1 Filmische Perspektivierungen der DDR

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1
Filmische Perspektivierungen der DDR - Wirklichkeit
in „Das Leben der Anderen“ (2006)
von Florian Henckel von Donnersmark
Inhaltsverzeichnis
Seite
1 Film und Gedächtnis – Zur Zielsetzung…………………………………….6
2 Methodologischer Ansatz und Forschungstand……………………………7
2.1 Zum Gedächtnis………………………………………………………………………..7
2.1.1
Gedächtnisdiskurs und Erinnerungskulturen………………………………7
2.1.2 Kollektives Erinnern – Maurice Halbwachs……………………………….8
2.1.3 Europäisches Bildergedächtnis – Aby Warburg………………………….11
2.1.4
Kommunikative und kollektive Gedächtnisformen - Jan und Aleida
Assmann…………………………………………………………………..13
2.2 Zum Film……………………………………………………………………………..18
2.2.1
Film als eine Art des ausgelagerten Gedächtnisses……………………....18
2.2.2
Ästhetische Besonderheiten des Films……………………………………19
2.2.3
Analyseebenen des Films…………………………………………………24
3 Filmische Perspektivierung………………………………………………...42
3.1 Zur Handlung……………………………………………………………………….42
3.1.1 Problemdarstellung im Film „Das Leben der Anderen“………………….42
3.1.2 Sequenzprotokoll zum Film „Das Leben der Anderen“………………….43
3.2 Zur Analyse der Figuren………………………………………………………….......49
3.2.1
Figurenpaarung Georg Dreymann – Christa Maria Sieland……………...49
3.2.2
Figurenpaarung Minister Bruno Hempf – Oberstleutnant Anton Grubitz..54
3.2.3
Gerd Wiesler als ein Beispiel der politisch-persönlichen Wandlung…….58
3.3 Erzählstruktur des Films…………………………………………………………...…62
3.3.1
Filmische Stillmittel - Charakteristik ausgewählter Bauformen des
Erzählens………………………………………………………………….62
3.4 Geschlossene Gesellschaft der DDR……………….. ……………………………....73
3.4.1
Überwachungsapparat im totalitären System……......…………...…..…...73
3.4.2
Situation der Künstler in der DDR ……………………………………… 77
2
Privatheit, Erinnerungen und filmische Fiktion….………......…………...80
3.4.3
4 Zusammenfassung…………………………………………………………..85
5 Literatur……………………………………………………………………..86
1 Film und Gedächtnis – Zur Zielsetzung
„Jeder Erinnerungsversuch ist eine Folge von Bild-Zeichen, das heißt, eigentlich eine
Filmsequenz.“1
Der Film steht dem Akt des sich Erinnerns sehr nah und ist eine Art des ausgelagerten
Gedächtnisses. Die synergetische Kunstform des Filmes ist außerdem ein hochkomplexes
Einzelmedium, ein institutionalisiertes System und ein organisierter Kommunikationskanal
von
spezifischem
Leistungsvermögen
mit
gesellschaftlicher
Dominanz.2
Als
so
vielschichtiges Phänomen impliziert es verschiedene Instanzen, Problemfelder und
Themengebiete, die die Gegenstände filmwissenschaftlicher Untersuchungen sind, so dass
das Spektrum der Filmanalysen von Filmästhetik über Filmzensur bis zur Filmethik
ausgebreitet ist.
3
Die Rahmen der vorliegenden Arbeit im Bezug auf den Film werden zur
Präsentation der ästhetischen Besonderheiten des Films und Darstellung der wichtigsten
Fachtermini und filmsprachlichen Kategorien, die für die weitere Filmanalyse eine
Grundbasis
bilden,
eingeschränkt.
Der
in
der
Magisterarbeit
berücksichtigte
Gedächtnisdiskurs folgt dem in der Gegenwart wachsenden Interesse an der Erinnerungs- und
Geschichtskultur. Die Wirkung des Filmes als Gedächtnismedium beruht auf Ähnlichkeiten
und Differenzen zu kulturellen Gedächtnisprozessen. Die Korrelationen zwischen Film und
Gedächtnis verursachen, dass das audio-visuelle Medium sich hervorragend zur Analyse aus
der Sicht der Literaturwissenschaft eignet. Die wachsende Anzahl von Publikationen nicht nur
wissenschaftlich orientierter Öffentlichkeit weist auf einen Trend zur Auseinandersetzung mit
der DDR Geschichte. Es erschienen literarische Texte und andere Formen von
Dokumentationen, aber auch die Filme wie NVA oder Sonnenallee, die die Existenz innerhalb
der Diktatur und die Flucht der DDR-Bürger in den Westen thematisieren. Die Analyse des
1
Pasolini, Pier Paolo: Die Sprache des Films. In: Knilli, Friedrich (Hg.) (in Zusammenarbeit mit Knut
Hickethier und Erwin Reiss): Semiotik des Films. Frankfurt am Main: Athenäum Fischer Taschenbuch Verlag
1971, S. 39.
2
Vgl. Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 10.
3
Ebd., S. 10.
3
Erinnerungsraums
der
DDR
unter
der
Berücksichtigung des
spannungsgeladenen
kulturpolitischen Klimas der 80er Jahre, der Stasi-Einbrüche in der Privatsphäre der
Menschen und der Realitätsbezug bilden in dem Film Das Leben der Anderen von Florian
Henckel von Donnersmark den Kern der vorliegenden Arbeit.
2 Methodologischer Ansatz und Forschungstand
2.1 Zum Gedächtnis
2.1.1 Gedächtnisdiskurs und Erinnerungskulturen
Zur anthropologischen Ausstattung des Menschen gehören Pflege, Stiftung und Reflexion des
kulturellen Erbes.4 Die kollektive Bezugnahme auf die Vergangenheit wurde zum Gegenstand
der Wissenschaftler. Die Gedächtnisforschung, die sich mit dem Phänomen des kollektiven
Gedächtnisses auseinandersetzt, verlief in zwei Etappen. Kriterien für diese Aufteilung sind
erstens der Rang der entworfenen Konzepten und zweitens die Häufigkeit des Rückgriffs. Die
erste Etappe ist den Pionieren der Gedächtnistheorien Maurice Halbwachs und Aby
Warburg gewidmet. In den 1920er Jahren des 20.Jh hat Halbwachs zum ersten Mal einen
Versuch unternommen, das Phänomen des kollektiven Gedächtnisses systematisch zu
analysieren. Aby Warburg hat sich in der Geschichte eingeschrieben als Begründer des
europäischen Bildergedächtnisses. Beide Wissenschaftler waren die Ersten, die das Phänomen
kollektives Gedächtnis beim Namen genannt haben. Fünfzig Jahre später begann die zweite
Etappe, die mehreren Wissenschaftlern angehört. Die bedeutendsten sind Pierre Nora und
Jan und Aleida Assmann. Pierre Nora hat ein Konzept lieux de memoire formuliert, der sich
als international einflussreichste erwiesen hat. Nachfolgend haben Jan und Aleida Assmann
auf die Halbwachs Überlegungen rekurriert und die Theorie des kulturellen Gedächtnisses
weiter ausdifferenziert.
Die Gedächtniskonjunktur dauert von 80er Jahren des 20.Jh bis zu dem heutigen Zeitpunkt.
Die Zahl der entstandenen Gedächtnistheorien vermehrte sich rasch und zu dem Begriffen
Gedächtnis und Erinnerung wurden immer neue Funktionen und Bedeutungen zugeschrieben.
Infolge dieses Gedächtnisbooms, um das Wissen zu strukturieren und sie weiter zu
entwickeln, wurde der Sonderforschungsbereich (SFB) 434 „Erinnerungskulturen“ 1997
an der Justus-Liebig Universität Gießen gegründet. Der Gegenstand seiner Untersuchungen
4
Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart/Weimer: J.B. Metzler 2005, S. 13.
4
bilden „die Inhalte und Formen kultureller Erinnerungen“5 die eine Zeitspanne von der
Antike bis zum heutigen Tag umfassen. Die Arbeit der ca. 70 Mitarbeiter ist interdisziplinär
orientiert und unter einem Dach forschen Latinisten, Romanisten, Orientalisten, Soziologen
sowie Kunsthistoriker und Germanisten.
Infolge der Arbeit der Wissenschaftler wurde ein Modell entworfen, der die kulturelle
Erinnerungsprozesse beschreibt. Es besteht aus drei strukturellen Ebenen. Erstens werden die
Rahmenbedingungen des Erinnerns dargestellt. Sie werden durch vier Faktoren bestimmt:
Gesellschaftsformation, Wissensordnung, Zeitbewusstsein sowie die Herausforderungslage.6
Die zweite Ebene, die Ausformung spezifisches Erinnerungskulturen beinhaltet, umfasst
Aspekte
wie:
Erinnerungshochheit,
Erinnerungsinteresse,
Erinnerungstechniken
und
Erinnerungsgattungen.7 Das Forschungsprogramm rundet die dritte Ebene ab, die mit
Äußerungsformen und Inszenierungsweisen des konkreten Erinnerungsgeschehnissen sich
befasst und folgende Punkten berücksichtigt:8
 Abgrenzung der Gedächtnis von Erinnerungen
 Abrufen der Erinnerungen und Neukonstituierung des Wissens
 Unterscheiden von erfahrener und nicht-erfahrener Vergangenheit
 Rezeptionsgeschichte der Objektivationen
Der Focus der Wissenschaftler aus dem SFB Erinnerungskulturen fällt auf die zweite Ebene
des Modells, die die Ausformung spezifischer Erinnerungskulturen betrifft. Das
wiederspiegelt sich in zahlreichen Publikationen, die beispielsweise religiöse, adelige oder
deutsch-jüdische Erinnerungskulturen im Laufe der Zeit beschreiben. Die Veröffentlichungen
beziehen sich auch auf Gedächtnismedien sowie auf Ausarbeitung bedeutsamen
gedächtnistheoretischen Konzepten.9
2.1.2 Kollektives Erinnern – Maurice Halbwachs
Maurice Halbwachs (1877-1945) ist in der Geschichte als französischer Soziologe des XX
Jahrhunderts und als Begründer der Begriffen: das kollektive Gedächtnis (mémoire
5
Ebd., S. 34-35.
Ebd., S. 35.
7
Ebd., S. 35.
8
Ebd., S. 35.
9
Ebd., S. 36.
6
5
collective) und soziale Bezugsrahmen (cadres sociaux) eingegangen. In seinem Leben hat er
drei Bücher verfasst: Les cadres sociaux de la mémoire (Das Gedächtnis und seine soziale
Bedingungen, 1985), La mémoire collective (Das kollektive Gedächtnis, 1991) und La
Topographie legendaire des Évangelies en Terre Sainte (Stätten der Verkündigung im
Heiligen Land, 1941) in denen er sich mit den oben erwähnten Begriffen auseinandersetzt.
In seinem Studium zum kollektiven Gedächtnis, hat er drei Untersuchungsbereiche
ausgesondert, deren Grundgedanken Basis zu weiterer Forschung geworden sind. Die
Bereiche stellen drei Dimensionen des kollektiven Gedächtnisses dar:
1 das kollektive Gedächtnis als die sozial geprägten individuellen Gedächtnisse,
2 das kollektive Gedächtnis als das Generationengedächtnis aus dem die Oral History
schöpft,
3 das kollektive Gedächtnis, das später von Aleida und Jan Assmann weiterentwickelt
und als <kulturelles Gedächtnis> bezeichnet wurde.
Daraus lassen sich folgende Konzepte zusammenführen:
1 kollektives Gedächtnis als organisches Gedächtnis des Individuum, das von
soziokulturellen Umgebung geprägt ist;
2 kollektives
Gedächtnis,
Kommunikation
und
das
ein
Institutionen
Bezug
auf
innerhalb
Vergangenes
von
sozialen
durch
Medien,
Gruppen
und
Kulturgemeinschaften nimmt.10
Halbwachs theoretischer Entwurf von kollektivem Gedächtnis stützt sich auf dem Konzept
der cadres sociaux (soziale Bezugsrahmen), der besagt, dass die individuellen Erinnerungen
sozial bedingt sind. Die cadres sociaux sind soziale Erinnerungsrahmen, die von den
Mitmenschen gebildet werden. „Der Mensch ist ein soziales Wesen“11 und existiert nicht in
einem gesellschaftlichen Vakuum sondern in verschiedenen sozialen Formationen.
Gedächtnis, das auf dem Akt des sich Erinnerns konstituiert ist, hängt mit der
Mitmenschlichkeit zusammen. Im täglichen Leben gehört man mehreren Gruppen an und
durch Umgang mit kollektiven Phänomenen wie Sprache, Sitten und Bräuche, sammelt man
die Erfahrungen, an denen man sich später erinnern kann. „Durch Interaktionen und
Kommunikation mit unseren Mitmenschen (werden) Wissen über Daten und Fakten,
kollektive Zeit- und Raumvorstellungen sowie Denk- und Ehrfahrungsströmungen vermittelt
10
11
Vgl. Ebd., S. 15.
Ebd., S. 15.
6
[…].“12 Ohne soziale Bezugsrahmen, die in übertragener Bedeutung als Wahrnehmungs- und
Erinnerungsdenkschemata fungieren können, bleibt uns auch der Zugang zum eigenen
Gedächtnis verwehrt.
Halbwachs vertritt somit einen Standpunkt, der in seiner zeitgenössischen Wissenslandschaft
als widersprüchlich gilt. Das kollektive Gedächtnis ist auf gar keinen Fall mit der Theorie des
kollektiven Unbewussten von Carl Gustav Jung zu verwechseln, die besagt, dass alle
Menschen über gemeinsame Archetypen verfügen. Für Halbwachs ist das individuelle
Gedächtnis nicht biologisch vererbbar13 sondern sozial geprägt.
Halbwachs
unterscheidet
auch
zwischen
zwei
Formen
der
kollektiven
Vergangenheitsbildung, die aus Generationengedächtnis und religiöser Topographie
resultieren. In seinem Buch Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen bedient er sich
der soziologischen Fallbeispiele – Familie, Religionsgemeinschaft und soziale Klassen. Das
kollektive Gedächtnis gliedert sich unter anderem aus intergenerationelle Gedächtnis,
Generationengedächtnissen
und
Familiengedächtnissen.
Für
all
bereits
erwähnten
Gedächtnisse ist es typisch, dass ihre Träger zeitlich und räumlich begrenzte Gruppen sind.
Die zeitliche Reichweite des Generationengedächtnisses beträgt ca. 80 Jahren, so lange, wie
sich das älteste Familienmitglied erinnern kann. Das Fundament zur Entstehung des
Generationengedächtnisses bilden soziale Interaktionen [z.B. Ritten, Sitten, Bräuche – M.Z.]
und Kommunikation [vor allem mündliche Überlieferung z.B. während der Treffen im Kreis
der Familie – M.Z.], die „ein Austausch lebendiger Erinnerung zwischen Zeitzeugen und
Nachkommen“14 ermöglichen. Das Erzählen über Vergangenheit verursacht, dass man an den
Ereignissen partizipieren kann, ohne an ihnen teilgenommen zu haben.
Die Erinnerungen
sind keine Abbilder der Vergangenheit, sie werden vergegenwärtigt und neu konstruiert, da
das Gedächtnis nicht ein statisches Gedankenkonstrukt ist:
„Die Erinnerung ist in einem sehr weiten Maße eine Rekonstruktion der
Vergangenheit mit Hilfe von der Gegenwart entliehenen Gegebenheiten und wird im
Übrigen durch andere, zu früheren Zeiten unternommene Rekonstruktionen,
vorbereitet.“15
12
Ebd., S. 15.
Vgl. Assman, Jan: Das Kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen
Hochkulturen. München: Verlag C.H. Beck 2005, S. 47.
14
Ebd., S. 16.
15
Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1991, S.
55.
13
7
Wesentliche Aufgabe des kollektiven Gedächtnisses ist die Identitätsbildung. Man erinnert
sich an solchen Sachen, die dem Selbstbild oder Interessen der Gruppe entsprechen. Bei der
Identitätsbildung und Entwicklung des kollektiven Gedächtnisses schreibt Halbwachs den
fiktionalen Medien eine große Bedeutung zu. Bei seiner Überlegungen wird der Aspekt der
Fiktion hervorgehoben, da „in der Fiktion […] eine Matrix des kollektiven Gedächtnisses
entworfen (wird)“.16 Der französische Soziologe rekurriert dabei oft auf ein literarisches
Werk von Proust Die Suche nach der verlorenen Zeit. In literarisch kreierten Räumen
widerspiegeln sich komprimiert dargestellte Denkweisen und Vorstellungen sowohl der
Individuen als auch des Kollektivs. Diese Speichermedium – Unterhaltungsliteratur - kann
aber auch um einen Film erweitert werden. Jedoch in beiden Medien müssen die
Bezugsrahmen der
Rezipienten berücksichtigt werden. Nur in diesem Fall haben die
fiktionalen Gedächtnisse eine Bedeutung für die Gegenwart, wenn sie an die aktuellen
Bezugsrahmen der Empfänger knüpfen.17
Die andere Form der kollektiven Vergangenheitsbildung ist nach Position von Halbwachs die
religiöse Topographie. In La topographie légendaire wurden religiöse Gruppengedächtnisse
beschrieben. Akzentuiert werden ihre starke Geformtheit und das Einbeziehen von
Gegenständen und Gedächtnisorten. Da die Zeithorizonte dieses Gedächtnisses über Tausende
von Jahren hinwegreichen, benötig man der oben erwähnten materialen Phänomene wie z.B.:
Architektur, Pilgerwege, Gräber als Speichermedien. In diesem Fall ist der Blick in einer
fernen Vergangenheit der Traditionsbildung zu verdanken.
Der Soziologe wurde im Konzentrationslager Buchenwald am 16. März 1945 ermordet und
seine Gedächtnistheorie, die sich im Moment seines Todes teilweise in einer skizzenhaften
und unvollständigen Form befand, wurde vierzig Jahre lang nicht rezipiert. Seine
Zeitgenossen aus der Universität Straßburg warfen dem Soziologen zwar zu starke
Kollektivierung individualpsychologisches Phänomene vor, aber diese Kritik hat ihm nur ein
Anstoß zur weiteren Arbeit gegeben. Spätere Rezeptionsgeschichte Halbwachs Theorie
brachte intensive Weiterentwicklung und Konkretisierung. Heutzutage ist es undenkbar, ein
theoretisches Konzept zu entwerfen, ohne einen Rückgriff auf seine Theorie des kollektiven
Gedächtnisses zu nehmen.
2.1.3 Europäisches Bildergedächtnis – Aby Warburg
16
17
Görz, Katharina: Die Suche nach der Identität. Erinnerungen erzählen im Spielfilm. Remscheid 2007, S. 135.
Ebd., S. 135.
8
Das nächste Gedächtniskonzept – Bildergedächtnis – stammt von dem Kunst- und
Kulturhistoriker Aby Warburg (1886-1929).
Warburg erweiterte Quellenbasis der
Kulturwissenschaft und gilt als sein Vordenker. Er stand für ihre Interdisziplinarität.
Erwähnenswert ist, dass er der Begründer der Kulturwissenschaftlicher Bibliothek Warburg in
Hamburg war. Um die Bibliothek sammelte sich ein Kreis der berühmten Forscher wie Erwin
Panowsky, Helmut Ritter oder Ernst Cassirer. Der Schwerpunkt Warburgs Überlegungen fällt
auf die materielle Dimension der Kultur. Mitte der 1920er Jahre hat er zu seiner
kunsthistorischen Forschung die Theorie des kollektiven Gedächtnisses einbezogen.18
Warburg beschäftigte sich mit Kultur im engeren Sinne, genauer gesagt, mit
Hervorbringungen der Kunst und mit den Kunstwerken. Er suchte nach ähnlichen
Phänomenen, die in verschiedenen Zeitperioden sich diachron auf der Zeitachse positionieren.
In verschiedenen Epochen tauchen charakteristische Motive, Elemente, Details, Vorbilder aus
der Vergangenheit auf. Die Suche war interdisziplinär orientiert, so dass als Beispiele hier die
„bewegte
Gewandmotive antiker Fresken in Renessaincegemälden Boticellis und
Ghirlandaios“19 oder einfach Gothik Revival20 dienen können. Warburg hat der Wiederkehr
der künstlerischen Formen in verschiedenen Zeiträumen beobachtet. Die Ursache für diese
Vorgehensweise ist die „Erinnerungsauslösende Kraft kultureller Symbole“21 .
Warburg hat festgestellt, dass die Werke der bildenden Kunst nicht nur als geniale
Spitzenleistungen und epochenspezifische Stileigentümlichkeiten zu betrachten sind. Sie
gelten als „Aufbewahrungsspeicher für intensive Erlebnisse und affektive Ausdrucksformen
des Menschen.“22 Warburg wies bei dem Entstehen solcher Ausdrucksformen auf
Erregungsintensivität hin, die sich sowohl im negativen Sinn von äußerstem Leid, als auch im
positiven von Ekstase manifestiert.
Diese Affektzustände, die „die Visualisierungen der
inneren Ergriffenheit durch Gebärden und Körperhaltungen“23 abbilden, nennt der
Kunsthistoriker Pathosformeln. Die Pathosformeln bauen auf Symbolik antiker Vorbilder,
18
Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart/Weimer: J.B. Metzler 2005, S. 19.
Ebd., S. 19.
20
Gothik Revival (anders Neogotik oder Neugotik) ist ein Kunst- und Architekturstill des 19 Jahrhunderts.
Charakteristisch ist der Wiederkehr der gotischen Formen wie Kreuzrippengewölbe, Ornamentik aus
geometrischen Formen, aufgebrochene, hohe Wände mit schlanken Kirchenfenstern und schlanke, strukturierte
Pfeiler auf polygonalem Grundriss. (Aus Kubalska-Sulkiewicz, Krystyna (koordynator)/ Bielska Łach,
Monika/ Manteuffel-Szarota, Anna. Słownik terminologiczny sztuk pięknych. Warszawa: Wydawnictwo
naukowe PWN 2007.
21
Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart/Weimer: J.B. Metzler 2005, S.19.
22
Pethes, Nicolas: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorienzur Einführung. Hamburg: Junius Verlag 2008, S.
46.
23
Ebd., S. 46.
19
9
tauchen in Renaissance bis in die Moderne auf und bilden eine Kontinuitätslinie, die Warburg
in Anlehnung an Engramm-Begriff von Richard Semons als gedächtnishaft bezeichnet. Die
kulturelle Engramme oder Dynamogramme sind Pathosformeln, in denen sich medial und
symbolisch Spuren von Empfindungen manifestieren. In Warburg Betrachtungen nimmt das
Kunstwerk, das zum Speichermedium des kollektiven Gedächtnisses geworden ist, eine
zentrale Position ein. Diese Stellung ist den folgenden Eigenschaften des Kunstwerkes zu
verdanken:
1 Das Kunstwerk hinterlässt die geistigen Spuren, die sich ins Gedächtnis des
Empfängers einschreiben.
2 Das Kunstwerk bündelt in sich eine starke mnemische Energie, die nicht nur die
Voraussetzungen zum Akt des sich Erinnerns schafft, aber auch die Wiederkehr
mancher Motive aus der Vergangenheit in nachfolgender Zeitperioden hervorruft.
Kunstwerk ist eine kulturelle Energiekonserve und die gesamte Kunst sich auf dem
Gedächtnis der Symbole stützt.
3 Das Kunstwerk ist nicht an einem bestimmten geographischen Raum und an einer
historischen Zeit gebunden. Es überdauert die Zeiten und überquert die Räume.
Die Kunstgeschichte fungiert als kollektives Bildgedächtnis. Warburg selbst befasste sich mit
Klassifizierungen der Pathosformeln, in dem er in eigenen Projekten, wie „MnemosyneBildatlas“, über eintausend Abbildungen über Europa und Asien zusammengestellt hat. Das
epochen- und länderüberschreitende Bildgedächtnis hat materielle Grundlage.
Nach Position von Warburg, wurde Kunst zu einer zentralen Referenz für kulturelle
Erinnerungen, da die Werke der Künstler die Ausdrucke der Erinnerungen sind24. Bei dieser
Formulierung sind auch andere Kunstformen wie Literatur oder Film nicht ausgeschlossen.25
2.1.4 Kommunikative und kulturelle Gedächtnisformen nach Jan und
Aleida Assmann
In diesem Kapitel sollen in der ersten Linie zu Beginn zwei Gedächtnisarten, nämlich das
kommunikative Gedächtnis und das kulturelle Gedächtnis besprochen werden, demnächst
24
Vgl. Jahoda, Gustaw: Das Überdauern der Bilder: Zur Kontiniutät der Imagines vom Anderen. In: Walzer,
Harald: Das soziale Gedächtnis. Hamburg: Hamburger Edition HIS Verlags 2001.
25
Vgl. Pethes, Nicolas: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorienzur Einführung. Hamburg: Junius Verlag
2008, S. 49.
10
weitere Formen, die das Assmannsche Konzept ergänzen. Beide Gedächtnisarten bauen
teilweise auf in dem ersten Kapitel besprochener Theorie des kollektiven Gedächtnisses von
Halbwachs, die Assmanns in Folge von Evolution der Medien weiter ausdifferenzieren. Ihre
Arbeit war interdisziplinär orientiert und ging quer durch die verschiedenen akademischen
Fächer wie beispielsweise: Soziologie, Geschichtswissenschaft, Altertumswissenschaft,
Kunstgeschichte, Religionswissenschaft und Literaturwissenschaft. 26
Der Begriff kulturelles Gedächtnis taucht Ende der 80er Jahre auf und wurde von Jan und
Aleida Assmann eingeführt. Seit dieser Zeit erlebt man innerhalb von deutschsprachigem
Raum eine Konjunktur von Gedächtnistheorien. Aleida Assmann hat der Begriff Gedächtnis
zum „Leitbegriff der Kulturwissenschaften“ erhoben. Das Buch Das kulturelle Gedächtnis
von Jan Assmann, das im Jahr 1992 erschien, ist eine bahnbrechende Studie, die mit der
Diagnose einer „Epochenschwelle“ beginnt.27 Das Werk selbst galt als Auslöser dieser
Konjunktur, wobei zahlreiche Gedächtnistheorien, die Ende des 20.Jahrhunderts auftauchten,
der Autor in seinem Buch in Rücksicht genommen hat:
„in der mindestens drei Faktoren die Konjunktur des Gedächtnisthemas begründen.
