Gesundheit – Patient im Mittelpunkt Der Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung ist eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit. Wir wollen das Solidarprinzip in unserem Gesundheitswesen schützen. Eine weitere Privatisierung von Krankheitsrisiken lehnen wir ab. Dabei sollen die Interessen der PatientInnen in den Mittelpunkt rücken. Statt Verteilungskämpfen zwischen einzelnen Berufsgruppen wollen wir gezielt das finanzieren, was den PatientInnen am meisten nutzt. Wir setzen uns für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Versichertenbeiträgen ein. Dazu gehört eine Stärkung der Qualitätstransparenz. Uns interessiert, welche Maßnahmen den Patienten den größten Nutzen bringen. Zentrale Ziele unserer Gesundheitspolitik sind: Stärkung der Prävention, hohe Qualität der Krankheitsbehandlung, barrierefreier Zugang zur medizinischen Versorgung, Transparenz und Mitbestimmung. Gesundheitsförderung, gesundheitliche Prävention und Versorgung im Krankheitsfall müssen lebenslang, wohnortnah, flächendeckend und für alle finanzierbar bereitgestellt werden. Die verschiedenen Leistungen und Fachgebiete müssen besser untereinander vernetzt werden. Auch das eigene Zuhause soll als Gesundheitsstandort in den Blickpunkt rücken. Gesundheit wird nicht nur durch die medizinische Versorgung sicher gestellt, sondern eng mit dem Sozialbereich und der Kommunalentwicklung verbunden. Die Teilhabe am Gemeinwesen spielt dabei ebenso eine Rolle wie das Vorhalten von Bildungsangeboten, Vereinsstrukturen, Angebote für gemeinschaftliches Wohnen im Alter oder Entlastungsstrukturen für pflegende Angehörige. In höherem Lebensalter haben immer mehr Menschen ihren Alltag mit einer chronischen Erkrankung zu gestalten. Nachdem die Akutversorgung abgeschlossen ist, spielt sie eine eher untergeordnete Rolle, da die Alltagsbewältigung im Vordergrund steht. Eva-Marie Torhorst, Referentin für Gesundheitspolitik, Stand 8.11.2013 1 Grüne Positionen – was wir wollen Grüne Bürgerversicherung Die Trennung in GKV und PKV hat sich längst als unwirtschaftlich und mit Fehlanreizen bewehrt erwiesen. Heute wissen wir, dass es nicht unbedingt ein Vorteil ist, privat versichert zu sein: Privat Versicherte sind wesentlich häufiger von unnötigen diagnostischen Verfahren und Behandlungen bis hin zu medizinisch nicht notwendigen Operationen betroffen. Diese Form gesundheitsschädlicher Überversorgung geht mit drastischen Beitragssteigerungen im höheren Lebensalter einher. Viele PKV-Versicherte würden gerne in die GKV wechseln, haben jedoch keine Möglichkeit dazu. Auf der anderen Seite wird die GKV durch die fehlenden Beiträge meist zahlungskräftiger Versicherter geschwächt. Hier haben wir die Spaltung in Versicherte, die sich noch Zuzahlungen leisten können und solche, denen dies nicht möglich ist. Sie werden auf eine Minimalversorgung gesetzt. Der Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung ist eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit. Die Zusammenführung von GKV und PKV ist dabei ein wichtiger Schritt. Die grüne Bürgerversicherung – für die übrigens durchgerechnete Gutachten vorliegen – macht eine deutliche Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge möglich. Davon profitieren vor allem Unternehmen im Baugewerbe und im Dienstleistungsbereich, deren Beschäftigten meistens unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze verdienen. Außerdem wird durch die Ausweitung der Beitragspflicht auf Vermögens- und Gewinneinkommen die Beitragssatzentwicklung erheblich stabilisiert. Künftige Ausgabensteigerungen infolge des demografischen Wandels und des medizinischen Fortschritts werden deutlich geringer ausfallen als bei einer Finanzierungsbasis, die auch weiterhin zu fast 90 % aus Beiträgen auf Löhne und Gehälter