6 Die vierbeinigen Helfer des VNV beim Erhalt unserer Kulturlandschaft Das „Rote Höhenvieh“ Ursprünge, Entwicklung und Bedeutung für den Erhalt von Landschaften; Wissenswertes über Rinder Es gab in den IRRGEISTERN schon mehrere Artikel und Berichte über die Rinderrasse des „Roten Höhenviehs“. Trotzdem kam immer wieder die Bitte, doch noch mehr über das Projekt, die Zucht und die Haltung von Rindern und besonders über die Rinderherde des VNV zu erfahren. Um den Lesern eine gemeinsame Basis und eine Übersicht der zoologischen Systematik zu verschaffen, möchte ich als Mitarbeiter in der Projektgruppe „Rotes Höhenvieh“ des VNV zuerst einige Bezeichnungen erklären. Des weiteren folgt eine kurze Stammesgeschichte des Rindes, dann die Entwicklung der VNV- eigenen Rinderherde und danach Wissenswertes zum Verhalten von Rindern. Rotes Höhenvieh auf der Wiemecke bei Marsberg am 25.5.2003 Foto: V. Falkenstein Ein weibliches Tier von der Geschlechtsreife bis zur ersten Geburt oder kurz danach heißt Färse, Stärke, Kalbin, Rind, nach der ersten Kalbung nennt man es Kuh. Bei den männlichen Tieren heißt das geschlechtsreife Tier Stier oder Bulle, wenn es kastriert ist Ochse. Die Abkürzung RHV steht für „Rotes Höhenvieh“. Erklärungen: Rinder sind vierzitzige, horntragende, paarhufige, wiederkauende Säugetiere ohne Schneide- und Eckzähne im Oberkiefer. Alle Jungtiere werden Kalb genannt, während der ersten Lebenswoche Nüchternes Kalb und ein von der Muttermilch entwöhntes Kalb, das für die Mast bestimmt ist und ausschließlich feste Nahrung bekommt heißt Fresser. RHV - unser Zuchtbulle Bernhard (benannt nach unserem 1. Vorsitzenden) in Brilon-Madfeld am 24.10.04 Foto: V. Falkenstein 7 Entwicklungsgeschichte: Die Rinder gehören zu den Säugetieren (Mammalia), und zwar zu den Huftieren (Ungulata), Ordnung Paarhufer (Artiodactyla) mit der Unterordnung der Echten Wiederkäuer (Ruminantia), Teilordnung Stirnwaffenträger (Pecora). Sie bilden dort neben anderen die Familie der Hornträger (Bovidae) mit der Unterfamilie Rinder (Bovinae). Kennzeichen der Bovinae sind Euter mit 4 Zitzen, 32 Zähnen, aber ohne Schneide- und Eckzähne oben. Daher können sie nicht abbeißen, sondern sie müssen ihr Futter rupfen. Der Fressvorgang wird später noch beschrieben. Um es nicht allzu wissenschaftlich werden zu lassen, folgt nur ein oberflächlicher Ausflug in die Geschichte des Rindes. Rinderartige Tiere erschienen auf der Erde vor 10 Millionen Jahren. Zur Zeit bilden die Rinder noch 4 Gattungen, 7 Untergattungen, 9 Arten, 21 Unterarten. - Bubalus => Asiatische Büffel - Syncerus => Afrikanische Büffel - Bos => Rind - Bison => Wisent, Bison Die Gattungen kann man an den Hörnern unterscheiden. Büffelhörner sind im Querschnitt dreieckig, die Hörner der Bos und Bisons sind im Querschnitt rund oder oval. Die vier Gattungen umfassen jeweils mehrere Arten, wovon einige domestiziert, d.h. aus einer Wildform gezüchtet oder gezähmt wurden. Wildform Auerochse, Ur Wildyak Gaur Banteng Wasserbüffel domestizierte Form - Hausrind, Zebu Hausyak Gayal, Stirnrind Balirind Hausbüffel Yak Alle Arten der Gattungen Bos und Bison lassen sich miteinander kreuzen. Wasserbüffel Der Auerochse oder Ur (Bos primigenius) starb 1627 zuletzt in Polen aus. Die Stiere wogen 800–1000 kg und hatten eine Widerristhöhe (höchster Punkt über den Vorderbeinen) bis zu 180 cm. Der Ur war verbreitet über Eurasien und Nordafrika. Die Rückzüchtungen aus verschiedenen Rinderrassen ergaben ein phänotypisches = (im Erscheinungsbild ähnlich) Rind, das aber deutlich kleiner ist als der Auerochse. Weltweit gesehen ist das Fleisch das bedeutungsvollste Produkt der Rinder, es wird in fast allen Kulturen und von allen Völkern gegessen. Ausnahmen sind die Hindus und die Vegetarier. Danach sind die Milcherzeugung und die daraus erstellten Produkte zu nennen, desweiteren die Ledergewinnung aus der Haut der Schlachttiere, die zuerst wohl zum Bau von Zelten, Hütten und Unterständen diente. Aus Knochen und Horn wurden Gebrauchsgegenstände hergestellt. 8 Die gesammelten und getrockneten indischen Kuhfladen eines Jahres sind energetisch äquivalent zu: - 85 Millionen Tonnen Holz oder - 43 Millionen Tonnen Kerosin oder - 64 Millionen Tonnen Steinkohle Weiterhin diente und dient der Dung als Dünger für die Landwirtschaft. Die Kraft nutzte man, um von ihnen Lasten ziehen zu lassen oder den Acker zu bearbeiten. Weltweit gibt es ca. 300 Rinderrassen. Zwei Rassegruppen stammen vom Auerochsen ab: „Europäische Rinderrasse“ (Bos taurus) und die Zebus (Bos indicus). Bei den Rassen unterscheidet man drei Nutzungsziele: Milch Fleisch Arbeit Früher musste eine Rasse alle drei Nutzungsziele erfüllen können. Heute geht der Trend zu den Einnutzungsrassen: 1. Milchrassen: Jersey, Guernsey, Holstein-Friesian (HF) 2. Fleischrassen: Hereford, Charolais, Piemontese 3. Arbeitsrinder: in vielen Ländern der „Dritten Welt“ heute noch unentbehrlich In den deutschsprachigen Ländern herrschen die Zweinutzungsrinder vor. Milchbetonte Zweinutzungsrassen: - Schwarzbunte, Braunvieh, Angler Fleischbetonte Zweinutzungsrassen: - Gelbvieh, Pinzgauer, Eringer Rassen mit gleicher Gewichtung (Milch/Fleisch) - Fleckvieh, Vorderwälder, Tiroler Grauvieh Zu den genannten Kategorien gibt es die Landrassen, die in keiner der vorgenannten Nutzungsrichtungen eine herausragende Leistung vollbringen. Sie haben aber ihre Stärken in: - Anspruchslosigkeit - Robustheit - besondere Krankheitsresistenz - gute Fruchtbarkeit - hervorragende Qualität ihrer Produkte Schottisches Hochlandrind, Insel Mull 1987 Foto: V. Falkenstein Als Beispiele sollen genannt werden: - Murnau-Werdenfelser - Rotes Höhenvieh - Schottisches Hochlandrind Die Kelten brachten bei ihrem Vordringen vor mehr als 8000 Jahren die Kunst des Zähmens mit nach Europa. Hier entwickelte sich, bedingt durch die Art der Landwirtschaft (keine oder kaum Düngung der Felder) und dadurch bedingtem Winterfuttermangel sowie der Tierhaltung (Ziehen von Lasten, Milchund Fleischerzeugung, Waldweide) ein kleines, widerstandsfähiges, robustes, leistungsfähiges, einfarbig rotes Rind. Das rote Rind lässt sich von Frankreich aus in einem breiten Gürtel quer durch Mitteleuropa bis nach Russland mit seinem „roten Steppenvieh“ verfolgen. Die Rasse „Rotes Höhenvieh“ gab es ursprünglich in der heutigen Form nicht. Der Name wurde gebildet aus vielen kleinen, örtlich begrenzten Landschlägen des mitteldeutschen Raumes, deren Ursprünge auf das „Keltenvieh“ zurückgehen. Eine gezielte Zucht in Europa begann erst vor ca.200 Jahren in England ab 1755 durch Robert Bakewell und durch die Brüder Robert und Charles Colling. Die Züchter versuchten damals, aus den jeweils besten Tieren noch leistungsfähigere Nachkommen zu bekommen. Bald sah man, dass dies so ohne weiteres nicht funktionierte. Die zur Zucht ausgewählten Tiere passten nicht zu den kargen Standorten der Mittelgebirge. Im Harz wurden die dortigen Tiere mit Rindern aus dem Zillertal, Tirol und dem Berner Land eingekreuzt. So entstand dort ein wertvolles, an das rauhe Klima und das kärgliche Futter angepasstes rotes Rind, welches auch noch genug Milch gab und als Zugtier eingesetzt werden konnte. Außerdem diente dieses Rind der Fleischerzeugung für die Harzer Bergleute. 9 Es kam zur Gründung von Herdbuchgesellschaften zwischen 1880 und 1900, als man sich zum Ziel setzte, die bestehenden Rassen zu erhalten und ihre Potentiale zu fördern. In den dann angelegten Herdbüchern wurde ein Idealtyp (Standardtyp) der jeweiligen Rasse festgelegt. Schon im Jahr 1885 kam es zur Gründung der „Oberhessischen Herdbuchgesellschaft für Vogelsberger Rotvieh“. Im Laufe der Jahre entstanden zwei unterschiedliche rote Landschläge: 1. Niederungsvieh in der milchbetonten Zweinutzung Schon um 1600 wird ein rotes Rind in Angeln (Schleswig-Holstein) erstmals schriftlich erwähnt. 2. Höhenvieh als Zwei- bzw. Dreinutzungsrind aus den Landschlägen - Bayrisches Rotvieh - Egerländer Rotvieh - Harzer Rotvieh - Odenwälder Rotvieh - Rotes Wittgensteiner Höhenvieh - Schlesisches Rotvieh - Vogelsberger Rind - Vogtländer Rind (Sachsen) - Waldecker Rind Viele Landwirte hielten noch rote Rinder, als es in den Jahren zwischen 1950 – 1960 zu einer sehr starken Umstrukturierung in der Landwirtschaft kam. Es begann die Technisierung und Motorisierung. Traktoren und die dazu gehörenden Maschinen und Wagen kamen unaufhaltsam auf die Höfe. Die Zugleistung der Kühe und Ochsen war plötzlich nicht mehr gefragt. Durch die Maschinen und den Kunstdünger wandelte sich die Landwirtschaft von einer „extensiven“ in eine „intensive“. Noch 1938 wurden im Wittgensteiner Land 6480 Fahrkühe, 670 Ochsen und nur 328 Pferde eingespannt, Traktoren gab es keine. 1959 wurden dort noch immer 5178 Kühe und 35 Ochsen eingespannt. Die 620 Stück Traktoren hatten die Zahl der 396 Zugpferde deutlich überflügelt. Nun musste auch die Tierzucht nachziehen. Dies war aber nicht so einfach zu realisieren. Man begann mit Verdrängungskreuzungen in Richtung Milch- und Fleischproduktion. In erster Linie holte man sich Kreuzungstiere mit hoher Milchleistung, die in Farbe und Körperbau dem Höhenvieh ähnlich sahen. Das waren vor allem Angler Rinder, aber auch das Rote Dänische (Milch-)Rind. Ende der 70er Jahre war eigentlich die letzte Stunde der alten einfarbig roten Landschläge in den Mittelgebirgen Deutschlands gekommen. Die Verdrängung durch Angler Rotvieh war in vollem Gange und das Höhenrotvieh verschwand nach und nach. Es gab nur noch Kühe mit unterschiedlich hohen Genanteilen und noch - glücklicherweise - über 60 Spermaportionen des letzten reinrassigen Vogelsberger Rotviehbullen UWE R 12 (Urgroßvater unserer Kuh SILKA). Uwe, dieser letzte reine Vogelsberger, wurde 1969 bei einer Schauschlachtung auf der „Grünen Woche“ in Berlin geschlachtet. Zu Beginn der 80er Jahre begann man sich erneut Gedanken um den Erhalt der alten Rotviehschläge zu machen. In Gießen gründete sich ein „Arbeitskreis zur Erhaltung des Vogelsberger Rindes“. Nach intensivem Suchen wurden noch ca. 20 weibliche Tiere gefunden, die aber alle nicht mehr reinrassig waren, sondern meist 25% und weniger, maximal aber 50% Genanteil der alten Rasse hatten. Als man dann noch das tiefgefrorene Sperma von UWE R 12 in der Zentralbesamungsstation Gießen fand, war dies der Anstoß, neu zu züchten. Und nach der Anpaarung mit den hochwertigsten Kühen sollten die errechneten Genanteile der Nachkommen ausreichen, um damit weiterzüchten zu können. Die Zuchtbasis wurde immer größer, als man noch weitere Tiere mit einigen Höhenviehgenanteilen fand. 1985 gründete sich dann aus dem Arbeitskreis der „Verein zur Erhaltung und Förderung des Roten Höhenvieh e.V.