Zum einen erleben wir mit den neuen elektronischen Medien externer Speicherung
eine kulturelle Revolution, die an Bedeutung der Erfindung des Buchdrucks und
vorher der der Schrift gleichkommt. Zum anderen […] verbreitet sich gegenüber
unserer eigenen kulturellen Tradition eine Haltung der „Nach-Kultur“, in der etwas
zu Ende gekommenes – „Alt – Europa“ nennt es Niklas Luhmann – allenfalls als
Gegenstand der Erinnerung und kommentierenden Aufarbeitung weiterlebt. Drittens
[…] Eine Generation von Zeitzeugen der schwersten Verbrechen und Katastrophen
in den Annalen der Menschheitsgeschichte beginnt nun auszusterben.“ 28
Zum anderen wurde die Zunahme an Gedächtnistheorien als Symptom einer Krise
wahrgenommen, die Krise einer Kultur die ihre bisherige Überlieferungsverfahren, Funktion
und Selbstverständlichkeit verloren hat.
Jan und Aleida Assmann weisen auf die Verbindung von Kultur und Gedächtnis. Das
Konzept ist gut begrifflich strukturiert und wissenschaftlich fundiert. Assmanns machen
aufmerksam auf dem Dreiecksverhältnis von kultureller Erinnerung, politischer Legitimierung
und kollektiver
26
Identitätsbildung. Kulturelles
Gedächtnis
übt
einen
Einfluss
auf
Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart/Weimer: J.B. Metzler 2005, S. 27.
Pethes, Nicolas: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorienzur Einführung. Hamburg: Junius Verlag 2008, S.
61.
28
Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen,
München 1992, S. 11. In: Pethes, Nicolas: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorienzur Einführung.
Hamburg: Junius Verlag 2008, S. 60-61.
27
11
Identitätsbildung, aber auch politische Machtstrukturen wirken auf Erinnerungskulturen, in
dem sie das kulturelle Gedächtnis stabilisieren oder legitimieren. Als Beispiel können in
diesem Kontext die Gedenktage vor und nach 1989 in Polen dienen. Die Machtstrukturen in
der geschlossenen Gesellschaft vor der Wende waren anders, so dass man in Polen den 22 Juli
gefeiert hat. Nach der Wende und nach der Neugestaltung des Systems, kam es zur
Veränderung der Inhalte des kulturellen Gedächtnisses, so dass der 22 Juli nicht mehr als
Nationalfest betrachtet und somit gefeiert wurde.
Assmanns rekurrieren auf Halbwachsʹ Betrachtungen zum Thema des kollektiven Gedächtnis.
Sie befassen sich mit einem Aspekt des kollektiven Gedächtnisses, der von ihnen weiter
ausdifferenziert wird. Daraus resultiert die Einteilung in zwei „Gedächtnis - Rahmen“:
1 das kollektive Gedächtnis als Alltagsgedächtnis, das Assmanns als kommunikatives
Gedächtnis bezeichnen
2 das kollektive Gedächtnis, das sich auf „symbolträchtige kulturelle Objektivationen
stützt“29 und als kulturelles Gedächtnis benannt wurde.
Ausschlaggebend ist die Feststellung, dass ein qualitativer Unterschied zwischen den beiden
Gedächtnisarten besteht. Die Merkmale der beiden Gedächtnisse wurden gegenüber
überpointiert, um die Unterschiede hervorzuheben.30 Der Schwerpunkt Assmannschen
Überlegungen fällt auf das kulturelle Gedächtnis, so dass das kommunikative Gedächtnis als
Abgrenzungsfolie und Oppositionsbegriff fungiert. Die Bereiche, auf denen zur Unterschiede
kommt, betreffen: Inhalte, Medien, Formen, Zeitstruktur und Träger. In der unten stehenden
Tabelle wurden beide Gedächtnisarten präsentiert:31
kommunikatives Gedächtnis
Inhalt
Formen
Medien
29
kulturelles Gedächtnis
mythische
Urgeschichte,
Geschichtserfahrung
im
Ereignisse in einer absoluten
Rahmen indiv. Biographien
Vergangenheit
informell, wenig geformt, gestiftet, hoher Grad an
naturwüchsig,
entstehend Geformtheit,
zeremonielle
durch Interaktion, Alltag
Kommunikation, Fest
feste
Objektivationen,
lebendige
Erinnerung
in
traditionelle
symbolische
organischen
Gedächtnissen,
Kodierung/Inszenierung in
Erfahrungen und Hörensagen
Wort, Bild, Tanz usw.
Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart/Weimer: J.B. Metzler 2005, S. 27.
Ebd., S. 27.
31
Ebd., S. 29.
30
12
80-100
Jahre,
mit
der
Gegenwart
mitwandernder
Zeitstruktur
Zeithorizont
von
3-4
Generationen
unspezifisch, Zeitzeugen einer
Träger
Erinnerungsgemeinschaft
absolute Vergangenheit einer
mythischen Urzeit
spezialisierte
Traditionsträger
Das kommunikative Gedächtnis ist naturwüchsig und wenig geformt. Sie entsteht durch
Alltagsinteraktionen, ist informell und deswegen durch Instabilität und Veränderlichkeit
gegenzeichnend. Die mündliche Kommunikation, die meistens innerhalb von einer Familie
oder Gemeinschaft stattfindet, dient als Verbreitungskanal der Inhalte wie Erinnerungen und
Erfahrungen. Der Zeithorizont dieses Gedächtnisses umfasst drei bis vier Generationen und
die Erinnerungen, die vermittelt werden, bezeichnet man als biographische Erinnerungen.
Diese Erinnerungen formen das Generationengedächtnis. Organisches Gedächtnis ist
beschränkt, so dass die Inhalte nur in begrenzter Masse erinnert werden können. Das
kommunikative Gedächtnis gehört zu dem Bereich der Oral History.32 In den modernen
Medienkulturen kam es zur „sekundärer Oralität“. Das Phänomen, dass neben bisheriger
Existenz zum Neuentstehen die mündlichen Überlieferungsformen kamen, verursacht, dass
der Verbreitungsradius nicht nur auf kleinere Gruppen beschränkt ist. Als Beispiel kann
Rundfunk dienen, der präziser und dauerhafter die Erinnerungen archiviert.
Das kulturelle Gedächtnis wurde in der Opposition zu dem kommunikativen Gedächtnis
dargestellt. Es hat eine generationenübergreifende Speicherstruktur. Sein Gegenstand sind
mythische Ereignisse einer fernen Vergangenheit, beispielsweise der Kampf um Thermophile.
Das Gedächtnis ist an der Gegenwartsperspektive gebunden und wird von Spezialisten, wie
z.B. Archivare, Schamanen, Priester weitergegeben. Die im Jahr 1988 von Jan Assmann
formulierte Definition des kulturellen Gedächtnisses lautet:
„Unter dem Begriff kulturelles Gedächtnis fassen wir den jeder Gesellschaft und
jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, Bildern und –
Riten zusammen, in derer >Pflege< sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein
kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die
Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Einheit und Eigenart
stützt.“ 33
Das kulturelle Gedächtnis ist ein Entwurf der Vergangenheit, die eine Gruppe oder
Gemeinschaft sich geben will und ist demzufolge von interessengesteuerten Selektion
32
Pethes, Nicolas: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorienzur Einführung. Hamburg: Junius Verlag 2008, S.
62.
33
Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart/Weimer: J.B. Metzler 2005, S. 28.
13
geprägt.34 Sie entsteht immer, wenn eine Gruppe oder Gemeinschaft bestimmte Ereignisse als
beachtenswert einstuft und sie bewahren will. Die zentralen Merkmale, die kulturelles
Gedächtnis
definieren,
sind:
Identitätskonkretheit,
Rekonstruktivität,
Geformtheit,
Organisiertheit, Verbindlichkeit und Reflexivität.
Die Inhalte vom kommunikativen zum kollektiven Gedächtnis können mit der Unterstützung
von Medien wie Literatur, Film Übergehen.
Jan und Aleida Assmann haben sich auch mit den Begriffen wie orale und skripturale
Kulturen auseinander gesetzt. Die Medien des kulturellen Gedächtnisses sind Mündlichkeit
und Schriftlichkeit.35 Jan Assmann spricht über „der rituellen Kohärenz oraler Kulturen und
der textuellen Kohärenz skripturaler Kulturen“36. Die kulturelle Vergangenheit wird in Oralen
Kulturen
mündlich überliefert. Diese Kulturen stützen sich auf genauer Repetition der
Mythen, die im organischen Gedächtnis beispielsweise der Schamanen aufbewahrt werden.
Die textuelle Variante erlaubt, dass in literalen Gesellschaften Inhalte personen- und
situationsunabhängig aufbewahrt werden können. Im Vergleich zu Oralen Kulturen ist die
Kapazität der gespeicherten Informationen enorm größer. Die entstandene zeitlich zerdehnte
Situation37
ermöglicht
Neuinterpretationen,
Modifizierungen,
Entdeckung
der
Mehrdeutigkeit der Texten und Vergegenwärtigung der gespeicherten Informationen.
Die nächste Einteilung, die im Kontext gedächtnispolitischer Strategien untersucht wurde und
in Anlehnung an Claude Lévi-Strauss Untersuchungen eingeführt wurde, ist die Einteilung in
kalte und heiße Gesellschaftsformen. Zum Motor der Entwicklung dieser Kulturen werden
die Erinnerungen. Die kalte Kulturen sind stabil, und es kommt zur keinen Veränderungen.
Die Vergangenheit hat keinen Bezug auf Gegenwart. In heißen Gesellschaftsformen die
Erinnerungen und Mythen im Sinne von Geschichte, mobilisieren zum gesellschaftspolitischen Wandeln. In diesen Formationen wird der Einfluss der Vergangenheit auf die
Gegenwart betont. Die Mythen können eine fundierende oder kontrapräsentische Motorik
aufzeigen. Eine fundierende Motorik kann beispielsweise ein politisches System legitimieren
und eine kontrapräsentische Motorik kann ein bestehendes System subversiv unterwandern.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass den Gedächtnisdiskurs zum einen von
Differenzierungsprozess geprägt ist, das veranschaulicht das unten stehendes Schema:
34
Vgl. Pethes, Nicolas: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorienzur Einführung. Hamburg: Junius Verlag
2008, S. 65.
35
Ebd., S. 30.
36
Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart/Weimer: J.B. Metzler 2005, S. 30.
37
Ebd., S. 30
14
Gedächtnis
individuell
kollektiv
kommunikativ
kulturell
rituell
textuell
gespeichert
funktional
kalt
fundierend
heiß
kontrapräsentisch38
Zum anderen aber, worauf die linke Seite des Schemas aufzeigt, existieren die
Zusammenhänge zwischen den nächstunterstehenden Begriffen. Dementsprechend werden
beispielsweise die individuellen Erinnerungen das kommunikative Gedächtnis gestalten. Die
rituellen Strukturen werden von dem kommunikativen Gedächtnis geprägt und die Riten
werden in Inszenierungen des Funktionsgedächtnisses sichtbar.39
2.2 Zum Film
2.2.1 Film als eine Art des ausgelagerten Gedächtnisses
Diskurs über „Gedächtnis und Medien“ ist ein seit ca. über 20 Jahren existierendes
Themenfeld. Gedächtnisbegriff, der anfänglich nur auf Individuen bezogen war, wurde um
die Dimension des kollektiven Gedächtnisses ausgebaut. Teil des kollektiven Gedächtnisses
bildet das Mediangedächtnis und unter der Perspektive „Gedächtnis und Medien“ wurde auch
der Film untersucht.40
38
Pethes, Nicolas: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorienzur Einführung. Hamburg: Junius Verlag 2008, S.
69.
39
Ebd., S. 70.
40
Klippel, Heike: Das „kinematographische“ Gedächtnis. In: Karpf, Ernst (Hrsg.)/ Kiesel, Doron: Once upon a
time… Film und Gedächtnis. Marburg: Schnüren Verlag 1998, S. 39.
15
Medien wie Film fungieren als eine Art des ausgelagerten Gedächtnisses, das jeder Zeit durch
technische Reproduktion abgerufen werden kann. Der Film ist ein Konservierungsmedium,
das die zeitliche und räumliche Distanz überwindet und durch Modus der Präsenz
gekennzeichnet ist.41 Von anderen Medien unterscheidet er sich durch den Aspekt der
gegenwärtigen Beweglichkeit. Die in der Vergangenheit gespeicherten Aufnahmen werden
während des Filmbetrachtens reaktiviert, wiederbelebt und vergegenwärtigt. Zum Einem
handelt es sich im eine Rekonstruktion der Vergangenheit, wie im Falle der Erinnerungen ist,
zum Anderen um eine Wiederholung der gleichen Ereignissen, die auf der Filmstreifen
gespeichert wurden42. Film ist ein Archiv und Zeuge in dem das Nebeneinander vieler
Vergangenheiten auftritt.
Film bildet aber keine ungebrochene Kontinuität, er zeichnet sich durch Übersprunge,
Verlangsamungen, Stockungen und Durchbrüche, Nicht-Linearität, Dynamik und manchmal
auch durch eine Fragmentierung.43 Er ist dem Akt des sich Erinnerns sehr ähnlich. Nach
Position von Pasolini ist „jeder Erinnerungsversuch (…) eine Folge von Bild-Zeichen, das
heißt, eigentlich eine Filmsequenz.“44 Im Kopf projizierte Erinnerungen, also Folgen von
Bild-Zeichen, besitzen alle typischen Merkmale einer Filmsequenz: Details, Großaufnahmen
sowie Perspektiven etc. Diese Skala, die Erinnerungen begleitet, dient auch als
Kommunikationsbasis im Film.45 Film ist eine Art des gespeicherten Gedächtnisses.
2.2.2 Ästhetische Besonderheiten des Films
Dieser zweite Abschnitt soll Entstehungsgeschichte des Films skizzieren, die weitere
Unterschiede zwischen dem Film und anderen Medien zeigen, sowie die besondere Merkmale
des Films beschreiben.
Das Jahr 1895 gilt als die Geburtsstunde des Kinos und des Films. Die neue technische
Erfindung, die man als apparaterzeugte Realität des Sehens46 bezeichnen kann, zeigte zum
Einen die reale Bewegungsabläufe, tatsächliche Geschehnisse und alles was auf dem
dokumentarischen Charakter aufweist und zum Anderen das durch verfügbare Techniken
41
Ebd., S. 41.
Ebd., S. 42.
43
Ebd., S. 49.
44
Pasolini, Pier Paolo: Die Sprache des Films. In: Knilli, Friedrich (Hg.) (in Zusammenarbeit mit Knut
Hickethier und Erwin Reiss): Semiotik des Films. Frankfurt am Main: Athenäum Fischer Taschenbuch Verlag
1971, S. 39.
45
Ebd., S. 39.
46
Beicken, Peter: Wie interpretiert Man einen Film. Stuttgart: Philip Recklam Verlag 2004, S. 7.
42
16
Illusionistische. Die Anfänge des Films zeichnen sich durch eine diagnostizierbare Polarität.
Abbildung, Reales und Publizistik wird Fiktion, Dichtung und Imaginäres gegenübergestellt.
Tertium comparationis ist die Bewegung. Als Vertreter des Dokumentarisches gelten Brüder
Lumière. Méliès dagegen durch verfügbare Illusionstechniken und mit Hilfe der
Theaterkulissen dreht phantastische Filme wie zum Beispiel „Die Reise zum Mond“. Kino
und Film vollzogen bis dem heutigen Tag eine extrem große technische Entwicklung.
Da der Film immer an der Bedeutung gewann, müsste es zur Trennung zwischen dem Film
und den anderen Medien kommen. In der ersten Phase von 1895 bis etwa 1909 entwickelten
sich Kino und Film ungestört. Die zweite Phase von 1909 bis ca. 1920 rief seitens Kultur- und
Literaturkritiker starke Diskussionen hervor. Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Film,
dem Theater und der Literatur wuchs permanent und das neu entstandene Medium galt als
Gefahr und Bedrohung zu existierenden Formen. Der technische Fortschritt im Bereich der
Projektions- und Aufnahmetechniken und die zunehmende Zahl der Lichtspielhäusern
verursachten, dass das neue Medium nicht mehr als eine ephemerische und marginale
Erscheinung betrachtet wurde.
Ihre Position befestigte sich noch durch zahlreiche
Verfilmungen der literarischen Werke und Adaptierung der künstlerischen Praktiken des
Theaters. In den zwanziger Jahren lösten sich stufenweise Film und Kino von dem Einfluss
der Literatur. Damals gestellte Fragen nach einer Ästhetik des Films entzündeten neue
Debatten, infolge deren sich Theorien des Films herauskristallisierten. Das einzigartige
Medium der Kommunikation und des Visuellen, das
ästhetische Dimensionen mit
Unterhaltungsdimension vereinigte, wurde schließlich als siebte Kunst47 bezeichnet. Die
Verselbständigungsprozess des Films im Bezug auf andere Medien lässt sich mit folgendem
Zitat zusammenfassen:48
„Die ästhetischen Profilierungen eines neuen Mediums entstehen in Konkurrenzen zu
entstehenden Kunstgattungen und –praxen. Das Medium Film hat seinen besonderen
Kunstcharakter in der Auseinandersetzung mit den Bildungsanforderungen
gegenüber dem Massenmedium der bloßen Schaulust und mit den anderen Künsten
und technischen Medien (Literatur, Theater, Malerei, Fotografie) entwickelt.“49
Film grenzt sich von den anderen Medien auch durch seine besondere Filmsprache ab. Er
operiert mit verschiedenen Zeichensysteme: akustische Zeichen als Ton, sprachliche Zeichen
als Wort/Wörter, optische Zeichen als Symbole und ikonographische oder Bildzeichen als
47
Ebd., S. 7.
Karpenstein-Eßbach, Christa: Einführung in die Kulturwissenschaft der Medien. Paderborn: Wilhelm Fink
Verlag 2004, S. 251-258.
49
Ebd., S. 258.
48
17
Bilder.50
Film
spricht
aber
eine
verständliche
Sprache,
die
sich
wohl
aus
allgemeinverständlichen Zeichen gliedert 51.
Film hat einen zweifachen Charakter, der oft kommentiert wurde. Überlegungen betreffen
zwei Felder: Realismus und Phantastik. Wirklichkeitsaffinität eines Filmes beruht auf der
Tatsache, dass Film technisch gesehen auf Fotographie baut und wirklichkeitsgetreu von
einfachsten bis zu kompliziertesten Lebensvorgängen wiedergibt.
Sein fotographischer
Charakter und Wirklichkeitsbezug sind zweifellos. Verbesserung der Qualität des Gezeigten
löste sogar eine Faszinosum der Sichtbarkeiten aus, da „der
Film ein Medium der
Sichtbarkeit, des durch und durch Visuellen ist“52. Aber nach Position von Gunther Schanz:
„Filme sind keineswegs bloß technische Reproduktionen von natürlichen
Wahrnehmungen, wie oft gesagt wird. (…) Sie zeigen das, was sie zeigen, auf eine
bestimmte Weise, mit bestimmten Mitteln und… in einer bestimmten Absicht.“53
Das bedeutet, dass ein im Film gezeigter Vorgang, beispielsweise „Ein Auto fährt die Straße
runter“, möglichst ununterbrochen gezeigt werden muss. Aus welcher Perspektive, von
welchem Platz, wie lange wird das Auto gezeigt und ob es tatsächlich in seiner ganzen Länge,
wenn es die Straße runter fährt, dargestellt wird, wird dem Filmemacher überlassen, so dass
die Vorgänge nicht so wie sie in der Wirklichkeit sind, dargestellt sind.54
Die weit
ausgebauten ästhetischen Überformungen des Wirklichen verursachen, dass dem Film auch
Phantastik innewohnt. Die filmische Welt ist manchmal ein Märchenwelt oder Traumwelt,
die „das ungehemmteste Beweglichkeit der Gestalten, das völlige Lebendigwerden des
Hintergrundes, der Natur und der Interieurs, der Pflanzen und Tiere“55 zeigt.
Diese
lebendigen Bilder entsprechen der Wirklichkeit eines gewöhnlichen Lebens nicht. Diese
binarische, filmische Spezifik lässt sich mit folgendem Zitat zusammenfassen:
„Eine eigene Filmästhetik beruht auf der Pointierung von zwei filmspezifischen
Charakteristika: 1. Auf der Nähe des Films zur physischen Realität (begründet in der
Wirklichkeitsreferenz der fotographischen Abbildung); 2. auf den phantastischen
50
Beicken, Peter: Wie interpretiert Man einen Film. Stuttgart: Philip Recklam jun. Verlag 2004, S. 34.
Pasolini, Pier Paolo: Die Sprache des Films. In: Knilli, Friedrich (Hg) (in Zusammenarbeit mit Knut
Hickethier und Erwin Reiss): Semiotik des Films. Frankfurt am Main: Athenäum Fischer Taschenbuch Verlag
1971, S. 38.
52
Karpenstein-Eßbach, Christa: Einführung in die Kulturwissenschaft der Medien. Paderborn: Wilhelm Fink
Verlag 2004, S. 263.
53
Schanz, Gunther: Filmsprache und Filmsyntax. Das glückliche Bewusstsein. Anleitungen zur materialistischen
Medienkritik. Hrsg. v. M. Buselmeier, Darmstadt und Neuwied 1874, S. 104.
54
Faulstich, Werner: Einführung in die Filmanalyse. Tübingen: Gunther Narr Verlag 1980, S. 45.
55
Karpenstein-Eßbach, Christa: Einführung in die Kulturwissenschaft der Medien. Paderborn: Wilhelm Fink
Verlag 2004, S. 262.
51
18
Dimension des Lichtspiels der Sichtbarkeiten (verbunden mit Imagination und
Fiktion). Beide filmästhetischen Linien stellen den Zusammenhang von apparativer
Beschaffenheit und filmischen Kunstmitteln besonders heraus.“ 56
Film hat dank seinen Besonderheiten extrem große Wirkung auf sinnliche Wahrnehmung.
Er eröffnet eine neue ästhetische Dimension, die bisher kaum vorstellbar war. Existierende
Medien wie Literatur, Malerei oder Fotographie konnten den Rezipienten nicht so stark
beeinflussen. Das flüchtigste Medium ist zugleich das erlebnisstärkste57. Sie hat die
Wahrnehmungsweisen der Rezipienten und bisher bekannte Konstruktionen von Wirklichkeit
geändert. Film war ein neues Tätigkeitsfeld, wo man ein fremdes, gelebtes, durch die Körper
des Schauspielers abgebildetes Leben sehen konnte, in dem die Rezipienten ein plastisches
und bewegtes Bild einer Vergangenheit erhalten haben. Das Hineingehen in die Bilder
verläuft in Etappen. Die Wahrnehmung der filmischen Geschehenszusammenhänge beginnt
mit Einleitungsphase, die s.g. Orientierungsphase, die den Rezipienten erlaubt, sich mit
filmischen Fundus und Protagonisten
vertraut zu machen.58 Die Mechanismen der
Filmrezeption in der Stufe Verstrickung, die als Hauptphase gilt, verursachen, dass der
Zuschauer als beobachtender Teilnehmer an Filmgeschehnissen partizipiert. Schließlich,
während der Vergegenwärtigung der filmischen Ereignisse, kommt es in der letzten Phase zu
Sinngebung des Wahrgenommenen. Konstituierende Rolle in diesem Prozess spielen hier die
Alltagserfahrungen der Zuschauer.59 Das Filmwahrnehmen ist dem Filmverstehen nicht
gleich. Der vollständige Prozess des Filmverstehens, der aus Analyse und Interpretation
besteht, verläuft auf drei Ebenen. Die intuitive, s.g. normale Interpretation bildet ein
unverzichtbarer Ansatz- und Ausgangspunkt für die weitere, analytische Arbeit. Sie ist aber
nur ein Bruchteil des Ganzen. Der nächste Schritt bildet die intersubjektiv nachvollziehbare
Analyse, die auf fachspezifischen Begriffen baut, die im nächten Kapitel detailliert
besprochen werden. Abgerundet werden die oben erwähnten Bestandteile durch eine weitere,
dritte Ebene, nämlich durch das Reflektieren des Reflektierens. Reflexion der Reflexion ist
ein Nachdenken, wie und wozu man sich mit dem Film wissenschaftlich beschäftigt. 60 Das
Filmverstehen gibt die Antworte, die überprüfbar sein müssen.
56
Ebd., S. 263.
Klippel, Heike: Das „kinematographische“ Gedächtnis. In: Karpf, Ernst (Hrsg.)/ Kiesel, Doron: Once upon a
time… Film und Gedächtnis. Marburg: Schnüren Verlag 1998, S. 41.
58
Winkler, Mathias: Filmerfahrung. Ansätze einer phänomenologischen Konstitutionsanalyse. Frankfurt am
Main: Peter Lang Verlag 1985, S. 178
59
Ebd., S. 178.
60
Faulstich, Werner: Die Filminterpretation. Gottingen: Vandenhoeck und Ruprecht Verlag 1995, S. 7-11.
57
19
Film - der siebte Kunst - vollzog eine enorm große Entwicklung. Von einer
Marginalerscheinung wurde er zu wichtigem
Untersuchungsgegenstand der Soziologen,
Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaftler.
2.2.3 Analyseebenen des Films
Im vorangegangenen Abschnitt wurden besondere Merkmale des Films genannt und erläutert.
In diesem Kapitel werden Begriffe erklärt, die unentbehrlich bei jeder Filmanalyse sind. Im
Film unterscheidet man fünf Analyseebenen, das sind:
1) visuelle Ebene, die sich in Subebenen: Einstellungsgrößen, Kameraperspektiven und
Kamerabewegungen, Beleuchtung gliedert,
2) auditive Ebene, die Sprache/Dialoge, Geräusche und Musik umfasst,
3) narrative Ebene, die auf Montageformen beruht,
4) schauspielerische Ebene und
5) semiotische Ebene. 61
1)
Die
visuelle
Analyseebene
umfasst
Einstellungsgrößen,
Beleuchtung,
Kameraperspektiven und Kamerabewegungen. Zuerst wird der Terminus Einstellung
definiert. „Die Einstellung (ist) die kleinste Einheit des Films: die Abfolge von Bildern, die
von der Kamera zwischen dem Öffnen und dem Schließen des Verschlusses aufgenommen
werden.“62 Die Einstellungen können nach verschiedenen Gesichtspunkten vor allem nach
Größe, Perspektive, Kamera-, Objektiv- und Achsbewegung charakterisiert werden. Die
achtstufige Skala der Einstellungsgrößen im Film, die am Normalfall eines Menschen im
Raum skaliert, bietet die hilfsreichen Kategorisierungen bei Analyseverfahren an. Die
Einstellungsvarianten zeigen die Größe von extremer Entfernung bis zum extremen Nähe.
Wolfgang Gast empfehlt folgende Einstellungsgrößen (zusammen mit den Kürzel):
61
-
Weit (W)
-
Total (T)
-
Halbtotal (HAT)
-
Halbnah (HN)
-
Amerikanisch (A)
Stöber, Rudolf: Kommunikations- und Medienwissenschaften. Eine Einführung. München: C. H. Beck 2008.
S. 209.
62
Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 113.
