12. SYMPHONIEKONZERT S AI SO N 2014 2 015 Christoph Eschenbach Dirigent Viviane Hagner Violine IHRE PREMIERE BESUCHEN SIE DEN ORT, AN DEM AUTOMOBILBAU EINER PERFEKTEN KOMPOSITION FOLGT: DIE GL ÄSERNE MANUFAKTUR VON VOLKSWAGEN IN DRESDEN. 12. SYMPHONIEKONZERT SA ISO N 2 01 4 2015 Christoph Eschenbach Dirigent Viviane Hagner Violine PA R T N E R D E R S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N + 49 351 420 44 11 W W W.G L A E S E R N E M A N U FA K T U R . D E 12. SYMPHONIEKONZERT FR EITAG 10.7.15 20 UHR S A M STAG 11.7.15 20 UHR SO N N TAG 12.7.15 11 U H R PROGRAMM S E M P ER O P ER DRESDEN Christoph Eschenbach Paul Hindemith (1895-1963) Dirigent Symphonic Metamorphosis of Themes by Carl Maria von Weber (Symphonische Metamorphosen über Themen von Carl Maria von Weber) für Orchester 1. Allegro 2. »Turandot«. Scherzo 3. Andantino 4. Marsch Viviane Hagner (für die kurzfristig erkrankte Midori) Violine Robert Schumann (1810-1856) Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. posth. 1. In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo 2. Langsam – attacca: 3. Lebhaft, doch nicht so schnell Tradition und Moderne PAU S E Seine »Metamorphosen« entlocken der Musik Webers buchstäblich neue Töne, seine Symphonie in Es macht sich klassische Techniken zunutze: Paul Hindemith war einer der wichtigsten Komponisten der musikalischen Moderne, zugleich aber schöpfte er immer wieder aus der Tradition. Lebendiger Bestandteil dieser Tradition wurde Schumanns spätes Violinkonzert erst lange Jahre nach seiner Entstehung, umso mehr aber weiß man seither die Partitur zu schätzen, mit der ihr Schöpfer weit über seine Zeit hinauswies. Paul Hindemith Symphonie in Es für großes Orchester 1. Sehr lebhaft 2. Sehr langsam 3. Lebhaft 4. Mäßig schnelle Halbe Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Foyer des 3. Ranges der Semperoper Das Konzert wird aufgezeichnet und am 14. Juli 2015 ab 20.05 Uhr bei MDR Figaro und MDR Klassik übertragen. 2 3 12. SYMPHONIEKONZERT Christoph Eschenbach Dirigent »E r hat seine eminente Musikalität als Pianist sozusagen transportiert auf das Metier des Orchesterdirigierens. Er hat das Singen, das er am Klavier so meisterlich beherrscht hat, auf das Orchester transponiert. Er ist einfach ein Musiker, der Musik als eine ganzheitliche Projektion empfunden hat.« Mit diesen Worten verlieh Peter Ruzicka seiner Bewunderung für Chris­toph Eschenbach Ausdruck, als er im Mai dieses Jahres die Laudatio auf den frisch gekürten Ernst-von-Siemens-Preisträger hielt und damit einen Künstler ehrte, der als Pianist und Dirigent gleichermaßen weltweit hochgeschätzt wird. Seit 2010 steht Christoph Eschenbach in Washington als Musikdirektor sowohl dem John F. Kennedy Center for the Performing Arts als auch dem darin beheimateten National Symphony Orchestra vor. Diesem Engagement voraus gingen Chefpositionen beim Tonhalle-Orchester Zürich, beim Houston Symphony Orchestra, dem NDR Sinfonieorchester, dem Orchestre de Paris und dem Philadelphia Orchestra ebenso wie beim Ravinia Festival des Chicago Symphony Orchestra und beim SchleswigHolstein Musik Festival. In der aktuellen Spielzeit verzeichnet Christoph Eschenbachs Terminplan »Idomeneo«-Aufführungen an der Wiener Staatsoper, die Fortsetzung seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Matthias Goerne bei Liederabenden in Paris, Köln und Salzburg sowie Konzerte u. a. mit dem Orchestre National de France, der Tschechischen Philharmonie, dem London Philharmonic Orchestra und den Wiener Philharmonikern. Seit 1992 ist Christoph Eschenbach immer wieder auch am Pult der Sächsischen Staatskapelle zu Gast. 2009 spielte und leitete er in Personalunion Mozarts Klavierkonzert KV 414, 2011 zeichnete er für die Uraufführung des Orchesterwerkes »Tondo« des damaligen CapellCompositeurs Johannes Maria Staud verantwortlich. Darüber hinaus reiste er mit der Staatskapelle zu zahlreichen Gastspielen, von Wien und Paris bis Abu Dhabi; auch bei den letztjährigen Osterfestspielen Salzburg war er mit der Kapelle zu erleben – als Dirigent von Orchesterkonzerten wie auch als Kammermusiker. Unzählige Einspielungen dokumentieren sein pianistisches und dirigentisches Wirken. Vielfach ausgezeichnet, erhielt Christoph Eschenbach im vergangenen Jahr für seine Hindemith-Einspielung mit der Geigerin Midori und dem NDR Sinfonieorchester den Grammy Award. 