> Merkblätter Arten > Libellen Régions concernées: Mittelland > Lestes virens vestalis (Rambur, 1842) Kleine Binsenjungfer – Leste verdoyant – Leste virente RL: CR | PRIO: 2 | NHV: – Beschreibung Ökologie Die Kleine Binsenjungfer ist eine oberseits smaragdgrün bis kupferrot gefärbte, metallisch glänzende Kleinlibelle, die ihre Flügel in Ruhelage in typischer Art der Binsenjungfern schräg vom Körper abstellt. Sie ist kleiner und zarter gebaut als die übrigen Arten der Gattung, jedoch im Feld oft nicht auf den ersten Blick von andern Lestes-Arten zu unterscheiden, mit denen sie vielfach zusammen vorkommt. Ein untrügliches Kennzeichen ist der scharf abgesetzte, nach unten gelbe Teil des Hinterkopfs, der bei L. sponsa und L. dryas dunkel gefärbt ist. Das Flügelmal ist einfarbig hellbraun mit hellen Randadern auf den Schmalseiten. Die am Hinterkopf ebenfalls gelbe gefärbte Art L. barbarus besitzt hingegen scharf abgesetzt zweifarbige Flügelmale. Beim Männchen von L. virens ist die blaue Körperbereifung auf die Hinterleibssegmente 9 und 10 beschränkt. Die Larven der Lestes-Arten sind am Bau von Kiemenblättchen und Fangmaske erkenntlich: Bei den Kiemenblättchen zweigen die Seitentracheen senkrecht von der Haupttrachee ab; die Fangmaske ist langgestielt und gegen das Ende plötzlich stark verbreitert. Die Artbestimmung der Larven und Exuvien erfordert mikroskopische Untersuchung. Lestes virens vestalis besiedelt meist wenig tiefe, mässig verwachsene Gewässer kleineren Ausmasses, die sich im Sommer rasch erwärmen und oligotrophe bis schwach eutrophe Verhältnisse aufweisen. Günstig sind gut besonnte, langsam verlandende Torfgewässer mit lockeren Beständen von Schlammschachtelhalm (Equisetum fluviatile), Schnabelsegge (Carex rostrata) und anderen dünnhalmigen Sumpfpflanzen. In Frage kommen auch Bestände von Grossseggen (z.B. Carex elata) mit hohem Grundwasserstand, seltener auch seichte Kies- und Lehmgrubengewässer sowie speziell zu Naturschutzzwecken geschaffene flachuferige Weiher, die locker mit Binsen (Juncus spp.), Seggen (Carex spp.) oder Teichbinsen (Eleocharis spp.) bewachsen sind. Beschattung und dichten Bewuchs mit Schilf (Phragmites australis) oder Rohrkolben (Typha spp.) meidet die Art. Die Eier werden im Spätsommer oder Herbst abgelegt und überwintern. Zum Schlupf kommen die Larven im Frühling und entwickeln sich im Verlauf von zwei bis drei Monaten. Sie leben meist in 20 – 40 cm Tiefe über dem Schlammgrund, zwischen untergetauchten und abgestorbenen Teilen von Sumpfpflanzen. Mit ihrer Entwicklungsweise erträgt die Art gelegentliches Männchen von Lestes virens vestalis. Die Paarung findet in der dünnhalmigen Vegetation im oder am Larvengewässer statt. © H. Wildermuth © S. Kohl > Merkblätter Arten > Libellen: Lestes virens vestalis 2 Austrocknen des Gewässers im Hochsommer. Überschwemmung und Überstauung während der Larvalzeit wirken sich wegen der dadurch erniedrigten Temperatur ungünstig auf die Entwicklung aus. Fatal ist die Austrocknung des Gewässers während der Entwicklungsperiode. Der Schlupf zur Imago erfolgt an Halmen zwischen 20 und 60 cm Höhe über Wasser. Die Schlüpfperiode dauert von Juli (Juni) bis August. Während der sechs- bis siebenwöchigen Reifungszeit bleiben die jungen Imagines meist im näheren Umkreis des Entwicklungsgewässers; sie können sich aber in günstigen Habitaten bis zu einem Kilometer vom Wasser entfernen. Die Hauptflugzeit dieser Hochsommer- und Herbstart liegt zwischen Juli und September. L. v. vestalis fliegt mit anderen Lestes-Arten zusammen. Da sich die Tiere unauffällig verhalten, können sie leicht übersehen werden. Die Letzten fliegen je nach Wetter bis Anfang November. Bedeutsam im Lebenszyklus von L. v. vestalis ist auch der Landlebensraum, der sich gewöhnlich im nahen Umkreis der Entwicklungsgewässer befindet. Dies sind Streuwiesen, Moorheiden und Waldränder. Die Imagines halten sich meist an gut besonnten Stellen mit Halm- oder Krautvegetation auf, wo sie jagen, ruhen und reifen; oft im Windschutz von Gehölzen. Nach der Reifung erscheinen die Männchen 10 – 12 Tage früher als die Weibchen an den Eiablageplätzen. Die 4 – 40 Minuten dauernde Paarung findet am Wasser statt, wobei