Akute Spannungszustände

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Akute Spannungszustände
Wie reagieren?
Fachbereichsarbeit
Psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflegeschule Rankweil
Knünz Kerstin
Röthis, am 24.02.2011
Quelle: http://members.aon.at/klinische-psychologie.at/Borderline.htm
Zugriff am 21.02.2011 um 17:03
A b stra ct
Die hier vorliegende Fachbereichsarbeit mit dem Titel „Akute Spannungszustände – Wie
reagieren?“ befasst sich mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung und den alternativen,
nicht medikamentösen Methoden zum Spannungsabbau, sowie mit dem Umgang
Dissoziativer Störungen. Zu Beginn gibt die Autorin einen Überblick über die den
persönlichen Bezug zum Thema, die Fragestellung und das Ziel der FBA, die BorderlinePersönlichkeitsstörung an sich und den Definitionen der beiden Klassifizierungssystem
ICD 10 und DSM IV.
Wie man dem Klassifizierungssystem nach DSM IV entnehmen kann, gibt es viele
verschiedene Symptome, von denen mindesten 5 zutreffen müssen, um die Erkrankung zu
diagnostizieren. Im speziellen bezieht sich diese Arbeit auf die Instabilität im affektiven
Bereich, welche durch eine ausgeprägte Orientierung an der aktuellen Stimmung
gekennzeichnet ist. Diese Gefühlszustände dauern in der Regel einige Stunden, wobei sie
in seltenen Fällen auch Tage andauern können.
Da es eine Vielzahl von alternativen Methoden gibt, beschäftig sich diese
Fachbereichsarbeit nur mit einigen ausgewählten Methoden. Die Auswahl wurde im Zuge
Literaturrecherche stark eingegrenzt und beschränkt sich auf das Entspannungsverfahren
Progressive Muskelentspannung, den Notfallkoffer als Teil der Skills und einige
Funktionen der Musik.
In einem weiteren Abschnitt wird der Begriff dissoziative Störung geklärt und der Umgang
mit der dissoziativen Störung abgehandelt. An dieser Stelle wird eine sehr junge Skala, die
DSS-akut, vorgestellt und in einem weiteren Punkt die Fertigkeiten des Skilltraining
dargestellt.
Der Schlussteil fasst die wesentlichen Informationen und Studienergebnisse aus dem
Hauptteil zusammen und betrachtet diese kritisch. Er beinhaltet auch einige Anmerkungen
und Fragestellungen, welche sich der Autorin während der Erstellung dieser Arbeit
aufgedrängt haben.
In h a ltsv erzeich n is
1
Einleitung ..................................................................................................................... 1
1.1
Häufigkeit ............................................................................................................. 2
1.2
Mein Bezug zum Thema ....................................................................................... 3
1.3
Fragestellung und Ziel der FBA............................................................................ 4
1.3.1 Forschungsfragen ..................................................................................... 4
2
Hauptteil ....................................................................................................................... 6
2.1
Definitionen .......................................................................................................... 6
2.1.1 Definition nach ICD 10 ............................................................................. 6
2.1.2 Definition nach DSM IV ............................................................................ 6
2.2
Klassifizierung der Borderline-Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV ................ 7
2.3
Ursachen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung............................................... 8
2.3.1 Die Psycho-physische Vulnerabilität bei BorderlinePersönlichkeitsstörung .............................................................................. 9
2.4
Der Verlauf der Erkrankung ............................................................................... 10
2.5
Typische Symptome bei Menschen mit einer BPS ............................................. 11
2.6
Methodischer Ablauf .......................................................................................... 13
2.7
Begrifflichkeitsdefinition: Spannung und Affekt ............................................... 14
2.7.1 Definitionen von Affekt ............................................................................ 14
2.7.2 Bezug auf das Klassifizierungssystem nach dem DSM IV ...................... 15
2.7.3 Die emotionale Dysregulation ................................................................ 15
2.7.4 Spannungszustände ................................................................................. 16
2.8
Bearbeitung der 1. Forschungsfrage ................................................................... 17
2.8.1 Progressive Muskelentspannung nach Jakobs ........................................ 17
2.8.2 Der Notfallkoffer ..................................................................................... 21
2.8.3 Musiktherapie bei Borderline-Persönlichkeitsstörung ........................... 27
2.9
Was versteht man unter Dissoziation/dissoziativer Symptomatik? .................... 30
2.9.1 Definition „Dissociation“ lt. DSM-IV: ................................................... 30
2.9.2 Dissoziative Reaktionen .......................................................................... 30
2.10 Grenzen zwischen „Spannungen“ und dissoziativer Störung? ........................... 31
2.10.1 Die typischen Angriffsphasen nach Breakwall ....................................... 32
2.11 Bearbeitung der 2. Forschungsfrage ................................................................... 35
2.11.1 Die Dissoziations-Spannungs-Skala akut (DSS-akut) ............................. 35
2.11.2 Die Skills ................................................................................................. 39
3
Schlussteil ................................................................................................................... 46
3.1
Zusammenfassung und Erläuterung der ersten Fragestellung ............................ 46
3.1.1 Progressive Muskelentspannung nach Jakobs ........................................ 47
3.1.2 Notfallkoffer ............................................................................................ 47
3.1.3 Musiktherapie bei Borderline-Persönlichkeitsstörung ........................... 48
3.1.4 Allgemein................................................................................................. 48
3.2
Zusammenfassung und Erläuterung der zweiten Fragestellung ......................... 49
3.2.1 Die DSS-akut ........................................................................................... 49
3.2.2 Die Skills ................................................................................................. 49
3.3
Fazit..................................................................................................................... 50
4
Anhang........................................................................................................................ 52
4.1
Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................... 52
4.2
Abbildungsverzeichnis ........................................................................................ 53
4.3
Literaturverzeichnis ............................................................................................ 54
4.3.1 Bücher ..................................................................................................... 54
4.3.2 Dissertationen ......................................................................................... 55
4.3.3 Artikel ...................................................................................................... 55
4.3.4 Internet .................................................................................................... 56
5
Eigenständigkeitserklärung ...................................................................................... 57
1 EINLEITUNG
Laut Fellner (2003) gab es in der Geschichte der psychiatrischen Diagnostik immer wieder
Fälle, die "an der Grenze" ("on the border") existierender diagnostischer Kriterien lagen.
Im Jahre 1884 erschienenen Artikel „Borderland Psychiatrics Records“ prägte der
englische Psychiater C.H. Hughes erstmals den Begriff „borderland patients“. Von
diesem Zeitpunkt an wurde die abgeleitete Bezeichnung „Borderline“ in den
verschiedensten Arbeiten und Publikationen immer wieder verwendet. Dieser Begriff stand
damals
für
Beschwerdebilder
im
Grenzbereich
zwischen
Neurose,
schwerer
Charakterstörung und Psychose, welche nicht eindeutig klassifiziert werden konnten.