4 5 12. SYMPHONIEKONZERT Viviane Hagner Violine V iviane Hagner zählt zweifelsohne zu den aktivsten und erfolgreichsten jungen deutschen Geigerinnen. Mit einem temperamentvollen und gleichzeitig hochsensiblen Klang hat sie sich einen unverwechselbaren Ruf als Geigerin erworben. Sie fühlt sich sowohl zeitgenössischen Komponisten wie Sofia Gubaidulina, Karl Amadeus Hartmann und Witold Lutosławski als auch dem zentralen Violinrepertoire der letzten Jahrhunderte verpflichtet. Viviane Hagner war bereits bei zahlreichen großen Orchestern zu Gast, etwa bei den Berliner und Münchner Philharmonikern, der Staatskapelle Berlin, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Philharmonia Orchestra London sowie den Symphonieorchestern von New York, Boston, Chicago und Montreal. Dabei musizierte sie mit Dirigenten wie Claudio Abbado, Vladimir Ashkenazy, Daniel Barenboim, Riccardo Chailly, Charles Dutoit, Christoph Eschenbach, Lorin Maazel und Kent Nagano. Auch bei renommierten Festivals wie den Osterfestspielen Salzburg, den BBC Proms, dem Schleswig-Holstein Musik Festival und dem Ravinia Festival war sie bereits zu erleben. Als Kammermusikerin war sie außerdem im Concertgebouw Amsterdam, in Barcelona, der Kölner Philharmonie, der Wigmore Hall London und in New York zu hören. In der Saison 2007/2008 gab Viviane Hagner als »Artist in Residence« des Konzerthauses Berlin insgesamt zwölf Konzerte als Solistin und Kammermusikerin, und im Sommer 2009 war sie bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern in 14 Konzerten als »Preisträgerin-in-Residence« präsent. Schwerpunkt ihrer kammermusikalischen Aktivitäten ist das Duo mit ihrer Schwester Nicole Hagner am Klavier und das ebenso erfolgreiche Trio mit Daniel Müller-Schott und Jonathan Gilad. Viviane Hagner hat bereits zahlreiche CDs aufgenommen. Im Frühjahr 2010 veröffentlichte das Label Hyperion ihre Aufnahme der Violinkonzerte Nr. 4 und 5 von Henri Vieuxtemps mit dem Royal Flemish Philharmonic Orchestra, und 2012 erschien ihre Einspielung von Chris­ tian Josts Violinkonzert »TiefenRausch« bei Capriccio. 2007 kam ihre erste Solo-CD mit Werken von Bartók, Hartmann und Johann Sebastian Bach heraus (Altara). Die in München geborene Geigerin gab mit 13 Jahren ihr internationales Debüt beim »Joint Concert« in Tel Aviv mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta. Seit 2014 ist sie Professorin für Violine an der Musikhochschule in Mannheim. 6 7 12. SYMPHONIEKONZERT Paul Hindemith * 16. November 1895 in Hanau † 28. Dezember 1963 in Frankfurt am Main Symphonic Metamorphosis of Themes by Carl Maria von Weber (Symphonische Metamorphosen über Themen von Carl Maria von Weber) für Orchester Symphonie in Es für großes Orchester 1. Sehr lebhaft 2. Sehr langsam 3. Lebhaft 4. Mäßig schnelle Halbe 1. Allegro 2. »Turandot«. Scherzo 3. Andantino 4. Marsch ENTSTEHUNG BESETZUNG E N T S T EH U N G BESETZUNG erste Entwürfe 1940 für ein Ballettprojekt mit dem Choreo­ graphen Léonide Massine; Ausarbeitung zu einem Orchesterwerk im Jahr 1943; Abschluss der Partitur am 29. August 1943 2 Flöten, Piccoloflöte, 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug (4 Spieler), Streicher zwischen Sommer und Mitte Dezember 1940 im Auftrag des Dirigenten Sergej Kussewitzky 2 Flöten, Piccoloflöte, 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug (5 Spieler), Streicher U R AU F F Ü H R U N G am 20. Januar 1944 in der New Yorker Carnegie Hall; Artur Rodziński leitete das New York Philharmonic Orchestra 8 9 DAU ER ca. 20 Minuten U R AU F F Ü H R U N G am 21. November 1941 in Minneapolis; Dmitri Mitropoulos leitete das Minneapolis Symphony Orchestra DAU E R ca. 35 Minuten 12. SYMPHONIEKONZERT REVERENZ AN DIE AMERIKANISCHE ORCHESTERKULTUR Paul Hindemiths Symphonie in Es und die »Symphonic Metamorphosis of Themes by Carl Maria von Weber« W Leben im Exil: Paul Hindemith in New Haven (Connecticut), wo er seit 1940 als Professor an der Yale University lehrte 10 11 ie zahlreiche andere Künstler in Deutschland war auch Paul Hindemith seit dem Jahr 1933 mit einem existenzbedrohenden Bruch seiner Karriere konfrontiert. In den 1920er Jahren als Komponist ebenso wie als Bratschist einer der erfolgreichsten Protagonisten der musikalischen Avantgarde, erfuhr er wenige Wochen nach dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten erste öffentliche Anfeindungen und Verunglimpfungen. Aus Angst vor Repressionen setzten viele Veranstalter seine Werke von den Programmen ab, als Konzertsolist erhielt er in Deutschland schon bald keine Engagements mehr, und von seiner Position als Professor für Komposition an der Berliner Musikhochschule wurde er im Dezember 1934 beurlaubt, nachdem Wilhelm Furtwängler öffentlich für ihn eingetreten war. Die Restriktionen kulminierten schließlich in dem 1936 ausgesprochenen generellen Aufführungsverbot seiner Werke. Ohne Perspektiven für eine künstlerisch befriedigende Zukunft in Deutschland emigrierte er 1938 in die Schweiz. Parallel dazu suchte er in den Vereinigten Staaten von Amerika nach Alternativen und lotete auf Konzertreisen in den Jahren 1937, 1938 und 1939 die dortigen Möglichkeiten aus. Seine Eindrücke reichten von anfänglichem Staunen über die Größe und Modernität des Landes über zunehmende Ernüchterung bis hin zu zeitweiliger Desillusionierung: »Das endgültige Ergebnis meiner