27. Februar 2017 Semperoper 6. KAMMERABEND M O N TAG 2 7. 2 .17 2 0 U H R I SEMPEROPER DRESDEN 6. KAMMERABEND Ausführende Christina Bock Mezzosopran Jacobus-Stainer-Quartett Henrik Woll Violine Paige Kearl Violine Christina Biwank Viola Simon Kalbhenn Violoncello PROGRAMM Ludwig van Beethoven (17 7 0 -18 2 7 ) Streichquartett e-Moll op. 59 Nr. 2 für zwei Violinen, Viola und Violoncello 1. Allegro 2. Molto Adagio. Si tratta questo pezzo con molto di sentimento 3. A llegretto – Maggiore (Theme russe) 4. Finale. Presto PAU S E Arnold Schönberg (18 74 -19 51) Streichquartett Nr. 2 fis-Moll op. 10 für zwei Violinen, Viola, Violoncello und eine Sopranstimme 1. Mäßig (moderato) 2. Sehr rasch 3. »Litanei«. Langsam 4. »Entrückung«. Sehr langsam ZUM PROGRAMM D ie sogenannten Russischen Quartette stehen im Quartettschaffen von Ludwig van Beethoven zwischen den frühen sechs op. 18 (1798-1800) und den legendären späten ab 1824 / 25. Die Bezeichnung geht auf ihren Auftraggeber, den Grafen Andrej Rasumowsky zurück. Rasumowsky ist russischer Botschafter in Wien und von 1808 bis 1816 Mäzen des ersten professionellen Streichquartetts um den Primarius Ignaz Schuppanzigh. Auch Beethoven wird von dem russischen Grafen unterstützt, der ihn 1806 zur Komposition der drei Streichquartette op. 59 anregt. Erstmals aufgeführt werden sie mutmaßlich vom Schuppanzigh-Quartett im privaten Rahmen Ende Januar oder Anfang Februar 1807, vor ziemlich genau 210 Jahren. »Auch ziehen drey neue, sehr lange und schwierige Beethovensche Violinquartetten, dem russischen Botschafter Graf Rasumowsky zugeeignet, die Aufmerksamkeit aller Kenner an sich. Sie sind tief gedacht und trefflich gearbeitet, aber nicht allgemeinfasslich«, weiß die Allgemeine Musikalische Zeitung am 27. Februar 1807 zu berichten. Wenig später erscheint Anfang Mai eine weitere Meldung: »In Wien gefallen Beethovens neueste, schwere, aber gediegene Quartetten immer mehr; die Liebhaber hoffen sie bald gestochen zu sehn« – woraus man schließen kann, dass die Quartette bereits auch öffentlich aufgeführt worden sind. Beethovens grundlegende Wandlungen, die er in seinen Sonaten, Symphonien und nicht zuletzt in seiner Oper »Fidelio« (»Leonore«) vollzogen hat, scheinen in op. 59 gleichermaßen eingegangen zu sein – nicht umsonst nennt sie der Musikschriftsteller Paul Bekker »symphonisch-konzertante Quartette«. Auch meint man die Wirren der Zeit herauszuhören, in denen sie entstanden sind. Am 13. November 1805 besetzen französische Truppen Wien und läuten damit das napoleonische Zeitalter in Österreich ein. Die alte Ordnung zerbricht, neue Kräfte treten hervor. Dass man sich nun auf Russland besinnt, auf dessen Seite man gegen Frankreich gekämpft hat, zeigt allerdings, wie die französische Besetzung aufgenommen wird. Die Gesellschaft reagiert mit Stockungen. Zerklüftungen bestimmen das Bild, wie zu Beginn des Quartetts op. 59 Nr. 2, wenn der musikalische Verlauf immer wieder von Generalpausen unterbrochen wird. Zwei Akkordschläge am Anfang machen zudem eine Entschiedenheit deutlich, mit der Beethoven die Szene betritt. Für nicht wenige der damaligen Hörer ist diese Art des unmittelbaren Ausdrucks ungewöhnlich. Die »Rasumowsky-Quartette« werden kurz nach ihrem Erscheinen als »Flickwerk eines Wahnsinnigen« bezeich- net, verkennend, dass die Zeit selbst nichts anderes anzubieten weiß als Flickwerk und Wahn. Eine Zunahme der Komplexität macht sich bemerkbar, der sich viele kaum gewachsen fühlen. Was die Epoche an Überforderungen bereithält, nimmt Beethoven in seinem e-Moll-Quartett op. 59 unverhohlen auf: Der Cellist Bernhard Romberg, mit dem der Komponist bekannt ist, tritt sein Notenblatt mit Füßen, man spricht von »verrückter Musik«. Selbst Ignaz Schuppanzigh hält sie anfangs eher für einen schlechten Scherz. Empfindungen wechseln auf engstem Raum. Übergangslos schwankt die