20
-
Nah (N)
-
Groß (G)
-
Detail (D)
In der Einstellung Weit werden Panoramaaufnahmen, wie weit ausgedehnte Landschaften,
oder Skylines, die nicht auf die Einzelkomponente angehen, dargestellt. Sie erfüllen
bestimmte Funktionen, die ihre Bedeutung erst aus dem Kontext gewinnen. Die
Weiteinstellung, die am Anfang oder in der Abschlusssequenz eingesetzt ist, eröffnet oder
beendet monumental bzw. gefühlvoll eine Handlung, entwirft symbolische Bilder und
vermittelt die Atmosphäre.63 Wenn sie in der Mitte einer Sequenz montiert ist, fungiert sie
als retardierendes Moment, das zum Ziel der Spannungsaufbau hat. Der Gesamteindruck wird
durch musikalisches Untermalen ergänzt und verstärkt. Die Weitaufnahmen treten sehr oft in
Science-Fiction-Filmen oder in Western. Die Bauform Total gibt den Einblick auf den
gesamten Raum mit allen Menschen, so dass sie sowohl die räumliche Orientierung als auch
den Überblick in die Handlung verleiht. Diese Einstellungsgröße ist stärker handlungsbezogen
als Weit jedoch weiterhin in einer Landschaft eingebettet. Sie ermöglicht das Sehen des
Aktionsraumes aber lässt die Körpersprache der Protagonisten nicht zu erkennen. Diese
Funktion wird durch die Halbtotale realisiert, da man die Schauspieler in dieser Einstellung
von Kopf bis zum Fuß sehen kann. Die Umgebung der Handelnden tritt stärker in den
Vordergrund, so dass der Distanz zu den Zuschauern teilweise gekürzt wird. Er bleibt aber
noch relativ groß.64 Diese Einstellung vorbereitet auf die Sequenz, wo die Aufmerksamkeit
auf die Gesichter der Protagonisten eingerichtet wird. Die Halbnahe zeigt den Menschen von
den Knien an. Das ist genügend um erstens die Beziehungen zwischen den Figuren zu
erkennen und zweitens die kommunikative Situation zu verfolgen.65 In der Einstellung
Amerikanisch werden die Protagonisten bis unterhalb der Hüften gezeigt. Diese Aufnahme
tritt besonders oft bei Western und Filmsequenzen auf, die ein Duell zeigen. Die Einstellung
weist auf die Kampfbereitschaft der Figuren auf. Verschiebung des Aktionsraumes vom
ganzen Körper auf die kleineren Körperteile ist für Naheinstellung charakteristisch. Die
Wahrnehmung der Zuschauer ist oftmals auf Mimik fokussiert.
Groß konzentriert sich
weiterhin auf dem Kopf und Gesichtsmimik. Nach Vordergrund rücken Gesichtsbewegungen
wie Mundwinkelbewegungen oder sogar die Augensprache, die die feinste Empfindungen und
63
Vgl. Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse.
Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S. 16.
64
Ebd., S. 19.
65
Ebd., S. 20.
21
Gefühlen ausdrücken. Detail blendet alles außer extrem kleinem Ausschnitt einer Person oder
eines Gegenstandes aus. Dieser Teil wird extrem vergrößert. Detaileinstellung stiftet
emotionale Intensivierung, trägt zur Spannungssteigerung oder erfüllt Beweisfunktion.
Ein weiteres bedeutungsgenerierendes Gestaltungselement, das für die visuelle Ebene vom
Belang ist, ist Perspektive. Die Kamera nimmt aus verschiedenen Positionen eine Person, ein
Gegenstand oder ein Geschehen auf. Grundsätzlich gliedern sich die perspektivischen
Darstellungen in drei dominante Grundformen: Normalsicht, Untersicht (Froschperspektive)
und Vogelperspektive (Aufsicht). Sie alle sind von den Produzenten, Kameramanns/frau,
Regisseurs geformt und erfüllen ihre Aussageintention. Die Bedeutung der Perspektiven
ergibt sich erst aus dem Kontext und Zusammenspiel anderer stilistischer, dramaturgischer
und inhaltlicher Stillmittel der Filmsprache.
Normalsicht zeigt die Handlung aus der
Perspektive einen ca. 170 m großen Menschen. Dieser Sicht zeichnet sich durch Neutralität
und vermittelt den Eindruck der Realität, „die den Zuschauer vergessen lässt, dass er einen
Film als Mimesis von Realität erlebt und nicht das Leben selbst.“66 Die Personen oder
Gegenstände, die aus der Froschperspektive gezeigt werden, können je nach dem
inhaltlichen Kontext, bedrohlich, übermächtig, unheimlich und auf der anderen Seite als
lächerlich, karikiert und verzerrt wirken67 (wenn z.B. der Kamerablick auf die Naselöcher des
Protagonisten fokussiert ist). Entscheidend ist der Blickwinkel des Aufnahmegeräts, der von
unten auf das Abgebildete blickt. Kamerastandpunkt befindet sich in der Regel immer
unterhalb von 1,50 Metern, manchmal sogar in Bodennähe. Der Kameraeinstellung in
Grundform Vogelperspektive zeigt die Ereignisse senkrecht von oben. Hierzu unterscheidet
man zwischen leichtem und extremem Obersicht. Der erste präsentiert Protagonisten auf
solche Art und Weise, dass sie Beschützerinstinkte (z.B. Vater blickt auf sein Kind) oder
Siegesgefühle hervorrufen. Die Gebäude, wenn sie auch leicht von oben aufgenommen
werden, wirken aber anheimelnd. Die extreme Obersicht vermittelt den Eindruck einer totalen
Überlegenheit, Abhängigkeit oder menschlicher Hilflosigkeit (z.B. im Bezug auf
Gefährlichkeit der Natur). Zu Sonderformen zählt der schräge Standpunkt, der
ungewöhnliche Situationen, gestörtes Bewusstsein und Irrealität verdeutlicht. Das
Aufnahmegerät befindet sich dann in waagerechter Position oder ist seitlich gekippt.68
66
Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse.
Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S. 24.
67
Ebd., S. 25.
68
Müller, Arnold Heinrich: Geheimnisse der Filmgestaltung. Montage und Filmgestaltung für Filmer. Berlin:
Fachverlag Schiele und Schön 2003, S. 124.
22
Die nächste Subanalyseebene bilden Kamerabewegungen und Achsverhältnisse. Wolfgang
Gast weist auf die Trennung zwischen dem sich bewegenden Gegenstand oder der Person im
Film und auf der anderen Seite der sich bewegenden Kamera, wobei beide Handlungen
miteinander verzahnt sind. Die gängigsten Formen Schwenk und Fahrt benötigen einer
Erläuterung. Mit dem Terminus Schwenk versteht man eine realismusillusionistische
Drehung einer auf der festen Position stehenden Kamera, die einer Kopfbewegung entspricht.
Die Möglichkeiten variieren von einem langsamen bis zum unnatürlich schnellen ReißSchwenk, der sogar als eine Verknüpfung zur anderen Scene fungieren kann. Ein weiteres
filmisches Stillmittel ist Fahrt. Diese Kategorie wird durch den Einsatz der technischen
Hilfsmitteln wie: Kamerakräne oder Dollys realisiert, so dass Parallelfahrt, Verfolgungsfahrt
oder Umfahrt, die mit Ganzkörperbewegung vergleichbar sind, möglich sind. Zoom und
subjektive Kamera zählen zu den Sonderformen der Kamera- und Objektbewegungen. Bei
Zoom verändert sich nur die Brennweite der Kamera, das Aufnahmegerät bleibt statisch.
Diese Bewegung imitiert der Hin- oder Rückfährt, was auf dem ersten Blick als Täuschung
einer Fahrt zu glauben scheint. Zoom hat sich besonders in Sequenzen eingebürgert, wo die
Emotionen zur Sprache kommen und sich an Gesichter der Protagonisten ausmalen.
Subjektive Kamera zeigt die im Film dargestellte Realität aus der Sicht einer handelnden
Figur. Diese Einstellung wird oft durch Handkamera realisiert und mit Hilfe von
verschiedenen Geräten entsprechend stilisiert. Dieses Verfahren erzeugt Authentizität und
Unmittelbarkeit der dargestellten Situationen, was bei den Zuschauern das Wachstum der
Identifikationsgrad mit den Geschehnissen erzeugt.69 Die für Rezeption und Wirkung
wichtigen Elemente, die ebenso bei der Filmanalyse zu beachten sind, bilden
Achsenverhältnisse. Man unterscheidet zwischen Handlungsachse und Wahrnehmungsbzw. Kameraachse. Handlungsachse ist zugleich die Achse der Objektbewegungen im Film.
Objekte gehören zum Filminterieur und das können sowohl die handelnde Protagonisten
(indem sie sprechen, schauen, laufen) als auch die Sachen sein, die sich in einer Bewegung
befinden (fahrende Autos, fließendes Wasser etc.). Die parallele Handlungs- und
Wahrnehmungsachse rufen bei den Zuschauern größtmögliches emotionales Involvieren in
der filmischen Realität hervor.
70
Die Blickrichtung der Kamera bietet den Rezipienten das
direkte Einblicken in den Gesichtern der handelnden Figuren somit identifikatorisches
Einbeziehen den Rezipienten in die Geschehnisse. Die emotionale Betroffenheit ist kleiner,
69
Vgl. Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse.
Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S. 28.
70
Vgl. Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 122.
23
wenn die Kameraachse
rechtwinklig zur Handlungsachse positioniert ist. Der Rezipient
betrachtet die Handlung als externer, unbeteiligter Beobachter. Aber um totale
Ausgeschlossenheit der Zuschauer vor allem in Dialogsequenzen zu reduzieren, wird oft ein
Winkel um die 45 Grad gewählt. Gegenseitiges Zeigen den an dem Dialog beteiligten
Protagonisten ermöglicht Schuss-Gegenschuß-Verfahren. Dieser Achsensprung hat zum
Ziel außer Spannungsförderung auch das Erwecken der emotionalen Anteilnahme der
Zuschauer bei dem Gespräch.71
Zu den notwendigen Hilfsmitteln der Filmgestaltung auf der visuellen Ebene gehört
Beleuchtung. Faulstich unterscheidet zwischen Unter-, Über- und Mehrfachbelichtung, auch
Lichtformen wie: Haupt-, Spitz-, Füll-, Seiten-, Unter-, Vorder-, Oben-, Gegen-, Hinterlicht,
ferner hartes und weiches Licht [Weichzeichner – M.Z.] und Beleuchtungsstilen.
Die
Kategorie Licht war in den 20er Jahren ein wichtiges Gestaltungselement der
expressionistischen Filme. Die dramatische und expressive Bilder sowie ausdrucksvolle
Stimmungen wurden mit Hilfe der Licht- und Schattenspiele erzeugt. Das Gegenstück bildet
der sogenannte Hollywoodstil. Die natürliche Beleuchtungsweise des Hollywoodstils, die
einen suggestiven Eindruck von Realismus vermittelt, wird „durch ein ausgewogenes
Verhältnis von Grund-/Fülllicht (die gesamte Szene mit allen dunklen Teilen aufgehellt wird)
und Führungslicht (die Hauptbeleuchtungsquelle, welche die Akteure beleuchtet und damit
die Aufmerksamkeit darauf zentriert) “72 erreicht.
In der 40er und 50er Jahre durch
entsprechende Beleuchtung in dem sogenannten Film noir wurden vertraute Räume und
Gegenstände verfremdet. Sie wirkten bedrohlich und wurden von ihrem Kontext isoliert.
Diese Art der Lichtgestaltung nennt man Low-key-Stil. Er charakterisiert sich durch
Einsetzen der Lichtquellen an ungewöhnlichen Stellen und Dominanz der dunkleren
Tonwerte. Die Fülllichter prädominieren.
Bei den Filmen, die von Low-key-Stil geprägt
sind, überwiegt Dunkelheit, sehr oft regnet es, es herrscht Pessimismus, Wertrelativismus und
Eindruck des Versteckten, Bedrohlichen und Geheimnisvollen vor.73 Dieser Stil geeignet sich
besonders gut für psychologische Studien. Der Gegensatz dazu ist der High-key-Stil. Die
vermittelten Tonnwerte sind hell und das Bild charakterisiert sich durch weiche Zeichnungen,
die die Hoffnung, das Glücklichsein und die freundliche und optimistische Grundstimmung
71
Ebd., S. 122.
Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse.
Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S. 32.
73
Vgl. Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 146-147.
72
24
erzeugen.74 Die Bauform Licht generiert ein Spannungsfeld, „befördert die Verwicklung der
Erzählstrategie, unterwirft Figuren der Gesetzen des Raums“75. Die Analyse der Beleuchtung
in einem Film ist aber nur dann ergiebig, wenn der Film von dem naturalistischen Mustern
abweicht.
Auβer Licht auch Farbe besitzt große Bedeutsamkeit. In der Zeiten der Schwarz-WeißFilmen wurden die Maßnahmen getroffen, um bestimmte Aspekte, die für die Handlung vom
Belang waren, hervorzuheben. Manchmal wurden die Teile des Filmfensters einfach manuell
koloriert [z.B. Rote Fahne im „Panzerkreuz Potemkin“ von Sergej Eisensteins – M.Z.].
Häufiger wurde aber eine andere Technik
namens Viragierung verwendet.
Damit ist
Durchfärbung der Filme gemeint. Als Beispiel kann die rote Viragierung des Ghetto-Brandes
in Paul Wegeners „Golem“ dienen. Die Tendenz lässt sich auch in heutigen Farbfilmen
verfolgen, jedoch in umgekehrter Richtung. Aus Differenzierungsgründen werden einige
Sequenzpassagen, die an Vergangenes erinnern [häufig wird ein historisches Filmmaterial
eingesetzt – M.Z.], in Sepia-Färbung oder als Schwarz-Weiβ-Material präsentiert. Diese
Techniken erschöpfen aber nicht das vielfältige Spektrum der Möglichkeiten. Wolfgang
Becker in „Good Bye, Lenin!“ verwendet ein Trick indem der Vorspann des Films die
ORWO [Original Wolfen – M.Z.] Färbung imitiert. Der Regisseur hat sich zur Aufgabe
gestellt, das nostalgische DDR-Gefühl bei den Zuschauer zu evozieren76 [jedoch leicht
verblichene Farbe könnte auch die Erinnerungen an die Bundesrepublik der 1950er bewirken
– M.Z.].
Ein Farbfilm im Vergleich zu einem Schwarzweißfilm, verleiht den Filmbildern eine Tiefe
und Perspektive und trägt zur Verbesserung des Gezeigten.77 Béla Balázs hat schon im Jahre
1930 festgelegt, dass in Farben eine große Symbolkraft innewohnt. Sie bewirken emotionale
Suggestion und Assoziationen, die auf die Rezeption und Verstehen des Films einen Einfluss
ausüben.78
2)
Die auditive Analyseebene umfasst drei Subebenen:
-
74
Sprache/Dialoge,
Vgl. Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse.
Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S. 32.
75
Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 147.
76
Stöber, Rudolf: Kommunikations- und Medienwissenschaften. Eine Einführung. München: C. H. Beck 2008,
S. 210.
77
Balázs, Béla: Der Film. Werden und Wesen einer neuen Kunst. Wien: Globus Verlag 1980, S. 226.
78
Balázs, Béla: Der Geist des Films. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 2001 [1930], S.
109.
25
-
Geräusche und
-
Musik,
die mit visueller Ebene eng zueinander stehen. Die akustischen Zeichen erscheinen entweder
als On-Ton oder Off-Ton. Im Fall der sichtbaren Tonquelle, spricht man von On-Ton (on
screen). Wenn die Tonquelle auf der Bildebene nicht vorkommt, heißt es Off-Ton (off
screen). Manchmal auf der Tonspur werden mit Hilfe einer Erzählerstimme oder Musik
Informationen angegeben, die zum besseren Filmverstehen eintragen. Dieses Stillmittel, das
die Emotionen und Gedanken der Protagonisten erklärt, nennt man Voice Over.
Sprache/Dialoge, Geräusche und Musik gehören zum integrierten Teil des Bildes. In diesem
Zusammenhang sind die Wort-Bild-Ton Verbindungen erwähnenswert. Gast zitiert nach
Wember, dass die beiden Zeichensysteme eine verstärkende oder konkurrierende bzw.
divergierende Tendenz besitzen, die man als Wort-Bild-Schere bezeichnen kann. Wenn Bildund Sprachinformationen auseinander gehen, produziert das entstandene Auseinanderklaffen
separate Zusammenhänge, die den Rezipienten die Rezeption erschweren. Die Abstimmung
der Wort-Bild-Struktur zeigt auf eine Geschlossenheit der Wort-Bild-Scheren.79
Die Analyse der Subebene Sprache/Dialoge wurde bislang am wenigsten entwickelt, obwohl
sie zweifellos die Oberhand in den meisten Filmen ist. Der gesprochene Dialog schöpft aus
der Theater-Tradition des Bühnensprechens, aber heutzutage ist seine lockere Form in
Spielfilmen keine Seltenheit. In ihm kristallisieren sich Gefühle, Meinungen, seelische und
psychische Prozesse der Protagonisten heraus. Das Dialogische, das in den Sprechhandlungen
der Akteure auftritt, beherrscht die Sprache, die aber auch als Off-Kommentar eines
auktorialen Erzählers oder als Monolog der Protagonisten auftritt80.
Die Geräusche fungieren als Vervollständigung des Gesehenen und verleihen dem Film eine
starke Realismusillusion, so dass sie auch als gezielte Wahrnehmungssteuerung des
Zuschauers eingesetzt werden können. James Monaco in seinem Werk formuliert die Sätze,
die den Geräuschen eine große Bedeutung beimessen:
„Es [das Geräusch – M.Z.] ist die Allgegenwart des Tons, die seine attraktivste
Qualität ist. Er bewirkt den Aufbau von Raum wie Zeit. Er ist wesentlich für das
Schaffen eines Schauplatzes […].“81
79
Beicken, Peter: Literaturwissen. Wie interpretiert man einen Film? Stuttgart: Reclam 2004. S. 52.
Stöber, Rudolf: Kommunikations- und Medienwissenschaften. Eine Einführung. München: C. H. Beck 2008.
S. 211.
81
Monaco, James: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache. Geschichte der Theorie des Films. In: Gast,
Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse. Frankfurt
am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S. 38.
80
26
Die Geräusche werden entweder als direckt-sound [Originalton anders O-Ton – M.Z.]
aufgenommen
oder
im
Studio
synthetisch
erzeugt
und
nachsynchronisiert.
Die
Handlungsfunktionalität der auditiven Ebene als Ergänzung der visuellen Ebene zeigt sich
z.B. in Horrorfilmen, wenn der Zuschauer das Knarren der Treppe, oder das Heulen des
Gewitters hört. Die Handlungsfunktionalität betrifft auch alle anderen Filmgattungen.
Die Subebene der Musik ist nach der Position von Gast das wichtigste Element des
Zeichensystems „Ton“. In Zeiten der Stummfilme diente sie, um Geräusche des Projektors zu
übertonen. In Zeiten des Tonfilms wurde sie zum Bestandteil des Filmerlebens, als sie die
Kinosaalmusik ersetzte. Der musikalische Code gliedert sich in „Musik im Film“ [Musik im
On, die als Teil der Handlung betrachtet werden soll – M.Z.] und „Filmmusik“ [Musik im
Off, die eine Bauform des Erzählens ist – M.Z.]. Musik hat eigene Semantik entwickelt, sie
„ist nicht autonom, sondern hat eine dienende Funktion, bezogen entweder auf die Handlung,
auf einzelne Sequenzen, auf einzelne Figuren und ihr Setting oder auf die Tektonik des
ganzen Films, jeweils mit Blick auf den Zuschauern.“82
Der Aufriss der Funktionen des musikalischen Codes hat Gabriele Bröske in einem Katalog
zusammengestellt:
-
„Musik illustriert bzw. kommentiert den Handlungsablauf des Films und die Gefühle
seiner Hauptfiguren, dies schließt mögliche Kontrapunktierung und Leitmotivik ein.
-
Musik etabliert Raum und Zeit des Films.
-
Musik emotionalisiert die Rezipienten des Films.
-
Musik strukturiert den Film, verdeutlicht Zäsuren bzw. Kontinuität in der Handlung.
-
Musik dient – insbesondere als Titellied – der Filmwerbung und Kanonisierung.“83
Der Filmmusik, die meistens unterbewusst wirkt, werden auch andere Funktionen
zugeschrieben. Sie kann: Atmosphäre herstellen, Ausrufezeichen setzen, Bewegungen
illustrieren, Bilder integrieren, Emotionen abbilden, epische Bezüge herstellen, Formbildend
wirken, Geräusche stilisieren, gesellschaftlichen Kontext vermitteln,
Gruppengefühl
vermitteln, historische Zeit evozieren, irreal machen, Karikieren und Parodieren,
Nebensächlichkeiten hervorheben, Personen dimensionieren, physiologisch konditionieren,
82
83
Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 139.
Bröske, Gabriele: … a language we all understand. Zur Analyse und Funktion von Filmmusik. In: Bauer,
Ludwig: Strategien der Filmanalyse. München 1987. S. 11.
27
Rezeption kollektivieren, Raumgefühl herstellen und Zeitempfinden relativieren 84. Im
Weiteren kann die Filmmusik ein zentrales Stilelement des Films sein, indem sie durch
Kombination bestimmter Stilmittel das Generalthema symbolisiert. Oftmals wirkt auch die
serienspezifische
Musik,
mit
ihrem
nervenden
oder
eleganten
Klangteppich
als
Erkennungsmerkmal der ganzen Serie, wie z.B. im polnischen Film „Sekunden entscheiden“
von A. Konic und J. Morgenstern. Jedoch ohne elementare Grundkenntnisse der Musik, wird
es problematisch, allgemeine Kategorien wie z.B. Tempi, Modulationen, Instrumentierung,
Dynamik, Melodien bzw. Motive zu bestimmen.
3) Narrative Ebene umfasst Montageformen wie: narrative, deskriptive und metonymische
Montageformen.
Die treffende Bezeichnung der Montage stammt von dem Filmwissenschaftler André Bazin
und heißt „Organisation der Bilder in der Zeit“85. Die genauere Definition lautet:
„Montage ist das Verfahren, einzelne Einstellungen ihrer Länge, d.h. ihrem Gewicht
nach durch Blende oder Schnitt zu verbinden und somit einen bestimmten filmischen
Rhythmus zu schaffen.“86
Ihre Funktion und Aufgaben formuliert ein Kommunikationswissenschaftler Rudolf Stöbe
wie folgt:
„Die Montage konstruiert oder dekonstruiert, beschreibt und erzählt die filmischen
Zusammenhänge: von den Einstellungen über die Sequenzen und Szenen zum
ganzen Film.“87
Die wichtigste filmische Montageeinheit ist eine Sequenz. Sie beginnt mit einer einführenden
Einstellung, die establishing shot heißt. Sie gibt den Einblick auf den gesamten Raum, so
dass sie sowohl die räumliche Orientierung als auch den Überblick in die Handlung verleiht.
Demnächst montierte Einstellungen, die Kern der Sequenz bilden, sind meistens Halbtotale,
Detail- oder Großaufnahme. Die Sequenzen bestehen aus Einstellungen, die durch Schnitt
oder Blende begrenzt und miteinander verbunden werden. Die Plausibilität der Handlung
gewährleistet der s.g. reestablishing shot, die letzte Einstellung einer Sequenz.88
84
Vgl. Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 141-142.
Bazin, André: Was ist Kino? Bausteine zu einer Theorie des Films. Köln 1975, S. 24.
86
Beicken, Peter: Wie interpretiert Man einen Film. Stuttgart: Philip Recklam Verlag 2004, S. 43.
87
Stöber, Rudolf: Kommunikations- und Medienwissenschaften. Eine Einführung. München: C. H. Beck 2008.
S. 214.
88
Ebd., S. 214.
85
28
Schnitt (oder cut) und Blende sind Komplementärbegriffe zu Montage. Man unterscheidet
zwei Grundformen der Montage: der unsichtbare oder anders weiche Schnitt und der
gestaltende oder sichtbare, harte Schnitt. Unmerklicher Übergang, der unsichtbare Schnitt,
der dem kontinuierlichen Erzählfluss dient und ein emotionales Vorgehen fördert, montiert
zwei Einstellungen unmerkbar. Es entsteht die Illusion von Realitätsabbildung. Ebendeshalb
überwiegt der unsichtbare Schnitt in den Unterhaltungsfilmen, wo das Involvieren der
Zuschauer in Action des Films die erste Geige spielt.
Der harte Schnitt wird von den
Zuschauern erkennbar, da es werden zwei Einstellungen unterschiedlichen Perspektive,
Inhalts, Beleuchtung, Einstellungsgrößen miteinander verbindet. 89
Desgleichen Blende lenkt auf sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer, aber sie kommt am
Anfang oder am Ende einer filmischen Einheit vor. Weicher Beginn einer Einstellung heißt
Abblende. Wenn die Einstellungen ineinander übergehen, heißt das Überblende. Zu den
besonderen Formen von Blenden, die teilweise nach ihrer technischen Form bezeichnet
werden, gehören: die Rauch-, Zerriss- und Unschärfblende,
die Aufblende, die
Jalousienblende und die Klappblende, die Fettblende und auch die Fernrohr- oder
Schlüssellochblende. Dazu kommen
auch solche Trickblenden, wie: Schiebeblende,
Irisblende, Wischblende, Weißblende etc. Diese Einstellungskonjunktionen markieren
spezielle Umstände oder weisen auf einen auffälligen Einschnitt in das Handlungskontinuum
hin. 90
Sowohl Schnitt als auch Blende sind für den Rhythmus des Filmes zuständig. Sie legen die
Interpunktion des Filmes fest, jedoch sie besitzen unterschiedliche Interpunktionsqualitäten.
James Monaco notiert in diesem Kontext Folgendes:
„Alle diese Gliederungen […] entsprechen dem Punkt. Ein Auf- oder Abblenden
kann eine Beziehung bedeuten, aber ist ganz eindeutig kein direktes Bindeglied. Die
Überblendung jedoch, in der sich Auf- und Abblende überlagern, verbindet. Wenn es
im Film ein Komma zwischen diesen verschiedenen Punkten gibt, ist es die
Überblendung […] Sie ist im Film das Interpunktionszeichen, das Bilder vermischt
und gleichzeitig verbindet.“91
89
Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse.
Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S. 41.
90
Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 123.
91
Monaco, James: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache. Geschichte und Theorie des Films. Reinbeck 1980
(rororo Handbuch Bd. 6271), S. 211.
