Männer sind gar nicht nötig – oder doch?

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POECILIA FORMOSA
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Männer sind gar nicht nötig –
oder doch?
In der griechischen Mythologie ist von einem kriegerischen Weibervolk
die Rede, das sich mit Männern nur einließ, um sich fortzupflanzen, den
Amazonen. Tatsächlich gibt es Fische, die es diesem legendären Volk
gleichtun. Sie sind zwar weit weniger kriegerisch, doch Männer leisten auch
sie sich nicht, sondern borgen sie schlicht bei nah verwandten Arten aus.
D
ass es für eine erfolgreiche Fortpflanzung mindestens ein Exemplar
jedes Geschlechtes braucht, nämlich
ein Männchen und ein Weibchen, scheint für
uns Menschen selbstverständlich. Tatsächlich gibt es aber Tiere, deren Weibchen ohne
das Zutun von Männchen Nachwuchs produzieren können. Die Jungtiere sind dabei genetisch identische Klone der Mutter. Diese
Art der Fortpflanzung wird Jungfernzeugung
oder Parthenogenese genannt.
Parthenogenetische Fortpflanzung ist im
Tierreich weit verbreitet. Zu unterscheiden
gibt es dabei einerseits Arten, die sich nur
während eines Teiles ihres Lebens parthenogenetisch vermehren. Die Blattläuse in
unseren Gärten beispielsweise pflanzen sich
das ganze Jahr über mittels Jungfernzeugung
fort. Erst im Herbst kommen Männchen zum
Vorschein, um mit den Weibchen Nachwuchs
in gewohnter Manier zu produzieren.
Andererseits gibt es Tierarten, die sich
ausschließlich parthenogenetisch vermehren. Diese Arten kennen nur das weibliche
Geschlecht; Männchen fehlen vollständig.
Dabei kommen auch einige aquaristisch
interessante Arten vor, die sich auf diese
Weise fortpflanzen. So wurde erst kürzlich
bestätigt, dass sich der Marmorkrebs (Procambarus sp.) mittels Jungfernzeugung reproduziert (Scholtz et al. 2003).
Auch Poecilia formosa, ein den Aquarianern erstaunlich schlecht bekannter Lebendgebärender Zahnkarpfen, ist eine reine Weib-
chenart. Der Populärname dieser Art, Amazonenkärpfling, spielt auf die Amazonen der
griechischen Sagenwelt an.
Ursprung und Merkmale
Obwohl die Amazonenkärpflinge der Wissenschaft seit 1859 bekannt sind – in diesem Jahr
hat sie Girard als Limia formosa beschrieben
–, ist vieles über ihre Biologie erst entdeckt
worden, als Carl Hubbs und seine Frau die Art
in den 1930-er und 1940-er Jahren untersuchten (Hubbs & Hubbs 1932, 1946). Hubbs
war nicht nur aufgefallen, dass ausschließlich Weibchen vorkommen, sondern auch,
dass die morphologischen Merkmale von P.
formosa genau intermediär zwischen denen
von P. latipinna (Breitflossenkärpfling) und
P. mexicana (Atlantikkärpfling) liegen. Während Breitflossenkärpflinge beispielsweise
14 bis 16 und Atlantikkärpflinge lediglich
acht bis elf Weichstrahlen in der Rückenflosse aufweisen, besitzt P. formosa in der
Regel zwölf oder 13.
Bezüglich der Gestalt ist P. formosa ein
typischer Molly. Die Körpergrundfarbe ist
Graubeige, und die für P. latipinna charakteristischen Punkte auf den Flanken fehlen
P. formosa. Einzig die Afterflosse kann eine
deutliche orangefarbene Tönung haben.
Poecilia formosa kann über zehn Zentimeter
lang werden, doch sind die meisten Exemplare im Freiland viel kleiner und bleiben
meist deutlich unter sieben Zentimeter Gesamtlänge.
