene: → Subsysteme der von der Staatengemeinschaft gegründeten transnationalen politischen Organisationen (wie WTO oder IMF) → Subsysteme der von der internationalen Zivilgesellschaft errichteten Non Governmental Organizations → Subsysteme der transnationalen Konzerne → Subsysteme der internationalen Finanzwirtschaft • „Kulturerdteile“ (und darüber hinaus): vor allem: Subsysteme der großen Religionsgemeinschaften • gemeinsame Territorien von mehreren Staaten: Subsysteme der wirtschaftlichen Integrationsgemeinschaften und der (ansatzweise) transnationalen Demokratie der EU • Territorien der einzelnen Nationalstaaten • Regionen, z.T. mit spezialisierten Funktionen im industriellgewerblichen Sektor, im Dienstleistungsbereich, in der Kultur oder im Tourismus • Lebensräume von Individuen und sozialen Gruppen und Netzwerke im engeren räumlichen Verbund von Unternehmen Formen der wirtschaftlichen, politischen oder kulturellen Macht und Einflussnahme: zwischen den Teilsystemen werden nicht nur materielle Güter, Informationen (in analoger und digitaler Form), Geld und Finanztitel, Personen etc. ausgetauscht, sondern die Subsysteme sind auch durch verschiedene Formen der wirtschaftlichen, politischen oder kulturellen Macht- und Einflussnahme verbunden: • horizontale Macht- und Einflussketten, besonders: Kontrolle von „gelenkten“ Staaten durch mächtige bzw. hegemoniale Nationen • vertikale Macht- und Einflussketten, oft „nach unten“ gerichtet (Kontrolle der Organisationen der transnationalen Regulation, welche eine ganze Reihe von Systemen auf verschiedenen Verbreitungsebenen betreffen, z.B. der Einfluss von TNC´s auf Staaten und Regionen), teilweise aber auch „nach oben“ (z.B. der Einfluss der USA auf WTO, IMF usw., oder Einflüsse von regionalen Systemen, die technologische oder kulturelle Innovationen produzieren, etwa: Silicon Valley, Los Angeles) Welt-System Dazu zählen diejenigen Prozesse der Kommunikation, des Austausches und der Einflussnahme, welche aus dem Zusammenspiel von vielen (Sub)Systemen auf allen Verbreitungsebenen resultieren, etwa: • „New Global Division of Labor“ • Klimawandel • globale Finanz- und Wirtschaftskrisen, aber auch angesichts der enormen Bedeutungszunahme des WeltSystems bestimmt das räumliche Umfeld (als mehr oder minder offener Raum-Zeit Container (welcher der „territorialen Globalität“ unterliegt) das Verhalten der meisten von uns immer noch recht wesentlich, besonders für alle diejenigen, die nicht über die Macht und die Mittel verfügen, ihre Aktionsräume selbst zu gestalten oder ihre Standorte in „günstigere“ Regionen zu verlegen. einige ausgewählte Beispiele für die empirische Erfassung von räumlichen Randbedingungen des Handelns von Individuen, Haushalten und Unternehmen Potential kultureller Einrichtungen in den Kreisen und kreisfreien Städten Deutschlands Potential außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in den Kreisen und kreisfreien Städten Deutschlands Inputindikatoren der Regionalentwicklung: Innovationspotential (A. Mösgen, 2007) Forschungsintensität und Agglomerationsvorteile als Determinanten der Regionalentwicklung Verbesserung der Erreichbarkeit der europäischen Regionen im Straßengüterverkehr 3. Wie beeinflusst die „Kultur“ das soziale und wirtschaftliche Verhalten? Fragestellung: wie laufen die “Produktions- und Verbreitungsprozesse” von politisch ökonomischen Leitkonzepten, soziale Normen und Regel etc. ab? In einem „Konzept von Kultur“ (J. Steinbach, 2003; nach B. Latour, 1987; G. H. Hofstede, 1993; J. Friedmann, 1994; D. Mitchell, 1995 u.a.).wird „Kultur“ als komplexes System verstanden, welches über zwei kulturelle Ebenen abläuft: Die untere Ebene („Culture itself“) umfasst die verschiedenen „Layers of Culture“ : • ethische, ästhetische und wirtschaftliche Konzepte (Moral, Religion, Definition von „Erfolg“ und von „Schönheit“ u.a.) • Verhaltensweisen (einfache tägliche Rituale, soziale Rollen und Lebensstile, politische und unternehmerische Strategien u.a.) • Personen (tot oder lebend, real oder imaginär, denen positive oder negative Vorbildfunktionen beigemessen werden) und • Elemente des Sachsystems, welche etwa als materielle Ausformungen von ethischen, ästhetischen oder wirtschaftlichen Ideen im bestimmten Design geschaffen werden (z.B. Maschinen, Bilder, architektonische Objekte, modische Bekleidung) Die obere Ebene („the Ideas of Culture“) bezieht sich auf die „Ideen über die Ideen“, auf die Bewertung, Gewichtung und Einordnung der einzelnen Elemente der „Layers of Culture“. Nur über solche “Inwertsetzungen” durch bestimmte Gruppen einer Gesellschaft („Captains of Culture“), durch