Erfahrungen hier ist: Wenn es irgend geht, nicht hierhin gehen müssen, nicht einmal in effigie«, schrieb er etwa im März 1939 aus Los Angeles, nachdem er sich in den Filmstudios von Hollywood über die Arbeitsbedingungen der Filmmusikkomponisten informiert hatte. Gleichwohl gelang es ihm immer wieder, zu einer optimistischen Haltung zurückzufinden, die es ihm ermöglichte, seiner durchaus als schmerzhaft empfundenen Situation als »Hinausgeschmissener«, wie er es einmal formulierte, auch positive Seiten abzugewinnen. Nach Kriegsbeginn zögerte er zwar zunächst, die Schweiz zu verlassen – »es ist, 12. SYMPHONIEKONZERT wie Sie sich denken können, kein Vergnügen, zweimal innerhalb zweier Jahre sein ganzes Leben umzukrempeln«, schrieb er im Dezember 1939 –, doch schließlich nutzte er seine für das Frühjahr 1940 geplante Vortragsreise durch die USA zur Übersiedlung dorthin. Seine Erleichterung darüber, dass ihm die Yale University in New Haven eine Professur für Musiktheorie anbot, spricht aus einem Brief an seine Frau Gertrud, die in der Schweiz zurückgeblieben war und ihm erst im September nachfolgte: »Es ist der erste Platz im Lande, wo ich fühle, daß man ein bißchen daheim sein könnte … Ich bin eigentlich völlig darauf vorbereitet, lange hierzubleiben – mit Yale im Hintergrunde ist der Gedanke ganz erfreulich – und die Schweiz als Sommer- oder Herbstaufenthalt im Auge zu behalten. Dieses gottverlassene Europa bietet ja für uns doch sonst keinerlei gute Möglichkeiten mehr, und hier kann man noch ungehindert und mit Erfolg arbeiten.« In der Tradition Anton Bruckners: die Symphonie in Es Die Entstehung der Symphonie in Es fällt in jene ersten Monate voller Tatendrang, als sich Hindemith in den Vereinigten Staaten dauerhaft einzurichten begann. »Ich habe zur Abwechslung eine Symphonie angefangen«, schrieb er seiner Frau im August 1940, während er bei den Sommerkursen des Boston Symphony Orchestra in Tanglewood Unterricht erteilte. Zur Komposition angeregt hatte ihn der Dirigent des Orchesters, Sergej Kussewitzky, mit dem ihn eine langjährige künstlerische Zusammenarbeit verband: 1930 hatte er zum 50-jährigen Bestehen des Orches­ters, das er einmal als »zweifellos das beste der Welt« bezeichnet hat, die Konzertmusik für Streichorchester und Blechbläser op. 50 komponiert, und in den 1930er Jahren war er mehrfach als Bratschensolist dort zu Gast. Die Symphonie in Es ist zwar nicht Hindemiths erstes symphonisches Werk, doch – nach der programmatisch motivierten Symphonie »Mathis der Maler« (1934) und den Symphonischen Tänzen (1937) – seine erste »echte« Symphonie: Sie ist viersätzig angelegt, und ihre Satzmodelle und -charaktere entsprechen weitgehend denen der klassischen Vorbilder. Sie steht damit – über den konkreten Kompositionsauftrag hinaus – im Kontext einer allgemeinen Tendenz in den 1930er und 1940er Jahren, als sich eine bemerkenswert große Zahl von Komponisten – nach mehreren Jahrzehnten deutlicher Zurückhaltung gegenüber der Gattung – wieder auf die Traditionen der klassisch-romantischen Symphonie besann. Charakteristisch für Hindemiths Symphonie in Es ist darüber hinaus die Instrumentierung, die als Reverenz an die Tradition der amerikanischen Orchesterkultur zu sehen ist, in der sich eine 12 13 Paul Hindemith (links) mit dem Dresdner Generalmusikdirektor Fritz Busch und dem Regisseur Issai Dobrowen bei der Vorbereitung zur Uraufführung der Oper »Cardillac« an der Semperoper (1926). Seit den 1920er Jahren standen Hindemiths Werke – mit Unterbrechung von 1933 bis 1945 – regelmäßig auf den Programmen der Sächsischen Staatskapelle. Die Weber-»Metamorphosen« spielte das Orchester erstmals im August 1947 unter Joseph Keilberth, die Symphonie in Es stand im Dezember 1960 unter Otmar Suitner zum ersten Mal auf dem Programm. Vorliebe für opulenten Blechbläserklang herausgebildet hat (und tatsächlich war besonders das Boston Symphony Orchestra für seine brillanten Blechbläser bekannt). Das macht sogleich der Beginn des Kopfsatzes deutlich, ein von Hörnern, Trompeten und Posaunen unisono vorgetragenes prägnantes Signal, das sich als Keimzelle für die weitere motivische Gestaltung des Satzes erweist. In der apotheotischen Steigerung des Schlusses wird Hindemiths große Bewunderung für die Symphonik Anton Bruckners hörbar, und auch die folgenden Mittelsätze, das dreiteilig angelegte Adagio mit seiner blockhaften Instrumentierung und die Anlage des Scherzos, weisen eine Nähe zu Bruckner auf. Im Finalsatz wird mit dem Zitat des Bläsersignals aus dem Kopfsatz zyklische Geschlossenheit hergestellt. Die Uraufführung der Symphonie in Es war bereits für Anfang 1941 vorgesehen, doch erwies sich diese Planung als zu optimis­ tisch, vor allem weil Hindemith die Komposition dann doch erst 12. SYMPHONIEKONZERT »Symphonische Metamorphosen« als Hommage an Carl Maria von Weber Der Dresdner Hofkapellmeister Carl Maria von Weber (1786-1826). Gemälde von Carolina Bardua (1821). Hindemith legte seinen »Metamorphosen« einige unbekannte Werke Webers zugrunde, die er »leicht gefärbt und ein bisschen schärfer gemacht« hatte. Mitte Dezember 1940 vollendet hatte. Da Kussewitzky einen noch in der Saison 1940/41 liegenden Aufführungstermin nicht versprechen konnte, vergab Hindemith die Uraufführung an Dmitri Mitropoulos und das Orchester von Minneapolis. Die Premiere im November 1941 war, wie Hindemith schrieb, »ein großer Erfolg. Mitropoulos war ausgezeichnet und sein Orchester auch, er dirigierte das Stück auswendig mit großem Elan und riss alle mit.