Unser Gehirn – ein sensibles Signalnetzwerk Ein Griff nach dem Bleistift – bei dieser einfachen Bewegung muss ein kompliziertes Signalnetzwerk von Nervenzellen in unserem Körper einwandfrei funktionieren. Wie empfindlich das Netzwerk ist und welche Konsequenzen Schäden haben, zeigt sich bei neurologischen Krankheiten wie Parkinson und Chorea Huntington, bei denen Nervenzellen absterben. Welche Substanzen schützen unsere Nervenzellen? Wie entwickeln sich Nervenzellen aus Stammzellen und kann man diese Stammzellen für die Therapie von Nervenkrankheiten einsetzen? Morbus Parkinson Substantia nigra Das Nervensystem Unser Nervensystem ist der Teil des menschlichen Körpers, welcher der Reizwahrnehmung, der Reizleitung, der Reizverarbeitung und der Reaktionssteuerung dient. Es bildet den Regelkreis des Verhaltens auf äussere und innere Reize und besteht aus vernetzten Nervenzellen, den sogenannten Neuronen, sowie aus Gliazellen. Die Hauptaufgabe von Nervenzellen besteht darin, Signale weiterzuleiten und mit anderen Nervenzellen zu kommunizieren. Man weiss heute, dass eine Nervenzelle bis zu 10.000 Verbindungen zu anderen Nervenzellen unterhalten kann. Die Signalübertragung zwischen Nervenzellen wird durch Neurotransmitter (z. B. Dopamin) ermöglicht. Mehr als 100 Milliarden Nervenzellen sind in unserem Gehirn zu finden. 1 Wenn unser Nervensystem geschädigt ist, können komplexe neurologische Krankheiten wie zum Beispiel Morbus Parkinson entstehen. Morbus Parkinson ist eine sich langsam entwickelnde neurologische Erkrankung, die auch als Schüttellähmung bezeichnet wird. Sie hat ihre Ursache in einer Veränderung des Mittelhirns, das eine wichtige Stellung in der Steuerung unserer Bewegungsabläufe einnimmt. Der Ursprung der Veränderung liegt in der Substantia nigra, einer Struktur im Mittelhirn, in der Dopamin-produzierende Nervenzellen absterben. Dopamin ist ein Botenstoff, der die Vorstellung einer Bewegung vermittelt, bevor sie umgesetzt wird. Ist zu wenig Dopamin vorhanden, wird die Signalübertragung an das Striatum, ein Bereich des Grosshirns, der mit der Substantia nigra verbunden ist, nicht mehr ausreichend weitergeleitet. Dieser Dopaminmangel verursacht letztlich eine Muskelstarre und führt zu dem für die Patienten typischen Muskelzittern sowie zu einer allgemeinen Bewegungsarmut. In den meisten Fällen tritt die Parkinson-Krankheit im Alter von 50 bis 60 Jahren auf – doch erste Anzeichen, wie zum Beispiel das reduzierte Mitschwingen eines Armes beim Laufen, zeigen sich meist erst, wenn 50 bis 60 Prozent der Dopamin-produzierenden Zellen bereits zerstört sind. Die Ursachen für diese Zerstörung sind noch nicht bekannt. Eine Operation am Gehirn kann lediglich die Symptome mildern, aber nicht die Zerstörung der Nervenzellen aufhalten. Medikamente können zwar die Lebensqualität der Patienten verbessern, die zerstörten Zellen jedoch nicht wieder regenerieren. Stammzellen in der Behandlung von neurologischen Erkrankungen Das grosse Potenzial der Stammzellen liegt darin, dass sie sich in eine Vielzahl von Zelltypen ausdifferenzieren können. Im Idealfall könnte man mit ihnen neue, intakte Zellen generieren und damit die Krankheit bekämpfen. Im Fall der Erkrankung Morbus Parkinson ist das Ziel, Dopamin-produzierende Zellen zu generieren, welche den betroffenen Patienten transplantiert werden können. In der Forschung unterscheidet man zwischen adulten Stammzellen, die sich nicht zu Nervenzellen entwickeln können, und embryonalen Stammzellen, welche pluripotent sind, sich also zu jedem Zelltyp entwickeln können. Zudem unterscheidet man fetale Stammzellen, die je nach Alter multipotent sind und daher in ihrer Möglichkeit der Differenzierung zwischen embryonalen und adulten Stammzellen liegen. Um Therapien gegen Krankheiten wie Morbus Parkinson zu entwickeln, sind Forscher daher auf fetale und embryonale Stammzellen angewiesen. 2 Humane embryonale Stammzellen :oben Neuronale Tochterzellen :unten Forscher versuchen mit Hilfe von bestimmten Proteinen, den neuronalen Wachstumsfaktoren, die Differenzierung der Stammzellen zu steuern. Diese Wachstumsfaktoren spielen bei der Entwicklung des zentralen Nervensystems eine wichtige Rolle, da sie neuronales Wachstum und Differenzierung kontrollieren und koordinieren. Neueste Studien mit dem Wachstumsfaktor GDNF (Glial Cell Line-Derived Neurotrophic Factor), der die morphologische Differenzierung dopaminhaltiger Nervenzellen stimuliert, zeigten erste Erfolge. Nicht nur der Abbau Dopamin-produzierender Zellen konnte verhindert werden, es verbesserten sich zudem die Krankheitssymptome der Versuchstiere und die Dopamin-haltigen Nervenzellen wuchsen schneller und besser. Möchten Sie mehr wissen? Dieses Thema kann als Schulbesuch gebucht werden: BE29: Unser Gehirn – ein sensibles Signalnetzwerk, Prof. Dr. Hans Rudolf Widmer, Neurochirurgische Klinik, Inselspital, Universitätsspital Bern