besteht. Sicherstellung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung Der demografische Wandel stellt uns vor massive Herausforderungen. Schon heute ist es in einigen ländlichen Regionen Bayerns nicht mehr möglich, alle Arztsitze nachzubesetzen. Bei der Pflege schaut es noch viel schlimmer aus, nur ist sie in ihrer berufsständischen Vertretung nicht so gut hörbar wie die der Ärzte. Die Entwicklung setzt sich fort obwohl die Gemeinden teilweise erhebliche Anstrengungen unternehmen und Interessenten vom Baugrundstück über Kinderbetreuung bis hin zum kompletten Haushaltsservice alle möglichen Wünsche erfüllen möchten. Wenn jedoch keine Schule am Ort ist oder der Partner keine Chance auf eine berufliche Tätigkeit hat, können all diese Gaben nicht zu einer Niederlassung bewegen. Heute sprechen wir in erster Linie von Hausärzten. Diese Entwicklung wird jedoch auch vor den Zahnärzten nicht halt machen. Um trotzdem flächendeckend eine hochwertige Versorgung der Patienten sicherzustellen, muss man diese Realitäten offen ansprechen und beizeiten tragfähige Lösungen entwickeln. Dazu gehören auch Versorgungsformen, die von Kooperation und Vernetzung geprägt sind, wie z.B. Ärztezentren, Versorgungsnetze, Kooperationen mit nichtärztlichen Heilberufen oder auch eine Verknüpfung mit dem öffentlichen Nahverkehr und dem Aufbau von Patientenbussen. Wir wünschen uns mit den Berufsgruppen im Gesundheitswesen einen konstruktiven Dialog zu diesen Entwicklungen. Bedarfsplanung und Versorgungsplanung Die heutige Bedarfsplanung im ambulanten Bereich ist keine. Es wurden die Versorgungsdaten von 1990 und die damaligen Niederlassungszahlen der ÄrztInnen als Soll festgeschrieben. Seitdem tun wir so, als ob die Versorgungssituation von 1990 Antworten auf die aktuellen und zukünftigen gesundheitlichen Herausforderungen bieten könnten. Die Krankenhausplanung orientiert sich ebenfalls in keiner Weise an den Bedarfen der Bevölkerung, an Altersstrukturdaten oder an morbiditätsorientierten Versorgungsdaten. Wir setzen uns dafür ein, dass die regionalen Bedarfe der Bevölkerung endlich eine Rolle für die Gestaltung des Versorgungsangebotes spielen. Eva-Marie Torhorst, Referentin für Gesundheitspolitik, Stand 8.11.2013 2 Bisher sind die Bedarfsplanung in der ambulanten ärztlichen Versorgung und die Krankenhausplanung der Länder nicht miteinander verbunden. Die Vernetzung von Krankenhäusern, niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und anderen Versorgungseinrichtungen wird dadurch erschwert. Die nichtärztlichen Gesundheitsberufe und -einrichtungen, die einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung der PatientInnen leisten, bleiben völlig unberücksichtigt. Unser Ziel ist eine integrative Versorgungsplanung, die die ambulante Bedarfs- und die Krankenhausplanung zusammenführt und Stück für Stück auch die Notfallversorgung und die Rettungstransporte genau wie den Reha und Pflegebereich einbezieht. Auch die Schnittstellen zu anderen Bereichen der sozialen Daseinsvorsorge müssen berücksichtigt werden, z. B. zur Kinder- und Jugendhilfe. Die künftige Versorgungsplanung muss vor allem regional erfolgen und nach Versorgungsstufen unterscheiden. Ambulante Versorgung HausärztInnen als Rückgrat der flächendeckenden Versorgung Hausärztinnen und Hausärzte bilden das Rückgrat einer flächendeckenden Versorgung. Sie sind außerhalb der Notfallmedizin die ersten, die die Patienten sehen und kümmern sich um die Koordination der weiteren Behandlung. In Zukunft wird die primärärztliche Versorgung noch wichtiger werden, als sie es jetzt schon ist: wir werden immer älter und entwickeln dadurch andere Gesundheitsrisiken und Erkrankungen als in jüngeren Jahren. Chronische Erkrankungen und sich überlagernde Krankheitsbilder nehmen zu. Dadurch kommen für