« 14 15 Nur wenige Tage nach der Uraufführung der Symphonie in Es traten die Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg ein. Dieses politisch folgenschwere Ereignis hatte auch Einfluss auf die deutschen Emigranten. Sie waren nun – unabhängig davon, dass sie als Flüchtlinge aus dem ihnen feindlich gesinnten Deutschland gekommen waren – automatisch Staatsangehörige eines Kriegsgegners und entsprechenden Restriktio­nen wie etwa eingeschränkter Reisefreiheit ausgesetzt. Die patriotische Stimmung im Lande tat ein Übriges, um die emigrierten Komponisten an den Rand der öffentlichen Aufmerksamkeit zu drängen. Hindemith konzentrierte sich in dieser Zeit auf seine Lehrtätigkeit an der Yale University und komponierte für seine Verhältnisse nur wenige Werke. Als er im März 1943 von Artur Rodziński, dem Dirigenten des New York Philharmonic Orchestra, das Angebot erhielt, ein Auftragswerk zu komponieren, besann er sich auf ein bereits in Angriff genommenes, zunächst aber nicht vollendetes Projekt aus dem Sommer 1939. Damals hatte der Choreo­graph und Tänzer Léonide Massine Hindemith nach ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit beim Ballett »Nobilissima Visione« (1938) die Realisation eines weiteren gemeinsamen Ballettprojekts vorgeschlagen. Für das neue Stück hatte Massine auch schon konkrete musikalische Vorstellungen: Hindemith sollte Klavierstücke zu vier Händen von Carl Maria von Weber als Orchesterfassung einrichten. Dass dieser eine solche, für einen Komponisten wenig herausfordernde Aufgabe nicht übernehmen wollte, liegt auf der Hand: »Ich bin ja kein Orchestrator«, schrieb er im April 1940 seiner Frau. An dem Dissens entzweiten sich Massine und Hindemith, und die beiden Weber-Stücke, die Hindemith, wie er schrieb, in seiner Bearbeitung bereits »leicht gefärbt und ein bisschen schärfer gemacht« hatte, landeten in der Schublade. Mit dem Kompositionsauftrag aus New York erhielt das WeberProjekt im Juni 1943 neuen Auftrieb. Hindemith entwickelte aus dem ursprünglichen Konzept einer mehrteiligen Ballettmusik eine symphonische Komposition, deren vier Sätze in ihren Grundzügen den Charakteren klassischer Symphoniesätze entsprechen. Zunächst arbeitete er das bereits im Particell vorliegende, auf Webers Klavierstück op. 60 Nr. 4 basierende Andantino weiter aus und schloss es am 8. Juni ab. In der fertigen Komposition steht es an dritter Stelle. Ein weiterer Satz, Marsch, dem er die Nr. 2 aus Webers op. 60 zugrunde legte, war fünf Tage später beendet; er bildet den Schlusssatz des Werkes. Nach einer Sommerpause kehrte Hindemith im August 1943 wieder zur Arbeit an der Komposition zurück; nun nahm er sich das aus Webers Klavierstück op. 10 Nr. 2 hervorgegangene Allegro vor, das schon seit 1940 im Particell vorlag, und arbeitete es nochmals um. Dem 12. SYMPHONIEKONZERT zweiten Satz, »Turandot«. Scherzo, der ebenfalls im August 1943 fertiggestellt war, liegt als einzigem Satz keines der Klavierstücke, sondern Webers Schauspielmusik op. 37 zu Friedrich Schillers »Turandot« zugrunde. Das gut zwanzigminütige Werk erhielt den Titel »Symphonic Metamorphosis of Themes by Carl Maria von Weber for Orchestra« und wurde am 20. Januar 1944 vom New York Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Artur Rodziński uraufgeführt. Es traf ganz den Geschmack des (in Kriegszeiten vorerst nur heimischen) Publikums, stand schon in der darauffolgenden Saison bei mehreren US-amerikanischen Orchestern auf dem Programm und begann nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges seinen Siegeszug durch die Konzertsäle in aller Welt. Es hat sich bis heute als Hindemiths erfolgreichstes und meistgespieltes Orchesterwerk fest im Konzertleben etabliert. Hindemith, der seit dem Ende des Krieges bei zahlreichen Orchestern weltweit als Gastdirigent konzertierte, hat das Stück selbst knapp 30 Mal dirigiert und auch auf Schallplatte aufgenommen. Für die Publikation der Partitur war ursprünglich ein Vorwort geplant, in dem Hindemith das Für und Wider von Bearbeitungen diskutieren wollte. Auslöser für diese Überlegungen waren die zahlreichen symphonischen Transkriptionen vor allem von Orgelwerken Johann Sebas­ tian Bachs, mit denen der