Filmische Perspektivierungen der DDR - Wirklichkeit in „Das Leben der Anderen“ (2006) von Florian Henckel von Donnersmark Inhaltsverzeichnis Seite 1 Film als Gedächtnismedium – Zur Zielbestimmung…………………...…..4 2 Methodologischer Ansatz und Forschungsstand………………………….. 5 2.1 Gedächtnis und Erinnerungskulturen……………………………………………. 5 2.2 Film als Medium des kollektiven Gedächtnisses…...….……………...………… 7 2.3 Film in narrativer Perspektive……......………………………………………… 13 3 Filmische Perspektivierung…………………………...………….………… 15 3.1 Zur Handlungsanalyse des Films Das Leben der Anderen …………………….. 15 3.1.1 Sequenzplan zum Film Das Leben der Anderen.…………………………15 3.2 Figuren und Figurenkonstellation….….…….….……...…………….…………. 19 3.2.1 Figurenpaarung Christa-Maria Sieland – Georg Dreyman……………… 19 3.2.2 Figurenpaarung Minister Bruno Hempf – Oberstleutnant Anton Grubitz. 21 3.2.3 Figurales Denken, Fühlen und Handeln - Figur des Hauptmanns Gerd Wiesler…….………………………………………………………. 23 3.2.2 Motivierung……….………………….………………………………….. 26 3.2.5 DDR-Künstler und ihr soziales Umfeld………………………………… 28 3.3 Handlungsdramaturgie und Erzählhaltung…………………………………… 31 3.3.1 Handlungsführung – als ein wichtiges Element des Films…….…………31 3.3.2 Erzählhaltung…………………………………………………………… 33 3.4 Zeitlicher Situations- und Ereignisrahmen……........……………..………........ 35 3.5 Filmische Fokalisierung – Fazit.…....……….………………………………… 38 4 Didaktisierungsvorschläge…………………….…………………………… 39 4.1 Unterrichtsentwurf Nr. 1……....………………………………………………. 39 4.2 Unterrichtsentwurf Nr. 2……....………………………………………………. 42 5 Zusammenfassung…………………………………………………………. 51 3 6 Literatur….………………………………………………………………… 52 1 Film als Gedächtnismedium – Zur Zielbestimmung Die Idee zu dieser Diplomarbeit entstand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Reihe Film und Erinnerungskultur. Film ist doch eine eigenständige symbolische Form der Erinnerungskultur und stellt sogar eine spezifische Weise der Welterzeugung bzw. der Gedächtniserzeugung dar. Der Film ist aber auch eine Kunstform, die ihren Ausdruck sogar in unserem Gedächtnis findet. Film als Gedächtnismedium überschreitet Grenzen sowohl in technischer wie auch in hermeneutischer Hinsicht. Hermeneutische Figuren sind Figuren des Sinns und des sozialen Umgangs. Das können im Mittelalter Weiterungen der Gedächtnismodelle oder aber im Falle von Auschwitz Herausforderungen an die Memorierbarkeit sein. Wenn das Subjekt sich in einer äußersten Negativität hinein versetzt, steht in Frage, wie solche Negativität medial darstellbar ist. Technische Figuren der Überbietung betreffen primär innermediale Verbesserungen und Überbietungsverhältnisse der Gedächtniskultur.1 Die Wirkung von Film als Gedächtnismedium beruht auf Ähnlichkeiten und Differenzen zu kulturellen Gedächtnisprozessen. Filmische und gesamtkulturelle Prozesse der Welterzeugung weisen einige auffällige Ähnlichkeiten auf. Zu solchen Konvergenzpunkten sind etwa die Bildung prägnanter Erinnerungsfiguren und die Tendenz zur Sinnstiftung durch Narrativisierung und Gattungsmuster zu zählen. Beide – Film und Gedächtnis – bringen auf konstruktive Weise Wirklichkeits- und Vergangenheitsversion hervor 2 und aus diesem Grunde eignet sich der Film so hervorragend als Gedächtnismedium. 1 Sick, Franciska / Ochsner Beate: Medium und Gedächtnis. 1. Aufl. 12.2004 2 Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart / Weimar: J. B. Metzger 2005, S. 143 -144. 4 2 Methodologischer Ansatz und Forschungsstand 2.1 Gedächtnis und Erinnerungskulturen Der Begriff der Erinnerung und das Erinnern nehmen innerhalb der Kulturwissenschaften einen zentralen Platz ein. Sie erlauben somit einen inter- bzw. transdisziplinären Zugang. Das Vergangene wird in der Erinnerung in einer bestimmten Gestalt vergegenwärtigt. So entsteht also eine Beziehung zwischen dem Gegenwärtigen und dem Gewesenen. 3 Als Erinnerungskonstrukte gelten Vergangenheit und Geschichte. Sie hängen mit dem Bewusstsein eines Wandels zusammen, denn „jede Gegenwart setzt sich zu den unverrückbaren Erinnerungsfiguren und Wissensbeständen, auf die das kulturelle Gedächtnis fixiert ist, in aneignende, auseinandersetzende, bewahrende und verändernde Beziehung.“4 Es lässt sich dadurch leicht erahnen, dass das soziale Gedächtnis und die Formation des kulturellen Gedächtnisses als Prozesse zu verstehen sind, die Gesellschaft, Kultur und Identität nicht als „monolithische Größen“5 erscheinen lassen. Aus diesem Grunde muss gesagt werden, dass das Gedächtnis einer Gemeinschaft und einer Gesellschaft nicht nur in Gestalt von Objektivationen der Vergangenheit, sondern auch sehr differenziert – und somit anders als bei Assmann – in Gestalt von „Subjektivationen“6 erscheinen kann. Die Erinnerung beinhaltet außerdem auch die Geschichte, sie ist „das Organon der Geschichte.“7 Jörn Rüsen verweist aber in dem Zusammenhang von geschichtswissenschaftlichen Frosch- und Vogelperspektive, auf den Unterschied und den Zusammenhang zwischen Erinnerung und historischem Bewusstsein. Erst durch den Drang der Erinnerung nach außen und deren Transformation ins Geschichtsbewusstsein werden signifikante historische Bedeutungen in einer Vgl. Zimniak, Paweł: Niederschlesien als Erinnerungsraum nach 1945. Wrocław – Dresden 2007, S. 7-20. Vgl. Bauer, Heinz / Lottes, Günther / Martini, Wolfram: Erinnerungskulturen, a.a.O., S.14f. 5 Ebd., S.15. 6 Ebd., S.15. 7 Vgl. Folkers, Horst: Die gerettete Geschichte. Ein Hinweis auf Walter Benjamins Begriff der Erinnerung. In: Assmann, Aleida / Harth, Dietrich (Hg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt (M.) 1991, S.363-377 (hier S.363f.). 3 4 5 „beschweigungsfreien“ Geschichtskultur hergestellt.8 Das Geschichtsbewusstsein wird von einem geschichtsbewussten Menschen getragen, der individuell und kollektiv nicht nach dem Prinzip Zufall verfahren sollte.9 Die geschichtlichen Vorgänge, die das Schicksal von Millionen bestimmen und gefestigte Lebensordnungen durcheinander bringen, werden aber nicht nur von der Historie registriert. Der Umgang mit erfahrener Vergangenheit erfordert nämlich auch die Einbeziehung der Frage nach dem Vergessen und Verdrängen, also nach Formen der „negativen“ Erinnerung, denn das Gedächtnis hat einen prozesshaften Charakter, der von dauerndem Erinnern und Vergessen, sowie ständiger (Neu)Erzeugung von Vergangenheit bestimmt wird.10 Aleida Assmann meint z.B., dass traumatische Erinnerungen verschiedener (Opfer)Gruppen weder gegeneinander ausgespielt werden sollten, noch lassen sie sich ganz in eine abstrakte Geschichte auflösen. Durch das kritische Durchdenken der tabuisierten Zonen und den Umgang mit dissonanten Erinnerungen im öffentlichen Kommunikationsraum schafft Aleida Assmann eine andere historische Grundstimmung und Affektlage, es steuert also der Tendenz zur Engführung im kollektiven Gedächtnis entgegen, die „eine einzige Opfergruppe auf Kosten anderer privilegiert.“11 Durch die Text-Analysen wird also ein Erinnerungshorizont abgesteckt, der in die Relation zwischen historischen Wirklichkeiten und akzeptierbaren filmischen Möglichkeiten eingreift. Man muß den Bezug auf Fragestellungen des Sonderforschungsbereiches Erinnerungskulturen12 an der Justus – Liebig – Universität Gießen nehmen, um aktuelle Gedächtniskonzeptionen von Jan und Aleida Assmann, Peter Burke, Maurice Halbwachs, Aby Warburg und Pierre Nora sowie die Theorie des sozialen Feldes von Pierre Bourdieu zu berücksichtigen. Es entsteht die Frage, welche Gedächtnisaspekte bei der ausgewählten Forschergruppe besonders hervorgehoben werden und welche ein Schattendasein führen. Es wird zu bestimmen sein, wie sich die Gedächtnisinteressen und das Gedächtnisverhalten gestalten. Es wird weiterhin zu bestimmen sein, inwieweit individuelle Erfahrungen von dem sozialen Bezugsrahmen des kollektiven 8 Vgl. Rüsen, Jörn: Holocaust, Erinnerung, Identität. Drei Formen generationeller Praktiken des Erinnerns. In: Welzer, Harald (Hg.): Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung. Hamburg 2001, S.243-259 (hier S.243f.). 9 Vgl. Reulecke, Jürgen: Antimodernismus und Zivilisationskritik, a.a.O., S.13. 10 Vgl. Zimniak, Paweł: Niederschlesien als Erinnerungsraum nach 1945. Wrocław – Dresden 2007, S. 7-20. 11 Ebd., S.122. 12 Bauer, Heinz / Lottes, Günther / Martini, Wolfram: Erinnerungskulturen. Antrag auf Einrichtung eines Sonderforschungsberichts (1637). Forschungsphase 01.01.1997-31.12.1999. Justus – Liebig – Universität Gießen 1996, S.9-31. 6 Gedächtnisses geprägt werden und in die gesellschaftlichen Wahrnehmungsmuster im Sinne von Halbwachs eingebunden sind, denn „Gedächtnis und Erfahrung bleiben in der Gesellschaft als tatsächlicher Kommunikationsgemeinschaft eng aufeinander bezogen.“13 Mit der ausgewählten Forschergruppe verbindet sich deshalb die Frage nach der Kollektivierung von Gedächtnis. 2.2 Film als Medium des kollektiven Gedächtnisses Die filmische Welterzeugung und Bedeutungsstiftung ähnelt Prozessen des kollektiven Gedächtnisses. Der Film eignet sich also sehr gut als Gedächtnismedium. Jede theoretische Annahme über Inhalte oder Funktionsweisen des kollektiven Gedächtnisses ist selbst ein Konstrukt und hat mehr von einer wissenschaftlichen Erfindung als von einem Auffinden kultureller Gegebenheit.14 Die heutige Forschung zum kollektiven Gedächtnis besteht aus zwei Traditionsträgern, nämlich, es handelt sich hier um Maurice Halbwachs soziologische Studien zur memoire collective und Aby Warburgs kulturhistorische Beschäftigung mit einem europäischen Bildgedächtnis. Beide entstanden in den 1920er Jahren und waren die ersten, die das Phänomen „kollektives Gedächtnis“ ganz genau beschrieben haben. Doch erst in den 1980er Jahren findet das Gedächtnis-Thema in der kulturhistorischen Forschung wieder Interesse. Als das international einflussreiche Konzept haben sich Pierre Noras lieux de memoire erwiesen. Das wirkungsvollste und im internationalen Vergleich das am besten ausgearbeitete war ein Konzept, der von Aleida und Jan Assmann vorgelegt wurde. Schließlich hat der Giessener Sonderforschungsbereich 434 ein mehrdimensionales Modell für die kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung entworfen. Der französische Soziologe Maurice Halbwachs hat drei Schriften verfasst, in denen er seinen Begriff der memoire collective entwickelt und die heute eine zentrale Stellung bei der Beschäftigung mit dem kollektiven Gedächtnis einnehmen. Halbwachs Theorie verwickelte sich aber in Widersprüche. Angeregt von der Kritik, arbeitete Halbwachs über fünfzehn Jahre an der Schrift La memire collective (Das kollektive Gedächtnis). Zuvor veröffentlichte er aber noch ein anderes Buch, das an einem Fallbeispiel die Formen und Funktionsweisen des kollektiven Gedächtnisses aufzeigt, nämlich La Topographie legendaire des Evangiles en Terre Sainte 13 Bauer, Heinz / Lottes, Günther / Martini, Wolfram: Erinnerungskulturen, a.a.O., S.21. Vgl. Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart / Weimar: J. B. Metzger 2005, S. 13 -18. 