die Hausärztinnen und Hausärzte andere Aufgaben dazu: die Stärkung von Alltagskompetenz im Umgang mit einer Erkrankung, das Zuhause als Gesundheitsstandort, die Begleitung und fachliche Unterstützung von Angehörigen sowie die Zusammenarbeit mit nichtärztlichen Heilberufen und der Pflege. Hausarztverträge: Abschaffung der Refinanzierungsklausel im SGBV Wir setzen uns für Hausarztverträge ein, die die Versorgungsqualität für die Patientinnen und Patienten steigern und zu besseren Gesundheitsergebnissen führen. Die gesetzliche Vorgabe, dass Mehraufwendungen für die Hausarztverträge von Anfang an durch Einsparungen und Effizienzsteigerungen gegenfinanziert werden müssen, ist wirklichkeitsfremd und führt zu Verhinderung weiterer Vertragsabschlüsse. Für die Weiterentwicklung der Versorgungsqualität in der medizinischen Versorgung brauchen wir jedoch den vertraglichen Freiraum, auch etwas auszuprobieren. Die Hausarztverträge können sich hier zum wertvollen Innovationslabor entwickeln. Ausgerechnet diesen wichtigen Bereich durch eine „Vorab-Refinanzierung“ zu beschränken halte ich für falsch. Die Refinanzierungsklausel wurde 2010 mit dem GKV-Finanzierungsgesetz in das SGB V eingefügt. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat seinerzeit gegen das Gesetz bestimmt und ihre Ablehnung auch mit dieser Rechtsänderung begründet. Wir setzen uns für die Streichung des entsprechenden Absatzes im SGB V einsetzen. Auch die gleich lautenden Vorgaben des Bundesversicherungsamts für andere Selektivverträge sollen gestrichen werden Kooperation mit nichtärztlichen Gesundheitsberufen Wir glauben jedoch nicht, dass diese Herausforderungen alleine von den Hausärztinnen und Hausärzten bewältigt werden können. Die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) geht davon aus, dass bis zum Jahr 2020 die Zahl der Hausärztinnen und Hausärzte bundesweit um ca. 15.000 steigen müsste, um das heutige hausärztliche Versorgungsniveau auch nur zu halten. Bereits heute gelingt es in vielen vor allem ländlichen Praxen Bayerns nicht, eine Nachfolge zu finden. Fragt man die jungen Ärztinnen und Ärzte, geben sie dafür nicht in erster Linie die Verdienstmöglichkeiten an. Junge Leute sind heute mobil und Eva-Marie Torhorst, Referentin für Gesundheitspolitik, Stand 8.11.2013 3 wollen sich nur selten zu Beginn ihres Berufslebens mit hohen Investitionen fest an einen Ort binden. Auch die „Einzelkämpferpraxis“ wird von vielen jungen Ärztinnen und Ärzten nicht als attraktiv empfunden. Sie wünschen sich oft planbare Arbeitszeiten, Möglichkeiten der fachlichen Zusammenarbeit und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch ob der Partner in der Nähe der Praxis einen seiner Qualifikation entsprechenden Beruf ergreifen kann, spielt eine wichtige Rolle genau wie die vorhandene Infrastruktur in Form von Schulen. Um die Primärversorgung sicherzustellen, wird die Aufgabenverteilung zwischen Ärzteschaft und qualifizierten Pflegekräften sowie anderen Gesundheitsfachberufen, wie Physiotherapeutinnen, Logopädinnen, Ergotherapeutinnen etc. neu zugeschnitten werden müssen. Die künftige Primärversorgung wird sehr viel berufsgruppenübergreifender und teamorientierter als bisher organisiert sein müssen. Hier ist es wichtig, dass Gesetzgeber und Selbstverwaltung gemeinsam Rahmenbedingungen schaffen, in denen sich die Versorgung unserer Bevölkerung auch in Zukunft sicherstellen lässt. Qualitätstransparenz in der ambulanten Versorgung Ähnlich wie im Krankenhaussektor setzen wir uns für eine Stärkung der Qualitätstransparenz auch in der ambulanten Versorgung ein. Es muss für die Versicherten klar erkennbar sein, mit welcher Behandlungsqualität Sie rechnen können. Ein Ansatzpunkt ist hier die Verbesserung der Qualitätsberichterstattung und eine für Patientinnen und