Collegium Novum Zürich Konzert 14. Januar 2017 Kino im Kopf Portrait Seit seiner Gründung 1993 widmet sich das Collegium Novum Zürich der Förderung und Aufführung von Musik der Gegenwart. Gleichzeitig wird das aktuelle Musikschaffen in historische Kontexte gestellt und die Geschichtlichkeit der Musik der Moderne erlebbar gemacht. Wichtiger Bestandteil der künstlerischen Arbeit des CNZ ist der direkte Kontakt mit den Komponistinnen und Komponisten sowie der Austausch mit Kooperationspartnern. Das gegenwärtig 28 Mitglieder umfassende Solistenensemble vermag dank seiner mobilen Struktur flexibel auf Besetzungen vom Solo bis zum grossen Ensemble zurückzugreifen. So kann sich die Programmgestaltung ganz nach inhaltlichen Kriterien ausrichten. Die Mitglieder treten mit dem Ensemble auch solistisch in Erscheinung und nehmen neben ihrer Tätigkeit beim CNZ führende Rollen im Schweizer Kulturleben ein. Das Collegium Novum Zürich, das von der Stadt Zürich und vom Kanton Zürich subventioniert wird, unterhält seit Jahren eine eigene Konzertreihe in Zürich, bei der in Zusammenarbeit mit verschiedenen Veranstaltern Ensemble-Projekte in der Tonhalle und an anderen Konzertorten in der Stadt realisiert werden. Viele der Veranstaltungen suchen gezielt die spartenübergreifende Vernetzung der Künste sowie sinnfällige Verbindungen von musikalischem Programm und Konzertort. Im Laufe seiner nunmehr über 23 Jahre währenden Konzerttätigkeit brachte das CNZ zahlreiche Werke zur Uraufführung, darunter Kompositionen von Gary Berger, Ann Cleare, Xavier Dayer, Beat Furrer, Georg Friedrich Haas, Edu Haubensak, Hans Werner Henze, Michael Jarrell, Klaus Huber, Mischa Käser, Hermann Keller, Rudolf Kelterborn, Thomas Kessler, Jorge E. López, Cécile Marti, Isabel Mundry, Emmanuel Nunes, Helmut Oehring, Klaus Ospald, Michael Pelzel, Enno Poppe, Philippe Racine, Andrea Lorenzo Scartazzini, Annette Schmucki, Nadir Vassena und Stefan Wirth. Die Interpretationen des Ensembles sind auf mehr als einem Duzend Tonträgern nachzuhören. Am Pult des CNZ standen Dirigenten wie Pierre Boulez, Mark Foster, Sylvain Cambreling, Friedrich Cerha, Peter Hirsch, David Philip Hefti, Pablo Heras-Casado, Beat Furrer, Heinz Holliger, Mauricio Kagel, Roland Kluttig, Johannes Kalitzke, Susanna Mälkki, Emilio Pomarìco, Michael Wendeberg, Enno Poppe, Peter Rundel und Jürg Wyttenbach. Von 2013 bis 2016 war Jonathan Stockhammer dem Ensemble als Conductor in Residence verbunden. Das Collegium Novum Zürich tritt regelmässig im In- und Ausland auf und gastiert bei renommierten Festivals und Veranstaltern wie Kölner Philharmonie, Muziekgebouw Amsterdam, Philharmonie Luxembourg, Konzerthaus Berlin, Ultraschall Berlin, Berliner Festspiele/MaerzMusik, November Music ’s-Hertogenbosch, Bregenzer Festspiele, Klangspuren Schwaz, Lucerne Festival, WDR Köln, Schwetzinger Festspiele, Thailand International Composition Festival, Warschauer Herbst, Wittener Tage für neue Kammermusik, Wiener Konzerthaus und Tage für Neue Musik Zürich. Collegium Novum Zürich Samstag, 14. Januar 2017 20 Uhr Tonhalle Zürich, Kleiner Saal Arnold Schönberg ( 1874 – 1951 ) Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene (Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe ) op. 34 ( 1929 / 1930, Bearbeitung: Johannes Schöllhorn, 1993 ) ca. 9' Dmitri Kourliandski (*1976) «Lullaby Dances » für Violine und Ensemble ( 2007 / 201 1, nach der Musik zum Stummfilm « Moskau » von Mikhail Kaufman, 1926 ) ca. 17' Alban Berg ( 1885 – 1935 ) Ostinato ( Filmmusik aus Lulu, 1934, Bearbeitung: Berthold Tuercke, 1994 ) ca. 4' Michel van der Aa ( *1970 ) «Mask» für Ensemble und Soundtrack ( 2006 ) ca. 14' Mit freundlicher Unterstützung von: Pause Franz Schreker ( 1878 – 1934 ) Vier kleine Stücke für grosses Orchester ( 1929 / 1930, Bearbeitung: Johannes Schöllhorn, 1993 ) 1. Timoroso ( Zagend ). Lento – Bewegter – Tempo I 2. Violente ( Heftig, ungestüm ). Vivace 3. Incalzando ( Eindringlich ). Adagio 4. Gradevole ( Gefällig ). Allegro ca. 9' Ricardo Eizirik (*1985) «reel: moloch !, 1927 » (nach einer Sequenz aus dem Film «Metropolis » von Fritz Lang, Uraufführung, Auftragswerk des CNZ, ermöglicht durch die Swiss Re und Stadt Zürich Kultur ) 1. reel 2. machine ca. 15' Hanns Eisler ( 1898 – 1962 ) Suite Nr. 3 «Kuhle Wampe» ( 1931 / 1932, Bearbeitung: Steffen Schleiermacher, 1998 ) 1. Präludium. Energisch 2. Intermezzo. Lento 3. Rondo 4. Die Fabriken. Energisch, stampfende Viertel ca. 10' Dmitri Kourliandskis Werk ist Teil des saisonübergreifenden Schwerpunkts Fokus Osten. Mäzene, Gönner und Freunde des Collegium Novum Zürich Besetzung Matthias Kuhn, Dirigent Mateusz Szczepkowski, Violine ( Kourliandski ) Susanne Peters, Flöte Matthias Arter, Oboe Azra Ramic, Klarinette Patrick Stadler, Saxophon Miguel Ángel Pérez Domingo, Fagott Tomás Gallart, Horn Jens Bracher, Trompete Stephen Menotti, Posaune Gilles Grimaître, Klavier Brian Archinal, Schlagzeug Jacqueline Ott, Schlagzeug Anne-Maria Hölscher, Akkordeon Mateusz Szczepkowski, Violine Urs Walker, Violine Patrick Jüdt, Viola Martina Schucan, Violoncello Johannes Nied, Kontrabass Nicolas Buzzi, Klangregie Der eigentlich für dieses Konzert vorgesehene Dirigent Peter Rundel ist während des Probenprozesses erkrankt und sah sich gezwungen, das Konzert abzusagen. Wir danken Matthias Kuhn, dass er bereit war, sehr kurzfristig die Leitung des Konzertes zu übernehmen. Programm Jens Schubbe Kino im Kopf Seit mehreren Jahren hat es sich das CNZ zur Aufgabe gemacht, in seiner Reihe LichtspielMusik das Zusammenspiel von Film und Musik jenseits der kommerzialisierten Produkte der Kulturindustrie erlebbar zu machen. In diesen Kontext gehört auch das Programm «Kino im Kopf ». Alle hier versammelten Werke lassen Bezüge zum Medium Film erkennen. Sie eint aber auch, dass sie ein Eigenleben ausserhalb der wie immer gearteten Beziehung zum Film führen können. Aus Filmmusiken im eigentlichen Sinne sind die Kompositionen von Dmitri Kourliandski und Hanns Eisler hervorgegangen. Das neue Werk von Ricardo Eizirik wurde durch einen Film, bzw. eine bestimmte Sequenz daraus, inspiriert. Franz Schreker und Arnold Schönberg haben in ihren Werken Klischees des Komponierens für den Film aus dem Blickwinkel der damaligen Avantgarde befragt. Alban Bergs Musik ist für einen Film konzipiert, der auf die vorhandene Musik hin gedreht werden sollte. Rein assoziativ ist die Beziehung zum Film in Michel van der Aas «Mask». Ein weiterer Aspekt sei hervorgehoben: Drei Positionen aktuellen Komponierens werden in den Kontext von vier Werken der klassischen Moderne gestellt. Diese vier Werke aber entstanden in unmittelbarer zeitlicher Nähe zwischen 1929 und 1934 und wurden sämtlich von Komponisten verfasst, die der Wiener Tradition entstammten. Drei von ihnen – Schönberg, Berg und Eisler – repräsentieren die Neue Wiener Schule, der auch Schreker durchaus nahestand. Gerade deshalb ist es interessant, welch unterschiedliche Strategien diese Komponisten in Bezug auf das Medium Film entwickelt haben. Bemerkenswert ist auch, dass sich sowohl Dmitri Kourliandski als auch Ricardo Eizirik auf Werke aus der Stummfilmzeit bezogen – vielleicht auch ein Indiz dafür, das gerade die technischen Beschränkungen in der Frühzeit des Films, insbesondere die Tatsache, das er stumm war, der Musik Möglichkeiten einer engen Liaison bot, ohne dass sie ihre Autonomie verlöre. Hier seien die Werke nicht in der Reihenfolge ihres Erklingens besprochen, sondern wir möchten die historischen und aktuellen Positionen gegenüberstellen. Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe: Arnold Schönberg Die vier filmbezogenen Werke von Schönberg, Berg, Schreker und Eisler entstanden in einer Zeit, in der die Ära der Goldenen Zwanziger in den Wirren der Weltwirtschaftskrise und der aufkommenden Nazi-Barbarei versank. In diesem Kontext mutet es geradezu prophetisch an, dass Schönberg seine 1929 / 1930 komponierte «Begleitungsmusik für eine Lichtspielszene» als eine sinfonische Phantasie über «Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe» konzipierte. Damit beschwor Schönberg in einer Zeit, in der die kühle, emotionsfeindliche, entsubjektivierte « Neue 2 3 Sachlichkeit » en vogue war, die Welt jenes Expressionismus, den er selbst mit Werken seiner frei atonalen Phase wie den Klavierstücken op. 11 und op. 19, den Orchesterstücken op. 16 und dem Monodram «Erwartung » entscheidend geprägt hatte. In der «Begleitungsmusik» aber erhielt diese entfesselte Expressivität