“ Bis dahin züchteten die Hessen nur mit Tieren aus dem Schlag der „Vogelsberger“. Bei der Suche fand man aber auch noch Tiere des Rotviehschlages im Harz und in Westfalen. Um dort eine ähnliche Rückzucht beginnen zu können, war die Basis damals zu klein, so dass man einige Tiere nach Hessen verkaufte. Nun musste man die Bezeichnung „Rotes Höhenvieh“ verwenden, da die Tiere aus verschiedenen Landschlägen stammten und die Bezeichnung „Vogelsberger“ nicht mehr zutraf. Trotz der zugekauften „Roten“ kam das Problem des zu starken Inzuchtzuwachses auf. Inzucht nennt man die Fortpflanzung unter Blutsverwandten, auch angewandt um reine Linien herauszuzüchten. Um dieser Inzucht zu begegnen, verwendete man Sperma ähnlicher Landschläge. Dies waren die Gelbviehschläge: „Frankenvieh“ und „Lahnvieh“. 10 Die heutige Bezeichnung „Rotes Höhenvieh“ fasst alle ehemaligen roten Landschläge zusammen. Unter diesem Rassebegriff haben sich Anfang 1998 Züchter und Organisationen aus den Bundesländern Hessen, Niedersachsen, NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zur „Bundesarbeitsgemeinschaft Rotes Höhenvieh“ (BAG-RHV) vereinigt. Im Internet findet man mehr darüber unter: www.rotes-hoehenvieh.de Breite Lende Langes und breites Becken Gut bemuskelte Hinterhand Korrekte trockene Gliedmaßen Klare Sprunggelenke 130 – 140 cm Kreuzbeinhöhe; 500 – 700 kg Gewicht der Kühe 135 – 145 cm Kreuzbeinhöhe; 750 – 950 kg Gewicht der Bullen Dunkle, extrem harte Klauen (leicht rötlich durchzogen) Ein nicht zu tief sitzendes Euter mit gleichmäßiger Viertelverteilung Feinfaseriges, mit wenig Auflagefett abgedecktes, aber mit ausreichend intramuskulärem Fett durchsetztes Fleisch Rotes Höhenvieh: Helles Flotzmaul, Hörner hell mit dunkler Spitze Foto: N. Schröder So soll ein „Rotes Höhenvieh“ aussehen: Einfarbig rot, rotbraun bis dunkelbraun Helles Flotzmaul Hörner hell mit dunkler Spitze Weiße Schwanzquaste umgeben von rotbraunen Haaren Kopf mittellang mit breiter Stirn Hals kurz und fest mit ausgeprägter Wamme (Hautfalte am Hals) Vorderhand gut entwickelt Gute Rippenwölbung bei tiefer Brust und Flanke Langer gerader Rücken Amelie mit Balthasar: Ein nicht zu tief sitzendes Euter mit gleichmäßiger Viertelverteilung, am Hals die ausgeprägte Wamme Foto: N. Schröder Die Tierhaltung im VNV Rotes Höhenvieh: Langer gerader Rücken Foto: N. Schröder begann im April 1988 mit 5 großen und 6 kleinen bunten Deutschen Edelziegen. Diese “Kühe des kleinen Mannes“, schreibt Werner Schubert im Heft IRRGEISTER 1988/3, sollten die Pflegemaßnahmen des VNV unterstützen. Die Gründe waren: 1. den Aufwuchs nieder zu halten und 2. der Erhalt der Artenzusammensetzung von Pflanzengesellschaften. Auf nur durch Mahd offengehaltenen Flächen wären möglicherweise schützenswerte Arten verdrängt worden. Im Internet auf der Seite www.vnv-hsk.de finden Sie den Aufsatz von Werner Schubert: Projekt Feuchtwiesenschutz. Er erklärt hier ausführlich die Entstehung der Lebensgemeinschaft Feuchtwiese. 11 Deutlich zeigt Werner Schubert auf, dass zum Erhalt dieses für besondere Vogelarten und Pflanzen wichtigen Lebensraumes die einstweilige Sicherstellung oder die Ausweisung als NSG nicht ausreicht. Es muss auch eine Bewirtschaftung stattfinden, da die Wiesen sonst verbrachen oder verbuschen. Denn nicht alle wertvollen Flächen können vom ehrenamtlichen Naturschutz gemäht und das Mähgut entsorgt werden. Im Rahmen eines Flurbereinigungsverfahrens im Gebiet Brilon-Madfeld war eine Feuchtwiese vom Land NRW angekauft worden. Um diese nach Pacht durch den VNV zu optimieren, wurden alte Verkippungen entfernt und zwei kleine Blänken angelegt. Der VNV errichtete Zäune und nahm eine Anpflanzung vor. Es wurde ein Viehunterstand im NSG „Hemmecker Bruch“ bei Brilon-Madfeld errichtet. Damit begann für den VNV auch die Arbeit für die Erhaltung der alten Rinderrasse „RHV“. Die ersten 3 Tiere waren erst mal zur Probe aus Hessen entliehen, da für den Kauf keine Förderung hinzubekommen war. Die Tiere wurden im „Hemmecker Bruch“ eingesetzt. Die NRW-Stiftung gab später 8.500,-DM für den Kauf von weiteren Tieren dazu, so dass die Herde langsam größer wurde. Die Tiere wurden von Beginn an in MUTTERKUHHALTUNG eingesetzt und es wurde und wird noch heute nach den Vorgaben von Bioland gewirtschaftet. Nach dem Kauf eines Viehanhängers für 3.000 DM wurden erstmals 7 Tiere am 14.11.91 vom „Hemmecker Bruch“ in den Stall nach Brilon-Nehden zu einem Biobauern gefahren, wo sie den Winter über verblieben. Der erste Bulle hieß Kuno und die Kühe waren Alma, Esther, Silka und das Kalb Kunigunde. Nun aber zur