Heutzutage gehört die Borderline-Störung zu den empirisch am besten erforschten
Störungsbildern. Zu verdanken haben wir dies den Bemühungen einiger wichtiger
Persönlichkeiten, welche versuchten die Störung besser zu klassifizieren. Im Speziellen
sind hier z.B. Kernberg, Rosenthal, Wendner und Gunderson zu erwähnen. (Fellner 2003)
Je nach Ausprägung und Dauer der Störung ist zwischen drei Begrifflichkeiten zu
unterscheiden:
 Borderline-Syndrom
Dies stellt einen Oberbegriff dar. Es handelt sich dabei um Zustände, bei welchen
konkret eine Borderline-Symptomatik beobachtbar ist. Allerdings wird keine
Aussage über die Ich-Struktur oder ein episodisches Auftreten getätigt.
 Borderline-Persönlichkeit
Hierbei handelt es sich um Menschen mit schwerer Charakterpathologie. Diese ist
weder psychotischer noch neurotischer Herkunft. Kennzeichen hierfür ist eine
normalerweise intakte Fähigkeit zur Realitätsprüfung, welche in bedrohlichen
Situationen zu Versagen scheint.
1
 Borderline-Zustände
Diese stehen für eine kurzfristige Dekompensation von an und für sich gut
strukturierten Patienten. Solche Zustände treten vor allem in charakteristischen
Situationen auf.
(Friedrich, Wechselberger 2009)
1.1 Häufigkeit
Doch wie präsent ist das Thema in unserer Bevölkerung wirklich?
Wenn man verschiedene Angaben vergleicht, so kann man sagen, dass ca. 2% der
Bevölkerung an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erkrankt sind. Früher nahm man
an, dass in etwa 70 bis 75% aller betroffenen Personen weiblich sind. „Neuere
Untersuchungen zeigten jedoch, dass Männer genauso häufig betroffen sind, sie jedoch
seltener professionelle Hilfe aufsuchen.“ (Friedrich, Wechselberger 2009, S. 17).
Von allen ermittelten Borderline Patienten benötigen ca. 19,5% eine stationäre
psychiatrische Behandlung. Das entspricht ca. 0,9% der Gesamtbevölkerung. In den
psychiatrischen Anstalten findet sich ein Anteil von bis zu 40% an BorderlinePersönlichkeitsstrukturen. Dies resultiert daraus, dass Borderline-Persönlichkeitsstörungen
und Persönlichkeitsstörungen oft in Kombination auftreten. (Fellner 2003; Friedrich,
Wechselberger 2009)
2
1.2 Mein Bezug zum Thema
In der Zeit meiner bisherigen Ausbildung lernte ich in verschiedenen Praktika immer
wieder Menschen kennen, welche an einer Borderline-Persönlichkeit erkrankt sind. Ich
konnte immer wieder beobachten, wie verschiedene Pflegepersonen an ihre persönlichen
Grenzen gestoßen sind. Im Umgang mit den Betroffenen gibt es immer wieder Situationen,
in denen man die eigene Hilflosigkeit erkennen kann. Ich glaube, dass die eigene
Hilflosigkeit nur erahnen lässt, wie sich Betroffene teilweise fühlen.
Eine besondere Schwierigkeit ist der Umgang mit den sogenannten „Spannungen“. Durch
die affektive Instabilität, die Impulshaftigkeit, sowie die emotionale Dysregulation ist es
besonders diffizil Spannungen frühzeitig zu erkennen bzw. entspannende Maßnahmen
rechtzeitig anzuwenden. In solchen Spannungssituationen ist die Hilflosigkeit auf beiden
Seiten, Pflege und Patient, teilweise deutlich im Raum spürbar.
Borderline…
Meiner Meinung nach ist Ehrlichkeit
gegenüber sich selbst und dem Patienten in
… ist wie ein Leben ohne feste Wurzeln.
unserem Beruf extrem wichtig. Zuzugeben
… ist wie eine Haut, mit den Stacheln
dass man hilflos ist, die Spannungen ohne
eines Igels.
… ist wie eine Reise im Zug, dessen
Notbremse defekt ist.
… ist wie ein Land, das immer wieder
droht mich zu verschlingen.
das
Mitwirken
des
Betroffen
nicht
abwenden zu können, kann eine intensive
Beziehung zwischen Patient und Pflege
ermöglichen, sowie den Patienten wieder in
das gemeinsame Boot zu holen.
… ist der Abgrund, an dem ich steh.
… ist wie ein Kind, das in einem
erwachsenen Körper lebt.
… ist die Blume, die nie erblühen durfte.
… ist der Alptraum, aus dem es kein
Erwachen gibt.
(s.a. www.borderline-plattform.de)
3
Menschen, welche nicht an dieser Störung leiden, können wahrscheinlich nur vage
nachvollziehen was für ein Gefühlschaos in den Betroffenen herrscht. Ich habe die
Erfahrung gemacht, dass es hilfreich für die Beziehung und das Verständnis ist, wenn man
den Erkrankten die Möglichkeit gibt, ihre Gefühle zu beschreiben, Metaphern dafür zu
finden.
In meiner Recherche bin ich auf eine Plattform für Borderline gestoßen und habe einige
eindrucksvolle Gedichte gelesen, sowie mir verschiedene Bilder angesehen. Einige der
Beschreibungen habe ich oben auszugsweise angeführt.
1.3 Fragestellung und Ziel der FBA
Während der Arbeit in den Praktika habe ich mir immer wieder Gedanken gemacht, wie
man alternativ (ohne Medikamente) die Spannungszustände minimieren kann, oder diese
sogar komplett (zumindest für diesen Zeitpunkt) zu bewältigen. Dies führte mich zum
Thema meiner Fachbereichsarbeit im Rahmen der Ausbildung an der psychiatrischen
Gesundheits- und Krankenpflegeschule in Rankweil. Ich will herausfinden, welche
alternativen Möglichkeiten es gibt, um Spannungszustände bei Menschen mit einer
Borderline-Persönlichkeitsstörung zu reduzieren. Weiters möchte ich mir in diesem Zuge
die möglichen Maßnahmen theoretisch aneignen, sowie diese in der Praxis je nach
Situation möglicherweise anwenden.
1.3.1
Forschungsfragen
 Welche nicht medikamentösen, alternativen Methoden gibt es, um akute
Spannungen bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen abzubauen?
 Welche Maßnahmen wirken im Speziellen zum Abbau/Durchbruch von
dissoziativen Störungen?
4
Ziel meiner FBA ist es, …
… verschiedene Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man mit Spannungen umgehen könnte.