ein konstruktives Gegengewicht, das die Ausformung in einer grossen sinfonischen Form ohne den Kitt der Tonalität überhaupt erst möglich machte: Schönberg entwarf eine komplexe, mit Hilfe der Zwölftontechnik entwickelte Partitur, die das Wort «Begleitungsmusik» ad absurdum führt. Zwar bediente er sich durchaus der Vokabeln der Kinomusik jener Jahre, aber: «Drohende Gefahr, Angst und Katastrophe – diese Befindlichkeiten, die wir im Kino unzählige Male erleben, werden von Schönberg als tönende Bilder entworfen, und zwar mit einer Musik, in der wie kaum einer anderen sich die Dissonanz emanzipiert hat. Tönende Bilder also, traumatische Befindlichkeiten ... ein Hörfilm, der in des Zuhöreres Phantasie abläuft und dort eine emotionale Gegenständlichkeit gewinnt, wie sie kein Kinobild herzustellen in der Lage wäre. [...] Diese Musik begleitet keinen Film, sie ist der Film.» ( Hans-Christian Schmidt ) Die drei benannten Schlagworte lassen sich nicht ohne weiteres bestimmten Formteilen des Werkes zuordnen. Die «Begleitungsmusik» entfaltet sich vielmehr in einer geradezu filmischen Schnittfolge von relativ kurzen, manchmal stark kontrastierenden Segmenten, die sich zu einer vielfach gestuften, von retardierenden Momenten durchsetzten Steigerung fügen. Die Klimax – identisch mit der Katastrophe – mündet in eine desolate Coda. Die überaus plastischen, zwölftönigen melodischen Gestalten lassen in diesem frühen Werk der Dodekaphonie ganz unmittelbar hörend nachvollziehen, wie diese Kompositionsmethode die zentrifugalen Kräfte eines Musikwerkes jenseits der Tonalität im Zaume hält. ponist freilich geriet Schreker in den zwanziger Jahren in eine Krise. Nach dem « Zusammenbruch all dessen, woran man einmal geglaubt hatte» ( Arnold Schönberg ), schien die Zeit für seine rauschhafte Musik, die märchenhaften und den Abgründen der Seele nachspürenden Libretti nur allzu schnell vorbei zu sein. Manche seiner Werke aus den zwanziger und frühen dreissiger Jahren lassen aber erkennen, wie Schreker unter den radikal gewandelten Bedingungen nach neuen Wegen suchte und dabei – wie etwa in den Whitman-Gesängen «Das ewige Leben » für Sopran und Orchester – zu einzigartigen Lösungen kam. Auch die «Vier kleinen Stücke» können in solchem Zusammenhang gesehen werden. Hatte Heinrich Strobel in seiner begeisterten Kritik zu Schönbergs «Begleitungsmusik» einschränkend konstatiert «Freilich: für praktische Verwertung kommt diese Filmmusik » nicht infrage, so hätte er Schreker diesen Vorwurf nicht machen können, denn dessen Bestreben war es offenbar, sich auf die Anforderungen des Genres Filmmusik einzulassen. Seine «Vier kleinen Stücke» sind Charakterstücke par excellence. Mit einem Minimum an Aufwand, mit klaren und präzisen Formulierungen werden die in den jeweiligen Titeln der Sätze avisierten Affektbereiche musikalisch umrissen. Das Faszinierende an den Stücken ist, dass es Schreker trotz der auferlegten Selbstbeschränkung gelingt, seinen ganz eigenen Tonfall zu bewahren und dass die durchgängig gewahrte Tonalität nirgends « veraltet » oder «abgestanden» erscheint. Als meisterhafter und erfahrener Opernkomponist vermag er es, gleichsam mit wenigen Pinselstrichen emotionale Sphären musikalisch zu erschliessen und gleitet – obwohl ganz bewusst Klischees nutzend – nie ins Banale oder gar Kitschige ab. Charakterstücke: Franz Schreker Auch Franz Schreker hatte einen solchen Auftrag erhalten. Schreker, nur wenig jünger als Schönberg, hatte sich wie dieser im Wien der Jahre um die Jahrhundertwende etabliert. Nach dem sensationellen Erfolg seiner Oper «Der ferne Klang » ( 1912 ) avancierte er in den folgenden Jahren zum erfolgreichsten Opernkomponisten seiner Zeit und ging nach dem 1. Weltkrieg nach Berlin, wo er – ebenso wie Schönberg ein angesehener Lehrer – die Leitung der Berliner Musikhochschule übernahm. Als Kom- Film in der Oper: Alban Berg Von 1928 bis 1934 arbeitete Alban Berg an seiner Oper «Lulu», bevor er die Arbeit an der Oper zugunsten der Komposition des Violinkonzertes unterbrach, ohne sie freilich wieder aufnehmen zu können. Berg starb im Dezember 1935 und hinterliess den dritten Akt der Oper in der Instrumentation unvollendet. Das Libretto beruht auf zwei eng zusammenhängenden Tragödien