heutigen Situation. Während Alma und Esther nicht mehr in der Herde für Nachwuchs sorgen können, sind ihre Nachkommen umso eifriger dabei die vereinseigene Herde zu vergrößern und für das leibliche Wohl der Fleischkäufer zu sorgen. Silka, als letzte aus der ersten Generation unserer Rinder, verstarb leider im Frühjahr 2004 an der Folge einer Infektion. (Siehe auch Silkas Stammbaum auf der nächsten Seite!) Viehunterstand bei Brilon-Madfeld Foto: N. Schröder In der Herbstversammlung am 10.11.90 berichtete Franz-Josef Stein, dass der VNV knapp 70 ha eigener Flächen zu pflegen habe. Er forderte neue Konzepte zur Pflege, da von einer Erweiterung der Pflegeflächen auszugehen sei. Die Alternativen wären: Unterverpachtung an Landwirte VNV-eigene Rinder Ideal wäre die Unterverpachtung an Berufs- oder Hobbylandwirte, die bereit sind, die von uns geforderten Auflagen zu erfüllen. Da der Verein viele sehr feuchte, aus Naturschutzsicht hochwertige Flächen besitzt, die nur schwer unterzuverpachten sind, bot es sich an, eigene Rinder, z.B. Galloways, anzuschaffen. Da diese Tiere teuer und auch nicht bodenständig sind, suchte der VNV nach alten heimischen Rassen. Man fand das „Rote Höhenvieh“, eine Rinderrasse der Kleinbauern, die damals nur noch in Restbeständen vorhanden war. Unsere Tiere stehen heute nicht nur in BrilonMadfeld im NSG „Hemmecker Bruch“, sondern auch in Marsberg-Obermarsberg in einem Teil des insgesamt 51 ha großen NSG „Auf der Wiemecke“. Ebenfalls auf dem Gebiet von Obermarsberg beweiden wir seit 2003 mit 2-3 Jungtieren eine 0,87 ha große Magerrasenfläche im Glindegrund. Die dritte Weidefläche „Auf dem Bruch/ Mumeckeswiesen“ befindet sich in MarsbergEssentho vor der ehemaligen NATO-Siedlung. Die Fläche setzt sich aus mehreren Kleinparzellen zusammen und umfasst auch eine von uns schon länger beweidete Feuchtwiese. Wir können dadurch die Beweidung durchgehend ermöglichen, auch wenn die Feuchtwiese für die Zeit der Aufzucht von Wiesenvögeln gesperrt bleibt. Unser Beweidungsplan für 2003: 5 Tiere am Wiemeckehang 2 Tiere im Glindegrund 9 Tiere in Essentho 6 Tiere in Madfeld 22 Tiere gesamt 12 Stammbaum einer RHV-Kuh am Beispiel von Silka (Ohrmarkennummer DE 0577974759) geb. 16.04.1989, gestorben am 24.04.2004 13 Glindegrundweide am 16.5.2004: Betreuer und Autor Norbert Schröder beim Kontrollgang Foto: V. Falkenstein Unsere Herde zählte zu Beginn der Weideperiode 2004 insgesamt 29 Tiere. Dies ergibt sich durch den Zugang von Nachwuchs und den Abgang von Schlachttieren. Hinzu kamen im Sommer 2004 noch Geburten auf den Weiden. Solche Geburten führen dann zu weiteren Arbeiten mit und für die Rinder. Um dem Leser einen kleinen Einblick in die Arbeit mit einer vereinseigenen Rinderherde zu geben, habe ich im Folgenden versucht, einige Arbeiten kurz aufzuzählen. Die Aufzählung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, wie auch der vorliegende Artikel nur die Sicht des Autors wiedergibt. Zu den Tätigkeiten gehören: Zaunbau und Reparatur, Bau und Erhalt von Tränkestellen, Wasser fahren, Transport und Aufstellen des Treibgitters, Entfernen von Gebüsch, Reparaturen am Die Arbeit mit und für die Herde (Herden management) teilen sich: Franz-Josef Stein, Johannes Schröder, Werner Schubert und der Autor. Kontolle im Glindegrund am 16.5.2004 durch N. Schröder Foto: V. Falkenstein Viel Arbeit beim Weideauftrieb Anfang Mai auf der Wiemecke in Obermarsberg (Näheres in „IRRGEISTER 1/2001“, S. 8) Foto: V. Falkenstein F.-J. Stein beim Füttern in Madfeld Foto: N. Schröder 14 Unterstand in Madfeld, Transport von Tieren mit Hilfe vom Viehanhänger vor, während und nach der Weideperiode, Umtreiben von einer Weide zur anderen, Umstellen von Tieren im Stall, Setzen von Ohrmarken, Hilfestellung leisten beim Durchführen von Untersuchungen und Behandlungen durch den Tierarzt, Hilfestellung bei der Klauenpflege, Behandlung gegen Parasitenbefall wie: Magen-, Darm-, Lungenwürmer, Leberegel, Räudemilben und Läuse. Die bürokratischen Arbeiten umfassen: Bewegungsmeldungen: Zugang oder Abgang eines Tieres, Geburt, Verkauf, Ankauf, Schlachtung, Tötung auf der Weide oder Verendung eines Tieres; Meldung, wenn ein Tier zur „Pension“ in einen anderen Betrieb geht; Bestellungen: von Ohrmarken, Rinderpässen, Rinderbegleitpapieren und die Ersatzbestellung, wenn z.B. eine Ohrmarke verloren geht; Versicherung der Rinderherde gegen z.B. Haftpflichtschäden; Suchen nach Namen für 1. weibliche Tiere (Anfangsbuchstabe gleich dem der Mutterkuh) 2. männliche Tiere (Anfangsbuchstabe gleich dem des Vaternamens); Anfordern von Prämien aus den verschiedenen Förderprogrammen; Ankauf und Verkauf von Tieren; Anfordern von Abstammungsnachweisen nach Geburten; Mitarbeit bei: - Bundesarbeitsgemeinschaft Rotes Höhenvieh (BAG-RHV) - Verein zur Erhaltung und Förderung des Roten Höhenviehs e.V. - Verein zur Förderung der Rotviehzucht in Westfalen e.V. - Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) - Öffentlichkeitsarbeit im Bereich Züchtung von Rotem Höhenvieh - Informationssammlung über Themen: Rinderseuchen, IBR, BHV , BSE. Der VNV