Des Weiteren möchte ich auf dieses Thema aufmerksam machen, das Pflegepersonal zum
Nachdenken motivieren und somit eine Bewusstseinsbildung bzgl. der Präsenz des Themas
und der Notwendigkeit im Handlungsbedarf bewirken.
Borderline…
… bedeutet für mich, rote Tränen weinen zu müssen.
… bedeutet, dass ich die, die ich liebe, verletzen muss.
… bedeutet, ein Kind zu sein, das verzweifelt nach
seiner Mutter sucht.
… bedeutet, ein Baum zu sein, der versucht, seine
Wurzeln in harten Beton zu schlagen.
(s.a. www.borderline-plattform.de)
5
2 HAUPTTEIL
2.1 Definitionen
2.1.1
Definition nach ICD 10
Im ICD, dem Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO), findet man
die Borderline-Persönlichkeitsstörung als Unterform in der Kategorie „emotional instabile
Persönlichkeitsstörung.
Bei dieser speziellen Form der Persönlichkeitsstörung sind vor allem das eigene Selbstbild
und das Beziehungsverhalten schwer beeinträchtigt. Hierbei wird die Impulsivität als
wichtigstes Symptom erachtet. (Herpertz-Dahlmann, Resch, Schulte-Markwort, Warnke
2007; Borderline-Persönlichkeitsstörung in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie)
2.1.2
Definition nach DSM IV
Laut DSM IV, dem Klassifikationssystem der American Psychiatric Association, liegt der
Beginn der Borderline-Störung oft im frühen Erwachsenenalter bzw. in der Pubertät. Die
Störung manifestiert sich in den verschiedensten Lebensbereichen.
Bei der Borderline-Störung handelt es sich um ein durchgängiges Muster von Instabilität in
den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild. Zudem ist eine ausgeprägte
Impulsivität zu beobachten, welche sie vor allem im affektiven Bereich bemerkbar macht.
Anders als beim ICD 10 ist das Hauptaugenmerk des DSM IV vor allem auf die Instabilität
gerichtet. (Herpertz-Dahlmann, Resch, Schulte-Markwort, Warnke 2007; BorderlinePersönlichkeitsstörung in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie)
6
2.2 Klassifizierung der BorderlinePersönlichkeitsstörung nach DSM-IV
Während des Unterrichts haben wir die Klassifizierung der BPS nach dem DSM IV erlernt.
Diese wird auch weitestgehend in der Fachliteratur beschrieben. Deshalb habe ich mich
entschieden, dieses System als Grundlage für meine FBA zu verwenden.
Das Hauptaugenmerkt liegt jedoch auf dem Punkt 6: die Instabilität im affektiven Bereich.
Für die Diagnose einer Borderline-Störung müssen mindestens fünf der folgenden
Kriterien erfüllt werden: (Lüders 2001, Fleischhaker, Schulz 2010)
1) Verzweifeltes Bemühen ein reales oder imaginäres Alleinsein zu verhindern (außer
Suizid oder Selbstverstümmelung, siehe dazu 5.);
2) Ein Muster von instabilen und intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen, das
sich durch einen Wechsel zwischen Überidealisierung und Abwertung auszeichnet;
3) Identitätsstörung: eine ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes
oder des Gefühls für sich selbst;
4) Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen, z.B.
Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, Ladendiebstahl, rücksichtsloses
Fahren und Fressanfälle (außer Suizid und Selbstverstümmelung);
5) Wiederholte
Suiziddrohungen,
-andeutungen,
-versuche
oder
andere
selbstverstümmelnde Verhaltensweisen;
6) Instabilität im affektiven Bereich, welche durch ausgeprägte Orientierung an der
aktuellen Stimmung gekennzeichnet ist; z.B. Reizbarkeit, Angst, wobei diese
Zustände gewöhnlich einige Stunden oder, in wenigen Fällen länger als einige Tage
andauern;
7) Chronisches Gefühl von Leere;
8) Übermäßige starke Wut oder Unfähigkeit, die Wut oder den Ärger zu kontrollieren,
z.B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut oder Prügeleien;
9) Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste bzw. stressabhängige, paranoide
Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome;
7
2.3 Ursachen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung
Zur Erklärung der Entstehung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen beziehe ich mich
auf das Modell von Zanarini & Frankenberg. Nach diesem braucht es ein kombiniertes
Auftreten bzw. Vorhandensein von mehreren Risikofaktoren. Die Störung ist meist das
Produkt einer komplexen Mischung von angeborenem Temperament, schwierigen und
kaum zu verarbeitenden Kindheitserfahrungen und relativ subtilen Formen neurologischer
und/oder biochemischer Dysfunktionen (Fellner 2003). Diese Dysfunktionen können aus
Folgen von Kindheitserfahrungen entstehen oder genetische Dispositionen sein.
Nach Zanarini & Frankenberg benötigt es das Zusammenspiel von 3 Faktoren, um eine
Borderline-Persönlichkeitsstörung ausbrechen zu lassen:
 ein Umweltfaktor (im weitesten Sinne traumatische Kindheitserfahrungen wie
Gewalt in der Familie, Missbrauchserfahrungen usw.)
 ein konstitutioneller/genetischer Faktor (z.B. die familiäre Neigung zu
psychischen Störungen, genetische Faktoren, neurologische Dysfunktionen,
temperamentsbedingte Vulnerabilität)
 und ein Triggering-Faktor (Auslöser) wie z.B. starker Stress bzw. Live-Events
(oder andere Auslöser, welche zunächst als undramatisch erscheinen) oder ein
Zusammenspiel von den ersten beiden genannten Faktoren
(Fellner 2003)
Ungünstige Umweltfaktoren sind beispielsweise im Kindesalter sexueller Missbrauch,
Vernachlässigung und Gewalterfahrungen. Diese tragen maßgeblich zur Entwicklung der
Borderline-Persönlichkeitsstörung bei. Die familiären Hintergründe werden bei den
Überlegungen über mögliche Umwelteinflüsse mit einbezogen. Zwei Typen von Familien
werden als besonders typisch erachtet, für das Entstehen einer BPS (Cierpka, Reich 2001):
 „chaotisch-instabile Familien“
Als Kennzeichen einer solchen Familie, ständige Ehekrisen und Streitigkeiten
innerhalb der Familie zu nennen. Weitere Merkmale sind Alkohol oder Sucht,
sowie die Kinder in der Rolle des Sündenbocks.
8
 „vernachlässigende und emotional missbrauchende Familien“
Hierbei ist als Kennzeichen die Gefühlskälte und Vernachlässigung gegenüber dem
Kind zu erwähnen. Häufig ist eine frühe Trennung der Eltern zu beobachten. Die
Kinder erleben eine lange Phase des Alleinseins und die Eltern leiden
beispielsweise
an
einer
depressiven
Erkrankung.