29
Die Bemühungen der Filmtheoretiker um eine universale Systematik der Montageformen zu
entwickeln, haben zu divergenten Ergebnissen geführt. Nach Position von Gast soll eine
Filmanalyse:
1. „Kategorien der Wahrnehmung, Beschreibung und Interpretation von zentralen
Komponenten eines Films für die Analysierenden bereitzustellen und
2. die wichtigsten Typen der Verknüpfung ‚filmischer Einheiten‘ (Einstellungen,
Einstellungsgruppen, Sequenzen) in hier zum Gegenstandsbereich gehörenden
Verfilmungen auch tatsächlich […] erfassen.“92
In diesem Zusammenhang unterscheidet man in Anlehnung an Kuchenbuch sieben Typen der
Montageformen, die in drei Gruppen zusammengefasst werden können:
1. die narrative Montageformen, die sich in szenische Montage und erzählende
Montage gliedern,
2. die deskriptive Montageform, die beschreibende Montage umfasst und
3. die metonymische Montageformen, die metonymische, vergleichende, symbolische
und assoziative Montage inkludiert.
In der szenischen Montage der Focus fällt auf dem weichen Schnitt. Dieses filmische
Gestaltungsmittel dominiert, so dass der Identifikationsgrad der Zuschauer mit dem
Protagonisten sich auf einem hohen Niveau befindet. Die einzelnen Einstellungen werden
nach dem Prinzip der Kausalität miteinander verbunden. Diese unsichtbare Verknüpfungsart
von Szenen und Einstellungen, sowie die Einheit von Zeit und Raum bewirkt, dass der
Zuschauer den Eindruck hat, ein Augenzeuge der filmischen Realität zu sein.
Erzählende Montage richtet sich nach inhaltlicher Einheit. Einstellungen und Sequenzen
können aber sowohl räumlich als auch zeitlich und gelegentlich auseinanderliegen. Für diese
Montageform sind Raffungen und Rückblenden charakteristisch, die vorwiegend wie erzählte
Erinnerungen strukturiert sind. Ausgeblendet wird das Unwichtige und hervorgehoben das
Bedeutendste. Kontinuität des Erzählflusses wird durch Untermalen der Musik verstärkt. Ihre
bestimmte Abschnitte kommen leitmotivisch vor und evozieren dadurch eine konkrete
Szene.93
Kern der beschreibenden Montage bildet ihre Objektbezogenheit und räumliche Einheit.
Detaillierte Beschreibung von Schauplätzen, Protagonisten oder Objekten rücken in den
Vordergrund. Die deskriptive Montage eröffnet mehrmals einen Film oder eine Sequenz, da
92
Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse.
Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S. 41.
93
Ebd., S. 42.
30
sie sowohl die Handlungsort als auch Akteure und Filmproblematik vorstellt. Im Film fungiert
sie auch als retardierendes Moment, der den Handlungsablauf verlangsamt.
Die vier metonymischen Montageformen konstituieren ihre Bedeutung vorwiegend durch die
Leistung des Zuschauers, da sie an Handlungskontexten und kulturellen Konventionen bauen.
Ein definitorisches Merkmal für die metonymische Montage ist hier die umfassende
Klammerung. Verschiedene Bereiche werden unter einem Begriff verklammert, z.B.
„Elendsviertel,
stillstehende
Fabrikräder,
Schlangen
vor
den
Einkaufsläden:
Wirtschaftskrise“94. Wirtschaftkrise wird hier zu einem abstrakten Oberbegriff, der im Film
nicht explizit genannt wird.95
Vergleichende Montage verbindet durch alternierendes Schneiden [Kreuzschnitt – M.Z.]
parallel verlaufende Handlungen. Es werden zwei Themen abwechselnd gezeigt.
Einstellungen aus zwei Handlungsorten machen den Zuschauer neugierig auf das mögliche
Zusammentreffen beiden Handlungen.96
Symbolische Montagetechnik beruht auf konventionalisierten Codierungen. Symbolische
Bedeutungen einer Einstellung ergeben sich entweder aus dem Kontext oder operiert man mit
in den Kultur verankerten Konventionen, wie z.B. Bild des galoppierenden Pferdes als
Symbol der Freiheit.97
Assoziative Montageform verbindet verschiedene Wirklichkeitsebenen und zeigt ein
Ereignis
aus
verschiedenen
Perspektiven.
Es
entstehen
bei
den
Zuschauer
Gedankenverbindungen, die durch kausale Montage nie hergestellt würden. Diese
Montageform ruft die Assoziationen wach, was oft in Werbungen oder Propagandafilme zu
sehen ist. Assoziative Montage ist stark Zielgruppenabhängig.98
4) Schauspielerische Ebene
Für jede Handlung des Films ist die Anwesenheit der Haupt- und Nebenfiguren ein der
wichtigsten Faktoren. Bei der Analyse der Schauspielerischen Ebene wird die Existenz der
Schauspieler als auch die Existenz der gespielten Figuren untersucht. Diese Ebene ist mit
Begriffen wie Acting und Performance, Charakterisierungsstrategien, Figurenkonzeption und
94
Kuchenbuch, Thomas: Filmanalysen. Theorien. Modelle. Kritik. Köln: Prometh Verlag 1987, S. 40.
Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse.
Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S. 43.
96
Beicken, Peter: Wie interpretiert Man einen Film. Stuttgart: Philip Recklam jun. Verlag 2004, S. 195.
97
Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse.
Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S. 44.
98
Ebd., S. 44
95
31
Figurenanalyse verbunden. Obwohl zwischen Film und Literatur gewisse Konvergenzpunkte
bestehen, stößt die Figurenanalyse im Film auf folgende Hauptschwierigkeiten: Erstens die
begrenzte Zeit eine Films, zweitens andere Möglichkeiten der Figurenbeschreibung, die nur
im Film auftreten.
Bei der Figurenanalyse im Film müssen einige Selbstverständlichkeiten zur Kenntnis
genommen werden. Im Film rechnet man mit einer begrenzten Zahl des Personeninventars.
Die begrenzte Zeitspanne eines Films, der durchschnittlich eineinhalb Stunden dauert,
verhindert erstens
das Auftreten beliebiger Zahl der Charaktere und zweitens
anstatt
Figurenfilme, in denen der Focus auf innere fällt, werden Handlungsfilme gedreht in denen
eine Reduzierung auf dominante Eigenschaft üblich ist.99 Das führt in manchen Fällen zur
Vereinfachung der Charaktere im Film und zur naiven Einteilung in Gut-Böse.
Wie wird im Film die Darstellung der Protagonisten realisiert? Der Wert wird auf den ersten
Auftritt der Figuren gelegt. Im Film herrschen andere Regeln als im Buch. Film ist durch eine
begrenzte Zeit eingeschränkt, so dass die erste Minuten entscheiden, welche Konnotationen
eine dargestellte Figur hervorrufen soll. Der Zuschauer beobachtet und innerhalb von wenigen
Minuten identifiziert er sich mit Protagonisten, da die Protagonisten im Film [im Vergleich zu
Romanfiguren – M.Z.] mehr als Konstrukte sind, die ausschließlich als Worte auf dem Papier
existieren.100
Zwei Begriffe, die sich auf die schauspielerische Ebene beziehen und direkt mit Schauspieler
verbunden sind, sind: Performance und Acting. Acting hängt mit Handeln, Mimik, Gestik
und Interaktionen der Schauspieler zusammen, d.h. mit allen individuellen Merkmalen der
Schauspieler, über die sie auch als Privatpersonen verfügen. Mit dem Begriff Performance
bezeichnet man nichtnarrative Präsenz der Schauspieler, die von Besetzung und Casting nicht
zu trennen ist.101 Die nichtnarrative Präsenz umfasst u. a. die filmische Biographie der
Schauspieler, ihre Berühmtheit und Popularität, sowie der Nachhall der vergangenen Rollen,
die der Schauspieler übernommen hat [als Beispiele können Peter Falc (Kolumbo) oder
Marylin Monroe (Sexbombe) dienen – M.Z.]. Die Besetzung der Stars und die Doppelnatur
des Starwesens kommentiert Edgar Morin wie folgt:
„Die besondere Bedeutung des Stars besteht darin, dass sie ausgeprägte
archetypische Gestalten im Film verkörpern […]. Neben der Darstellung dieser
99
Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 95.
Wenzel, Peter: Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme. Trier: WVT
Wissenschaftlicher Verlag 2004. S. 53.
101
Vgl. Stöber, Rudolf: Kommunikations- und Medienwissenschaften. Eine Einführung. München: C. H. Beck
2008, S. 215.
100
32
Archetypen der Leinwand führen die Stars ein Leben, dass man ebenfalls als
archetypisch verstehen kann.“102
Jedoch eine einheitliche Typologisierung der Schauspielern existiert nicht daher Hickenthier
notiert in diesem Kontext Folgendes: „Alle Versuche einer Klassifikation von
Ausdrucksweisen […] scheitern jedoch daran, dass es eine systematisch angelegte
Ausdrucksweise nicht gibt.“103 Die Individualität jeweiligen Akteuren ist nicht zu trennen von
Figurenanalyse.
Übergeht man von den Schauspielern zu der Charakteristik der Filmfiguren, so zieht man
andere Aspekte in Betracht. Film als so vielschichtiges Phänomen bietet außerordentlich
große Möglichkeiten der Charakterisierung der Figuren. Charakterisierungsstrategien
bedecken sich teilweise mit Charakterisierung der Figuren im Roman. Wie im Roman können
sie
teilweise
direkt
[Selbstcharakterisierung
–
M.Z.]
teilweise
indirekt
[Fremdcharakterisierung und Erzählcharakterisierung – M.Z.] charakterisiert werden.
Deskribieren durch sich selbst heißt Selbstcharakterisierung. Der handelnde Protagonist
beschreibt sich selbst durch Gestik, Mimik, Sprache [auch im Off – M.Z.] und Handeln. Das
Erscheinungsbild einer Figur hängt von beeinflussbaren Faktoren, die im vorherigen Satz zum
Ausdruck gebracht wurden und von unbeeinflussbaren Faktoren wie Hautfarbe, Körpergröße
ab. Sowohl Charaktereigenschaften als auch Aussehen können eine symbolische Bedeutung
haben. So kann zum einen prachtvolle Kleidung für Reichtum der Protagonisten stehen zum
anderen ihn als eine überhebliche Person beschreiben.104
Fremdcharakterisierung ist eine Art der Charakterisierung, die durch andere Figuren, ihre
Rede über sie, Handlungen oder Umwelt erfolgt. Oftmals wird ein Protagonist durch eine
andere Figur zuerst vorgestellt, demnächst beurteilt oder einer anderen Figur kontrastiv
gegenübergestellt. 105
Bei Erzählcharakterisierung wird die Figur nicht von dem Erzähler wie im Roman
beschrieben, sondern durch Bauformen des Erzählens, durch solche filmische Stillmittel wie
Kameraverhalten, Beleuchtung, Einstellungsgröße und nicht zuletzt durch Geräusche und
Morin, Edgar: Die Stars (Ausschnitt aus „le cinema, fait social“, Universite libre de Bruxelles, Institut se
Soziologie Solvay, Bruxelles 1960. Übersetzung und Bearbeitung von H. Jakob). Prokop, Dieter (Hg.)
Materialien zur Theorie des Films. München 1971, S. 439.
103
Hickethier, Knut: Film und Fernsehanalyse. Stuttgart: Metzler Verlag 1979, S.180.
104
Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 97.
105
Ebd., S. 98.
102
33
Musik (z.B. ein musikalisches Leitmotiv begleitet das Handeln einer Person, taucht immer
wieder und hervorruft eine besondere Stimmung oder evoziert an ein Ereignis).106
Im anspruchsvollen Filmen sind die Arten der Charakterisierung miteinander gemischt, so
dass der Zuschauer ein vielschichtiges Erscheinungsbild der Protagonisten erhält. Er ist auch
durch implizite Charakterisierungstechnik auffordert, ein eigenes Bild der Figur zu
projizieren.
Um die Figuren zu analysieren, muss man sowohl die Ebene der Figurenkonzeption sowie
die Ebene der Figurenanalyse in Rücksicht nehmen. Unter dem Begriff Figurenkonzeption
ist der Aufbau der Figuren gemeint, der mit historisch- konkreten Menschenbilder in Einklang
steht sowie die Relationen und Verhaltensweisen der Protagonisten zu den Geschehnissen der
Handlung. Carsten Ganzel in Anlehnung an Manfred Pfister nennt neun Typen der
Figurenaufbaus.107 Figurenkonzeptionen können Statisch vs. Offen, Eindimensional vs.
Mehrdimensional, Personifikation, Typ, Individuum, Transpsychologisch vs. Psychologisch
sein. Folgende Kennzeichen sind für jede Figurenkonzeption charakteristisch:
 Statisch angelegte Protagonisten entwickeln sich während der Handlung nicht.
 Figurenkonzeption Offen zeichnet sich dadurch, dass die Figuren sich im Fortlauf der
Handlung verändern. Das geschieht andauernd oder diskontinuierlich.
 Die Simplifizierung, die sich beispielsweise in Märchen manifestiert und zu
Charaktereinteilung gut-böse einschränkt ist, ist für eindimensionale Protagonisten
vorgesehen.
 Eine große Anzahl von Merkmalen definiert die mehrdimensionalen Figuren. Ihre
Mehrdimensionalität umfasst zahlreiche Ebenen wie Milieu, Anschauungsweise,
Verhalten etc. und wird im Laufe der Handlung enthüllt.
 Bei einer Personifikation sind die Charaktereigenschaften reduziert und der Focus
fällt auf eine bestimmte Eigenschaft bzw. ein Begriff, die der Protagonist vertritt.
 Typ verkörpert Merkmale, die für eine soziale Gruppe z.B. Kleinbürgertum,
künstlerische Boheme etc. kennzeichnet sind oder für einem in der Literatur
verbreiteten Typ, wie z. B. der undankbare Sohn, repräsentativ sind.108 Im Film hat
sich die filmhistorische Startypologie herauskristallisiert, wie z. B. der ewige
Verlierer, der Super-Actionheld, die Sexbombe, der Gentleman, der Gangster, der
106
Ebd., S. 99.
Gansel, Carsten: Moderne Kinder- und Jugendliteratur. Ein Praxishandbuch für den Unterricht. Berlin:
Cornelsen Verlag Scriptor 2005, S. 38.
108
Ebd., S. 38.
107
34
Vamp usw.109 Alle Eigenschaften, die ein Typ besitzt, beziehen sich auf ein
Allgemeines.
 Individuum verkörpert Einmaligkeit. Voraussetzung für diese Figurenkonzeption ist
ihre Mehrdimensionalität und Überdurchschnittlichkeit. Bestimmend ist die große
Anzahl an Details, die ein Bild einer außergewöhnlichen Person bildet.
 Transpsychologische Figurenkonzeption bewirkt, dass die Protagonisten als
Sprachrohr abstrakter Normen oder Meinungen fungieren.
 Psychologisch konzipierte Figuren halten sich an plausiblem Rahmen. 110
Was bei Figurenanalyse zu beachten ist und welche Informationen über Figuren notwendig
sind, um den Basisüberblick auf Protagonisten zu erhalten, hat Werner Faulstich wie folgt
notiert:
-
-
„Wer sind im Film die Hauptfiguren? Wer die Nebenfiguren? Nach welchen Kriterien
werden diese voneinander abgegrenzt (z.B. Dominanz für die Handlung, Häufigkeit
des Auftretens, Länge der sie zeigenden Einstellungen)?
Welche (sozialen) Rollen sind in dem Film vertreten und welche Funktion kommt
ihnen im Hinblick auf die Handlung zu?
Gibt es bestimmte Typen von Figuren und welche Bedeutung haben sie für die
Ideologie des Films?
Was personifiziert oder repräsentiert der Protagonist? Können wir uns u.U. mit ihm/ihr
identifizieren, und wenn ja warum?
Aus welchem Hintergrund (Setting) werden die einzelnen Figuren beschrieben bzw.
wann, wie und wo treten sie jeweils auf?
Gibt es im Verhältnis zwischen dem Setting der Filmhandlung und den Figuren
Brüche, Wiedersprüche, u.U. bedeutungsvolle Kontraste?“111
Diese Liste ist nicht komplett und kann beliebig in Anlehnung an Literaturwissenschaft
modifiziert und erweitert werden. Für die Figurenanalyse brauchbare Fragen, die sich sowohl
auf literarisches Werk als auch auf Film beziehen können, hat Carsten Ganzel in seinem Buch
„Kinder und Jugendliteratur in Theorie und Praxis – Begriff, Geschichte, Didaktik“
zusammengestellt:
„ 1. Was wird von der Figur ausgesagt?
1.1 Besonderheiten
 Vorgeschichte
 Wann, wo, in welchem sozialen Milieu agiert die Figur?
109
Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 97.
Gansel, Carsten: Moderne Kinder- und Jugendliteratur. Ein Praxishandbuch für den Unterricht. Berlin:
Cornelsen Verlag Scriptor 2005, S. 38.
111
Faulstich, Werner: Einführung in die Filmanalyse. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1980, S. 140.
110
35
 Wodurch ist die äußere Erscheinung der Figur charakterisiert?
 Welche soziale Stellung nimmt die Figur im Figurenensemble ein?
1.2 Verhalten der Figur
1.2.1 Äußeres Verhalten
 Welche Verhaltensweisen sind für die Figur in Bezug auf andere Figuren ihrer sozialen
Welt kennzeichnend? (…)
 Welchen Anteil nimmt die Figur an ihrer sozialen Umwelt, bleibt die Objekt oder wird sie
als Subjekt selbständig tätig, greift ein, verteidigt oder wehrt sich? (…)
 Wie verhält sich die Figur zu materiellen und kulturellen Gegebenheiten (Lebensstil,
Hobbys, Musik, Lesen)? (…)
1.2.2 Inneres Verhalten (…)
 In welchem Verhältnis stehen Denken, Fühlen, Handeln bei der Figur?
1.3 Grundlagen für das Verhalten der Figur
 Auf der Grundlage welches Weltgefühls, welcher Anschauungsweisen von der
Welt agiert die Figur?
 Von welchen Wertvorstellungen, Normen, Wünschen, Glücksansprüchen,
Lebensstilen lässt die Figur sich in ihrem Handeln leiten? (…)
 In welchem Verhältnis befinden sich persönliche Motive, Ziele, Bedürfnisse zu
den individuellen wie gesellschaftlichen Möglichkeiten, sind sie identisch
oder gegensätzlich? (…)112
Ein integraler Bestandteil der Figurenanalyse ist das Setting einer Filmhandlung, der nicht
nur auf Filminterieur eingeschränkt ist, sondern um gesellschaftliche Situierung der
Protagonisten erweitert wurde. Diese Situierung kann beispielsweise altersspezifisch,
milieuspezifisch, ortspezifisch, berufsspezifisch etc. sein. 113
Die Analyse der schauspielerischen Ebene ist nicht nur auf die Ebene der Schauspieler
begrenzt, sondern umfasst Figurenanalyse und Figurencharakteristik. Die Schauspieler
gestalten den Charakter der gespielten Protagonisten mit und leihen der Figuren eigenes
Körper aus. Sie ergänzen die vom Regisseur entworfenen Konzeptionen und geben den
Figuren ein neues Leben, das auf Zelluloid existiert. Der Ausgangspunkt und die Grundlage
für Figurenanalyse und Figurencharakteristik bilden literaturwissenschaftliche Überlegungen
zu diesem Thema, die um medien- und filmwissenschaftliche Bemerkungen weiterentwickelt
wurden.
5) Semiotische Ebene umfasst nach Position von Stöber:
1. die interfilmische Selbstreferenz (Bezug auf andere Filme - M.Z.) und
2. die Fremdreferenz (Bezug zu dem Außerfilmischen – M.Z.).
112
Gansel, Carsten: Moderne Kinder- und Jugendliteratur. Ein Praxishandbuch für den Unterricht. Berlin:
Cornelsen Verlag Scriptor 2005, S. 39-40.
113
Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 100.
36
Die beiden Referenzsysteme semiotischer Zeichen sind miteinander verbunden. Außer Acht
steht nur die intrafilmische Selbstreferenz, da sie keinen für alle Filme gemeinsamen Nenner
besitzt. Sie bezieht sich immer auf einem konkreten Film und jede einzelne Einstellung im
selben Film auf etwas anderes verweist.
Die interfilmische Selbstreferenz lässt sich gut anhand einer der berühmtesten Szenen aus der
Filmgeschichte erklären. Im Propagandafilm Panzerkreuzer Potemkin von Eisenstein kommt
es zum Massaker auf den Treppen von Odessa. Brutales Vorgehen der Kosaken gegen
Zivilisten bildet den emotionalen Höhepunkt des Dramas. Der Kinderwagen, der für Unschuld
steht emotionalisiert noch die Zuschauer. Das Motiv der Kinderwagen im Film „Die
Unbestechlichen“
erscheint in Showdown der Polizei mit den Gangstern. Durch sein
Erscheinen unterscheidet sich die finale Schießerei auf den Treppen in einer Bahnhofshalle
von anderen Knallereien. Der Kinderwagen ist für Steigern der Spannung verantwortlich und
genau wie im Panzerkreuzer Potemkin bezieht er sich auf das Außerfilmische Unschuld,
Unbeteiligtsein der zufälligen Opfer aber ist zugleich eine filmische Referenz. In der CopfilmParodie Die nackte Kanone, 33 1/3 kommt der Kinderwagen, der in allen vorher erwähnten
Filmen eine Schlüsselfunktion besitzt, nur als das Zitat des Zitates, als eine einfache
interfilmische Selbstreferenz, vor.
Die Fremdreferenz dagegen knüpft an den allgemein verständlichen Motiven, Normen und
Mustern. Als Beispiel kann hier eine Schlüsselszene aus dem Panzerkreuzer Potemkin von
Eisenstein stehen. Im Film wurde ein reales Ereignis aus der Zeit des japanisch-russischen
Krieges von 1905 dargestellt. Die Unzufriedenheit der Matrosen steigt wenn man wieder
vergammelte Speisen serviert bekommt. Es kommt zu einer Meuterei. Auf Befehl formiert
sich ein Erschießungskommando, Meuterei wird erstickt und es kommt zur Exekution. Hier
wurde aber auch die Unterdrückung im zaristischen Russland thematisiert und noch präziser
ausgedrückt, die Herr-Knecht Beziehungen unter der Regierung der Romanowsdynastie. Das
ist ein ausgeprägtes Beispiel für die Fremdreferenz eines Filmes. Der Bezug zu dem
Außerfilmischen, das nicht direkt ausgedrückt wird, ist sehr flagrant.114
Alle fünf Analyseebenen des Films ergeben eine Einheit aber zeugen gleichzeitig von
Vielfältigkeit und Kompliziertheit des Films. Obwohl Film auf Fotografie baut, die nach
114
Stöber, Rudolf: Kommunikations- und Medienwissenschaften. Eine Einführung. München: C. H. Beck 2008,
S. 222.
37
Position von Talbot als eine „Zeichenschrift der Natur“115 oder nach Position von Barthes
„Botschaft ohne Code“116 ist, die Dekodierung seinen Inhalten muss neben der visuellen auch
die sprachliche und klangliche Mehrdimensionalität einbeziehen.117 Die digitalen Medien
verlangen von den Rezipienten bestimmtes und in manchen Fällen profundes Wissen um
ihnen zu zerlegen und gewisse Fragestellungen exakt zu durchleuchten.
115
Pethes, Nicolas: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorienzur Einführung. Hamburg: Junius Verlag 2008,
S. 116.
116
Ebd., S. 116.
117
Vgl., Ebd. S. 116.
38
3 Filmische Perspektivierung
3.3 Zur Handlung
3.3.1 Problemdarstellung im Film „Das Leben der Anderen“
Anfänglich sollen einige Hauptkonstituenten des Films erwähnt werden, die für die
Handlungsanalyse erforderlich sind. Das sind: Stoff, Thema, Genre, Fabel/Mythos, Figuren
(Mythos, Konflikt, Konstellation), Handlungsführung und Erzählhaltung
118
. Diese Begriffe
wurden aus dem literaturwissenschaftlichen Bereich entlehnt und auf die Filmwissenschaft
übertragen.
Der Stoff des Films für den Film Das Leben der Anderen von Florian Henckel von
Donnersmarck bildet das noch nicht endgültig geformte und bearbeitete Rohmaterial - die
deutsche DDR Geschichte. Die Einordnung des Films zu einer Gattung ist problematisch, da
er sowohl Elemente von Drama und Triller aber auch
beinhaltet,
so
dass
er
oft
als
Politthriller,
politische- und Liebesmotive
Liebesmelodram
oder
historisches
Gesellschaftsdrama bezeichnet wird. Er zeigt eine völlig andere Seite der DDR-Wirklichkeit,
die bisher im Kino in Filmen wie beispielsweise Good Bye, Lenin!, Sonnenallee präsent war.
Die Protagonisten sind in zwei in der Opposition zueinander stehenden Gruppen angeordnet.
Die Figurenpaarung Christa Maria Sieland und Georg Dreyman vertreten die künstlerische
Welt, Minister Bruno Hempf und Oberstleutnant Anton Grubitz sind Vertreter des
sozialistischen Lagers. Hauptmann Gerd Wiesler – die Hauptperson des Films – steht außer
diesem Gerüst. Es werden die Kulturscene der DDR und staatlicher Überwachungsapparat in
Kontrast dargestellt. Hauptthese und Botschaft des Filmes ist die Überzeugung, dass die echte
Kunst die Menschlichkeit und das Gute im Menschen erwecken und sogar zur Versöhnung
zwischen Opfern und Tätern beitragen kann.
Die Segmentierung in Großsequenzen, die im Sequenzprotokoll verfasst wurde, wirft einen
ausführlichen Blick auf die Handlung des Filmes und die Analyse ausgewählter Bauformen
des Erzählens rundet die Filminterpretation ab.
118
Vgl. Kuchenbuch, Thomas: Filmanalyse. 1987, S. 131 ff. In: Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grudbuch.
Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse. Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1993, S.
58.