Dirigent Leopold Stokowski in den Vereinigten Staaten einen ungeheuren Erfolg hatte. Hindemith übte heftige Kritik an dieser Art von Bearbeitungen und fühlte sich veranlasst, seine eigenen Weber-Transkriptionen davon abzugrenzen. In dem als fiktiver Dialog geplanten, letztlich aber doch unpublizierten Vorwort übernahm er die Position dessen, der der Ansicht ist, dass »es nur einen Grund dafür geben kann, bereits bestehende Musik in eine neue Form des Ausdrucks zu bringen: dann nämlich, wenn die geistige Anstrengung und die künstlerischen Ambitionen des Bearbeiters mindestens so groß oder größer sind als die des Schöpfers des Originals. Wenn man sich diese Sichtweise zu eigen macht, steht jede Orchestrierung großer Orgelmusik, die ein Künstler von niedrigerem Rang als der ursprüngliche Komponist anfertigt, auf derselben Qualitätsstufe wie Gounods ›Ave Maria‹, während etwa die Übernahme von thematischem Material aus einer Clementi-Sonate in die Ouvertüre der ›Zauberflöte‹ lobenswert ist. Webers Originalstücke sind, auch wenn sie sehr anständige Musik sind, nicht von höchster Qualität (gemessen an Webers eigenen Maßstäben). Sie wurden teilweise verändert, teilweise komplett neu komponiert, und jeder Hörer, der die vierhändigen Originalstücke kennt, wird zugeben müssen, dass die Bemühungen der Umformung größer als Webers eigene Anstrengungen sind (wobei es jedem unbenommen bleibt, das Original dem Arrangement vorzuziehen).« 16 17 SUSANNE SCHA AL- GOT THARDT Rückblick auf ein bewegtes Leben: Hindemith in seinen letzten Lebensjahren (um 1960) 12. SYMPHONIEKONZERT Robert Schumann * 8. Juni 1810 in Zwickau † 29. Juli 1856 in Endenich bei Bonn »... DAS FEHLENDE BINDEGLIED DER VIOLINLITERATUR« Robert Schumanns Violinkonzert in d-Moll op. posth. Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. posth. 1. In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo 2. Langsam – attacca: 3. Lebhaft, doch nicht so schnell ENTSTEHUNG BESETZUNG zwischen 21. September und 3. Oktober 1853 in Düsseldorf für den Geiger Joseph Joachim Violine solo, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Streicher U R AU F F Ü H R U N G am 26. November 1937 im Deutschen Opernhaus in Berlin-Charlottenburg mit dem Geiger Georg Kulenkampff und den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Karl Böhm (in einer von Paul Hindemith bearbeiteten Fassung der ViolinSolostimme) 18 19 DAU ER ca. 27 Minuten D as Violinkonzert d-Moll vom September/Oktober 1853 ist Robert Schumanns letzte Komposition für Orchester. Kein bedeutendes Werk der Musikliteratur ist mit so vielen Missverständnissen belastet und Geheimnissen umgeben, keines hat eine so merkwürdige und verwickelte Rezep­ tionsgeschichte erlebt. Erst 84 Jahre nach seiner Entstehung erschien es 1937 in einer außerordentlich mangelhaften Ausgabe im Druck, erstmals gespielt wurde es in stilistisch völlig verfehlter Weise und in einer verstümmelten Version. Die Nationalsozialisten propagierten es als »Ersatz« für das verfemte Violinkonzert des Juden Mendelssohn. Seitdem (und auch schon vorher) wurde viel Überflüssiges und manch grober Unfug über das Stück geschrieben; es wurde viel zu selten und oft unter Missachtung von Schumanns Anweisungen gespielt, und dies auch noch aus einer fehlerhaften Ausgabe, die erst 2009 durch eine zuverlässige Urtextedition, die auch der heutigen Aufführung zugrunde liegt, ersetzt wurde. Beim 31. Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf im Mai 1853 lernte das Ehepaar Schumann den erst 22 Jahre alten genialen Geiger Joseph Joachim kennen, der durch seine Interpretation von Beethovens Violinkonzert großes Aufsehen erregte. Am 2. Juni 1853 wandte sich Joachim in einem Brief an Schumann: »Möchte doch Beethoven’s Beispiel Sie anregen, den armen Violinspielern, denen es, ausser der Kammermusik, so sehr an Erhebendem für ihr Instrument fehlt, aus Ihrem tiefen Schacht ein Werk an’s Licht zu ziehen, wunderbarer Hüter reichster Schätze!« Diesen schon lange zuvor von seinem Freund Ferdinand David, dem Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorches­ters und Lehrer Joachims, geäußerten Wunsch griff Schumann, durch einen weiteren Besuch Joachims inspiriert, auf, komponierte Anfang September 1853 zunächst die Phantasie für Violine und Orchester op. 131 und begann am 21. September mit einem »Stück f. Violine«, wie im Haushaltsbuch 12. SYMPHONIEKONZERT vermerkt ist. Am 1. Oktober, einen Tag nach der denkwürdigen ersten Begegnung mit dem jungen Brahms, war das »Concert f. Violine beendigt«, am 3. Oktober »fertig instr.«. Schon am 7. Oktober wollte er es Joachim schicken und bemerkte dazu: »Hier lege ich auch etwas Neues bei, was Ihnen vielleicht ein Abbild von einem gewissen Ernst gibt, hinter dem oft eine fröhliche Stimmung hervorsieht. Oft waren Sie, als ich schrieb, meiner Phantasie gegenwärtig, was wohl zu der Stimmung beitrug. Sagen Sie mir Alles, was Ihnen nicht [sic!] zu schwer, wie ich denn Ihnen wirklich schon zum Genießen unmögliche Gerichte oder wenigstens Bissen vorgesetzt habe. Streichen Sie alles durch, was nach Unausführbarkeit schmeckt.