(Borderline-
Persönlichkeitsstörung in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie)
Durch Missbrauchserfahrungen, Gewalterfahrungen usw. haben die Betroffenen meist
keinen adäquaten Umgang mit ihren Gefühlen erlernt. Häufig sind diese Menschen in der
frühen Kindheit Opfer von Gewalt und Missbrauch. Meist erfahren sie dies durch ihnen
nahestehende Personen. Beispielsweise der Vater missbraucht seine Tochter. Er äußert ihr
gegenüber, dass er ihr nur etwas Gutes tun wolle, die Mutter dürfe davon jedoch nichts
erfahren. Das Kind ist im Konflikt! Innerlich weiß es, dass diese Handlung falsch ist. Es
fühlt sich dabei schlecht, kann jedoch aus Angst mit niemandem darüber sprechen. Eine
Ambivalenz der Gefühle entsteht. Die Handlungen des Vaters sind für das Kind falsch,
schrecklich, unangenehm. Doch der Vater als Autoritätsperson gibt dem Kind zu
verstehen, dass diese Handlung in Ordnung sei, dass er nur das Beste möchte für sie.
Aus diesem Chaos heraus hat das Kind kaum eine Möglichkeit die Gefühle richtig zu
verarbeiten. Das eigene Gefühl von „Falsch“ wird unterdrückt.
2.3.1
Die Psycho-physische Vulnerabilität bei BorderlinePersönlichkeitsstörung
Durch traumatische Erlebnisse wird die Funktionswelt des Gehirns beeinträchtigt. Die
reale Beurteilung von Situationen wird durch ambivalente Gefühle erschwert. Vorhandene
Emotionen werden meist sehr stark erlebt und lösen sich rasch wieder auf.
Ein Beispiel wäre die Amygdala, welche für die Analyse des Gefährdungspotentials von
Außenreizen zuständig ist. Diese reagiert auf Grund der traumatischen Erlebnisse
hypersensitiv. Im Gegenteil dazu sind die neuronalen Zentren, welche die Steuerung von
Erinnerungsprozessen kontrollieren, vermindert aktiv. Dies kann zu so genannten
„Flashbacks“ führen, die von den Betroffenen meist als real empfunden werden.
9
Flashbacks bezeichnen das plötzliche Wiedererleben von vergangenen Erlebnissen oder
früherer Gefühlszustände. Sie werden meist durch bestimmte Schlüsselreize hervorgerufen.
Bei Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung treten diese oft unwillkürlich
auf. Das Erleben dieser Flashbacks ist so intensiv, dass die Betroffenen häufig das Gefühl
haben die Situation erneut zu durchleben. Sie können in diesem Moment nicht mehr
erkennen, dass es sich eigentlich um eine Erinnerung handelt.
Ein weiteres wichtiges Areal in unserem Gehirn ist das Broca-Zentrum. Dieses ist
Zuständig für die „verbale Wiedergabe visueller Eindrücke“. Durch eine verminderte
Aktivität
in
diesem
Areal
kommt
es
zu
Spannungszuständen,
welche
mit
Entfremdungserlebnissen einhergehen. Ein solcher Spannungszustand stellt zugleich einen
Kontrollverlust über sich selbst dar. Beendet werden kann ein solcher Zustand mit SSV,
wenn die nötige Hilfe von außen fehlt. Man könnte dieses SSV als eine Art Selbstfürsorge
sehen. (Friedrich, Wechselberger 2009)
2.4 Der Verlauf der Erkrankung
Nicht selten können Borderline-typische Verhaltensweisen bereits in der Kindheit und
Jugend beobachtet werden. Zu diesem Zeitpunkt gilt es, diese Verhaltensweisen genau zu
beobachten und wenn nötig auf die vorliegende Störung zu reagieren. Die Persönlichkeit
eines Menschen unterliegt bis ins frühe Erwachsenenalter starken Entwicklungen, deshalb
sollte eine Diagnose nicht vor dem 21. Lebensjahr gestellt werden.
Bei vielen Betroffenen äußert sich übereinstimmend eine chronischen Instabilität im frühen
Erwachsenenalter. In vielen verschiedenen Bereichen kommt es durch die anhaltende
Instabilität häufig zu Phasen von emotionalem Kontrollverlust und impulsiver
Unkontrolliertheit. Aufgrund dieser Symptomatik häufen sich die Inanspruchnahmen des
Gesundheitssystems und die Zahl der stationären Aufenthalte. Des Weiteren ist ein
mehrfacher Therapeutenwechsel der Betroffenen zu beobachten. Gründe dafür sind meist
störungsbedingte Probleme, wie Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen
und selbstschädigende Verhaltensweisen.
10
Im Alter zwischen 30. und 40. Jahren erleben Menschen mit einer BorderlinePersönlichkeitsstörung die Phase der größten Stabilität. Darunter versteht man das
Erreichen einer grundlegenden Stabilität im Bereich des Privatlebens und des Berufes. In
dieser Zeit gelingt es beispielsweise vielen Betroffenen eine stabile Beziehung (z.B. zum
Lebenspartner) aufrecht zu erhalten. (Fellner 2003; Friedrich, Wechselberger 2009)
2.5 Typische Symptome bei Menschen mit einer BPS
Menschen, welche an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, haben oft eine
verzerrte Wahrnehmung. Dies bezieht sich auf die verschiedensten Bereiche. Das eigene
Selbstbild erleben die Betroffenen meist sehr wechselhaft. Sie sehen sich selbst als „böse“
bzw. „sündig“ an, Bezugspersonen hingegen werden beispielsweise in „gut“ oder
„schlecht“ eingeteilt. Diese Sichtweise bezeichnet man auch als „Schwarz-Weiß-Sehen“.
Jede Situation wird von neuem auf die Goldwaage gelegt und die Betroffenen entscheiden
sich wiederum für ein Extrem.
Ein weiteres Merkmal ist die Angst vor dem Verlassen werden. Ganz gleich ob diese
Angst berechtigt oder unberechtigt ist, zeitlich begrenzte Trennungen oder Verspätungen
des Anderen werden als sehr bedrohlich empfunden. Dies löst meist eine sehr starke Angst
aus. Zudem kann das vermutete Verlassen-Sein einen Zustand hervorrufen, bei dem der
Betroffene das Gefühl hat sich aufzulösen oder gar nicht erst zu existieren.
Ein möglicher Konflikt zwischen Autonomie und dem Bedürfnis nach Nähe könnte die
Abfolge intensiver, aber häufig wechselnder Beziehungen erklären. Hierbei wird das
Gegenüber stark idealisiert und bei kleinsten Schwierigkeiten kommt es zu einer
Abwertung derselben Person. Es folgt ein abruptes Ende der Beziehung.