14 7 (Stätten der Verkündigung im Heiligen Land) In La topographie legendaire wendet er eine Aufmerksamkeit stärke geformten kollektiven Gedächtnissen zu, deren Zeithorizonte über Tausende von Jahren hinwegreichen und die daher der Gegenstände und Gedächtnisorte zur Rahmenbildung bedürfen. Materiale Phänomene, wie Architektur, Pilgerwege oder Gräber, treten in den Vordergrund der Betrachtung. An dieser Stele überschreitet Halbwachs den Untersuchungsbereich der kollektiv konstruierten Wissen über eine ferne Vergangenheit und seiner Überlieferung durch Traditionsbildung. In der Nachkriegszeit gerieten Halbwachs´ Schriften in Vergessenheit. Heute kommt allerdings kein theoretischer Entwurf des kollektiven Gedächtnisses ohne einen Rekurs auf den Soziologen aus. Drei Untersuchungsbereiche können in Halbwachs´ Studien zur memoire collective unterscheiden werden, die in drei maßgebliche Richtungen der Forschung zum kollektiven Gedächtnis weisen: - erstens Halbwachs Theorie zur sozialen Bedingtheit individueller Erinnerung, - zweitens seine Untersuchungen zu Formen und Funktion des zwischen den Generationen gebildeten Gedächtnisses und - drittens seine Ausweitung des Begriffs memoire collective auf den Bereich kultureller Überlieferung und Traditionsbildung, auf das, was heute mit der Terminologie Aleida und Jan Assmanns als ‚kulturelles Gedächtnis‘ bezeichnet wird. 15 Damit vereint Halbwachs zwei grundlegende Konzepte von kollektivem Gedächtnis: - kollektives Gedächtnis als organisches Gedächtnis des Individuums, das sich im Horizont eines soziokulturellen Umfelds herausbildet. - kollektives Gedächtnis als der durch Interaktion, Kommunikation, Medien und Institutionen innerhalb von sozialen Gruppen und Kulturgemeinschaften erfolgende Bezug auf Vergangenes. 15 16 Ebd.,S. 14. Ebd.,S.14. 16 8 Der zweite bedeutende Entwurf einer Konzeption des kollektiven Gedächtnisses von Aby Warburg sind die Pathosformeln und europäisches Bildgedächtnis. Das Symbol Pathos (als heidnische emotionale Intensität) ist eine kulturelle Energiekonserve. Kultur beruht auf dem Gedächtnis der Symbole. Warburg entwarf auf diese Weise ein Konzept des kollektiven Bildgedächtnisses, das er u.a. auch als soziales Gedächtnis bezeichnete.17 Für Warburg sind mit dem sozialen Gedächtnis zutiefst moralische Fragen verbunden, denn das antike Pathos ist eine Erinnerung, der der Künstler erliegen, die er aber auch beherrschen kann. Warburg betont auch die für jede Zeit und jeden Ort typischen Veränderungen und Aktualisierungen des sozialen Gedächtnisses. Wie zentral der Gedächtnisbegriff in Warburgs Denken wurde, zeigt sein letztes Ausstellungsprojekt, unter den Titel „Mnemosyne”. Es handelt sich um einen Atlas, der ein Epochen- und länderüberschreitendes Bildgedächtnis veranschaulichen sollte. Die Tatsache, dass Warburg für seinen Gedächtnisbegriff neben dm Ausdruck soziales Gedächtnis auch den des europäischen kollektiv Gedächtnisses verwendet, bedeutet eine enorme Ausweiterung der Trägerschaft. Warburg nimmt als zentrales Medium des kollektiven Gedächtnisses nicht die mündliche Rede, sondern das Kunstwerk an. Warburgs Gedächtnisbegriff bringt uns also dazu, den historsch variablen und gruppen- oder nationenspezifischen Ausprägungen kultureller Erinnerung zu tragen und zugleich deren Einbettung in die Erinnerungsgemeinschaft nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Theoriebildung zum kollektiven Gedächtnis von Halbwachs und Warburg fand zur Zeit ihrer Entstehung nur wenig Gehör. Erst in den 1980er Jahren wurden die Untersuchungen zum Gedächtnis als kollektiv bedingtes oder Kultur konstituierendes und kontinuirendes Phänomen wieder aufgenommen. Eines der einflussreichsten Konzepte, nämlich lieux de memoire, wurde von Pierre Noras entwickelt. Nora betont in seinem Aufsatz „Zwischen Geschichte und Gedächtnis”, dass sowohl Gedächtnis als auch Geschichte keineswegs Synonyme sind, sondern in jeder Hinsicht Gegensätze. Nora wiederholt auch, dass man nur deshalb so viel vom Gedächtnis spricht, weil es keines mehr gibt. Zum Gegenstand seiner Reflexion werden deshalb Erinnerungsorte. Sie evozieren die Erinnerungsbilder der französischen Nation. Sie können geographische Orte, Gebäude, Denkmäler und Kunstwerke ebenso umfassen wie historische Persönlichkeiten, Gedenktage, philosophische und wissenschaftliche Texte oder symbolische 17 Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart / Weimar: J. B. Metzger 2005, S. 19 -20. 9 Handlungen. So zählen Paris, Versailles oder der Eifelturm als Erinnerungsorte, aber auch Jeanne D’Arc oder die französische Flagge. Ganz im Gegenteil zu Halbwachs erklärt Nora „Es gibt lieux de memoire, Weil es keine milieux de memoire mehr gibt“ 18. Nora wollte damit sagen, dass die heutige Gesellschaft sich in einem Übergangsstadium befindet, in dem die Verbindung zur lebendigen, gruppen- und nationenspezifischen, identitätsbildenden Vergangenheit abreißt. Deswegen auch funktionieren Erinnerungsorte als eine Art künstlicher Platzhalter für das nicht mehr natürliche kollektive Gedächtnis. Nora stellte auch die Elemente der französischen Kultur dar, die zwar für Aspekte einer gemeinsamen Vergangenheit stehen, in ihrer Vielfalt aber kein verbindliches Gesamtbild der Erinnerung ergeben. Erinnerungsorte dagegen sind daher Zeichen, die nicht nur auf zu erinnernde Aspekte der französischen Vergangenheit, sondern zugleich immer auch auf das abwesende lebendige Gedächtnis verweisen. Nora legte auch die Voraussetzungen dar, die ein Ereignis oder Gegenstand erfüllen muss, um als Erinnerungsort bezeichnet zu werden. Er nennt die Dimensionen der Erinnerungsorte, nämlich: eine materielle, eine funktionale und eine symbolische. Die letzt genannten Merkmale, symbolische Dimension und Intentionalität, unterscheiden Erinnerungsorte von andern kulturellen Objektivationen: Am Anfang muß es einen Willen geben, etwas im Gedächtnis festzuhalten. Gäbe man das Prinzip dieser Vorgängigkeit auf, würde man schnell von einer enggefaßten Definition […] zu einer möglichen, aber unscharfen Definition abgeleiten, die theoretisch jedes einer Erinnerung würdige Objekt einschlösse19. Diese recht klare Definition der Erinnerungsorte stellt für viele Kritiker die Frage, was denn alles zum Erinnerungsort werden kann. Die Antwort lautet – alle kulturellen Phänomene, die auf kollektiver Ebene bewusst oder unbewusst in Zusammenhang mit Vergangenheit oder nationaler Identität gebracht werden. Problematisch ist aber Noras Trennung von Geschichte und Gedächtnis. Noras Lieux de memoire sind hier das prominenteste Beispiel für eine erinnerungshistorisch ausgerichtete Geschichtsschreibung. Kaum wunderlich also, dass Noras Projekt auch in anderen Ländern Anklang fand z.B. In Deutschland, wo das Projekt Deutsche Erinnerungsorte von Hagen Schulze und Etienne Francois initiiert wurde. Weitere Nationen und Regionen werden auch nach dem Vorbild von Noras Lieux de memoire erinnerungshistorisch in den Blick genommen. 18 19 Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Frankfurt a.M./ Fischer 1998 (1990). Ebd., S. 32. 10 Weitere Schneisen in das Dickicht der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung geschlagen haben Aleida und Jan Assmann. Zentrales Verdienst der Theorie des kulturellen Gedächtnisses ist es, die Verbindung von Kultur und Gedächtnis systematisch, begrifflich, differenziert und theoretisch fundiert aufgezeigt zu haben. Sehr wichtig sind hier drei Hauptbegriffe, die die Assmann´sche Theorie Phänomene beschreibbar machen, nämlich der Zusammenhang von kultureller Erinnerung, kollektiver Identitätsbildung und politischer Legitimierung. Damit schafft die Theorie des kulturellen Gedächtnisses die Voraussetzungen für eine Zusammenschau bislang getrennten Felder, wie – Geschichtswissenschaft, Religionswissenschaft oder Literaturwissenschaft durch ein gemeinsames Erkenntnisinteresse. Jan und Aleida Assmann unterscheiden zwischen zwei „Gedächtnis-Rahmen“, dem „kommunikativen Gedächtnis“ einerseits und dem „kulturellen Gedächtnis“ anderseits. Jan Assmann stellt Merkmale des kommunikativen Gedächtnisses und des kulturellen Gedächtnisses gegenüber, um zu zeigen, dass sich Inhalte, Formen, Medien, Zeitstruktur und Träger dieser beiden Gedächtnis-Rahmen grundsätzlich unterscheiden.20 Er prägte auch den Begriff „kulturelles Gedächtnis” und definiert ihn wie folgt: Unter dem Begriff kulturelles Gedächtnis fassen wir den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Widergebrauchs - Texten, -Bilder und – Riten zusammen, in deren Pflege sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Einheit und Eigenart stützt.21 Was der Begriff „kulturelles Gedächtnis“ ausmacht, ist ein Bündel zentraler Merkmale wie: Identitätskonkretheit, Rekonstruktivität, Geformtheit, Organisiertheit, Verbindlichkeit und Reflexivität. Die zentralen Medien des kulturellen Gedächtnisses sind Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Sie sind funktionsäquivalent. Allerdings wirkt sich die Einführung der Schrift auf die Formen der Vergegenwärtigung kultureller Vergangenheit aus. In diesem Zusammenhang spricht Jan Assmann von der rituellen Kohärenz oraler Kulturen und der textuellen Kohärenz skriptualer Kulturen, die auf der Auslagerung kulturellen Sinns in das Medium Schrift beruht. Orale Kulturen sind eher auf die genaue Wiederholung ihrer Mythen, auf Repetition, angewiesen. 20 Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: Beck 1992, S. 56. 21 Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Assmann/Hölscher Beck 1988, S. 9-19. 11 Aleida Assmann stellt dagegen eine grundlegende Unterscheidung voran, nämlich Gedächtnis als ars einerseits und als vis anderseits. Die Vorstellung von Gedächtnis als ars geht auf das toplogisch geprägte Modell der antiken Mnemotechnik zurück und erscheint als Wissensspeicher, in den Informationen eingelagert und in der gleichen Form wieder abgerufen werden könne. Mit der Vorstellung von Gedächtnis als vis wird hingegen die Dimension der Zeit und ihre transformierende Wirkung auf die Gedächtnisinhalte akzentuiert. Aleida Assmann macht diese beiden Vorstellungstraditionen zur Grundlage einer Kulturpolitik. Sie trifft aber auch eine weitere Unterscheidung, die zwischen Funktions- und Speichergedächtnis verläuft. Funktionsgedächtnis nennt Assmann das „bewohnte Gedächtnis”. Das Speichergedächtnis hingegen ist das „unbewohnte Gedächtnis“, eine „amorphe Masse” ungebundener, „bedeutungsneutraler Elemente“, die keinen „vitalen Bezug“ zur Gegenwart aufweisen. Die Beziehung zwischen diesen beiden Modi der Erinnerung bezeichnet Aleida Assmann als perspektivistische. Entscheidend ist aber nicht nur Inhalt der beiden Gedächtnisebenen, sondern auch der Grad der Durchlässigkeit zwischen ihnen, der die Möglichkeit von Veränderung und Erneuerung bestimmt. Durch die Unterscheidung zwischen einem Speicher- und einem Funktionsbereich werden Wandlungsmöglichkeiten und Prozesse des kulturellen Gedächtnisses erklärbar. Im Blickfeld geraten also nicht nur die zentralen Widergebrauchs-Texte, -Bilder und Riten, sondern auch Dokumente, die im Archiv lagern, längst vergessene Kunstwerke oder kaum beachtete Bauwerke. Das kulturelle Gedächtnis besteht also im Gegensatz zur Tradition sowohl im „Modus der Potentialität als Archiv, als Totalhorizont“ als auch im „Modus der Aktualität“.22 Im Anhang zum Assmann`schen Modell des kulturellen Gedächtnisses wurde im Jahr 1997 an der Justus-Liebig-Universität Gießen der Sonderforschungsbereich (SFB) 434 „Erinnerungskulturen“ gegründet. Ziel des SFB Erinnerungskulturen ist eine konsequente Historisierung der Kategorie der historischen Erinnerung. In den Vordergrund wurde vor allem die Pluralität der kulturellen Erinnerung gestellt. Man merkt also erstens die Privilegierung des Erinnerungs-Begriffs vor dem Gedächtnis-Begriff und zweitens die Verwendung des Plurals – Erinnerungskulturen – also die Vielfalt und historisch-kulturelle Variabilität Erinnerungspraktiken und -konzepten: Der Begriff [Erinnerungskulturen] verweist auf die Pluralität von Vergangenheitsbezüge, die sich nicht nur diachron In unterschiedlichen 22 Ebd., S.13. von 12 Ausgestaltungen des kulturellen Gedächtnisses manifestiert, sonder auch synchron in verschiedenartigen Modi der Konstitution der Erinnerung, die komplementäre ebenso wie konkurrierend, universale wie partikulare, auf Interaktion wie auf Distanz- und Speichermedien beruhende Entwürfe beinhalten können (Sandl 2005). 