Lauffer PS Einführung in die Syntax des Deutschen SS 2009 Bibliographische Hinweise 1. Nachschlagewerke BERGMANN, R./ PAULY, P. (1992): Neuhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 4. Aufl. Göttingen. BIBLIOGRAPHIE linguistischer Literatur (1975ff.). Frankfurt/M. BUSCHA, J. (1989): Lexikon deutscher Konjunktionen. Leipzig **BUßMANN, H. (Hg.) (2008): Lexikon der Sprachwissenschaft. 4. durchges. Aufl. Stuttgart GLÜCK, H. (Hg.) (1999): Metzler-Lexikon Sprache. 2. Aufl. Stuttgart/Weimar [=CD-ROM: Digitale Bibliothek, Bd. 34] EISENBERG P. / GUSOVIUS A. (1995): Bibliographie zur deutschen Grammatik. 3. Aufl. Tübingen ENGEL U. / SCHUMACHER H. (1976): Kleines Valenzlexikon deutscher Verben. Tübingen. GRIMM, H.-J. (1987): Lexikon zum Artikelgebrauch. Leipzig HELBIG., G. (1990): Lexikon deutscher Partikeln. 2.Aufl. Leipzig HELBIG G. / HELBIG A. (1993): Lexikon deutscher Modalwörter. Leipzig HELBIG G. / SCHENKEL W. 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Grundlagen und Theorien. 3. überarb. u. erg. Aufl. Wiesbaden ELST van der G. / HABERMANN M. (1997): Syntaktische Analyse. 6. neubearb. Aufl. Erlangen, Jena ENGEL U. (1994): Syntax der deutschen Gegenwartssprache. 3. Aufl. Berlin. ENGEL, U. (2002): Kurze Grammatik der deutschen Sprache. München ENGELEN, B. (1984, 1986): Einführung in die Syntax der deutschen Sprache. Bd.1: Vorfragen und Grundlagen. Bd.2: Satzglieder und Satzbaupläne. Baltmannsweiler. EROMS, H.-W. (2000): Syntax der deutschen Sprache. Berlin, New York. [Dependenzgrammatik] FLÄMIG, W. (1991): Grammatik des Deutschen. Einführung in Struktur- und Wirkungszusammenhänge. Berlin. FLEISCHER W. u.a. (Hrsg.) (2001): Kleine Enzyklopädie – deutsche Sprache. Frankfurt a.M. GREWENDORF, G. u.a. (1987) Sprachliches Wissen. Eine Einführung in moderne Theorien der grammatischen Beschreibung. Frankfurt/M. <Kap.IV. Syntax, S.150-252> GREWENDORF, G. (2002): Minimalistische Syntax. Tübingen/Basel <theoretisch orientiert, für Fortgeschrittene> HENTSCHEL, E / WEYDT, H (32003): Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin LINKE, A. / NUSSBAUMER, M. / PORTMANN, P.R. (2004): Studienbuch Linguistik. 5. erw. Aufl. Tübingen LÜHR, R. (2000): Neuhochdeutsch. Eine Einführung in die Sprachwissenschaft. München 1986. 6. durchges. Aufl. **PITTNER, K. / BERMAN J. (2008): Deutsche Syntax. Ein Arbeitsbuch. 3. aktual. Aufl. Tübingen RAMERS, K.H. (2000): Einführung in die Syntax. München <theoretisch orientiert, als Einführung geeignet> SOMMERFELDT K.-E. / STARKE G. (1998): Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 3. neu bearb. Aufl. Tübingen STECHOW A.V. / STERNEFELD W. (1988): Bausteine syntaktischen Wissens. Opladen. VOLMERT. J. (Hrsg.) (2000): Grundkurs Sprachwissenschaft. Eine Einführung in die Sprachwissenschaft für Lehramtsstudiengänge. 4. Aufl. München WEBER, H.J. (1992): Dependenzgrammatik. Ein Arbeitsbuch. Tübingen WÖLLSTEIN-LEISTEN A., u.a. 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Tübingen Oppenrieder, W. (1991): Von Subjekten, Sätzen und Subjektsätzen. Tübingen Pittner K. (1999): Adverbiale im Deutschen. Tübingen Polenz, P.v. (1987): Funktionsverben, Funktionsverbgefüge und Verwandtes. In: ZGL 15, 169-189 Schmöe, F. (Hg.) (2002): Das Adverb. Zentrum und Peripherie einer Wortklasse. Wien Thurmair, M. (2001): Vergleiche und Vergleichen. Tübingen Vater, H. (Hg.) (1986): Zur Syntax der Determinantien. Tübingen Wegener, H. (1985) Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen Hinweis: Ein allgemein zugängliches Internet-Informationssystem zur deutschen Grammatik ist das grammatische Informationssystem grammis vom Institut für deutsche Sprache, Mannheim (IDS): www.ids-mannheim.de/Projekte/ I. Syntaktische Mittel 1. Die primären syntaktischen Objekte sind lexikalische Stämme, also lexikalische Einheiten ohne spezifizierte Flexionsmerkmale (Lexeme). 2. Diese werden im Satz linear und hierarchisch geordnet sowie durch morphosyntaktische und intonatorische Mittel verändert. 3. Die Merkmalsdimensionen der syntaktischen Form sind demnach: • Distribution (Stellungseigenschaften) • Morphologie (Flexionseigenschaften) • Intonation (Akzent- und Tonhöheneigenschaften). Die syntaktischen Mittel Distribution und Intonation sind universal, Morphologie als syntaktisches Mittel gibt es nur in flektierenden Sprachen wie dem Lateinischen oder Deutschen. Die spezifische Wahl der Merkmale (z.B. eine bestimmte Stellung des Verbs) und die Funktion der Merkmale (z.B. Markierung einer Frage durch Erststellung des Verbs) sind einzelsprachlich. 1. Morphologie 1.1. Flexion: Morphologische Form (a) Flexionsformen. Die morphosyntaktischen Flexionskategorien des Deutschen werden durch folgende formalen Mittel realisiert: • Affigierung: Frau-en, Kind-er usw. • Stammveränderung (Mutierung) durch –Umlaut: Garten-Gärten –Ablaut: binden - banden, rufen - riefen –Hebung: helft - hilft • Ohne Markierung: Mädchen – Mädchen, kann – kann Seite | 2 Lauffer PS Syntax SS 2009 (b) Morphosyntaktische Kategorisierungen sind im Deutschen: Kasus: Deklination: Genus: Deklination: Numerus: Deklination Person: Dekl.(Pronomen) Modus: Tempus: Genus verbi: Konjugation: Konjugation: Konjugation: Konjugation: Konjugation: Kategorien: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ Maskulinum, Femininum, Neutrum Singular, Plural 1. Person, 2. Person, 3. Person Indikativ, Konjunktiv, Imperativ Präsens, Präteritum, (Perfekt, Plusquamperf.,FuturI-II) Aktiv, (Passiv) Hinweise 1. In manchen Wortformen sind mehrere morphosyntaktische Kategorien fusioniert: Tisches: Genitiv + Singular, [sie] bat: 3.Person+Singular+Indikativ+Präteritum 2. Das finite Verb ist Kern des Verbalkomplexes. Infinitiv und Partizip II sind kategorial unmarkierte Konjugationsformen, die auch außerhalb des Verbalkomplexes vorkommen (Arbeiten ist ungesund, nach getaner Arbeit). Das Partizip I und das deklinierte Partizip II sind Verbaladjektive, gehören also zur lexikalischen Morphologie. 3. Die Kategorien der Komparation (Komparativ, Superlativ) haben ebenfalls lexikalische, keine syntaktische Funktion, sollten also eher der lexikalischen Morphologie als der Morphosyntax zugerechnet werden 4. Die Kasusmorphologie ist im Deutschen das wichtigste Mittel zur Kennzeichnung der syntaktischen Funktion: Genitiv Attribut, Adverbial, Objekt, Enom = Subjekt, Eakk=direktes Objekt usw. (c) Das unterschiedliche morphosyntaktische Verhalten der lexikalischen Stämme ist im Deutschen die Grundlage der Klassifizierung der lexikalischen Kategorien (=Wortarten) und der darauf aufbauenden Kategorisierung der Phrasen: • deklinierbar mit lexikalisch festgelegtem Genus: Substantiv • deklinierbar mit variabler Flexionsform und Genusanpassung: Adjektiv • deklinierbar mit fester Flexion und Genusanpassung: Pronomen • konjugierbar: Verb • nicht flektierbar: Partikel (im weiteren Sinne) (d) Die Flexionskategorie eines Wortes (z.B. der Kasus einer Nominalphrase) kann grundsätzlich auf dreierlei Weise zugewiesen werden: • durch Rektion (1.2.) • durch Kongruenz (1.3.) • semantisch oder lexikalisch (1.4.) 1.2. Morphosyntaktische Funktionen : Rektion Asymmetrische Relation, wobei die regierende Konstituente ein morphologisches Merkmal der regierten Konstituente bestimmt. Im engeren Sinne bezieht man sich dabei auf Kasusmerkmale (Kasusrektion). Der Kasus einer NP wird durch eine Konstituente außerhalb dieser NP festgelegt („externer Kopf“). 1.2.1.Im Deutschen können folgende Kategorien Kasus zuweisen: • Rektion des Verbs: das Verb bestimmt die Kasus seiner Ergänzungen („Valenz“) jemanden einer Sache beschuldigen, einer Sache gedenken jemandem etwas schenken, jmdm. helfen, jmdn. küssen • Rektion der Präposition („lexikalische Rektion“): Die Präposition bestimmt den Kasus der von ihr abhängigen Nominalphrase, zum Teil mit semantisch bedingten Alternativen: in den Garten, in dem Haus mit einem Messer, ohne mich, aufgrund des Klimas,, infolge dieser Umstände, trotz der Gefahr, angesichts dieser Situation, dank deiner Hilfe • Adjektiv: jemandem treu, sich einer Sache bewusst, einer Sache würdig, etwas leid sein • Nomen: die Berücksichtigung dieser Tatsache, die Seite des Autos („kategoriale Rektion“) 1.2.2. Genusrektion: • Das Substantiv bestimmt das Genus des Artikels und des attributiven Adjektivs: ein alter Baum, die grüne Wiese, ihr altes Kanapee Seite | 3 Lauffer PS Syntax SS 2009 1.2.3. Im weiteren Sinne werden auch abhängige Präpositionalphrasen zur Rektion gerechnet (sog. kategoriale Rektion): • Verb: an etwas glauben, auf etwas hoffen (=Präpositionalobjekt) • Adjektiv: stolz auf jmdn., zufrieden mit jmdm. (=Präpositionalobjekt) • Substantiv: Hoffnung auf Frieden, Glaube an Gott 1.2.4. Im weitesten Sinne rechnet man auch abhängige Teile des Verbalkomplexes zur Rektion („Statusrektion“): • 1. Status Infinitiv: Du kannst gehen, ich werde kommen. • 2. Status: Infinitiv mit zu: Sie hoffen zu gewinnen. Er scheint krank zu sein. • 3. Statur: Partizip II: Sie ist gekommen. Er hat geschlafen. 1.3. Kongruenz Morphologische Übereinstimmung zwischen Konstituenten hinsichtlich ihrer Flexionsmerkmale, die durch Übertragung („Vererbung“) eines Kasus von einem kasustragenden Kopf auf eine abhängige Konstituente zustande kommt. Im Deutschen sind das Artikel, Pronomina und Adjektive als Teile einer NP, ferner der Kasus von Appositionen und des Prädikatsnomens: • Kongruenz innerhalb einer Nominalphrase hinsichtlich Kasus und Numerus: [Der fette Kater] [meiner alten Tante] mag [keinen kalten Tee] Die mutigsten Schüler sitzen in den ersten Reihen Die Kinder erinnern sich gerne jenes schönen Abends. Hinweis: bei der Übereinstimmung einer NP hinsichtlich des Genus liegt Rektion vor, s.o. • Kongruenz zwischen Subjekt und Verb hinsichtlich Person und Numerus: Ich glaube, du lügst und die anderen irren sich. • Kongruenz zwischen Subjekt oder Objekt und Prädikativ hinsichtlich Kasus und Numerus: Ich war dein Freund, und du nanntest mich deinen Spezi und uns beide Kollegen Ich sage das nur dir als meinem besten Freund. 1.4. Freie Flexionszuweisung Die Flexionsmerkmale sind durch die Funktion bzw. die semantische Rolle der Phrase bedingt, z.B.: • Subjekt: Nominalphrase im Nominativ • adverbial gebrauchte Nominalphrase: Genitiv oder Akkusativ: Sie ist den ganzen Tag putzmunter, aber jeden Abend müde. Eines Tages wird sich das ändern. • • Test: Die NP ist nicht pronominalisierbar: *Sie ist ihn müde. Freier Dativ, z.B. Fährst du mir mal das Auto in die Parklücke? Numerusselektion in Nominalphrase und Verb. 2. Distribution Syntaktisch relevante Stellungseigenschaften sind z.B. • Kontaktstellung (innerhalb einer Phrase) vs. Distanzstellung: Er kam immer mit dem Zug aus Hamburg Aus Hamburg kam er immer mit dem Zug Sogar Max wusste das Max wusste sogar das • Erststellung/Zweitstellung/Letztstellung des finiten Verbs: Du hast das nur geträumt Hast du das nur geträumt? Dass du das nur geträumt hättest! • Stellung vor dem finiten Verb in Zweitstellung (Stellung im Vorfeld): Du hast eben noch geschlafen Eben hast du noch geschlafen Vielleicht war das ein Traum Das war vielleicht ein Traum! Seite | 4 Lauffer PS Syntax SS 2009 • Relative Stellung zweier Einheiten: Dich habe ich nicht gemeint Ich habe dich nicht gemeint Ich habe nicht dich gemeint 3. Intonation Syntaktisch relevante intonatorische Eigenschaften sind z.B.: -Intonationsverlauf -Pausen -Stelle des Satzakzents ("Fokus") -Markierung durch Kontrastakzent -Phrasenakzent Du wirst das machen! - Wirst du das machen? War das eine Antwort ? - War das eine Antwort! Du hast ében noch geschláfen - Du hast eben noch geschláfen Ich hätte das áuch getan - Ich hätte das auch getán Ich hatte ihm das Búch geschenkt – Ich hatte íhm das Buch geschenkt Er kam mit dem Zúg aus Hámburg - mit dem Zug aus Hámburg. II.Syntaktische Tests Die syntaktischen Tests (auch: operationale Verfahren) dienen der überprüfbaren Ermittlung von Konstituenten bzw. Kategorien und deren Funktionen. Es sind heuristische Verfahren, die im Einzelfall nicht immer korrekte Ergebnisse liefern. 1. Permutation (Umstellprobe, Verschiebeprobe) (a) Verfahren • Wörter oder Wortfolgen eines Satzes werden umgestellt. (b) Zweck • Ermittlung von potentiell beweglichen, zusammen verschiebbaren Satzteilen oder Teilen von Satzteilen. Solche Satzteile sind syntaktische Konstituenten (Wörter, Wortgruppen/Phrasen). • Auflösung syntaktisch bedingter Mehrdeutigkeit bei Segmentierungsalternativen (vgl. die strukturelle Ambiguität der Sätze (e1 ,2) gegenüber eindeutigen Sätzen wie (e3 ,4). (c) Besonderheiten • Bei Permutation des Verbs ändert sich der Satzmodus (Aussage, Frage, Befehl, Ausruf): Max ist mit dem Fahrrad gekommen Ist Max mit dem Fahrrad gekommen? • Bei Permutation von Satzgliedern (s. unten 2.2.c) ändert sich meist nur die kommunikative Gliederung (Thema-Rhema-Gliederung): Max ist mit dem Fahrrad gekommen Mit dem Fahrrad ist Max gekommen • Bei Permutation von Konstituenten, die nicht Satzglieder sind, ändert sich die Satzbedeutung, oder der Satz wird unsinnig oder ungrammatisch: *Max ist dem mit gekommen Fahrrad. (d) Sonderformen Die wichtigste Sonderform der Permutation ist die Spitzenstellung im Aussagesatz bei Zweitstellung des finiten Verbs (Position im Vorfeld). Eine Kategorie, die diese Strukturstelle vor dem finiten Verb im Aussagesatz füllen kann, steht zum Satz in der Relation eines Satzglieds, hat Satzgliedfunktion. Seite | 5 Lauffer PS Syntax SS 2009 e) Beispiele (1) Max ist gestern mit dem Zug aus Hamburg gekommen (2) Gestern ist Max mit dem Zug aus Hamburg gekommen (3) Mit dem Zug aus Hamburg ist Max gestern gekommen (4) Mit dem Zug ist Max gestern aus Hamburg gekommen (5) Aus Hamburg ist Max gestern mit dem Zug gekommen (6) Ist Max gestern mit dem Zug aus Hamburg gekommen? (7) *Mit dem ist Zug Max gekommen gestern Hamburg aus. 2. Substitution (Austauschprobe, Ersatzprobe) 2.1. Substitution von Konstituenten (a) Verfahren Wörter oder Phrasen (also permutierbare Wortfolgen) werden durch andere Wörter oder Phrasen mit gleichen morphologischen und satzintonatorischen Eigenschaften ersetzt. (b) Zweck Ermittlung von Mengen von Konstituenten mit gleichen Stellungseigenschaften, also von paradigmatischen Klassen (=syntaktische Kategorien). Wörter oder Phrasen, die sich in verschiedenen Kontexten ohne Änderung ihrer Bedeutung für einander substituieren lassen, gehören derselben syntaktischen Kategorie an. (c) Beispiele Max war damals mit einem verrosteten Fahrrad gekommen Moritz ist diesmal ohne sein geliebtes Auto verreist 2.2. Substitution von Kategorien (a) Verfahren Konstituenten werden durch Konstituenten einer anderen Kategorie ersetzt, ohne daß sich die strukturelle Bedeutung des Satzes ändert oder der Satz ungrammatisch wird. (b) Zweck Ermittlung von Strukturstellen im Satz, die unabhängig sind von der jeweiligen kategorialen Füllung, also Ermittlung von Relationen (funktionalen Beziehungen) zwischen den im Satz verknüpften Kategorien ("syntaktische Relationen" oder "syntaktische Funktionen"). (d) Sonderformen Sonderform des Substitutionstests ist die Substitution durch eine Pro-Form („Pronominalisierungstest“) durch ein Interrogativpronomen oder -adverb („Fragetest“), durch ein Relativpronomen oder -adverb („Relativsatztest“). Pronominalisierbare Wörter oder Wortgruppen haben in der Regel Satzgliedfunktion. (e) Beispiele Moritz hat ihr gefallen Das Buch hat ihr gefallen Was Max gesagt hat, hat ihr gefallen (=Pronominalisierungstest) Es hat ihr gefallen Wer/Was hat ihr gefallen? (=Fragetest) Gestern hat es geschneit Vor zwei Tagen hat es geschneit Die ganze Nacht hat es geschneit Wann hat es geschneit? Das Buch von Max gefällt ihr Das Buch hier gefällt ihr Das Buch, das ich ihr geliehen habe, gefällt ihr Welches Buch gefällt ihr? Seite | 6 Lauffer PS Syntax SS 2009 3. Expansion (Erweiterungsprobe, Addition) (a) Verfahren Wörter werden zu Phrasen erweitert oder Phrasen zu komplexeren Phrasen, oder es werden dem Satz neue, von anderen Konstituenten unabhängige Konstituenten hinzugefügt. (b) Zweck Ermittlung von fakultativen, eine gegebene Satzstruktur erweiternden Konstituenten und Relationen. (c) Beispiele Der Kater schläft Der fette Kater schläft auf dem Kanapee Der fette Kater Max schläft zufrieden auf dem Kanapee Der fette, verdreckte Kater Max schläft schon wieder seit heute morgen auf dem neuen Kanapee 4. Reduktion (Weglassprobe) (a) Verfahren Sätze oder Phrasen werden um weglassbare Konstituenten verkürzt. (b) Zweck Ermittlung obligatorischer Konstituenten und Relationen bzw. minimaler Satzstrukturen ("Kernsätze"). (c) Beispiele Max glaubt trotz allem noch an das Gute im Menschen Max glaubt trotz allem an das Gute im Menschen Max glaubt an das Gute im Menschen Max glaubt an das Gute Max glaubt *glaubt. 