besitzt keinen eigenen Stall in dem die Rinder in der weidefreien Zeit untergestellt werden könnten. Daher sind wir auf die Ställe unserer Schäfer und auf die anderer Rinderhalter angewiesen. Zur Winterzeit steht der größte Teil unserer RHV-Tiere in Marsberg-Udorf im Stall von Schäfermeister Ralf Bauer, der mit seinem Team auch die Fütterung der Tiere mit biologisch erzeugtem Futter und das Ausmisten des Stalls übernimmt. Die Färsen versorgt in Brilon-Madfeld Schäfermeister Wigbert Wagner. Einige Jungbullen stehen bei unserem VNV-Mitglied Heinz König auf Gut Bremke. Diese Winterquartiere sind ein großer Kostenfaktor im Managementplan unserer VNV-Herde. Gern würden wir die Tiere auch im Winter auf den Weideflächen herumlaufen lassen. Dies ist uns aber vertraglich untersagt, da fast alle Flächen unter Naturschutz stehen und hierauf eine Beweidung nur vom 15.04. eines Jahres bis 15.11. eines Jahres zugelassen ist. Ideal wäre allerdings die Offenstallhaltung mit einem großen Auslauf in der Winterzeit. Die Tiere könnten sich dann aussuchen, wo sie sich aufhalten möchten: draußen im Schnee oder bei Frost und vor kalten Winden geschützt hinter den Stallmauern auf Stroh. Rotes Höhenvieh im Stall in Marsberg-Udorf Foto: V. Falkenstein Um Rinder zu betreuen und züchten zu können, mussten wir uns auch mit dem Verhalten und der Fortpflanzung von Rindern beschäftigen. Verhalten: Wer mehr über das Verhalten von Rindern erfahren möchte, dem empfehle ich das Buch: Nutztierkunde von H.H. Sambraus von 1991 aus dem Verlag UTB Ulmer ; ISBN 3-8001-2637-0 In diesem Buch fand ich das Thema „Verhalten“ sehr ausführlich geschildert. Ich gebe hier nur einige zusammenfassende Auszüge wieder. 15 Auch beim Fototermin scheint es einen Herdentrieb zu geben. Foto: V. Falkenstein 1. Allgemeines Rinder sind Herdentiere. Geht ein Teil der Herde zum Grasen oder zum Trinken, dann folgen die übrigen Tiere. So bleibt der Kontakt mit den anderen Herdentieren erhalten. Das Herdenleben ist wohl ein Überbleibsel der Wildform. Damals war es von Vorteil, in einer Gruppe zu leben, um neue Weidegründe zu erschließen, Wasser zu finden und Feinde zu meiden. Nachteilig ist das Herdenleben für schwächere Tiere, die sich vor den Aggressionen der Ranghöheren vorsehen müssen und auch nur bedingt an gutes Futter oder Wasser gelangen. Trotzdem kann jedes Tier einer Herde seine benötigte Nahrung aufnehmen. 2. Kampfauslösende Situationen Um Rangordnungen zu klären, reicht oft schon das Auftreten aus. Ein körperlich schwächeres Tier ordnet sich freiwillig unter, wenn ein anderes ein deutlich selbstbewussteres Auftreten zeigt. Auch Tiere, die durch mehrere Kämpfe erschöpft sind, ordnen sich dann kampflos unter. Geschlechtsreife Kälber geraten untereinander immer wieder aneinander, wobei jeder Kampf unterschiedlich ausgehen kann ohne große Konsequenzen für das Einzeltier. Jungrinder sind erwachsenen Tieren eindeutig unterlegen, sie müssen die Kühe vor allem in engen Ställen meiden, was auch schon mal in einer Art „Spießrutenlaufen“ enden kann. Kommt ein neues Tier in eine Gruppe und stellt es sich dem Kampf, dann kommt es erst zu Auseinandersetzungen mit ganz bestimmten rangniedrigen Tieren, die eine Art „Soldatenfunktion“ innehaben. Durch die vielen Kämpfe rasch erschöpft müssen neue Tiere zunächst Plätze einnehmen, die ihnen alters- und kräftemäßig nicht entsprechen. Im Frühjahr, wenn es wieder auf die Weiden geht, kommt es oft zu Rangeleien, die aber rasch verklingen. SAMBRAUS hat beobachtet, dass nur ca. 6,4% der möglichen Rangkämpfe stattfanden. In Herden, deren Tiere sich gut kennen, kommt es nur selten zum Kampf. Rangwechsel kommen nur wenige vor. Vorherrschend ist die Regelung des Sozialverhaltens über das Ausdrucksverhalten. Bei einem Kampf, der nur Sekunden dauert, prallen die Tiere mit der Stirn zusammen und versuchen den Gegner zurückzuschieben. Gelingt das Zurückschieben, ist der Kampf beendet und der Sieger verfolgt den Unterlegenen in der Regel nur ein paar Schritte. Stiere versuchen, mit dem Kopf unter den Hals des Gegners zu kommen und ihn wie mit einer Gabel anzuheben, dabei wird kräftig geschoben. Daher kämpfen Stiere mit tief gehaltenem Kopf. Zum Aushebeln haben sie die Kraft in ihrer ausgeprägten Nackenmuskulatur. Kampfentscheidender Faktor ist neben der Erscheinung noch das Körpergewicht. Die Hörner sind nicht so wichtig, wichtig ist nur, ob ein Tier Hörner trägt oder nicht. Die Rangordnung in einer Herde verändert sich automatisch, da sich die Jungtiere hinten anstellen müssen und rangniedrig sind. Erst wenn ältere Kühe ausscheiden oder ranghöhere Tiere verkauft werden steigen die Rangniedrigen auf und der junge Nachwuchs übernimmt die Rolle der rangniederen Tiere. Bei Kämpfen kann man beobachten, wie ein drittes Tier einem der Kämpfer hilft, indem es den „gemeinsamen“ Gegner in die Brustseite oder Flanke stößt. So können auch ranghöhere Tiere plötzlich schlechte Plätze belegen, weil die Kampfpartner möglicherweise ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut haben. 