Durchführung des ersten Satzes »zwischen Resignation, Klage und tragischer Unerbittlichkeit«, schreibt der Musikforscher Gerd Indorf. In diese labile Grunddisposition fügt Beethoven ein Adagio an, welches das Brüchige aufzuheben scheint. Paul Bekker spricht von »stillem Gebet«, »weihevollem Gesang« und »hymnischer Begeisterung«. Glaubt man einem Zeitgenossen, fällt Beethoven dieses Adagio ein, »als er einst den gestirnten Himmel betrachtete und an die Harmonie der Sphären dachte«. »Man behandele dieses Stück mit viel Empfindung«, gibt Beethoven als Spielanweisung vor und versteckt Hinweise auf den göttlichen »Urvater« B-A-C-H als Grundlage für jedes harmonische Wirken, selbstbewusst gespielt vom Cello. Der Maggiore-Teil im nächsten Satz, dem Allegretto, erinnert an Rasumowskys Herkunft. Thema ist das russische Volkslied »Preis sei Gott im Himmel«, das der Komponist in einem Fugato anstimmt. Mussorgsky wird es später als Krönungshymne in seiner Oper »Boris Godunow« verarbeiten. Das Finale ist typischerweise zwischen Rondo- und Sonatenform angesiedelt. Seine Unruhe nimmt schöpferisch auf, was die Ungewissheit des geschichtlichen Verlaufs nicht zu lösen weiß. Die Zeit um 1907 bildet einen musikhistorischen Kristallisationspunkt, dessen Verdichtungen vor allem in Wien wegweisend werden. Gustav Mahler erlebt sein annus horribilis und muss seine Stellung als Direktor der Wiener Hofoper aufgeben, was ihn für neue Engagements nach Amerika blicken lässt. 1907 ist es auch, als Arnold Schönberg sich intensiv als Maler betätigt und nach neuen Formen der künstlerischen Äußerung sucht. Der Maler Richard Gerstl, der sein Atelier in Schönbergs Haus bezogen hat, unterrichtet das Ehepaar Schönberg. Doch bleibt es nicht dabei, er fängt eine Affäre mit Schönbergs Frau Mathilde an. Das Verhältnis wird jedoch vom Komponisten entdeckt. Wiederholt sind Schönbergs Werke, die in dieser Zeit entstehen, im Spiegel seiner persönlichen Krise gesehen worden. Die Erfahrung, lautet nicht selten die Einschätzung, habe Schönberg dazu verleitet, sie zumindest teilweise auf ästhetischem Wege zu bewältigen – zumal er die Konsequenz vollzieht und im Bereich der musikhistorischen Tradition den Bruch wagt: Emanzipation der Dissonanz, Auflösung der Tonalität und Übergang zu einer expressionistischen Tonsprache. Alle drei Schlagworte stehen für eine Überwindung der alten Dur-Moll-Harmonie, die bis dato eine führende Ordnung innerhalb der Form eingenommen hatte. Mit der Loslösung von der Konsonanz beginnt nun die Suche nach einer neuen formbildenden Kraft, die zunächst in der Verknappung liegt. Nachdem Schönberg in seinem ersten Streichquartett op. 7 und der Kammersymphonie op. 9 einsätzige Werke geschrieben hat, wendet er sich im zweiten Streichquartett op. 10 wieder der Mehrsätzigkeit zu. Schönbergs Rückbesinnung auf die gewohnte Satzgliederung verdeutlicht, wie er im Moment der Befreiung mit der Form ringt. Innerhalb des ersten Quartettsatzes nimmt die motivisch-thematische Verarbeitung spürbar die Funktion eines Strukturträgers ein. Fünf thematische Gedanken beziehen sich auf das erste Thema der Hauptgruppe, tonale Verhältnisse werden verschleiert, harmonische Bindungen lösen sich auf, Modulationen zerspalten sich und finden nicht mehr zurück in einen tonikalen Zielpunkt. Wenn im Trio des Scherzos (zweiter Satz) die Melodie aus dem Wiener Volkslied »Ach, du lieber Augustin, alles ist hin« zitathaft anklingt, bezieht Schönberg nicht nur Stellung zu seiner familiären Situation, sondern erinnert an die Zertrümmerung des vermeintlich historisch Notwendigen. Die beiden letzten Sätze komponiert Schönberg unter Einbeziehung einer Sopranstimme und löst damit gattungshistorisch die Besetzungsnorm des Streichquartetts auf. Nach Anspielung an das Augustin-Lied bleibt Schönberg konsequent und strebt nach einer neuen Kohärenz. Er bedient