5. Exklusion (Kontaktprobe) (a) Verfahren Man stellt zwei füreinander substituierbare Konstituenten im Satz nebeneinander ("Kontakt") und überpüft, ob die Konstituenten zugleich im Satz vorkommen können oder ob sie sich ausschließen ("Exklusion"), der Satz also ungrammatisch wird. (b) Zweck Da eine syntaktische Funktion im Satz gewöhnlich nur einmal vorkommen kann (außer bei Koordination), lässt sich durch den Exklusionstest überprüfen, ob die untersuchten Konstituenten die gleiche syntaktische Funktion haben. Gleiche Funktion haben nur die Konstituenten, die nicht zusammen im Satz vorkommen können. Lassen sich umgekehrt zwei Ausdrücke im selben Satz realisieren, haben die Ausdrücke verschiedene Funktion. (c) Beispiel Max studierte vier Jahre 10 Semester Linguistik eifrig das Nachtleben ohne BAFÖG viel zu lange Max studierte vier Jahre eifrig Linguistik Ergebnis: Trotz Austauschbarkeit an scheinbar gleicher Strukturstelle haben die Konstituenten vier Jahre, eifrig und Linguistik nicht die gleiche syntaktische Funktion. III. Konstituentenstrukturen 1. Grundbegriffe der Strukturbeschreibung (Phrasenstruktur-Grammatik, PS-Grammatik) Syntagma: Syntagmatische Relation: Zeilen, linear, verknüpfbar, in praesentia Paradigma: Paradigmatische Relation: Spalten, vertikal, substituierbar, in absentia Seite | 7 Lauffer PS Syntax SS 2009 Phonologie /m/ /l/ ?/e:/ */m/ /e:/ /e:/ /l/ /l/ /l/ /m/ /m/ /e:/ Morphologie {tuch} {stoff} {tuch} {tisch} {ler} {s} {s} {tisch} Syntax Der Student studiert Ein Arbeiter arbeitet Mein Wecker läutet Läutet ein Student *Ein arbeitet Student Text Es war einmal ein König. Der hatte drei schöne Töchter. Es war einmal ein Mann. Der hatte einen Schwamm. *Es war einmal ein Student. Die hat zwei Hunde.* {tisch} {stoff} {tisch} *{ler} • • • • • • Baumdiagramm, indizierte Klammerung Knoten, Kanten, terminale Knoten Konstituente, unmittelbare Konstituente, dominiert (unmittelbar) Schwester(-), Mutter(-), Tochter(knoten) Kategorie, Subkategorisierung Rekursivität 2. Phrasenprinzip Die lexikalischen Stämme werden in der Syntax stets zu Phrasen expandiert. 3. Prinzip der endozentrischen Phrasenstruktur (Projektionsprinzip) Jede Phrase hat einen obligatorischen Kopf, der die Gesamtphrase kategorial prägt. Diese ist von demselben kategorialen Charakter wie der Kopf. Eine Nominalphrase z.B. hat ein Nomen als Kopf, eine Verbalphrase ein Verb, eine Präpositionalphrase eine Präposition, usw. Die morphosyntaktischen Merkmale des Kopfs (Kasus, Genus, Numerus, Person, Wortart) werden vom Kopf auf die Gesamtphrase projiziert (auch: vererbt). Die Projektion reicht vom Kopf bis zur Gesamtphrase und nicht weiter. 4. Ebenenprinzip Phrasen umfassen mindestens drei Ebenen. In bestimmten Fällen kann allerdings ein einzelnes Wort eine ganze Phrase repräsentieren (z.B. Personalpronomen). [die [Tochter [meines Freundes]]] [die [[bekannte Malerin] und [Schriftstellerin]]] 5. Komplement und Adjunkt Eine vom Kopf X0 selegierte Schwester von X0 heißt Komplement (z.B. ein Objekt in einer VP). Komplemente werden vom Kopf regiert. Andere, frei wählbare Konstituenten der Phrase heißen Adjunkt (z.B. ein Adverbial in einer VP). Eine unmittelbar von der Gesamtphrase dominierte Konstituente ist der Spezifikator. Er modifiziert den gesamten Rest der Phrase (z.B. der Artikel in einer NP). Komplemente und Adjunkte sind immer Phrasen. Seite | 8 Lauffer PS Syntax SS 2009 6. Allgemeines Phrasenschema XP Maximale Projektion von X ZP (Spezifikator) X’’ X‘ X0 (Kopf) Projektion von X YP (Adjunkt) WP (Komplement) Projektion von X Kopfebene Beispiel ((die)ZP (((Entscheidung)X o (des Präsidenten)WP)X’ (zum Krieg) YP)X’’)XP Die Variablen haben im Beispiel folgenden Wert: =N X0 WP = NP (die interne Phrasenstruktur dieser NP ist im Beispiel nicht berücksichtigt) X‘ = NP YP = PP (die interne Phrasenstruktur dieser PP ist im Beispiel nicht berücksichtigt) X’’ = NP ZP = Determinator-Phrase XP = NP (maximale Projektion) IV. Syntaktische Kategorien Syntaktische Kategorien sind Klassen von Konstituenten mit gleichen syntaktischen Merkmalen und gleichen kategorialen Bedeutungen. Es gibt drei Typen von syntaktischen Kategorien: -Satz -Wortgruppenkategorien oder Phrasen -Wortkategorien oder Wortarten. Die in einer Phrase oder einem Satz regierende Kategorie heißt Kopf, z.B. Verb in einer Verbalphrase, Nomen in einer Nominalphrase (oder Det in einer Determinatorphrase), Präposition in einer Präpositionalphrase. 1. Wortkategorien / Wortarten 1.1 Verb (V) Morphologie: • Konjugierbar • Rektion der VP-Komplemente (Objekte) • Kongruenz mit dem Subjekt in Person und Numerus Distribution: • feste Stellung als Finitum (Erst/Zweit/Letztstellung) Funktion: • Prädikat • Kopf der VP Kategoriale Semantik: Vorgang, Prozess, Handlung Subkategorien: s. u. 1.2 Substantiv (Nomen) (N) Morphologie: • Deklinierbar • festes Genus • Genusrektion von Artikel und attributivem Adjektiv • Rektion einer attributiven NP im Genitiv Seite | 9 Lauffer PS Syntax SS 2009 Distribution: Kontaktstellung mit Artikel in einer NP („artikelfähig“) Funktion: • Kopf einer Nominalphrase • Satzgliedfunktion: Subjekt, Objekt Kategoriale Semantik: Substanz Subkategorien: • Gattungsname: Tisch, Buch, Liebe • Stoffname (Kontinuativum): Mehl, Obst, Holz, Bier Benzin ist teuer, *Auto ist teuer, Bananen sind billig, *Obste sind teuer Solche Öle sind teuer (Sortenplural) • Eigenname (Nomen proprium): Max, Donau, Italien, der Irak Peters Auto, *Buches Preis Hinweis 1: Man kann Gattungsnamen und Eigennamen als Individuativa, Gattungsnamen und Stoffnamen als Appellativa zusammenfassen. Hinweis 2: Kollektiva und Abstrakta sind semantische, keine syntaktische Subkategorien. 1.3 Adjektiv (Adj) Morphologie: • Deklinierbar. Schön. Aber: rosa, lila, futsch, egal, angst, bange, schuld, entzwei, kaputt • Komparierbar: schöneres Wetter, mit schönsten Grüßen. Aber: tot, schulisch, finanziell • Flexion variabel: stark/schwach/gemischt: kleiner Mann, kleines Mannes, der kleine Mann,des kleinen Mannes, ein kleiner Mann, eines kleinen Mannes • von N regiertes variables Genus Distribution: • Konstituente der NP zwischen Artikel/Pronomen und N; Konstituente des VK Funktion: • Attribut (Komplement oder Adjunkt in N‘): ein netter Mensch, ?ein fiter Typ, ?das futsche Kleid Sonderfall: ein starker Raucher, ein alter Freund, ein guter Dieb • Prädikativ: Sie ist klug, Er ist schuld, Mir ist angst, * ist ober, gestrig, wöchentlich, zeitlich, wissenschaftlich, deutsch • Adverbial: Sie singt schön. Er saß beschwipst in der Ecke. *Das Seminar fällt heutig aus • Spezifizierer in XP: ein gut geschriebener Text, weit oben, ähnlich schwierig, direkt daneben Kategoriale Semantik: Akzidenz (bezüglich N/Substanz) Subkategorien: • nach semantischen Kriterien: absolutes / relatives Adjektiv: grün, tot vs. kalt, hoch, schön qualitatives / relationales Adjektiv (Bezugsadjektiv): grün, schön vs. betrieblich, schulisch, finanziell Zahladjektiv: mein fünfter Freund, die sieben Zwerge • nach morphologischen Kriterien: komparierbar: klug vs. ärztlich, gestrig, tot deklinierbar: fleißig vs. futsch, pleite, ?lila primär vs. abgeleitet: dumm, schön vs. dümmlich, beruflich, heutig, Münchner Bier Verbaladjektiv: eine abgebrühte Person, entliehene Bücher, ein begabter Junge, mit zitternder Hand • nach distributionellen Kriterien: attributiv/adverbial/prädikativ: fleißig - wissenschaftlich - diesjährig - futsch 1.4 Artikel und Pronomen (a) Artikel, Determinator (Art, Det) Morphologie: • deklinierbar mit fester Flexion (stark oder schwach) • kein Flexiv im Nominativ Singular: der, ein, kein, mein vs. dieser, meiner, einer, oder im Dativ Plural: den Leuten vs. denen. Aber: dieser Mann, jene Frau, der dort! • von N regiertes variables Genus Distribution: • linke Konstituente in der NP: „nominale Klammer“, „Begleiter“ eines Substantivs (Duden) Seite | 10 Lauffer PS Syntax SS 2009 Funktion: • Determination: Bildung einer referenzfähigen Kennzeichnung • Spezifizierer von N‘ in einer NP (in neueren Ansätzen: Kopf einer Determinatorphrase) Subkategorien: • Definiter Artikel: der • Indefiniter Artikel: ein • Possessivartikel: mein • Negationsartikel: kein Hinweis: Die Formen des Artikels haben sich aus pronominalen Kategorien entwickelt (Demonstrativ-, Indefinitpronomen). Auch synchron lassen sich Artikel und Pronomen nicht ohne weiteres trennen. Artikel werden deshalb häufig mit den pränominalen Formen der Pronomina als „Artikelwörter“ zusammengefasst. Als Artikelwörter werden dann alle Pronomina kategorisiert, die anstelle des Artikels in der NP stehen können: dieser, jener, dér, derjenige, derselbe, ein solcher, solch ein, welcher, jeder, mancher, u.a. (b) Pronomen (Pron) Morphologie: • deklinierbar mit fester Flexion (pronominale Flexion, „stark“) • undeklinierbar: etwas, nichts, mancherlei, allerlei, man Distribution: • Distribution der NP: das Pronomen steht für („pro“) eine NP, z.B. als Satzglied oder in einer PP • Distribution des Artikels: dieser Mann, irgendeine Frau (!) Funktion: • Funktion wie eine NP: Subjekt, Objekte, Attribut • Deiktische oder phorische Referenzanweisung: Personal-, Lokal-, Temporaldeixis; anaphorischer/kataphorischer Textverweis Subkategorien: • Personalpronomen. ich, sie, euch, dich Sonderfälle des Personalpronomens sind das Reflexivpronomen sich (3.Person Nom. und Akk.), das Reziprokpronomen einander und das indefinite man. • Determinativpronomen Demonstrativpronomen: diese, der, jenes Possessivpronomen: mein, deines Indefinitpronomen: jemand, man, etwas, nichts, mancherlei, einige, mehrere, keiner, mancher, Hinweis: Indefinitpronomina machen Angaben über relative („unbestimmte“) Mengen. Die Abgrenzung zum Adjektiv ist in manchen Fällen strittig; viel, wenig sind eher Adjektive als Pronomina. • Relativpronomen: der, welche • Interrogativpronomen (Fragepronomen): der, welcher, was für eine 1.5 Adverb (Adv) Morphologie: • nicht deklinierbar; gelegentlich komparierbar: öfter, mehr, lieber, eher • Achtung: Deklinierbare Wörter in adverbialer Funktion (Er arbeitet fleißig) sind keine Adverbien, sondern Adjektive Distribution: • Satzgliedposition, also vorfeldfüllend (als adverbiales Satzglied) • Substitut der PP • als Satzgliedteil: dort oben, das Seminar heute, rechts neben mir Funktion: • Typische Funktion: Adverbial • Attribut: Das Seminar heute war langweilig. • Spezifizierer in XP: recht schwierig, echt doof, im Schrank rechts, dort oben Kategoriale Semantik: Akzidenz (bezüglich V/Prozeß, S/Sachverhalt) Subkategorien. Es lassen sich semantisch vier Hauptklassen unterscheiden: • lokal: hier, da, dort, oben, draußen, links, vorn (Ort, positional) dorther, woher; hierhin, bergab, einwärts (Richtung, direktional) Seite | 11 Lauffer PS Syntax SS 2009 • • • temporal heute, gestern, dann, neulich, jetzt, bald (Zeitpunkt) immer, lange, nie, stets (Zeitdauer, durativ) jedesmal, manchmal, oft, wieder, sonntags, einmal (Wiederholung, iterativ) nachher, inzwischen, seitdem, unterdessen, vorher (relative Zeitangabe) konklusiv (kausal im weiteren Sinn) dewegen, daher, deshalb, somit, demnach, folglich, also, warum, weshalb (kausal, Grund) dennoch, trotzdem, gleichwohl (konzessiv, nicht zureichender Grund) dann, sonst, andernfalls, nötigenfalls (konditional, Bedingung) so (konsekutiv, Folge) dazu, hierfür, wozu (final, Zweck) modal so, gerne, anders, derart, irgendwie, blindlings (Art und Weise) teilweise, fast, halbwegs, einigermaßen (Grad, Maß) dadurch, damit, hiermit (Instrument, Mittel). Modale Semantik in einem weiteren Sinn haben auch die folgenden Klassen (sog. Satzadverb, auch: Kommentar-Adverb): ebenfalls, außerdem, weiterhin, zudem, ferner, überdies, auch, erstens (Erweiterung, Aufzählung) allerdings, insofern, eher, dagegen, zumindest (Einschränkung, Spezifizierung, Gegensatz) sicherlich, zweifelsohne, vielleicht, kaum, schwerlich, bekanntlich (verifikativ, Wahrheitsgehalt) freundlicherweise, hoffentlich, leider, gottseidank (judifikativ, Beurteilung). Andere Kriterien für die Klassifikation der Adverbien ergeben sich aus ihrer Form, ihrer Funktion in bestimmten Satztypen oder der Art ihrer Referenz: • Pronominaladverb (auch „Präpositionaladverb“): damit, dabei, darauf. Univerbierung einer Präposition mit einem pronominalen Element da(r)-. Auch relativisch oder interrogativisch: womit, wodurch, weswegen (s.u.) • Relativadverb: wo, wie; womit, wodurch (= relativisches Pronominaladverb) • Interrogativadverb: wo, wann, wie, womit, warum, wieviel, weshalb • Deiktisches Adverb: hier, da, dort, rechts, heute, übermorgen 1.6. Präposition (Präp) Morphologie: unflektierbar; Kasusrektion der NP Distribution: nicht satzgliedfähig, regierende Konstituente einer PP; Kontaktstellung mit der regierten Konstituente: Präposition, Postposition, Zirkumposition Kategoriale Semantik/Funktion: Subjunktion einer Phrase Beispiele: auf, infolge, trotz, hinsichtlich; entlang, hinauf, zufolge; um-herum, von-an 1.7. Subjunktion (Subj) (auch: subordinierende Konjunktion) Morphologie: unflektierbar; keine Rektion Distribution: nicht satzgliedfähig, am Anfang des Nebensatzes oder eines daraus verkürzten Satzglieds Kategoriale Semantik/Funktion: Subjunktion eines Konstituentensatzes Beispiele: daß, ob, seitdem, weil; als, wie, infolgedessen (!) 