3. Ausdrucksverhalten Das Ausdrucksverhalten beschreibt SAMBRAUS als unterteilbar in aggressives oder regressives Verhalten. Beim demonstrativen Auftreten zeigt man einen Standortbesitz oder die soziale Potenz an. Eine Drohhaltung ist: plötzliches Senken des Kopfes in Richtung Gegner oder auch hakelnde Bewegungen in Richtung Gegner. Erfolgt keine Beachtung der Drohung, erfolgt ein Angriff. Scharren und mit den Hörnern im Boden Wühlen wird als Demonstrieren oder Imponieren ausgelegt. Die Breitseitstellung (Breitseitdrohung) mit weit geöffnetem Lidspalt wird oft gegenüber Artfremden wie auch dem Menschen gezeigt. Das Tier zeigt seine Körperseite, der Kopf wird gesenkt, das Maul angezogen. Geht der Mensch z. B. weiter, so dreht sich das imponierende Tier so um die Vorderbeine als Achse, dass stets die Breitseite zugekehrt bleibt. Nähert sich der Mensch dem Tier, dann zieht es das Maul stärker an die Brust, geht er weg, ist eine deutliche Entspannung zu sehen. 16 Aggressionshemmende Wirkung hat die Unterlegenheitshaltung. Der Kopf wird tief gehalten, das Maul vorgestreckt. Oft nehmen rangtiefere Tiere diese Haltung ein, aber auch ranghohe benutzen sie, wenn sie Kontakt mit Rangtieferen aufnehmen wollen, um zu verhindern, dass diese bei Annäherung ausweichen. Rinder meiden allgemein Körperkontakt. Sie halten stets einen Abstand von 50 cm bis zu 300 cm, bezogen auf Kopf bzw. Hörner, voneinander. Das rangtiefere Tier hat Abstand zu halten. Dies könnte man auch mit Respektabstand bezeichnen. Anders ist das Verhältnis zwischen Stieren und Kühen. Junge Stiere nehmen die Position ein, die ihrer Kraft entspricht. Stiere im Alter von 2 Jahren oder älter sind meist allen Kühen überlegen, verhalten sich aber tolerant, d.h. sie bedrohen nicht und imponieren kaum. In jeder Herde gibt es dominante Kühe, die z. B. bei der Fütterung im Stall ungehemmt am Angebot entlanglaufen und dann dort fressen, wo es ihnen passt. Die anderen Herdentiere weichen einige Schritte zurück, um dann auch zu fressen. Bei Wanderungen zeigen sich Kühe in einer Leitfunktion, die aber nicht festgelegt ist und wechseln kann. So kann auch eine rangniedere Kuh sich auf den Weg zur Tränke machen und alle anderen folgen ihr, damit der Herdenkontakt nicht abreißt. Die Rangordnung spielt bei unserer Weidehaltung kaum eine Rolle, da überall gutes Futter zu finden ist. Probleme kommen erst im Stall auf. Rangniedere Tiere fressen nur kurz und in der Regel auch „schlechteres“ Futter, da die ranghöheren das beste vorher rausgefressen haben. Die soziale Rangordnung einer Herde kann durch den Menschen beeinflusst werden, indem er das Hornwachstum verhindert (Verätzen, Verbrennen, Ausschälen an der Stelle, an der die Hörner wachsen würden). Lt.§5 Tierschutzgesetz ist dieser Eingriff bei Kälbern bis zum Alter von 6 Wochen erlaubt. Ohne Hörner werden die Ausweichdistanzen kleiner, der Landwirt kann mehr Tiere in einem Laufstall halten und auch beim Fressen haben rangniedere Tiere eher eine Chance gutes Futter zu bekommen. Unsere Tiere dürfen ihre Hörner behalten. 4. Sexualverhalten: Der natürliche Zyklus eines Rindes beträgt allgemein 21 Tage und die Trächtigkeitsdauer im Schnitt 280 Tage. Der Eintritt der Geschlechtsreife ist bei weiblichen Rindern normal mit 8 – 10 Monaten. Unsere praktischen Erfahrungen zeigten, dass bei RHV-Tieren die Geschlechtsreife schon mit 4,5 Monaten eintrat und es dann Probleme beim Kalben gab, da die Kuh nicht die erforderlichen körperlichen Vorraussetzungen für eine problemlose Geburt hatte. Wir versuchen durch unser Management, eine natürliche Besamung durch einen Zuchtbullen erst ab dem 24 Lebensmonat zu ermöglichen. Stiere werden normalerweise erst ab dem 15. Lebensmonat zur Zucht eingesetzt. Dass sie schon viel früher decken können, zeigte unser Jungbulle „Ungetüm“ bei einigen Ausbrüchen aus der Weide in Obermarsberg auf die Nebenweide zu den brünstigen Rindern und Kühen der Hudegenossenschaft Obermarsberg, die noch den größten Teil des NSG „Auf der Wiemecke“ beweidet. Eine Brunst erkennt der Fachmann an: -Duldung eines Aufsprungs, -Schwellung der Scham, -Ausfluss von klarem Schleim aus der Scheide. Die Dauer der Hochbrunst schwankt: Bei Anwesenheit eines Deckbullen hält sie ungefähr 3 Std. an, ohne Stier in der Nähe wurde eine mittlere Brunstdauer von ca. 10 Std. beobachtet. Ein Stier erkennt die Brünstigkeit einer Kuh über seinen Geruchssinn. Er beriecht immer wieder die Vulva (äußere Genitale) der Kühe. Eine andere, zuverlässigere Form ist das Harnkosten. Der Stier beriecht den Harnstrahl, dann flehmt er (Kopfheben, Maul Öffnen, Aufstülpen des Flotzmauls). Während des Flehmens wird Geruchssubstanz in das Organon Vomeronasale gesaugt. Dieses Organ, auch das Jacobson‘sche Organ genannt, befindet sich im Gaumendach der Rinder und vieler anderer Säugetiere. Der Deckbulle prüft die Brünstigkeit weiter mit Aufsprungversuchen. Bleibt die Kuh stehen, umfasst der Bulle die Kuh am Becken zwischen Hüft- und Sitzbeinhöcker. Dann beginnen Suchbewegungen mit dem Penis. Nach dem Eindringen in die Scheide erfolgt die Streckung der S-förmigen Schleife des Penis mit gleichzeitigem Sprung des Bullen in Richtung Kuh. Dies nennt man Nachstoß und in diesem Moment erfolgt die Ejakulation. Der gesamte Vorgang hat dann nur ca. 10 Sekunden gedauert. Pro Brunst wird eine Kuh im Schnitt bis zu 5mal gedeckt, ehe sie in die Nachbrunft kommt. Bullen von Zweinutzungsrassen können bis zu 30mal/Tag decken. Ochsen, die erst nach ihrer Geschlechtsreife kastriert wurden, zeigen auch die normalen Verhaltensweisen, allerdings ohne den Nachstoß. Männliche Tiere, die vor ihrer Geschlechtsreife zu Ochsen werden, zeigen das Flehmen und das Bespringen nicht. 