die Tiere an der Vegetation über dem Wasser oder am Ufer sitzen. Dann erfolgt die Eiablage, meist in Begleitung des Männchens (im Tandem), seltener allein. Die Eier werden einzeln in Pflanzenteile, die über das Wasser ragen, eingebohrt. Häufige Begleitarten sind Lestes sponsa, L. viridis, Coenagrion puella, Libellula quadrimaculata und Sympetrum sanguineum. Seichter Moorgraben mit dünnhalmiger, lockerer Vegetation als Entwicklungsgewässer von Lestes virens vestalis. © H. Wildermuth Dans cet étang tourbeux, les plantes utilisées pour la ponte sont Carex rostrata et Equisetum fluviatile. © H. Wildermuth > Merkblätter Arten > Libellen: Lestes virens vestalis 3 Situation in der Schweiz Das Verbreitungsgebiet von Lestes virens in der West-OstAusdehnung liegt zwischen Portugal und Ost-Kasachstan und erstreckt sich in der Nord-Süd-Ausdehnung von der Ostseeküste bis zum nördlichsten Nordafrika unter weitgehender Ausschliessung Grossbritanniens und Skandinaviens. In Mitteleuropa kommt nur die Unterart L. v. vestalis vor. Diese ist in Teilen dieses Gebietes stark gefährdet (z.B. Deutschland) oder vom Aussterben bedroht (z.B. Österreich). Ursprünglich war die Kleine Binsenjungfer im ganzen Mittelland und teilweise auch im Jura verbreitet. Zwischen Bern und Burgdorf, wo sie im 19. Jahrhundert als die häufigste Libelle überhaupt galt, ist sie wie in der übrigen Westschweiz verschwunden. Heute beschränken sich die wenigen, meist kleinen Populationen auf die Nordostschweiz mit ­Schwerpunkt in den Kantonen ZH und SG. Kleine Vorkommen sind ferner in den Kantonen AG, TG, TI, SH und SZ bekannt. L. virens vestalis wird in der Schweiz als vom Aussterben bedroht (CR) eingestuft. 2500 Situation weltweit Altitude 2000 Verbreitung, Höhenverbreitung und Phänologie von Lestes virens vestalis in der Schweiz. 500 1000 1500 © CSCF 0% 70% 40 30 20 < 1970 1970 - 1999 2000 - 2009 10 0 J F M A M J J A S O N D > Merkblätter Arten > Libellen: Lestes virens vestalis 4 Priorität Gefährdung Schutz- und Förderungsmassnahmen In ihrem Gesamtverbreitungsgebiet ist die Kleine Binsenjungfer nicht vom Aussterben bedroht, in Mitteleuropa jedoch allgemein selten geworden und regional verschwunden. In der Schweiz wird sie in die zweithöchste Prioritätsstufe 2 gestellt. Zerstören von bestehenden Flachwasserbereichen mit locker stehender, emerser Vegetation Erhalten, Fördern und Neuanlegen von Flachwasserbereichen Dauerhaftes oder kontinuierliches Absenken bzw. Heben des Grundwasserspiegels im Bereich der von L. v. vestalis besiedelten Gewässer Erhalten bzw. Stabilisieren des Wasserspiegels in Flachwasserbereichen zumindest während der Larvenentwicklung (April bis Juli) Zuwachsen bzw. Verlanden des Gewässers Regenerieren von zugewachsenen Gewässern (v.a. Torfstiche) durch vorsichtiges teilweises Abtragen der Pflanzendecke Verdichtung der Vegetation, insbesondere durch verstärkten Bewuchs mit Schilf (Phragmites australis) oder Rohrkolben (v. a. Typha latifolia) Auslichten der dichten Vegetation, partielles Eliminieren von Schilf und Rohrkolben Eutrophierung der Larvenhabitate durch Einsickern von Düngstoffen aus dem Umgelände, in der Folge Verdichtung der Verlandungsvegetation Schaffen genügend breiter Pufferzonen; Ableiten des einsickernden belasteten Wassers über Randgräben Beschattung der Entwicklungsgewässer durch Gehölze Auslichten der Randbereiche von flachen Stehgewässern sowie von Torfstichen und anderen Stellen mit offenem Wasser in verwaldeten und verbuschten Mooren Zerstörung der Eier durch Mahd der Eiablagepflanzen Grosse Brutgewässer (Seggenwiesen) nur teilweise mähen und 10 cm Stoppeln stehen lassen, kleine Brutgewässer nicht mähen Verbuschung oder sonstige Zerstörung extensiv genutzter, besonnter Landhabitate in der Umgebung der Brutgewässer Entbuschen, langhalmige Grasvegetation fördern. Flächen alternierend nur alle zwei Jahre mähen. Gefährdungsursachen Hauptursache für das Aussterben der Art in der Westschweiz und für den starken Rückgang im östlichen Schweizer Mittelland war die Entwässerung der grossflächigen Sümpfe und Moore. Die verbliebenen Vorkommen sind heute mit ihren Brutgewässern grösstenteils geschützt. Dennoch ist ihre Weiterexistenz