« Die Abschrift war jedoch noch nicht fertig, so dass Schumann das Konzert erst am 13. Oktober abschickte, das Begleitschreiben konnte er dem gerade in Düsseldorf anwesenden Joachim selbst übergeben: »Sie erhalten hier das Concert; möge es Sie anmuthen! Es scheint mir leichter, als die Phantasie, auch das Orches­ter mehr [in] Thätigkeit. Es sollte mich nun sehr freuen, wenn wir es im 1sten Concerte hier hören könnten …«. Aus dieser Uraufführung im Abonnementskonzert am 27. Oktober wurde jedoch nichts, weil die Zeit zu knapp war und man sich von Joachim eine Wiederholung des BeethovenKonzerts wünschte. Dieser spielte aber dann erstmals die Phantasie op. 131, begann das Konzert zu üben und machte möglicherweise schon damals einige Verbesserungsvorschläge für die technische Gestaltung der Solostimme, die von Schumann, wie den Quellen zu entnehmen ist, dankbar übernommen wurden. Fatales Fehlurteil mit Folgen Anlässlich einer Reise des Ehepaars Schumann nach Hannover, wo Joachim als Konzertmeister wirkte, wurde das Violinkonzert zweimal erprobt – am 25. Januar 1854 mit Klavier und am 30. Januar mit Orches­ter. Die zweite Probe scheint nicht ganz befriedigend gewesen zu sein, da der Geiger »etwas ermüdet« war, wie Schumann im Tagebuch vermerkte. Joachim geht in einem Brief an Schumann vom 17. November 1854 – als dieser bereits seit einem halben Jahr in der Nervenheilanstalt in Endenich war – darauf ein: »Könnte ich Ihnen doch Ihr D moll Concert vorspielen; ich habe es jetzt besser inne, als damals in Hannover; wo ich es in der Probe Ihrer so unwürdig spielen mußte, zu meinem großen Verdruß, weil ich den Arm beim dirigiren so sehr ermüdet hatte. Jetzt klingt der 3/4 Takt [im dritten Satz] viel stattlicher …«. Von einer Geringschätzung des Werks kann also bis zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede sein. Erst nach Schumanns Tod 1856 kamen Zweifel auf. Eine Probe mit dem Gewandhausorchester im Herbst 1857 20 21 Bekannter Unbekannter: Robert Schumann im ereignisreichen Entstehungsjahr des Violinkonzertes. Kohlezeichnung von Laurens (1853) 12. SYMPHONIEKONZERT fand statt und ließ Clara Schumann und Joseph Joachim zu dem Entschluss kommen, das Konzert weder aufzuführen noch zu publizieren. Seinem Biografen Andreas Moser gab Joachim in einem Brief vom 5. August 1898 eine differenzierte Begründung, warum er das Werk, dessen Manuskript ihm Clara Schumann inzwischen geschenkt hatte, zurückhielt: »Der Umstand, daß es nicht veröffentlicht worden ist, wird Sie schon zu dem Schluß bringen, daß man es seinen vielen herrlichen Schöpfungen nicht ebenbürtig an die Seite stellen kann. Ein neues Violinconcert von Schumann – mit welchem Jubel würde es von allen Kollegen begrüßt worden sein! Und doch durfte gewissenhafte Freundessorge für den Ruhm des geliebten Tondichters nie einer Publication das Wort reden, so vielumworben es auch von Verlegern war. Es muß eben leider gesagt werden, daß es eine gewisse Ermattung, welcher geistige Energie noch etwas abzuringen sich bemüht, nicht verkennen läßt. Einzelne Stellen (wie könnte das anders sein!) legen wohl von dem tiefen Gemüth des Schaffenden Zeugniß ab; um so betrübender aber ist der Contrast mit dem Werk als Ganzes.« Dieses Fehlurteil und eine falsch verstandene Pietät führten schließlich dazu, dass Joachims Sohn Johannes beim Verkauf des Nachlasses seines Vaters 1907 an die Preußische Staatsbibliothek Berlin dieser die Auflage machte, dass Schumanns Violinkonzert frühestens 100 Jahre nach dem Tode des Komponisten, also 1956, veröffentlicht werden dürfte. Zwei Großnichten Joachims, die Geigerinnen Jelly d’Aranyi und Adila Fachiri, behaupteten in den 1930er Jahren, der Geist Schumanns bzw. ihres Großonkels sei ihnen bei spiritistischen Sitzungen erschienen und habe verlangt, das (angeblich verschollene) Violinkonzert zu finden und zur Aufführung zu bringen. Erst eine Initiative des Musikverlags Schott machte dem absurden Spektakel ein Ende und veranlasste Johannes Joachim, das Werk vorzeitig zur Aufführung und zum Druck freizugeben. Diesen besorgte Georg Schünemann, der damalige Leiter der Musikabteilung der Staatsbibliothek, ohne die Quellen (autographe Partitur, Partiturabschrift, Stimmen, zwei Klavierauszüge) mit genügender Akribie auszuwerten; er leistete sich auch eine Reihe katastrophaler Lesefehler. Paul Hindemith fertigte anonym, da in dieser Zeit bei den nationalsozialistischen Machthabern in Ungnade gefallen, eine entstellende Einrichtung der Violinstimme an, die bei der mit viel propagandistischem Beiwerk (u. a. Rede von Goebbels) veranstalteten Uraufführung mit dem Solisten Georg Kulenkampff und den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Karl Böhm im Deutschen Opernhaus in Berlin-Charlottenburg benutzt wurde. Eine Uraufführung des Werkes in Amerika durch Yehudi Menuhin, der sich stets für das unbearbeitete Original eingesetzt hat, war von den Nazis aus naheliegenden Gründen verhindert worden. 