39
3.3.2 Sequenzprotokoll zum Film „Das Leben der Anderen“
Die Schlüsselfrage für jede Handlungsanalyse lautet nach Position des deutschen
Medienwissenschaftler Werner Faulstich: „Was geschieht im Film, wie verläuft die
Handlung?“119 Transitorisches, ein durch den Modus der Präsenz gekennzeichnetes Medium
wie der Film, verlangt eine Fixierung. Die Rekonstruktion der sich nacheinander und
unaufhörlich bewegender Bilder, d. h. die
Vorbereitung des Sequenzprotokolls ist eine
Pflichtaufgabe. Neben dem Sequenzprotokoll existiert auch das Filmprotokoll, das äußerst
detaillierte Informationen Sekunde nach Sekunde wiedergibt wie: genaues Niederschreiben
der Dialoge, Geräusche, Handlung und Kameraführung. Es ist aber ein Element, das
weggelassen werden kann. Sequenzprotokoll als ein unabdingbares Element jeder
Filmanalyse gibt den Überblick über die Abfolge der Filmgeschehnisse. Gelegentlich hat man
eine printliterarische Vorlage in Form von Erzählung oder Roman zur Verfügung oder andere
schriftliche Materialien wie Drehbücher. Sie können als Vorstufe zur Filmanalyse gesehen
werden, da sie nur skizzenhaft und unvollständig die Filmaspekte wie Setting oder Personen
schildert, so dass sie ergänzt werden müssen. Die Filmanalyse beginnt mit der Segmentierung
der Filmhandlung in kleinere Abschnitte, die man Segmente oder Sequenzen nennt. Die
Sequenzen wie die Kapitel im Buch bilden schließlich eine Ganzheit. Die Kriterien für
Übergang von einem zu anderem Segment können zum Beispiel Raum- oder Zeitwechsel
beziehungsweise Sprung von einer Handlungsphase zur anderen sein. Faulstich systematisiert
diese Kategorien wie folgt:
-
„Einheit/Wechsel des Ortes,
-
Einheit/Wechsel der Zeit (z. B. Tag versus Nacht),
-
Einheit/Wechsel der beteiligten Figur(en) bzw. Figurenkonstellationen,
-
Einheit/Wechsel eines (inhaltlichen) Handlungsstrangs,
-
Einheit/Wechsel im Stil/Ton (z. B. statisch versus dramatisch, farbspezifisch
Handlung versus Dialog)“120
Diese Einteilung ist konventionell und Festlegung der Grenzen einer Sequenz von den
anderen ist situationsabhängig. Bei einzelnen Sequenzen werden neben der Handlung, die
stilistisch-technischen Besonderheiten erfasst und gegebenenfalls auftretende Extremwerte in
berücksichtigt. Unter diesen Besonderheiten versteht man beispielsweise Abweichungen von
119
120
Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S. 59.
Ebd., S. 74.
40
natürlichen Aufnahmen, extrem schräge Kamerahaltung oder schnell hintereinander
geschnittene kurze Einstellungen, die Spannungserzeugung zum Ziel haben.
Um das Sequenzprotokoll zu vereinfachen und unnötige Aufgliederung zu vermeiden,
gruppiert man die kleineren Segmente, die man Subsequenzen nennt und bildet
handlungslogische Großsequenzen. Die einzelnen Sequenzen können kurz oder lang, linear
oder verschachtelt sein. Es treten auch Parallelsequenzen auf.
Das Sequenzprotokoll im Film Das Leben der Anderen von Florian von Donnersmark
gliedert sich in 25 Großsequenzen. Die erzählte Zeit beträgt ungefähr neun Jahre und die
Erzählzeit 137 Minuten.
Sequenzprotokoll zum Film Das Leben der Anderen
Nr.
1
Sequenzbeschreibung
Zeitangaben
Vorspann. Einblendungen: Berlin – Hohenschönhausen, November 1984 (fünf
Jahre vor dem Mauerfall). Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für
Staatssicherheit. Ein Offizier führt den Verdächtigen durch den Flur. –
Einblendung – In der Stasi Hochschule Potsdam-Eiche. Wiesler in einer
Vorlesungssaal bringt den Studenten Verhörtechniken bei, in dem er das
aufgenommene Verhör abspielt (Schuss – Gegenschuss – Verfahren). – MfSOberstleutnant Grubitz kommt am Ende der Vorlesung und lädt Wiesler ins
Theater ein. – Titel des Films
00:00:00-00:06:20
2
Die Prämiere im Theater. Wiesler und Grubitz sprechen über Georg Dreyman.
Wiesler überwacht den Leuten durch ein Fernrohr. Theateraufführung. (Musik
im Off) – Aus dem Gespräch zwischen Anton Grubitz und Minister Hempf
ergibt sich, dass der Dramaturg überwacht werden muss. (Minister Hempf ist oft
aus der Untersicht gezeigt)
00:06:20-00:11:25
3
Feier nach der Prämiere im Theaterkeller (Musik im On). Minister Bruno
Hempf beobachtet Christa Maria Sieland, Dreyman scheint beunruhigt zu sein.
Hauser, Dreyman, Hempf sprechen miteinander. Dreyman versucht sich bei
Hempf für Jerska Berufsverbot einzusetzen, leider erfolgslos, da nach der
Position des Ministers ein solcher überhaupt nicht existiert.
00:11:25 – 00:15:59
4
Wiesler wurde von Grubitz nach Hause gefahren. - Stasi Hauptmann begibt sich
nach Hause, wo er sich den Reis mit Ketschup vorbereitet. Seine Wohnung ist
sehr schlicht und ohne Dekorationen eingerichtet (Musik im Off). - Am
nächsten Tag beobachtet er Dreyman vor dem Haus mit den Kindern spielend
und macht sich Notizen über alle Ereignisse – Am Abend erblickt er Anna
Marie Sieland, wie sie aus einer großen, schwarzen Limousine aussteigt.
41
00:15:59 - 00:18.47
5
Am nächsten morgen, nachdem die Wohnung des Dramaturgen leer steht,
beginnt das Verwanzen. Es dauert genau 20 Minuten. – Wiesler beschaut den
Dachboden über Dreymans Wohnung. – Stasi Hauptmann fühlend sich
beobachtet (Subjektive Kamera – Frau Meineke), droht der Nachbarin Frau
Meineke und befehlt ihr Schweigen. (Frau Meineke ist aus Obersicht gezeigt)
00:18.47 – 00:22:00
6
Jerska Wohnung. Dreyman spricht mit seinem Freund Jerska über
Theaterpremiere und versucht ihm zu trösten, indem er erwähnt, dass sein
Berufsverbot zurückgenommen werden könnte. Leider er macht das nicht
überzeugend.
00:22:00 – 00:24:43
7
Die Abhörzentrale ist eingerichtet. Wieslers stehen zur Verfügung verschiedene
Empfangs- und Tongeräte, auch ein Monitor, der die Umgebung von Dreymans
Wohnung zeigt. – Dreyman bekommt von seiner Freundin einen Schlips. – Frau
Mieneke hilft ihm ihn zu binden, da der Dramaturg das nicht selbst machen
kann. – Wiesler beginnt mit seinem OV [Operativen Vorgang – M.Z.]] - Der
erste Gast klingelt an der Tür, der Hausherr macht die Tür auf. – Christa Maria
Sieland nimmt Medikamente ein.
00:24:43 – 00:28:48
8
Die Party dauert (Musik im Off). Plötzlich erblickt Dreyman, dass Jerska auch
gekommen ist, er sitzt aber allein und liest. Er hat auch ein Geschenk für
Dreyman mitgenommen. – Der bekannte Autor und Dissident Paul Hauser sucht
einen Streit mit Schwalbe, der angeblich bei der Stasi als Inoffizieller
Mitarbeiter arbeitet. Dreyman versucht den Konflikt zu schlichten, jedoch
Hauser fühlt sich deswegen beleidigt. Er wirft Dreyman vor, dass er ein
„jämmerlicher Idealist“ ist und irgendwann soll er sich entscheiden, auf welche
Seite er stehen soll. Sonst wird er kein Mensch. Danach verliest Hauser die
Party. – Einige Stunden später packt er die Geschenke aus, darunter „Die Sonate
vom Guten Menschen“ von Jerska. Wiesler notiert alles. (Paralellmontage) –
Der verspätete Mitarbeiter Udo wurde von Wiesler beschimpft.
00:28:48 – 00:33:57
9
Wiesler ist sehr penibel. Er sucht nach Informationen über Jerska im Stasi –
Archiv. – Beim Essen in der Kantine des Ministerium für Staatssicherheit
erfährt er vom Grubitz, dass Minister Hempf aus privaten Gründen Dreyman
überwachen lässt. – Grubitz droht dem Unterleutnant Sitegler, nachdem er den
Honecker verspottet hat.
00:33:57 – 00:38:07
10
Dreyman ist in seiner Wohnung und schreibt. – Wiesler in Abhörzentrale
zeichnet auf dem Boden den Plan von Dreymans Wohnung (Paralellmontage) Christa Maria Sieland verabschiedet sich mit ihrer Freundinnen und geht zu Fuß
nach Hause. Eine schwarze Limousine hält an und Christa steigt ins Auto. Dreyman macht die Tür auf und erblickt, dass seine Freundin ihn betrügt. Er
versucht Klavier zu spielen (Musik im On). – Christa bricht im Bad zusammen,
42
nimmt wieder die Tabletten ein. – Im Schlafzimmer umarmt der Dichter seine
Freundin. – Wiesler sitzt in seinem Kreideschlafzimmer genau am gleichen Ort,
wo Dreyman in seiner Wohnung.
00:38:07 – 00:45:18
11
Eine Prostituierte besucht Wiesler. – Wiesler schleicht sich in Dreymans
Wohnung ein, schaut den Schreibtisch an, berührt das Bett und kniet vor ihm. –
Er kehrt zurück. – Dreyman erfährt, dass Hauser nach Westen nicht fahren darf.
– Udo notiert: „>Lazlo< befürwortet das Ausreiseverbot für Hauser.“ –
Dreyman kann nicht sein Buch finden. – Wielser vertieft sich in der Lektüre, der
er heimlich aus Dreyman Wohnung genommen hat. (Musik im Off) Voice Over
- Dreyman)
00:45:18 – 00:49:36
12
Dreyman erfährt per Telefon, dass Jerska sich erhängte. Er ist bis ins Mark
getroffen. Sucht das Geschenk von seinem Freund und spielt „Die Sonate vom
Guten Menschen“ (Musik im On) – Wiesler hört zu und bei der Klavierstimme
fließt eine Träne aus seinen Augen. Zum ersten Mal sieht man Gefühle auf
seinem Gesicht. (Kamera Halbkreis) – Im Aufzug trifft Wiesler einen kleinen
Jungen.
00:49:36 – 00:53:28
13
Hempf spricht mit Grubitz und empfiehlt ihm, etwas gegen Dreyman zu finden.
Danach befiehlt er seinem Fahrer, Christa Maria Sieland zu observieren. –
Wiesler trifft sich morgen beim Frühstück mit Grubitz und erfährt, dass sowohl
seine als auch Grubitz Karriere von dem Ergebnis der <Lazlo> Überwachung
abhängig ist.
00:53:28 – 00:54:52
14
Dreyman ist nicht im Stande etwas zu schreiben und sitzt vertieft in seinen
Gedanken. Er bittet Christa um zu Hause zu bleiben. Er weißt alles über Hempf
und Medikamenten. Christa verlässt trotzdem das Haus. – Wiesler hört das
Gespräch mit wachsendem Interesse an. Udo kommt, Wiesler unwillig übergibt
ihm seine Kopfhörer. – Wiesler geht in ein Lokal. Als er Wodka trinkt, kommt
Christa Maria Sieland. Er spricht sie an und überzeugt davon, dass sie eine gute
Schauspielerin ist. Er erfährt, dass er ein guter Mensch ist. – Wiesler kommt in
die Abhörzentrale am nächsten Tag und löst Udo an. Der Stasi Hauptmann liest
seinen Bericht und erfährt, dass Christa sich mit Hempf nicht getroffen hat.
(Rückblende, Wieslers Vorstellung, Voice Over - Udo).
00:54:52 – 01:04:30
15
Dreyman ist auf dem Begräbnis seines Freundes Jerska, der sich erhängte. Er
spricht mit Hauser und wahrscheinlich bereut, dass er vorher nichts gemacht hat.
Das Ereignis aber gibt ihm einen Anstoß zum Handeln. Schon während des
Begräbnisses entwirft er in seinem Kopf einen Text, der die Lebensrealität in
DDR beschreibt. (Voice Over - Dreyman) – Seine Gedanken schreibt er nieder.
(Voice Over - Dreyman) – Der Dramatiker besucht Hauser, der in seiner
Wohnung überwacht wird. (Musik im On) – Dreyman, Hauser und Wallner
treffen sich im Park, wo Dreyman sein Artikel zum Lesen gibt und um Hilfe
bittet. - Alle Bekannte treffen sich in Dreyman Wohnung und wollen sich
43
vergewissern, ob der Ort wirklich sicher und nicht verwanzt ist. Hausers Onkel
hilft ihnen dabei. Sie haben vor seinen Neffen unter der Rückbank eines Autos
zu verstecken und nach Westen zu schmuggeln. (Extreme Obersicht) – Wiesler
lauscht und kämpft mit Gedanken, ob er darüber melden soll oder nicht. –
Hausers Onkel berichtet per Telefon, dass er die Zonengrenze unbehelligt
passiert.- Dreyman fühlt sich erleichtert und beschimpft Stasi (Untersicht). –
Wiesler schreibt: „19.32 Uhr. Keine weiteren berichtenswerten Vorkommnisse.“
Abblende.
01:04:30 – 01:13:00
16
Wiesler spricht mit Udo. Er erfährt, dass Hauser keine Republikflucht begangen
hat. – Hessenstein, der Spiegel Korrespondent erteilt Dreyman Hinweise im
Bezug auf das Artikelschreiben - Christa Maria Sieland kommt nach Hause. Sie
spürt, dass sie kein erwünschter Gast ist und verlässt das Zimmer. - Hessenstein
bringt Dreyman aus Sicherheitsgründen eine kleine Schreibmaschine mit, da
Stasi im Besitz Schriftbilder der Schreibmaschinen aller „interessanten“ Leute
ist. – Wiesler schreibt Abhörprotokoll. (Musik im Off, Paralellmontage). – Der
Hauptmann geht zu Grubitz mit einem Bericht. Grubitz liest ihm ein Ausschnitt
einer Studentenarbeit unter dem Titel „Haftbedingungen für politischideologische Diversanten der Kunst-Szene nach Charakterprofilen“ vor, aus der
geht hervor, dass Dreyman Typ 3 „hysterischer Anthropozentriker ist“. Wiesler
bittet den MfS um die Überwachung über Dreyman zu verkleinern. Misstrauisch
und unwillig zieht Grubitz Udo ab.
01:13:00 – 01:21:30
17
Dreyman schreibt weiter den Artikel. (Voice Over, Musik im Off,
Paralellmontage) – Wiesler tippt wie folgt: „17 Uhr. <Lazlo> liest Hauser und
Wallner den ersten Akt des Jubiläumsstücks vor.“ – Christa Maria Sieland wird
von Nowack beobachtet. – Dreyman versteckt die Schreibmaschine in einem
Hohlraum unter einer losen Bodendiele, in diesem Moment kehrt Christa Maria
Sieland nach Hause zurück und sieht das Versteck. – Minister Hempf sitzt allein
im Hotelzimmer und begreift, dass es mit der Beziehung mit der Schauspielerin
aus ist. – Hessenstein erscheint und nimmt den Artikel mit. – Der
Nachritensprecher berichtet im Fernseher über einen Artikel aus dem Spiegel
unter dem Titel: „DDR, Der geheime Selbstmord – Statistik“, der Suiziden in
der DDR beschreibt.
01:21:30 – 01:25:40
18
Grubitz hat ein sehr unangenehmes Telefongespräch mit seinem Vorgesetzten. –
Schriftexperte
hält
einen
kurzen
Vortrag
über
verschiedenen
Maschinenschrifttypen. – Wiesler beschützt weiter den Dramatikern und sagt
kein Wort zu Grubitz über Dreyman Zusammenarbeit mit „Spiegel“. – Minister
Hempf befiehlt Christa Maria Sieland festzunehmen. – Die Schauspielerin wird
verhaftet. – Die Frau landet im Untersuchungsgefängnis, wo sie Dreyman
verrät, als sie zugesteht, dass sein Freund der Autor des Artikels ist und dass er
im Besitz von zwei Schreibmaschinen ist.
01:25:40 – 01:33:18
44
19
Stasi durchsucht Dreymans Wohnung. – Wiesler in der Abhörzentrale scheint
nicht weniger erstaunt und nervös als Dreyman. – Die Stasi Mitarbeiter
verlassen die Wohnung erfolgslos. – Grubitz will am nächsten Tag sich mit
Wiesler treffen.
01:33:18 – 01:36:58
20
Im Treptower Park treffen sich Dreyman, Hauser und Wallner und reden über
Stasi Untersuchung. Sie verdächtigen Anna Maria Sieland. – Wiesler bekommt
von Grubitz die letzte Chance, um seine Lage zu verbessern. Er muss die
Informationen von der Schauspielerin herausbekommen, wo sich Dreyman
belästigende Materialien befinden. Christa Maria Sieland bricht sehr schnell
zusammen und verrät, wo sich die Schreibmaschine befindet. – Eine Weile
später, schon als Inoffizieller Mitarbeiter, wird sie frei gelassen. Zusätzlich
bekommt sie noch ihre illegalen Medikamente.
01:36:58 – 01:44:48
21
Dreyman kehrt nach Hause und verabschiedet sich mit Hauser. – Christa Maria
Sieland kommt auch zurück und geht direkt unter die Dusche. – Dreyman
versucht mit ihr zu reden, aber das Gespräch wird durch Klopfen an der Tür
unterbrochen. – Stasi Gruppe betritt wieder die Wohnung. Grubitz selbst
untersucht das von Christa gezeigte Versteck. Die Schauspielerin flieht weg, da
sie Dreymans Blick nicht ertragen kann. Grubitz ist verblüfft, als er unter der
Schwelle gar nichts findet. - Hufelandstraße am Prenzlauer Berg. Christa Maria
wird von einem Auto angefahren worden. Dreyman kommt und die
Schauspielerin stirbt. – Grubitz entschuldigte sich, nimmt die Leute und beendet
der Vorsatz. – Wiesler verliert seine Arbeit und wird bestraft. (Musik im Off).
01:44:48 – 01:52:42
22
Insert: 4 Jahre und 7 Monate später. Wiesler sitzt in einem Keller des MfS und
mit Hilfe der Kaltdampfmaschine eröffnet er die Briefumschläge. Hinter ihm
sitzt Stigler, der berichtet über den Fall der Berliner Mauer. Wiesler steht als
erster auf und verlässt seinen Arbeitsort. (Musik im Off)
01:52:42 – 01:53:53
23
Insert: 2 Jahre später. Im Theater wird wieder ein Theaterstück von Dreyman
aufgeführt. Das ist das gleiche Stück als ein Jahrzehnt früher. Der Dramatiker
sitzt mit seiner neuen Freundin. – Die Erinnerungen sind noch zu viel
emotionsbeladen. Dreyman geht zum Foyer, wo er von Hempf angesprochen
wurde. Dreyman erfährt, dass er komplett überwacht wurde. – Zu Hause
entdeckt er zu seiner großen Überraschung ein Netz von Kabeln und Wanzen,
komplexe Abhörvorrichtungen. (Musik im Off)
01:53:53 – 01:57:58
45
24
25
3.4
Dreyman begibt sich auf Forschungs- und Gedenkstätte in Berlin und liest seine
Akte. (Voice Over – Wiesler, Christa Maria Sieland). Er ist überrascht und
aufgeregt. Er bemerkt, dass er einen Schutzengel hatte, und das war auf keinen
Fall Christa Maria Sieland. Der Dramatiker erfährt auch, wer sich unter dem
Pseudonym HGW XX/7 verbirgt. – Aus dem Auto sieht er Wiesler. Der
Künstler steigt aus, aber ihm fehlen die Worte, um Gerd Wiesler anzusprechen.
01:57:58 – 02:05:12
Insert: 2 Jahre später. Wiesler, vertieft in seiner Arbeit, geht bei Karl Marz
Buchhandlung vorbei. Er bemerkt durch die Schaufenster das neue Buch „Die
Sonate vom Guten Menschen“, das Georg Dreyman verfasst hat. – In der
Buchhandlung entdeckt er die Widmung: „HGW XX/7 gewidmet, in großer
Dankbarkeit“ (Standbild). Er kauft es für sich. Abspann.
02:05:12 – 02:06:38
Zur Analyse der Figuren
Im Film Das Leben der Anderen findet man zwei Figurenpaarungen, die erste bilden Georg
Dreyman und Christa Maria Sieland, die zweite Komposition bezieht sich auf Minister Bruno
Hempf und Oberleutnant Anton Grubitz. Außer dieser Figurenkonstellationen steht Stasi
Hauptmann Gerd Wiesler, die beeindruckendste Figur im Ganzen Film, die infolge der
Geschehnisse einen tiefen, inneren Wandel erlebt.
Ursprünglich sollte der Film genau wie das gefühlvolle Soloinstrumentalstück Die Sonate
vom Guten Menschen heißen, da er die menschlichen Handlungen thematisiert,
Entscheidungen und Konsequenzen, die die Frage beantworten sollen, was es bedeutet ein
guter Mensch zu sein.
3.4.1 Figurenpaarung Georg Dreymann – Christa Maria Sieland
Georg Dreyman (gespielt von Sebastian Koch) ist ein linientreuer erfolgreicher Dramatiker
und Nationalpreisträger der DDR. Er ist in einer Beziehung mit der begehrenswerten Christa
Maria Sieland (gespielt von Martina Gedeck) liiert, die von ihrem schauspielerischen Talent
nicht überzeugt ist.
Dreyman erkennt anfänglich nicht in welch hinterlistigem und verlogenem System er sein
Leben als Künstler führt. Seine Weltanschauung ist sehr liberal und in manchen Fällen durch
zu große Naivität geprägt. Das zeigt Sequenz 8, als er versucht hat, seinen Freund Hauser zu
beruhigen.
46
HAUSER: Das du Nichtskönner bei der Stasi bist, das weißt doch jeder!
SCHWALBER: Das ist eine unerhörte Unterstellung!
DREYMAN: Paul!!!
Schwalber, entschuldigen Sie bitte meinen Freund. Er hat viel zu viel getrunken.
HAUSER: Was sollte denn das? Jeder weiß doch, dass der bei der Stasi ist.
DREYMAN: Nein, Paul, wissen tun wirʹs nicht.121
Dreyman benimmt sich zum Einen sehr vorsorglich, da die inoffiziellen Mitarbeiter alles
lauschen und betrachten jede Aussage als potentiell suspekt, zum Anderen aber akzeptiert er
die Bedingungen in denen er lebt und Beschränkungen seitens des kommunistischen Regimes.
Anscheinend braucht er keine Freiheit. Sein Freund Paul Hauser nennt ihn „jämmerlicher
Idealist“, der systemkonform ist, sich nicht traut mutig zu handeln und seine eigene Meinung
zu äußern.
HAUSER: Du bist so ein jämmerlicher Idealist, dass du fast schon ein Bonze bist.
Wer hat denn Jerska so kaputt gemacht? Genau solche Leute: Spitzel, Verräter und
Anpasser! Irgendwann muss man Position beziehen, sonst ist man kein Mensch.
Wenn du je etwas unternehmen willst, dann melde dich bei mir. Ansonsten brauchen
wir uns nicht mehr zu sehen. 122
Obwohl die Worte seines Freundes ihn berühren, geben ihm aber keinen Anstoß zu handeln.
In den Augen der Leute, die an der Macht stehen wie beispielsweise der gewissenlose MfS –
Oberstleutnant Anton Grubitz, erscheint Dreyman als harmloser, ungefährlicher und infantiler
Künstler. Am Anfang des Films (Sequenz 2) sagt Grubitz über Dreyman:
„GRUBITZ: Arrogant, aber linientreu. Wenn alle so wären wie der, wäre ich
arbeitslos. Er ist so ziemlich unser einziger Autor, der nichts Verdächtiges schreibt
und den man trotzdem im Westen liest. Für ihn ist die DDR das schönste Land der
Welt. 123 (…) Der ist sauberer und sauber“.124
Der Dramatiker ist im Bezug auf sein künstlerisches Talent und seine Position selbstsicher
und stolz (Abb. 1). Bei dem Gespräch betont er, dass er Nationalpreisträger „und persönlicher
Freund von Margot Honecker“125 ist. Seine Werke werden auch im Westen gelesen, obwohl
er nichts Kritisches im Bezug auf DDR schreibt, was von seinen künstlerischen Kompetenzen
und Fähigkeiten zeugt.
121
Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Anderen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006, S.
54.
122
Ebd., S. 55.
123
Ebd., S. 24-25.
124
Ebd., S. 27.
125
Ebd., S. 94.
47
Er ist sehr engagiert in einer Beziehung mit Christa Maria Sieland (Abb. 2). Sie ist eine
attraktive Frau von Ende 30, die einen großen Eindruck auf Männer, beispielsweise auf
Wiesler und Hessenstein, macht. Minister Hempf sagt: „Sie ist die schönste Perle der
Deutschen Demokratischen Republik“126.
Abb. 1, Sequenz 2, 00:06:43
Abb. 2, Sequenz 2, 00:25:47
126
Ebd., S. 32.
48
Dreyman ist sehr in sie verliebt und neidisch. Kurz nach der Prämiere, im Theaterkeller
bemerkt er, dass Hempf sich zu vertraut an seine Freundin wendet, aber er traut sich nicht
irgendetwas dem Minister zu sagen. Später versucht er über Jerska Berufsverbot zu sprechen,
aber dieses Bemühen scheitert auch, da er nicht so viel Mut hat. Er ist erschrocken und gibt
leicht nach, wenn Hempf lauter zu reden beginnt.
Noch schwächer und labiler ist Christa Maria Sieland. Sie schient glücklich zu sein mit
Georg, sie steigt aber in der Hempfs Limousine ein (Sequenz 10). Obwohl der Minister ihr die
Alternative gibt: „Sag nur ein Wort, und ich lasse dich sofort gehen“ 127. Sie sagt kein
einziges Wort und erlaubt Hempf alles. Die Frau ist auch von Medikamenten abhängig und
hat Probleme mit dem Selbstvertrauen an eigenes Talent. Dreyman versucht sie von ihrer
schauspielerischen Kunst zu überzeugen:
„DREYMAN: Ich weiß auch von den Medikamenten und wie wenig du deiner Kunst
traust. Dann vertrau wenigstens mir. Christa – Maria! (…) Du bist eine große
Künstlerin. Ich weiß es und dein Publikum weiß es auch. Du brauchst ihn nicht.
Bleib hier. Geh nicht zu ihm. (…)
Ich bitte, ich flehe dich an… geh nicht.“128
Es handelt sich aber bei diesem Gespräch um etwas mehr als nur um schauspielerisches
Talent. Es werden die Fesseln und Beschränkungen des totalitären Systems angedeutet, da
jeder Künstler, egal ob Schauspieler, Regisseur oder Maler von der Laune der an der Macht
stehenden Leute anhängig war. Es gab keine Freiheit und um einen Schein der Normalität zu
bekommen, musste man sich opfern. Aus dem untenstehenden Gespräch resultiert, dass
sowohl Dreyman als auch Christa Maria dem System untergeordnet waren und bisher trauten
sich nicht ihm zu widersprechen:
„ Brauche ich dieses ganze System nicht? Und du? Du brauchst es dann ja auch
nicht? Oder erst recht nicht? Aber du legst dich doch genauso mit denen ins Bett?