1.8. Konjunktion (Konj) (auch: koordinierende Konjunktion) Morphologie: unflektierbar, keine Rektion Distribution: nicht satzgliedfähig, zwischen Konstituenten mit identischer Funktion Kategoriale Semantik/Funktion: Konjunktion funktionsgleicher Konstituenten Beispiele: und, oder, denn 1.9. Partikel Morphologie: unflektierbar Distribution: nicht satzgliedfähig Kategoriale Semantik: relationale Semantik gemäß Funktion Hinweis zur Terminologie: Mit dem Begriff Partikel werden Wörter zusammengefasst, die sich historisch aus anderen Wortarten entwickelt haben (Adverb, Präposition) und häufig auch noch synchron in der Gegenwartssprache zu mehreren Wortarten gehören. Trotz einer mehr oder minder rekonstruierbaren gemeinsamen Grundbedeutung haben diese Wörter als Partikel jeweils eine besondere Funktion, die nicht identisch ist mit der Funktion als Adverb, Präposition oder Konjunktion. Die Bezeichnungen Partikel, Modalpartikel usw. sind somit eigentlich keine Seite | 12 Lauffer PS Syntax SS 2009 kategorialen Begriffe, sondern Bezeichnungen von Funktionsklassen, also von syntaktischen Relationen. Da der Bedeutungskern dieser synsemantischen Wörter stark durch die unterschiedlichen Funktionen überlagert ist, wird die lexikalische Identität als Basis einer einheitlichen Kategorisierung synchronisch oft nicht mehr empfunden. Die traditionelle Zuordnung der Partikelklassen zu den syntaktischen Kategorien ist unter diesen Umständen verständlich. Die Partikelkategorien bilden allerdings keine disjunkten Klassen. (a) Modalpartikel (auch: Abtönungspartikel) Morphologie: unflektierbar Distribution: nicht vorfeldfähig; abhängig vom Satzmodus, untereinander kombinierbar Intonation: unbetonbar Kategoriale Semantik/Funktion: Modalisierung, Ausdruck der Sprechereinstellung Beispiele: halt, ja, vielleicht, denn (b) Fokuspartikel (auch: Gradpartikel) Morphologie: unflektierbar Distribution: Kontaktstellung mit Skopuskonstituente (Ausnahme: Ich denke das auch!) mit Skopuskonstituente im Vorfeld möglich! Intonation: in Kontaktstellung unbetont, Satzakzent (Fokus) auf der Skopuskonstituente Kategoriale Semantik/Funktion: Kontrastierung Beispiele: sogar, nur, gerade, selbst (c) Steigerungspartikel (auch: Grad-, Intensiv-, Intensitäts-, Intensivierungspartikel u.a.) Morphologie: unflektierbar Distribution: Kontaktstellung mit Skopus; mit Skopus vorfeldfähig Intonation: betonbar Kategoriale Semantik/Funktion: Graduierung Beispiele: sehr, zu, höchst, recht (d) Diskurspartikel (auch: Gesprächspartikel) Es werden verschiedene Untergruppen unterschieden, z.B. Antwortpartikel, Gliederungspartikel, Sprechersignale, Hörersignale u.a. Morphologie: unflektierbar Distribution: nur als Satzäquivalent Intonation: betonbar Kategoriale Semantik/Funktion: Antwort auf Satzfragen; Gesprächssteuerung Beispiele: ja, nein, doch; gell, na ja, so, hm, genau, eben, was? ja? (e) Interjektionen Morphologie: unflektierbar Distribution: nur als Satzäquivalent Intonation: betont Kategoriale Semantik/Funktion: Ausdruck von Emotionen, Wertungen Beispiele: Aua! Ach! Pfui! Juhu! Igitt! Oje! Pst! (Appellinterjektionen), Ächz! Stöhn! (Inflektive). (f) Negationspartikel: nicht Als Partikel gilt ferner zu beim Infinitiv: Infinitivpartikel. 2. Wortgruppenkategorien (auch: Phrasenkategorien) Auf die Konzeption der Phrasenstrukturen in der generativen Grammatik wird im folgenden nicht eingegangen. Zu deren Grundprinzipien vgl. oben S. 8 2.1. Verbalphrase (VP) Besteht aus dem Verbalkomplex und seinen eventuellen Komplementen ("internen Argumenten": Objekten, ohne Subjekt). 2.2. Verbalkomplex (VK) Besteht aus dem finiten Verb und davon abhängigen infiniten Verbkonstituenten (Infinitiv, Partizip II). (weil sie) geschlafen hat / schlafen wird / eingeschlafen ist (finites Hilfsverb) (wenn ich) schlafen kann/will/darf (finites Modalverb), Modalverbkomplex (weil ich) zu arbeiten habe, (wenn ich dich) schlafen lasse Seite | 13 Lauffer PS Syntax SS 2009 Die Konstituenten des Verbalkomplexes stehen bei Verbletztstellung in Kontaktstellung: (weil du das) gelesen haben musst. Im weiteren Sinn umfasst der Terminus auch Konstruktionen aus finitem Kopula-/Funktionsverb + Prädikativ (weil sie) Lehrerin ist/wird/bleibt (so dass ich) wach war/wurde (wenn sie) in Sorge gerät/ist/bleibt (wenn die Maschine) in Gang kommt. 2.3. Infinitivphrase (InfP) Die Infinitivphrase ist ein Sonderfall der Verbalphrase mit einem infiniten Verb als Kern. Sie enthält alle Konstituenten eines entsprechenden Satzes, aber ohne dessen Subjekt, und verhält sich syntaktisch wie ein Nebensatz. Man nennt sie deshalb gelegentlich auch „satzförmiger Infinitiv“. Das zu ergänzende Subjekt der InfP ist referenzidentisch mit dem Subjekt oder Objekt ihres Matrixsatzes. Glaubst du, mit dieser Einstellung das Abitur ergattern zu können? Ich bitte dich, damit endlich aufzuhören. 2.4. Partizipialphrase (PartP) Die PartP (Partizip I oder Partizip II) kann wie die InfP alle Konstituenten eines entsprechenden Satzes enthalten, mit Ausnahme des Subjekts: Nach tagelangem Herumirren endlich erschöpft zu Hauses angekommen, schlief er sofort ein Der trotz vieler gegenteiliger Erfahrungen und Prognosen dank seiner robusten Natur anscheinend noch immer auf eine günstige Entwicklung hoffende K. zeigte sich auch heute optimistisch. 2.3. Nominalphrase (NP) Besteht aus einem Nomen oder Pronomen und unterschiedlichen Erweiterungen (z.B. Artikel, Attribute): Max.../Der... /Nur Max.. /Der Kater.../Der fette Kater.../Der Kater auf dem Kanapee döst Der Kater, der da döst(, ist recht intelligent) 2.4. Präpositionalphrase (PP) Besteht aus einer Präposition und (a) einer Nominalphrase, deren Kasus von der Präposition regiert wird: mit dem Fahrrad, ohne mich, dir zuliebe, um des lieben Friedens willen Dir zuliebe und um des Friedens willen! (b) einem Adverb: seit gestern, bis übermorgen (c) einem pronominalen Element, das mit der Präposition zu einem Pronominaladverb verschmolzen ist: damit, wodurch, darauf 2.5. Adjektivphrase (AdjP) Besteht aus einem Adjektiv mit Erweiterungen: ziemlich teuer, unheimlich schnell, mit dem Lehrer zufrieden, sprachlich begabt, sogar billig 2.6. Adverbphrase (AdvP) Besteht aus einem Adverb mit Erweiterungen: Oben auf dem Dach /Dort drüben (ist was locker) Damals, als mein Opa studierte (,war es noch anders) 3. Satzkategorien (S) Ein Satz besteht aus einer Verbalphrase mit einem finiten Verb als Kern und (in der Regel) einer NP im Nominativ ("Subjekt", "externes Argument"). Sätze werden syntaktisch subkategorisiert nach 1. der Stellung des Finitums: Verberst-, Verbzweit-, Verbletztsatz 2. ihrer Beziehung im Satzgefüge: Hauptsatz vs. Nebensatz oder Matrixsatz vs. Konstituentensatz 3. der Art der Einleitung (bei Nebensätzen) Konjunktionalsatz, Subjunktionalsatz, Relativsatz, eingeleiteter Fragesatz (eingeleitet durch ein Interrogativadverb oder -pronomen), nicht eingeleiteter Nebensatz 4. ihrer Stellung: Schaltsatz (Parenthese-Satz). Seite | 14 Lauffer PS Syntax SS 2009 Satztyp und Satzmodus Mit dem Begriff Satztyp bezeichnet man gewöhnlich Formtypen von Sätzen, die sich aus vier kombinierbaren Typen formaler Merkmale ergeben: 1. Stellungsmerkmale: Verbstellung 2. Morphologische Merkmale: Modus 3. Kategoriale Merkmale: Fragewörter, Modalpartikel, Satzadverbien 4. Intonatorische Merkmale: fallende vs. steigende Intonation, Akzent. Mit den formal definierten Satztypen sind semantisch-pragmatische Funktionen verknüpft, die sog. Satzmodi. Die gleiche Proposition (Max in diesem Jahr Examen mach-) kann in unterschiedlicher Weise („Modus“) realisiert sein: als Tatsache, als Wunsch, als Frage usw. Die Anzahl der für das Deutsche anzunehmenden Satztypen bzw. Satzmodi ist umstritten. Wichtige Typen mit Verberst- und Verbzweitstellung sind (der lateinische Terminus bezeichnet einen Satztyp, der deutsche einen Satzmodus): Deklarativsatz (auch: Assertivsatz)/Aussagesatz: Max ist verliebt (Sachverhalt wird als faktisch ausgesagt) E-Interrogativsatz/E-Fragesatz (Entscheidungsfrage, Satzfrage, Ja-Nein-Frage): Ist Max verliebt? W-Interrogativsatz/W-Fragesatz (Ergänzungsfrage, Konstituentenfrage): Wer ist verliebt? (Aufforderung, einen für S unbekannten Teil der Proposition zu ergänzen) Imperativsatz/Aufforderungssatz: Denke einmal nach! Optativsatz (auch: Desiderativsatz)/Wunschsatz: Hätte ich doch besser nachgedacht! Exklamativsatz/Ausrufesatz (z.B. fallende Intonation mit Exklamativakzent auf einer Konstituente: Habe ich mich gefreut! Weitere Form- bzw. Funktionstypen sind z.B. Echofrage (Rückfrage): Wo ich gewesen bin? Ob ich krank war? Prüfungsfrage: Den „Faust“ hat wer geschrieben? Deliberativer Fragesatz mit Verbletztstellung: Ob Max das wohl gemerkt hat? Vergewisserungsfrage (Versicherungsfrage): Ich darf (doch) bairisch reden? Sie sprechen (doch) Deutsch? V. Valenz und verbale Kategorien 1. Valenz Die Rektion des Verbs heißt traditionell Valenz. Es die Eigenschaft des Verbs (oder Prädikativs), syntaktisch-semantische Relationen zu anderen Satzgliedern festzulegen, und zwar hinsichtlich Zahl, Funktion und Kategorie. (1) Ergänzung vs. Angabe. Die von der Valenz festgelegten, also vom Verb abhängigen Satzglieder heißen Ergänzungen. Daneben gibt es valenzunabhängige Satzglieder, die Angaben, die unabhängig vom jeweiligen Verb bei jedem Satz frei wählbar sind. Wie unterscheidet man Ergänzungen von Angaben? • Obligatorisch vs. fakultativ (Eliminierungstest): Angaben sind grundsätzlich fakultativ. Ein fakultatives Satzglied kann aber auch Ergänzung sein. Ein obligatorisches, nicht weglassbares Satzglied ist immer Ergänzung: Er wohnt in München. Objekte (auch fakultative!) und das Subjekt sind immer Ergänzungen. Adverbiale sind meistens Angaben, doch manchmal auch Ergänzungen ("Adverbialergänzung", E adv), vgl. dazu unten: Verbsemantik. • Typisch für Ergänzungen: Rektion eines Kasus oder einer Präposition durch das Verb. Der Kasus einer NP oder die Präposition einer PP wird durch das Verb festgelegt. • Typisch für Angaben: im Falle einer PP: Substituierbarkeit der Präposition (soweit es semantisch verwandte Präpositionen gibt!). Koordinierbarkeit des Satzglieds mit ”und das geschah....” o. ä. Nachtrag des Satzglieds mit und zwar • Verbsemantik Wichtig für die Unterscheidung von Ergänzung und Angabe bei den adverbialen Satzgliedern: Adverbialergänzungen werden (sofern sie nicht ohnehin obligatorisch sind) von der Bedeutung des Verbs gefordert, adverbiale Angaben sind ganz unabhängig vom Verb bei jedem Satz möglich. Seite | 15 Lauffer PS Syntax SS 2009 Das Brot liegt auf dem Tisch. Er stellt das Buch in das Regal. Sie setzte sich auf den Stuhl. Die Veranstaltung dauert drei Stunden. Er wohnt schön/befindet sich in München. Bei der Valenzanalyse müssen alle potentiellen Ergänzungen des Verbs (in seiner aktuellen Bedeutung!) "gezählt" werden, also auch die im Text nicht realisierten fakultativen. Nicht realisierte Valenzstellen ergänzt man am besten in Klammern. (2) Anzahl der Ergänzungen 1wertig: Max schläft, Moritz wacht 2wertig: Max ißt ein Brathuhn, Moritz liegt im Schatten, sie warten auf bessere Zeiten. 3wertig: Max gibt Moritz die Tüte. 4wertig: Max entgegnet ihr auf ihren Vorwurf mit der Festellung, es sei ihm egal Max bittet Herrn Lämpel für seine Tat um Entschuldigung ?Er übersetzte das Buch aus dem Deutschen ins Italienische. (3)Funktion der Ergänzungen Er wohnt auf dem Land / ruhig. Ich glaube an das Gute im Menschen. Mich friert. (4) Kategorie der Ergänzungen Welche kategoriale Besetzung der Valenzstellen möglich ist, hängt ebenfalls vom Verb ab: Es schneit. Ich glaubte ihm das nicht. Ich glaubte zu träumen. Ich hoffe, du hast recht. Ich frage mich, ob ich recht hatte. (5) Valenzreduktion, Verbvarianten Es ist zu unterscheiden zwischen unter- oder überwertigem Gebrauch eines Verbs (Valenzreduktion bzw. zusätzliche Valenzstelle) und Verbvarianten mit unterschiedlicher Semantik und Valenz. • Valenzreduktion liegt z.B. häufig im Passivsatz oder einer Infinitivphrase vor (kein Subjekt): Die Veranstaltung wurde abgesagt, Jetzt wird gegessen. In solchen Fällen ist der normale Valenzrahmen zu bestimmen und auf die veränderte Realisierung der Valenzstellen hinzuweisen (z.B.: Peter wurde angezeigt: x zeigt y an, zweiwertig, x=Subjekt, y=AkkObj; im Text mit y als Passivsatz-Subjekt, x nicht realisiert). • Valenzerhöhung liegt z.B. den freien Dativen vor: Er klopft auf den Tisch –Er klopft mir auf die Schulter (Pertinenzdativ), Sie trägt eine Rolex – Er trägt ihr den Koffer (Dat. Commodi). • Dasselbe Verb kann in unterschiedlichen Bedeutungen jeweils andere Valenzstellen haben. In einer syntaktischen Analyse ist stets die im Text realisierte, aktuelle Bedeutung ("Verbvariante”) zugrunde zu legen. Die Bestimmung der Valenz hat dabei stets vom Aktivsatz auszugehen. Wir geben nichts! / Wer gibt? /Was gibt’s? Setzen Sie sich doch! / Die Hose sitzt. /Er sitzt seit zwei Jahren. Er sieht wieder! Sehen Sie! *Sie war ledig, aber nicht ihrer Sorgen. *Ich glaube nicht dir, sondern an Gott. (6) Spezielle Verbkategorien Er hat Hunger / Er hat geschlafen. Sie will essen / Sie will einen Nachtisch. Max ist faul / Sie ist zufrieden mit ihren Leistungen / Er ist mein Onkel. Ich wasche mich / Ich schäme mich / Ich erinnere mich Es schneit / Es klopft Gibst du mir mal das Salz? / Tippst du mir mal den Brief? Bleib auf dem Teppich! / Kannst du dich endlich in Bewegung setzen? (7) Valenz beim Adjektiv Die Valenzbestimmung erfolgt entweder zweistufig (2wertiges Kopulaverb mit Subjekt und Prädikativ, dann evtl. Valenz des Prädikativs), oder unmittelbar für Prädikativ +Kopulaverb: • 2-wertig: Sie ist müde (Subjekt, Prädikativ), oder: Sie ist müde (müde sein, einwertig) • 2+1-wertig: 2-wertiges Kopulaverb + eine Valenzstelle des Prädikativs • Sie ist ihm behilflich (treu, klar, ähnlich, bekannt, egal, peinlich) Er ist des Deutschen mächtig (fähig, eingedenk, würdig, bewusst, schuldig) Seite | 16 Lauffer PS Syntax SS 2009 • Ich bin dich endlich los (satt, leid) Ich bin auf dich stolz (angewiesen auf, fähig zu, neidisch auf, zufrieden mit) Er ist in München tätig (ansässig, wohnhaft) 3-wertig: 2wertiges Kopulaverb + zwei Valenzstellen des Prädikativs Sie ist ihm an Fleiß überlegen (jmdm. dankbar für, ebenbürtig in, behilflich bei) (8) Valenz beim Substantiv Er ist ein Anhänger des FC Bayern. *Er ist ein Anhänger. Er war Herrscher über ein großes Reich