Frank Wedekinds, die beide verschiedene Phasen im Leben der Femme fatale Lulu zum Gegenstand haben: «Erdgeist » und «Die Büchse der Pandora». Für jenen Moment des zweiten Aktes, in welchem die beiden Tragödien verbunden werden, sah Berg den Einsatz eines kurzen, stummen Films vor. Nur an diesem Punkt der Oper gibt es einen grösseren zeitlichen Sprung im Handlungskontinuum, der den Einsatz eines Films provozierte: Dem Film ist es möglich, vermittels einer einzigen Blende, eines einzigen Schnittes grosse Zeiträume zu überbrücken und so können die Ereignisse eines Jahres in einen Zeitraum von wenigen Minuten gestaucht werden. Berg hat die einzelnen Szenen der Filmhandlung minutiös in der Partitur notiert. Wir erleben 4 5 Dieses Werk Schönbergs verdankt sich einem Auf trag des Verlags Heinrichsofen, der sich auf Musik für das Kino spezialisiert hatte und wahrscheinlich im Zusammenhang mit einem Firmenjubiläum Filmmusiken bei prominenten Komponisten in Auftrag gegeben hatte, die ohne Bezug zu einem spezifischen Film geschrieben werden sollten, der bestenfalls im Nachhinein hätte gedreht werden können. die Verhaftung Lulus nach dem Mord an ihrem Liebhaber Dr. Schön, die Untersuchungshaft, den Prozess, das Schliessen der Kerkertür und gleichsam spiegelbildlich den Prozess der Befreiung Lulus. Der Stauchung der Zeit vermittels der Erzähltechnik des Films entspricht Berg musikalisch kongenial: «In rascher Folge ziehen die prägenden Themen und Motive durchs musikalische Geschehen: das ‹Erdgeist ›-Thema, das Thema des Dr. Schön, Lulus Tanzthema, das ‹Bildharmonie›-Thema ( weil sich Lulus ‹Bild › verwandelt, sie altert im Gefängnis ), das Thema der Gräfin Geschwitz. Den Eindruck von Zeitraffung verstärkt Berg dadurch, dass er das thematische Material extrem verdichtet, d. h. in Engführungen auf- und übereinanderschichtet. Und trotzdem ist die Verwandlungsszene, so filmisch sie auch gedacht und entwickelt ist, nach autonom musikalischen Gesichtspunkten gestaltet: Berg kehrt ab der Hälfte der Zeitstrecke das Geschehen spiegelbildlich um, der Weg von der Verhaftung bis zur Befreiung verläuft krebsgängig und ist exakt symmetrisch angeordnet.» ( Hans-Christian Schmidt ) Vorwärts und nicht vergessen: Hanns Eisler Arnold Schönberg, der eigentlich unter der Ablehnung seiner Musik durch weite Teile des Publikums litt, formulierte einmal mit dem trotzigen Stolz des Zurückgewiesenen, dass das Publikum ihn nur insoweit interessiere, als Musik in einem leeren Saal nicht gut klinge. Einer seiner Schüler aber, Hanns Eisler, machte den Versuch, dieses grundsätzliche Problem der Musik der Moderne – das Verhältnis zum Publikum – anzupacken. Hanns Eisler, gebürtiger Leipziger, war in Wien aufgewachsen und hatte als junger Mann den Krieg als Soldat erlebt. Schon früh war er überzeugter Sozialist. Nach dem Krieg wurde er für einige Jahre Schüler bei Schönberg. 1925 ging er – ungefähr zeitgleich mit Schönberg – nach Berlin. Hier kam es zum Bruch zwischen beiden, da Eisler sich von Schönbergs elitärer Kunstkonzeption distanzierte. Er fragte nach der gesellschaftlichen Funktion der Musik, nach den Adressaten der Kunst, nach der Nützlichkeit dessen, was der Künstler produziere – und diese Fragen waren für ihn immer auch politischer Natur. In der Konsequenz vertagte er die Zwölftontechnik ( was nicht heisst, dass er sie vergass ) und entwickelte das Konzept einer angewandten Musik, die auf den Strassen, im Kino, im Theatersaal, auf Versammlungen und Kundgebungen zu funktionieren vermochte und Teil des politischen Kampfes sein sollte. Der Film als ein junges, massenwirksames Medium war dabei für ihn von besonderem Interesse und schon aus den späten 1920er Jahren sind eine Reihe von Arbeiten Eislers für den Film überliefert. Exemplarisch für die Intentionen der links orientierten Künstler war «Kuhle Wampe» aus dem Jahr 1931 / 1932, ein Spielfilm, der in enger Zusammenarbeit von Slatan Dudow (Regie), Bertolt Brecht und Ernst Ottwald (Drehbuch) 6 sowie Hanns Eisler ( Musik ) entstand. Der Film beschreibt die Situation des Berliner Proletariats in Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Er folgt einerseits Einzelschicksalen und flicht andererseits Dokumentarisches ein. In der avancierten Bildsprache