Aufgrund des intermediären Körperbaus
hatte Hubbs angenommen, dass es sich bei
P. formosa um einen Hybriden zwischen P.
latipinna und P. mexicana handelt. Diese
Vermutung hat sich durch molekularbiologische Untersuchungen in den letzten 15 Jahren tatsächlich bestätigt, und durch die
Erforschung der mitochondrialen DNS hat
man gar festgestellt, dass bei der ursprünglichen Kreuzung ein P. mexicana ähnliches
Weibchen und ein P. latipinna ähnliches
Männchen beteiligt gewesen sein müssen
(Avise et al. 1991; Schartl et al. 1995).
Es ist allerdings nicht so, dass die Amazonenkärpflinge heute ständig neu durch
Hybridisierung entstehen. Kreuzt man nämlich P. latipinna mit P. mexicana, kommen
zwar Tiere heraus, die wie P. formosa aussehen. Es entstehen so aber auch Männchen,
und diese Hybriden pflanzen sich sexuell fort.
Heute nimmt man an, dass die Amazonenkärpflinge vor einigen tausend Generationen durch Hybridisierung entstanden sind
und dass eine außergewöhnliche genetische
Konstellation diese Hybriden dazu befähigt
hat, sich asexuell fortzupflanzen. Diese
wenigen Individuen sind im Kampf um das
Überleben so erfolgreich gewesen, dass ihre
Nachkommen, die wir heute als P. formosa
kennen, noch immer existieren und ein
großes Verbreitungsgebiet bewohnen.
Der Amazonenkärpfling kommt heute in
den Gewässern der atlantischen Abdachung
vom Nueces River in Texas (USA) bis zum
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Von Michi Tobler
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POECILIA FORMOSA
Fortpflanzung
Oben: Poecilia formosa, der Amazonenkärpfling, ist auf den ersten Blick nur schwer von Poeciliamexicana-Weibchen zu unterscheiden.
Mitte und unten: Der Atlantikkärpfling, Poecilia mexicana, ist die mütterliche Elternart des
▼
Amazonenkärpflings (Weibchen und Männchen).
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Río Tuxpán in Mexico vor (Schlupp et al.
2002). Dort besiedelt er verschiedene Habitate im küstennahen Tiefland. Während
P. formosa im nördlichen Teil des Verbreitungsgebietes mit P. latipinna syntop vorkommt, teilt die Art im südlichen Teil ihre
Lebensräume mit P. mexicana. Nur in einem
kleinen Bereich sind alle drei Arten gemeinsam anzutreffen.
Wir haben P. formosa in Südtexas sowie
an einigen Stellen in Zentraltexas gefangen,
wo die Art zusammen mit P. latipinna in den
1950-er Jahren ausgesetzt worden ist. Dabei
handelt es sich um die gleichen Habitate, die
in dem Beitrag über P. latipinna schon detailliert vorgestellt worden sind (Tobler 2005).
Die Häufigkeit von P. formosa im Vergleich
zu den syntop lebenden P. latipinna scheint
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sowohl von Ort zu Ort als auch zeitlich
zu variieren. Während P. formosa etwa im
Herbst 2003 und im Frühling 2004 in einem
Klärbecken in der Nähe des San Marcos
River in Zentraltexas weit häufiger war als
P. latipinna, war der Anteil an P. formosa im
Comal River in der gleichen Zeit verschwindend gering. Es ist bis heute nicht bekannt,
welche Faktoren die Häufigkeit von P. formosa beeinflussen. Nicht nur verhaltensbiologische, sondern auch ökologische Parameter könnten dabei eine Rolle spielen.
Wie auch P. latipinna ernährt sich der Amazonenkärpfling in der Natur omnivor. Pflanzliche Stoffe machen aber einen beträchtlichen
Anteil der Nahrung aus, was bei der Fütterung im Aquarium unbedingt zu berücksichtigen ist.
Bei P. formosa handelt es sich um einen der
wenigen parthenogenetischen Vertebraten.
Die Eientwicklung beginnt beim Amazonenkärpfling aber nicht wie bei anderen
Parthenogeneten „spontan“ (beispielsweise
induziert durch spezielle Umweltfaktoren
oder Veränderungen im Hormonhaushalt des
Weibchens), sondern für ihr Auslösen sind
Samen von Männchen nötig. Dieser Spezialfall der Parthenogenese wird Gynogenese
(spermienabhängige Parthenogenese) genannt. Genau wie bei der Parthenogenese
sind die gynogenetisch produzierten Nachkommen allesamt weiblich und genetisch
identisch mit der Mutter. Wie aber kommen
die Weibchen zu dem dringend benötigten
Samen, wenn es gar keine arteigenen Männchen gibt?