Ihr Stolz auf das bestandene Examen ist begreiflich Seite | 17 Lauffer PS Syntax SS 2009 2. Kategorisierung des Verbs Das Verb ist die strukturell wichtigste syntaktische Kategorie des Satzes: • Festlegung von Zahl und Art der Ergänzungen (Valenz, Satzbaupläne), • Festlegung der topologischen Grundstruktur des Satzes (Satzfeld). Syntaktische Subkategorien des Verbs lassen sich nach folgenden Kriterien bilden: Klassifikation nach der Funktion des Verbs im Prädikat • • • • Vollverb: allein prädikatsfähig: Max schnarcht. Hilfsverb (Auxiliarverb). Das Hilfsverb dient der Bildung analytischer Verbformen: Tempus: Er hat gelacht. Modus: Ich würde das nicht sagen Passiv: Er wird ausgelacht / ist fest angestellt / bekommt/kriegt ein Fahrrad geschenkt Wie Hilfsverben werden gelegentlich kommen und stehen konstruiert: Er kam zur Tür hereinspaziert. Hier steht es geschrieben. Kopulaverb: Als Kopulaverben gelten sein, werden, bleiben, sofern sie ein nichtverbales Satzglied als Prädikativ fordern. Die Kopulaverben haben aspektdifferenzierende Funktion (sein: durativ, werden: ingressiv, bleiben: kontinuativ) und bilden in dieser Hinsicht eine Untergruppe der Aspektverben (s.u.). Die Konstruktionen aus Kopula und Prädikativ lassen sich wie Vollverben semantisch subklassifizieren; man kann unterscheiden: qualifizierend: Max ist fleißig / ist Lehrer klassifizierend: Moritz ist ein Schneider identifizierend: Er ist der Dieb lokalisierend: Jetzt sind wir hier. Aspektverb („Funktionsverb“): Prädikat mit obligatorischer Prädikativ-Valenz. Die prädikative Ergänzung trägt die lexikalische Bedeutung, das Aspektverb ist reduziert auf die Funktion, den Aspekt auszudrücken. Ein Funktionsverbgefüge in diesem (engeren!) Sinne ist eine grammatische Kategorie im verbalen Paradigma, doch ist die Konstruktion mit Funktionsverben noch nicht in gleichem Maße grammatikalisiert wie die Konstruktion mit Kopulaverb. Deshalb werden hier die beiden Fälle terminologisch weiterhin geschieden, obwohl im Grunde ein einheitliches Paradigma aus Aspektverb und Prädikativ vorliegt; in der folgenden Tabelle sind die Kopulaverben hervorgehoben. durativ ist in Bewegung ist in Ordnung ist in Gefahr ist Lehrerin ist schön • ingressiv kommt in Bewegung kommt in Ordnung kommt in Gefahr wird Lehrerin wird schön kausativ bringt in Bewegung bringt in Ordnung bringt in Gefahr macht zur Lehrerin macht schön kontinuativ bleibt in Bewegung bleibt in Ordnung bleibt in Gefahr bleibt Lehrerin bleibt schön Modalverb: Modalverben sind dürfen, müssen, können, mögen/möchte, wollen, sollen; ferner brauchen und werden in Sätzen wie Du brauchst nicht kommen, Er wird krank sein. Modalverben verlangen einen Infinitiv ohne zu. In analytischen Verbformen erscheinen sie nicht in partizipialer Form, sonden als Infinitiv (sog. Ersatzinfinitiv). Bei Verbletztstellung wird das infinite Modalverb ausgeklammert: • Das vermag ich nicht zu beurteilen Das kann ich nicht beurteilen. • Das habe ich nicht zu beurteilen vermocht Das habe ich nicht beurteilen können • weil ich das nicht zu beurteilen vermocht habe weil ich das nicht habe beurteilen können Hinweis: Die sog. Modalitätsverben stehen syntaktisch und semantisch zwischen den Modalverben und den Vollverben. Sie verbinden sich wie manche Vollverben mit zu+Infinitiv, sind aber semantisch von den jeweils entsprechenden Vollverben geschieden. Vgl. dazu unten s.v. Infinitivverben. Klassifikation nach der Valenz (1) Zahl der Ergänzungen: Einwertige Verben: Er gähnt, zweiwertige Verben: Er liebt sie, dreiwertige Verben: Sie gibt es ihr (2) Funktion der Ergänzungen Seite | 18 Lauffer PS Syntax SS 2009 Transitive Verben: Subjekt + Akkusativobjekt: Sie küsst ihn Bitransitive Verben Subjekt+AkkObj+DatObj: Sie schenkt es ihm Intransitive Verben: Subjekt (+DatObj): Sie hilft ihm (3) Kategorie der Ergänzungen 3.1 Persönliche / Unpersönliche Verben: Ich arbeite. Es gibt Essen. Es schneit. 3.2 Reflexive Verben. Die ursprüngliche Objektstelle ist obligatorisch durch ein nicht eliminierbares, nicht substituierbares, nicht koordinierbares, nicht topikalisierbares Reflexivpronomen besetzt: formal (sog. „echte“) reflexive Verben; das Pronomen ist Prädikatsteil bzw. lexikalischer Verbteil: Er befand sich an einem unbekannten Ort Die semantisch reflexiven (reflexiv gebrauchten, „unechten“ reflexiven) Verben lassen als Objekt alternativ zu anderen Objekten ein Reflexivpronomen zu Er wusch sich nur oberflächlich, das Auto aber gründlich 3.3 Infinitivverben (Übersicht: Engel 1988:487ff.): Infinitivverben sind Vollverben oder Valenzvarianten von Vollverben, die als Ergänzung eine Infinitivphrase mit oder ohne zu fordern. Die Funktion der InfP ist ohne Substitutionsmöglichkeit durch eine morphologisch markierte NP schwer zu bestimmen (deshalb auch die Ad-hocBezeichnung „Verbativergänzung“, z.B. Engel 1988:198). In der Regel handelt es sich um ein Akkusativobjekt. Das zugrunde liegende Subjekt der Infinitivphrase bleibt im Normalfall unrealisiert; es ist referenzidentisch mit dem Subjekt oder Objekt des Matrixsatzes: Die Sache verspricht interessant zu werden Wir gingen einkaufen Er hieß ihn schweigen. Nach syntaktisch-semantischen Kriterien lassen sich u.a. folgende Gruppen von Infinitivverben unterscheiden: • Modalitätsverben: Vollverben mit modaler Semantik wie die Modalverben, Infinitivbildung mit zu: (z.B.Engel 1988: 477ff.); auch: = modifizierende Verben. Du scheinst zu träumen. Sie pflegt gegen 10 Uhr aufzustehen Das verspricht interessant zu werden. Das droht gefährlich zu werden. Er weiß zu antworten. Zu den modifizierenden Verben gehören auch sein und haben in der Verbindung mit einem sog. „modalen Infinitiv“ Das ist noch zu klären. Das war leicht zu klären Wir haben davon nur Gutes zu erwarten. Was hast du hier zu suchen? • ACI-Verben. Das AkkObj dieser Verben ist referenzidentisch mit dem nicht realisierten Subjekt der Infinitivergänzung. Man spricht von „akkusativischer Markierung“ des Infinitiv-Subjekts. Syntaktisch handelt es sich eher um das Akkusativobjekt des ACI-Verbs, verknüpft mit einer normalen subjektlosen Infinitivphrase. Die InfP ist funktional wie andere objektbezogene Satzglieder zu behandeln (also z.B. als Objektsprädikativ, Objektsadverbial oder „prädikatives Attribut“ mit Objektsbezug). Ich sehe dich schon bei mir im Garten sitzen. Vgl.: Ich sehe dich schon als Papst Ich hörte dich klopfen. Vgl.: Ich hörte dich im Keller • Zu den ACI-Verben gehört als Sonderfall auch lassen. Die grammatische Struktur der Ergänzungen ist die gleiche wie bei den ACI-Verben, die InfP füllt jedoch eine obligatorische Valenzstelle: Ich lasse für dich ein Bier im Kühlschrank stehen. Vgl. Ich lasse ein Bier da Der Lehrer läßt die Schüler jeden Tag ein Gedicht aufsagen. VI. Syntaktische Funktionen Die syntaktische Funktion einer Konstituente ist die Rolle dieser Konstituente im Gefüge der syntaktischsemantischen Struktur des Satzes, also die Beziehung (Relation) dieser Konstituente zum Satz oder zu einer seiner Konstituenten (daher auch: "Syntaktische Relationen"). Je nach der kategorialen Bedeutung einer Konstituente ist die syntaktische Funktion variabel (z.B. beim Substantiv) oder unveränderlich (z.B. beim finiten Verb). Es lassen sich drei Typen von Funktionen unterscheiden: 1. Satzgliedfunktionen: Seite | 19 Lauffer PS Syntax SS 2009 Satzglieder sind selbständige, maximal bewegliche Konstituenten des Satzes. Sie sind Träger der primären Relationen im Satz: Subjekt, Akkusativobjekt, Dativobjekt, Genitivobjekt, Präpositionalobjekt, Prädikativ, Adverbial. Eine Operationalisierung des Satzgliedbegriffs kann sich auf folgende typischen Eigenschaften stützen: 1. Vorfeldfüllung: Satzglieder sind topikalisierbar (Aber: Auf dem Tisch geschlafen habe ich noch nie > Verbalphrase) 2. Erfragbarkeit (Aber: Welches Buch meinst Du? >Attribut!) 3. Pronominalisierung durch Relativpronomen oder Relativadverb 4. Herausstellung im Rahmen einer Spaltsatz-Konstruktion 5. Valenzabhängig, obligatorisch 6. Nachstellung in einem Satz vom Typ Und das geschah....(bei Angaben) 7. Reduktion bei Umformung in eine Infinitivkonstruktion (beim Subjekt). 2. Kennzeichnungsfunktionen: Determination, Attribut Kennzeichnungsfunktionen dienen der Kennzeichnung im semantischen Sinne, d.h. sie konstituieren oder spezifizieren einen referentiellen Ausdruck: Freund- > der Freund, mein Freund, eine Freundin, meine neue Freundin, der Freund Julias. 3. Partikelfunktionen Partikel werden gewöhnlich kategorial subklassifiziert, doch verbergen sich hinter den Bezeichnungen dieser Subklassen (Abtönungspartikel, usw.) eigentlich unterschiedliche Funktionen. Vgl. dazu unten Punkt 10. 1. SUBJEKT Das Subjekt ist immer valenzabhängig, also Ergänzung. In der neueren generativen Grammatik nennt man das Subjekt auch das „externe“ Argument des Verbs, weil es nicht Teil der Verbalphrase ist, der maximalen Projektion des Verbs. Die übrigen Komplemente des Verbs sind Konstituenten der VP und heißen „interne“ Argumente. Typische Subjektsmerkmale sind: 1. Kategorie: Nominalphrase, Pronomen 2. Morphologie: Nominativ 3. Topologie: Vorfeld 4. Semantik: Agens; referentiell 5. Pragmatik: Thema, Hintergrund 6. Syntaktische Regeln: Rektion des finiten Verbs hinsichtlich Person: Ich komme, du bleibst, der Esel geht. Kongruenz einer Subjekts-NP mit dem finiten Verb im Numerus: Das Auto bremst, die Hühner rennen. Reflexivierbarkeit: Max wäscht sich. Dass du Linguistik studierst und nicht weißt, was ein Subjekt ist, schließt sich aus (Hinweis: Die Reflexivierung bezieht sich hier nicht auf eine NP, es handelt sich also um eine subjektabhängige Regel!) Tilgung in Infinitivkonstruktionen: Ich verspreche dir zu kommen. Ich warne dich, das zu vergessen. 2. PRÄDIKATIV Prädikative sind nichtverbale Satzglieder (!), die sich in prädikativer Funktion (wie sonst das Vollverb als Prädikat) in der Regel auf das Subjekt des Satzes beziehen: ist schläfrig (Max) ist Langschläfer (Max) schläft (Max). 1. Valenz und Bezugsbereich Nach Valenz und Bezugsbereich lassen sich folgende Fälle bzw. Sonderfälle unterscheiden: 1.1. Das Prädikativ ist obligatorische, valenzabhängige Ergänzung eines Kopula-oder Aspektverbs und bezieht sich auf das Subjekt. Das Verb ist lediglich Träger der Flexionskategorien einschließlich der Kategorie Aspekt: Seite | 20 Lauffer PS Syntax SS 2009 Max ist Lehrer / wird Lehrer / bleibt Lehrer. Die Diskussion kommt in Gang 1.2. Das Prädikativ ist Ergänzung eines Vollverbs, dessen Semantik neben dem Subjekt ein weiteres Satzglied mit Subjektsbezug verlangt: Er heißt „der Pate“. Er gilt als zuverlässig Man spricht hier – zur Verdeutlichung des Bezugs- auch von „Subjektsprädikativ“ 1.3. Das Prädikativ ist Ergänzung eines Vollverbs mit Akkusativobjekt, dessen Semantik einen zum Subjektsbezug analogen Objektsbezug verlangt (=„Objektsprädikativ’“). Es handelt sich um Verben der Zuordnung (Verben der Wahrnehmung, des Benennens u.ä.): nennen, halten für, bezeichnen als, einschätzen als u.a. Man heißt ihn „Onkel“. Man hält sie für zuverlässig. Ich betrachte das als beendet 1.4. Bei Passivierung wird das Objekts- zum Subjektsprädikativ: Er wird ein Lügner genannt 1.5. Gelegentlich erscheint bei entsprechenden Verben ein Objektsprädikativ als Valenzerweiterung: Ich denke mir dich als Nachtwächter. Ich sehe dich schon als künftige Lehrerin 1.6. Ein Prädikativ kann mit beiden Bezugsmöglichkeiten valenzfrei als Angabe auftreten (häufig irreführenderweise „prädikatives Attribut“ genannt; zur Analyse als Adverbial vgl. unten: 7.Adverbial): Als dein Freund rate ich dir davon ab. Wir aßen das Zeug lauwarm Je nach Kontext bzw. Weltwissen erhält die prädikative Angabe eine sekundäre semantische Rolle (temporal, kausal, konsekutiv usw.): Zerstreut kochte er das Ei im Kaffee weich (modal, konsekutiv“, „Resultatsprädikativ“) Ordentlich angetrunken fand er das Schlüsselloch nicht (kausal) Gesund fuhr sie weg, krank kam sie nach Hause (modal) Erst dreijährig las er schon Romane (konzessiv) 2. Kategorien des Prädikativs Kategorial lassen sich folgende Formen des Prädikativs unterscheiden: Max wird klüger („prädikatives Adjektiv“) Max bleibt ein Dummkopf („Prädikatsnomen“, „Gleichsetzungsnominativ“). Sie schimpft ihn einen Esel („Gleichsetzungsakkusativ“) Max ist war in Verlegenheit. Er war bei Kräften. Die Sache ist in Ordnung. Es ist nicht von Bedeutung. Ich stelle die Frage zur Diskussion. Ich finde es in Ordnung. Er hält ihn für begabt. Er verhält sich wie ein Kind. Er gilt als kompetent Betrachte mich als deinen Freund! Das bezeichnet man als Prädikativ. Max ist des Teufels, aber guten Mutes und der Meinung, er sei der Papst Max ist halt so. Man nennt ihn halt so. Sie bleibt, was sie ist. Anmerkung: Man kann das Prädikativ als Sonderfall des Adverbials analysieren, in seiner typischen Ausprägung nämlich als Adverbial mit modaler Bedeutung beim Verb sein. Die Beziehung auf das Subjekt oder Objekt gibt es auch beim Adverbial: Er fand den Zettel in seiner Hosentasche. Sie legte das Buch auf den Tisch. Ich bestellte das Taxi für Sonntag. Vgl. dazu unten 7. Adverbial. 3. AKKUSATIVOBJEKT Das AO ist immer valenzabhängig. Ein typisches AO bezeichnet einen Gegenstand („obiectum“), der von der Handlung erfaßt wird, auf den die Handlung übergreift („transitiv“, lat. trans-ire „hinübergehen“). 1.Merkmale des typischen Akkusativobjekts 1. AO wird Subjekt im Passivsatz: Max wurde von Moritz gehauen 2. AO wird bei Nominalisierung des Verbs Genitivattribut: Die Untersuchung des Patienten 3. Das AO ist durch Pronomina substituierbar: Max hat ihn gehauen; Wen hat Max gehauen? aber: Er ist weit gelaufen; Wie lange ist er gelaufen? 4. Das AO ist valenzabhängig (obligatorisch oder fakultativ): Sie malt (ein Bild) 5. Das Verb des AO-Satzes bildet des Perfekt mit dem HV haben: Dieses Bild habe ich gemalt aber: Er ist einen Kilometer gelaufen Seite | 21 Lauffer PS Syntax SS 2009 6. Das Subjekt des AO-Satzes hat die thematische Rolle AGENS: Sie schreibt einen Brief aber: Der Sack wiegt zwei Zentner und kostet zehn Mark 2.Typen des Akkusativobjekts 1. Affiziertes Objekt : Er zerreißt den Brief 2. Effiziertes Objekt: Er schreibt einen Brief 3. Inneres Objekt ("Akkusativ des Inhalts"): Er lief die ganze Strecke. Er lehrt Linguistik. Er fragt dumme Fragen ("figura etymologica") 4. Doppeltes Akkusativobjekt: Kombination zweier Subfunktionen Er will mich etwas lehren und fragt mich dummes Zeug. Es kostete mich zwei Jahre Vgl.dgg. Er hörte mich dich dummes Zeug fragen (ACI), s. oben S.18. 