17 5. Mutter-Kind-Verhalten Vor der Geburt legt sich eine Kuh oft hin, bleibt aber nie lange liegen. Sie läuft unruhig umher, scharrt oft am Boden und äußert schon das Lockbrummen, mit dem sie später den Kontakt zum Kalb hält. Die Kuh sucht sich für die Geburt einen ruhigen, vor Blicken geschützten Platz aus. Die Geburt findet im Liegen statt. 2/3 aller Geburten finden nachts statt. Tagsüber werden die Kälber oft nach der ersten Fressperiode zwischen 9:00 und 11:00 Uhr geboren. Nach der Geburt wird das Kalb von der Kuh intensiv beleckt. Die Geburtsflüssigkeit nimmt die Kuh durch Lecken auf. Die Nachgeburt wird dann von ihr gefressen. Das Kalb versucht schon nach 15 Minuten aufzustehen. Dies schafft es nach ca. 30 Minuten und es beginnt dann mit der Suche nach dem Euter der Mutter. Das Kalb kann nicht sofort alle angebotene Milch aufnehmen. Daher säugt es oft, aber immer nur kleine Portionen. Nach 3 Tagen hat sich eine Regelmäßigkeit eingestellt. In den ersten 4 Wochen saugt das Kalb ca. 8mal/Tag, im Alter von 3 Monaten dann nur noch 4-6mal/Tag, mit 6 Monaten nur noch 2mal/Tag. RHV: Kuh beleckt ihr Kalb Foto: N. Schröder Die Kuh erkennt ihr Kalb unverwechselbar am Geruch. Nach ca. 1 Woche erkennt sie das Kalb auch an den Lautäußerungen und nach 2 Wochen auch noch zusätzlich am Aussehen. Kommt ein Kalb zur Mutter, nimmt es zunächst Naso-nasal-Kontakt auf und geht dann zum Euter. Es steht dann so, dass die Kuh das Kalb beim Saugen beriechen kann. Ein Saugvorgang dauert in den ersten Tagen 8-10 Minuten, im Alter von 6 Monaten sinkt die Gesamtsaugdauer bis auf 20 Min./Tag. Beim Säugen sollte der Mensch die Kuh mit Kalb nicht stören, da sie gelegentlich in dieser Phase sehr angriffslustig werden kann. RHV-Dame Gisela mit den Zwillingen Gerta und Gretel, Wiemecke bei Marsberg 15.11.2003 Foto: V. Falkenstein 6. Fressverhalten Eine Kuh umschlingt ein Pflanzenbüschel mit der Zunge, zieht es ins Maul und beißt ab, indem sie die Schneidezähne gegen die Kauplatte des Oberkiefers drückt. Durch diesen Fressvorgang, der in einer langsamen Vorwärtsbewegung durchgeführt wird, kann das Futter nicht kürzer als 3 cm abgeweidet werden. Nach mehreren Bissen hebt das Tier den Kopf und schluckt die Nahrung. Rinder sind tagaktive Tiere. Auf der Weide wirkt der Tag-Nacht-Wechsel als Rhythmusgeber. Zu Beginn der Morgendämmerung beginnt die erste Fressperiode, die 2,5–3 Stunden dauert. Eine weitere Fressperiode beginnt ca. 2 Stunden vor Beginn der Dämmerung und endet erst bei völliger Dunkelheit. Tagsüber liegen zwischen diesen beiden Fressperioden noch zwei weitere. Diese 4maligen Perioden werden aber nur an langen Tagen mit kurzen Nächten beobachtet. Ab August fällt eine Fressperiode tagsüber weg, dafür wird nach Mitternacht nochmals gegrast. Die Fressdauer, die im Schnitt täglich 8-10 Stunden dauert, ist natürlich vom Futterangebot abhängig. Die Sättigungswirkung steigt mit dem Anteil der Trockenmasse des Futters. Eine Kuh braucht durchschnittlich ungefähr 2,5% ihres Körpergewichtes an Trockenmasse im Grundfutter und 10% ihres Gewichtes an Frischfutter. Hieraus ergibt sich, dass die relativ kleinen RHV-Tiere auch auf schlechten Standorten noch genug Futter finden, um satt zu werden und Milch für die Nachkommen zu produzieren. Rinder ziehen bestimmte Pflanzen und Pflanzenteile vor. Neben der Verdaulichkeit ist die Schmackhaftigkeit des Futters für die Tiere wichtig. Das Aussehen spielt keine große Rolle. Durch das gezielte Fressen wird auf längere Zeit gesehen die Vegetation einer Weidefläche beeinflusst. 18 Grasendes RHV-Rind im Glindegrund bei Marsberg Kühe meiden Geilstellen, d.h. dort wo Gras auf alten Kuhfladen wächst, und auch mit Kot beschmierte Futterstellen. Wie vorher erklärt, schluckt die Kuh das Gras fast unzerkaut hinunter. Nun braucht sie das Wiederkäuen, um das Futter weiter zu zerkleinern. Ein Bissen wird hochgewürgt, die überschüssige Flüssigkeit abgeschluckt und der Kauvorgang setzt ein. Pro Minute kaut die Kuh 50-60 mal und die Kauschläge werden mit der Zeit immer schneller. 30-60 Minuten nach der Futteraufnahme beginnt das Wiederkäuen. 