Zudem leiden viele der Betroffenen unter einer gestörten Affektregulation. Kennzeichnend
dafür ist eine dysphorische Verstimmung, die durch starke Euphorie, tiefe Verzweiflung,
ein Gefühl der Ausweglosigkeit und starken Wutausbrüchen unterbrochen wird. Häufig
berichten diese Menschen auch von einem anhaltenden Gefühl der inneren Leere. Die
Stimmungsschwankungen und Wutausbrüche sind für die Betroffenen nur schwer zu
kontrollieren.
11
Durch die starke Impulsivität in potentiell selbstschädigenden Bereichen lässt sich die
Neigung zu selbstgefährdendem Verhalten beobachten. Mögliche selbstschädigende
Bereiche sind z.B. das Glücksspiel, Fressanfälle oder ein Drogenmissbrauch.
Selbstschädigende
Verhaltensweisen
können
aber
auch
indirekter
durch
Selbstverletzungen, wie sich selbst Schnitte oder Brandwunden zufügen, geschehen.
Dadurch haben die Betroffenen eine Möglichkeit sich selbst wieder zu spüren!
Gelingt es den Betroffenen nicht, die inneren Spannungen zu reduzieren oder sich selbst zu
spüren, so können dissoziative Symptome auftreten. Solche Symptome haben mit der
veränderten Wahrnehmung der eigenen Person zu tun. Es kommt beispielsweise zu
Depersonalisationsphänomenen, Entfremdungserlebnissen, Flashbacks usw. Die veränderte
Wahrnehmung lässt auch auf eine gewisse Schmerzunempfindlichkeit, sowie ein NichtErkennen von Erschöpfungszuständen in dieser Zeit schließen. (Herpertz-Dahlmann,
Resch, Schulte-Markwort, Warnke 2007; Friedrich, Wechselberger 2009)
12
2.6 Methodischer Ablauf
Ich habe mich für das Thema Borderline-Persönlichkeitsstörung und Spannung
entschieden. Anschließend habe ich eine grobe Literaturrecherche in Google, Google
Scholar, auf Thieme.de usw. durchgeführt, um mir einen Überblick über das Thema zu
verschaffen und prägnante Begriffe zu notieren. Suchbegriffe dabei waren beispielsweise
Borderline Persönlichkeitsstörung, Spannung, Umgang mit Spannungen usw.
Um spezifischere Literatur zu finden definierte ich vorab wichtige Begriffe wie Spannung,
Affekt, affektive Instabilität und die emotionale Dysregulation. Durch das Benennen der
Bezeichnungen habe ich mich tiefer in die Thematik eingelesen und meine Suchbegriffe
erweitert. Unter anderem verwendete ich Wörter und Wortkombinationen wie kognitive
Methoden zum Spannungsabbau, Sport und Spannungsabbau, entspannende Maßnahmen
bei Borderline Persönlichkeitsstörung, pflegerische Interventionen Borderline usw.
Während meiner Recherche bin ich auf einzelne Methoden, wie die Anwendung von Skills
und die progressive Muskelentspannung nach Jakobs gestoßen. Um diese Methoden in
meiner Arbeit verwenden zu können benötigte ich Literatur, welche mir deren
Wirksamkeit beschreibt. So veränderten sich die Suchbegriffe erneut, indem ich diese
spezifischen Begriffe in meiner Suche mit eingebunden habe. Beispiele: Studie Progressive
Muskelentspannung,
Wirksamkeit
Progressive
Muskelentspannung,
Wirksamkeit
Autogenes Training & Borderline usw.
Zudem habe ich mich in einige Fachbücher eingelesen. Viele davon habe ich über die
Funktion Google-Books gefunden. Hierbei war für mich ein Auswahlkriterium die
Vollständigkeit des Kapitels. Einige Bücher haben relativ großzügige Textauszüge im
Internet stehen, andere wiederum sind sehr beschränkt. Deshalb habe ich mir einige
Exemplare ausgeliehen bzw. bestimmte Seiten kopiert. Ähnlich wie mit den Büchern ist es
mir mit den Texten aus den verschiedenen Fachzeitschriften ergangen. Einen Großteil der
Artikel konnte ich über die Stadtbibliothek Feldkirch anfordern.
Bei Google-Scholar fand ich öfters Artikel/Studien usw. welche ich nicht öffnen konnte, da
meist ein Passwort angefordert wurde bzw. nur Abstracts verfügbar waren. Artikel, welche
mir wichtig erschienen motivierten mich zur weiteren Literaturrecherche. Andere
wiederum kamen gar nicht erst in die engere Auswahl.
13
2.7 Begrifflichkeitsdefinition: Spannung und Affekt
Es gibt viele verschiedene Arten von Spannungen, beispielsweise:
 Die elektrische Spannung
 Der Tonus = Spannungszustand der Muskulatur
 Die Ringspannung = Bindungsenergie in Form von chemischer Spannung usw.
In meiner Arbeit handelt es sich allerdings um die psychische Spannung, auch Anspannung
genannt.
Es
folgt
aus
einer
psychischen
Belastung
ein
Spannungs-
bzw.
Anspannungszustand.
Im Speziellen möchte ich mich auf die Instabilität im Affektiven Bereich beziehen, welche
häufig auch als Auslöser für Spannungszustände gesehen werden kann. Das Wort
Instabilität kommt vom lat. instabilis „ohne festen Stand“. Der Begriff des Affektes ist aus
dem griechischen páthos πάθος (Leiden, Leidenschaft) entstanden, aus welchem bei der
Verschiebung ins Lateinische afficere (einwirken, behandeln) und schließlich affectus
(Zustand, vor allem: Leidenschaft, Gemütserregung, Begierde) wurde.
2.7.1
Definitionen von Affekt
Schröder (2008) beschreibt den Affekt als eine starke Gemütsbewegung. Es handelt sich
hierbei um einen Gefühlszustand von besonderer Intensität. In Bezug auf Personen oder
Sachverhalte ist eine stärkere emotionale Erregung kennzeichnend. Affekte haben im
Allgemeinen eine negative Wirkung auf die rationale Einsicht und das Kritikvermögen.
In der Definition von Bertelsmann (1995) steht geschrieben, dass der Begriff des Affektes
nicht ganz einheitlich definiert wird. Großteils versteht man darunter eine besondere
Intensität der Gefühlszustände. Der Ausdruck der Erregung ist umgangssprachlich häufig
in Gebrauch. Im Affekt ausgeführte Handlungen unterliegen weitestgehend keiner
willentlichen Kontrolle mehr. Die sachlichen und moralischen Gesichtspunkte gehen
verloren.