23 Im Rahmen des SFB „Erinnerungskulturen” wurde ein Modell zur Beschreibung von kulturellen Erinnerungsprozessen entworfen. Auf einer ersten Ebene werden Rahmenbedingungen des Erinnerns untersucht, die durch vier Faktoren bestimmt sind, nämlich durch die Gesellschaftsformation, ihre Wissensordnung, ihr Zeitbewusstsein und ihre Herausforderungslage. Auf einer zweiten Ebene geht es um die Ausformung spezifischer Erinnerungskulturen, wie Erinnerungshoheit, Erinnerungsinteressen, Erinnerungstechniken oder Erinnerungsgattungen. Inszenierungsweisen Die des dritte Ebene beleuchtet vergangenheitsbezogenen die Sinns, Äußerungsformen bzw. das und konkrete Erinnerungsgeschehen. Auf dieser Ebene sind Gedächtnis du Erinnerung voneinander abzugrenzen. Der Typus der Erinnerungsarbeit reicht dabei nur von wissenschaftlich-diskursiven bis zu rein imaginativ-fiktiven Strategien. Zentral ist aber auch einen Unterscheidung zwischen erfahrener und nicht erfahrener Vergangenheit und das letzte wichtige Thema also die Rezeptionsgeschichte der Objektivationen, d.h. der Gegenstände und Medien des kulturellen Gedächtnisses. Die Forschung und Publikationen des SFB „Erinnerungskulturen“ konzentrieren sich stark auf die zweite Ebene des Modells und stellen damit einen wichtigen Beitrag zu einer kulturhistorischen Gedächtnisforschung dar. Untersucht werden sowohl religiöse Erinnerungsstrukturen als auch Krieg und Erinnerung im 19. und 20 Jahrhundert sowie russische und islamische Erinnerungskulturen der Gegenwart. Schließlich haben die Mitarbeiter des SFB einen Beitrag zur Gedächtnisforschung Ausarbeitung geleistet. zentraler Dazu gehören Konzepte die der kulturwissenschaftlichen Erfahrungs- und Zeitgeschichte, Generationalität, Bildverbot und Repräsentationskritik nach der Schoah, die Medialität des kollektiven Gedächtnisses sowie die Gedächtniskonzepte der Filmwissenschaft. 2.3 Film in narrativer Perspektive 23 Erstantrag des Sonderforschungsbereichs 434 >Erinnerungskulturen<. Gießen 1996, S. 16. 13 Jede Erinnerung ist mit einem schöpferischen, konstruktiven Prozess verbunden. Es genügt aber nicht, isolierte Daten aus vergangener Erfahrung herauszugreifen, man muss sie nämlich wirklich erinnern, neu zusammenstellen, organisieren und synthetisieren. Das Ausgewählte wird weiter bearbeitet, um zum Gegenstand von Erinnerung zu werden. Solche Bearbeitungsvorgänge findet man vor allem im Film. Dabei handelt es sich unter anderem um die Narration. Kollektives Gedächtnis beruht auf narrativen Prozessen. Genauer gesagt, jede bewusste Vergegenwärtigung vergangener und relevanter Erfahrung geht mit Strategien einher, die für die Gemeinschaft von zentraler Bedeutung sind. In der strukturalistischen Narratologie wird bei der Analyse von Erzähltexten grundlegend zwischen dem paradigmatischen Aspekt der Selektion von Erzählgegenständen und dem syntagmatischen Aspekt ihrer Kombination unterschieden. Eine solche Differenzierung erweist sich auch bei der Betrachtung kultureller Erinnerungspraxis als nützlich. Kollektives Gedächtnis kann nur eine begrenzte Anzahl von Informationen aufnehmen. Aus der Fülle von Eindrücken, Daten oder Fakten müssen daher zunächst einige wenige, zu erinnernde Elemente ausgewählt werden. Auf diese Weise wird schon das Bedeutsame vom Unbedeutenden unterschieden. Auch Gedächtnis beruht also auf Aleida Assmann versteht die Funktionsweise des kulturellen Funktionsgedächtnisses als Selektionsprozessen. Analogie zu narrativen Prozessen bei der individuellen Erinnerung. Bei dem kollektiv Erinnerten haben wir es mit bedeutungsgeladenen, „in der Konfiguration der story gebundenen Elementen“24 zu tun. Die story des kulturellen Gedächtnisses beruht „auf dem Prozeß der Auswahl, der Verknüpfung, der Sinnkonstitution.“25 Jan Assmann betont ebenfalls die enge Verbindung vom Erzählen und kulturellem Gedächtnis. Er resümiert diese Aussage folgendermaßen: „Verinnerlichte Vergangenheit findet ihre Form in der Erzählung.“26 Die typische Narration des kulturellen Gedächtnisses bezeichnet er als Mythen. Narrative Strukturen gehören zu jeder Erinnerungskultur. Nach der Position von Jörn Rüsen ist Sinnbildung über Zeiterfahrung, die Funktion der Erzählung. Erst die Narrativisierung von historischem Geschehen ermöglicht deren Deutung. Sowohl an Erinnerungsorten als auch um Erinnerungsfiguren ranken sich üblicherweise Erzählungen. Die Welt der Kollektivgedächtnisse 24 Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis .Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: Beck 1992, S. 135. 25 Ebd., S.137. 26 Ebd., S.75. 14 ist eine Welt der Narrative, in deren Rahmen die Vergangenheit schon in sinnhafte Strukturen überführt worden ist. Das bedeutet aber nicht, dass sie eine Welt der Fiktion ist. Die narrative Welt ähnelt also Prozessen des kollektiven Gedächtnisses. Aus diesem Grund eignet sich ein Film sowohl als Gedächtnis- als auch als „Narrativemedium”. 3 Filmische Perspektivierung 3.1 Zur Handlungsanalyse des Films Das Leben der Anderen Für die Handlungsanalyse muss sich der Blick auf die Hauptkonstituenten eines Films richten, die allerdings nicht filmspezifischer Art sind, sondern schon aus der Analyse verschiedener literarischer Gattungen bekannt sind. Die wichtigsten Konstituenten sind: Stoff, Thema, Genre, Fabel/Mythos, Figuren (Motivation, Konflikt, Konstellation), Handlungsführung, Erzählhaltung.27 Als Ausgangspunkt wird hier also die Analyse der Figuren und auch die Figurenkonstellation sein, die eine besondere Bedeutung für die Rezeptionssteuerung eines Films haben. Ein sehr wichtiges Element des Films ist auch die Handlungsführung. Es entsteht jedoch die Frage, ob der Film gleichzeitig episch ist, was auch zu bestimmen sein wird. Es wird weiterhin der Stoff des Films festzustellen sein. Mit Stoff ist hier das noch nicht endgültige geformte und bearbeitete Rohmaterial gemeint, also der Stoff deutscher DDR-Geschichte. Thema ist die begriffliche Abstraktion der Handlung. Der Kino-Film Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck beinhaltet zwei wichtige Themen, nämlich das Leben unter strenger Aufsicht der Staatssicherheit und das Leben des guten Manschen. Die Ereignisse spielen sich in 25 Sequenzen ab. Die Erzählzeit beträgt 137 Minuten, die erzählte Zeit – ungefähr neun Jahre. 3.1.1 Sequenzplan zum Film Das Leben der Anderen 27 Vgl. Kuchenbuch, Thomas: Filmanalyse. 1978, S.131 ff. In: Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Frankfurt am Main 1993, S. 58. 15 Nr. Sequenzbeschreibung 1 Vorspann. Einblendungen: Berlin – Hohenschönhausen, November 1984 (fünf Jahre vor dem Mauerfall). Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit. Stasi Hauptmann Gerd Wiesler verhört den Verdächtigen. Wiesler steigert den Druck auf den Verdächtigen so lange, bis der, geschwächt durch Schlafentzug und andere, bösartige Verhörtechniken, schließlich gesteht. 2 Das gnadenlose aber ungeheuer effiziente Verhör wird von ihm auf der StasiHochschule in Potsdam – Eiche, als Lehrbeispiele vorgeführt. 3 Premiere des neuen Theaterstücks „Gesichter der Liebe“ von Dreyman. Früherer Studienfreund Oberstleutnant Anton Grubitz nimmt Wiesler mit zur Premiere des linientreuen Dramatikers Georg Dreyman. Minister Bruno Hempf ist auch anwesend, der aber nur Augen für attraktive Hauptdarstellerin Christa-Maria Sieland hat, die Freundin von Dreyman. 4 Premierenfeier. Dreyman bittet Minister Hempf, das Berufsverbot für seinen Freund doch nun endlich wieder aufzuheben. Hempf bestreitet, dass es ein solches überhaupt gibt in der DDR und äußert listig Grubitz gegenüber, ob der erfolgreiche Stückeschreiber wirklich so linientreu ist, wie er sich immer gibt und dass wohl nur eine gezielte Überwachung Klarheit darüber geben könnte. Grubitz beauftragt natürlich seinen Überwachungs-Star Wiesler mit dem "operativen Vorgang". 5 Als Dreyman am nächsten Tag das Haus verlässt, verwanzt Wiesler mit Kollegen die Wohnung des Künstlerpaars. Die Nachbarin verfolgt das Geschehen (subjektive Kamera). Wiesler droht ihr. 6 Die Abhörzentrale auf dem Dachboden des Mietshauses. Wiesler (der Deckname HGW XX/7) beginnt den operativen Vorgang. Das Abhören teilen sich Wiesler und der Kollege Udo. Dreyman feiert mit vielen Künstlern und seiner Freundin seinen vierzigsten Geburtstag. Dabei fällt der bekannte Autor und Dissident Paul Hauser aus der Rolle und beschimpft Dreyman als "jämmerlichen Idealisten", der endlich Farbe bekennen solle. Auch Albert Jerska ist gekommen, und schenkt Dreyman die Partitur "Sonate vom guten Menschen". Nachdem die Gäste gegen Morgen gegangen sind, packen Dreyman und seine Freundin Christa-Maria die Geschenke aus. Danach vermutlich Geschlechtsverkehr, notiert ganz zum Schluß Wiesler (Parallelmontage). 7 Stasikantine im MfS. Wiesler erfährt, dass Minister Hempf schon seit längerer Zeit ein Verhältnis mit Dreymans Freundin Christa-Maria Sieland hat. Grubitz weist Wiesler an, keine Informationen über den Minister zu sammeln.Unterleutnant Stiegler erzählt einen Honecker-Witz. Grubitz droht ihm, gibt aber selbst einen ähnlichen Witz zum Besten. 16 8 Dreyman schreibt. – Wiesler skizziert Dreymans Wohnung auf dem Dachboden (Parallelmontage). – Christa-Maria fährt in Hempfs Wagen vor. Wiesler entschließt sich spontan bei Dreyman zu klingeln, um ihm die Gelegenheit zu geben, seine untreue Freundin in flagranti zu erwischen. Dreyman sieht sie zwar aussteigen, sagt aber nichts. Die Schauspielerin bricht weinend im Bad zusammen. Dreyman spielt Klavier (Musik und Realmusik). Christa-Maria schluckt Tabletten. – Im Bett umarmt Dreyman sie schweigend. – Wiesler nimmt die gleiche Körperhaltung wie Dreyman ein. 9 Wieslers Zuhause. Er nimmt die Dienste einer Prostituierten in Anspruch. Heimlich dringt bei Dreyman ein und "leiht" sich ein Buch aus. So liest Wiesler zum vermutlich ersten Mal in seinem Leben Berthold Brecht ( Voice Over: Dreyman, Musik). 10 Dreyman bekommt einen Anruf, dass sein Freund Albert Jerska Selbstmord begangen hat. Er fängt an Klavier zu spielen, nämlich die Partitur „Sonate vom guten Menschen”, die er von Jerska als Geburtstagsgeschenk bekommen hat. Wiesler hört in seiner Abhörzentrale neugierig zu (Kamera Halbkreis). 11 Dreyman bittet seine Freundin, Hempf nicht zu treffen. Er gesteht sie, dass er davon weiß und bittet sie, die Sache zu beenden. Sie verlässt das Haus. 12 Restaurant. Wiesler versucht Christa-Maria zu verstehen zu geben, dass sie aus der Beziehung zu Hempf herauskommen soll. Er stellt sich aber nicht vor und verrät auch nicht, dass das Haus verwanzt ist. Sie antwortet, dass er ein guter Mensch sei (Schlagermusik). 13 Wiesler ließt das Protokoll seines Mitarbeiters vor (Voice Over): OV „Lazlo“, Reg.-Nr. IV/1538/84 23.08 Uhr Bei meiner Übernahme streiten „Lazlo“ (Georg Dreyman) und CMS (ChristaMaria Sieland) darüber, ob CMS zu dem Treffen mit der Klassenkameradin (?) gehen soll. Schließlich geht sie. „Lazlo“ scheint hierüber unglücklich. 23.32 Uhr Nach etwa 20 Minuten kehrt CMS aber schon zu „Lazlo“ zurück, zu seiner und meiner Überraschung. Er scheint hierüber sehr glücklich. Heftige Intimitäten folgen. Sie sagt, sie wird jetzt nie mehr weg gehen. Er sagt „Jetzt werde ich die Kraft haben jetzt werde ich etwas tun“. Hiermit ist vermutlich gemeint, dass er ein neues Theaterstück schreiben wird. Der Rest der Nacht verläuft friedlich. 14 Sowjetisches Ehrenmal Pankow. Dreyman trifft sich heimlich mit Hauser und erzählt ihm, dass er einen Artikel über die erschreckend hohe Selbstmordrate in der DDR, die von den Machthabern totgeschwiegen wird, schreiben will. Und 17 zwar für eine westliche Zeitschrift. 