3. Nichttypische Akkusativobjekte Verb ist nicht passivierbar, weil kein AGENS-Subjekt vorliegt, also keine semantische Transitivität Subjekt > Objekt. Subjekt und AO sind (partiell) referenzidentisch oder stehen in einer possessiven oder einer ähnlichen nichtdynamischen Beziehung zueinander. Den nichttypischen Akkusativobjekten gemeinsam ist die Nicht-Transitivität der semantischen Beziehung zwischen Subjekt und Akkusativobjekt. Das AO ist bzw. bezeichnet -mit dem Subjekt referenzidentisch (reflexive Verben) -Teil des Subjekts (Körperteil) -inhärente Eigenschaft des Subjekts (Maßbezeichnung) -Besitz des Subjekts u.ä. (Possessive Verben u.ä.) Im einzelnen handelt es sich um folgende Fälle: 1. Possessive Verben: haben, besitzen, enthalten, bekommen, erhalten, empfangen, behalten 2. Verben des Wissens: wissen, meinen, denken, kennen 3. Das AO ist ein Körperteil: Er schüttelt den Kopf 4. Das AO ist eine Menge, ein Betrag: Das Buch enthält hundert Seiten, wiegt hundert Gramm und kostet hundert Mark. 5. Sonstige Verben ohne AGENS-Subjekt: Das ergibt/stellt dar/bildet ein Hindernis. Sein Verhalten wundert mich 6. Reflexive, reflexiv gebrauchte Verben: Er begab sich nach Hause. Die Katze putzt sich. 8. Formales Subjekt / formales Objekt: Es gibt heute Knödel. Er hat es weit gebracht 9. Inkorporiertes Objekt: Er fährt Auto und liest dabei Zeitung (>lexikalischer Prädikatsteil) 4.Sekundäres Akkusativobjekt Verbvariante eines transitiven oder intransitiven Verbs mit veränderter oder erweiterter Valenz. Die Transitivität der Konstruktion gründet sich auf die AGENS-Rolle des Subjekts und die Valenzerweiterung durch ein Resultatsprädikativ oder ein Richtungsadverbial. Charakteristisch ist die zusätzliche Valenzerweiterung durch ein fakultatives Dativobjekt wie bei typischen transitiven Verben. Da das AGENSSubjekt Bedingung der Passivierung ist, sind Sätze mit sekundärem AO normal passivierbar. (Anm. Die Selektionsbeziehungen zeigen, dass das AO in der semantischen Struktur zur Valenz des Prädikativs gehört und wie beim ACI vom Verb nur akkusativisch markiert wird). Erst schwitzte er mir mein Hemd nass, dann trank er mir auch noch den Kühlschrank leer - Das Hemd war nass geschwitzt und der Kühlschrank leer getrunken Die fette Tante saß mir eine Delle in das schöne neue Sofa Er arbeitete sich krank und soff die Familie in den Ruin 5. Abgrenzungen 5.1. Adverbialer Akkusativ Er arbeitete den ganzen Tag und schlief fünf Stunden Sie grölten den ganzen Weg bis nach Hause Er lief den ganzen Tag die gleiche Strecke 5.2. "Absoluter Akkusativ" (urspr. AO-Valenz eines Partizips) Dies getan und das Ding noch in der Hand, stand er da. 4. DATIVOBJEKT UND „FREIE DATIVE“ Ein typisches Dativobjekt bezeichnet eine Person, auf die die Handlung gerichtet ist (Weinrich 1993 : 22 „Zuwendung“ eines „Adressanten“ an einen „Adressaten“). Es wird ohne besondere Kontextbedingungen von der normalen Verbsemantik gefordert, ist also valenzabhängig. 1. Verben mit DO Seite | 22 Lauffer PS Syntax SS 2009 Das DO steht seiner semantischen Rolle entsprechend typischerweise bei folgenden Verbgruppen bzw. Adjektiven (vgl. Eisenberg 300ff.): 1.1. Zuwendung: jemandem helfen, gehorchen, dienen, winken, nachblicken, böse sein, gnädig sein 1.2. Geben/ Nehmen (Sonderform von 1.1.: körperliche Zuwendung): jmdm. schenken, stehlen 1.3. Sagen (kommunikative Zuwendung): jmdm. antworten, mitteilen, erlauben, versprechen 1.4. Betroffenheit: jmdm. gefallen, gehören, nützen, gelingen, fehlen 1.5. Ähnlichkeit: jmdm. ähneln, gleichen, entsprechen, ähnlich sein 2. Sekundäres Dativobjekt Unter bestimmten semantischen Bedingungen tritt ein DO als zusätzliche Valenzstelle auf. Allgemeine Voraussetzung solcher Valenzerhöhungen ist, dass sich die Handlung / der Zustand einer Person zuwendet bzw. diese betrifft (sog. freier Dativ). Man unterscheidet gewöhnlich drei Typen, doch handelt es sich bei den Typen 2.2. und 2.3. lediglich um Sonderfälle des Typs 2.1. 2.1. Dativus commodi /incommodi: Das Prädikat bezeichnet eine beliebige adressierbare Handlung, das DO bezeichnet die Person, zu deren Gunsten/Ungunsten die Handlung vollzogen wird. Häufig ist das CommodiObjekt durch ein semantisch verwandtes Adverbial mit der Präposition für ersetzbar. Schneide mir bitte die Zwiebel! Und laß mir nicht die Suppe anbrennen! Können Sie mir mein Haus verkaufen? (vs. Wollen Sie mir Ihr Haus verkaufen?) 2.2. Dativus possessivus (Pertinenzdativ): das AO oder ADVB bezeichnet wie der Commodi die Person, die von der Handlung positiv oder negativ betroffen ist. Das Besondere des Possessivus ist, dass die beiden Satzglieder (DO und ADVB bzw. AO) hier partiell referenzidentisch sind: das DO bezeichnet die betroffene Person, das ADVB bzw. AO einen Teil oder Aspekt dieser Person. Beim typischen Pertinenzdativ ist das DO deshalb (aus semantischen Gründen!) obligatorisch. Er trat mir auf die Zehen (vs. Er trat mir mitten ins Blumenbeet, Commodi) Der Boxer biß seinem Kollegen das Ohr ab (vs. Er zerriss seinem Kollegen die Hose, Commodi) auch idiomatisiert: Du gehst mir auf die Nerven 2.3. Dativus iudicantis: auch hier bezeichnet der Dativ die betroffene Person, und zwar eine (quasi ‚urteilende‘) Person, für die eine Sache eine bestimmte Eigenschaft hat, z.B. passend oder unpassend ist. Das war ihm mehr eine Sache des Verstandes als des Herzens Die Schuhe sind mir zu teuer, aber sie wären mir groß genug Vgl. mit normaler Zweiwertigkeit: Die Schuhe passen mir 3. Abgrenzungen Aus Verwendungen wie Zerbrich mir nicht die Vase hat sich der sog. Dativus ethicus entwickelt: Mache mir keine so dumme Sachen! Dass du dir bloß nicht die Finger verbrennst! Der Ethicus hat illokutive Funktion, ähnlich den Modalpartikeln, er ist kein Objekt und auch kein Satzglied. Anmerkung: Der sog. Freie Dativ wird in der Literatur unterschiedlich behandelt. Vgl. Lühr 2000:65f.: weder Ergänzung noch Angabe (!). 5. GENITIVOBJEKT Das Genitivobjekt ist im heutigen Deutsch eine veraltende Konstruktion, seine frühere semantische Rolle (z.B. zur Bezeichnung der Herkunft) ist nicht mehr erkennbar. Häufig wird es von Konstruktionen mit Präpositionalobjekt abgelöst. Ich erinnere mich jener Zeit Er ist sich keiner Schuld bewusst. Sie ist einer solchen Tat nicht fähig. Sie ist der Auszeichnung würdig. Achtung! Das Genitivobjekt darf keinesfalls mit dem Genitivattribut verwechselt werden! Ein GO liegt nur dann vor, wenn der Genitiv vom Verb abhängt und entsprechend erfragt werden kann (valenzabhängig!): Eines Tages wirst du dich der Worte deines Vaters erinnern. (Wessen erinnerst du dich?) 6. PRÄPOSITIONALOBJEKT Seite | 23 Lauffer PS Syntax SS 2009 Präpositionalobjekte sind erstarrte Adverbiale (meist mit ursprünglich lokaler Bedeutung), deren semantische Adverbialrelation undurchsichtig geworden ist. Es besteht daher keine typische semantische Relation zwischen Verb und Ergänzung, die präpositionale Rektion ist semantisch funktionslos: glaubt an, hofft auf, wundert sich über ist stolz auf, zufrieden mit, fähig zu, reich an Wie alle Objekte ist das PO immer valenzabhängig (allerdings häufig fakultativ!). Die Präposition (samt der abhängigen NP) wird vom Verb festgelegt wie bei anderen Objektiven der Kasus: hoffen + auf wie küssen + Akkusativ Seite | 24 Lauffer PS Syntax SS 2009 Kriterien für ein typisches PO sind: 1. Die Präposition hat in der Verbindung mit dem Verb keine lexikalische Bedeutung. 2. Die Präposition ist nicht durch semantisch verwandte Präpositionen substituierbar. 3. Die PP ist nicht durch ein einfaches Adverb (z.B. hier, dort) substituierbar. 4. Koordinationsreduktion ist beim PO nicht möglich: Sie isst und arbeitet im Bett vs. Sie hofft [*und?] auf bessere Zeiten. 5. Die PP ist substituierbar durch ein Pronominaladverb + daß-Satz oder eine Infinitivphrase Hinweis: Da sich das PO in jedem Einzelfall aus einer Adverbialfunktion entwickelt hat, ist bei der synchronischen Analyse stets mit Übergangsfällen zu rechnen. Die Tests ergeben dann kein klares Bild, der Fall muss in seiner Problematik erörtert werden. Auch in „klaren“ Fällen kann man gelegentlich noch Reste der Adverbialsemantik rekonstruieren, z.B. bei glauben an : Kontakt. Manchmal stehen Konstruktionen mit Adverbial und mit PO als Verbvarianten nebeneinander: auf etwas bauen (z.B. auf eigenem Grund, Adverbial) vs. darauf bauen, dass man das Examen besteht (PO). 7. ADVERBIAL Sammelbegriff für eine Klasse von Satzgliedern, die verschiedene Umstände des ausgedrückten Sachverhalts bezeichnen. Die semantische Rolle der einzelnen adverbialen Satzglieder ist lexikalisch gesteuert (z.B. heute, am Abend = temporal, hier, am Ammersee = lokal, gerne, mit Vergnügen = modal, damit, mit einem Hammer = instrumental). Wichtig: Die adverbialen Rollen sind im Satz kombinierbar (Exklusionstest!), es handelt sich jeweils um verschiedene Satzgliedfunktionen. Adverbiale lassen sich nach unterschiedlichen Aspekten genauer bestimmen bzw. klassifizieren: 1. Semantik (1) Lokal: Ort: da, dort, wo, darauf („situativ“) Richtung: dahin, woher („direktional“) (2) Temporal zeitliche Einordnung: gleichzeitig-nachzeitig-vorzeitig (Im Satzgefüge beziehen sich die Bezeichnungen auf das Nebensatz-Geschehen in seinem Verhältnis zum Geschehen im Matrixsatz!) als, während; bevor, ehe, bis, nachdem; kaum dass, sobald, sowie, wenn da, dann, darauf, eher, zuvor, früher, jetzt, morgen durativ: lange, den ganzen Tag, zweistündig, seitdem, solange iterativ/frequentativ: stündlich, so oft, (jedesmal) wenn (3) Modal modifikativ: sorgfältig, schnell graduativ/graduierend: ziemlich, aufs äußerste instrumental: mit, ohne; indem, dadurch-dass ohne zu, ohne dass (=fehlender Umstand) substitutiv: statt:; anstatt spezifizierend (auch: restriktiv, Duden §729): (in)sofern als, (in)soweit, soviel vergleichend: als, (so-)wie, als ob; ebenso einschränkend: außer dass, nur dass, soweit, soviel proportional: je-desto, je-umso, umso-desto soziativ: miteinander, in Begleitung von (4) Konklusiv/kausal (im weiteren Sinne) Kausal: da, weil, zumal; nämlich (auch Konjunktion!) Konditional: wenn, falls, sofern, ehe, bevor, je nachdem ob Konsekutiv: so dass Final: damit, dass, um zu darum, dazu, zu diesem Zweck Konzessiv: obwohl, trotzdem wie-auch, soviel-auch (5) Adversativ: während, ehe, anstatt (dass), doch, jedoch (auch Konjunktion!), dennoch, indessen, vielmehr, trotzdem, zwar, gleichwohl bald-bald, einerseits-andererseits, teils-teils (alternativ) Seite | 25 Lauffer PS Syntax SS 2009 (6) Satzadverbial (auch: Adsentential): judifikativ: leider, zum Glück, erfreulicherweise, hoffentlich verifikativ: wahrscheinlich, mit Sicherheit, sicher, vielleicht, keinesfalls, offenbar, natürlich ordinativ: obendrein, außerdem, überdies, schließlich, zudem, zugleich limitativ (auch: Restriktiv): schulisch, finanziell, hinsichtlich, im Hinblick auf, in Bezug auf 2. Kategorie (a) Adverbphrase: (sehr) gerne, (nur) samstags, (auch) hier, (unmittelbar) daneben (b) Adjektivphrase/Partizipialphrase: (ziemlich) teuer, (im ganzen) korrekt, (auf ihn) schimpfend, (zehn Meter) weit, ihre Anfrage betreffend (c) Nominalphrase: nächste Woche, letzes Mal, die ganze Strecke, meines Erachtens, eines Tages, erhobenen Hauptes (d) Präpositionalphrase: in München, auf der Uni, trotz des Regens, von heute an, den Berg hinauf (e) Infinitivphrase: um Geld zu verdienen, ohne auf ihn zu achten, anstatt zu arbeiten Hast du etwas zu trinken? (final) (f) Satz: weil ich arbeiten muss, damit du zufrieden bist, so dass alle lachten 3. Valenz • • Adverbiale Ergänzungen sind valenzabhängig, die semantische Rolle des Adverbials wird lexikalisch vom Verb bzw. Adjektiv gefordert. Zur Bedeutungsbeschreibung des Verbs ist es nötig, auf die adverbiale Rolle semantisch Bezug zu nehmen: liegen [-vertikal, +Kontakt mit x, +auf x]. Obligatorische Adverbialergänzung: Er wohnt unter der Brücke. Sie begibt sich in Gefahr. Er legte den Schein auf den Tisch Sie ist gut gelaunt. Er war in Deutschland ansässig. Fakultative Adverbialergänzung: Wir saßen auf einer Bank. Setzen Sie sich! Wohin denn? Adverbiale Angabe: „freies“, nicht valenzgebundenes Adverbial, unabhängig von bestimmten lexikalischen Verbklassen. Normalfall des Adverbials! Er arbeitet aus Langeweile. Mir fällt hier nichts ein. 4. Bezugsbereich • • Satz: Wahrscheinlich waren es Max und Moritz : Es ist wahrscheinlich, dass es M .u .M.waren Gestern gab es hier frittierte Gummiringe : Es war gestern der Fall, dass es f. G. gab Test: Stellung zur Satznegation: weil er nicht fleißig gearbeitet hat -*weil er fleißig nicht gearbeitet hat *weil er nicht wahrscheinlich gearbeitet hat - weil er wahrscheinlich nicht gearbeitet hat weil er gestern nicht gearbeitet hat vs. weil er nicht gestern gearbeitet hat Prädikat/ Subjekt / Objekt Er zerteilte den Lebkuchen mit der Säge Paraphrase: Das Zerteilen bewerkstelligte er mit der Säge Zu Hause fand er dann den Tausender in der Hosentasche Zerstreut kochte er die Eier in der Suppe hart Wie die Beispiele zeigen, beziehen sich Adverbiale nicht nur auf das Prädikat/Verb, sondern auch auf den gesamten Satz oder auf einzelne Satzglieder. Man kann deshalb das Prädikativ und das sog. „prädikative Attribut“ als Bezugsvarianten des Adverbials ansehen: es liegt jeweils Subjekt- oder Objektbezug vor, beim Prädikativ handelt es sich um Ergänzungen, beim „prädikativen Attribut“ um Angaben. 8. ATTRIBUT Attribute sind keine Satzglieder, sondern Teile von Satzgliedern (oder deren Teile). Sie spezifizieren semantisch/referentiell den Nukleus ihrer Matrixkonstituente. Sie lassen sich systematisch zu Satzgliedfunktionen in Beziehung setzen, deshalb spricht man auch von einer „sekundären“ Funktion: das teure Buch – das Buch teuer IST das Auto meiner Eltern – das Auto meinen Eltern GEHÖRT das Haus auf dem Berg – das Haus auf dem Berg IST die Entlassung des Ministers – der Minister entlassen WIRD Seite | 26 Lauffer PS Syntax SS 2009 die schulischen Probleme – die Probleme die Schule BETREFFEN das gestrige Seminar – das Seminar gestern STATTFAND der starke Raucher – der stark raucht. Satzgliedteile wie Determinantien oder Partikel gehören nach dieser Definition nicht zu den Attributen. 1. Kategorien des Attributs Adjektiv Partizip Nominalphrase Präpositionalphrase Adverb Infinitivphrase Relativsatz Konjunktionalsatz Interrogativsatz das dumme Huhn (Adjektivattribut) der schreiende Esel das Geschrei des Esels (Genitivattribut) das Haus auf dem Berg; die Angst vor Veränderungen das Haus dort, das Seminar gestern, die Schuld daran die Idee, Germanistik zu studieren der Esel, der dort schreit; das, worüber ihr nachdenkt die Einsicht, daß etwas getan werden muß die Frage, wer verantwortlich sei 2. Nukleus des Attributs Kern oder Nukleus des Attributs ist in der Regel ein Nomen (s. die Beispiele oben), kann aber auch ein Pronomen (manche von ihnen; das, was du willst) oder ein Adverb sein (dort oben; damals, als sie studierte; Was trägst du dazu bei, dass es besser wird?) 3. Stellung des Attributs: vor dem Nukleus (pränuklear): Peters alte Wiener Würstchen nach dem Nuklus (postnuklear): der Überfall Peters auf die Bank wegen seines Geldbedarfs mißlang Hänschen klein in Lektion acht mag Forelle blau Peter, total überanstrengt, schlief ein. Sie, langhaarig und anschmiegsam,... Distanzstellung: Ich will ein Examen machen, das mir auch etwas bringt. 