wirkt noch die Stummfilmära nach, die Dialoge sind knapp und präzise formuliert, Prinzipien des Epischen Theaters Brechts werden auf den Film angewandt. Die Musik von Eisler lässt erkennen, was Musik im Film vermag: Sie kommentiert, kontrapunktiert und akzentuiert das filmische Geschehen, verkommt nirgends zum bloß Stimmungen evozierenden Klangband. Das Klangbild ist klar konturiert und hart. Obwohl die Musik ganz eng und dialektisch mit dem Bild korrespondiert, folgt sie doch ihren eigenen Gesetzen. Ganz bewusst bezieht sich Eisler auf teilweise strenge, kontrapunktische Formen, deren Räderwerk das Unsentimentale, Antiromantische unterstreicht. Gleichzeitig erscheint das Idiom der Eislerschen Kampfmusik voll ausgeprägt: Die prägnante Melodik, der marschartige Duktus, das Vorherrschen der Moll-Tonalität verleihen der Musik pointierte Schärfe und einen Ernst, der nirgends ins hohle Pathos umschlägt. Für diesen Film komponierte Eisler das geniale « Solidaritätslied», das zum Inbegriff für seine Kampfmusik werden sollte. Im Film wird es von einer unübersehbaren Menge von Arbeitersportlern gesungen, aber auch in instrumentaler Weise eingesetzt. 1932 wurde der Film, nachdem er zunächst verboten war, erstmals in Deutschland gezeigt und avancierte innerhalb der wenigen Monate bis zur Machtergreifung der Nazis zu einem grossen Erfolg. Bezeichnend ist, dass er in der Sowjetunion ( wo er zuvor seine eigentliche Premiere erlebt hatte) mit grosser Skepsis aufgenommen wurde: Die mit Verfremdungseffekten arbeitende, auf einen kritischen, distanziert beobachtenden Zuschauer zielende Ästhetik stand unter Formalismus-Verdacht. Die Autonomie der musikalischen Formen erleichterte es, die Musik auch jenseits des filmischen Kontextes zu etablieren. So konnte Eisler grosse Teile der Filmmusik zu einer Suite zusammenstellen – ein Verfahren, das er bei vielen ursprünglich für andere Zwecke konzipierten Musiken anwandte. Offenbar hatte Eisler das im Fall der Musik zu «Kuhle Wampe » von Anfang an intendiert, denn schon vor der Premiere des Films wurde die Suite in einer Anzeige der Universal Edition angepriesen, freilich in einer dreisätzigen Version ohne das «Fabriken» -Finale mit dem « Solidaritätslied». Die heute bekannte viersätzige Fassung geht auf den ostdeutschen Musikwissenschaftler Nathan Notowicz zurück, der sich durch eine Mappe aus Eislers Nachlass, in der die vier Sätze beieinander lagen, dazu autorisiert fühlte, den vierten Satz für eine Neuveröffentlichung der Suite beim Deutschen Verlag für Musik anzuhängen, die in dieser Gestalt erstmals 1963 in Berlin erklang. 7 Bewegung und Traum: Dmitri Kourliandski Mikhail Kaufmans stummer Dokumentarfilm «Moskau» entstand 1927 zum zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution und fängt – vergleichbar mit Walther Ruttmanns « Berlin – die Sinfonie der Grossstadt » – das Leben im Moskau der zwanziger Jahre ein. Aus heutiger Sicht erscheint der Film gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. In seiner Machart ist er durchdrungen vom Geist des Konstruktivismus, vom Glauben an einen von Wissenschaft und Technik getragenen Fortschritt, vom Aufbruchsgeist und Optimismus, den es in den frühen Jahren der Sowjetunion gab. Schnelle Schnittfolgen dominieren, ungewöhnliche Kameraperspektiven gibt es zu bestaunen. Da schwingt auch etwas mit vom Zeitgeist der NEP-Jahre. NEP war das Kürzel für die von Lenin 1921 proklamierte Neue Ökonomische Politik, die den Kriegskommunismus ablöste und planwirtschaftliche und marktwirtschaftliche Prinzipien zu verschmelzen trachtete – durchaus mit Erfolg, was man am zunehmenden Wohlstand zumindest mancher Bevölkerungsgruppen erkennen konnte. Ebenso bemerkenswert erscheint, dass der Film durchaus ironische Momente kennt. Zu diesem Film entstand 2007 eine neue Musik als Gemeinschaftskomposition mehrerer Autoren. Einer davon war Dmitri Kourliandski. Dass ihm die Aufgabe zufiel, insbesondere zu Szenen Musik zu schreiben, in denen es um Fabriken, um mechanische Abläufe und um fahrende Trams ging, verwundert nicht: Die ungewollten Nebengeräusche einer kinetischen Plastik waren es, die Dmitri Kourliandski 2004 den initialen Impuls zu seinem Konzept einer « objektiven Musik » vermittelten, bei der