14
2.7.2
Bezug auf das Klassifizierungssystem nach dem DSM IV
Die affektive Instabilität tritt meist infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung
auf. Als Beispiele dafür sind unter anderem die hochgradige episodische Dysphorie
(Freudlosigkeit) und die Reizbarkeit oder Angst zu nennen. Für gewöhnlich halten diese
Verstimmungen für einige Stunden an. In seltenen Fällen hält dieses Symptom mehr als
einige Tage an. (Zadrazil 2007)
Erläuterung:
Stimmungswechsel bei Menschen sind etwas ganz natürliches. Zu erwähnen gilt es, dass
unsere Stimmung immer durch äußere und innere Bedingungen geprägt wird. Die
Instabilität der Stimmung ist vor allem dann bemerkbar, wenn sich der Betroffenen durch
eine Veränderung im Gefühlsleben verunsichert fühlt. Kennzeichnend für die Instabilität
ist, dass die Gründe für die Stimmungswechsel meist nicht erkennbar sind. (Zadrazil 2007)
2.7.3
Die emotionale Dysregulation
Laut Bohus und Schmahl (2006) sieht ein Großteil der wissenschaftlich orientierten
Arbeitsgruppen eine Störung der Affektregulation im Zentrum der Borderline-Problematik.
„Die Reizschwelle für interne oder externe Ereignisse, die Emotionen hervorrufen, ist
niedrig, das Erregungsniveau ausgesprochen hoch.“ (Bohus, Schmahl 2006, A 3348) Die
Betroffenen erreichen das emotionale Ausgangsniveau nur verzögert. Zudem haben sie
Schwierigkeiten die unterschiedlichen Gefühle differenziert wahrzunehmen. Sie erleben
diese als quälende, diffuse Spannungszustände. Wenn diese Spannungszustände ein hohes
Niveau erreichen, empfinden die Betroffenen ein ausgeprägtes Gefühl der Unwirklichkeit.
Wichtige Anteile der sensorischen Reizverarbeitung sind gestört, so beispielsweise auch
die Schmerzwahrnehmung. Solche Entfremdungserlebnisse und die differenzierte
Wahrnehmung nennt man auch Dissoziation. Sie tritt häufig dann auf, wenn die
Spannungen nicht mehr auszuhalten sind. Um die Spannungszustände zu reduzieren
tätigen viele Betroffene selbstverletzende Maßnahmen. Dieses Verhalten wird im Sinne
der Lerntheorie als negative Verstärkung bezeichnet.
15
2.7.4
Spannungszustände
Spannungszustände wirken sich auch weitestgehend körperlich/somatisch aus. So erleben
einige Betroffene beispielsweise einen diffusen „Spannungskopfschmerz“. Zudem ist
messbar, wie der Puls bei beginnender Spannung steigt. Mit der Spitze der Spannung
erreicht meist auch der Puls seine Spitzen. Durch die Entspannung der Situation entspannt
sich auch der Puls. Ähnlich wie der Puls verhält sich der Blutdruck der Betroffenen. Ein
weiteres körperliches Symptom kann das Händeschwitzen sein.
Verweis:
In einem späteren Abschnitt werde ich versuchen den Unterschied zwischen Spannungen
und dissoziativem Verhalten zu erläutern. Dabei beziehe ich mich auf „die typischen
Angriffsphasen“ nach Breakwell.
16
2.8 Bearbeitung der 1. Forschungsfrage
Welche nicht medikamentösen alternativen Methoden gibt es, um
akute Spannungen bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen
abzubauen?
2.8.1
Die
Progressive Muskelentspannung nach Jakobs
Progressive
Muskelentspannung
ist
eine
Methode
zur
Förderung
des
Körperbewusstseins. Der amerikanische Arzt und Physiologe Edmund Jakobs (*1885/+
1976) begann 1908 an der Harvert University mit seinen Studien zur Progressiven
Muskelentspannung.
Im Jahre 1929 veröffentliche er sein erstes Buch für Ärzte. Dieses war jedoch in einer nur
schwer verständlichen Sprache geschrieben und somit brachte er 1934 „You must relaxe“
in den Handel. Zielgruppe der 2. Veröffentlichung waren sogenannte „Nicht-Fachleute“.
Erst im Jahre 1990 erschien die deutschsprachige Übersetzung „Entspannung als Therapie.
Progressive Relaxion in Theorie und Praxis“ im Handel.
Die Anweisungen in seinen Niederschriften waren teilweise unübersichtlich dargestellt und
man musste sich eine Vielzahl von Anweisungen merken. Zudem waren die Übungen sehr
zeitaufwendig. Unter anderem waren dies Gründe dafür, die Methoden weiterzuentwickeln
und zu vereinfachen.
Die progressive Muskelentspannung basiert auf dem Prinzip Entspannung durch
Anspannung. In unterschiedlichen Übungen werden immer bestimmte Muskelpartien
angespannt und nach einer gewissen Zeit wieder entspannt. Es geht primär darum die
jeweiligen Körperzustände bewusst wahrzunehmen und auch dementsprechend während
den Übungen zu beeinflussen. Durch die Anwendung dieser Methode werden
Anspannungszustände im Körper reduziert, Verspannungen meist frühzeitig erkannt und
mit Übungen aktiv gelockert.
17
Ein wichtiger Bestandteil der progressiven Muskelentspannung ist die bewusste Atmung.
Während der gesamten Durchführung wird gezielt auf die Ein- und Ausatmung geachtet.
Durch das Zentrieren des eigenen Bewusstseins auf den Muskeltonus und die Atmung
kann Stress reduziert werden.
Die Methoden sind leicht zu erlernen und gestalten sich als relativ einfach. Dadurch ist die
progressive Muskelentspannung in vielen Situationen anwendbar und das körperlichseelische-Wohlbefinden kann somit gefördert werden.
Wer die progressive Muskelentspannung erlenen will,
muss lediglich in der Lage sein:
 Sich eine bestimmte Zeit auf die Muskeln seines Körpers zu konzentrieren
 Bestimmte Muskelgruppen systematisch anspannen und lockern zu können.
Darüber hinaus ist es notwendig, die progressive Muskelentspannung regelmäßig zu üben,
damit der Körper lernt, „automatisch“ auf Anspannung mit Entspannung zu reagieren.
(Löhmer 2009)
2.8.1.1
Durchführung
Die progressive Muskelentspannung kann sowohl liegend als auch sitzend durchgeführt
werden. Die Durchführung besteht aus 5 Phasen:
 Hinspüren
Als erster Schritt konzentriert sich der Durchführende auf eine spezielle
Muskelgruppe.
 Anspannen
In einem zweiten Schritt wird die vorher definierte Muskelgruppe
angespannt. Wichtig hierbei ist, dass die Spannung im Körper deutlich
zu spüren sein soll. Es muss darauf geachten werden, dass sich die
Muskulatur nicht verkrampft.