sich zweier Gedichte aus Stefan Georges 1907 publiziertem Gedichtband »Der siebente Ring«, dessen Inhalt mit einer Überfülle der Bedeutungen aufgeladen ist. Die Gedichtsammlung besteht aus sieben Teilen, die Anzahl der Buchstaben der Zahl 7 spiegelt sich im Namen Maximin wider. George setzt damit für den erst 16-jährig verstorbenen Maximilian Kronberger ein Denkmal. Kronberger, Georges Schüler, wird von diesem als »Bringer unseres Heils« verehrt und schließlich zum Gott erhoben – Symbolismus in Reinform, verspiegelt und selbstreferentiell. In seinen Erinnerungen hält Maximilian Kronberger ein Gespräch mit George am 9. April 1903 fest: »Er [George], selbst ein grosser Musikfreund, besuche Konzerte nur wenig und wenn er es tue, so bliebe er nur einige Zeit, da er dann soviel Stoff zu verarbeiten habe, dass er nicht mehr annehmen könne.« Ungefähr zu gleicher Zeit entsteht Georges Beethoven-Spruch »Haus in Bonn«: »Eh ihr zum kampf erstarkt auf eurem sterne / Sing ich euch streit und sieg von oberen sternen. / Eh ihr den leib ergreift auf diesem sterne / Erfind ich euch den traum bei ewigen sternen.« – Die »Litanei«, der dritte Satz, besteht aus einem Thema mit Variationen. »Entrückung« ist ein dreiteiliges Adagio: »Der vierte Satz, ›Entrückung‹, beginnt mit einer Einleitung, die die Abreise von der Erde zu einem anderen Planeten beschreibt. Der visionäre Dichter berichtet hier von Erscheinungen, die vielleicht bald bestätigt werden. In dieser Einleitung wurde versucht, die Befreiung von der Gravitation darzustellen – das Passieren durch die Wolken in zunehmend dünnere Luft, das Vergessen aller Sorgen des Erdenlebens«, schreibt Schönberg in den »Bemerkungen zu den vier Streichquartetten«. »Ich löse mich in Tönen«, heißt es zukunftsweisend in Georges »Entrückung«. Schönberg, der das Quartett 1907 / 08 komponiert, entfernt sich radikal von der Konvention, um in unverbrauchtere Sphären vorzudringen – und provoziert damit im Dezember 1908 im Wiener Bösendorfersaal den wohl größten Skandal, den er als Komponist mit der Uraufführung eines seiner Werke erlebt hat. A N D R É P O D S CH U N LIEDTEXTE STEFAN GEORGE (1868-1933) Litanei Entrückung Tief ist die trauer die mich umdüstert Ein tret ich wieder Herr! in dein haus .. Ich fühle luft von anderem planeten. Mir blassen durch das dunkel die gesichter Die freundlich eben noch sich zu mir drehten. Lang war die reise matt sind die glieder Leer sind die schreine voll nur die qual. Durstende zunge darbt nach dem weine. Hart war gestritten starr ist mein arm. Gönne die ruhe schwankenden schritten Hungrigem gaume bröckle dein brot! Schwach ist mein atem rufend dem traume Hohl sind die hände fiebernd der mund .. Leih deine kühle lösche die brände, Tilge das hoffen sende das licht! Gluten im herzen lodern noch offen Innerst im grunde wacht noch ein schrei .. Töte das sehnen schliesse die wunde! Nimm mir die liebe gieb mir dein glück! Und bäum und wege die ich liebte fahlen Dass ich sie kaum mehr kenne und du lichter Geliebter schatten – rufer meiner qualen – Bist nun erloschen ganz in tiefern gluten Um nach dem taumel streitenden getobes Mit einem frommen schauer anzumuten. Ich löse mich in tönen, kreisend, webend Ungründigen danks und unbenamten lobes Dem grossen atem wunschlos mich ergebend. Mich überfährt ein ungestümes wehen Im rausch der weihe wo inbrünstige schreie In staub geworfner beterinnen flehen. Dann seh ich wie sich duftige nebel lüpfen In einer sonnerfüllten klaren freie Die nur umfängt auf fernsten bergesschlüpfen. Der boden schüttert weiss und weich wie molke .. Ich steige über schluchten ungeheuer Ich fühle wie ich über letzter wolke In einem meerkristallnen glanzes schwimme – Ich bin ein funke nur vom heiligen feuer Ich bin ein dröhnen nur der heiligen stimme. aus: »Der siebente Ring«, 1907 Christina Bock Mezzosopran Die in Thüringen geborene Mezzosopranis­ tin Christina Bock begann ihr Gesangsstudium 2005 an der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« in Leipzig. Sie ist Stipendiatin des Richard Wagner Verbandes Leipzig und vervollständigte ihre Ausbildung bei Friedemann Röhlig, Hartmut Höll und Mitsuko Shirai. Seit 2013 wird sie von Charlotte Lehmann in Hannover betreut. Ab der Spielzeit 2011 / 12 war sie dem Badischen Staatsthea­ ter Karlsruhe eng verbunden. In der Spielzeit 2013 / 14 gehörte sie dort fest zum Ensemble. 