Schnell hat man herausgefunden, dass die
Amazonenkärpflinge den erforderlichen Samen von artfremden Männchen beziehen. Wie
bei den anderen Arten der Unterfamilie Poeciliinae werden die Samen mit der umgewandelten Afterflosse der Männchen, dem Gonopodium, direkt auf die Weibchen übertragen.
Die Amazonenkärpflinge können sich also
nicht einfach beim Laichakt zwischen zwei
normale sexuelle Fische anderer Art „schleichen“ und hoffen, dass gleichzeitig auch ihre
Eier aktiviert werden, wie es beispielsweise
gynogenetische Goldfische tun. Im Gegenteil: Amazonenkärpflinge müssen artfremde
Männchen dazu bringen, aktiv mit ihnen zu
kopulieren und freiwillig Samen abzugeben.
Poecilia formosa verführt vor allem die
Männchen der beiden Ursprungsarten, mit
denen die Fische in den natürlichen Habitaten vorkommen. Erst kürzlich hat man aber
herausgefunden, dass im Freiland sogar noch
eine dritte Art, P. latipunctata, parasitiert wird
(Niemeitz et al. 2002). Unter Laborbedingungen ist es auch schon gelungen, die Entwicklung der Eier mit Samen von weiter entfernten Verwandten, etwa Limia nigrofasciata, zu
induzieren, wobei die Effizienz der Auslösung
der Eientwicklung abzunehmen scheint, je
weiter entfernt der Spermiengeber mit dem
Amazonenkärpfling verwandt ist.
Lange Zeit hat man geglaubt, dass die
artfremden Männchen die Amazonenkärpflinge nur aus Versehen befruchten, da sie
nicht fähig seien, P. formosa von den arteigenen Weibchen zu unterscheiden. Wenn
man bedenkt, dass jedes Männchen darauf
erpicht ist, seinen Fortpflanzungserfolg zu
maximieren, wirft dieses Verhalten allerdings
einige Fragen auf. Denn mit einer Kopulation
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mit einem Amazonenkärpfling kann ein
Männchen keine Nachkommen erhalten, weil
seine Samen ja nicht mit der Eizelle verschmelzen und die Nachkommen so sein
Erbgut auch nicht tragen. Das Männchen
hätte mit dem „verschenkten“ Samen besser
ein arteigenes Weibchen begattet, das dann
auch seinen Nachwuchs zur Welt gebracht
hätte. Wenn man den Verlauf der Evolution
betrachtet, würde man erwarten, dass sich
die Männchen hätten durchsetzen müssen,
die die arteigenen von den -fremden Weibchen unterscheiden und die Amazonenkärpflinge meiden.
Daher hat man spekuliert, ob sich nur unerfahrene Männchen, die von den dominanten
daran gehindert werden, eigene Weibchen zu
begatten, mit P. formosa verpaaren. Man ist
Männchen, die zuvor „fremdgegangen“ sind,
vor den noch unerprobten. Mit der Verpaarung mit den fremden Weibchen steigern die
Männchen also ihre Attraktivität, wodurch
schließlich ihr Reproduktionserfolg doch
erhöht wird (Schlupp et al. 1994).
In ganz seltenen Fällen kommt es übrigens
zu einer Verschmelzung des männlichen
Samens mit einer Eizelle von P. formosa.
Während die gynogenetisch produzierten
Jungtiere genau wie ihre Mutter (wie wir
Menschen und die meisten anderen Tiere
auch) einen doppelten Chromosomensatz besitzen, haben die Jungen, die sich aus einem
tatsächlich befruchteten Ei entwickeln, einen
weiteren, dritten Chromosomensatz. Diese
triploiden P. formosa sind morphologisch und
anatomisch nicht von den normalen, diploi-
In den Flüssen von Zentraltexas sind P. formosa und P. latipinna Mitte des vergangenen Jahrhunderts
ausgesetzt worden.