Klang als Resultat von Bewegungen gesehen wird. Der Musiker wird zum kinetischen Objekt, durch seine Bewegungen, die der Komponist wie in einer Choreographie vorschreibt, entsteht der Klang. Dabei sind die Instrumentalklänge fast durchweg verfremdet: Kaum ein Ton wird auf herkömmliche Weise hervorgebracht. So vergehen in den «Lullaby Dances » mehr als zweihundert Takte, bis Tonhöhen überhaupt auf übliche Weise notiert sind. Zuvor gleicht die Partitur eher einem phantastischen Diagramm mit präzise fixierten zeitlichen Verläufen und differenzierten Anweisungen zur Tonerzeugung. Im Ergebnis werden pulsierende Bänder aus wispernden, hauchenden, klirrenden, fauchenden, quitschenden Klängen miteinander verwoben, etablieren sich Wellenbewegungen, Prozesse der Verdichtung und Auflösung: Musik als ein rätselhaftes, phantastisches, tönendes Mobile. «Der Titel des Werkes» – so der Komponist – «benennt nicht dessen Inhalt. Da gibt es nichts Tanzbares und es ist auch kein Wiegenlied. Dennoch: Der Titel umschreibt zwei kon trastierende Zustände: Bewegung und Traum. Sie existieren unabhängig voneinander in diesem Stück. Die Solo-Violine und das Ensemble spielen zwei unabhängige Stücke. Einzig die strikte rhythmische Periodizität verbindet sie. Zwei Wirklichkeiten begegnen sich auf der Bühne einzig durch den 8 Willen des Komponisten – der Schnittpunkt zweier sich kreuzender Linien.» Aus der 2007 entstandenen Filmmusik formte der Komponist 2011 das nun vorliegende Werk für Solo-Violine und Ensemble. reel: moloch!: Ricardo Eizirik Ricardo Eizirik beschrieb in einem Gespräch mit dem Autoren dieser Zeilen, dass Fritz Langs Stummfilm «Metropolis » ihn seit seiner Jugend stark beeindruckt habe und sein Interesse an maschinellen, mechanisierten Bewegungsabläufen mit ausgelöst habe. Insbesondere sei es jene Szene aus «Metropolis» gewesen, die eine gigantische Maschine als menschenverschlingenden Moloch zeigt, die ihn fasziniert habe. In der Tat ist es Lang in diesem Film gelungen, mit ganz drastischen Bildern eine negative Utopie zu entwerfen, welche die grauenvolle Perspektive zeigt, in welche der entfesselte Kapitalismus die menschliche Gesellschaft zu steuern vermag. Die zwei Sätze von «reel: moloch! 1927 » repräsentieren zwei unterschiedliche Perspektiven der Wahrnehmung der Filmsequenz. Der erste Satz ist gleichsam aus der Perspektive des Zuschauenden, Zuhörenden vernommen: eine Etüde über Kinoklänge und Soundtracks. Aus ratternden, schleifenden, rotierenden, stampfenden Bewegungen wird in vielfachen Anläufen eine Steigerung erzeugt. Im zweiten Satz hingegen wird versucht, in einer Art drastischen Klang-Choreographie eine Etüde über den Inhalt dieser Sequenz zu entwerfen. Soundtrack: Michel van der Aa Nein, «Mask » von Michel van der Aa ist keine Komposition für einen Film. Dennoch meinen wir, dass es durchaus Sinn macht, dieses Werk in ein Programm zu integrieren, das ein «Kino im Kopf » zu entfachen verspricht. Dafür gibt es zum einen Gründe, die eher im strukturellen Bereich zu suchen sind. Das Werk ist vornehmlich aus klanglichen Schichten geformt, die überblendet, überlagert oder im harten Schnitt montiert werden: Das aber sind Techniken, die denen des Films verwandt sind. Noch wichtiger aber ist die Konstellation, aus der das Werk hervorgetrieben wird. Die Verlautbarungen des Ensembles werden mit elektronischen Klängen konfrontiert: Beide durchdringen, beeinflussen oder manipulieren einander. Ein Schlagzeuger zieht wie zwanghaft Gaffar Tape von einem Tisch. Ein altmodisches Metronom hat seinen Auftritt. Manche der Klänge könnten aus dem Fundus älterer Kinomusik entlehnt sein. Bittersüsse Harmonien wehen wie aus einem Traum herüber. Klangliche Konstellationen entstehen, die über sich hinaus weisen, die Assoziationen wecken, als gebe es einen Subtext jenseits der Musik, der wohl erahnt, aber nicht enträtselt werden kann. 9 Biographien Michel van der Aa Michel van der Aa gilt als einer der herausragendsten niederländischen Komponisten seiner Generation. Aufsehen erregte vor allem mit seinen phantasievollen Werken für das Musiktheater. Kennzeichnend für van der Aa ist die bildhafte, expressive Kraft seiner Musik und ein besonderes dramatisches Gespür, das sich in einem Vexierspiel von Klängen und Bühnensituationen manifestiert. Jüngste Bühnenwerke zeigen ihn in erfolgreicher Personalunion als Komponist, Film- und Bühnenregisseur. Nach einer Ausbildung zum Tonmeister am Königlichen Konservatorium Den Haag folgten Kompositions-Studien bei Diderik Wagenaar, Gilius van Bergeijk und Louis Andriessen. In Abgrenzung vom Konstruktivismus der Haager Schule prägte er ein eigenes, poetischtransparentes Idiom aus. Regie-Studien absolvierte er an der New Yorker Filmakademie und arbeitete mit den Filmemachern Peter Greenaway und Hal Hartley sowie mit dem Choreographen Philippe Blanchard zusammen. 