15 16 Telefongespräch zwischen Dreyman und Hauser. Um sicher zu sein, dass Dreyman Wohnung nicht abgehört wird, täuschen Hauser und Dreyman per Telefongespräch vor, dass Hauser, unter der Rückbank eines Westautos versteckt, Republikflucht begehen will. Wiesler will diesen Vorgang sofort melden. Doch dann zögert er, und hängt wieder ein. Das Auto passiert unbehelligt die Zonengrenze, und Hauser und Dreyman sind davon überzeugt, nicht verwanzt zu sein (Abblende). Dreymans Wohnung.. Dreyman trifft sich mit dem Spiegel-Korrespondenten Gregor Hessenstein. Unter einer Torte versteckt bringt der Spiegel-Redakteur eine neue kleine Schreibmaschine für Dreyman mit, weil jeder weiß, dass die Stasi Schriftbilder der Schreibmaschinen von allen einigermaßen "interessanten" Leuten hat, also auch von ihm. Dreyman hält alles streng geheim, nicht einmal Christa-Maria erfährt etwas davon. 17 Stasi-Hauptgebäude in Berlin Lichtenberg. Wiesler bittet Grubitz darum, die Überwachung alleine durchzuführen. Voller misstrauen zieht Grubitz Udo ab. 18 Wiesler fälscht das Protokoll. 17:00 Uhr „Lazlo“ liest Hauser und Wallner den ersten Akt des Jubiläumsstücks vor. Dreyman kann also unbehelligt seinen Artikel schreiben und veröffentlichen. Er versteckt die Maschine in einem Hohlraum unter einer losen Bodendiele. Christa-Maria beobachtet ihn dabei, sie sagt aber nichts (Parallelmontage, Musik). 19 20 21 Ein Mitarbeiter des Ministers sieht die Schauspielerin aus einer Zahnpraxis kommen. Sie wird verhaftet und durch Wiesler verhört. Sie gesteht, dass Dreyman den Artikel geschrieben hat, und dass die Schreibmaschine unter der Bodendiele versteckt ist. Grubitz ordnet eine Durchsuchung von Dreymans Wohnung an, doch die Maschine ist weg. Jemand anderer war schneller. Hufelandstraße am Prenzlauer Berg. Christa-Maria ist zufällig von einem Auto angefahren worden. Sie stirbt. Ende des UV „Lazlo” HGV XX/7 15.15 Uhr. Zwischennotiz wichtig: Beförderungssperre von HGW. Pflichtversetzung in die Abteilung „M“, verbunden mit der Empfehlung ihm nicht mehr zu vertrauen. 18 22 Insert: 4 Jahre und 7 Monate später. Wiesler, strafversetzt, dampft Briefe auf. Per Radio erfährt der ebenfalls strafversetzte Stiegler von der Öffnung der Berliner Mauer. Wiesler verlässt den Raum. 23 Insert: 2 Jahre später. Das Theaterstück von Dreyman. Hempf bestätigt Dreyman, dass er komplett überwacht und komplett verwanzt wurde. Zuhause findet Dreyman die Abhörvorrichtungen. 24 Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstrasse in Berlin. Dreyman gewährt Einblick in seine Akten (Übersichtsbogen zur operativen Personenkontrolle). Er erfährt auch wer HGW XX/7 war und wie er jetzt weiter lebt (Voice Over). 25 Insert: 2 Jahre später. Karl Marx Buchhandlung. Wiesler geht vorbei. Er merkt aber zufällig im Schaufenster das neue Buch von Georg Dreyman. Der Titel des Buches lautet „Die Sonate vom Guten Menschen”. Wiesler geht hinein und ließt die erste Seite vor: HGW XX/7 gewidmet, in großer Dankbarkeit (Standbild). Er kauft das Buch. Die Frage des Verkäufers, ob das Buch als Geschenk verpackt werden soll, beantwortet er mit: Nein. Das ist für mich. Abspann, Angaben zu Produktion und Besetzung auf schwarzem Hintergrund. 3.2 Figuren und Figurenkonstellation Der Film Das Leben der Anderen sollte ursprünglich Die Sonate vom Guten Menschen heißen, wie das Musikstück, dass im Film vorkommt, denn sein eigentliches Thema ist nicht, wie es jetzt immer heißt, die DDR, oder die Stasi, sondern die Frage, was es heißt, gut zu sein. Florian Henckel von Donnersmarck hat in Das Leben der Anderen ein Manöver gewagt, nämlich zwei Figurenpaarungen konzipiert zu haben. So sind im Film die Figurenpaarungen ChristaMaria Sieland – Georg Dreyman und Minister Bruno Hempf – Oberstleutnant Anton Grubitz hervorzuheben. Das erste Figurenpaar entsteht, um Wiesler bei der Verwandlung und Aufweichung seiner Figur zu helfen. Das zweite Figurenpaar entsteht dagegen, um Wiesler ständig zu erinnern, dass man die Bürger im Namen der Staatsicherheit systematisch einschüchtern, drangsalieren und unterdrücken muss, um die völlige Hingebung an den Staat zu erreichen. 3.2.1 Figurenpaarung Christa-Maria Sieland – Georg Dreyman Der Dramatiker Georg Dreyman, der eigentlich sehr linientreu, aber auch ein sehr liberal und frei denkender Künstler ist, steht in der Beziehung mit der attraktiven Hauptdarstellerin Christa- 19 Maria Sieland, für die der Beruf wichtiger ist, als alles andere auf der Welt, wichtiger sogar als ihr Geliebter. Was Dreyman nicht weiß, ist die Tatsache, dass Christa-Maria tablettensüchtig ist. Sie ist sehr labil. Vor allem hat sie sich auf ein Verhältnis mit dem DDR-Kulturminister eingelassen, der seine Macht schamlos ausnutzt und sie erpresst. Auch Dreymanns Überwachung geht auf den zurück, er will etwas finden, notfalls konstruieren, um den Nebenbuhler auszuschalten. Das ist das Kuriose an diesem Film. Die Überwachung, von der er erzählt, und mit dem er die wahre Natur des Überwachungsstaats bloßlegen will, ist gar keine politische, sondern rein persönlich durch Eifersucht motiviert. Und erst, als Dreymann von den heimlichen Treffen seiner Freundin und Albert Jerska Selbstmord erfährt, fasst er den Mut, heimlich einen regimekritischen Text zu schreiben. Auch hier also Eifersucht, Liebe, Ärger, nicht in erster Linie politisches Engagement. Das wird insbesondere dadurch betont, wie er nach Erhalt der Todesnachricht die Sonate vom Guten Menschen, eine Klavier-Etüde, spielt, deren Partitur ihm Jerska auf der Geburtstagsfeier geschenkt hatte. Dreyman gehen allmählich die Augen auf. Er ändert seine Einstellung zur Staatsführung. Die Wandlung des etwas naiv-linientreuen Dramatiker zum Abweichler ist mehr als überzeugend. Die Publikation des Textes über die erschreckend hohe Selbstmordrate in der DDR, die von den Machthabern totgeschwiegen wird, setzt die ganze Härte der Stasi ein. Doch auch hier überrascht es eher, dass die Diktatur immer noch Beweise für das will, was sie doch längst weiß. Zumindest den Anschein der Rechtsstaatlichkeit wollte die Diktatur also wahren. Aber warum eigentlich? Trotzdem endet alles nicht gut; es kommt zum Verrat aller an allen, mit folgerichtig tragischem Ausgang.(Sequenz Nr.21) Fast alle Menschen werden in diesem Film, auch die niederen Chargen der Stasi, in erster Linie (Stasi-)Opfer. (Stasi-)Täter im tieferen Sinn ist nur der Minister und Wieslers Führungsoffizier. Dabei bestand das Geheimnis des langen Bestehens der DDR, wie auch anderer Diktaturen, doch wohl eher darin, dass es viele, auch "kleine" Täter gab, das fast jeder auch zum Täter wurde. Somit entsteht das zweite Figurenpaar, nämlich Minister Bruno Hempf – Oberstleutnant Anton Grubitz. 20 Abb.1 Christa-Maria Sieland und Georg Dreyman gemeinsam. Abb.2 Premierenfeier. 21 Abb.3 Das Theaterstück Gesichter der Liebe von Dreyman. Christa-Maria Sieland als Hauptdarstellerin. 3.2.2 Figurenpaarung Minister Bruno Hempf – Oberstleutnant Anton Grubitz Bruno Hempf ist ein DDR-Minister, der seine Machtposition schamlos ausnutzt. Er hat bereits seit längerer Zeit ein Verhältnis mit Dreymans Freundin Christa-Maria. Dreyman bittet den Minister Hempf, das Berufsverbot für seinen Freund doch nun endlich wieder aufzuheben. Hempf bestreitet natürlich, dass es ein solches überhaupt gibt in der DDR und äußert listig Grubitz gegenüber bei der Premierenfeier, ob der erfolgreiche Stückeschreiber wirklich so linientreu ist, wie er sich immer gibt, und dass wohl nur eine gezielte Überwachung Klarheit darüber geben könnte. Zwar reicht die Figur des Minister ab und an zu sehr ins Karikative, allerdings wird an ihr sehr schön deutlich, dass auch in der DDR nicht in erster Linie ideologische Gründe für politische Entscheidungen verantwortlich waren, wie in diesem Fall die Überwachung Dreymans. Somit sind es nicht nur die schauspielerischen Leistung, sondern auch die Tatsache, dass die Ideologie hinter dem Realen zurücksteht, die den Film ehrlich und authentisch wirken lassen. Anton Grubitz, Leiter der Hauptabteilung Kultur des Ministeriums für Staatssicherheit, ist zwar davon überzeugt, dass das Ganze nur ein Vorwand ist, weil Hempf scharf auf die Sieland ist, er verspricht sich aber einen Karriereschub, deswegen auch setzt er Wiesler auf Dreyman und seine Lebensgefährtin Christa-Maria Sieland an. Grubitz und Hempf wissen, dass Dreyman den Artikel geschrieben hat, sie setzen also daraufhin, um Wieslers Loyalität zu prüfen, ein erneutes, 22 durch Grubitz überwachtes Verhör von Christa-Maria Sieland an, in dem die Schauspielerin nach weiteren Drohungen das genaue Versteck der Schreibmaschine preisgibt. Somit sind also zwei relevante Figuren entstanden, die sich überlagern und für das Handlungsgerüst als tragend erweisen, nämlich Anton Grubitz und Minister Bruno Hempf. Zu einem der tragenden Gerüste dieser Figurenkonzeption gehört leider nur das Negative. Durch die Überlagerung der Figuren entstehen performative Räume, in denen sich die Figuren in ihrem negativen Handeln zu erkennen geben. Abb.4 Hempf und Grubitz nach dem Theaterstück. Beginn des UV „Lazlo”. 3.2.3 Figurales Denken, Fühlen und Handeln - Figur des Hauptmanns Gerd Wiesler Stasi Hauptmann Gerd Wiesler ist ein kleiner, grauer, akkurater Mann, der ein ebensolches Leben führt. Seine Überwachungen und Verhöre sind gnadenlos und ungeheuer effizient, und werden von ihm auf der Stasi-Hochschule als Lehrbeispiele vorgeführt. Als ihn eines Tages sein früherer Studienfreund Oberstleutnant Anton Grubitz auf den erfolgreichen Dramatiker Georg Dreyman ansetzt, stürzt er sich wie immer voller Inbrunst auf den Fall. Doch je länger er den eigentlich sehr linientreuen, aber auch sehr liberalen und frei denkenden Künstler und seine Liebe zu seiner Freundin, dem Bühnenstar Christa-Maria Sieland, beobachtet, desto unsicherer wird er. Unter 23 dem Eindruck dieses Lebens der Anderen weicht Wiesler mehr und mehr von seiner Aufgabe ab. Er animiert sogar seinen unbedarften Kollegen, gewisse Verdachtsmomente zu ignorieren und ebenfalls aus dem Protokoll zu streichen. Dreyman kann also unbehelligt seinen Artikel schreiben und veröffentlichen, natürlich unter Pseudonym. Wiesler greift nicht ein. Er schreibt in seinen Berichten Belangloses, versucht, die Intrige weitestmöglich zu vertuschen. Dadurch möchte er wahrscheinlich Dreyman indirekt schützen. Die Verwandlung und Aufweichung seiner Figur ist somit unvermeidlich. "Sie sind ein guter Mensch." sagt Christa-Maria Sieland eines Tages zu Wiesler, als sich beide zufällig in einer Kneipe begegnen, die Schauspielerin, Lebensgefährtin des Schriftstellers, und ihr Stasi-Schatten, der ihr, weil er um ihre Probleme noch besser weiß, als ihr Lebensgefährte, ein paar aufmunternde Worte sagt. Ab jetzt Wiesler identifiziert sich mit dem Leben der Anderen. Dieses Vorgehen involviert aber, dass er auch mit Unangenehmem rechnen muss. Wiesler ist Dreymans Überwacher und verborgener Schutzengel geworden. Aus Dreymans Wohnung holt er sich heimlich einen Brecht-Band und liest, während ihm die Träne kommt, die Erinnerung an die Marie A.: An jenem Tag im blauen Mond September Still unter einem jungen Pflaumenbaum Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe In meinem Arm wie einen holden Traum. Und über uns im schönen Sommerhimmel War eine Wolke, die ich lange sah Sie war sehr weiß und ungeheuer oben Und als ich aufsah, war sie nimmer da.28 Es ist nur eine einzige lange Träne, die stumm und kalt am Nasenflügel dieses harten Mannes hinunter fließt, dessen übriges Gesicht dabei nahezu unbewegt bleibt. Er weint vermutlich ein wenig aus Rührung, weil ihn die Musik bewegt, die Dreymann, halb besinnungslos am 28 Brecht Berthold: Erinnerung an die Marie A. In: Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. Berlin: Propyläen Verlag, 1927. In: Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Andersen. Frankfurt am Main 2006. 