4. Semantik des Attributs 4.1. Referenz Restriktives Attribut: das Attribut ist zur referentiellen Identifizierung des Nukleus notwendig: Manche haben Angst vor Studenten, die demonstrieren Appositives Attribut: referentiell nicht notwendig, gibt zusätzliche Information: Manche haben Angst vor der ungewissen Zukunft 4.2. Semantische Beziehung zum Nukleus Die semantische Interpretation der attributiven Relation hängt ab von (a) von der Möglichkeit einer syntaktischen Valenzbeziehung zwischen Nukleus und Attribut und ihrer zugehörigen semantischen Rolle (auch „Adjunkt“) die Beschuldigung des Gärtners < der Gärtner wird beschuldigt die Zufriedenheit des Kanzlers mit seinem Volk < der Kanzler ist mit s.V. zufrieden (b) von der aktuellen Bedeutung der Konstituenten gemäß Kontext und Weltwissen: das Bild an der Wand, das Auto von Max, der Zug der Tante, das Bild Goethes 5. Komplexes Attribut Attribute können koordiniert, subordiniert oder erweitert sein. 5.1. Koordinierte Attribute: Der fette, gefräßige Kater; mit Rücksicht auf dich und die Kinder 5.2. Subordinierte Attribute: die langjährigen schwierigen finanziellen Verhältnisse. Der Onkel des Neffen meiner Großmutter 5.3. Erweitertes Attribut: Eine recht freche Antwort! Dieser trotz mancher Rückschläge auf seine Leistungen vielleicht sogar zu Recht ungemein eingebildete K. EXKURS: Apposition Seite | 27 Lauffer PS Syntax SS 2009 Begriff Terminus und Begriff sind umstritten. Im folgenden werden diejenigen Aspekte genannt, die gewöhnlich zur Bestimmung von Appositionen herangezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass diese „Eigenschaften“ keineswegs in allen Fällen zutreffen. 1. Appositionen sind Teile von Nominalphrasen, also keine Satzglieder. 2. Appositionen sind Nominalphrasen. 3. Wie Attribute lassen sie sich als Prädikationen zu einem nominalen Kern auffassen: Max, mein bester Freund ~ Max ist mein bester Freund, Doktor Huber ~ Huber ist Doktor 4. Appositionen sind nicht restriktiv (sondern „appositiv“). Sie haben keinen Einfluss auf die Referenz der Nukleus-NP und sind deshalb fakultativ. 5. Zwischen Nukleus und Apposition besteht Referenzidentität, d.h. beide Nominalphrasen beziehen sich auf denselben Gegenstand („Referenten“). Vgl. die Erzählung „Tonio Kröger“ die Erzählungen Thomas Manns die Erzählung, langatmig und kompliziert 6. Zwischen Nukleus und Apposition besteht Kongruenz: Ich kenne deinen Freund, den Doofi, zu Genüge. Vgl. aber folgende Formen ohne Kongruenz: Dokor Maiers Seminare der Vortrag des Referenten, Projektleiter bei LMU Samstag, den 30.Februar Test zur Unterscheidung Nukleus-Apposition: Nukleus wird flektiert: das Auto Onkel Friedolins vs. das Auto meines Onkels Friedolin Pronomen kongruiert mit Nukleus: Lehrling Martina, die...vs. der Lehrling Martina, der... Typen der Apposition 1. Lockere Apposition: Postnuklear, Parenthesemarkierung (durch Komma bzw. Intonation) Horowitz, ein berühmter Flötist Am Freitag, dem 30. Januar Max, dieser Idiot 2. Enge Apposition (Nukleus wird flektiert, Nukleus referiert) (a) Pränukleare Juxtaposition: Vorname, Titel, Beruf, Verwandtschaftsbezeichnung, Anrede Max Weber, Rainer Maria Rilke Tante Frieda, Professor Vorndran, Herzog Wilhelm, Herr Müller (!Herrn Müllers Esel) (b) Postnukleare Juxtaposition mein Onkel Otto, dieser Herr Sowieso, der Doktor Gockel der Mathematiker Riese, der Planet Mars, der Monat Juli, das Land Bayern, die Note 2 die Stadt München ~ die Uni München (Duden: explikativ vs. determinativ) Sie Esel, du Ärmste (c) Partitive Apposition ein Glas Wein (<ein Glas Weines), eine Partie Schach, eine halbe Stunde Radfahren ein bisschen Freizeit, wenig Neues, viel Arbeit, eine Menge Leute, eine Art Schnecke Problemfälle und Abgrenzungen Max als Kollege und als Freund: das ist zu viel Einen Freund wie den findest du nicht wieder. Frau Teufel, Berlin, Jahrgang 1981 Forelle blau mein Exfreund, wie immer schlecht gelaunt Dabei denke ich besonders an dich, mein Lieber ~ Dabei denke ich, mein Lieber, besonders an dich Moritz, frisch verliebt, rannte zur Tür ~ Frisch verliebt rannte er zur Tür Alle freuten sich, dass der Lehrer krank wurde, ein ganz normales Verhalten. 9. DETERMINATIV Seite | 28 Lauffer PS Syntax SS 2009 Determinative determinieren Nominalphrasen referentiell. Die NP kann syntaktisch/semantisch durch ein Nomen spezifiziert sein (es liegt dann „Begleiter“-Funktion vor) oder nicht („Stellvertreter“-Funktion). In beiden Fällen gibt das Determinativ eine Anweisung, den Referenten der NP zu identifizieren und/oder zu quantifizieren. Hinweis: Die Funktion der Quantifizierung wird von manchen von der Determinierung unterschieden. 1. Definite Kennzeichnung. Der Referenzgegenstand ist zu identifizieren (a) aufgrund von Wissen: Der Mond schien hell. Das Seepferdchen ist ein Fisch (b) anaphorisch durch Textverweis auf eine bereits determinierte NP: Mein alter Freund besuchte mich. Er kam wie früher zu spät / Seine Brille war neu (b) deiktisch durch Situationsverweis: Schau mal, das Kleid da! Und die erst! 2. Indefinite Kennzeichnung. Der Referenzgegenstand ist (a) kataphorisch durch Textverweis identifizierbar: Ein Mann kam herein. Es war mein alter Freund Max Wen meinst du eigentlich? Dich natürlich! Da fällt mir etwas ein. Hast du eigentlich den Geburtstag von Eva gedacht? (b) quantifiziert durch eine allgemeine oder kontextgebundene Mengenangabe Man macht das halt so, aber niemand weiß warum Irgendein Buch hat jeder Analphabet Manche Gäste kamen schon mittags. Und ein paar gingen erst gegen Morgen. 10. PARTIKELFUNKTIONEN „Partikelfunktionen“ ist eine zusammenfassende Bezeichnung für syntaktische Relationen, die im typischen Fall von nicht satzgliedfähigen unflektierbaren Wörtern erfüllt werden. Eine Unterscheidung zwischen funktionsunabhängigen, also morphologisch oder lexikalisch definierten Wortklassen und deren Funktion ist im Bereich der Inflexibilia schwer möglich. Termini wie Präposition, Konjunktion, Subjunktion oder Abtönungspartikel werden traditionell als Bezeichnungen von Wortklassen, also kategorial aufgefasst. Stillschweigend werden dabei jedoch distributionelle, also funktionale Kriterien zugrundegelegt. So kommt es, dass dieselben Wörter verschiedenen Kategorien zugeordnet werden müssen, ohne dass ein lexikalischer Unterschied den Ansatz von Homonymen rechtfertigen könnte (z.B. während als Präposition oder Subjunktion, doch als Konjunktion oder Modalpartikel, usw.). Besser wäre es, die Inflexibilia kategorial zu einer einzigen Wortart zusammenzufassen und terminologisch die Funktionunterschiede zu kennzeichnen. Als selbständige Wortarten könnte man wegen ihrer Satzglied- bzw. Rektionseigenschaften die Adverbien und die Präpositionen ausgrenzen. Funktionale Begriffe für Partikel und andere, nicht satzgliedwertige Konstituenten sind z.B. Determinierung/Determinativ (Pronomen, Artikel, s. oben), Fokussierung (Fokuspartikel), Modalisierung (Modalpartikel), Graduierung (Steigerungspartikel), Adjunktion (Präposition), Konnexion (Konjunktion, Subjunktion). VII. TOPOLOGIE 1. Verbstellung, Satztyp und Satzmodus Die Verbstellung ist das wichtigste syntaktische Mittel zur formalen Definition eines „Satztyps“ und damit zum Ausdruck der semantisch-pragmatischen Funktion eines Satzes, des „Satzmodus“. Andere formale Mittel zum Ausdruck des Satzmodus sind die Morphologie (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ), die Intonation (z.B. fallend vs. steigend) und bestimmte lexikalische Kategorien (Fragewörter, Modalpartikel). Die Proposition eines Satzes bleibt bei der Veränderung des Satzmodus gleich: Du machst dieses Jahr Examen. Du machst dieses Jahr Examen? Du machst dieses Jahr Examen! Machst du dieses Jahr Examen? DU machst dieses Jahr EXAMEN? Mache DU dieses Jahr Examen! (dass) du dieses Jahr Examen machst Hinweis: Der Gebrauch der Termini Aussagesatz, Deklarativsatz u.a. ist uneinheitlich. Es wurde vorgeschlagen, die lateinischen Termini für formal definierte Satztypen (also: Deklarativsatz für die Seite | 29 Lauffer PS Syntax SS 2009 Merkmale Verbzweit, Indikativ, fallende Intonation), die deutschen für pragmatisch definierte Satzmodi zu verwenden (also: Aussagesatz). Strittig ist allerdings die Anzahl der Satztypen, d.h. aufgrund welcher und wievieler formaler Eigenschaften man Satztypen unterscheiden soll. Klar ist nur, dass die pragmatischen Funktionen von Sätzen an formale Merkmale gebunden sind, und dass es direkte („wörtliche“) und indirekte Verwendungen von Satzmustern gibt. Deshalb wird im folgenden vom Kriterium der Verbstellung ausgegangen. Den Verbstellungs-Typen werden dann einige wichtige Satzmodi zugeordnet. • Verb-Zweit-Stellung: Hauptsatz: Aussagesatz: Der propositionale Gehalt wird als faktisch ausgesagt. Merkmale: Verb-Zweit, Indikativ, fallende Intonation (=Deklarativsatz, Assertion) Aufforderungssatz: DU halte bitte den MUND! (=Imperativsatz). Ausrufesatz: DIE hat ein Mundwerk! (=Exklamativsatz) W-Ausrufesatz: Was HABE ich nicht alles getan! (=W-Exklamativsatz) W-Fragesatz (Wort-, Satzglied-, Ergänzungsfrage): Wer ist da? Wovon redest du? (=Interrogativsatz) Nebensatz: Nichteingeleiteter Objektsatz: Ich meine, du hast recht Nichteingeleiteter Subjektsatz: Die Hauptsache ist, du kommst. • Verb-Erst-Stellung: Hauptsatz: Aufforderung: Setzen Sie sich! (=Imperativsatz) Aussage: Kommt ein Kamel zur Tür herein, setzt sich an die Theke, bestellt ein... E-Frage (Entscheidungsfrage, Satzfrage): Hast du etwas gesagt? Wollen Sie sich setzen? Ausruf: Redet DER einen Unsinn! IST der unfreundlich! Wunsch: Hättest du doch geschwiegen! Wäre ich bloß nicht so naiv! (=Optativsatz) Nebensatz: konditionaler Adverbialsatz: Hätte ich Zeit gehabt, wäre ich gerne gekommen. konzessiver Adverbialsatz: Bekäme ich auch noch so viel, würde ich es (doch) nicht tun • Verb-Letzt-Stellung: Hauptsatz: Echofrage: Wer den Tasso geschrieben hat? Ausruf: Dass du immer das letzte Wort haben musst! Wunsch: Wenn du doch geschwiegen hättest! W-Ausrufesatz: Was DU nicht sagst! Nebensatz: Eingeleiteter Nebensatz (Konjunktionalsatz, Relativsatz): Der, der glaubt, dass er das weiß, irrt sich. 2. Arten der Satzklammer (1) Verb-Zweit-Stellung, Verb-Erst-Stellung (a) Hilfsverb-Klammer: finites Hilfsverb + infinites Vollverb Tempus: ist/war—gekommen, wird —kommen Modus: würde—kommen Passiv: wird—gelesen, ist—geschrieben, wird—gebrüllt. (b) Modalverb-Klammer: finites Modalverb + infinites Vollverb will—gehen, muss — kommen (c) Prädikativ-Klammer finites Kopulaverb + Prädikativ ist—Lehrerin, ist—teuer, ist—da, ist—morgen (d) Funktionsverb-Klammer: finites Funktionsverb + nominaler Prädikatsteil stellt—zur Diskussion, bringt—zur Anzeige Hinweis: Behandelt man den nominalen Teil des Funktionsverb-Gefüges als Prädikativ, handelt es sich beim Typ (d) um einen Sonderfall der Prädikativ-Klammer (=Typ c) (e) Lexikalische Klammer: finites Vollverb + lexikalischer Verbteil kommt—an, steht—auf, lexikalischer Verbteil: Adverb/Präposition (“Partikel“) stellt—bloß, fährt—Rad, spricht—Hohn, lexikalischer Verbteil: Adjektiv, Substantiv (f) Idiomatische Klammer: finites Vollverb + nominaler Prädikatsteil Seite | 30 Lauffer PS Syntax SS 2009 fällt—ins Wort, sieht—schwarz, arbeitet—schwarz, geht—auf den Wecker. (2) Verb-Letzt-Stellung (g) Verb-Letzt-Klammer (auch „Nebensatzklammer“) als (sie) aufstand: Subjunktion + finites Verb der (dort) sitzt, auf dem (sie) liegt: Relativpronomen + finites Verb wo du bist, warum er das getan habe: Relativadverb + finites Verb. Die Verb-Letzt-Klammer (Klammertyp g) ist strukturell anders aufgebaut als die Satzklammer beim VerbZweit und Verb-Erst-Satz. Alle potentiellen Klammerteile der Verb-Zweit-Klammer stehen hier in der Reihenfolge ihrer Abhängigkeit nebeneinander am Satzende, das Finitum ist dabei das klammerschließende Element. Die klammerfähigen Konstituenten sind dann nach dem Prinzip der „Verbnähe“ serialisiert: das Finitum steht ganz rechts, davor die „verbnächste“ Konstituente: weil Max damals offenbar wegen seiner Freundin gerne in München gewohnt haben soll. Relativ weit rechts stehen auch Adverbialergänzungen und die Satznegation. Sie werden deshalb gelegentlich ebenfalls als Klammerelemente gewertet. Vgl. aber: Er arbeitet nicht gerne / Er hat nicht gerne gearbeitet: die Satznegation steht nicht am Mittelfeld-Ende, kommt also nicht als Klammer-Element in Betracht. In der neueren Generativen Grammatik gilt die Verb-Letzt-Stellung als die Grundstellung des deutschen Satzes, die anderen Stellungstypen werden durch „Bewegung“ daraus abgeleitet. Vgl. (dass) er↓ krank ist Er ist krank Ø (dass) er↓ krank gewesen ist Er ist krank gewesen Ø (dass) er↓ krank gewesen sein will Er will krank gewesen sein Ø (dass) er↓ krank gewesen sein wollen wird Er wird krank gewesen sein wollen Ø. Wenn das Finitum durch die „move-α“- Operation aus der Endstellung wegbewegt worden ist, wird die ursprüngliche Position durch Ø als „Spur“ der Transformation markiert („offene Klammer“): er heute arbeitet → Er arbeitet heute Ø. Als Konsequenz dieser Analyse ergibt sich, dass ein deutscher Satz immer eine Klammerstruktur hat, auch wenn kein klammerschließendes Element erscheint. In der topologischen Satzanalyse wird die Position des potentiellen Klammerschlusses durch Ø markiert. Bei offener Klammer kann es fraglich sein, ob eine Konstituente am Satzende zum Mittelfeld oder zum Nachfeld gehört. Zur Ermittlung der Grenze zwischen MF und NF empfiehlt sich die Bildung einer zweiteiligen Verbform (z.B. „Perfekt-Test“). Die fragliche Konstituente ist dann in unmarkierter Verwendung in der Regel einem der beiden Felder zuzuordnen. 3. Übersicht: Satzfelder und Satzklammern • Verb-Zweit-Satz, Verb-Erst-Satz Vorfeld V-Zweit V-Erst V-Zweit V-Erst V-Zweit V-Erst Struktur V-Zweit Struktur V-Erst • (kein VF!) Klammeröffn. Element (=finitesVerb) schläft(.) Iß(!) schläft Iß ist Steh éin (!!) Satzglied linker Klammerteil sonstige rechter Konstituenten Klammerteil =finites Verb sonstige Konstituenten weil ..., dass er müde ist (Extraposition) Max (kein VF!) Max (kein VF!) Max Mittelfeld ø ø endlich endlich eben endlich... Klammerschließendes Element ø ø ø ø eingeschlafen auf Nachfeld endlich! bitte! --gottseidank! wenn es dir schmeckt! --um Mitternacht. jetzt! (kein VF!) Verb-Letzt-Satz Typ 1 Subjunktion Max weiß Seite | 31 Lauffer PS Syntax SS 2009 Typ 2 Relativ-Pron. Rel.