Warum tust du es denn? Weil sie dich genau so zerstören können, trotz deines
Talentes, an dem du noch nicht einmal zweifelst. Weil sie bestimmen, wer spielt, wer
spielen darf und wer inszeniert. Du willst nicht enden wie Jerska. Und ich will es
auch nicht! Deshalb gehe ich jetzt.“129
Nach diesem Meinungsaustausch ist die Schauspielerin verwirrt und erst die Begegnung in
der Bar mit Wiesler, der Christa Maria animiert sich selbst zu bleiben, verursacht, dass die
Frau auf das Treffen mit Minister Hempf verzichtet und kehrt zu Dreyman nach Hause.
127
Ebd., S. 65.
Ebd., S. 82.
129
Ebd., S. 82.
128
49
Für Dreyman das entscheidende Ereignis, das ihm Kraft zu handeln gab, war Selbstmord
seines Freundes Jerska. Das hat ihm veranschaulicht, dass er etwas unternehmen soll und
nicht mit seinem Schweigen die Bejahung für die Gräueltät der Regierung geben. Dreyman
fasst den Mut und entscheidet sich ein wahres Gesicht der DDR zu zeigen, indem er einen
Artikel für „Spiegel“ über Suiziden in der DDR verfasst. Obwohl ein Vorhang aus seinen
Augen fällt, ist er weiterhin erstaunt, wie groß die Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden
müssen, um den Artikel schreiben zu können. Christa Maria ist in Dreymans Arbeit nicht
eingeweiht. Zufällig entdeckt sie das Versteck der Schreibmaschine unter der Schwelle, stellt
aber keine Fragen. Auf Dreyman Erklärungsversuch reagiert sie fast panisch: „Sag es mir
nicht! Vielleicht bin ja wirklich so unzuverlässig, wie deine Freunde sagen.“130 (Abb. 3)
Abb. 3, Sequenz 17, 01:24:16
Und leider hatte sie Recht. Nachdem sie in der Zahnarztpraxis verhaftet wurde, wurde ihre
nächste Charakterschwäche im Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen entblößt. Vor
Angst um sich, versucht sie sich während Gespräch mit Grubitz selbst zu retten.
„CHRISTA MARIA SIELAND Bitte, kann ich irgend etwas für Sie tun?... Für
Staatssicherheit (…)
Ich kenne unsere Künstler fast alle. Ich könnte viel für Sie herausfinden.(…)
Vielleicht gibt es etwas anderes, was ich tun kann – etwas, das uns beiden nicht ganz
unangenehm wäre? (…)
130
Ebd., S. 112.
50
Gibt es noch irgendetwas, wodurch ich mich noch retten kann?“131
Schließlich gesteht sie und es fallen Dreyman belastende Worte: „Der Artikel ist von Georg.“
„Es gibt zwei Maschinen.“ Sie gibt auch preis, wo die Schreibmaschine sich befindet und
wird freigelassen als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Gedrückt von Gewissensbissen begeht
sie Selbstmord.
Nach diesem Verlust zieht sich Dreyman zurück, ist nicht im Stande weiter schreiben und
nach dem Fall der Mauer werden seine gleiche Theaterstücke wie in DDR aufgeführt. Erst
nach dem Gespräch mit Hempf erfährt er, dass er komplett überwacht wurde. Er recherchiert
im Archiv und verblüfft liest seine Stasi – Akten. Im Endeffekt verfasst er in Dankbarkeit an
seinen Schutzengel Wiesler seinen ersten Roman „Die Sonate vom Guten Menschen“.
Obzwar diese Figurenpaarung beide Protagonisten gewisse menschliche Charakterschwäche
aufzeigen, versuchen sie nach ihren Möglichkeiten normal zu leben. Ihr Leben, das mit
Passagen von Glück und Trauer, Verrat und Verzeihung geprägt ist und ihre Privatheit
beeindrucken Wiesler und sind Faktoren, die zu seiner Wandlung beitragen.
3.4.2 Figurenpaarung Minister Bruno Hempf – Oberstleutnant Anton
Grubitz
Thomas Thieme spielt den Kulturminister Bruno Hempf. Hempf ist Mitglied des
Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und wird mit allen
Machtattributen seines Amtes dargestellt.
Er ist in allen Schlüsselsequenzen des Films
präsent und wird zum Regisseur des ganzen Dramas. Unter anderem entscheidet er, „wer
spielt, wer spielen darf und wer inszeniert.“132 Schon am Anfang des Films (Sequenz 2) wird
auf seinen Befehl Wiesler mit dem Operativen Vorgang beginnen, um irgendwelche Dreyman
belästigende Materialien herauszufinden. Hempf nutzt seine Position zu persönlichen
Zwecken, da er ein Verhältnis mit Christa Maria Sieland, Dreymans Freundin, hat. Also nicht
politisch-ideologische Gründe verstecken sich hinter seinen Entscheidungen, Dreymans
Überwachung ist reine private Sache. Minister Hempf steht über Allen und nutzt die
Menschen skrupellos aus. Demnächst lässt er sich als egoistischer Mann erkennen, indem er
sich mehrmals mit Christa Maria Sieland trifft. Nach der Wende und in letzten Minuten des
131
Ebd., S. 123.
Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Anderen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2006,
S. 82.
132
51
Films (Sequenz 23) steht er nicht auf verlorenem Posten und ist kein Verlierer. Er erscheint
auf Dreymans Theaterpremiere und triumphierend offenbart der Dramatiker, dass er total
überwacht wurde.
„HEMPF: Sie wurden komplett überwacht. Wir wussten alles über Sie. (…)
Komplett verwanzt – das volle Programm. (…)
Schauen Sie doch bei der Gelegenheit mal unter Ihre Lichtschalter. Wir wussten alles
über Sie. Wir wussten sogar, dass sie es unserer kleinen Christa nicht richtig
besorgen konnten.“133
Infolge dessen und schreibt Dreyman seinen ersten Roman. Hempfs Benehmen zeigt, wie
groß das Instrumentarium der Erpressung war und wie wenig Hochachtung er im Bezug auf
die Anderen hat.
Skrupellosigkeit, kalte Berechnung und Egoismus sind Spezifikum seines Erscheinungsbildes.
Er hat keine Gewissensbisse und wenn ihm etwas misslingt, wird er eine fürchterliche Rache
nehmen.
„HEMPF: Wenn ein Mitarbeiter Sie hinterlegt, dann strafen Sie ihn nach Kräften,
oder etwa nicht?
OBERSTLEUTNANT GRUBITZ: O doch! Doch!
HEMPF: Auch eine Frau, oder etwa nicht?
OBERSTLEUTNANT GRUBITZ: Doch, doch!
HEMPF: Und sind nicht alle, die einem großen Mann dienen, seine Mitarbeiter?
OBERSTLEUTNANT GRUBITZ: Das kann man so sagen. Müsste vielleicht sogar
so sein.
HEMPF: (…) Christa Maria Sieland. Ich denke, Sie sollten es wissen. Fällt in Ihren
Bereich. Ob Sie ihr das Genick brechen oder nicht, ist Ihnen überlassen. Ich will sie
auf jeden Fall nicht wieder auf der deutschen Bühne spielen sehen.“134
Er weißt alles, dirigiert und nutzt die Menschen aus seiner Umgebung hemmungslos aus.
Hempfs Charakteristik ergänzen die von Florian Henckel von Donnersmarck eingeführte
filmästhetische Mittel, wie beispielsweise Kameraeinstellungen oder Lichtverhältnisse. Der
Minister ist unnahbar und geheimnisvoll porträtiert. Das wird in Sequenzen 10 und 13
sichtbar, wo er erstens im dunklen Schatten sitzt und demnächst wird der Effekt durch
geschlossene Vorhänge in seiner Dienstlimousine erreicht (Abb. 4). Der Untersicht als auch
die Kameraeinstellung Groß, erlaubt ihnen als einen machthabenden und tonangebenden
Mensch zu präsentieren.
133
134
Ebd., S. 150.
Ebd., S. 120.
52
Abb. 4, Sequenz 18, 01:29:16
Auf der gleichen Seite stehende Mensch ist der Abteilungsleiter Oberstleutnant Anton
Grubitz, der von Ulrich Tukur gespielt wird. Grubitz ist Hempf untergeordnet und für die
Abteilung XX/7 zuständig, die sich mit Ausspionieren der Kultur und der Kunst beschäftigte.
Damit ist er ein richtiger Mann um Hempf Befehle auszuführen. Er ist von einem
Karriereschub motiviert, der ihm Hempf verspricht:
„HEMPF: Aber wenn Sie gegen den [Dreyman – M. Z.] etwas finden, dann haben
Sie einen mächtigen Freund im ZK. Sie verstehen, was ich meine.“
Diese Worte vergisst der zynische und karriereorientierter Mann nicht und sein Handeln ist
ständig einem Ziel untergeordnet. Mehrmals betont er, dass es ihm nur ums Gelingen und um
den privaten Erfolg als Aufstieg in der MfS Hierarchie geht und nicht um politische
Korrektheit. Als er entdeckt, dass Minister Bruno Hempf nur den Nebenbuhler ausschalten
will, ist ihm gleichgültig, ob das den parteiischen Idealen entspricht oder ob es sich um bloße
Ausnutzung des Amtes handelt. Diese Haltung resultiert aus dem folgenden Gespräch:
„OBERSTLEUTNANT GRUBITZ: Wegen deiner Autokennzeichen-Anfrage von
der Limousine, die Frau Sieland nachts heimlich nach Hause gebracht hat… Es
handelt sich hier um den Wagen von Minister Hempf. Wiesler, führende Genossen
dürfen wir nicht erfassen. Ich habe die Erwähnung aus deinem Bericht gestrichen. In
Zukunft nichts Schriftliches mehr darüber. Wenn etwas gibt, mündlich an mich. Wir
helfen also einem ZK-Mitglied, seinen Rivalen aus dem Weg zu schaffen. Ich muss
dir wohl nicht sagen, was es, angesichts dieser neuen Information, für meine Karriere
bedeuten könnte, und für deine, wenn wir etwas finden?
OBERSTLEUTNANT GRUBITZ: Was ist?
53
WIESLER: Sind wir dafür eingetreten?
WIESLER: Weißt du noch unseren Eid? „Schild und Schwert der Partei“?
OBERSTLEUTNANT GRUBITZ: Aber was ist die Partei denn anderes als ihre
Mitglieder? Und wenn die Mitglieder großen Einfluss haben – umso besser!“135
OBERSTLEUTNANT GRUBITZ Wiesler, das ist jetzt sehr, sehr wichtig, für meine
Karriere und für deine Karriere.136“
Anton Grubitz war während des Studiums mit Gerd Wiesler befreundet. Obwohl zwischen
den beiden ein dienstgradstufiger Unterschied liegt, dutzen sie sich und Grubitz schätzt
Wieslers Kompetenzen auf dem Bereich der Verhör- und Observationstechniken sehr. Aus
diesem Grund wird ihm die verantwortliche Aufgabe Dreymans Überwachung anvertraut. Im
Bezug auf andere ihm untergeordnete Personen ist der Oberstleutnant rücksichtslos. Nicht
ihre Fähigkeiten zählen, sondern privates Gutdünken. Als sein Mitarbeiter eine hervorragende
Doktorarbeit verfasst hat, gab ihm Grubitz keine entsprechende Note. Linientreu, schlagartig
und politisch korrekt ist er, als er einen Honecker verspottenden Witz hört. Direkt fragt er
nach Personalien, um diese Person zu bestrafen. Als er durchschaut, dass Wiesler ihn
betrogen hat, verändert er ganz schnell seine Einstellung zu ihm und beurteilt hart.
Grubitz Anpassungsfähigkeiten sind lobenswert. Dank ihnen steigt er nach oben und ist bei
seinen Vorgesetzten hoch geschätzt. Grubitz ist ein wichtiger Baustein des totalitären
Systems. Genau solche, menschenverachtete und zynische Leute bauten das DDR Regime
(Abb 6).
Abb. 6, Sequenz 16, 01:20:38
135
136
Ebd., S. 60.
Ebd., S. 118.
54
3.4.5 Gerd Wiesler als ein Beispiel der politisch-persönlichen Wandlung
Gerd Wiesler (gespielt von Ulrich Mühe) ist eine beeindruckende Hauptperson, die eine große
innere Wandlung durchmacht. Er ist stur, konsequent, ergebend und genau. Er ist kein
karriereorientierter Mann, sondern erledigt stillschweigend seine Pflichte. Der loyale Dozent
ist gnadenlos und kennt kein Erbarmen während Verhören von politisch verdächtigen
Menschen. Seine Verhöre dienen den Studenten als Musterlehrbeispiele in der Stasi
Hochschule Potsdam-Eiche. Wenn er eine Aufgabe realisieren muss, bewältigt er alle
Hindernisse.
Er
wohnt
in
typischen
DDR
Bauten,
nämlich
in
grauen
Arbeiter-Wohnungs-
Genossenschaften. Seine Wohnung ist extrem ordentlich und einfach eingerichtet mit
typischen Holzmöbeln, die am leichtesten in der DDR zu erhalten waren. In der Wohnung
überwiegen grau und braun getönte Farben. Es fehlen Dekorationen, die den Eindruck von
Gemütlichkeit und Wärme verleihen konnten, so dass die Wohnung unbewohnt und leer
ausschaut. Sie passt zum einsamen Gerd Wiesler. Wie viele andere MfS Mitarbeiter ist er
allein. Auf das Problem des Alleinseins weist die Prostituierte, die „noch andere Jungs vom
MfS“137 bedient.
Auf Grubitz Befehl beginnt er mit dem Operativen Vorgang, der zum Ziel hat, den berühmten
Dramatiker Georg Dreyman zu bespitzeln. Er engagiert sich vollkommen für diese Aufgabe.
Wiesler glaubt an das System, in dem er lebt. Seine Überzeugung und seine Werte, denen er
huldigt, sind in parteiischer Ideologie verankert. Er ist ihnen treu und lebt nach ihren
Gesetzen. Als er durchschaut, dass
Dreymans Überwachung rein persönliche Zwecke
zugrunde liegen, beginnt er zu zweifeln. Seine bisher makellose Arbeit wird nicht mehr
politisch korrekt und einwandfrei. Der erste Schritt ist die Fälschung der Abhörprotokolle.
Demnächst unterstützt er seinen Mitarbeiter Udo, bestimmte Verdachtsmomente nicht zur
Kenntnis zu nehmen und sie in Protokollen auszulassen. Schließlich verbirgt er, dass
Dreyman einen Artikel für die Westdeutsche Zeitung verfasst und versteckt die
Schreibmaschine, bevor sie Grubitz während der Wohnungsdurchsuchung findet.
Wie viele Stasi Mitarbeiter ist er von seiner Allmacht überzeugt. Das wird sowohl bei
Menschen, die er verhört, als auch bei seinen Studenten sichtbar. Für die geringsten
systemabweichenden Aussagen, markiert er die Personalien der Studierenden. Als ein
weiteres Beispiel für solches Verhalten konnte das Gespräch mit Frau Meineke dienen, in
137
Ebd., S. 60.
55
dem Wiesler sich ganz arrogant und selbstsicher benimmt. Während der Verwanzung von
Dreymans Wohnung bemerkt der Stasi Hauptmann, dass er durch den Türspion beobachtet
wird. Er klopft heftig an die Tür und droht Dreymans Nachbarin:
„WIESLER: Frau Meineke, ein Wort zu irgendwem, und Ihre Mascha verliert
morgen ihren Medizin-Studienplatz. Verstanden?
WIESLER: Ha-ben Sie ver-stan-den?” 138
Die nächste Eigenschaft, die für Wiesler typisch war, war seine penible Pünktlichkeit.
Darüber zeugen Sequenzen 5 und 16. Als Leiter des Operativen Vorgangs verordnet er, dass
die Mitarbeiter genau 20 Minuten und keine Sekunde mehr haben, um in der Dreymans
Wohnung die Abhörgeräte zu verstecken. Auch das Einhalten der Pünktlichkeit verlangt er
von Oberfeldweber Udo. Als er um 4 Minuten zu spät kommt, gerät Wiesler fast in Wut und
rügt seinen Kollegen.
Wiesler verbringt sehr viel Zeit mit der Beobachtung Dreymans und Christa Maria Sielands.
Das Involvieren in das sowohl private als auch künstlerische Leben der beiden Geliebten
verursacht, dass er teilweise zum Teilnehmer ihrer Realität wird. Er kennt sogar die intimsten
Details aus ihrem Leben, die er anfänglich protokolliert. Auf seine innere Wandlung haben
mehrere Geschehnisse einen Einfluss. Vorab war das Gespräch in der Kantine des MfS mit
Grubitz. Wiesler erfährt, dass er einem ZK – Mitglied hilft, seinen Rivalen aus dem Weg zu
schaffen. In diesem Moment wurde der Hauptmann mit der Tatsache konfrontiert, dass der
Glaube an den Kommunismus bei den anderen Parteimitgliedern anders aussieht als bei ihm.
Er denkt über die Richtigkeit seiner bisherigen Taten nach und fragt, ob es noch Leute gibt,
die sich an dieselben Idealen halten wie er. Das veranschaulicht folgendes Gespräch mit
Grubitz:
„OBERSTLEUTNANT GRUBITZ: (…) Wir helfen also einem ZK-Mitglied, seinen
Rivalen aus dem Weg zu schaffen. Ich muss dir wohl nicht sagen, was es, angesichts
dieser neuen Information, für meine Karriere bedeuten könnte, und für deine, wenn
wir etwas finden?
OBERSTLEUTNANT GRUBITZ: Was ist?
WIESLER: Sind wir dafür eingetreten?
WIESLER: Weißt du noch unseren Eid? „Schild und Schwert der Partei“?
OBERSTLEUTNANT GRUBITZ: Aber was ist die Partei denn anderes als ihre
Mitglieder? Und wenn die Mitglieder großen Einfluss haben – umso besser!“139
138
139
Ebd., S. 43.
Ebd., S. 60.
56
Ein weiteres Ereignis, das auf Wiesler sehr großen Eindruck machte, war der Tod von
Dreymans Freund Albert Jerska, der wegen des lange anhaltenden Berufsverbotes einen
Selbstmord begangen hat. Wiesler wurde zum Zeuge der riesigen Trauer und Emotionen, die
er früher nicht kannte.
Dreyman setzt sich zum Klavier, sucht eine Partitur und spielt
erschüttert „Die Sonate vom Guten Menschen“, die er von Jerska als Geburtstaggeschenk
erhalten hatte. Wiesler hört die melancholische Töne in seiner Abhörzentrale und ist ergriffen
von der Kraft der Musik. Dreyman spricht in diesem Moment folgende Wörter aus:
„DREYMAN: Ich muss immer daran denken, was Lenin von der Appassionata
gesagt hat: „Ich kann sie nicht hören, sonst bringe ich die Revolution nicht zu Ende.“
DREYMAN: Kann jemand, der diese Musik gehört hat, wirklich gehört hat,noch ein
schlechter Mensch sein?“
Bei der Klavierstimme fließt eine Träne aus Wieslers Auge (Abb. 6). Für ihn ist das ein
wichtiger Moment der Selbsterkenntnis, er weint teilweise über sich selber und teilweise, weil
er auch Dreymans Leiden versteht. Zum ersten Mal sieht man Gefühle in seinem Gesicht. Er
entdeckt erst jetzt die bittere Wahrheit, was es bedeutet in diesem totalitären System zu leben.
Wie stark die Menschen unterdrückt werden und wie stark die Fesseln des Systems sind. Um
einen Schein der Normalität zu bekommen und nicht zerstört zu werden wie Albert Jerska,
braucht man viel Kraft.
Abb. 6, Sequenz 12, 00:51:32
57
Das Wiesler ein guter Mensch ist, hört er, als er Christa Maria Sieland in der Bar anspricht
und versucht ihr ein paar aufmunternde Worte zu sagen. „Und Sie sind ein guter Mensch”,
hört er als Antwort. Nach diesen Worten konnte Wiesler nie wieder so sein wie in der
Vergangenheit. Er hat die andere Seite des Lebens, der Menschlichkeit entdeckt, die auch in
ihm wohnt. Das wird sichtbar, als er wieder mit Grubitz spricht. Zuerst will er Dreyman
verraten, dass er etwas Verschwörerisches plant. Als er aber hört, wie höhnisch Grubitz über
die Zerstörung der Künstler spricht [damit ist ein Auszug aus der Doktorarbeit gemeint – M.
Z.], wird er zum großen Schutzengel des Dichters und nach einem inneren Kampf mit den
eigenen Gedanken, fördert er die Verkleinerung des OV.
Im weiteren Verlauf des Films (Sequenz 18) auch in den Augen seines Vorgesetzten scheint
Wiesler nicht mehr glaubwürdig zu sein. „Bist du noch auf der richtigen Seite?“140 – fragt ihn
Grubitz, als Wiesler Christa Maria Sieland verhört. Wenn OV Lazlo durch den Selbstmord
der Schauspielerin beendet wurde und Grubitz entdeckt, wie Wiesler das Schreiben des
Artikels getuscht hat, versetzt er ihn zur Abteilung M, wo er lange Jahre die Briefumschläge
mit Hilfe einem speziellen Kaltdampfsystem öffnet.
Die komplette politisch-persönliche Metamorphose Wieslers von einem gnadenlosen Stasi
Überwacher bis zu einem guten Mensch ist in der letzten Sequenz des Films sichtbar. In
Dreymans neuen Roman unter dem Titel: „Die Sonate vom Guten Menschen“ erblickt
Wiesler eine Dedikation für ihm: „HGW XX/7 gewidmet, in Dankbarkeit“141. Zum ersten Mal
sieht man ein echtes Lächeln in seinem Gesicht (Abb. 7). Er hat in diesem Moment seinen
inneren Frieden gefunden, und wie der Nebentitel des Films aussagt, ist er zum guten
Menschen geworden.
140
141
Ebd., S. 133.
Ebd., S. 158.
58
Abb. 7, Sequenz 25, 02:06:38
3.3 Erzählstruktur des Films
Die Analyse der filmischen Bauformen ist ein unabdingbares Element der Filminterpretation.
Das
Zusammenspiel
der
Gestaltungsmittel
wie
Kameraführung,
Achsverhältnisse,
Beleuchtung, Farbgestaltung etc. ergibt eine Erzählperspektive, die ein Film einnimmt. Der
Regisseur
Florian
Henckel
von
Donnersmark
präsentiert
die
Opfer
des
Staatssicherheitsdienstes eindrucksvoll und mit klarer Bildsprache und beschreibt die
Verachtung und die kühle Distanz der Täter. Berücksichtigt wurden dabei auch die
geschichtlichen Realien der DDR der 80er Jahre.
3.3.1 Filmische Stillmittel - Charakteristik ausgewählter Bauformen des
Erzählens
In diesem Kapitel werden die Formen der Kamerabewegung, wie Umfahrt und Subjektive
Kamera
sowie
erwähnte
Einstellungsgröße
und
Kameraperspektiven
beschrieben.
Verbleibend noch auf der visuellen Ebene werden demnächst Farb- und Lichtkorrelationen
aus ausgewählten Beispielen analysiert. Im Weiteren wird auf der auditiven Ebene der
Einsatz der Filmmusik und Voice Over untersucht.
59
Beginnend mit der Kategorie der Montage wird die Paralellmontage im filmischen Kontext
erläutert. Die Paralellmotage verbindet in der Regel zwei oder drei Handlungsstreifen. Diese
Form des Erzählens tritt im Film sehr oft auf. Vorwiegend werden die Subsequenzen aus
Dreymans Wohnung und die Subsequenzen aus der Abhörzentrale, die sich im Dachboden
des
Hauses
befindet,
miteinander montiert.
Dieses
Verfahren
trägt
erstens
zur
Spannungssteigerung, wie in der Sequenz 19, wo Wiesler nervös lauscht, mit welchem
Ergebnis die Wohnungsdurchsuchung abgeschlossen wird. Zweitens wird die Paralellmontage
zur Distanzverkürzung zwischen den Stasi-Überwacher und dem Künstlerpaar dienen. Der
Anfang und das Ende der Sequenz 10 zeigt, wie stark sich Wiesler in das Leben des
Künstlerpaares engagiert. Er zeichnet auf dem Boden über Dreymans Wohnung den Plan der
Wohnung und setzt sich schließlich nicht nur am gleichen Ort wie der Dramaturg, sondern
nimmt die gleiche Stellung wie er. In dieser Sequenz kommt es zur Verbindung von drei
Handlungsstreifen. Wiesler überwacht Dreyman, der einen Text schreibt. In dieser Zeit steigt
Christa Maria Sieland in die Hempf Limousine. Wiesler bemerkt, als die Frau aussteigt und
zwingt Dreymans die bittere Wahrheit zu erfahren. Aus dieser Sequenz resultiert, dass dank
allen Handlungsstreifen Wiesler ihm fremd vorkommende moralische Werte erfahren hat, was
ihn berührt und in Verwunderung versetzt hat.
Der Regisseur und zugleich Autor hat Inserts und Schrifteinblendungen zum Film eingeführt,
die informative Funktionen haben. Sie geben die Auskunft über Ort und Zeit sowie über
geschichtliche Ereignisse. Als Beispiel können die Inschrift wie: „4 Jahre und 7 Monate
später“ dienen, die den Zuschauer über das Zeitvergehen informieren oder es wurde eine
Schrifteinblendung „Neuer Generalsekretär der KPdSU gewählt: Michail S. Gorbatschow“,
die über geschichtliche Vorkommnisse informiert.
Im Film wurde die Subjektive Kamera, die den Identifikationsgrad der Zuschauer mit dem
Geschehen erhöht, verwendet. In der Sequenz 5 beunruhigte Nachbarin, Frau Meineke
beobachtete wie Stasi Mitarbeiter in die Dreyman Wohnung einbrechen. Die Zuschauer
erblicken einmal die zitternde Frau, als sie vor dem Türspion steht und schaut, ein anderes
Mal werden sie die dargestellte Realität aus der Sicht der handelnden Figur – in diesem Fall
Frau Meineke – wahrnehmen. Dass es sich um einen Blick durch den Türspion handelt, weist
die schwarze Umrahmung des wahrgenommenen Bildes hin (Abb. 8). In dieser Scene wird es
verzichtet auf sehr oft für Subjektive Kamera verwendete Handkamera trotzdem ist die
Unmittelbarkeit und die Authentizität der dargestellten Handlung von beachtlichem Ausmaß.
60
Aufregung bei Rezipienten rufen auch schnell nacheinander folgende Schnitte hervor, die zur
Spannungssteigerung beitragen.
Abb. 8, Sequenz 5, 00:21:24
Situationen, die der Regisseur hervorheben wollte, wurden mit Hilfe der Filmsprache betont.