24 Wohnzimmerflügel spielt. Doch am wahrscheinlichsten ist, dass Wiesler über sich selber weint. Er weint, weil er gerade einen entscheidenden Moment der Selbsterkenntnis erlebt, und begreift, an was er da eigentlich beteiligt ist, was das für ein Staat ist, für den er seine schmutzige Arbeit tut. Und wie fern er selbst dem ist, was eigentlich das Leben ausmacht: Anstand, Loyalität, Vertrautheit, Intimität, Gefühle, Mut. Doch erst durch den OV Laszlo erfährt Wiesler, was ihm wirklich fehlt. Als er einen kleinen blonden Jungen im Aufzug trifft, der ihn treuherzig fragt: "Bist Du wirklich bei der Stasi?" ist er nicht mehr wirklich. Bei Stasi-Hauptmann Wiesler vollzieht sich eine wundersame Wandlung. Noch vor der durch Grubitz durchgeführten Hausdurchsuchung eilt Wiesler zu Dreymans Wohnung und entfernt die Schreibmaschine heimlich. Diese Szene wird so dargestellt, dass Wiesler neben der Tür im Dunkeln steht und die Hände hinter dem Rücken hat.(Sequenz Nr.20) „Ich war zu schwach. Ich kann nie wieder gutmachen, was sie getan haben.“ Sagt Sieland, ein paar Minuten später, zu ihrem Überwacher, als sie sterbend auf dem Pflaster liegt, und endlich begriffen hat, was er getan hat. Ohne dass sein Vorgesetzter es ihm nachweisen kann, ist diesem nun klar, dass Wiesler Dreyman geschützt hat. Er versetzt deswegen Wiesler, innerhalb der Stasi, auf eine trostlose Position zur Briefüberwachung (Abteilung M). Nach dem Mauerfall liest Dreyman verblüfft seine Stasi-Akten. Es ergibt sich, dass ihn der Stasi-Mitarbeiter „HGW XX/7“ gedeckt hat. Er macht diesen ausfindig. Wiesler verteilt mit einem Handwagen nun Werbeprospekte in Briefkästen. Dreyman nimmt aber keinen Kontakt mit ihm auf. Das Schlüsselerlebnis hinsichtlich seiner Stasiunterlagen und Wieslers Handeln bewirkten offenbar, dass Dreyman wieder schreiben konnte.4 Jahre später sieht Wiesler zufällig im Schaufenster einer Buchhandlung die Werbeankündigung des von Dreyman verfassten Romans Die Sonate vom Guten Menschen, Dreymans Portrait ist großformatig sichtbar, ein großer Stapel des Buches an hervorgehobener Stelle zum Verkauf angeboten (Sequenz Nr.25). Das Buch ist Wiesler unter dessen Stasi-Deckcode-Namen gewidmet HGW XX/7 – in Dankbarkeit. Wiesler kauft das Buch. Die Frage des Verkäufers, ob das Buch als Geschenk verpackt werden soll, beantwortet er mit: „Nein. Das ist für mich.“ Florian Henckel von Donnersmarck erzählt das alles sehr nah und eindrucksvoll, so dass die politisch-persönliche Metamorphose von Wiesler gleich in die Augen springt. Stasi-Hauptmann Wiesler, der anfangs seinen Studenten gefilmten Verhörbeispielen zeigt, wie man auch den 25 hartnäckigsten Staatsfeind weich kocht, erfährt eine Wandlung, die hier den ganzen Film ausmacht und die zum Nebentitel des Filmes wird. Abb.5 Wiesler `bei der Arbeit`. Abb.6 "Sie sind ein guter Mensch" 3.2.4 Motivierung Bei der Auseinandersetzung mit den filmischen Texten soll man, nach der Position von zwei Professoren für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft, nämlich Matias Martinez und Michael Scheffel, die Motivierung von Ereignissen berücksichtigen. Unter Motivierung versteht man Beweggründe, Ursachen, die für das in einem 26 erzählenden oder dramatischen Text wichtig sind. Das Geschehen wird zu einer Geschichte, wenn die dargestellten Veränderungen motiviert sind. Motivierung integriert die Ereignisse in einen Erklärungszusammenhang. Sie folgen nicht grundlos aufeinander, sondern nach Regeln und Gesetzen auseinander. Man kann also erst dann von einer Geschichte sprechen, wenn eine motivierte Entwicklung der Handlung erkennbar ist. Die Tatsache, dass der Zusammenhang einer Geschichte durch die motivationale Verkettung von Ereignissen hergestellt wird, ist ein allgemeines Merkmal narrativer Texte. Motivierung stellt eine Kohärenz von Erzählungen her. Schon Aristoteles hat sich in seiner Poetik dazu geäußert, indem er auf die triadische Struktur narrativer Texte hingewiesen hat. Scheffel und Martinez nennen drei Arten der Motivierung: - kausale Motivierung - finale Motivierung - kompositorische oder ästhetische Motivierung.29 Die kausale Motivierung erklärt ein Ereignis, indem sie es als Wirkung in einen Ursache – Wirkung - Zusammenhang einbettet, das als empirisch wahrscheinlich oder zumindest möglich gilt. Dazu gehören Figurenhandlungen, Geschehnisse, nichtintendierte Handlungsfolgen, Gemengelagen sich überkreuzender Handlungen, nicht intentionales Geschehen oder auch Zufälle. Das lässt sich sehr gut am Beispiel der Sequenz 19 und 20 erläutern, wo das kausale Motiv auftaucht. Nach der Verhaftung von Christa-Maria folgt das Verhör von Wiesler. Das Geständnis von Sieland verursacht aber, dass Wiesler die Schreibmaschine heimlich verstecken muss und genau das zeugt davon, dass dieses Ereignis in einen Ursache –Wirkung – Zusammenhang steht. Die Handlung final motivierter Texte findet vor dem mythischen Sinnhorizont einer Welt statt, die von einer numinosen Instanz beherrscht wird. Der Handlungsverlauf ist hier von Beginn an festgelegt, selbst scheinbare Zufälle enthüllen sich als Fügungen göttlicher Allmacht. 30 Die beiden Formen der Motivierung stehen alternativ zueinander, sie sind miteinander unvereinbar, schließen sich aus. 29 Martinez, Matias/ Scheffel, Michael (Hg.): Einführung in die Erzähltheorie. München: C.H. Beck 2005 (1999), S.111. 30 Ebd., S.111. 27 Eine ganz andere Dimension narrativer Texte wird mit dem Begriff der kompositorischen oder ästhetischen Motivierung bezeichnet. Diese umfasst die Funktion der Ereignisse und Details im Rahmen der durch das Handlungsschema gegebenen Gesamtkomposition und folgt nicht empirischen, sondern künstlerischen Kriterien.31 Tomasevskij erklärt die kompositorische Motivierung folgendermaßen: Im Prinzip ist die Ökonomie und Zweckmäßigkeit der Motive, (…) Nicht ein Requisit darf on der Fabel ungenutzt, nicht eine Episode ohne Einfluss auf die Situation der Fabel bleiben.32 Kompositorische Motivierung erfüllt eine Künstlerische Funktion und ist für die Gesamtstruktur des Textes von Bedeutung. Motiviert werden sowohl die verknüpfte als auch die freie Motive. Verknüpfte Motive sind Ereignisse, die unmittelbar handlungsfunktional sind. Bei den freien Motiven besteht eine semantische Relation zwischen dem einzelnen Motiv und der Gesamtheit der Handlung. Diese können entweder metaphorisch oder metonymisch gebraucht werden. Metaphorische Verwendung bezieht sich auf die Ähnlichkeit also auf eine partielle Merkmalsgleichheit. Betrachten wir also ein Beispiel für ein freies Motiv in metaphorischer Verwendung. Kern- und Angelstück bildet an dieser Stelle die klassizistische "Sonate vom Guten Menschen", eine Klavieretüde, die der Dichter spielt und für den abhörenden StasiOffizier zum entscheidenden persönlichen Wendepunkt wird, fortan dem observierten Künstler zu helfen. Ganz zum Schluss des Filmes schreibt Georg Dreyman das Buch unter dem Titel „Die Sonate vom Guten Menschen”. Das Buch wurde HGW XX/7 in Dankbarkeit gewidmet (Sequenz 25). Dieses Motiv wird zum Zeichen der wundersamen Wandlung von Wiesler. Zuerst einmal ist das ein freies Motiv, denn der Zuschauer weißt nicht, wie er es anordnen sollte und erst mit dem Handlungsablauf wird es zum verknüpften Motiv. Es ist also nicht kausal oder final sondern metaphorisch mit der Handlung verbunden. Metonymische Verwendung von Motiven betrifft hingegen räumliche, zeitliche oder kausale Nähe. Als räumliche und zeitliche Nähe muss na dieser Stelle das Gebiet und die Geschichte der DDR erwähnt werden. Die Handlung des Films spielt in Ost-Berlin, beginnt im November 1984, fünf Jahre vor dem Mauerfall und endet erst ganz kurz nach der Wende. Durch die räumliche und zeitliche Nähe wird die Geschichte und Das Gebiet der DDR metonymisch in die 31 32 Ebd., S.114. Ebd.,S.114. 28 Handlung eingebunden. Die Deutsche Demokratische Republik wird hier also zum verknüpften Motiv. 3.2.5 DDR-Künstler und ihr soziales Umfeld Der Hauptteil des Films spielt gegen Ende der DDR, wenige Jahre vor dem vierzigsten Jahrestag, auf den der Mauerfall folgte. Das Ministerium für Staatssicherheit überwachte zu dieser Zeit viele Haushalte und hörte diese ab. Besonders betroffen davon waren Künstler, die sich kritisch gegenüber dem System äußerten. Solche Äußerungen wurden mit dem Streichen von Auftragswerken oder dem Veröffentlichungsverbot bestraft. Jeder wüsste, dass die Stasi Schriftbilder der Schreibmaschinen von allen einigermaßen "interessanten" Leuten hatten. Die Wohnungen wurden verwanzt und das Telefon abgehört. Um sicher zu sein, dass Dreyman Wohnung nicht abgehört wird, täuschen Hauser und Dreyman per Telefongespräch vor, dass Hauser, unter der Rückbank eines Westautos versteckt, Republikflucht begehen will. Wiesler, der inzwischen fast alleine die Überwachung übernommen hat, will diesen Vorgang sofort melden. Doch dann zögert er, und hängt wieder ein. Das Auto passiert unbehelligt die Zonengrenze, und Hauser und Dreyman sind davon überzeugt, nicht verwanzt zu sein. Eine hochinteressante Sache ist aber schon das bloße Arbeitsverbot, der in der DDR sehr oft praktiziert wurde. In Das Leben der Anderen gibt es einen mit Arbeitsverbot belegten Regisseur, nämlich Albert Jerska. Der Theaterregisseur Albert Jerska ist ein guter Freund von Dreyman, der in Ungnade gefallen ist und Berufsverbot hat. Jerska hat früher immer geniale Inszenierungen von Dreymans Stücken auf die Bühne gebracht. Er schenkte Dreyman die Partitur Sonate vom guten Menschen. Nachahmenswert ist auch die Rolle von Gregor Hessenstein. Hessenstein ist ein SpiegelKorrespondent. Er bringt in Dreymans Wohnung unter einer Torte versteckt eine neue kleine Schreibmaschine für Dreyman mit. Dreyman versteckt die Maschine in einem Hohlraum unter einer losen Bodendiele. Dreyman hält alles streng geheim, nicht einmal Christa-Maria erfährt etwas davon. Genau auf diese geschmuggelte Schreibmaschine schreibt Dreyman einen Bericht über die außergewöhnlich hohe Selbstmordrate in der DDR und veröffentlicht ihn anonym im „Spiegel“. Das zeugt nur davon wie sehr die DDR-Künstler unterdrückt waren und wie hoch das Risiko der Erwischung bei der Probe der Kontaktaufnahme mit den DDR-Bürger war. Sehr deutlich wurde das schon in der ersten Sequenz des Filmes dargestellt. Wiesler verhört einen 29 Häftling. Der junge Mann ist angeklagt, Beihilfe zur Republikflucht geleistet zu haben. Der Häftling leugnet stur, Wiesler steigert den Druck auf den Häftling so lange, bis der, geschwächt durch Schlafentzug und andere, bösartige Verhörtechniken, schließlich gesteht. In Das Leben der Anderen lässt sich leicht erahnen, wie gesteuert `das Leben der DDR-Künstler` war. Ein sehr gutes Beispiel ist hier Christa- Maria Sieland. Sie wollte aus der Beziehung zu Hempf herauszukommen, das war aber nicht so einfach, wie sie gedacht hat. Der Verlauf ihrer Karriere wurde ganz genau von Minister Hempf gesteuert. Nur er hatte die Macht, das Theaterstück nicht im Lauf zu lassen. Dreyman hat ihr inzwischen gestanden, dass er davon weiß und sie gebeten, die Sache zu beenden. Hempf lässt sie aber verhaften und durch Wiesler verhören. Sie gesteht schließlich, dass Dreyman den Artikel geschrieben hat, und dass die Schreibmaschine unter der Bodendiele versteckt ist.