Patienten besser lesbare Form. Auch in der vertragszahnärztlichen Versorgung wollen wir eine Stärkung der Transparenz in der Versorgungsqualität. Man kann durchaus darüber sprechen, die Kassen in die Qualitätsbewertung auch der von den Versicherten selbst finanzierten Zusatzleistungen wie z.B. Implantaten oder Keramikkronen und –inlays einzubeziehen. Für die Versicherten ist es häufig schwierig, bei Mängeln ihre Verbraucherrechte im Sinne von Anspruch auf Mängelbeseitigung geltend zu machen. Ich kann mir vorstellen, dass die Honorierung ärztlicher Leistung in Zukunft stärker qualitätsbezogen erfolgen wird. Um hier weiter zu kommen brauchen wir jedoch eine Weiterentwicklung der Qualitätsindikatoren. Vergütungsmodelle wie „pay for performance“ stecken hierzulande noch in den Kinderschuhen, bieten aber interessante Ansätze für die Steigerung der Qualitätstransparenz. In Selekivverträgen kann man natürlich qualitätsbezogene Vergütungsbestandteile vergleichsweise leicht umsetzen – nur besteht die Herausforderung ja gerade darin, die Versorgungsqualität nicht für einzelne Leistungsbereiche oder Patientengruppen zu stärken sondern insgesamt das System weiter zu entwickeln. Wir setzen uns dafür ein, dass die bisherigen Selektivverträge auf einen Qualitätsprüfstand gestellt werden. Wenn aus den Versichertengeldern zusätzliche Vergütungsbestandteile finanziert werden, muss transparent sein, welche Leistungsverbesserungen damit eingekauft werden. Medizinische Versorgungszentren Die Möglichkeit, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen, soll auf Hausärzte, Ärztenetze und Gesundheitsverbünde, Kommunen und Patientenorganisationen ausgeweitet werden. Bei den möglichen Rechtsformen wollen wir zusätzlich eingetragene Genossenschaften ermöglichen. Eine Leitung durch andere Gesundheitsberufe wie beispielsweise durch Psychotherapeutinnen und therapeuten oder qualifizierte Pflegekräfte soll ebenfalls ermöglicht werden. Ausbau der Nutzung telemedizinischer Verfahren Gerade in weniger dicht besiedelten Regionen, in denen es nicht so viele HausärztInnen gibt, sind telemedizinische Verfahren von großer Bedeutung. Dadurch können PatientInnen auch über größere Eva-Marie Torhorst, Referentin für Gesundheitspolitik, Stand 8.11.2013 4 Distanzen begleitet werden. Im Alltag ist das z.B. die Möglichkeit mit einfachen Geräten Videotelefonate mit der ÄrztIn zu führen. Bei Diabetikern besteht die Möglichkeit, Routinewerte elektronisch an den Arzt zu übermitteln. Dadurch ist es möglich, auf längere Verläufe einzugehen und nicht nur am Tag des Besuchs in der Praxis zu sehen, wie es den Patienten geht. Auch ÄrztInnen untereinander können elektronische Verfahren nutzen um eine Zweitmeinung einzuholen oder sich über den Genesungsverlauf eine Patienten auszutauschen. Die Konzepte sind darauf ausgerichtet, ein längeres Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen und für eine hochwertige und vor Allem lückenlose Versorgung zu sorgen. Es wird dadurch die Kommunikation und Vernetzung zwischen den Gesundheitsdienstleistern untereinander und mit den Patientinnen und Patienten erleichtert. Diese Instrumente müssen nicht nur technologisch fortschrittlich, sondern auch einfach in der Anwendung für PatientInnen, Gesundheitsberufe und Pflege sein. Mündige PatientInnen – Durchblick durch Information In der heutigen Zeit brauchen Menschen neben der persönlichen und eingehenden Fachberatung durch das medizinische Personal auch unabhängige Informationsquellen, um ExpertInnen in eigener Sache zu werden. Gerade bei chronischen Krankheiten ist das für viele Menschen sehr wichtig. Wir wollen, dass spezielle Portale aufgebaut werden, in denen sich PatientInnen anhand neutraler und qualitätsgeprüfter Information über die Behandlung von