Wieslers Wandel zum guten Mensch, der in der Sequenz 12 extrem auffallend ist, wird durch
Kameraumfahrt realisiert. Dieses Verfahren der Kamerabewegung zeigt die Emotionen, die
Wiesler während des Zuhörens des Klavierstückes empfindet. Auf seinem Gesicht malt sich
ein Gesichtsausdruck, der für einen typischen Stasi Mitarbeiter fremd war. Wiesler ist zutiefst
berührt von der Musik und vereinigt sich mit Dreymans Trauer. Teilweise weint er auch
wegen seines bisherigen Lebens. Durch eine halbe Kreisfahrt erhalten die Rezipienten die
Möglichkeit sein Gesicht in diesem Moment aus vielen Seiten zu betrachten. Die Umfahrt
ermöglicht das Zeigen eines großen Teiles der Umgebung und in der Sequenz 17 handelt es
sich um einen 360 Grad – Fahrt. Diesmal werden Dreyman beim Schreiben und Vorlesen
seines Artikels und Wiesler, der seit der Fälschung der Abhörprotokolle auf Dreymans Seite
steht, porträtiert.
Auf
der
visuellen
Ebene,
bedeutungsgenerierend
sind
ebenfalls
die
extremen
Kameraperspektiven. Frau Meinecke (Sequenz 5) wird nicht nur durch drohende Worte des
Stasi Hauptmanns, dass ihre Tochter ihren Medizinstudienplatz verlieren könnte,
eingeschüchtert, in dieser Sequenz sprechen die Bilder für sich selbst, die durch den
bestimmten Einsatz der Kameraperspektiven beklemmend und eindringlich wirken. Wiesler
61
erscheint als eine übermächtige Instanz, als er fast immer in der Sequenz 5 aus der Untersicht
gezeigt wird (Abb. 9) und Frau Meinecke, die aus der Obersicht, über Wieslers Schulter
gezeigt wird, erscheint den Zuschauern als winzig, total wehrlos, überlegen und auf Stasi
Hauptmanns Wille angewiesen (Abb. 10).
Abb. 9, Sequenz 5, 00:21:33
Abb. 10, Sequenz 5, 00:21:33
Dieses filmische Stillmittel tritt in der Sequenz 15 auf, als Dreyman von der Sicherheit seiner
Wohnung und der Einfalt der Stasi überzeugt ist, beschimpft Unfähigkeit und Tölpelei des
Überwachungsapparats. Der Dramatiker, der leicht von unten gefilmt wird, fühlt eigene
62
Übermächtigkeit, Vehemenz und Stärke. Die von ihm ausgesprochenen Worte werden sowohl
durch seine Körperhaltung (eine triumphierend erhobene Hand) als auch durch seine
Untersichtperspektive verstärkt (Abb. 11)
Abb. 11, Sequenz 15, 01:12:23
Die im Film herrschende Stimmung der ständigen Überwachung und Verfolgung porträtiert
die Abbildung 12 als Dreyman, Wallner und Hausers Onkel sich in der Wohnung der
Dramatiker unterhalten. Der filmische Kontext deutet darauf, dass die extreme Obersicht nicht
nur auf die Unterlegenheit, sondern auch auf die Position des Beobachters hinweist. Die drei
Männer werden von Wiesler, der in seiner Abhörzentrale über Dreymans Wohnung sitzt,
bespitzelt. Die Kamera ist im Mittelpunkt des Zimmers, fast an der Zimmerdecke
positioniert, so dass die Rezipienten den Eindruck erhalten, als ob Wiesler nicht nur zuhört
sondern auch durch einen Bodenloch oder Kamera die drei Männer sieht.
63
Abb. 12, Sequenz 15, 01:09:32
Die Kameraperspektive zeigt auch die wachsende Distanz zwischen den Protagonisten. Zum
Beginn des Films werden Grubitz und Wiesler als zwei ebenbürtige Gesprächspartner
dargestellt. Im Laufe der Handlung verringert sich das gegenseitige Vertrauen und es wächst
die Entfernung zwischen den beiden ehemaligen Kollegen aus der Zeit des Studiums. Das
resultiert daraus, dass Wiesler eine große innere Wandlung von einem der Stasi loyalen und
vertrauten Mitarbeiter bis zum Gegner des Systems durchgeht. Am Anfang des Filmes steht er
noch auf der Seite des totalitären Systems und bei den Gesprächen mit Oberstleutnant Grubitz
wird er als gleichrangiger Gesprächspartner gezeigt. Als er zu zweifeln beginnt und wagt den
Dramatiker zu beschützen, entsteht eine Kluft und die räumliche Distanz zwischen seinem
Vorgesetzten wird gleichzeitig ausgedehnt (Abb. 13) bis er schließlich in der Sequenz 21 eine
Form der Herrscher-Knecht Beziehung annimmt.
64
Abb. 13, Sequenz 16, 01:19:09
Im Film überwiegen die Naheinstellungen, die den Oberkörper und den Kopf der
Protagonisten zeigen. Vorwiegend treten sie in den Filmabschnitten auf, wo die Dialoge
stattfinden, da sie den natürlichen Sehsituationen während eines Gespräches entsprechen. In
den Einstellungen Groß und Detail fällt der Focus auf die seelischen Zustände der handelnden
Figuren, sowie auf die Einzelheiten der Gegenstände. Großaufnahmen verraten die mimischen
Geheimnisse und porträtieren die Gefühle im Stadium ihres Entstehens. Der Zuschauer sieht
genau wie Trauer und Glück, Hass und Versöhnung, Verzweiflung und Friede, Erschütterung
und Überraschung sich auf den Gesichtern der Schauspieler malen. Die Detaileinstellung
deutet auf Einzelheiten, die für den Handlungsablauf wichtig sind. Sie lenkt die Rezeption
der Zuschauer auf die Gegenstände, die auf dem Bildschirm oder Leinwand extrem vergrößert
und bedeutungstragend sind. Im Film sind das beispielsweise der Unterschrift der Christa
Maria Sieland, Textpassagen der Abhörprotokolle, das Titelblatt der Spiegelzeitung, wo
Dreyman seinen Artikel publizierte oder die Schlagzeile einer Zeitung, die besagt, dass
Gorbatschow zum neuen Generalsekretär gewählt wurde. Neben den informativen Funktionen
der Detaileinstellung erfüllt diese Aufnahme die Beweis- und Schlüsselfunktion zum Beispiel
in der Sequenz 24 (Abb. 14). Dreyman, der in seinen Akten recherchiert, entdeckt zufällig den
roten Fingerabdruck. In diesem Moment wird ihm klar, wer die Schreibmaschine versteckt
und ihm die ganze Zeit geschützt hat. Diese drei beschriebenen Aufnahmen vermitteln
Intimität und erzeugen eine Atmosphäre der Nähe mit den Handlungsgeschehnissen.
65
Abb. 14, Sequenz 24, 02:02:56
Der Film weicht von natürlichen Muster der Beleuchtung aus, deswegen ist die Lichtanalyse
der exemplarischen Sequenzen wichtig. Bei der Analyse der Lichtverhältnisse sind die Szenen
in Dreymans Wohnung, Wieslers Abhörzentrale und die Sequenzen, in denen Minister Bruno
Hempf auftritt, erwähnenswert. Auffallend ist der Low-key-Stil in den Sequenzen 1 und 10.
Während des Verhörs ist das Gesicht des Verdächtigen nur mit einem sichtbaren Seitenlicht
einer Lampe beleuchtet, der Rest des Bildes ist zu dunkel ausgeleuchtet. Bedrohliche,
kontrastive hell-dunkel Verhältnisse und Schatten sehen unrealistisch aus und erzeugen eine
beklemmende Atmosphäre, die sich auf den Rezipienten überträgt. Die zweite Situation, wo
der Low-key-Stil verwendet wurde, findet in Hempfs Limousine statt, als der Minister Christa
Maria Sieland belästigt. Die künstlerische Ausleuchtung, wo die Fülllichter prädominieren,
wirkt in dieser Szene erotisch, aber auch düster. Ein Lichtstrahl fällt nur auf das Gesicht der
Schauspielerin, der Mann bleibt im geheimnisvollen Schatten (Foto 15). Die dunklen
Tonwerte sind fast immer in diesen Szenen präsent, wo der Minister auftritt. Als Beispiel
kann hier die Sequenz 18 dienen, als er sich mit Grubitz unterhält. Die dunklen
Fensterscheiben und die verschlossenen schwarzen Gardinen im Auto verursachen, dass
Hempf als eine unnahbare und mysteriöse Gestalt dargestellt wird. Die Beleuchtung ist ein
wichtiges dramaturgisches Stillmittel, das charakterisiert, die Aufmerksamkeit der Zuschauer
steuert und bei jeder Filmgestaltung notwendig ist.
66
Abb. 15, 00:40:18
Die Lichtverhältnisse stehen in Korrelation mit der Kategorie der Farbgestaltung und
Ausstattung. Im Film wird auf auffällige, grelle Farben verzichtet. Es überwiegen
Braun/Beige/Orange Farbkombinationen, die von Grün und Grautönen erweitert und durch
entsprechende Beleuchtung ergänzt wurden. Auch innerhalb dieser Kombination gelang es
dem Regisseur, die in der Opposition zueinander stehenden Welten – künstlerische gegen
Stasi – passend zu charakterisieren. Als Beispiel können die Wohnungen von Dreyman und
Wiesler dienen. Die Wohnung des Künstlerpaares ist geräumig, gemütlich und schön
eingerichtet. Viele Bücher, Wanddekorationen und andere Gegenstände, die zwar nicht immer
funktional und praktisch waren, verursachen, dass der Ort eine angenehme Atmosphäre
ausstrahlt (Abb. 16). Das Kolorit der Farben ist ausdifferenziert, außer rot sind in der
Wohnung grün, blau, gelb, beige, silbern, braun und orange Töne zu finden. Behaglichkeit
und Wärme werden durch warme, gelbliche Beleuchtung verstärkt, die in vielen Orten der
Wohnung
lokalisiert
ist.
Sie
steht
im
Kontrast
zu
der
rauen,
unauffälligen,
individualitätsentzogenen, fast aszetisch eingerichteten Wohnung Wieslers (Abb. 17). Der
karge
Einrichtungsstil,
wo
die
billigsten
und
einfachsten
Möbel
oder
auch
Einrichtungsgegenstände, die in der DDR Zeit am leichtesten zu bekommen waren, stehen,
ruft Pessimismusgefühl hervor. Es überwiegen grau-braune Farbtöne und eine kühle
Beleuchtung unter anderem aus den Leuchtstoffröhren. Die Wohnung scheint unbewohnt und
leer zu sein und passt sehr gut zum peniblen, einsamen Stasi Hauptmann. Die gedämpften
Töne und grau-trüben Farbnuancen überwiegen auch auf dem Dachboden (Abb. 18), wo
67
später die Abhörzentrale eingerichtet wurde. Eine große Anzahl technischer Geräte, die
originalgetreu reproduziert wurden, vermitteln eine Authentizität des Ortes. Aber reduzierte,
kalte Beleuchtung macht den Ort wenig vertraut und abschreckend. Die ganze Palette der
Farben basiert auf gleichem Farb-Schemata. Die Färbung erinnert an die Vergangenheit und
an die ersten bunten, aber faden Bildern, die man im Fernseher sehen konnte. Der Zuschauer
erlebt wieder die DDR Zeit.
Abb. 16, Sequenz 7, 00:26:12
Abb. 17, Sequenz 4, 00:16:52
68
Abb. 18, Sequenz 5, 00:20:59
Die auditive Ebene der Filmanalyse, die verschiedene Tonformen wie Musik im Off und On,
Voice Over, Geräusche etc. in sich bündelt, wird im Film von Florian Henckel von
Donnersmark von großer Tragweite. Der Regisseur selbst äußert im Audiokommentar auf der
DVD, dass die Musik die emotionalste Kunstform ist, deswegen tritt sie im Film oft im
Vorder- und Hintergrund auf. Sie emotionalisiert den Filmrezipienten und ergänzt und
verstärkt die Bedeutung der einzelnen Episoden, die sie begleitet. Die von Gabriel Yared und
Stéphane Moucha komponierte klassische Musik widerspiegelt die Gefühlzustände der
Protagonisten triftig und erzeugt eine ergreifende Stimmung.
Zu treffen ist die Musik im On in Form von Jazz, die aus der Platte oder aus dem Rundfunk in
der Sequenz 8 ertönt. Nach der Theaterpremiere, in der Sequenz 3, spielt eine Band einen
DDR-Schlager, der die Menschen zum Tanzen anregt. Die Musik tritt fast immer mit
Begleitung
von
Dialog
oder
Geräusche
auf.
Erwähnenswert
ist
die
einzige
Soloinstrumentalstück „Die Sonate vom Guten Menschen“, die Dreyman infolge Jerskas Tod
in großer Trauer und Erschütterung in der Sequenz 12 auf dem Klavier spielt. Hier geht die
Musik im On zur Musik im Off über. Die Rezipienten erblicken dann Wiesler, der versunken
in seiner Abhörzentrale zuhört. Als die melancholischen A-Moll Töne durch Crescendo zum
Forte übergehen, sieht man sein berührtes Gesicht. Nachdem die Musik ausklingt, wird ihre
Bedeutung von Dreymans Worte verstärkt. Er fragt: „Kann jemand, der diese Musik gehört
69
hat, wirklich gehört hat, noch ein schlechter Mensch sein?“142. Wiesler mit Tränen in den
Augen, zutiefst beeindruckt, durchgeht dank enorm starker Kunstauswirkung eine innere
Wandlung. „Die Sonate vom guten Menschen“, die leitbildartig vorkommt, versinnbildlicht
die im Realsozialismus verlorenen moralischen Werte und erinnert zugleich an Jerska Gestalt,
die durch das totalitäre System zerstört wurde.
Sequenz 17 wiederruft erneut das Evozieren an Jerska, da Dreyman bei Gitarre und Cello
Tönen den Artikel „DDR, Der geheime Selbstmord – Statistik“ für die Westdeutsche Zeitung
verfasst. Aber die Botschaft der Musik, wo der Text von Wolfgang Borchert zu hören ist,
knüpft an die Botschaft der „Sonate vom Guten Menschen“. Dreyman hat Mut um sich dem
System entgegenzusetzen gefunden. Christa Maria Sieland bleibt bei ihrem Freund und
verzichtet auf ein Treffen mit Minister Hempf und Wiesler fälscht die Abhörprotokolle, um
den Dramatiker zu beschützen. Das gespielte Lied unter dem Titel: „Stell dich mitten in den
Regen“ hat eine vielbedeutende Zeile „und versuche gut zu sein“, die das Denken und
Handeln der Protagonisten akzentuiert. Die Musik rahmt viele zeitraffend-dargestellte
Ereignisse.
Die letzte Form, die im Kontext der Analyse der Tonebene erwähnt wird, ist das filmische
Stillmittel Voice Over, das die Handlungen fließend verbindet. Die Sequenz 14 zeigt, wie
viel die Stimme des Erzählers zum Filmverstehen beitragen kann. Wiesler liest den Bericht
von Oberfeldwebel Udo Leye, hört seine Stimme und im Kopf projiziert er die bildliche
Vorstellung seiner Worte. Gleichzeitig sehen auch die Filmrezipienten, was geschah,
nachdem Christa Maria Sieland das Haus verlassen hat. In Sequenz 24, als Dreyman seine
Abhörprotokolle liest, wird die Stimme von Wiesler und Christa Maria Sieland eingesetzt.
Dank diesem Manöver, erinnern sich auch die Zuschauer an Plot des Filmes.
3.4 Geschlossene Gesellschaft der DDR
3.4.1 Überwachungsapparat in dem totalitären System
Der zeitliche Rahmen des Films umklammert die Ereignisse vom November 1984 vom Fall
der Mauer bis zur Wiedervereinigung Deutschlands 1991. Inserts sind wichtige
Orientierungspunkte, die den Zuschauern in die neuen Zeitabschnitte und Handlungsorte
142
Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Anderen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006, S.
77.
70
einführen. Der erste Teil des Films endet mit dem Tod von Christa Maria Sieland. In der
gleichen Sequenz wird auch der politische Kurswechsel angedeutet, wenn die Zuschauer die
Zeitung vom 11. März 1985 erblicken, wo geschrieben ist, dass Gorbatschow zum
Generalsekretär der KPdSU gewählt wurde. Demnächst beginnt vier Jahre und 7 Monate
später die zweite Erzählteil. Der Film thematisiert die Handlungen des Ministeriums für
Staatssicherheit und schon seit den ersten Filmsequenzen wird die furchterregende Macht des
Ministeriums gezeigt, beispielsweise als Wiesler, der überkorrekte Stasi Arbeiter den
Verdächtigen 227 verhört, oder als Minister Bruno Hempf sich für die rasche Überwachung
von Dreyman entscheidet.
Das Ministerium für Staatsicherheit war ein Organ der Sozialistischen Einheitspartei
Deutschlands, die die Kontrolle über der Bevölkerung ausübte. Das Ministerium war ein
wichtiges Untersuchungsorgan bei politischen Verfahren, beinhaltete Geheimpolizei sowie
Auslands- und Inlandsgeheimdienst. Ziel seiner Tätigkeiten war die Zersetzung der
Geheimzentralen, Zerschlagen der feindlichen Agenturen und Bekämpfung der Gegner des
realsozialistischen Systems. Die im Film dargestellte Hauptabteilung XX/7 des Ministeriums
war eine von zehn Hauptabteilungen, die sich mit der Überwachung von Kunst und Kultur
beschäftigte.
Die komplette Überwachung der verdächtigen Personen konnte politisch motiviert sein, aber
wie der Film zeigt, waren auch private Gründe für das Einsetzen der Prozeduren wie der OV
[Operative Vorgang – M.Z.] keine Seltenheit. Der präventive Charakter der OV wurde in der
Verwaltungssprache der Staatsicherheit betont und wie folgt formuliert:
„Mit der zielstrebigen Entwicklung und Bearbeitung operativer Vorgänge ist vor
allem vorbeugend ein Wirksamwerden feindlich-negativer Kräfte zu unterbinden, das
Eintreten möglicher Schäden, Gefahren oder anderer schwerwiegender Folgen
feindlich-negativer Handlungen zu verhindern und damit ein wesentlicher Beitrag
zur kontinuierlichen Durchführung der Politik der Partei- und Staatsführung zu
leisten.“143
Erwähnenswert ist in diesem Kontext auch die Rolle der IMs [Inoffiziellen Mitarbeiter –
M.Z.]. IM waren Spitzel, die in der Regel freiwillig und konspirativ für das Ministerium für
die Staatsicherheit arbeiteten. Sie lieferten die Informationen, die auf den offiziellen Wegen
schwierig oder unmöglich gewonnen werden konnten. Die Zahl der IM, die im Auftrag der
143
Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Anderen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006, S.
203.
71
SED gearbeitet haben und die Gesellschaft überwachten, betrug 1989 ca. 170 000.144 Man hat
vermieden, die Leute zu zwingen als IM zu arbeiten, weil wenn sie erpresst wurden, haben sie
nicht fleißig und vertrauenswürdig gearbeitet. Auf diese Art und Weise haben sie den
passiven Widerstand geleistet. Als sie entdeckt haben, wie seelenlos ihre Tätigkeit war, haben
sie ungenaue Berichte geschrieben oder spielten sie den Naiven. Natürlich existierte eine
aktive Form des Widerstandes, es gab nämlich immer wieder Aussteiger. Um nicht mehr als
IM zu arbeiten, konnte man direkt beim verantwortlichen Führungsoffizier eine Entpflichtung
fördern. Die Konsequenzen eines Ausstiegs oder einer Kündigung waren mit allen
erdenklichen Folgen sowohl im Bezug auf sich selbst oder auf eigene Angehörige verbunden.
Im Film wurde Christa Maria Sieland als IM angeworben. Sie hatte die Möglichkeit das
Dokument nicht zu unterschreiben, aber sie hat versucht sich selbst zu retten. Als sich später
herausstellte, bereute sie diese Tat bitterlich und stürzte sich unter ein Auto.
Im Film zeigen die Vorsichtsmaßnahmen, die getroffen wurden, um den Artikel zu schreiben,
wie das Leben unter strenger Aufsicht der Regierung aussah. Dreyman ist erstaunt, dass sein
Artikel nicht unter seinem Namen veröffentlicht werden darf und dass die Stasi die
Schriftbilder der Schreibmaschinen auch seiner hatte. Es gab keine Freiheit im Bezug auf die
Meinungsäußerung und Publizieren. Der westliche Journalist Hessenstein, der dem
Dramatiker die versteckte Schreibmaschine bringt, ist dessen bewusst und warnt Dreyman:
„HESSENSTEIN: Nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter. Ich will nicht den
nächsten Artikel darüber schreiben müssen, dass niemand weiß, wo Georg Dreyman
abgeblieben ist. Sie müssen sie [die Schreibmaschine – M.Z.] nach jedem Gebrauch
verstecken. Keiner außer uns dreien darf es wissen, dass es diese Maschine
überhaupt gibt.“145
Weiter lobt er ihn für seine Vorsicht, dass selbst Christa Maria Sieland in das Schreiben des
Artikels nicht involviert ist. Da „je weniger Menschen von diesem Projekt wissen, desto
besser. Mit der Stasi ist nicht zu scherzen.“ 146
In der DDR ist der Hauptdarsteller Ulrich Mühe aufgewachsen, der den Gerd Wiesler gespielt
hat. Der Schauspieler brauchte nicht viel zu recherchieren, um sich in die Rolle zu versetzen.
Er kannte die Realität der damaligen Zeiten. Er selbst wurde von vier IMs beobachtet und war
mit dem Theater verbunden. In seinem Erzählen über die Vergangenheit sind sogar gewisse
Parallelen mit dem Film sichtbar.
144
Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Anderen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006, S.
211.
145
Ebd., S. 103-104.
146
Ebd., S. 103.
72
„Ich wusste aber wie alle anderen, dass es sehr viele Leute gab, die für die
Staatsicherheit arbeiteten, und dass in jedem Betrieb und jeder Einrichtung ein StasiOffizier mit dabei war. Wir wussten, dass sie uns beobachteten, dass sie zuhörten,
dass sie versuchten, auf Partys zu kommen. Das gehörte immer zum ganz normalen
Leben. Es war auch normal, dass man das Knacken im Telefon hörte, wenn man
überwacht wurde.“147
Er hat die Kraft des Systems und seine zerstörerische Macht auf eigener Haut gespürt, als er
als Grenzsoldate gearbeitet hat. Mühe wurde stark indoktriniert genauso wie andere
Armeeangehörige. Er musste auf die Leute, die ohne Erlaubnis die Grenze passieren wollten,
schießen. Den Soldaten wurde gesagt, dass die, die Republikflucht begehen möchten,
„entweder Betrunkene oder verzweifelte Leute, die ihrem Leben eigentlich gerne ein Ende
setzen möchten“148 sind. Trotzdem der Schießbefehl war für ihn unerträglich. Aber die
Konsequenzen, beispielsweise für Befehlsverweigerung waren mit Gefängnis und zerstörter
Zukunft verbunden.
Welch großen Einfluss die Stasi-Überwachung auf die Leute hatte und wie stark sie in der
Gesellschaft registriert und von Einzelnen empfunden wurde, widerspiegeln die Worte von
Jens Reich:
„Wie ein kratzendes Unterhemd spüre ich die Sicherheit, ein stets vorhandenes
Unbehagen, von dem man aber für kurze Zeit abgelenkt werden kann. Im Gedächtnis
wird er als abstrakte Wesenheit gespeichert, als Wissen, nicht als lebendige
Missempfindung. … Es ist wie beim Grenzzoll: Man hat immer etwas zu verbergen.
Stets hat man etwas geliehen, gelesen, geschrieben, gehört, gesagt, mitgeschnitten,
weitergegeben, nicht gemeldet, geduldet, befördert, begründet, missachtet,
übertreten. Du bist wie ein Kind, das die Hand auf dem Rücken versteckt, wenn man
es scharf ansieht. Sofort hat es Angst: Bin ich jetzt erwischt worden, will man mich
bestrafen? Wofür?149
Im Westen wurde die Stasi als rote Gestapo150 bezeichnet und immer mit Terror und
Geheimpolizei assoziiert. Der Angst erweckte die soziale Nähe der IMs, die Bekannte,
Nachbarn, Kollege oder sogar Freunde sein konnten. Der Film wiedergibt die Atmosphäre
der damaligen Zeit.
147
Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Anderen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006, S.
188.
148
Ebd., S. 193.
149
Gieseke, Jens: Die Stasi und ihr IM. In: Sabrow, Martin (Hg): Erinnerungsorte der DDR, München: Verlag
C. H. Beck 2009, S. 101.
150
Ebd., S. 99.
73
3.4.2 Situation der Künstler in der DDR
In dem Film von Donnersmark wird die Kulturszene der 80er Jahre in der repressiven Stadt
dargestellt. Das Ministerium für Staatssicherheit überwachte viele Haushalte. Besonders
Außenseiter und Künstler wurden unter die Lupe genommen, die sich kritisch gegenüber dem
System äußerten. Für solche systemkritischen Meinungen musste man mit dem
Veröffentlichungsverbot oder dem Streichen von Auftragswerken rechnen. Die Stasi
kontrollierte die Wohnungen, hatte Einfluss auf den Buchdruck, hörte die Telefongespräche
ab und war sogar im Besitz der Schriftbilder der Schreibmaschinen von bestimmten
Künstlern.
Die Meinungsfreiheit gab es nicht und die Zensur gehörte zum Alltag. In jedem Bücherregal
in der DDR konnte man die Bücher mit einer Druckgenehmigungsnummer der
Hauptverwaltung, dem Verlag und dem Buchhandel finden. Die Zensur gehörte zu der
Epoche der DDR. Sie war immer insbesondere mit dem künstlerischen Schaffen verbunden.
Die Bücher mussten die staatliche Normenkontrollverfahren durchgehen, inklusiv den
Mathematik-Büchern. Bevor sie veröffentlicht wurden, wurden sie oft mit einem Vor- oder
Nachwort [von einem Zensor – M. Z.] versehen, auch die für das System unangenehme
Stellen wurden umformuliert oder ganz neu geschrieben, so dass im Endeffekt ein ganz
anderes Buch publiziert wurde.
„Das Zensursystem der DDR war ein kompliziertes Gefecht voneinander abgeschotteter und
durch verschlungene Pfade verbundener Subsysteme.“151 Es war geheimnisvoll und
unberechenbar. Manchmal wurden die Bücher nicht veröffentlicht, weil der Zensor schlechte
Laune hat, manchmal, wenn in der FAZ eine positive Rezension von Marcel Reich-Ranicki
erschien, manchmal, weil das Buch zum falschen Verlag delegiert wurde. Die Zensur hat sich
aber so an das Leben angepasst, dass sie kaum bemerkt wurde. Irgendwann wurde sie „zur
alltäglichen Routine, auf verschiedene Weise erträglich gestaltet, pragmatisch gemacht und
unsichtbar geworden.“ Aber ab und zu war das Handeln des Zensurapparates spürbar, indem
die Buchverbote, Verhaftungen und Entlastungen in den Verlagen stattgefunden haben,
insbesondere nach der Biermann-Ausbürgerung. Mit der Zeit traten die ökonomischen
Faktoren in den Vordergrund, so dass die ideologischen Grundlagen nicht mehr verbindlich
waren, und es wurden auch einige Abweichungen von dem linientreuen Buchdruck erlaubt.