Fotos: M. Tobler
davon ausgegangen, dass die unerfahrenen
Männchen erst lernen müssen, wie die verschiedenen Weibchen zu unterscheiden sind.
Diese Hypothese ist aber schnell verworfen
worden, als man experimentell gezeigt hat,
dass die Männchen die verschiedenen Weibchen sehr wohl unterscheiden können und
dass sich auch dominante Männchen mit
den Amazonenkärpflingen verpaaren.
Die Erklärung für dieses Paradoxon ist einfacher als erwartet. Die Männchen können
ihren Fortpflanzungserfolg nämlich durch
eine Kopulation mit P. formosa steigern, obwohl daraus keine direkten Abkömmlinge
von ihnen entstehen. Mit der Begattung eines
fremden Weibchens stellen die Männchen
offenbar ihre Männlichkeit unter Beweis. Die
eigenen Weibchen bevorzugen jedenfalls die
den Tieren zu unterscheiden. Einzig mittels
molekularbiologischer Techniken lassen sich
Individuen verschiedener Ploidiegrade differenzieren. Die triploiden Amazonenkärpflinge pflanzen sich ebenfalls gynogenetisch
fort. Auch ökologisch sind bisher keine
Unterschiede zu den diploiden Fischen nachgewiesen worden.
Haltung im Aquarium
Die Haltung von Amazonenkärpflingen im
Aquarium ist ziemlich einfach. Sobald man
den Tieren ausreichend große Behältnisse
zur Verfügung stellt, treten kaum Probleme
auf. Im Gegenteil – die Art hat sich meinem
Eindruck nach im Aquarium sogar als robuster erwiesen als P. mexicana und vor
allem P. latipinna; die zuletzt genannte Art
Literatur
Avise, J. C., J. C. Trexler, J. Travis & W.
S. Nelson (1991): Poecilia mexicana is
the recent female parent of the unisexual
fish P. formosa. Evolution 45: 1530–
1533.
Hubbs, C. L., & L. C. Hubbs (1932):
Apparent parthenogenesis in nature in a
form of fish of hybrid origin. Science 76:
628–630.
– & – (1946): Breeding experiments with
the invariably female, strictly matroclinous fish Mollienesia formosa. Genetics 31: 218.
Niemeitz, A., R. Kreutzfeldt, M. Schartl
& I. Schlupp (2002): Male mating behaviour of a molly, Poecilia latipunctata:
a third host for the sperm-dependent
Amazon molly, Poecilia formosa. Acta
Ethologia 5: 45–49.
Schartl, M., B. Wilde, I. Schlupp & J.
Parzefall (1995): Evolutionary origin of a
parthenoform, the Amazon molly Poecilia
formosa, on the basis of a molecular
genealogy. Evolution 49: 827–835.
Schlupp, I., C. A. Marler & M. J. Ryan
(1994): Benefit to male sailfin mollies of
mating with heterospecific females.
Science 263: 373–374.
–, J. Parzefall & M. Schartl (2002): Biogeography of the Amazon molly, Poecilia
formosa. Journal of Biogeography 29: 1–
6.
Scholtz, G., A. Braband, L. Tolley, A.
Reimann, B. Mittmann, C. Lukhaup, F.
Steuerwald & G. Vogt (2003): Parthenogenesis in an outsider crayfish. Nature
421: 806.
kümmert unter nicht optimalen Bedingungen rasch.
Auch die Nachzucht von P. formosa ist
denkbar einfach. Man muss den Weibchen
nur einen Spermienspender zugestehen. Dazu eignen sich sämtliche Mollyverwandten
einschließlich der erhältlichen Zuchtformen
wie Black Molly.
Der Amazonenkärpfling wird kaum von
Liebhabern gehalten, und es ist nicht anzunehmen, dass die Art in den Aquarien eine
weite Verbreitung findet. So sind ihre näheren und ferneren Verwandten wie die beliebten Segelkärpflinge viel attraktiver gefärbt.
Und die Mechanismen, die P. formosa biologisch so interessant machen, spielen sich
ja leider weitgehend im Verborgenen ab. ■
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