Krankheiten, über Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln sowie über alternative nicht-medikamentöse Behandlungen informieren können. Informationen müssen einfach, niedrigschwellig, transparent und unabhängig zugänglich gemacht werden. Berichte und Bewertungen über Behandlungsqualität und erwartbaren Behandlungserfolg sollen als Entscheidungsgrundlage für die Wahl des Behandlungsorts herangezogen werden können. Psychische Erkrankungen Der Fall Mollath hat nicht nur auf erhebliche Missstände in der bayerischen Justiz aufmerksam gemacht sondern auch erschreckende Lücken in der niedrigschwelligen Krisenbegleitung aufgezeigt. Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen steigt stetig an. In der politischen Debatte muss dabei zwischen episodenhaften Akutgeschehen (z.B. Burn out, nichtstoffgebundenen Suchtformen) und chronischen psychischen Erkrankungen (z.B. Schizophrenie oder Depression) unterschieden werden. Für beide Gruppen sind die Angebote den aktuellen Bedarfen anzupassen. Die gemeindepsychiatrische Versorgung in Bayern hat sich bewährt und soll beibehalten und gestärkt werden. Die Versorgung für Menschen mit psychischer Erkrankung in Bayern ist jedoch weiterhin lückenhaft. Wartezeiten von mehreren Monaten für einen Therapieplatz sogar in einer Krisensituation sind nicht hinnehmbar. Bei Kindern macht sich die Unterversorgung besonders schmerzhaft bemerkbar. Neben der Anpassung einer professionellen Infrastruktur setzen wir auf die Förderung von Selbsthilfe-Netzwerken, damit Menschen, die in psychische Krisen geraten, eher eine Möglichkeit finden, sich mit ihrer Situation in einer ihnen angemessenen Art auseinanderzusetzen Gerade bei psychischen Erkrankungen ist es notwendig, nach einem stationären Aufenthalt den Weg zurück in den Alltag systematisch zu begleiten und die Entwicklung von Lebensperspektiven zu unterstützen. Wir fordern eine landesweite Strategie, um die Situation der Akutversorgung und Rehabilitation für psychische Erkrankungen und Krisengeschehen zu verbessern. Die Psychiatriegrundsätze sollen in eine verbindliche Psychiatrieplanung konkretisiert werden und ein landesweiter Krisennotruf etabliert werden. Dringend notwendig ist der Ersatz des bestehenden Unterbringungsgesetzes (das nur die rechtlichen Aspekte der Einweisung in geschlossene Abteilungen regelt) durch ein allgemeines Psychiatriegesetz, das nicht nur den Schutz vor psychisch Erkrankten, sondern vor allem auch die Hilfe für die Betroffenen zum Beispiel durch Krisendienste verbindlich regelt. Eva-Marie Torhorst, Referentin für Gesundheitspolitik, Stand 8.11.2013 5 Krankenhäuser Solide Finanzierung der Krankenhäuser – Qualitätsaspekte in der Vergütung stärken Fast die Hälfte der bayerischen Krankenhäuser schreiben rote Zahlen. Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte klagen über zunehmende Arbeitsverdichtung und schlechte Arbeitsbedingungen. Grundlegende Defizite wie die mangelnde Investitionsfinanzierung, erhebliche Überkapazitäten und Probleme beim Übergang von der stationären in die ambulante Versorgung werden nicht angepackt. Die Finanzierung der Krankenhäuser muss durch einen geeigneten Maßnahmenmix sicher gestellt werden, den ich hier nur kurz anreißen kann. Dazu gehören die Überprüfung der Methodik zur Ermittlung des Orientierungswertes genau wie eine sachgerechte Abbildung der Steigerungen bei den Personal- und Sachkosten und eine ausreichende Finanzierung der Pflege. Das DRGFallpauschalen-System muss weiterentwickelt werden. Fehlanreize, die zur Ausweitung der Mengen führen, müssen beseitigt werden. Es kann nicht sein, dass in Bayern fast doppelt so viele Totalendoprothesen eingesetzt werden wie in Baden-Württemberg. Stattdessen sind Qualitätsaspekte in der Vergütung zu stärken. Bislang spielt es weder in der Krankenhausplanung noch