151
Lokatis, Siegfried: Zensur. In: Sabrow, Martin (Hg): Erinnerungsorte der DDR, München: Verlag C. H. Beck
2009, S. 111.
74
Für die Abschaffung der Zensur kämpften immer wieder die Künstler, leider erfolgslos. Erst
im Jahre 1987, nach dem Publizierten der Rede von Christoph Heins, wo der Mann die Zensur
mit den Adjektiven wie menschenfeindlich, volksfeindlich, nutzlos, oder ungesetzlich
bezeichnet hat, gelang es die Restriktionen abzubauen. Dieses Verfahren bedürfte aber
spezieller Terminologie. Man hat nicht über der Abschaffung der Zensur, die es öffentlich
nicht gab, gesprochen, sondern über Dezentralisation der Verantwortlichkeit und über die
Erhöhung der Verantwortlichkeit der Verlage.152
Genauso wie es in der DDR keine offizielle Zensur gab, gab es auch kein offizielles
Berufsverbot. Eine Kritik an der Staatsführung konnte ein tragisches Finale finden. Albert
Jerska, der Freund von Dreyman hat vor sieben Jahren eine Petition gegen Wolfgang
Biermann Ausbürgerung unterschrieben. Der Liedermacher Biermann erhielt 1965 für sein
Gedichtband Die Drahtharfe ein Publikations- und Auftrittsverbot. Elf Jahre später wurde er
ausgebürgert, was eine große Welle von Protesten seitens der bedeuteten Künstler im Rahmen
der Solidaritätsbekundungen auslöste. Jerska konnte für seine Tat nicht mehr weiter als
Regisseur arbeiten, was für ihn sehr schmerzhaft und demütigend war. Verzweifelt fragt er
Dreyman: „Was hat ein Regisseur, der nicht inszenieren darf? Nicht mehr als ein
Filmvorführer ohne Film, ein Müller ohne Mehl. Er hat gar nichts mehr. Gar nichts
mehr…“153 Diese Situation zeigt, wie das System Menschen vernichtete. Jerska, erdrückt von
dem Gewicht des Nichtschreibens beging schließlich Selbstmord.
Die Überwachung war nicht nur technisches Verfahren, sondern umfasste auch den Bereich
der Wissenschaft. In der Sequenz 16 zitiert Grubitz einen Ausschnitt aus der
wissenschaftlichen Arbeit, wo die Mechanismen der psychischen Zerstörung der Menschen
dargelegt werden. Es wurden fünft Typen der Künstler ausgesondert, charakterisiert und
bestimmte Vorgehensweisen skizziert, die zur Zerstörung der Person führen sollten. In dieser
Typologisierung wurde auch Dreyman, als Typ Nummer 3 „Hysterischer Anthropozentriker“
berücksichtigt und beschrieben wie folgt:
„Der kann doch nicht alleine sein. Muss immer Reden halten, immer Freunde um
sich haben. Bei so einem darf man es auf keinen Fall zum Prozess kommen lassen.
Da würde der aufblühen. Nein, bei dem muss das alles in der U-Haft ablaufen, ganz
ohne Öffentlichkeit. Da wird man viel schneller mit ihm fertig: völlige Einzelhaft,
ohne ihm zu sagen, wie lange er noch drin sein wird; kein Kontakt zu irgendwem in
der Zeit, nicht einmal zu den Wächtern. Beste Behandlung derweil natürlich. Keine
152
Ebd., S. 114.
Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Anderen. Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 2006, S.
46.
153
75
Skandale. Es darf nichts geben, worüber er danach schreiben kann; keine
Misshandlungen; keine Schikanen. Nach zehn Monaten lassen wir ihn frei,
überraschend, und der macht uns keine Probleme mehr. Und weißt du, was das
allerbeste ist: Die meisten Typ 3, die wir so bearbeitet haben, schreiben danach
überhaupt nicht mehr, oder malen nicht mehr oder was auch immer so Künstler
machen. Und das, ohne dass wir irgendeinen Druck ausüben, ganz von selber,
sozusagen als… Geschenk!“ 154
Die Kunst wurde in dieser schrecklichen Staatsform unterdrückt und die Künstler wurden von
politischen Entscheidungen abhängig. Ein gutes Beispiel ist die Schauspielerin Christa Maria
Sieland, die, um weiter spielen zu dürfen, ihren Freund Dreyman betrug und sich mit dem
Minister Bruno Hempf traf. Er hatte die Macht das Theaterstück nicht im Lauf zu lassen. Die
Fesseln des totalitären Systems waren spürbar, und um nicht unterzugehen, musste man sich
opfern. Aus dem unten stehenden Zitat resultiert, dass sowohl die Schauspielerin als auch der
Dramatiker sich nicht trauten, dem System zu widersprechen.
„Brauche ich dieses ganze System nicht? Und du? Du brauchst es dann ja auch
nicht? Oder erst recht nicht? Aber du legst dich doch genauso mit denen ins Bett?
Warum tust du es denn? Weil sie dich genau so zerstören können, trotz deines
Talentes, an dem du noch nicht einmal zweifelst. Weil sie bestimmen, wer spielt, wer
spielen darf und wer inszeniert. Du willst nicht enden wie Jerska. Und ich will es
auch nicht! Deshalb gehe ich jetzt.“155
Als die Frau versucht hat, sich aus der Beziehung mit dem Minister zu befreien, wurde sie
verhaftet und von Wiesler verhört. Sie durfte nie mehr auf der deutschen Bühne stehen.
Letztendlich gesteht sie, dass Dreymans Schreibmaschine unter der Bodendiele versteckt ist
und dass der Dramatiker den Artikel verfasst hat. Das zeigt wie gesteuert das Leben der
Künstler war.
Die Kulturszene der 80er Jahre war von der lautlosen Beseitigung der Menschen
gekennzeichnet. Selbst die Kontakte mit westlichen Journalisten wurden von Freiheitsstrafen
bedroht. Das Strafsystem war aber nicht für alle einheitlich. Die SED auch innerhalb der
Partei operierte mit dem System der Privilegien und Sanktionen. Für gleiche Verfehlung
erhielten manche eine Rüge, die andreren wurden von der Partei ausgeschlossen. Auch das
Leben der Künstler in der DDR wurde von Oben bestimmt und gesteuert. Die Zersetzung der
feindlich-negativen Personen gehörte zum Alltag. Unter diesem Vorsatz litten leider sehr oft
154
155
Ebd., S. 106.
Ebd., S. 82.
76
unschuldige Menschen, die nicht zur Kenntnis nehmen wollten, „dass die Partei zwar den
Künstler braucht, der Künstler die Partei aber noch viel mehr.“156
3.4.3 Privatheit, Erinnerungen und filmische Fiktion
Im folgenden Kapitel wird untersucht, wie viel Authentizität in dem Film von Florian
Henckel von Donnersmark vorhanden ist und was eine filmische Fiktion ist. Ausgegangen
wird es von dem Begriff Privatheit, der in den DDR Zeiten eine besondere Rolle gespielt hat.
Demnächst
werden
ausgewählte
Filmereignisse
erwähnt,
wie
beispielsweise
die
Republikflucht, Wieslers Dessidententum oder die Veröffentlichung des Artikels in
Westdeutschen Zeitungen und mit geschichtlichen Fakten konfrontiert.
Privatheit in der DDR ist ein wenig erforschter Themenbereich, der aber in der Zeit der
strengen Lebensüberwachung dem MfS nicht entfliehen konnte. Privatsphäre wurde ständig
von der Stasi kontrolliert. Eine Inschrift an der Wand im DDR-Museum in Berlin informiert
wie folgt:
„Wie ein Krake hatte die Stasi das Land im Griff: Ihre Tentakel reichten in alle
Winkel. Die Gesellschaft war von Spitzeln durchsetzt. Sie kannte weder Post- noch
Bankgeheimnis, keine Privatsphäre, keine Rechtssicherheit. Die Stasi zerstörte
gezielt viele Leben, verleumdete Abweichler und sperrte sie ein.“157
Der Film „Das Leben der Anderen“ bestätigt diese Formulierung. Alle menschliche
Handlungen unterlagen strenger Kontrolle, von der privaten Korrespondenz (Sequenz 16 –
Wiesler wurde für seine Taten bestraft und arbeitet in der Abteilung M, wo er die
Briefumschläge mit Hilfe der Kaltdampfmaschine eröffnet) bis zu den intimen Gesprächen
(das Künstlerpaar wurde sogar während des Geschlechtsverkehrs überwacht, Wiesler
protokolliert alle Details). Das Regime destruierte skrupellos die Gegner des Systems, indem
es ausgesuchte Methoden von Verhören bis zum psychischen Terror verwendeten. Sequenz 1
zeigt, dass der Häftling 227 durch Schlafentzug gezwungen wurde, den Namen der
Fluchthelfer zu verraten. Im weiteren Verlauf des Films steht Jerska für ein Beispiel der
Zerstörung des Lebens.
Das Eindringen der Überwachungstentakel in die Privatsphäre des Bürgers, gehörte zum
Alltag. Das Ausspionieren war nicht nur auf politisch suspekte Personen gerichtet, sondern
156
Ebd., S. 33.
Betts, Paul: Alltag und Privatheit. In: Sabrow, Martin (Hg.): Erinnerungsorte der DDR, München: Verlag C.
H. Beck 2009, S. 314.
157
77
auch auf durchschnittliche DDR Einwohner wie Hausfrauen oder Kleinbauern, die keine
heimtückischen Tätigkeiten ausübten. In der Wirklichkeit wurden aber auch die
Parteimitglieder überwacht, da ihr Privatleben genauso wichtig für die Partei war, als die
Privatheit der Systemgegner. Die Privatsphäre hat eine enorm wichtige Rolle gespielt. Sie war
ein Zufluchtsort zwischen Partei, Öffentlichkeit und anderen Bürgern, wo sich die
Individualität manifestieren konnte. Ein Paradox, das in dem Begriff Privatheit innewohnt, ist
seine Existenz. Für die MfS war sie eine wichtige Informationsquelle aber in der
Öffentlichkeit war der Terminus nicht vorhanden, da er die Assoziationen mit Freiheit und
Individualität hervorrufen konnte. Selbst Kleines Politischen Wörterbuch der DDR
beinhaltete diesen Begriff nicht, was von seiner subversiven Konnotationen zeugte.158
Das Zuhause war ein Versteck, eine Ruheenklave oft mit westlichen Artefakten und ein
Rückzugsort
für
Individualität.
Ausdrucksmöglichkeiten,
Wegen
der
Zensur
und
dem
Mangel
an
konnten die Bürger nur dort ein Schein der Meinungsfreiheit
haben.
„Je älter die DDR wurde, desto wichtiger war die Privatsphäre, insbesondere die
Wohnung, für den Menschen… Dazu gehörte auch die Aufwertung und
Respektierung der Privatsphäre. Die Wohnung galt als Symbol für die vor dem Staat
und der Staatspartei de facto geschützte Privatsphäre.“159
Solche Enklave war für Hauser und Wallner die Dreymans Wohnung. In der Sequenz 16 sagt
Hauser über Dreymans Wohnung „Diese Wohnung ist der letzte Ort in der DDR, wo ich
ungestraft sagen kann, was ich will.“160 Auch Dreyman schwörte, dass seine Wohnung sicher
sauber ist und er, als DDR - Nationalpreisträger und Person, die mächtige Bekannte hat, frei
von jedem Verdacht steht. „DREYMAN: Bei mir ist keine Staatssicherheit! (…)
Nationalpreisträger, wenn ich erinnern darf. (…) Und persönlicher Freund von Margot
Honecker. Meine Wohnung ist sauber, ich sag`s dir.“161 Seine Naivität und Leichtsinnigkeit
wurde oft von seinen Freunden, die schon die Kraft der Stasi auf eigener Haut gespürt haben,
kritisiert. In diesen Freiraum drang der Staat sehr oft ein, um zeitig die Widerstandsnester zu
entdecken. Oft aber, die vier Wände, die eine Ruhe und Sicherheit geben sollten, waren mehr
durchsichtig als vier Fenster. Das Einmischen des Staates war unter den Bürgern spürbar. Als
158
Vgl. Ebd., S. 316.
Saldern, Adelheid: Häuserleben. Zur Geschichte stätischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute.
Berlin 1995, S. 313, 329. In: Sabrow, Martin (Hg.): Erinnerungsorte der DDR, München: Verlag C. H. Beck
2009, S. 320.
160
Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Anderen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006, S.
104.
161
Ebd., S. 94.
159
78
Beispiel, das Stasi Praktiken beschreibt, kann das Zitat aus dem Buch Zersetzen. Strategie
einer Diktatur dienen:
„MfS-Mitarbeiter drangen zum Beispiel mit Nachschüsseln in die Wohnung eines
ihrer Opfer ein, um dort Gegenstände neu zu sortieren. Einmal verhängten sie die
Bilder in der Wohnung von Frau R. Beim nächsten heimlichen Einbruch verstellten
sie nur die Gewürzdosen in der Küche. Ein anderes Mal tauschten sie den
Lieblingstee der Frau durch eine andere Sorte aus.“162
Die Parallelen zwischen der Realität und dem Film sind auch deutlich. Während Dreymans
Abwesenheit wird die Gruppe der Stasi Mitarbeiter die Wohnung zum Operativen Vorgang
vorbereitet. Sie wird komplett verwanzt. Ein anderes Mal besucht der Stasi Hauptmann die
Wohnung, um Bertold Brechts Lektüre zu nehmen. Obwohl es in den Honecker-Jahren zur
Normalisierung und Lockerung der sozialen Machttechniken kam, im Visier des Staates stand
weiterhin die Privatheit, da das ein Zufluchtsort der Bürger von der Politik und Öffentlichkeit
war, der potentiell gefährlich sein konnte. Die Zeit der Bespitzelung und der Überwachung
der häuslichen Sphäre waren nicht vorbei. Im Gegenteil, das Interesse des Staates für diesen
Bereich blieb bis Ende der DDR auf gleich hohem Niveau, die Inoffiziellen Mitarbeiter waren
weiter tätig und die Kontrolle nahm nicht ab.163
Oft wird die Frage gestellt, ob es sich um eine bloße filmische Fiktion handelt oder ob die
dargestellten Ereignisse einen Wahrheitskern enthalten. Interessant ist die Wandlung der
Hauptprotagonisten vom kaltblütigen Stasi Hauptmann zum guten Menschen. Für seine Taten
wurde Wiesler nicht entsprechend stark bestraft. Ihm wurden zwar keine Aufgaben mit
Eigenverantwortung anvertraut, er bekommt eine Pflichtversetzung in die Abteilung M, wo er
Briefumschläge aufdampft, bleibt aber am Leben. Konnte das in den DDR-Zeiten passieren?
Die Dienstverweigerer in der DDR wurden für solche Handlungen oft zum Tode verurteilt.
Aussteiger wie Minister für Staatssicherheit Wilhelm Zaister und Ernst Wolber haben ihre
Funktionen verloren. Später, zur Zeit von Erich Mielke, wurden die Aussteiger Major Gerd
Trebeljahr und Hauptmann Werner Teske hingerichtet. MfS Minister Mielke äußerte sich im
Jahr 1891 ganz klar zum Thema der Verräter:
162
Pinger-Schliemann, Sandra: Zersetzten. Strategie einer Diktatur. Berlin 2003, S. 196. In: Sabrow, Martin
(Hg.): Erinnerungsorte der DDR, München: Verlag C. H. Beck 2009, S. 318.
163
Vgl. Betts, Paul: Alltag und Privatheit. In: Sabrow, Martin (Hg.): Erinnerungsorte der DDR, München:
Verlag C. H. Beck 2009, S. 319.
79
„Wir sind nicht davor gereift, dass wir mal einen Schuft unter uns haben. Wenn ich
das schon jetzt wüsste, würde er ab morgen nicht mehr leben. Kurzen Prozess! Weil
ich Humanist bin, deshalb habe ich solche Auffassung.“164
Demnächst ergänze er seine Aussage wie folgt: „Das Ganze Geschwafel von wegen nicht
hinrichten und nicht Todesurteile – alles Käse Genossen. Hinrichten, wenn notwendig auch
ohne Gerichtsurteil.“165
Starke Repressionen waren auch für die Republikflucht vorausgesehen. In der ersten Sequenz
verhört Wiesler in der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen den Häftling 227.
Er sollte die Namen der Helfer bei Republikflucht verraten. Diese Information versucht der
Stasi Hauptmann um jeden Preis zu gewinnen. Später aber, als er die Seiten wechselt, meldet
er seinen Vorgesetzten nicht, dass Hauser heimlich im Auto seines Onkels die Grenze
passieren will. Beide Handlungen galten in der DDR als Straftaten gegen die staatliche
Ordnung. Der Versuch des Grenzübertritts wurde mit zwei und die aktive Hilfe bei der
Republikflucht mit acht Jahren Freiheitsentzug bedroht.
Ein weiteres Thema, das der Film behandelt, ist die Veröffentlichung des Artikels im Spiegel.
Dass es keine einfache Aufgabe war, zeigt der Film, aber auch hier ist die filmische Fiktion
spürbar. Christa Maria Sieland ist zum Inoffiziellen Mitarbeiter geworden und hat eindeutig
auf Dreyman gezeigt, aber der Autor des Artikels bleibt unbestraft. Obwohl er als
Verdächtiger gelten konnte, wurde er überhaupt nicht einmal verhört. Der Operative Vorgang
wurde mit dem Tod der Schauspielerin beendet. Wie sah wirklich die DDR-Realität bezüglich
Publizieren im Westen? Zuerst soll das Datum 1. Dezember 1963 erwähnt werden, wo ein
Versuch unternommen wurde die deutsch-deutschen Verhältnisse im Bezug auf Medien klar
zu stellen. Das im Stern veröffentlichte Gespräch des 1. Vorsitzenden des Zentralkomitees
war der Beginn des Zyklus der Artikel über die DDR in der BRD. Die Gespräche erschienen
unter dem Titel Die DDR von innen. Das war eine große PR-Aktion der DDR, die erstens zum
Ziel hatte die Glaubwürdigkeit und Authentizität des Staates zu bauen und zweitens ein
konkretes Bild des Landes zu gestalten, wo der Staat offen war und ihren Bürgern nah stand.
Die Journalisten konnten die DDR-Bürger interviewen, aber immer reisten sie mit
Mitarbeitern des Presseamtes der DDR zusammen. Die Artikel waren aber nicht objektiv und
haben nur oberflächlich das Thema behandelt. Die DDR war ein Land „in der die Menschen
sich eingerichtet hatten und die BRD mit großer Skepsis betrachteten – kein Wort über das
164
Wilke, Manfred: Wieslers Umkehr. In: Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Anderen.
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006, S. 201.
165
Ebd., S. 202.
80
Leiden unter der Diktatur und die Sehnsucht nach Wohlstand, die zuvor so viele davon
getrieben hatte“166. Auch die Westveröffentlichung des Schriftstellers war genau geregelt und
unterlag der staatlichen Kontrolle. Dreymans Artikel, der offensichtlich ein Verstoß gegen
folgenden
Paragraphen
Landesverräterische
des
DDR-
Strafgesetzbuches
Nachrichtenübermittlungen,
war:
219
97
Spionagen,
99
Ungesetzliche
Verbindungsaufnahmen167 unterliegt keiner Zensur. Deshalb hat er versucht, wie auch andere
Autoren das gemacht haben, den Artikel heimlich über Dritte an westdeutsche Medien zu
übermitteln. Sein Text weißt gewisse Parallelen zum Spiegel – Manifest auf, der die Clique
an der Spitze kritisierte und die DDR mit einem Selbstbedienungsladen verglichen hat, wo
jedes bedeutende Parteimitglieder etwas für sich kostenlos nehmen darf.168 Dreyman wurde
nicht für die Veröffentlichung bestraft, aber Professor Herman von Berg, Autor des
Manifestes wurde folgenreich vom MfS bearbeitet, genauso wie anderen Oppositionellen wie
Jürgen Fuchs oder Robert Havemann. Auch die Westlichen Journalisten wurden nach Osten
gelockt und „nach monatelangen, vorwiegend nächtlichen Verhören, strenger Isolation und
mehrfachem Dunkelarrest wegen angeblicher Spionage und schwerer Hetze zu mehreren
Jahren Zuchthaus“169 verurteilt, wie Hans-Joachim Helwig-Wilson.
166
Knabe, Hubertus: Der diskrete Charme der DDR. Stasi und Westmedien, München 2001, S. 34.
Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Anderen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006, S.
206.
168
Ebd. S. 208-209.
169
Knabe, Hubertus: Der diskrete Charme der DDR. Stasi und Westmedien, München 2001, S. 327.
167
81
4 Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit hat sich zur Aufgabe gemacht, die filmische DDR-Realität unter
besonderer Berücksichtigung des Überwachungsapparates und des Alltags zu untersuchen.
Es wurden die Aspekte ausgesondert, auf die bei der Filmanalyse Akzente gelegt wurden.
In dem zweiten Kapitel wurden erstens methodologischer Ansatz und aktueller
Forschungsstand auf dem Gebiet des Gedächtnisdiskurses präsentiert. Zweitens wurden die
ästhetischen
Besonderheiten
des
Films
als
eines
Konservierungsmediums
wie
Wirklichkeitsaffinität oder Modus der Präsenz dargestellt, demnächst wurden die technische
Schlüsselbegriffe präsentiert, die für filmische Analyseebenen notwendig sind.
In dem letzten analytischen Teil wurde das Sequenzprotokoll angefertigt und die
Charakteristik der Zentralfigur Gerd Wiesler mitsamt der Konstellation der anderen Figuren
und der Protagonisten des Films Das Leben der Anderen von Florian Henckel von
Donnersmark vorgenommen. Im Film wurden die gängigsten, klischeebehaftesten Bilder der
DDR porträtiert, wie beispielsweise der Stereotyp der linientreuen, überkorrekten Stasi
Arbeiter – Wiesler, der machttrunkene und allmächtige Minister Bruno Hempf oder der
karriereorientierte Anton Grubitz. Im Weiteren wurde die Fragestellung, ob es sich im Film
um eine Fiktion oder eine erlebte Geschichte handelte, beantwortet. Die Analyse hat
bewiesen, dass der Film die historische Realität teilweise ignoriert, aber dem Regisseur
gelang es sich dank filmästhetischer Mittel wie raffinierte Einstellungsgröße oder
Kameraperspektive, Kostümierung und Darsteller ein Bild zu zeichnen, das sehr nah an die
historischen Faktizitäten heranreicht. Der Film bringt den Rezipienten die Mechanismen des
kommunistischen Überwachungsapparates näher. Die Abhandlung hat zeigt, dass jeder in der
DDR Zeit ausspioniert werden konnte auch dann, wenn es keine Vermutung über seine
politisch subversiven Tätigkeiten existierte. Die Stasi Einbrüche in der Privatsphäre waren
keine Seltenheit und gehörten zum Alltag. Es wurde auch die Wahrheit von dem Leben der
berühmten und talentierten Leute, insbesondere Künstler dargestellt, dessen Begabung die
Partei zu eigenen Zwecken ausnützen wollte. Der Bruch mit bereits bekannten Stereotypen
und
Konventionen
–
Wiesler
innere
Wandlung
zum
mitfühlenden
und
entscheidungstreffenden guten Menschen – bietet eine Chance zur Revision des allgemeinen
ikonisierten Stasi- und DDR-Bildes in der heutigen Erinnerungswelt.
82
5 Literatur
Primärliteratur
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Filmografie:
Das Leben der Anderen
2006
Buch: Florian Henckel von Donnersmarck
Kamera: Hagen Bogdanski
Schnitt: Patricia Rommel
87
Produktion: Buena Vista International, Wiedemann & Berg
Darsteller: Martina Gedeck, Ulrich Mühe, Sebastian Koch, Ulrich Tukur
Länge: 132 Min.
Good Bye, Lenin!
2003
Regie: Wolfgang Becker
Buch: Bernd Lichtenberg
Kamera: Martin Kukula
Schnitt: Peter R. Adam
Produktion: Sony Pictures Releasing
Darsteller: Daniel Brühl, Katrin Saß, Maria Simon, Tschulpan Chamatowa, Florian Lukas,
Alexander Beyer
Länge: 121 Min.
The Untouchables (Deutscher Titel: The Untouchables – Die Unbestechlichen)
1987
Regie: Brian De Palma
Buch: David Mahmed
Kamera: Stephen H. Burum
Schnitt: Gerald B. Greenberg, Bill Pankow
Produktion: Paramont Pictures
Darsteller: Kevin Kostner, Sean Connery, Andy Garcia, Robert De Niro, Charles Martin
Smith
Länge: 119 Min.
Bronenossez Potjomkin (Deutscher Titel: Panzerkreuzer Potemkin)
1925
Regie: Siergij Eisenstein
Buch: Nina Agadschanowa
Kamera: Wladimir Popow, Eduard Tisse
Schnitt: Siergij Eisenstein
Produktion: UdSSR
Darsteller: Aleksander Antonow, Wladimir Barski, Grigori Alexandrow, Iwan Bobrow,
Michail Gomorow. Alexander Lewschin
Länge: 119 Min.
Schindlerʹs List (Deutscher Titel: Schindlers Liste)
1993
Regie: Steven Spilberg
Idee: Thomas Keneally
Buch: Stephan Zaillian
Kamera: Janusz Kamiński
Schnitt: Michale Kahn
Produktion: Amblin Entertainment [us], Universal Pictures [us]
Darsteller: Liam Neeson, Ben Kingsley, Ralp Fiennes, Caroline Godall, Jonathan Sagall
Länge: 195 Min.
88
Monika Zabawa
Filologia Germańska
Zielona Góra, dnia 27.10.2010
UNIWERSYTET ZIELONOGÓRSKI
W ZIELONEJ GÓRZE
OŚWIADCZENIE
Świadomy
magisterska
odpowiedzialności
karnej
oświadczam,
że
przedkładana
praca
Filmowa perspektywizacje rzeczywistości NRD-owskiej w filmie „Życie na podsłuchu” (2006)
Floriana Henckela von Donnersmarka
została napisana przeze mnie samodzielnie i nie była wcześniej podstawą żadnej innej
urzędowej procedury związanej z nadaniem dyplomu wyższej uczelni lub tytułów
zawodowych.
Jednocześnie oświadczam, że w/w praca nie narusza praw autorskich w rozumieniu
ustawy z dnia 4 lutego 1994 r. o prawie autorskim i prawach pokrewnych innych osób (DZ.
U. tj. z roku 2000 Nr 80 poz. 904) oraz dóbr osobistych chronionych prawem cywilnym.
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