-Adverb Struktur der jetzt endlich schläft kein Vorfeld! Subjunktion Relativpron./-adv beliebige Konstituenten finites Verb um Mitternacht (Ausklammerung) …, um Mitternacht (Nachtrag) sonstige Konstituenten 4. Besonderheiten der Felderbesetzung • Topikalisierung: Satzglied, das nicht Subjekt ist, im Vorfeld: Endlich ist er gekommen! (topikalisiertes Adverbial) Dass du mich liebst, weiß ich (topikalisierter Objektsatz) Was ich werden wollte, bin ich geworden –nämlich Lehrer (topikalisierter Prädikativsatz). Seite | 32 Lauffer PS Syntax SS 2009 Funktion: Thematisierung eines Satzglieds („echte T.“): Gestern habe ich etwas Seltsames erlebt. Hervorhebung eines Rhemas („unechte T.“): DICH habe ich gemeint! GESTERN ist es passiert! Hinweis: Im Vorfeld muss und kann regelhaft nur ein Satzglied stehen (Satzgliedtest!). Zusätzlich zu diesem „vorfeldfüllenden“ Satzglied können dort allerdings weitere Konstituenten vorkommen (dann manchmal auch „Vorvorfeld“ genannt: Ach, Max, aber die Eva, gerade die hat dich doch immer geliebt! • Extraposition: Nebensatz im Nachfeld: Ich kann nicht einschlafen, obwohl ich müde bin (extraponierter Adverbialsatz) Funktion: Verständlichkeit. Die Extraposition ist häufig obligatorisch: *Ich habe, dass ich doof bin, eingesehen. • Ausklammerung: nicht satzförmiges Satzglied im Nachfeld, ohne Pause Du bist sehr spät gekommen heute! Funktion: Ergänzung unwichtiger oder bei der Satzplanung vergessener Hintergrundinformationen. Auch grammatikalisiert, mit obligatorischer Ausklammerung Sie ist so schlau wie du! Max ist frecher als Moritz. Er hatte geglaubt zu gewinnen. • Nachtrag: Satzglied oder Apposition im Nachfeld, durch Komma/Pause/Intonation getrennt: Ich konnte gut einschlafen, trotz allem. Es war schön, damals bei dir. Max ist schon wieder der letzte, der Langschläfer. Funktion: Ergänzung von Informationen, spezifizierend, erklärend, hervorhebend u.a. • Links-, Rechtsversetzung: Satzglied im Vor- oder Nachfeld, zusätzlich eine referenzidentische Pro-Form im Vor-oder Mittelfeld: Die Dozenten, die kommen immer zu spät (Linksversetzung des Subjekts) Die gewinnen, die Römer (SZ 16.12.03) (Rechtsversetzung des Subjekts) Ich mag ihn gern, den Peter. (Rechtsversetzung des Objekts) Bei dir, da fühle ich mich wohl. (Linksversetzung des lokalen Adverbials) Damals warst du noch nett, als du klein warst. (Rechtsversetzung des temporalen Adverbials) Wenn du willst, dann kannst du hier bleiben (Linksversetzung des konditionalen Adverbials) (Vgl. Examens-Text Barock!) Funktion: Präsentation eines neuen Themas oder nachträgliche Nennung des Themas. Hinweis: Nachfeldbesetzungen können kombiniert werden: Ich habe sie gern gehabt damals, obwohl sie mich ziemlich genervt hat, die Eva. (Ausklammerung+Extraposition+Rechtsversetzung). • Spaltsatz: „Abspaltung“ eines Satzglieds, vgl. unten DieFunktionen von Es, Punkt 3. 5. Zur Serialisierung der Satzglieder im Mittelfeld Die Reihenfolge der Satzglieder im Mittelfeld hängt im unmarkierten Fall von folgenden Kriterien ab: (1) Grad der semantischen bzw. syntaktischen Abhängigkeit vom Verb: semantischeVerbnähe ~ topologische Verbnähe. Das Subjekt („externes Argument“) steht am weitesten vom Verb (in Verbletztstellung!) entfernt, obligatorische Komplemente wie PO oder Adverbialergänzung stehen unmittelbar vor dem Verb. Semantisch-syntaktisch und topologisch am engsten zum finiten Verb gehören stets die klammerschließenden Konstituenten: dass der Kanzler dem Minister die Entlassungsurkunde überreicht habe (Subjekt-DO-AO) weil er immer mit Vorliebe in München ansässig gewesen sein soll. Auf dieses Prinzip der „Verbnähe“ geht wahrscheinlich auch die Grundreihenfolge adverbialer Sastzglieder im Mittelfeld zurück: Zeit-Art-Ort („ZAO“) (2) Bekanntheit bzw. textuelle Vorerwähntheit: bekannte Einheiten stehen vor unbekannten. Pronominale Konstituenten vor nichtpronominalen: Er gab ihnen das Buch – Er gab es den Kindern Definite Kennzeichnungen vor indefiniten Er schenkte seiner Frau ein Buch - ?Er schenkte einer Frau das Buch Der wesentliche Aspekt bei allen Stellungsregeln ist die pragmatische Informationsstruktur: die neue Information steht in unmarkierter Reihenfolge rechts, die bekannte Information (Thema) links (speziell im Seite | 33 Lauffer PS Syntax SS 2009 Vorfeld!). Deshalb gehen Pro-Formen voraus (bekannte Information), das Verb steht rechts (Prädikat gibt in der Regel die neue Information). (dass) seine Freundin (dass) sie (dass) Peter dem Doofi es regelmäßig das Auto ihm von ihr (dass) er das Buch einer Schule (daß) er der Schule ein Buch in die Garage hinein an ihren Hochzeitstag fahren fahren erinnert werden gespendet würde muss muß gespendet hat hat 6. Hinweis zur topologischen Analyse Eine topologisch Analyse umfasst im Normalfall vier oder fünf Punkte: • Verbstellung: für jedes finite Verb • Satzklammern für alle Haupt- und Nebensätze • Felder: für jeden Teilsatz getrennt, Einordnung der Konstituentensätze grundsätzlich in das Satzfeld des jeweiligen Matrixsatzes (niemals umgekehrt oder „doppelt“) • Besonderheiten der Felderbesetzung: Topikalisierung, Extraposition, Ausklammerung, Nachtrag, Rechtsversetzung, Linksversetzung, Spaltsatz • Zusätzlich: Reihenfolge der Konstituenten im Mittelfeld (wenn ein interessanter Fall im Sinne der Regel vorliegt, oder auch bei markierter Abweichung von der Regel). EXKURS: Die Funktionen von ES 1. Phorisches Pronomen (anaphorisch/kataphorisch): Normale Satzgliedfunktion und Satzgliedstellung, referenzidentisches Antezedens oder Postzedens. (a) Wo ist das Buch? Ich brauche es! - Es liegt auf dem Tisch. (b) Er studiert Germanistik, und es macht ihm auch Spaß. (c) Sie ist Lehrerin, und ihre Tochter wird es sicher auch. (d) Alle waren müde, nur ich war es nicht. (e) Hast du es schon gelesen? Bei uns ist ein Meteor eingeschlagen! 2. Korrelat (auch: Platzhalter) für ins Nachfeld extraponierte Nebensätze und Infinitivphrasen: Funktionsgleich mit dem extraponierten Satzglied, mittelfeldfähig. Durch das entsprechende Satzglied ersetzbar. Funktion: Verständlichkeit des Satzgefüges 1. Subjektsatz: Es freut mich, dass du da bist. Mir ist es bekannt, dass er häufig fehlt. Macht es dir etwas aus, mich anzurufen? Es ist ein Zufall, dass ich keine Zeit habe. 2. Objektsatz: Ich glaube es nicht, dass du das nicht gewusst hast. Ich halte es für angebracht, jetzt zu schweigen. Ein entsprechendes Korrelat bei extraponierten PO-Sätzen ist das Pronominaladverb: Ich glaube fest daran, dass du gesund wirst. Hinweis: Ein extraponierter Subjektsatz liegt auch dem sog. Spaltsatz zugrunde: Seine Funktion ist die Fokussierung eines Satzglieds vor dem Hintergrund eines bereits bekannten, thematischen Sachverhalts (z.B. als Korrekturäußerung). Der bekannte Sachverhalt erscheint als Subjektsatz, das fokussierte Satzglied als Prädikativ. Vgl. z.B. LA n.v. F 2000/3 (Oftmals waren es jedoch die Mütter, die...). Subjekt Der das getan hat Es Was ich erlebt habe Es Dass/Wo wir uns getroffen haben Es Dass das passierte Prädikativ war Peter war Peter ist unglaublich ist unglaublich war in Berlin war in Berlin war genau vor zwei Jahren extraponiertes Subjekt der das getan hat was ich erlebt habe dass/wo wir uns getroffen haben Seite | 34 Lauffer PS Syntax SS 2009 Es war genau vor zwei Jahren dass das passierte 3. Thematisches es. Auch: Vorfeld-es, Platzhalter-es (Duden6 §1121), Korrelat (Helbig-Buscha 6.2.1) Keine Kongruenz mit dem Finitum, nur im Vorfeld, besetzt hier die Subjektposition, Subjekt im Mittelfeld realisiert. Durch Subjekt ersetzbar. Funktion: Rhematisierung der gesamten Aussage einschließlich des Subjekts. Es haben sich dort schon wieder zwei Unfälle ereignet .Es wartet jemand auf dich! Es wurden hier in der letzten Zeit viele neue Häuser gebaut. Es werden jetzt die Betten gemacht! Es laust mich der Affe! Es ist Wahlkampf. Es war einmal ein König. Ein Sonderfall des thematischen es ist das Passiv-es, vgl. Punkt 4. 4. es beim unpersönlichen Passiv: Keine Kongruenz mit dem Finitum, nur Vorfeld, keine Subjekt-Rolle. Es wird jetzt gegessen! Es wurde bis in den Morgen hinein getanzt (vgl. thematisches es!) 5. Formales Subjekt, Formales Objekt ( Auch: Expletives es, Pseudo-Subjekt, „Fixes es“) Satzglied, mittelfeldfähig, nicht substituierbar 1. Verben/Verbvarianten ohne Aktanten: Es schneit. Es friert. Es klopft. Es klingelt. 2. Kopula mit Prädikativ: Es ist spät. Es wird Abend. Es bleibt kalt. 3. Verben mit personalem Akkusativobjekt oder Dativobjekt: Es friert mich, graust mir/mich, überläuft mich kalt und kotzt mich an. Es geht mir gut, aber es fehlt mir an Selbstvertrauen 4. „Existenz“-Verben: Es handelt sich um einen Zufall. Es gibt da ein Problem. Es heißt, er studiere. 5. Reflexivkonstruktionen: In diesem Sessel sitzt es sich bequem. Hier lässt es sich leben. 6. Formales Objekt: Ich habe es eilig. Sie hat es ihm angetan. Sie wird es noch weit bringen. Wie hältst du es mit dem Studium? VIII. Flexionskategorien des Verbs 1. Modus (1) Modalität Die Kategorie Modus gehört mit anderen sprachlichen Mittel zum sog. Modalfeld. Modalität in diesem Sinne ist eine pragmatische Kategorie, die das Verhältnis des Sprechers zum ausgedrückten Sachverhalt betrifft, speziell die Einstellung des Sprechers zum Realitätsbezug des Gesagten. Hinweis: Im Terminus modales Adverbial liegt ein anderer (semantischer!) Begriff vor. (2) Sprachliche Ausdrucksmittel für Modalität 1) Modus als Flexionskategorie: Indikativ, Konjunktiv, Imperativ 2) Modalverben: mögen, können, müssen, dürfen, wollen, sollen 3) Modifizierende Vollverben: Sie pflegt/scheint/droht/verspricht/weiß/vermag das zu tun 4) „Modalwörter“: Subklasse der Adverbien (=Satzadverbien) und Adjektive (selten auch Ppn): vermutlich, wohl, angeblich, möglicherweise, mit großer Wahrscheinlichkeit, hoffentlich, leider, glücklicherweise, gottlob usw. Test: Mit „Modalwörtern“ kann man auf Satzfragen antworten. Sie stehen im Mittelfeld vor der Negation. 5) Modalpartikel: drücken die Sprechereinstellung zum Sachverhalt aus und modifizieren die Handlung: halt, doch, ja, vielleicht, etwa. 6) Satzmodus: Zusammenfassende Bezeichnung für die modale Bedeutung eines Satzes. Indikatoren des Satzmodus sind Verbstellung, Intonation, Modus, Modalverben und Modalpartikeln. Man unterscheidet u.a.: Aussage, E-Frage, W-Frage, Ausruf, Wunsch 7) Synaktisch-morphologische Sonderformen mit "Modalfaktor": Modaler Infinitiv: ~müssen: Was ist zu tun? Ich habe zu arbeiten ~nicht müssen:Ich habe das nicht zu verantworten. ~nicht dürfen: Du hast hier nichts zu sagen. Wortbildung: Das ist unbestreitbar unleserlich Seite | 35 Lauffer PS Syntax SS 2009 (3) Kategorien des Modus • Indikativ. Der Indikativ ist der unmarkierte Modus als Normalform der Aussage: der Sprecher drückt aus, dass der Sachverhalt der Fall ist. • Imperativ. Der Imperativ drückt aus, dass der Sachverhalt vom Gesprächspartnier realisiert werden soll. Andere Ausdrucksformen für den Satzmodus Aufforderung sind z.B. Kommen Sie! Du gehst! Laßt uns gehen! • Konjunktiv. Der Sprecher drückt aus. dass der Sachverhalt in irgendeiner Form nicht real ist, sondern möglich, erwünscht, vermutet oder hypothetisch ist. Konjunktiv I (Formen s.u. Tempus und Modus): Sachverhalt wird als "vermittelt" dargestellt (z.B. indirekte Rede), oder auch als erwünscht (volitiver Konjunktiv) Konjunktiv II: (Formen s.u. Tempus und Modus:): Sachverhalt gilt als nur "vorgestellt". 2. Tempus (1) Grundbegriffe Tempus. Terminus der grammatischen Form: morphosyntaktische Kategorie des Verbs. Im Deutschen werden unterschieden: Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I, Futur II. Zeit. Bezeichnung des "Gegenstands": menschlicher Erfahrungsbereich, der durch die Tempusformen bezeichnet und strukturiert wird. Vergangenheit – Gegenwart - Zukunft. Zeitabschnitte, auf die sich die Tempusformen beziehen. Vorzeitig – gleichzeitig - nachzeitig. Relatives zeitliches Verhältnis zwischen zwei Sachverhalten. In einem Satzgefüge aus Matrix- und Konstituentensatz bezieht man die Termini auf das im Konstituentensatz ausgedrückte Geschehen: Nachdem er getrunken hatte (vorzeitig), wurde er lockerer Bevor er zu reden anfing (nachzeitig), trank er noch einen Schluck. Er war gerade nach Hause gekommen, als es auch schon klingelte (nachzeitig) Sie wird richtig sympathisch, wenn sie müde ist (gleichzeitig). (2) Bildung der Tempusformen Die nhd. Tempusformen werden auf dreierlei Weise gebildet: - unmarkierte Grundform: Präsens - morphologisch markierte synthetische Form: Präteritum - analytische Formen aus infinitem Verb mit finitem Hilfsverb: alle anderen Tempusformen. (3) Bildung der analytischen Formen (haben vs. sein): Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II werden im Normalfall mit haben gebildet (passivfähiges transitives Verb, oder intransitives Verb mit Agens-Subjekt, Partizip nicht attribuierbar). Das Hilfsverb sein wird verwendet bei intransitiven Verben, die eine Zustands- oder Ortsveränderung des „Subjekts“ bezeichnen (mutative oder telische Verben): Die Rose hat geblüht : Die Rose ist aufgeblüht/verblüht Moritz hat geschlafen : Moritz ist eingeschlafen Max hat den Wagen gefahren : Max ist nach München gefahren Die Wärme hat das Eis geschmolzen : Das Eis ist geschmolzen Beim sein-Perfekt ergibt sich eine Zustandsveränderung des Subjekts, ein „Vorzustand“ des Subjekts wird in einen „Nachzustand“ überführt: Max ist angekommen : Max ist jetzt da Max ist nach München gefahren : Max ist jetzt in München In gleicher Weise lässt sich auch das sein-Perfekt bei sein, werden und bleiben verstehen. Es liegt hier zwar keine Zustandsveränderung vor, aber ein „Nachzustand“ wird thematisiert (Eisenberg 2, 1999 : 109): Max ist in München geblieben : Max ist jetzt immer noch in München. Das Partizip des sein-Perfekts lässt sich dem Subjekt wie ein Adjektiv attribuieren: Die Rose ist verblüht : die verblühte Rose vs. Die Rose hat geblüht : *die geblühte Rose. Hinweis: Die Verwendung von sein bei der Perfektbildung telischer Verben steht semantisch in engem Zusammenhang mit der Verwendung beim Zustandspassiv und mit dem Gebrauch als Kopulaverb. Es handelt sich historisch um dieselbe Konstruktion. Vgl. dazu unten Passiv, Punkt (5). (3) Tempus und Aspekt Seite | 36 Lauffer PS Syntax SS 2009 Das deutsche Tempussystem strukturiert die zeitliche Beschreibung eines Ereignisses (= Aktzeit) nach zwei Gesichtspunkten: einmal temporal im Verhältnis zum Redemoment (= Sprechzeit) und einmal aspektual hinsichtlich des Geschehensverlaufs (= Betrachtzeit). (a) Aktzeit/Ereigniszeit (A bzw. E). Vom Sachverhalt eingenommener Zeitraum, ausgedrückt durch die Proposition ohne Tempusmarkierung: Rose blüh-, Rose aufblüh-, es schnei-, Max schlaf-. (b) Sprechzeit (S). Zeitpunkt der Äußerung. S ist Bezugspunkt für die temporale Gliederung des Zeitkontinuums in die Abschnitte vergangen-gegenwärtig-zukünftig. Gemäß dieser Gliederung wird ein Ereignis E gekennzeichnet als -vor der Sprechzeit geschehend/vergangen -nach der Sprechzeit geschehend/zukünftig -gegenwärtig geschehend oder allgemein gültig (c) Betrachtzeit/Bezugszeit (B). Zeitpunkt oder Zeitraum, im Verhältnis zu dem E situiert wird. B ist Bezugspunkt für die aspektuale Unterscheidung zwischen einem als vollzogen, zeitlich abgeschlossen gedachten Geschehen und einem Geschehen, für das keine zeitliche Begrenzung hinsichtlich seines Verlaufs angezeigt werden soll. Ein Geschehen kann also unabhängig davon, wann es stattfindet, zur Bezugszeit B andauern oder abgeschlossen sein (imperfektiver vs.perfektiver Aspekt). Der Bezugspunkt für die Aspektunterscheidung imperfektiv-perfektiv kann kontextuell implizit bleiben oder durch ein temporales Adverbial explizit gemacht werden: • B implizit: Es schneite viel / Es schneit / Es wird schneien • B explizit durch Adverbial Adverb: Es schneite damals viel /Es schneit gerade / Es wird morgen schneien. Zurzeit ist es ruhig. Phrase: Nächste Woche werde ich es erledigt haben. In zwei Stunden werde ich wieder da sein. Satz: Es schneite, als ich kam. Als ich ankam, war er gerade weggegangen. (4) Die Hauptfunktionen der Tempusformen Zeitstufe Bezugszeit: Vergangenheit Aspekt imperfektiv, andauerndes Geschehen, E während B perfektiv, abgeschlossenes Geschehen, E vor B Es schneite (damals) lange Es hatte (damals) viel geschneit Bezugszeit: Gegenwart =Sprechzeit Es schneit (jetzt) Es hat (heute Nacht) geschneit Bezugszeit: Zukunft Es wird (morgen) schneien Es wird (morgen) geschneit haben Präsens: E vollzieht sich während der Sprechzeit, bzw. S liegt innerhalb von E(=Aktuelles Präsens), <E während B~S> Perfekt: E ist zur Sprechzeit abgeschlossen <E vor B~S> Präteritum: E vollzog sich vor der Sprechzeit zur Zeit B <E ~ B vor S> Plusquamperfekt: E war vor der Sprechzeit zur Zeit B abgeschlossen <E vor B, B vor S> Futur: E wird sich nach der Sprechzeit zur Zeit B vollziehen <E ~ B nach S> Futur II: E wird nach der Sprechzeit zur Zeit B abgeschlossen sein <E vor B, B nach S> (5) Sonstige Funktionen der Tempusformen Präsens: -generelles (atemporales) Präsens: Der Wal ist ein Säugetier -habituelles Präsens: Hier sitzt Max -futurisches Präsens (statt Futur): Morgen schneit es bestimmt -historisches Präsens (statt Präteritum): Damals schneit es wochenlang. 1832 stirbt Goethe. -szenisches Präsens: Gestern klingelt es um halb fünf, und wer steht vor der Tür? Perfekt: -erzählendes Perfekt (statt Präteritum): Damals hat es viel geschneit -generelles Perfekt: Ein Unglück ist schnell passiert Seite | 37 Lauffer PS Syntax SS 2009 -Perfekt statt Futur II: Bis morgen hat es geschneit -Perfekt statt Plusquamperfekt: Kurz davor hat es viel geschneit Futur: -modales Futur. Da das Futur allgemein etwas nicht real Gegebenes, aber Erwartetes oder Vermutetes ausdrückt, kann es sich auch auf gegenwärtige oder vergangene Ereignisse beziehen: Es wird wieder der Max sein, der fehlt. Er wird es wieder nicht gewusst haben. (6) Absolutes und relatives Tempus Die Termini werden unterschiedlich gebraucht. Sinnvoll ist folgende Abgrenzung: Absolutes Tempus: Die Ereigniszeit bestimmt sich relativ zum Zeitpunkt der Äußerung (Sprechzeit S). Im Hauptsatz liegt in der Regel absolutes Tempus vor, im Nebensatz kann es vorliegen: Es wird sich zeigen, dass ich im Recht bin/war/gewesen war. Sowohl die Zeitreferenz im Hauptsatz wie die im jeweiligen Nebensatz orientiert sich am Sprechzeitpunkt: bezüglich S ist “es wird sich zeigen” in der Zukunft (absolutes Tempus: nach ts),“ich bin im Recht“ in der Gegenwart, “ich war im Recht” in der Vergangenheit, “ich war im Recht gewesen” in der Vorvergangenheit. (absolutes Tempus: während/vor ts). Relatives Tempus: Die Ereigniszeit eines Satzes ist relativ zur Ereigniszeit eines anderen Sachverhalts zu bestimmen, nicht relativ zur Sprechzeit: Ich dachte, dass du den Termin vergessen wirst Max sagte, er werde kommen. Das Futur im Nebensatz bezeichnet ein Geschehen, das relativ zum Geschehen im Hauptsatz in der Zukunft liegt. Auf den Sprechzeitpunkt bezogen kann es bereits vergangen sein. Max wird sagen, er sei dagewesen. Das Perfekt im Nebensatz bezeichnet ein Geschehen, das relativ zum Geschehen im Hauptsatz in der Vergangenheit liegt. Auf den Sprechzeitpunkt bezogen kann es aber in der Zukunft liegen. Relatives Tempus liegt immer bei Redewiedergabe vor, vgl. unten 7. Im Hauptsatz kann man Plusquamperfekt und Futur II als relatives Tempus auffassen, da die Ereigniszeit nicht direkt auf die Sprechzeit bezogen ist, sondern indirekt über eine von der Sprechzeit verschiedene Betrachtzeit: Als es läutete, hatte ich noch nicht einmal gefrühstückt Der Nebensatz-Sachverhalt “es läutete” liegt bezüglich S in der Vergangenheit, relativ dazu ist der Hauptsatz-Sachverhalt “ich habe nicht gefrühstückt” zu bestimmen. (7) Tempus und Modus Steht das Verb im Konjunktiv, werden nur die Zeitstufen gegenwärtig, vergangen, zukünftig unterschieden. Die Flexionsformen des Verbs entsprechen nicht den Indikativformen: Konjunktiv I: Konjunktiv II: gegenwärtig Konj.Präsens Konj.Prät. vergangen Konj.Perfekt Konj.Plusquamperfekt zukünftig Konj.Futur würde+Infinitiv Beispiel für Tempus/Konjunktiv I: Indirekte Rede relatives T. relative Gegenwart (Gleichzeitigkeit) absolutes T. Gegenwart Er sagt Vergangenheit er sei krank Er sagte Zukunft Er wird sagen relative Vergangenheit (Vorzeitigkeit) relativeZukunft (Nachzeitigkeit) er sei krank gewesen er werde krank sein Seite | 38 Lauffer PS Syntax SS 2009 Beispiel für Tempus/Konjunktiv II: Wunschsatz, indirekte Rede relatives T. relative Gegenwart (Gleichzeitigkeit) absolutes T. Käme er endlich! Gegenwart Er behauptet Vergangenheit er wäre krank Er behauptete Zukunft Er wird behaupten relative Vergangenheit (Vorzeitigkeit) Wäre er doch rechtzeitig gekommen relativeZukunft (Nachzeitigkeit) er wäre krank gewesen er würde es nicht vergessen Würdest du bitte rechtzeitig kommen? 3. Passiv Die Diathese Aktiv – Passiv („Zustand“, auch: „Genus verbi“) dient der kommunikativen Hervorhebung von Subjekt- oder Objektrollen, d.h. der Perspektivierung eines Sachverhalts als Handlung oder als Geschehen. (1) Semantische Rollen: Diathese a) Aktiv: Bei Handlungsverben ist das Subjekt typischerweise die Agens-Rolle, das direkte Objekt die Patiens-Rolle. Der Sachverhalt wird aus der Handlungsperspektive dargestellt. b) Passiv: Die Patiens/Objekt-Rolle wird im Subjekt kodiert ("Zentrierung des Objekts"), der Sachverhalt erscheint als Geschehen oder Zustand. Die Agens/Subjekt-Rolle fehlt oder wird durch eine PP mit von oder durch ausgedrückt ("Dezentrierung des Subjekts". -Zur Funktion der Agens-PP s. unten: Exkurs. (2) Passivfähige Verben vs. nicht passivfähige Verben a) Allgemeine Bedingung der Passivfähigkeit ist ein agenshaftes Subjektargument. b) Passivfähig sind demnach die transitiven Verben mit typischem Akkusativobjekt und die intransitiven Verben mit einem Agens-Subjekt Typ (a) transitive Verben: Das Seminar wurde von einer Hilfskraft geleitet. Typ (b) intransitive Verben: Dem Manne kann geholfen werden. Jetzt wird gearbeitet. Passivsätze zu intransitiven Verben haben kein Subjekt, da hier kein Akkusativobjekt vorhanden ist, das im Passivsatz durch Diathese zum Subjekt werden könnte: Wir haben nicht über das Wetter geredet vs. Über das Wetter ist (von uns) nicht geredet worden c) Nicht passivfähig sind Verben mit einem „nichttypischen“ Akkusativobjekt (vgl. oben VI 3), intransitive Verben ohne Agens-Subjekt und reflexive Verben *Der Kopf wurde von ihm geschüttelt. *Das Buch wird 10 € gekostet. *Zwei Autos werden von ihm besessen. *Hier wurde von ihm gestanden. *Ich werde von mir gewaschen. *Es wird geregnet. (3) Hilfsverben Analytische Bildungsweise durch Hilfsverben: werden im Präsens und Präteritum, sonst als zusätzliches Hilfsverb sein oder werden. Einziger Unterschied zum Paradigma des Kopulaverbs: das Partizip von werden steht ohne das perfektivierende Präfix ge , da die Perfektivität bereits durch das Präfix beim Partizip angezeigt wird : Das Foto ist schön geworden vs. Das Foto ist geschönt worden Er ist krank geworden vs. Er ist verletzt worden. (4) Persönliches / unpersönliches Passiv a) Passiv bei transitiven Verben (sog. „persönliches“ Passiv): Die Aufgabe wird erledigt („zweigliedriges Passiv“) Die Aufgabe wird von mir erledigt („dreigliedriges Passiv“) b) Unpersönliches Passiv bei transitiven und agensfähigen intransitiven Verben, mit thematischem es oder einem anderen Satzglied im Vorfeld: Seite | 39 Lauffer PS Syntax SS 2009 Hier wird gearbeitet /Es wird gearbeitet. Hier wird/Es wird hier selten geputzt („eingliedriges Passiv“) c) Die sonstigen Satzglieder (DO, PO, Adverbial) bleiben bei der Passivbildung unverändert: Max verschlingt den Braten im Handumdrehen ~ Im Handumdrehen wird der Braten verschlungen Der Vater hilft dem Kind beim Lernen ~ Dem Kind wird vom Vater beim Lernen geholfen Er sorgte augenblicklich für Ruhe ~ Augenblicklich wurde von ihm für Ruhe gesorgt. (5) Vorgangs- /Zustandspassiv a) Das Zustandspassiv lässt sich systematisch auf das Perfekt des Vorgangspassivs beziehen: das Perfekt bezeichnet das Ergebnis einer Handlung oder eines Geschehens aus der Perspektive der Gegenwart, also einen gegenwärtigen Zustand: Der Braten ist gegessen worden > Der Braten ist (jetzt) gegessen. Die Aufgabe wird erledigt (Vorgangspassiv Präsens). Die Aufgabe ist erledigt worden (Vorgangspassiv Perfekt) Die Aufgabe ist erledigt (Zustandspassiv Präsens) b) Das Zustandspassiv kann in der Regel nur als persönliches Passiv gebildet werden, also bei transitiven Verben, und auch hier nur bei mutativen (auch: telischen) Verben. Nur bei diesen Verben ist die Handlung zielgerichtet (telisch), drückt das Perfekt eine Zustandsveränderung aus: Das Kind ist gewaschen worden → Das Kind ist (jetzt)gewaschen (Zustandsveränderung des Objekts) Das Kind ist gestreichelt worden → *Das Kind ist gestreichelt (keine Zustandsveränderung) c) Synchron kann man zwar das Zustandspassiv auf das Perfekt des Vorgangspassivs beziehen, doch ist dies eine diachronisch nicht adäquate Herleitung. Historisch entsprechen sich vielmehr das Zustandspassiv und das sein - Perfekt der mutativen, eine Zustandsveränderung bezeichnenden Verben (vgl. auch oben VIII 2). Historisch handelt es sich in beiden Fällen um ein prädikativ gebrauchtes Verbaladjektiv, also um eine Konstruktion mit Kopulaverb und Prädikativ: • Perfekt: Die Rose ist verblüht, eig. Die Rose ist [eine] verblüht[e] • Zustandspassiv: Die Rose ist eingepflanzt, eig. Die Rose ist [eine] [von jemandem] eingepflanzt[e]. • Prädikativ: Die Rose ist welk. (6) Funktionen des Passivs • Neutralisierung der im Agens-Subjekt kodierten Handlungsorientiertheit ("täterabgewandt"): Über das Passiv ist schon viel geschrieben worden. • Rhematisierung der (im unmarkierten Aktivsatz thematischen) Agens/Subjekt-Rolle: Der Computer ist von Zuse erfunden worden (7) Abgrenzungen • Prädikativ: Er ist begabt und gebildet, außerdem nicht rasiert und unfrisiert • Perfekt Aktiv mit sein: Die Krawatte ist verrutscht <*worden>, doch das Hemd ist gebügelt. (8) Konkurrenzformen (Passivperiphrasen) • bekommen-Passiv (Adressatenpassiv, Rezipientenpassiv; auch bei kriegen, erhalten): Sie bekam es geschenkt. Diathese: Dativobjekt im Aktivsatz = Subjekt im Passivsatz ("Dativ-Passiv") • Funktionsverbgefüge: Mein Wunsch geht in Erfüllung: das Stück kommt demnächst zur Aufführung • gehören-Passiv: Das gehört verboten (Modalität: sollen) • modaler Infinitiv: Die Aufgabe ist zu lösen , Es gibt nichts zu tun , Das bleibt abzuwarten (Modalität: können oder müssen) • lassen-Umschreibung: Die Sache läßt sich klären (Modalität: können) • Reflexivkonstruktion ("Medium"): Das Buch liest sich leicht. Die Ware verkauft sich gut. Lexikalisiert: Das wird sich finden. • Rezessives Verb (auch: ergatives Verb): Das Glas zerbrach ~ Jemand zerbrach das Glas, Die Geschäfte schließen, Das Wasser kocht, Das Eis schmilzt. • Wortbildung mit –bar oder –lich: Der Wein ist trinkbar. Seite | 40 Lauffer PS Syntax SS 2009 (9) Präpositionalphrasen mit von beim Passiv 1. Präpositionaladjunkt: Weinrich : 166ff.; meint die Kategorie PP, ohne Diskussion der Funktion 2. Passiv-Agens: Hentschel/Weydt : 117, ohne Erklärung 3. Grundstruktursubjekt: Heidolph u.a. 1981:206 „ist weder eine Adverbialbestimmung noch ein Präpositionalobjekt“; ebd.748f. verhält „sich syntaktisch wie die Adverbialia III“ 4. Urheber-Supplement: Heringer 1989:165/167 5. Präpositionalobjekt: Helbig/Buscha 164ff., Eisenberg 1989:139, Präpositivergänzung: Engel 194 <S 017>, präpositionale Ergänzung (Engel 455 <V 065>). Gegen die Analyse als PO (o.ä.) sprechen folgende Argumente: 1. Die von -Konstituente hat immer Agens-Semantik, das Subjekt jedoch nicht. 2. Die Präposition hat die übliche Bedeutung (von-her), ist also nicht wie beim normalen PO semantisch „leer“. 3. Ein PO ist normalerweise valenzabhängig und verbspezifisch. Hier jedoch nicht: eine von-Phrase ist bei allen Verben möglich, die ein Passiv bilden. 4. Nicht jedes Subjekt ist in einer Passivumformung zu einer von-Konstituente umwandelbar. Vielmehr nur solche Subjekte, die überhaupt in einem passivfähigen Satz stehen- also eine AGENS-Rolle haben. Die Umformung ist also keine primär syntaktische, da sie nicht auf der syntaktischen Funktion Subjekt, sondern auf der semantischen Rolle Agens beruht. 6. Agensangabe: Duden6 175f. <§ 314>, ähnlich Duden7 § 803 Agensphrase, Agensangabe Wenn man die Bezeichnung terminologisch versteht, heißt das: ein Adverbial als Angabe, also nicht valenzabhängig, mit der Funktion „Agensbezeichnung“. Dafür spricht, dass die Präposition von austauschbar ist mit durch, wobei von=Agens, durch=Instrumental. Die Austauschbarkeit der Präposition bei gleichzeitiger Bedeutungsänderung spricht für Angabe. Wenn die von-Phrase durch Subjekt-Umwandlung erklärt wird, ist die Konkurrenz einer durchPhrase allerdings störend. Außerdem ist die Umwandlung eines Subjekts in ein Adverbial problematisch, da bei Passivumwandlung ein ursprüngliches Adverbial erhalten bleibt, Adverbiale sich bei der Passivierung anders verhalten als Subjekt und Objekt und bei Passivumwandlung nicht betroffen werden. 5. Adverbial Die Duden-Bestimmung als Angabe lässt sich aufrechterhalten, wenn man annimmt, dass die Angabe nicht das Produkt einer Subjektumformung ist, sondern eine normale freie Angabe, die im Passivsatz möglich ist. Zusätzliches Argument für diese Ansicht ist die Tatsache, dass diese vonPhrase mit derselben Funktion auch in anderen Strukturen vorkommt, z.B. als valenzabhängige fakultative Adverbialergänzung bei Verben wie bekommen, erhalten (typischerweise Verben, die auch als Passiversatzformen bezeichnet werden): Die Frage wurde von ihm beantwortet Er erhielt/bekam von mir die passende Antwort. Die Antwort kam von ihm. Seite | 41