in der Vergütung der Krankenhäuser eine Rolle, in welcher Qualität die Leistungen erbracht werden. Dies wollen wir ändern. Beispielsweise sollen Krankenhäuser belohnt werden, die sich in der nachstationären Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten engagieren, sich an der Notfallversorgung oder der ambulanten Versorgung strukturschwacher Regionen beteiligen. Neben solchen Strukturmerkmalen muss sich nach unserer Auffassung auch der Behandlungserfolg, die Pflegequalität oder die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten in der Vergütung auswirken. Grüne Pflegepolitik GRÜNE Pflegepolitik orientiert sich am Leitbild einer menschenwürdigen ganzheitlichen Pflege, die den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Für eine individuelle, teilhabeorientierte Pflege brauchen wir ein verändertes, ganzheitliches Verständnis von Pflege, das psychische und körperliche Beeinträchtigungen in gleichem Maße behandelt und die soziale Lage der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen berücksichtigt. Eine engere Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe im Team ist dringend notwendig. Finanzierung: Pflege-Bürgerversicherung Wie auch für die Krankenversicherung fordern wir eine „Pflege-Bürgerversicherung“, die alle Einkommensarten an der Finanzierung der Pflege beteiligt. Dies ist angesichts der enormen Herausforderungen durch die demografische Entwicklung die einzige Chance um die Pflege nachhaltig abzusichern. Pflegenotstand Die demografische Entwicklung stellt große Herausforderungen an unsere Gesundheits- und Pflegeversorgung. Immer weniger BeitragszahlerInnen finanzieren die Gesundheits- und Pflegeversorgung der Solidargemeinschaft. Gleichzeitig wird es in den nächsten Jahrzehnten zu einem deutlichen Anstieg der Zahl pflegebedürftiger Menschen kommen: Prognosen gehen davon aus, dass bundesweit bis zum Jahr 2020 die Zahl Pflegebedürftiger von heute 2,42 bis um 50% ansteigen wird. Dazu kommt, dass es einen Mangel an qualifizierten Pflegekräften insbesondere in der Altenpflege und eine vergleichsweise geringe Berufsverweildauer in diesem Bereich gibt. Die Herausforderungen im Gesundheitswesen haben sich grundlegend gewandelt und dieser Trend wird sich fortsetzen: Mehrere sich überlagernde Krankheitsbilder, Demenzerkrankungen und eine stark ansteigende Anzahl von Hochaltrigen verlangen neue Versorgungskonzepte. Eva-Marie Torhorst, Referentin für Gesundheitspolitik, Stand 8.11.2013 6 Bereits heute existiert regional ein deutlicher Mangel an Pflegekräften. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts werden bis 2025 in Deutschland 152.000 Beschäftigte in Pflegeberufen gesucht. Der Pflege droht ein empfindlicher Personalnotstand. Die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte ist kein Allheilmittel für dieses strukturelle Problem, zumal diese auch in ihren Herkunftsländern gebraucht werden. Die Rahmenbedingungen in der Pflege, insbesondere die Arbeitsbedingungen, die gesellschaftliche Anerkennung und die Entlohnung, müssen sich entscheidend verbessern, um die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten zu erhöhen Pflegemonitoring und Pflegekammer Um den konkreten Bedarf und die vorhandenen Kapazitäten besser aufeinander abstimmen zu können, werden wir in Bayern ein eigenes Monitoringsystem nach dem Vorbild des Hessischen Pflege-Monitors einrichten. Dort wird alle zwei Jahre bei sämtlichen Trägern der Bedarf an zukünftigen Pflegekräften ermittelt und mit den vorhandenen Ausbildungsplätzen abgeglichen. Nur durch ein regelmäßiges Monitoring lassen sich der derzeitige und der zukünftige regionale Personalbedarf präzise erfassen und das Ausbildungsangebot entsprechend nachjustieren. Um eine zukunftsfähige pflegerische Versorgung zu steuern, müssen die