2007 nahm er am Director’s Lab des Lincoln Center Theater teil, einem Spezialkurs in Bühnenregie. Van der Aas Werke stehen auf den Programmen der führenden internationalen Festivals für neue Musik in Berlin, Donaueschingen, Paris, Warschau, Los Angeles, Luzern, Amsterdam, Utrecht, Brüssel, London, Huddersfield, Venedig, Oslo, Budapest, Moskau, Zagreb und Perth. Sie werden von zahlreichen renommierten Künstlern interpretiert, darunter die Dirigenten Peter Eötvös, Reinbert de Leeuw, Etienne Siebens, Ed Spanjaard, Roland Kluttig und Ensembles wie das Schönberg und das Asko Ensemble, das Niederländische Rundfunk-Kammerorchester, die Radiophilharmonie Hilversum, das SWR-Sinfonieorchester, das Melbourne Symphony Orchestra, das Mozarteum Orchester Salzburg, das Freiburger Barockorchester, Avanti!, musikFabrik und die Nederlandse Opera. Van der Aa ist Träger u. a. des Gaudeamus-Preises 1999, des Vermeulenprijs 2004, des Siemens-Förderpreises sowie des Charlotte Köhler-Preises 2005, des Paul Hindemith Preises 2006, des Mauricio Kagel Kulturpreises ( 2013 ), des Grawemeyer Award ( 2013 ) und des Johannes Vermeer Prijs ( 2015 ). Einspielungen seiner Werke sind bei den Labels Col Legno, Harmonia Mundi, Composer’s Voice, BVHaast, X-OR und VPRO Eigenwijs erfolgt. Institute for Computer Music and Sound Technology ICST und der ZHdK veranstaltete Konzertreihe Generator. 2014 gründetete er mit Michelle Ziegler die Kompakt am Montag-Konzerte für aktuelle Musik in Zürich. 2015 erhielt er von der Stadt Zürich einen halbjährlichen Atelieraufenthalt in Berlin zugesprochen. Seit dieser Saison ist er Künstlerischer Leiter des Ensembles Lemniscate in Basel. Sowohl in seiner musikalischen Produktion als auch in seiner kollaborativen und transdisziplinären Arbeit beschäftigt er sich in hohem Masse mit dem Alltag sowie mit soziokulturellen Fragen und mit den Räumen, in denen Kunst und Musik dargestellt, wiedergegeben und wahrgenommen werden. Dmitri Kourliandski Dmitri Kourliandski, 1976 in Moskau geboren, Komponist von Solo-, Ensemble- und Orchesterwerken, studierte am Moskauer Konservatorium. Als Mitbegründer der Komponistengruppe «Structural Resistance» ( StRes ) setzt sich der Künstler gemeinsam mit Kollegen kritisch mit den Arbeitsbedingungen von Komponisten in Russland auseinander und kämpft gegen den Konservatismus an den russischen Hochschulen und im russischen Musikleben. Ausserdem ist er Gründer und Chefredakteur der «Tribuna Sowremennoi Muzyki», der ersten russischen Zeitschrift für Neue Musik. Seit 2004 bezeichnet Kourliandski seine Musik als « objektive Musik», als «eine Musik ohne Aktion oder Entwicklung, die sich wie ein Mechanismus auf die Suche nach neuen Klängen begibt.» Ricardo Eizirik Geboren 1985 in Ribeirão Preto (Brasilien), verbrachte Eizirik seine Kindheit in Schweden. An der Bundesuniversität von Rio Grande do Sul (Brasilien) erlangte er seinen Bachelor in Musik / Komposition. Weitere Studien führten ihn an die Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, wo er im Sommer 2012 seinen Master in Komposition bei Isabel Mundry abschloss, gefolgt von einem Master in Transdiziplinarität im Jahr 2013. Derzeit absolviert er ein Doktoratsstudium an der Kunstuniversität Graz (Österreich) in Kollaboration mit der ZHdK. Seit 2013 leitet er die vom Matthias Kuhn Der Dirigent und Cellist Matthias Kuhn hatte Auftritte am Menuhin Festival Gstaad, an der Biennale Zagreb, am Festival MESS Sarajevo, bei dem Festival Murten Classics und am Miedzynarodowy Festiwal Sopot Classic. Neben seinem langfristigen Engagement in Bern beim ensemble proton bern leitete er auch das