18
 Spannung halten
Nun wird der Muskeltonus für ca. 7-10 Sekunden aufrecht erhalten –
die Konzentration richtet sich immer noch auf dieselbe Muskelgruppe.
 Spannung lösen
Nach der oben genannten Phase wird die Spannung in der Muskulatur
bewusst gelöst.
 Nachspüren
Zum Abschluss soll der Durchführende ca. 30 Sekunden intensiv darauf
achten, was mit der ausgewählten Muskelpartie passiert. Wichtig dabei
ist, die Vorgänge nicht zu werten – man soll lediglich wahrnehmen.
2.8.1.2
Wirksamkeit der Progressiven Muskelentspannung
In der Dissertation von Michael Arndt (2007) steht geschrieben, dass bereits Edmund
Jacobson festgestelllt hat, „dass nach seinem Entspannungstraining Pulsfrequenz und
Blutdruck der Teilnehmer gesunken“ (Arndt 2007, S. 15) sind. Die Erkenntnis bestätigt
Arndt, indem er die Ergebnisse von Schmid et al. 2002 in einem veröffentlichten Artikel
über nicht medikamentöse Therapie der arteriellen Hypertonie beschreibt. Eine
ausgeprägte Blutdrucksenkung wurde durch eine individuell angepasste Therapie und die
Kombination verschiedener Entspannungsverfahren (Relaxation, Meditation, Biofeedback)
erreicht. Systolisch konnte eine Senkung des Blutdruckes zwischen 13,5 mm Hg und 15,2
mm Hg gemessen werden. Diastolisch lagen die Werte zwischen 3,4 mm Hg und 9,2 mm
Hg. Die Progressive Muskelentspannung für sich (ohne Kombination) ergab bei 812
Probanden eine durchschnittliche Senkung des Blutdruckes von 9,0 mm Hg systolisch und
6,1 mmHg diastolisch.
Arndt schreibt über eine Studie von Thorgersen (2005) an der Universität von Bergen in
Norwegen.
Diese
Untersuchung beschäftigt
sich
mit
dem
Effekt
Progressive
Muskelentspannung im Bezug auf den chronischen Spannungskopfschmerz. Nach den
Kriterien für den chronischen Spannungskopfschmerz wurden 36 Patienten ausgewählt,
welche in zwei Gruppen eingeteilt wurden. Es handelte sich dabei um eine Kontrollgruppe
und eine Gruppe, welche Progressive Muskelentpannung praktizierte. Die Studie führte zu
19
dem Ergebnis, dass Progressive Muskelentspannung als Coping Strategie profitabler ist, als
„die unmittelbare Entspannung der Muskulatur nach der Übung“ (Arndt 2007, S. 19).
In einer Studie von Golombek (2001), so schreibt Arndt, haben 267 Patienten
teilgenommen. In Bezug auf Schlafstörungen gaben 69% der Befragten einen positiven
Effekt durch Progressive Muskelentspannung an. Einen negativen Effekt, d.h. eine
Verschlechterung der Symptome, gaben 15% an. Die restlichen 16% gaben keine
spezifischen Reaktionen an.
Progressive Muskelentspannung hat jedoch nicht nur positive Effekte. Es gilt dabei zu
beachten, dass auch entspannungsinduzierte Angstzustände auftreten können. Im Bezug
auf depressive Patienten kann man sagen, dass sich die Symptomatik durch eine erhöhte
Selbstwahrnehmung verstärken kann.
Wichtig erscheint mir auch, die Übenden darüber zu informieren, dass während der
Entspannung die Aussenreize verstärkt ausgeblendet werden und sich die Aufmerksamkeit
vermehrt auf den Körper richtet. Dadurch können die Schmerzen zunächst zunehmen und
Schwindelzustände, sowie Muskelspasmen hervorrufen.
20
2.8.2
Der Notfallkoffer
Der Notfallkoffer ist ein Werkzeug des Skilltrainings (auf die Skills gehe ich zu einem
späteren Zeitpunkt noch genauer ein). Er ist eine Art Package verschiedener Dinge, die
besonders in Stresssituation bzw. im Umgang mit akuten Spannungen hilfreich sein sollen.
Enthalten sind nur einzelne Dinge, welche sich bereits in akuten Situationen bewährt
haben. Diese Dinge sollen helfen, im Alltag Spannungen zu bewältigen (während
Besuchen, im Job, bei privaten Erledigungen usw.).
Durch akute Krisen gelangen Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung
immer wieder in Situationen, in denen sie ihre Gefühle nicht mehr ertragen können, keinen
Sinn im Leben sehen, sich nicht mehr zu helfen wissen oder sich beispielsweise selbst
verletzen möchten. Erreichen Betroffene erst einmal einen solchen Zustand, so können sie
sich meist nicht mehr auf die eigene Logik, den Verstand verlassen. Es baut sich ein
innerlicher Stress auf, der es einem kaum ermöglicht in Ruhe zu überlegen, welches
Verhalten in diesem Moment sinnvoll wäre.
Beim Bearbeiten eines Notfallkoffers „geht es also darum, Selbsthilfemöglichkeiten zu
finden, die weitesgehend unabhängig von der Unterstützung durch andere Personen und
auch in Zeiten von völliger Anspannung oder Verzweiflung noch funktionieren“ (Knuf,
Tilly 2007, S. 88).
2.8.2.1
Die Herangehensweise
Viele der Betroffenen verfügen bereits über eine Art Notfallkoffer, nur sind sie sich dessen
nicht bewusst bzw. bezeichnen es nicht so.
Zu Beginn sollten sich die Betroffenen Gedanken darüber machen (eine Liste schreiben),
was ihnen bisher durch schwierige Zeiten/Krisen geholfen hat und welche Dinge
möglicherweise hilfreich sein könnten. Anschließend gilt es reale Gegenstände zu
besorgen, Informationen/Gedichte usw. auf einen Zettel zu schreiben und Vereinbarungen
mit sich und/oder anderen in einen sogenannten „Notfallkoffer“ zu packen.
Ein Notfallkoffer kann ständig wachsen bzw. sich verändern. So gibt es Dinge, welche
einem nicht mehr helfen. Diese können wiederum durch andere ersetzt werden. Es ist
21
durchaus möglich, dass sich auch einfach nur weitere Möglichkeiten finden, mit Krisen
umzugehen. Dadurch wird der Notfallkoffer erweitert.
Wichtig ist lediglich, dass man sich mit diesen Dingen befasst, sie ausprobiert wenn man
sich in einem Normalzustand befindet und nicht in Krisen bzw. krisen-ähnlichen
Situationen.