Pflegenden zunächst registriert werden. Niemand weiß, wie viele Pflegende es aktuell in Bayern gibt. Deswegen setzen wir uns für die Einrichtung einer Pflegekammer ein. Wir gehen davon aus, dass eine Pflegekammer das Berufsbild der Pflege in der heutigen Zeit weiterentwickeln kann, dass der Status der Pflegekräfte dadurch aufgewertet und die Selbstverwaltung der Pflege gestärkt wird. Stärkung der ambulanten Pflege Die stationäre Pflege ist angesichts der demografischen Entwicklung und sich wandelnder Bedürfnisse der Menschen kein allein zukunftstaugliches Modell. Der praktische Ausbau von alternativen Wohnformen und ambulanten Pflege- und Betreuungskonzepten ist in Bayern immer noch unterentwickelt. Durch die Aufnahme der Wohngemeinschaften ins bayerische Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (Heimgesetz) wurden für die Träger zusätzlich unnötige bürokratische Hürden geschaffen. Ambulante und alternative Pflege- und Betreuungskonzepte müssen weiterentwickelt und finanziell gestärkt werden. Ziel ist es, die Autonomie und Lebensqualität der Pflegebedürftigen möglichst lange zu erhalten. Dabei ist es wichtig, die starre Trennung zwischen ambulanter und stationärer Pflege aufzuheben: Wir fordern eine Stärkung alternativer Wohn- und Versorgungskonzepte (Wohngemeinschaften, Mehrgenerationenhäuser etc.) mit fließenden Übergängen zwischen ambulanter, teilstationärer und stationärer Versorgung. Hemmnisse im Heimrecht für eine flächendeckende Etablierung dieser alternativen Wohnformen werden wir beseitigen. Ebenso müssen quartiersbezogene Pflegekonzepte entwickelt werden. Die Tagespflege und weitere niedrigschwellige Dienstleistungen sollen ausgebaut werden. Modernisierung der stationären Pflege Uns ist klar, dass die stationäre Pflege auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil des Versorgungssystems sein wird. Doch die stationären Einrichtungen müssen sich verändern. Sie müssen sich stärker an den individuellen Bedürfnissen und Wünschen der BewohnerInnen orientieren, ihre Arbeit transparenter machen und sich zum Gemeinwesen hin öffnen. Dazu bedarf es moderner, quartiersorientierter Pflegekonzepte. Aufgrund des demografischen Wandels und der Tatsache, dass zunehmend Menschen im Alter ohne Angehörige leben werden, brauchen wir ambulante Pflege- und Unterstützungsstrukturen, die Versorgungssicherheit im Wohnquartier bieten. Diese Angebote müssen dem Wunsch der Menschen auf Selbstbestimmung und Teilhabe auch bei Pflegebedürftigkeit entgegenkommen. Nach dem Leitprinzip „ambulant vor stationär“ Eva-Marie Torhorst, Referentin für Gesundheitspolitik, Stand 8.11.2013 7 wollen wir weg von einem weiteren Ausbau traditioneller Groß- und Sondereinrichtungen, hin zu Wohn- und Pflegeangeboten, die im Quartier Versorgungssicherheit bieten. Dezentrale Wohnkonzepte Neue Formen des Wohnens im Alter müssen im Rahmen der bayerischen Wohnraumförderung stärker unterstützt werden. Pflegende Angehörige (zu zwei Dritteln handelt es sich um Frauen) brauchen dringend wirksame Entlastung, etwa durch den Ausbau von Angeboten der Tages- und Nachtpflege und von familienentlastenden Diensten. Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf muss über Freistellungsregelungen und Ansparkonten weiter verbessert werden. Ausbildungsplätze in der Pflege Um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden, muss die Zahl der Ausbildungsplätze in den kommenden Jahren weiter deutlich ansteigen. Wir plädieren für eine Ausbildungsumlage nach § 25 des Altenpflegegesetzes. Nur so beteiligen sich Leistungserbringer, die nicht praktisch ausbilden, angemessen an den Ausbildungskosten. Die Ausbildung zur Pflegeassistenz sollte als niedrigste Qualifikationsstufe mindestens zwei Jahre umfassen. In einem durchlässigen und flexiblen Ausbildungssystem