2011 gewann sie den Dritten Preis sowie den Sonderpreis des Arnold Schönberg Centers Wien beim Internationalen Gesangswettbewerb Hilde Zadek. Seit der Saison 2014 / 15 ist sie Ensemblemitglied der Semperoper. Zuletzt stand sie hier u. a. als Page der Herodias in der neuen »Salome«-Inszenierung und als Nicklausse / Muse in der Neuproduktion »Hoffmanns Erzählungen« auf der Bühne. Im Juni 2017 singt Christina Bock an der Semperoper die Lisa in Mieczysław Weinbergs Oper »Die Passagierin«. Jacobus-Stainer-Quartett Das Jacobus-Stainer-Quartett entstand im Jahr 2011, als sich dem 1998 gegründeten Robert-Sterl-Trio mit Henrik Woll (Violine), Christina Biwank (Viola) und Simon Kalbhenn (Violoncello) die US-amerikanische Geigerin Paige Kearl anschloss. Die vier Musiker – Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle und der Dresdner Philharmonie – konzentrieren sich auf Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts wie Béla Bartók, Sergej Prokofjew oder Alban Berg. Doch bleibt ihnen die zentrale Bedeutung der Wiener Klassik für die Entwicklung des Genres Streichquartett stets im Blick. Die Formation trat u. a. beim Kammermusikfestival St. Peter Ording, im Leipziger Gewandhaus, bei den Internationalen Schostakowitsch Tagen Gohrisch sowie in der Dresdner Semperoper auf. Das Ensemble würdigt den Tiroler Geigenbauer Jacobus Stainer für seine Verdienste um die Instrumentenfamilie der Geige. Trotz schwerer Schicksalsschläge und der Verfolgung durch die Inquisition arbeitete sich Jacobus Stainer vor in den Kreis der großen Geigenbauer. VORSCHAU 8. Symphoniekonzert D O N N E R S TAG 2 . 3.17 2 0 U H R F R EI TAG 3. 3.17 2 0 U H R S A M S TAG 4 . 3.17 11 U H R S E M P ER O P E R D R E S D E N Donald Runnicles Dirigent Geir Draugsvoll Bajan Benjamin Britten »Four Sea Interludes« op. 33a aus »Peter Grimes« Sofia Gubaidulina »Fachwerk« für Bajan, Schlagzeug und Streichorchester Ralph Vaughan Williams Fantasie auf ein Thema von Thomas Tallis Edward Elgar »In the South« (Alassio), Konzertouvertüre op. 50 Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Opernkeller der Semperoper Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle Dresden Gegründet 1854 als TonkünstlerVerein zu Dresden Verantwortlich: Friedwart Christian Dittmann, Ulrike Scobel und Christoph Bechstein IMPRESSUM Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann Spielzeit 2016| 2017 H E R AU S G E B E R Sächsische Staatstheater – Semperoper Dresden © Februar 2017 R E DA K T I O N André Podschun TEXT Der Einführungstext von André Podschun ist ein Originalbeitrag für dieses Heft B I L D N AC H W E I S E Konrad Jakob Schmitz (Christina Bock), privat (Jacobus-Stainer-Quartett) G E S TA LT U N G U N D S AT Z schech.net Strategie. Kommunikation. Design. DRUCK Union Druckerei Dresden GmbH Außerordentlicher Kammerabend Porträtkonzert der Capell-Compositrice Sofia Gubaidulina S A M S TAG 4 . 3.17 17 U H R S C H LO S S K A P E L L E D E S D R E S D N E R R E S I D E N Z S CH LO S S E S Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden Geir Draugsvoll Bajan Andrej Kasik Klavier Michael Schöch Klavier Werke von Sofia Gubaidulina, Dmitri Schostakowitsch, Johann Sebastian Bach, Anton Webern und Viktor Suslin Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. W W W. S TA AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E