(Sequenz Nr. 19). Viele von den DDR-Künstler wüssten nicht, dass sie abgehört waren. Wohnungen werden heimlich oder während Hausdurchsuchungen verwanzt und abgehört. Zwei Jahre später, nach der Wiedervereinigung, trifft Hempf Dreyman wieder. Dreyman fragt, warum man ihn nie überwacht habe, woraufhin Hempf ihm sagt, er sei lückenlos überwacht worden: Schauen Sie mal bei Gelegenheit unter Ihre Lichtschalter. (Sequenz Nr. 23) Ganz zum Schluss muss noch der bekannte Autor und Dissident Paul Hauser und Karl Wallner erwähnt werden. Hauser stellte doch den Kontakt mit dem Spiegel-Korrespondenten Gregor Hessenstein her. Er beschimpfte Dreyman als "jämmerlichen Idealisten", der endlich Farbe bekennen solle, so dass er schließlich zum Symbol der systematisch eingeschüchterten, drangsalierten und unterdrückten DDR-Künstler wurde. Deswegen auch muss seine Rolle in Das Leben der Anderen, als der DDR-Künstler, richtig eingeschätzt werden. Das Ziel der Stasi war dabei klar, nämlich die `Zersetzung von feindlich-negativen Personen`. Doch unter diesem Vorsatz litten vor allem unschuldige Menschen, wie die DDR-Künstler. Und für die sei die Wirkung der Zersetzungsmaßnahmen folgenschwer gewesen, was in Das Leben der Anderen sehr gut dargestellt wurde. 30 Abb. 7 Dreyman, Hauer und Wallner - Sowjetisches Ehrenmal Pankow. Abb.8 Albert Jerska schenkt Dreyman die Partitur Sonate vom guten Menschen. 31 Abb9 Dreyman trifft sich mit dem Spiegel-Korrespondenten Gregor Hessenstein. 3.3 Handlungsdramaturgie und Erzählhaltung 3.3.1 Handlungsführung – als ein wichtiges Element des Films Ein wichtiges Element des Films ist die Handlungsführung, die meistens unter dem Stichwort Handlungsdramaturgie einen zentralen Aspekt der Filmanalyse darstellt. Der Begriff Handlungsdramaturgie wird vielen, auch wenn sie noch nie mit Filmanalyse zu tun hatten, bekannt vorkommen, nämlich es ist ein Begriff aus der Poetik bzw. aus der Theorie des Dramas. Nun hat der Film mit dem Drama einiges gemeinsam: - Er lebt von situativen Darstellungen, - ist in Sequenzen geordnet (wie das Drama in Szenen) - hat häufig eine Handlungsführung, die der klassischen Dramenstruktur angenähert ist.33 Unter Dramaturgie versteht man die Lehre von Wesen. Wirkung und Formsetzung des Dramas. Dramaturgisch betrachtet ist der Film darauf ausgerichtet, die Aufmerksamkeit und Zuwendung des Zuschauers zu gewinnen, zu erhalten und zu steigern. Dazu muss ein filmsprachliches Spannungsfeld aufgebaut werden, welches vor allem auf eine starke emotionale Zuwendung des Zuschauers abzielt. Ein bewährtes, an der aristotelischen Poetik orientiertes traditionelles Modell 33 Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Frankfurt am Main 1993, S. 58. 32 für einen dramaturgisch gegliederten Aufbau ist die Franz´sche Pyramide, die nicht von ungefähr bei mehreren Filmanalytikern wieder zu Ehren gekommen ist.34 Nun ist dieses historische Modell ja keine willkürliche Setzung gewesen, sondern ein quasi evolutionäres Entwicklungserlebnis der Anpassung dramatischer Kunst an erfolgreiche Wahrnehmungsbedingungen und Verarbeitungsmodi des Publikums. Kuchenbuch weist zu Recht darauf hin, dass nach lerntheoretischen Gesichtspunkten die Funktionsverteilung der einzelnen Akte positiv zu beurteilen ist. Die Spannungsdramaturgie der Handlung werde durch dieses Schema ausgezeichnet austariert, die nachlassende Konzentration durch Reizerneuerung im 4.Akt (Wende, Peripetie, Äußere Initiative führt Niedergang herbei) stimuliert. Wie modern dieses Schema ist, belegen auch filmische Perspektivirungen neuerer Verfilmungen, wie zum Beispiel Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck. Künstlerisch dramatisierend reflektiert Florian Henckel von Donnersmarck in seinem Spielfilm das spannungsgeladene kulturpolitische Klima der 1980er-Jahre und die Repressionen durch das Ministerium für Staatssicherheit. Eindrücklich, manchmal auch klischeehaft, dramatisiert Das Leben Der Anderen die Abhängigkeit der Künstler von politischen Entscheidungsträgern. Die Dramaturgie des Films wird schon in der ersten Szene dargestellt (Sequenz Nr.1). Der Film schildert somit den totalen Überwachungsanspruch des Ministeriums für Staatssicherheit. Mit einer präzisen Demonstration ausgeklügelter Verhörmethoden beeindruckt Hauptmann Gerd Wiesler seine Zuhörerschaft an der Stasi-Hochschule in Potsdam – Eiche. Eindrücklich vermitteln sich Willkür, Macht, zugleich aber auch ethischer Zwiespalt dieses Überwachungsapparats in dem kraftvollen Bild des alleine im Dachgeschoss emphatisch lauschenden Hauptmanns Gerd Wiesler. Anfänglich ein überzeugter Mitarbeiter des MfS, beginnt Wiesler doch zunehmend an seiner Mission zu zweifeln. Bewegt nimmt der asketische Überwacher an Kunst, Kreativität und Liebe der zu Observierenden teil. Die Dramaturgie legt hier aber die inneren Beweggründe für Wieslers Wandlung im Film nicht offen dar. Donnersmarck verändert den Stasi Hauptmann Gerd Wiesler in Wiesler, der weiß, was es heißt, ein guter Mensch zu sein. Diese Veränderung folgt handlungsdramaturgisch im Sinne des früher erwähnten Modells. Das Bild des moralischen Täters mach die Dramaturgie des Films aus. Es blieb aber noch ein dramaturgisches Element festzustellen, nämlich die Rolle der Frauen in Das Leben der Anderen. Es entsteht also die Frage 34 Vgl. Kandorfer, Pierre: Praxis des Wissenschaftsfilms. Köln: Medipress-Verlag 1978, S.222. In: Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Frankfurt am Main 1993, S. 59. 33 welchen Handlungsspielraum haben sie. Die weibliche Hauptfigur wird vom Kulturminister begehrt. Um sie für sich zu gewinnen, lässt er ihren Lebensgefährten und die gemeinsame Wohnung überwachen. Im Lauf der Handlung wechseln die heimlichen Kontrahenten ihre Haltungen. Der Staatsdichter und Gefährte der schönen Schauspielerin entwickelt sich zum Oppositionellen, der Stasi-Major, der ihre Wohnung überwacht, wandelt sich vom Spion zum mitfühlenden Retter. Die Freunde um den Dichter Dreymann einerseits, die Stasi und ihre zynischen Anpasser um Major Wiesler stellen deren Schatten, deren dunkle Gegenwelt dar. Es geht in dieser Konfrontation um die großen Fragen von Schuld. Die einzige Frau im Scheitelpunkt des Dramas bleibt passiv, willfährig und labil, sie muss aus dramaturgischen Gründen schwach bleiben, ist ein klassisches Frauenopfer, dass folgerichtig am Wendepunkt in den eigenen Tod läuft. Der Anteil der Frauen in dieser fiktiven DDR-Welt ist auf Klischees reduziert. Es gibt ChristaMaria als Allegorie auf die unterdrückte Kunst und Schönheit in der Diktatur, es gibt eine furchtsame Mutter und eine Hure. Unter diesen künstlerisch-dramaturgischen Aspekten ist Das Leben der Anderen ein Beitrag zu einer neuen historischen Perspektive auf die DDR. 3.3.2 Erzählhaltung So wie man im Roman die Erzählperspektive sprachanalytisch interpretieren muss, ist auch im Film eine entsprechende Interpretation der filmischen Mittel notwendig. Das Zusammenspiel von Kameraführung, Schnitt, Achsverhältnissen ergibt die Erzählperspektive, die ein Film einnimmt. Auch diese kann, wie im Roman, panoramatisch, personal oder ich-perspektivisch sein. Die Erzählperspektive zeigt sich in besonderer Weise in der Darstellung von Figuren in Situationen, dabei kommt der filmsprachlichen Präsentation dieser Figuren eine besondere Bedeutung zu. Dennoch ist über den Darstellungsmodus hinaus Erzählhaltung immer auch inhaltlich mitbestimmt.35 Mit Erzählhaltung bezeichnet man die Einstellung des Erzählers gegenüber dem Erzählten. Insbesondere die einzelnen Personen und deren Handlungen kann der Erzähler mit Distanz, Ironie, Humor, Anteilnahme oder Ergriffenheit beschreiben. Die Art und Weise der Erzählersprache hinsichtlich der Wertung wird verdeutlicht. Die Erzählhaltung kann affirmativ, bejahend, ablehnend, kritisch, ironisch, zustimmend oder sarkastisch sein. 35 Gast, Wolfgang: Film und Literatur. Grundbuch. Frankfurt am Main 1993, S. 60. 34 Wird uns Dreyman in Donnersmarck Verfilmung als Opfer des Staatssicherheitsdienstes präsentiert, so drückt sich unter anderem die Erzählhaltung des Films aus. Die Wahrnehmungssteuerung des Zuschauers, also die Parteinahme für das Opfer Dreyman, Verachtung und Distanz zum Stasi, als Täter, wird erzähltechnisch vororganisiert, inhaltlich `unterfüttert`. Eindrucksvoll beschreibt der Regisseur und Autor Florian Henckel von Donnersmarck das Leben der Beobachter und der Beobachteten in der DDR der 1980er-Jahre. Er thematisiert dabei das filmische Erzählen durch die künstlich-künstlerische filmsprachliche Präsentation, wie Kameraführung, Musik und Ton, Ausstattung, Kostüme oder Licht. Dem Zuschauer muss dabei klar werden, dass er eine Leseart, eine individuelle Perspektive auf Dreyman oder Wisler präsentiert bekommt. So gesehen arbeitet der Film deutlich mit der Reduktion von Farbtönen. Vorwiegend werden die Farbkombinationen Braun-Beige-Orange und Grün-Grau eingesetzt. Auch die Lichtführung folgt einem klaren Muster. Wieslers Abhörzentrale umgibt kaltes, Dreymans Wohnung stets warmes Licht. So werden der Stasi-Mitarbeiter und der Künstler auch visuell unterschiedlich gezeichnet. Realmusik verstärkt die Authentizität der Handlung, beispielsweise als eine Band auf der Premierenfeier im Theater spielt. Der Wechsel von On-Ton (Dreymans Wohnung) zum Off-Ton (Wieslers Kopfhörer) macht die Beobachtung der Künstler auditiv erfahrbar. Mit Voice Over werden Ereignisse geschickt verbunden. Sehr sorgfältig wurden im Film die Erzählhaltungen der Kamera inszeniert. Erzählhaltungen der Kamera kommen selten in reiner Form vor, meist gibt es Mischformen und Kombinationen, genau wie in Das Leben der Anderen. Im Donnersmarcks Film dominieren Naheinstellungen, welche die inneren Befindlichkeiten der Figuren ausdrücken. Zwei Umfahrten fokussieren die Aufmerksamkeit der Zuschauenden. nämlich während Wiesler erstmals der Sonate lauscht und als Dreyman seinen Artikel laut vorliest und Wiesler mithört. Die Parallelmontage von Wieslers Beobachtungsposten und Dreymans Wohnung steigert die Spannung und illustriert das heimliche Teilhaben des Stasi-Hauptmanns am Leben der Künstler. Die Kamera wird hier auch als Spiegel seelischer Vorgänge eingesetzt. Als Wiesler etwa Häftling 227 verhört, lässt ihn die leichte Untersicht bedrohlich erscheinen und verbildlicht so die Angst des Gefangenen. Zweimal wird die sterbende Schauspielerin in einer Aufsicht gezeigt, einmal mit Wiesler, danach mit Dreyman. Als die Nachbarin Frau Meineke die Mitarbeiter der Stasi durch den Türspion beobachtet, betont die subjektive Kamera die Konfrontation von Beobachter und Beobachtetem. 35 Am verbreitetsten sind jedoch zweifellos jene Erzählhaltungen im Film, in denen alles getan wird, um beim Zuschauer die Illusion des Dabeiseins, der Augenzeugenschaft zu befördern, ihn gerade nicht durch Filmsprache daran zu erinnern, dass hier eine Geschichte erzählt wird.36 Mit Das Leben der Anderen wird sowohl die Geschichte des guten Menschen, als auch ein Teil der DDRGeschichte gemeint. Dieser Teil der DDR-Geschichte liegt in einem bestimmten, noch festzulegenden zeitlichen Rahmen. 