müssen sich PflegehelferInnen auch im Rahmen einer berufsbegleitenden Ausbildung zur Pflegefachkraft weiterbilden können, unter Anerkennung bisherig erbrachter Leistungen. Denn wir wissen: Verbesserte Aufstiegschancen und Weiterqualifizierungsmöglichkeiten sind ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der Attraktivität des Pflegeberufs. Die Kosten für die Umschulung/Weiterbildung zur Pflegekraft sollen vorerst in vollem Umfang von der Bundesagentur für Arbeit übernommen werden. Die Finanzierung von Erstausbildung und Umschulung muss langfristig abgesichert werden. Bei der Finanzierung der Pflegeausbildung dürfen die Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe nicht vergessen werden. Obwohl in Bayern schon ein Pflegemangel herrscht, wird immer noch Schulgeld bei der Ausbildung verlangt. Wir werden eine kostenlose Schulausbildung durchsetzen. Pflege-TÜV und Mehrfachprüfungen abschaffen – qualitätsorientierte Bewertungsverfahren stärken Der aktuelle Pflege-TÜV ist für die Betroffenen und ihre Angehörigen in der jetzigen Form wenig aussagekräftig. Statt Transparenz zu erzeugen, führt er zu Fehlinformation von Angehörigen und Betroffen und trägt nicht zu einer Verbesserung des Verbraucherschutzes im Pflegebereich bei. Ganz abgesehen davon, dass die Dokumentationsarbeit durch den Pflege-TÜV massiv zunimmt: Nicht die Qualität der Pflege, sondern die Qualität der Dokumentation wird nun geprüft. Pflegedokumentation ist wichtig, problematisch wird es jedoch, wenn sich Pflegekräfte zwischen „Schreiben oder Zuwendung“ entscheiden müssen. Wir fordern eine Überarbeitung des Bewertungsverfahrens, um so den Verbraucherschutz der PatientInnen zu stärken. Ein neues Qualitätsinstrument muss her, das die Ergebnisse der Pflege und die Lebensqualität der pflegebedürftigen Menschen darstellt. Dabei wollen wir regionale Ansätze und Projekte fördern. Wir setzen uns dafür ein, dass Doppel- und Mehrfachprüfungen vermieden werden, indem die Prüfinhalte der verschiedenen Prüfinstanzen aufeinander abgestimmt werden und die Prüfinstanzen miteinander kooperieren. Dies gilt insbesondere für die Zusammenarbeit der Heimaufsichten und der medizinischen Dienste, aber auch für die Felder der Hygiene, Brandschutz, Arbeitsschutz etc. Daneben setzen wir uns dafür ein, dass vermehrt elektronische Dokumentationssysteme, die die Daten automatisiert aufbereiten, zum Einsatz kommen und die Pflegenden dadurch entlastet werden. Eva-Marie Torhorst, Referentin für Gesundheitspolitik, Stand 8.11.2013 8 Pflegestützpunkte ausbauen Außerdem wollen wir das Netz an Pflegestützpunkten als unabhängiges und neutrales Beratungsangebot weiter ausbauen. Das Informationsdefizit der pflegenden Angehörigen ist hoch. Die Pflegeberatung muss hier eine Lotsenfunktion übernehmen, indem sie Entlastungsangebote für pflegende Angehörige ebenso wie Betreuungs- und Pflegeangebote vermittelt sowie über Ansprüche aufklärt. Um alle regionalspezifischen medizinischen, pflegerischen und sozialen Akteure und Versorgungsbereiche zu vernetzen, fordern wir GRÜNE ein konsequentes Versorgungs- und CareManagement. Denn die Sicherung einer guten Pflege wird in Zukunft noch stärker von einem guten Mix aus bürgerschaftlichem Engagement, Nachbarschaftshilfe, niedrigschwelligen Angeboten und professionellen Dienstleistungen abhängen. Dabei dürfen die wichtigen Themen Hospiz- und Palliativversorgung nicht aus dem Blickwinkel geraten. Wir setzen uns mit der Frage auseinander, wie ein Lebensende in Würde möglich ist und welche strukturellen Verbesserungen für Menschen mit schwerer Erkrankung am Lebensende möglich sind. Wir wollen das Angebot an wohnortnaher palliativer Unterstützung und Hospizeinrichtungen deutlich stärken. Eva-Marie Torhorst, Referentin für Gesundheitspolitik, Stand 8.11.2013 9