22 23 Joseph Joachim und Clara Schumann bei einem Konzert in der Berliner Singakademie. Gemälde von Adoph von Menzel (Dezember 1854, Ausschnitt). Beide waren Ehrenmitglieder des Dresdner Tonkünstler-Vereins – und beide verkannten die epochale Bedeutung von Robert Schumanns Violinkonzert. Beispiel für die neuartige Konzeption eines Solokonzerts Was Menuhin in einem Brief an den Dirigenten Vladimir Golschmann vom 22. Juli 1937 über das Violinkonzert geschrieben hat, besitzt noch heute uneingeschränkte Gültigkeit: »Dieses Konzert ist das historisch fehlende Bindeglied der Violinliteratur; es ist die Brücke zwischen den Konzerten von Beethoven und Brahms, obwohl es mehr zu Brahms tendiert. Tatsächlich findet man in beiden Werken die gleiche menschliche Wärme, zärtliche Geschmeidigkeit und kühne männliche Rhythmik, die gleiche liebevolle Arabesken-Behandlung der Violine, die gleichen reichhaltigen und noblen Themen und Harmonien.« Das Konzert trägt 12. SYMPHONIEKONZERT Der Dresdner Generalmusikdirektor Karl Böhm (links, 1939). Als Gastdirigent der Berliner Philharmoniker leitete er 1937 die von NS-Propaganda begleitete Uraufführung des Violinkonzertes. Hierfür hatte Paul Hindemith (rechts, Dresden 1926) inkognito den Violinpart neu eingerichtet: eine Gelegenheitsarbeit zum dringend benötigten Gelderwerb, die den Wert des Konzertes ebenfalls verkannte, es mehr nach Brahms und Beethoven klingen lassen sollte – allerdings zu einer Zeit, als Hindemiths eigene Werke mit einem Aufführungsverbot belegt waren. keinerlei Spuren von nachlassender schöpferischer Kraft an sich oder ist von der nahenden Krankheit überschattet, wie bis zum Überdruss immer wieder behauptet wurde und wird, sondern bietet ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die neuartige Konzeption eines Solokonzerts, die Schumann auch in den anderen konzertanten Werken des Jahres 1853 (Phantasie für Violine op. 131, Konzertallegro für Klavier op. 134) erfolgreich erprobt hat. Merkmale sind u. a. das blockhafte Gegenüberstellen von Solostimme und Orchester, aus dem dann einzelne Instrumente in einen intensiven Dialog mit dem Solisten treten, die Adaption barocker Figurations- und Harmonie-Modelle und die liedoder choral­a rtige Ausgestaltung der Satzschlüsse. 24 25 Der erste Satz (»In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo«) setzt, wie sonst kaum bei Schumann, mit einer vollständigen Tuttiversion des majestätischen, auf Bruckner vorausweisenden ersten Themas ein, das sehr bald dem lyrischen zweiten Thema weichen muss. Dieser wundervolle, für den späten Schumann charakteristische melodische Gedanke über einem Dominant-Orgelpunkt der Dur-Parallele erweist sich als das eigentliche Zentralthema nicht nur des ersten Satzes, sondern des ganzen Konzerts. Von Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo, zu denen Schumann im Frühjahr 1853 eine Klavierbegleitung geschrieben hatte, sind die zahlreichen, oft nur von den Streichern begleiteten Figurationen der Solovioline inspiriert. Das schlichte und innige Gesangsthema des zweiten Satzes (»Langsam«) weist eine gewisse, in der Literatur oft überbetonte Verwandtschaft mit dem sogenannten »Geisterthema« auf, das Schumann in der Nacht vom 17. zum 18. Februar 1854 beim Ausbruch seiner Krankheit notierte und über das er noch fünf Variationen für Klavier komponierte. Die oft in tiefster Lage agierende Solovioline ist in das subtile orchestrale Gewebe dieses Satzes eingebettet, dessen warmes Klangbild von Synkopengängen der Celli noch zusätzlich verschleiert wird. Melodische Führung und Begleitfiguren werden zwischen Orches­ter und Violine immer wieder ausgetauscht. Die kurze Überleitung zum Schlusssatz (»Lebhaft, doch nicht so schnell«), die durch ein Accelerando herbeigeführt wird, erinnert etwas an den Übergang zum letzten Satz der d-Moll-Symphonie. Dieser am meisten geschmähte Satz des Konzerts ist ein etwas verschachteltes Sonatenrondo mit überraschenden Reminiszenzen an die beiden ersten Sätze. Den Charakter einer gravitätisch schreitenden Polonaise voller kapriziöser Episoden hat Joseph Joachim im bereits zitierten Brief an Schumann vom 17. November 1854 vortrefflich beschrieben: »Wissen Sie noch, wie Sie lachten und sich freuten, als wir meinten, der letzte Satz klänge, wie wenn Kociusko [Tadeusz Kościuszko, polnischer Natio­ nalheld, 1746-1817] mit Sobiesky [Jan III. Sobieski, König von Polen, 1629-1696] eine Polonaise eröffneten: so stattlich?