Symphonieorchester, das Kammerorchester und die Camerata seiner Heimatstadt. Als Gastdirigent war er beim Kammerorchester und Sinfonieorchester Basel, beim Collegium Novum Zürich, dem Zürcher Kammerorchester und bei der Prague Philharmonia, dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim der Polska Filharmonia Kameralna Sopot, dem Klaip dos Kamerinis Orkestras sowie dem Stuttgarter Kammerorchester tätig. Er ist Gastdozent der Hochschule der Künste Bern HKB, unterrichtet Cello, Dirigieren und Kammermusik. Als leidenschaftlicher Kammermusiker spielt er vor allem mit dem TRIORARO mit welchem er die drei Klaviertrios von Robert Schumann aufgenommen hat. Seine Studien in Bern und Freiburg im Breisgau und Teilnahmen an Meisterkursen unter anderem in Tanglewood und Jerusalem führten ihn mit Peter Gülke, Jorma Panula, Seiji Ozawa, André Previn, Isaac Stern, Leon Fleisher und Natalia Gutman zusammen. 10 11 Farben Und nach dem Konzert: atonhall er Käse, Foyer Wir wollen, dass Sie sich vor, während und nach unseren Konzerten willkommen fühlen und wir möchten Räume für einen lebendigen Diskurs über das Gehörte schaffen. Daher laden wir Sie auch nach diesem Konzert ein, noch im Foyer zu verweilen und atonh al l en Käse zu kosten. Wir freuen uns auf Ihre Gesellschaft! Konzertvorschau Montag, 27. März 2017 20 Uhr, Einführung 19 Uhr Tonhalle, Grosser Saal Claridenstrasse 7 8002 Zürich Mittwoch, 29. März 2017 20 Uhr Studio Ernest Ansermet Passage de la Radio 2 1205 Genève Collegium Novum Zürich Catriona Bühler Sopran Emilio Pomàrico Dirigent Veranstalter Collegium Novum Zürich in Zusammenarbeit mit der Tonhalle-Gesellschaft Zürich und Festival Archipel Genf Tickets Zürich CHF 38 / 15 ( ermässigt ) Tonhalle Zürich T +41 44 206 34 34 tonhalle-orchester.ch Impressum Herausgeber: Collegium Novum Zürich Programmverantwortung: Jens Schubbe Redaktion: Jens Schubbe Visuelles Konzept, Gestaltung: Klauser Design GmbH, Zürich Änderungen vorbehalten 12 Hugues Dufourt (*1943) «L’Asie d’après Tiepolo » für Ensemble ( 2008 / 2009 ) Oscar Bianchi (*1975) « Contingency » für zwei Ensemblegruppen (Uraufführung, Auftragswerk des CNZ, ermöglicht von der Swiss Re, Pro Helvetia und Fondation SUISA ) Maurice Ohana (1913 – 1992) «Tombeau de Claude Debussy » für Sopran und Kammerorchester ( 1961) Zu den wichtigen Leistungen der Musik der Moderne gehört, die Klangfarbe als eine Dimension der Musik gleichsam entfesselt zu haben. Entscheidend war dabei die Hinwendung zur Musik anderer Kulturen, welche insbesondere die französischen Komponisten um Claude Debussy vollzogen, die der abendländischen Kunstmusik einen grossen Reichtum an neuen Farbwerten zuführten. Diese Leistungen strahlen bis in die Musik der Gegenwart aus. Maurice Ohana, mittlerweile selbst Klassiker der Moderne, bekannte sich mit seinem Werk dezidiert zu Debussy. Aus seiner Beschäftigung mit aussereuropäischen Musikkulturen erwuchs sein Interesse an Mikrointervallik, die er in seine Musik schon früh einbezog. Es verwundert in solchem Kontext nicht, dass die geradezu systematische Erforschung des Innenlebens der Klänge, der Spektren des Einzeltons, die seine Farbwerte ausmachen, von einem französischen Komponisten ausging: Gérard Grisey. Der Begriff «Spektralismus », der für eine solche Musik bis heute gebräuchlich ist, wurde von Hugues Dufourt geprägt. Innerhalb des letzten Jahrzehnts hat er vier Ensemblewerke vorgelegt, die von den Fresken inspiriert sind, mit denen Tiepolo das Treppenhaus der Würzburger Residenz gestaltet hat und die das CNZ verteilt auf mehrere Spielzeiten aufführen wird. Oscar Bianchi, Schweizer Staatsbürger italienischer Herkunft, steht mit seiner Musik ganz in der Tradition einer romanisch geprägten Klangwelt: «Die Farben, die Orchestration sind die am unmittelbarsten wirkenden Dimensionen des Klanges. Als Herrscherin des Klanges kontrolliert und bestimmt die Orchestration die Form in ihrem dramaturgischen Aspekt. Es ist eine Alchimie der Räume, das Brahman des Klanges. Ich träume von einer Musik, die zeitgenössisch zu allen Zentren des Körpers spricht und durch welche der Mensch seine Existenz verstehen kann.» Collegium Novum Zürich Nordstrasse 378 8037 Zürich T +41 44 251 60 44 F +41 44 291 60 44 [email protected] cnz.ch