nicht in jedem Fall gesichert. Absinken des Grundwasserspiegels, Zuwachsen oder Beschattung der Gewässer können auch innerhalb von Schutzgebieten zum Erlöschen der Populationen führen. Erhaltungs- und Förderungsmassnahmen Da sich die Art in der Regel ortstreu verhält, besiedelt sie neu geschaffene Lebensräume abseits von existierenden Vorkommen nur zögerlich, wenn überhaupt. Wichtigste Massnahme ist deshalb, die noch vorhandenen Populationen zu überwachen, zu erhalten und zu fördern. Wo die Brutgewässer an Qualität einbüssen, werden Eingriffe nötig. In bestehenden Entwicklungsgewässern kann beispielsweise zu dicht gewordene Vegetation ausgelichtet oder fleckenweise entfernt werden. Dasselbe gilt für aufkommendes Gebüsch, das die Larvenhabitate beschattet. Speziell zu beachten ist, dass diese während der Larvenentwicklung zwischen Frühling und Sommer nicht austrocknen, was eine Überwachung des Wasserregimes erfordert. Neu geschaffene Flachgewässer sollen wenn möglich nicht weiter als 100m von besiedelten Stellen entfernt liegen. Die einzelnen Gewässer können so miteinander vernetzt werden. Massnahmen und Eingriffe sollten unter Beizug von Spezialisten geplant und durchgeführt werden. > Merkblätter Arten > Libellen: Lestes virens vestalis 5 Literatur Flöss I. (1999): Die Libellenfauna der Glattläufe von Rümlang und Oberglatt (Kt. Zürich) 1999. Unveröff. Bericht z.H. Fachstelle Naturschutz, Amt für Landschaft und Natur, Zürich. Gonseth Y. & C. Monnerat (2002): Rote Liste der gefährdeten Libellen der Schweiz. BUWAL, Bern & CSCF, Neuchâtel. Heidemann H. & R. Seidenbusch (1993): Die Libellenlarven Deutschlands und Frankreichs. Handbuch für Exuviensammler. Verlag Erna Bauer, Keltern. Hoess R. (1994): Libelleninventar des Kantons Bern. Sonderdruck aus dem Jahrbuch des Naturhistorischen Museums Bern 12: 3-100. Jödicke R. (1997): Die Binsenjungfern und Winterlibellen Europas: Lestidae. Die Neue Brehm Bücherei, 631. Westarp Wissenschaften, Magdeburg. Leuthold W. (2009): Libellen (Odonata) im Neeracherried (Kanton Zürich). Das Artenspektrum und seine Veränderungen in 20 Jahren. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 154: 1-9. Schorr M. (1990): Grundlagen zu einem Artenhilfsprogramm Libellen der Bundesrepublik Deutschland. Ursus Scientific Publishers, Bilthoven. Sternberg K. & C. Röhn (1999): Lestes virens vestalis Rambur, 1842. In: Sternberg K. & R. Buchwald (Hrsg.): Die Libellen Baden-Württembergs, Bd. 1. Ulmer, Stuttgart, S. 418-427. Wildermuth H. (1980): Die Libellen der Drumlinlandschaft im Zürcher Oberland. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 125: 201-237. Wildermuth H. (1986): Die Auswirkungen naturschutzorientierter Pflegemassnahmen auf die gefährdeten Libellen eines anthropogenen Moorkomplexes. Natur und Landschaft 61: 51-55. Wildermuth H. (2005): Lestes virens vestalis. In: Wildermuth H., Y. Gonseth & A. Maibach (Hrsg.): Odonata – Die Libellen der Schweiz. Fauna Helvetica 12, CSCF/ SEG, Neuchâtel: 100-103. Wildermuth H. (2008): Konstanz und Dynamik der Libellenfauna in der Drumlinlandschaft Zürcher Oberland – Rückblick auf 35 Jahr Monitoring. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 153: 57‑66. Wildermuth H. & D. Küry (2009): Libellen schützen, Libellen fördern. Leitfaden für die Naturschutzpraxis. Beiträge zum Naturschutz in der Schweiz Nr. 31. Pro Natura, Basel. Abkürzungen Impressum RL Autor Rote Liste der gefährdeten Libellen der Schweiz (Gonseth & Monnerat 2002, http://www.bafu.admin.ch) PRIO Liste der National Prioritären Arten (BAFU 2011, http://www.bafu.admin.ch) NHV Verordnung über Natur- und Heimatschutz SR 451.1 (16. Januar 1991) Hansruedi Wildermuth Zitierung Wildermuth H. 2013. Merkblätter Arten – Libellen – Lestes virens vestalis. Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Libellenschutz, CSCF info fauna, Neuenburg und Bundesamt für Umwelt, Bern. 5 S. Kontakt Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Libellenschutz, c/o Life Science SA, 4058 Basel · [email protected] Herausgegeben mit fachlicher und finanzieller Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt (BAFU), dieses Merkblatt kann unter www.cscf.ch abgerufen werden SAGLS GTCLS