« In der sehr umfangreichen Coda erscheint ein liedhaft-hymnisches Codathema in den Klarinetten, Hörnern und Bratschen. Das geistvolle Spiel mit Themen und Motiven und ihren Ableitungen und Varianten, das zahlreiche oft verdeckte Bezüge innerhalb des Satzes und des ganzen Konzerts aufweist, setzt sich bis zum strahlenden Dur-Schluss fort. JOACHIM DR AHEIM 12. SYMPHONIEKONZERT 12. Symphoniekonzert 2014 | 2015 Orchesterbesetzung 1. Violinen Kai Vogler / 1. Konzertmeister Michael Eckoldt Federico Kasik Michael Frenzel Volker Dietzsch Susanne Branny Birgit Jahn Wieland Heinze Anja Krauß Anett Baumann Roland Knauth Anselm Telle Franz Schubert Ga-Young Son Janosch Armer** Piotr Prysiaznik* 2. Violinen Heinz-Dieter Richter / Konzertmeister Matthias Meißner Annette Thiem Jens Metzner Ulrike Scobel Olaf-Torsten Spies Alexander Ernst Beate Prasse Elisabeta Schürer Martin Fraustadt Robert Kusnyer Hannah Burchardt** Günter Friedrich* Thomas Grote* 26 27 Bratschen Sebastian Herberg / Solo Anya Dambeck Uwe Jahn Ulrich Milatz Ralf Dietze Zsuzsanna Schmidt-Antal Claudia Briesenick Uta Scholl Elizaveta Zolotova Veronika Lauer** Torsten Frank* Raimund Eckertz* Violoncelli Uladzimir Sinkevich* / Konzertmeister Friedwart Christian Dittmann / Solo Uwe Kroggel Andreas Priebst Bernward Gruner Jakob Andert Anke Heyn Matthias Wilde Stefano Cucuzzella** Haedeun Lee** Kontrabässe Yun Sun* / Solo Martin Knauer Helmut Branny Christoph Bechstein Fred Weiche Thomas Grosche Marco-Vieri Giovenzana Daniel Pytel** Flöten Andreas Kißling / Solo Cordula Bräuer Diego Aceña Moreno** Oboen Sebastian Römisch / Solo Andreas Lorenz Volker Hanemann Klarinetten Sebastian Lehne* / Solo Jan Seifert Christian Gordzielik** Fagotte Thomas Eberhardt / Solo Hannes Schirlitz Andreas Börtitz Hörner Robert Langbein / Solo Harald Heim Manfred Riedl Miklós Takács Klaus Gayer Posaunen Uwe Voigt / Solo Jürgen Umbreit Danilo Koban** Tuba Jens-Peter Erbe / Solo Pauken Manuel Westermann / Solo Schlagzeug Christian Langer Frank Behsing Dirk Reinhold Stefan Seidl Simon Etzold** * als Gast ** als Akademist / in Trompeten Johann Clemens* / Solo Peter Lohse Gerd Graner 12. SYMPHONIEKONZERT 20 15 16 Bach Beethoven Strauss Copland Mahler Bruckner Zimmermann Schostakowitsch Debussy Henze Kurtág Mozart Trojahn Tschaikowsky Ruzicka Verdi Altes bewahren und Neues wagen. Jung und lebendig seit 1548. Die Saison 2015/2016 der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Vorschau 1. Symphoniekonzert S O N N TAG 13.9.15 2 0 U H R M O N TAG 14 .9.15 2 0 U H R S E M P ER O P ER D R E S D E N Christian Thielemann Dirigent Yefim Bronfman Klavier Ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37 Anton Bruckner Symphonie Nr. 6 A-Dur Kostenlose Einführungen jeweils 45 Minuten vor Konzertbeginn im Foyer des 3. Ranges der Semperoper 2. Symphoniekonzert S O N N TAG 2 7.9.15 11 U H R M O N TAG 2 8 .9.15 2 0 U H R D I E N S TAG 2 9.9.15 2 0 U H R S E M P ER O P ER D R E S D E N Myung-Whun Chung Dirigent Gustav Mahler Symphonie Nr. 6 a-Moll »Tragische« PA R T N E R D E R Kostenlose Einführungen jeweils 45 Minuten vor Konzertbeginn im Foyer des 3. Ranges der Semperoper S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N 12. SYMPHONIEKONZERT IMPRESSUM Sächsische Staatskapelle Dresden Künstlerische Leitung/ Orchesterdirektion Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann Spielzeit 2014 | 2015 H E R AU S G E B E R Sächsische Staatstheater – Semperoper Dresden © Juli 2015 R E DA K T I O N Tobias Niederschlag, Matthias Claudi G E S TA LT U N G U N D L AYO U T schech.net Strategie. Kommunikation. Design. DRUCK Union Druckerei Dresden GmbH ANZEIGENVERTRIEB Juliane Stansch Persönliche Referentin von Christian Thielemann Jan Nast Orchesterdirektor Tobias Niederschlag Konzertdramaturg, Künstlerische Planung Dr. Torsten Blaich Programmheftredaktion, Konzerteinführungen Matthias Claudi PR und Marketing Agnes Monreal Assistentin des Orchesterdirektors EVENT MODULE DRESDEN GmbH Telefon: 0351/25 00 670 e-Mail: [email protected] www.kulturwerbung-dresden.de Sarah Niebergall Orchesterdisponentin B I L D N AC H W E I S Agnes Thiel Dieter Rettig Notenbibliothek Eric Brissaud (S. 4); Timm Kölln (S. 6); Hindemith Institut Frankfurt am Main (S. 10, 17); Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden (S. 13, 14, 24 links); Archiv des Robert-Schumann-Hauses Zwickau (S. 21, 23); Ursula Richter (S. 24 rechts) T E X T N AC H W E I S Der Text von Dr. Susanne Schaal-Gotthardt ist ein Originalbeitrag für dieses Programmheft. Der Text von Dr. Joachim Draheim erschien erstmals in den Programmheften der Sächsischen Staatskapelle Dresden der Saison 2008/2009. Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. W W W. S TA AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E 30 Christian Thielemann Chefdirigent Matthias Gries Orchesterinspizient PA R T N E R D E R S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N