3.4 Zeitlicher Situations- und Ereignisrahmen Der zeitliche Rahmen des Films erstreckt sich vom November 1984, also fünf Jahre vor dem Mauerfall, bis in die Zeit nach der Wiedervereinigung. Das Drama setzt sich mit einem Teilaspekt der Geschichte der DDR auseinander und beleuchtet die von Stasi-Spitzeln durchsetzte Kulturszene Ost-Berlins. Inserts führen in neue Handlungsorte und verschiedene Zeitabschnitte ein. Nach dem Tod von Christa-Maria endet der erste Erzählteil. Die Zeitung vom 11. März 1985 in Wieslers Auto deutet den politischen Kurswechsel bereits an, nämlich, dass Gorbatschow zum Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gewählt wurde. Ein Insert 4 Jahre und 7 Monate später (Sequenz 22) und eine Szene, in welcher der strafversetzte Wiesler von der Öffnung der Grenze erfährt, leiten zum zweiten Erzählteil über. Dieser Teilaspekt der Geschichte der DDR, der gemeinte Mauerfall, hat sich als ein wichtigstes Ereignis in der deutschen Geschichte geschrieben. Deswegen soll an dieser Stelle näher darauf eingegangen werden. Seit Beginn der achtziger Jahre hatten sich die Spielräume der Staatssicherheit stetig verengt. In der Bevölkerung hatte sich über die Jahre ein erheblicher Druck aufgebaut. Versorgungslücken durch die vernachlässigte Investitionstätigkeit und die verschlechterten Exportbedingungen strapazierten die Geduld der Bevölkerung.37 Der Unmut über materielle Knappheiten verursachte in der jüngeren und mittleren Generation ein wachsendes Aufbegehren gegen den Staat. Die Furcht vor Sanktionen war besonders bei Jüngeren geringer als bei Älteren, denen die bitteren Lehren aus Juni-Aufstand und Mauerbau noch in den Knochen steckten. Die Folgen der Westeröffnung seit den siebziger Jahren begannen sich gegen ihre Urheber zu wenden. Vermittelt 36 37 Ebd.,S.60. Gieseke, Jens: Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945-1990. München 2001, S. 248. 36 durch shops und Schwarzhandel hatte sich die westdeutsche D-Mark zu einer Zweitwährung entwickelt. Der stillschweigend geduldete abendliche Besuch beim Klassenfeind via Fernsehgerät wirkte nicht mehr dämpfend, sondern immer häufiger mobilisierend.38 Hinzu kamen die 1986 und 1987 im Vorfeld des Bonn-Besuchs Honeckers sprunghaft erweiterten Genehmigungen für private Verwandtenbesuche im Westen, was weitere Begehrlichkeiten näherte. Die Zahl der Ausreiseanträge dokumentierte gewisse Unruhe. Der eigentliche qualitative Sprung war das Einsetzen der Reformpolitik des seit 1985 amtierenden sowjetischen Parteichefs Michail S. Gorbatschow den ersehnter Programmatiker, der größere geistige Freiräume als Hebel zur Überwindung der Stagnationsperiode propagierte.39 Als der Wandel in der Sowjetunion einsetzte, stand das Ministerium für Staatssicherheit unter hohem Druck. Der repressive Handlungsspielraum verringerte sich. Im operativen Betrieb der letzten Jahre waren die Spannungen zwischen dem mal fein dosiert, mal demonstrativ hart eingesetzten Instrumentarium der Staatssicherheit und politisch motivierten Beschränkungen im Kampf gegen die Unruhe im Land deutlich spürbar.40 Im Frühjahr 1989 geriet die Lage für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) außer Kontrolle. Am 20. Januar 1989 erklärt der DDR Staats- und Parteichef Honeker, dass die Mauer so lange stehen bleibe, bis sich die Bedingungen für ihren Bau geändert hätten. Der Tod von Chris Gueffroy an der Mauer in Berlin-Treptow am 5. Februar 1989 erregte aber auch im Westen großes Aufsehen. Stillschweigend zog die SED, aus dem Tod des zwanzigjährigen, die Konsequenz. Sie hatten selbst einen Beitrag zu dieser Situation geleistet, nämlich: Die Anwendung der Schusswaffe zur Verhinderung von Grenzdurchbrüchen wurde am 4. April den Grenztruppen der DDR und am 28. April den MfS-Paßkontrolleinheiten per Befehl untersagt.41 Das Wechselspiel von Flucht oder Ausreise gewann damit ein neue Dynamik. Den ganzen Sommer über stieg die Zahl der DDR-Bürger, die aus ihrem Ungarnurlaub nicht zurückkehrten. Außerdem setzten sich immer mehr Menschen in den Botschaften der Bundesrepublik in Budapest, Warschau und Prag fest, um ihre Ausreise zu erzwingen. Der Aufruf der Oppositionsgruppen: Wir bleiben hier, bildete den Katalysator für die Massendemonstrationen. 38 Ebd.,S.249. Vgl. Gieseke, Jens: Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945-1990. München 2001, S. 249. 40 Ebd.,S.253. 41 Gieseke, Jens: Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945-1990. München 2001, S. 254. 39 37 Überall wurde er verteilt und diskutiert. In Leipzig gesellten sich auf den Montagsdemonstrationen von Woche zu Woche mehr unzufriedene Bürger. Die Parteiführung und ihr Repressionsorgan hatte ein Rezept gegen den Exodus über die Botschaften und die ungarische Grenze. Nach wochenlangen Bemühungen, insbesondere die ungarische Regierung zur Umkehr zu bewegen, gab die DDR am 30. September auf und ließ die Ausreise der Botschaftsflüchtlinge zu. Als verhängnisvoll erwies sich die Bedingung der DDR, die Züge mit den Flüchtlingen müssten zum Zeichen der Souveränität des ostdeutschen Staate über DDRTerritorium in die Bundesrepublik fahren. An der Strecke kam es, vor allem am Dresdener Hauptbahnhof, zu heftigen Tumulten, als weitere DDR-Bürger zu den Zügen vordringen wollten.42 In der neuen Situation seit dem Sommer 1989 war damit also nichts mehr zu gewinnen. Die Flucht- und Ausreisebewegung schwächte die Zurückgebliebenen nicht mehr, denn sie ermunterte sie, sich selbst zur Wehr zu setzen. Der Tag X kam am 9. November 1989, als die Führungsfunktion der SED für MfS zerfiel. Die alte Garde trat zurück Das Machtzentrum verlagerte sich vom Parteiapparat auf die DDR-Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Hans Modrow. Mit der Maueröffnung vom 9. auf den 10. November 1989 waren die alten Verhältnisse endgültig auf den Kopf gestellt. 3.5 Filmische Fokalisierung – Fazit Jede Erinnerung braucht eine Formulierung, denn die Vergangenheit entsteht nicht von selbst, sondern dadurch, dass man sich auf sie bezieht und auf sie erinnernd zugreift. 43 Erinnerungen bleiben durch den Mangel an deren Thematisierung versiegelt. Was aber nie zum Thema wird kann weder gedeutet noch umgedeutet werden. Aus der filmischen Analyse geht hervor, dass filmische festgehaltene Erinnerungsformen als perspektivisch und standortgebunden gelten. Die 42 Vgl. Gieseke, Jens: Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945-1990. München 2001, S. 256. Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. In: Zimniak, Paweł: Niederschlesien als Erinnerungsraum nach 1945. Wrocław – Dresden 2007, S. 366. 43 38 Erinnerung ist raum-, zeit- und ereignisbetont. Der analysierte filmische Text verweist auf die Wichtigkeit der Verbindung zwischen Erinnerung, Gedächtnis, Raum und Zeit. Unter Berücksichtigung der von Aleida Assmann entwickelten Konzeption zur Aufspaltung des Gedächtnisses und Unterscheidung von Speicher- und Funktionsgedächtnis legt diese filmische Analyse offen, dass die Problematik der Stasi zum Funktionsgedächtnis gehört, das selektiv arbeitet. Die filmisch kreierte Erinnerung kann aber den ganzen historischen Vorgang der StasiProblematik nicht umfassen, sondern nur deren Teil davon. Der Film lässt sich doch auf keine lebensweltliche Situation zurückzuführen. Die Deutschen blicken, auf dem Weg zur Volljährigkeit der deutschen Einheit (Erscheinungsjahr: 2006), auf sich und zurück Sie erzählen also von sich selbst, von ihrer gehabten Geschichte nach dem Bruch, dem totalen Zusammenbruch 1945, einer Zäsur, die wohl wenige Völker so je zu überleben hatten. 4 Didaktisierungsvorschläge 4.1 Unterrichtsentwurf Nr. 1 Gruppe: III. Jahr Schule: Fremdsprachenkolleg Thema: Wolf Biermann – politische Lyrik. Zeit: 90 Minuten Pragmatische Ziele: - Üben der Sprechfertigkeit 39 - Üben der Schreibfertigkeit - Üben des Hörverstehens - Ausspracheschulung Kognitive Ziele: - Kenntnis verschiedener Aspekte der DDR-Geschichte - Erlernung des neuen Wortschatzes - Kenntnis der Elemente der DDR-Kultur Sozial-affektives Ziel: - Reflexion über Vergänglichkeit - Reflexion über die Bedeutung der DDR-Kultur Begrüßung: Die Studenten werden mit einem Guten Tag begrüßt. Die Anwesenheit wird geprüft. Sozialformen: Frontalunterricht ( FU) Zeit: 2 Min. Thema/Ziel: Das Thema und Ziel des Unterrichts werden von der Lehrer mündlich genannt. Sozialformen: FU Feinziel: Ich weiß, womit ich mich heute beschäftigen werde. Zeit: 3 Min. Aufmunterung: Der Lehrer stellt den Studenten die Frage, nämlich, was sie mit dem Begriff `Stasi` assoziieren. Er zeichnet ein Diagramm (Anlage 1) an die Tafel und schreibt daneben einzelne Assoziationen. Sozialform: Plenum Feinziel: Ich werde in die Thematik eingeführt. Zeit: 5 Min. Einführungsphase: 40 Ich lasse den Studenten Die Stasi-Ballade von Wolf Biermann hören (Anlage 2). Ich frage die Studenten was sie davon verstanden haben. Ich gebe nächstens einige Informationen zur Wolf Biermann Biographie. Sozialform: FU Feinziel: Ich verstehe den Inhalt des Hörtextes. Zeit: 10 Min. Übungsphase: Ich gebe den Studenten einen Lückentext (Anlage 3). Sie hören Die Stasi-Ballade noch einmal zu und ergänzen die Lücken. Sozialform: Einzelarbeit (EA) Feinziel: Ich übe das Hörverstehen.. Zeit: 5 Min. Die Studenten bekommen jetzt einige Fragen zum Text, wie z.B. - Was heißt die Abkürzung Stasi? - Was verstehen Sie unter dem Begriff Stasi? - Die Stasi ist mein Ecker – was hat Biermann damit gemeint? Sozialformen: Plenum Feinziel: Ich kann mich zu den gestellten Fragen äußern. Zeit: 10 Min. Anwendungsphase: Die Studenten erhalten den Auftrag, zum Thema „40 Jahre DDR“ ein Konzept für ein kritisches Bühnenstück zu entwickeln. Die Aufgabe lautet: Recherchieren Sie mit Hilfe der Zeittafel (Anlage 4), in acht Gruppen jeweils einen Zeitraum von fünf Jahren der Geschichte der DDR. Wählen Sie pro Gruppe und Zeitabschnitt einen Schwerpunkt, den Sie auf die Bühne bringen möchten. Entwickeln Sie einen kurzen Text, einen Dialog oder die Skizze für ein Bühnen-bild, in dem Ihr Thema deutlich wird. Präsentieren Sie der Gruppe Ihr Konzept sowie Ihre Texte. 41 Sozialformen: Gruppenarbeit (GA) Feinziel: Ich kenne verschiedene Aspekte der DDR-Geschichte. Zeit: 25 Min. Testphase: Die Studenten präsentieren ihre Konzepte sowie ihre Texte. Sozialform: GA Feinziel: Ich kann mich zu verschiedenen Aspekten der DDR-Geschichte äußern. Zeit: 22 Min. Hausaufgabenstellung: Als Hausaufgabe sollen die Studenten mindestens drei Künstler heraussuchen, die in der DDRZeiten, mit dem Arbeitsverbot belegt wurden. Sozialform: EA Feiziel: Ich arbeite selbständig zu Hause. Zeit: 3 Min. Zusammenfassung: Ich bitte einen Studenten, damit er mir sagt, was er heute gelernt hat. Sozialform: Plenum Feiziel: Ich weiß, was ich heute Neues erfahren habe. Zeit: 3 Min. Verabschiedung: Ich bedanke mich bei den Studenten und verabschiede mich. Sozialform: FU Zeit: 2 Min. 4.2 Unterrichtsentwurf Nr. 2 Gruppe: III. Jahr Schule: Fremdsprachenkolleg 42 Thema: Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung anhand des Films Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck. Zeit: 90 Minuten Pragmatische Ziele: - Üben der Sprechfertigkeit - Üben der Schreibfertigkeit - Üben des Hörverstehens - Ausspracheschulung - Teilnahme an der Diskussion Kognitive Ziele: - Kenntnis verschiedener Aspekte der DDR-Wirklichkeit - Erlernung des neuen Wortschatzes - Kenntnis der Elemente der DDR-Kultur Sozial-affektives Ziel: - Reflexion über Vergänglichkeit - Reflexion über die Form der Unterdrückung der DDR-Künstler durch die Stasi Begrüßung: Die Studenten werden mit einem Guten Tag begrüßt. Die Anwesenheit wird geprüft. Sozialformen: Frontalunterricht ( FU) Zeit: 2 Min. Thema/Ziel: Das Thema und Ziel des Unterrichts werden von der Lehrer mündlich genannt. Sozialformen: Frontalunterricht Feinziel: Ich weiß, womit ich mich heute beschäftigen werde. Zeit: 3 Min. Einführungsphase: Ich erkläre zuerst folgende Begriffe, nämlich Zersetzung, Inoffizieller Mitarbeiter (IM), Operativer Vorgang (OV), Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Gesellschaftliche Mitarbeiter 43 für Sicherheit (GMS). Anhand der Filmsequenzen des Films Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck zeige ich den Studenten die Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung. Ich lasse den Studenten die erste Sequenz des Films sehen. Sozialformen: FU Feinziel: Ich werde in die Thematik eingeführt. Zeit: 15 Min Übungsphase: Ich stelle jetzt einige Fragen zur Sequenz Nr.1 und versuche eine Diskussion zu leiten. Exemplarische Fragen zur Eröffnung der Diskussion: - Was erfahren Sie in der ersten Filmszene über das Ministerium für Staatssicherheit? - Welche Figuren des Films repräsentieren das MfS? - Wie unterscheiden sich Anton Grubitz und Gerd Wiesler hinsichtlich ihrer Funktion bei der Stasi? - Wie verhält sich der Verdächtige beim Verhör? Sozialformen: Plenum Feinziel: Ich kann mich zum Thema äußern. Zeit: 15 Min. Ich lasse nächstens den Studenten Sequenz Nr.5 des Films sehen und versuche weitere Formen und Mitteln der Zersetzung zu besprechen. Ich stelle einzelne Fragen zum Inhalt der Sequenz Nr.5, wie z.B. - Wie wird der Überwachungsapparat in dieser Szene dargestellt? - Mit welchen Mitteln geht die Staatssicherheit gegen Georg Dreyman vor? - Mit welcher Funktion wird hier die subjektive Kamera eingesetzt? - Beschreiben Sie die Form der Bedrohung von Wiesler! Sozialform: Plenum Feinziel: Ich kenne die Formen, Mitteln und Methoden der Zersetzung. Zeit: 20 Min. Anwendungsphase: Die letzte Aufgabe lautet: 44 Dreyman gewährt Einblick in seine Akten (Übersichtsbogen zur operativen Personenkontrolle). Was erfährt er? Beschreiben Sie die möglichen Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung! Die Studenten bekommen dazu ein master shot (Anlage 5). Sozialform: EA Feinziel: Ich kann die Formen, Mitteln und Methoden der Zersetzung beschreiben. Zeit: 20 Min Testphase: Die Studenten lesen ihre Aufsätze vor. Sozialform: Plenum Feinziel: Ich beschreibe die Form der Unterdrückung der DDR-Künstler durch die Stasi Zeit: 7 Min. Hausaufgabenstellung: Was ist ein Inoffizieller Mitarbeiter? Warum war Christa-Maria zu dieser Art von Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit bereit? Sozialform: EA Feinziel: Ich arbeite selbständig zu Hause. Zeit: 3 Min. Zusammenfassung: Ich bitte einen Studenten, damit er mir sagt, was er heute gelernt hat. Sozialform: Plenum Feinziel: Ich weiß, was ich heute Neues erfahren habe. Zeit: 3 Min. Verabschiedung: Ich bedanke mich bei den Studenten und verabschiede mich. Sozialform: FU Zeit: 2 Min. 45 Anlage 1 ………… Stasi ………….. Anlage 2 Die Stasi-Ballade Menschlich fühl ich mich verbunden mit den armen Stasi-Hunden die bei Schnee und Regengüssen mühsam auf mich achten müssen die ein Mikrophon einbauten ………… 46 um zu hören all die lauten Lieder, Witze, leisen Flüche auf dem Klo und in der Küche – Brüder von der Sicherheit ihr allein kennt all mein Leid Ihr allein könnt Zeugnis geben wie mein ganzes Menschenstreben leidenschaftlich zart und wild unsrer großen Sache gilt Worte, die sonst wärn verscholln bannt ihr fest auf Tonbandrolln und ich weiß ja! Hin und wieder singt im Bett ihr meine Lieder – dankbar rechne ich euchs an: die Stasi ist mein Ecker die Stasi ist mein Ecker die Stasi ist mein Eckermann44 Anlage 3 Die Stasi-Ballade ……….. fühl ich mich verbunden mit den armen Stasi-Hunden die bei Schnee und ………….. mühsam auf mich ……… müssen die ein Mikrophon ……….. um zu hören all die lauten Lieder, Witze, leisen ……… auf dem Klo und in der Küche – Brüder von der …………. 44 Biermann, Wolf: Die Stasi-Ballade. In: Alle Lieder, Köln 1991, S. 204. 47 ihr allein kennt all mein Leid Ihr allein könnt ………. geben wie mein ganzes Menschenstreben ………………….. zart und wild unsrer großen Sache gilt Worte, die ……. wärn verscholln bannt ihr fest auf Tonbandrolln und ich weiß ja! …. und wieder singt im ……. ihr meine Lieder – dankbar rechne ich euchs an: die Stasi ist mein Ecker die Stasi ist mein Ecker die Stasi ist mein Eckermann Anlage 4 Zeittafel: Von der Staatsgründung der DDR bis zur Wiedervereinigung 07.10.1949 Der Deutsche Volksrat konstituiert sich als vorläufige Volkskammer und setzt die am 30.05.1949 gebilligte Verfassung der DDR in Kraft. Gründung der DDR. 11.10.1949 Wilhelm Pieck wird zum Präsidenten der DDR gewählt, Otto Grotewohl zum ersten Ministerpräsidenten. 08.02.1950 Das „Gesetz über die Bildung eines Ministeriums für Staatssicherheit“ (MfS) wird erlassen. 16.02.1950 Wilhelm Zaisser wird zum Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke zu seinem Stellvertreter ernannt. 25.07.1950 Walter Ulbricht übernimmt den neu geschaffenen Posten des Generalsekretärs des ZK der SED. 17.06.1953 Volksaufstand in der DDR, der schließlich mit sowjetischen Panzern niedergeschlagen wird. 25.03.1954 Die UdSSR erkennt einseitig die Souveränität der DDR an. 48 14.05.1955 Die DDR unterzeichnet mit der UdSSR, Albanien, Bulgarien, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei und Ungarn den „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ (Warschauer Pakt). 01.03.1956 Nationale Volksarmee (NVA) der DDR gegründet. 12.09.1960 Nach dem Tod von Wilhelm Pieck konstituiert sich der Staatsrat der DDR als kollektives Führungsgremium; Vorsitzender: Walter Ulbricht. 13.08.1961 Die DDR sperrt die Grenzen und errichtet die Berliner Mauer, um den weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen zu stoppen. 09.04.1968 Inkrafttreten der neuen DDR-Verfassung; verfassungsrechtliche Verankerung der führenden Rolle der SED. 03.05.1971 Walter Ulbricht tritt als Erster Sekretär des ZK der SED zurück. Erich Honecker wird sein Nachfolger. 21.12.1972 Die DDR unterzeichnet den Grundlagenvertrag mit der Bundesrepublik. In dessen Folge wird die DDR international anerkannt. 27.09.1974 Die Volkskammer beschließt die Änderung der Verfassung der DDR. Alle Bezüge auf die „deutsche Nation“ werden gestrichen. 01.08.1975 Die KSZE-Schlussakte wird in Helsinki unterzeichnet. 16.11.1976 Wolf Biermann, der sich auf einer Konzertreise in der Bundesrepublik befindet, wird die Staatsbürgerschaft der DDR entzogen und die Rückkehr in die DDR untersagt. 13.10.1980 Geraer Forderungen Honeckers, u.a. nach Anerkennung der DDRStaatsbürgerschaft. 11.-14.12.1981 Offizieller Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt in der DDR. 13.12.1981 Kriegsrecht in Polen verhängt. 12.11.1982 Tod des sowjetischen Staats- und Parteichefs Leonid Breschnew. 29.06.1983 Auf Vermittlung von Franz-Josef Strauß bürgt die Bundesregierung für einen Milliardenkredit an die DDR. 22.11.1983 Deutscher Bundestag billigt die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen. Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses, neue Eiszeit zwischen Ost und West. 11.03.1985 Michail Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU. 06.05.1986 Kulturabkommen zwischen der DDR und der Bundesrepublik unterzeichnet. 49 07.-11.09.1987 Offizieller Besuch Honeckers in der Bundesrepublik. 17.01.1988 Festnahmen am Rande der offiziellen Liebknecht/Luxemburg-Demonstration in Ost-Berlin. 07.05.1989 Bei den Kommunalwahlen in der DDR können Bürgerrechtler massive Fälschungen nachweisen. 10./11.09.1989 Ungarn öffnet seine Grenzen zu Österreich für ausreisewillige DDRBürger. Innerhalb weniger Tage reisen mehrere tausend DDR-Bürger aus. 25.09.1989 Erste Montagsdemonstration in Leipzig mit mehreren tausend Teilnehmenden. 30.09.1989 5.500 DDR-Bürger, die sich in der völlig überfüllten Botschaft der Bundesrepublik in Prag befinden, erhalten die Genehmigung zur Ausreise. 09.11.1989 In der Nacht zum 10. November wird die Berliner Mauer geöffnet. 15.01.1990 Bürgerrechtler stürmen und besetzen die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin. 18.03.1990 Die von der CDU geführte „Allianz für Deutschland“ geht als eindeutiger Wahlsieger aus der ersten freien Volkskammerwahl in der DDR hervor. 31.08.1990 Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR wird der „Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands“ unterzeichnet, der am 03.10.1990 in Kraft tritt. 12.09.1990 Der „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ zwischen den ehemaligen Besatzungsmächten und den beiden deutschen Staaten wird in Moskau unterzeichnet. 03.10.1990 Nach dem Beschluss der ersten frei gewählten Volkskammer tritt die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland bei. Anlage 5 50 Abb. 10 Dreyman gewährt Einblick in seine Akten. 5 Zusammenfassung 51 Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der filmischen Analyse unter besonderer Fokussierung auf die Stasi im Kontext der DDR-Wirklichkeit. Im ersten Kapitel wird auf die Schlüsselbegriffe wie Gedächtnis und Erinnerung hingewiesen, wobei das klare Ziel der Diplomarbeit gesetzt wird. Zudem wird auch der aktuelle Forschungsgegenstand berücksichtigt, nämlich die Erinnerungskultur. Diese Aspekte wurden im theoretischen Teil unter- und miteinander vielfältig vernetzt. Im zweiten Kapitel wird auf die filmische Perspektive Wert gelegt. Zur Grundlage der Untersuchung werden zwei unterschiedliche Figurenkonstellationen konzipiert. Weiterhin wurde sowohl das figurale Denken, Fühlen und Handeln als auch die Motivierung der Hauptfigur des Films dargestellt. Aufgezeigt wird auch das Verhältnis der Stasi zum DDR-Künstler. In diesem Sinne wurde bei der Analyse eine raumzeitliche Zentrierung herausgearbeitet. Die raumzeitliche Zuordnung setzt sich mit einem Teilaspekt der DDR-Geschichte auseinander und beleuchtet die von Stasi-Spitzeln durchsetzte Kulturszene Ost-Berlins Auf diese Weise erscheinen in der filmischen Fokalisierung einzelne Beschlüsse, die das Fazit des empirischen Teil der Diplomarbeit ausmachen. Das dritte und zugleich das letzte Kapitel enthält zwei Didaktisierungsvorschläge, die für das zweite Jahr des Fremdsprachenkollegs vorgesehen sind. Gemeint sind auf dieser Stelle Didaktisierungsvorschläge für einen Konversation- und Hörverstehensunterricht, dessen Ausgangspunkt der Film von Florian Henckel von Donnersmarck bildet. Zu jedem Stundenentwurf gibt es bestimmte Übungen, die verschiedene Fertigkeiten, wie z.B. Hörverstehen oder Sprechen entwickeln. Die Möglichkeiten weisen auf die Relevanz der Arbeit mit filmischen Texten hin und zeigen, wie der Lehrer mit ihnen im Unterricht umgehen kann. 6 Literatur Primärliteratur 52 Henckel von Donnersmarck, Florian: Das Leben der Andersen. Frankfurt am Main 2006. Zimniak, Paweł: Niederschlesien als Erinnerungsraum nach 1945. Wrocław – Dresden 2007. Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart / Weimar: J. B. Metzger 2005. Sekundärliteratur Beicken, Peter: Wie interpretiert man einen Film?. Stuttgart: Philipp Reclam 2005. Gast, Wolfgang: Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse. Frankfurt am Main: Moritz Disterweg 1993. Gansel, Carsten/ Zimniak, Paweł: Reden und Schweigen in der deutschsprachigen Literatur nach 1945. Wrocław – Dresden 2006. Zimniak, Paweł: Literarische Erfahrungsräume – Zentrum und Peripherie im 19. und 20. Jahrhundert. Zielona Góra: Workshop 2007. Gieseke, Jens: Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945-1990. München 2001. Mohr, Reinhard: Stasi ohne Spreewaldgurke. Hamburg: Spiegel 2006 (Heft3). Biermann, Wolf: Die Stasi-Ballade. In: Alle Lieder, Köln 1991, S. 204. Neuner, Gerhard/ Kruger, Michael/ Grewer, Ulrich: Übungstypologie zum kommunikativen Deutschunterricht. Berlin: Langenscheidt 1981. Martinez, Matias/ Scheffel, Michael (Hg.): Einführung in die Erzähltheorie. München: C.H. Beck 2005 (1999). Gieseke, Jens: Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945-1990. München 2001. Internetquellen http://www.zeitgeschichte-online.de/Portals/_rainbow/documents/pdf/presse_leben_der_ anderen.pdf http://www.movie.de/filme/dlda/ www.chronik-der-mauer.de 53