80% des Wiederkäuens passiert des Nachts im Liegen, aber auch am Tag wird wiedergekäut. Die Tiere können dabei auch stehen und sie machen dann den Eindruck, als ob sie dösten oder schläfrig seien. Pro Tag dauert das Wiederkäuen 5-8 Stunden, unterteilt in 10-15 Perioden von ca. 30 Minuten Dauer. Rinder trinken, indem sie das Maul wenige Zentimeter ins Wasser tauchen und die Flüssigkeit hochsaugen. Weiderinder trinken täglich 2-5 mal, wenn genug sauberes Wasser in der Nähe ist. Sie können aber auch nur einmal oder noch seltener trinken, wenn das Wasser sehr weit weg oder das Angebot gering ist. Im Stall trinken Rinder bis zu 20mal/Tag. Auf der Weide werden 20-30 Liter Wasser in 2-3 Minuten aufgenommen. Die Tagesmenge kann je nach Temperatur und Futterbeschaffenheit bis zu 100 Liter betragen. Befüllen der Tränke auf der Wiemecke Wasserstelle in Marsberg-Essentho Foto: V. Falkenstein Foto: N. Schröder Foto: N. Schröder 19 7. Ausruhverhalten Auf der Weide ruhen die Rinder gerne auf vegetationsreichen oder sandigen Plätzen. Liegen erst mal Tiere, dann kommen auch die anderen und legen sich in die Nähe. Im Stall werden Stellen bevorzugt, die nachgeben und somit eine große Auflagefläche bieten. Vor dem Hinlegen wird die Stelle berochen, einige Rinder scharren und häufig wird nochmals gekotet, seltener geharnt. Das Hinlegen geschieht, indem das Tier die Vorderbeine unter den Rumpf bringt und auf dem Boden „kniet“. Dann treten die Hinterbeine weiter vor und etwas zur Seite, dann legt sich das Tier auf die andere Seite. Nach einigen Vorwärtsbewegungen der Vorderbeine wird die Ruhestellung erreicht. Kühe liegen pro Tag ca. 10 Stunden, Stiere ca. 12 Stunden. Eine Kuh steht zuerst mit den Hinterbeinen auf. Sie belastet das Brustbein, schiebt den Rumpf weit nach vorn, streckt den Kopf weit vor, um die Hinterhand zu entlasten, und schnellt dann hinten hoch (Schleuderbrettphase). Danach werden nacheinander die Vorderbeine gestreckt, dabei macht das Tier einen Schritt nach vorne und steht somit einen Schritt vor seinem Liegeplatz. Rinder brauchen zum Aufstehen viel Platz in der Längsrichtung. 8. Körperpflegeverhalten Rinder pflegen ihre Körperoberfläche auf verschiedene Weise: - Bearbeiten der Haut mit Körperteilen (Zunge, Klauen, Schwanz) - Reiben an leblosen Gegenständen (Baumstämme, Zaunpfähle, Büsche, Erdboden, Bodenvegetation, Stallwände, Fressgitter) - Soziale Körperpflege Mit ihrer Zunge erreichen die Rinder fast alle Körperteile außer Kopf, Hals, Unterbrust, Unterbauch, Genital-, Analbereich, Schwanz. Mit den Hörnern kommen sie an Oberhals und Widerrist, mit den Klauen der Hinterbeine an Unterbauch, Unterbrust und an die Vorderbeine. Kühe können sich auch am Kopf kratzen, dies machen sie mit einer Klaue des Hinterbeins. Hinlegen oder aufstehen? Foto: N. Schröder Im Liegen ist der Vorderkörper aufgerichtet, die Klauen der Hinterbeine zeigen zur Seite. Das Tier liegt mit aufgerichtetem Kopf mehr auf einer Bauchseite, so dass das Euter fast frei liegt und nur wenig belastet wird. Kälber liegen auch schon mal in Seitenlage, während bei älteren Tieren dies nur in der Tiefschlafphase zu sehen ist. In dieser Lage können die Gärgase des Pansens nicht abgehen und es kommt zu starken Blähungen. Liegephasen werden nach den Fressphasen beobachtet und ungefähr 30 Minuten nach Eintritt völliger Dunkelheit. Beobachtet wurde in strohlosen Ställen, dass dort die Liegephasen weniger an Zahl, dafür aber in der Dauer länger waren als in eingestreuten Ställen. Das Hinlegen und Aufstehen auf harten Böden scheint den Tieren unangenehm zu sein und sie vermeiden es möglichst. Gerta bei der Körperpflege Foto: N. Schröder 20 Auf der Weide scheuern sie sich gern an Bäumen oder Zaunpfählen, um sich von Schmutz, Hautabschilferungen, losen Haaren oder Parasiten zu befreien. Das Wühlen mit den Hörnern im Boden, das Wangenreiben sowie das Wälzen ordnet SAMBRAUS eher dem Sozialverhalten zu. Das Belecken von anderen Rindern findet oft mit ranggleichen Tieren statt. Das soziale Belecken dient der Reinigung sowie der Beschwichtigung, dazu hat es eine „freundschaftsbekräftigende“ Wirkung. Vor dem Lecken oder Belecktwerden steht aber die Bereitschaft dazu und die nicht aggressive Annäherung muss deutlich gemacht werden. Dies wird mit der Unterlegenheitshaltung bekräftigt, die der passive Partner während des Belecktwerdens beibehält. Zu einer Leckaufforderung kann es auch durch Kopfstösse gegen den Hals des Partners kommen, der dann, wenn er bereit ist, vor allem Hals, Widerrist und Becken beleckt, also die Partien, die selbst nur schwer erreichbar sind. Verwendete Literatur: IRRGEISTER, Naturmagazin des Vereins für Natur- und Vogelschutz im HSK e.V. 1. Heft 1988/3 2. Heft 1990/4+1991/1 MICHELS, Bärbel (1996): Haus- und Nutztiere im Sauerland und Wittgensteiner Land in früherer Zeit; Grobbel Verlag 57392 Schmallenberg-Bad Fredeburg RINGLEB, Anneliese (1957): Der Landkreis Brilon; Böhlau Verlag Köln Graz In Verbindung mit Verlag Aschendorff Münster Westfalen SAMBRAUS, H.H.(1991): Nutztierkunde; UTB Ulmer ISBN 3-8001-2637-0 Internet: 1. Entwicklungsländerstudien/ hrsg. von Margarete Payer. Teil I: Grundgegebenheiten. Kapitel 8: Tierische Produktion. 1.Rinder/ verfasst von Sabine Madel. Fassung von 2001-02-07. www.payer.de/entwicklung/entw081.htm 2. www.vnv-hsk.de 3. www.rotes-hoehenvieh.de Norbert Schröder Tschüss! Bis demnächst mal! Gunda schon mit Winterfell am 24.10.04 im „NSG Hemmecker Bruch“ Foto: V. Falkenstein