den Einsatz ihrer „Power of Definition“, werden Ideen oder Objekte erst zu „Kultur“ gemacht. Die “Produktion” von “Kultur” erfolgte bisher wesentlich unter der Kontrolle der Nationalstaaten (Autostereotypen, Heterostereotypen, Ideologien). Heute haben verschiedene „strukturbestimmende“ Netzwerke, die auf der globalen Ebene des „Systems von Systemen“ tätig sind, wesentliche Anteile der „Produktion“ von Werten und Normen übernommen: • transnationale (Medien-)Konzerne: Unterhaltungsprodukte für den Massenkonsum (besonders Film- und TV-Produktionen, Audio- und Videokonserven, Bestseller der Unterhaltungsliteratur, große Tourneen der internationalen Stars), ihre „Stories“ und Botschaften müssen sich im Kern auf Situationen und Probleme beziehen, die „transkulturelle“ Relevanz haben • TNC´s als Produzenten von materiellen „Cultural Goods“ („Weltmarken“, etwa Bekleidung und Accessoires, Parfüm- und Kosmetikartikel, Elektronik etc.), die universeller akzeptierte kulturelle Botschaften transportieren müssen • transnationale politische Organisationen der Global Governance, TNC´s, führende Staaten, welche die Verbreitung des neoliberalen Gedankengutes betreiben 4. Wie laufen die Prozesse ab, welche die Randbedingungen des individuellen Verhaltens gestalten? Zur Veranschaulichung dient ein „Modell des Staates“, welches in drei charakteristischen Phasen abläuft; es resultiert aus der Integration zweier Konzepte, nämlich aus bestimmten Aussagen des regulationstheoretischen Ansatzes (A. Aglietta, 1979; A. Lipietz, 1986; R. Boyer, 1988 u.a.) und den Hypothesen über die Grundfunktionen des Staates nach (D. Easton, 1965, modifiziert) • die Phase der Normenproduktion entspricht im Prinzip den Abläufen der politisch-ökonomischen und sozio-kulturellen Regulation, in deren Rahmen die verschiedenen Autoritätsbereiche für bestimmte Zeiträume ihre Ziele festlegen sowie die Normen und Regeln, an welchen sich die sozialen, ökonomischen und politischen Prozesse zu orientieren haben; ebenso werden in dieser Modellphase die technologischen und betriebswirtschaftlichen Normensysteme entwickelt, welche die Abläufe im Akkumulationsregime bestimmen • diese so gesteuerten Prozesse zur Verteilung und Realisierung von Lebenschancen bzw. von ökonomischen Gewinnchancen finden in der folgenden Aktionsphase statt; ihr Erfolg oder Misserfolg hängt vor allem von den Ergebnissen auf verschiedenen, oft hintereinander geschalteten, Teilmärkten des Akkumulationsregimes ab, wobei aber in der Regel auch den nicht marktgebundenen Leistungen und Transferzahlungen der staatlichen Gebietskörperschaften (aber z.B. auch der EU) eine wesentliche Bedeutung zukommt; Outputs der Aktionsphase sind Gewinne oder Verluste an Sachund Humankapital, bzw. kumulative Wachstums- und Verfallsprozesse dieser Ressourcen von Individuen, Haushalten und Unternehmen. • in der abschließenden Reaktionsphase kommt es zu materiellen (etwa Steuern) und immateriellen (etwa Unterstützung und Loyalität) Rückflüssen an den Staat mit seinen herrschenden Politikern, aber auch an die sonstigen sozialen Autoritätsbereiche (also vom Subsystem des Akkumulationsregimes in die beiden Subsysteme der Regulationsweise), deren Art und Umfang von den Abläufen (Erfolge oder Misserfolge) der Prozesse in der Aktionsphase abhängt; diese Rückflüsse bilden die Basis für das Verhalten und für die Entscheidungen der Autoritätsbereiche in einer folgenden, neuerlichen Phase der Normenproduktion 5. Schlussbemerkung Um das „relationale“ Verhalten der Individuen, Haushalte und Unternehmen zu verstehen und wenigstens in Ansätzen zu begründen sollte sich die Wirtschaftsgeographie besser nicht auf sehr allgemein gehaltene und eher willkürliche Konstrukte verlassen (wie etwa die Dargestellten Konzepte der „heiligen Drei- oder Viereinigkeit“); viel zielführender wäre es: • die wichtigen „standörtlichen Handlungsspielräume“ der sozialen und wirtschaftlichen Akteure zu erfassen, eventuelle Defizite festzustellen und die Abhängigkeiten der regionalen Partizipationschancen von den externen Einflüssen aus dem „System der Systeme“ zu analysieren; • dann müsste man die wichtigsten, nicht unmittelbar raumgebundenen Randbedingungen des Verhaltens hinterfragen, welche über die „vertikalen“ und „horizontalen“ Machtund Einflussketten im „System der Systeme“ etabliert wurden; • vor diesen Hintergrund kann man versuchen, die „sekundären Netzwerke“ der untersuchten Personen oder Unternehmen zu erfassen und dann die Kriterien zu hinterfragen, die zum Erfolg oder zum Scheitern der über die Netze ablaufenden sozialen oder wirtschaftlichen Aktivitäten geführt haben