2.8.2.1.1
Einteilung der Dinge/Gegenstände im Koffer
Im Koffer befinden sich 6 Kategorien, welchen die jeweiligen Dinge zugeteilt werden
können.
Dinge zum Festhalten
Eine Betroffene schreibt, dass sich in Krisensituationen ihr Kopf häufig ausschalte – sie sei
dann nur noch Gefühl. In solchen Situationen sind Dinge, welche den Verstand anregen
sollten nicht geeignet. Es braucht reale Dinge, die man festhalten kann, die einem helfen,
einen Schritt in Richtung Realität zu machen.
Einige Beispiele dafür wären ein Kissen, ein Kuscheltier, ein Stein (der eine persönliche
Bedeutung hat), eine Kette usw. Viele Menschen haben bereits eine Kleinigkeit zum
Festhalten. Es handelt sich dabei häufig um Glücksbringer und Erinnerungsstücke.
Dinge zur Beruhigung und Ablenkung
Um der inneren Leere etwas entgegenzusetzten kann es hilfreich sein, Dinge anzuwenden
die den Verstand anregen und Aktivität erfordern. Beispielsweise ein Mandala ausmalen,
ins Tagebuch schreiben, einen Lieblingsfilm ansehen, Fotos von Freunden anschauen, ein
Buch lesen usw. Diese Dinge helfen, sich nicht so alleine zu fühlen und lenken vom
momentanen Gefühlszustand ab.
Zudem gibt es so genannte „Hirn-Flick-Flacks“. Das sind kleine Denkaufgaben, die den
Verstand ankurbeln und helfen, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. So kann man
beispielsweise von einer hohen Zahl (567) immer wieder die Zahl „13“ abziehen. Eine
22
andere Möglichkeit wäre, sich zu jedem Buchstaben des Alphabets einen schönen Ort/ein
schönes Land auszudenken. Hierbei sollte der Kreativität keine Grenze gesetzt werden.
Dinge, um sich zu spüren
Um selbstverletzendes Verhalten zu vermeiden, kann es hilfreich sein, das Körpergefühl
wieder herzustellen. Der Druck nach selbstverletzendem Verhalten ist meist enorm.
Deshalb benötigt man auch starke Reize, welche verschiedene Sinne ansprechen können,
um dem Verlangen nach selstverletzendem Verhalten entgegenzuwirken.
Häufig kann das Ziel, „Unterbrechung einer Krise“, durch diese Dinge nicht erreicht
werden, sie schaffen aber zumindest eine Abminderung der Gefühle. Nun einige Beispiele,
die für eine Veränderung der Wahrnehmung oder zur Unterbrechung starker, unangehmer
Gefühle sorgen können.
 Gerüche
Intensive Geruchsstoffe wie Pfefferminzöl, Ammoniak usw. werden bevorzugt.
 Temperatur
Eiswürfel in den Mund nehmen, kalt duschen, Coolpacks auf die Haut legen usw.
Der Umgang mit Wärme wird in solchen Situationen nicht empfohlen, da durch die
gestörte Wahrnehmung ein hohes Verbrühungsrisiko besteht. Allerdings ist auch
bei Kälteanwendungen auf Hautzeichen als Hinweis für Erfrierungen zu achten.
 Geschmack
in ein Stück Kren beißen, eine Chillischote essen, scharfe Saucen verwenden usw.
 Töne
laute Töne, rhytmische Musik, eine Trommel spielen usw.
 Berührungen
mit einem Igelball über die Haut fahren und dabei kräftig drücken, Haargummis
oder Gummibänder auf die Haut spicken lassen usw.
23
Selbstverpflichtungen
An dieser Stelle könnte beispielsweise eine schriftliche Absprache stehen, die man mit
einem Therapeuten oder Arzt abgeschlossen hat. Eine solche Vereinbarung könnte sich mit
dem suizidalen Verhalten befassen. Beispielsweise: Ich hole mir Hilfe, bevor ich eine
suizidale Handlung tätige und erkläre mich damit einverstanden, dass ich mich notfalls
gegen meinen Willen in eine Klinik einweisen lasse.
Weiters kann eine Selbstverpflichtung ein Brief sein, den man in einer guten Zeit an sich
selbst geschrieben hat. Dieser beinhaltet beispielsweise Zukunftspläne, bisher erreichte und
noch offene Ziele, Wünsche die man sich erfüllen möchte usw. Diesem Brief könnte man
ein Bild von sich beilegen (bei dem es einem gut ging), Fotos von Freunden/wichtigen
Personen im Leben usw. Sinn eines solchen Briefes ist es, sich selbst zu
ermutigen/motivieren.
Fremdhilfe
Wenn ganz schwierige Zeiten anstehen, bzw. man zu wenig auf die Frühwarnzeichen
geachtet hat, kommen Betroffene in Situationen bei denen nur noch „professionelle Hilfe
einen Weg aus Gedanken- und Gefühlschaos schaffen“ (Knuf, Tilly 2007, S. 94) kann.
Unter dem Punkt Fremdhilfe fallen z.B. Telefonlisten, welche in Kontaktnummern und
Notfallnummer unterteilt werden könnten.
Bei den Kontaktnummern könnte man gute Freunde, Personen die einem wichtig sind, mit
denen man Kontakt halten möchte anführen. Es geht dabei nicht darum Menschen als
„Seelenmülleimer“ zu kontaktieren, sondern um Ablenkung. Dabei handelt es sich um
Personen die einem wichtig sind im Leben, mit denen man Kontakt halten möchte.
Hingegen sollte die Liste der Notfallnummern Therapeuten, Sprechstundenzeiten in
Notfallpraxen (+Nummer) enthalten. Hier handelt es sich um professionelle Hilfe.
Es gestaltet sich als durchaus sinnvoll, bei den jeweiligen Nummern hinzuzufügen, wer
wann erreichbar ist. So stehen bei Notfallpraxen beispielsweise die Öffnungszeiten dabei.
Mit Freunden kann abgesprochen werden, wer zu welcher Zeit erreichbar ist und um
welche Uhrzeit er nicht gestört werden möchte.
24
Im äußersten Notfall
An diesem Punkt denken viele Betroffenen an ein „Notfallmedikament“. Dies ist allerdings
sehr kritisch zu betrachten. Medikamente können durchaus eine Hilfe sein, wenn man mit
den eigenen inneren Spannungen nicht mehr umgehen kann. Es stellt sich allerdings die
Frage, in wie weit die Betroffenen während einer Krise in der Lage sind, die richtige Dosis
zu wählen.
Medikamente mit Maß und Ziel verwenden:
Ein Notfallmedikament sollte individuell ausgewählt und zudem nur in Absprache mit dem
Arzt verwendet werden. Dieser verschreibt beispielsweise ein Medikament zur
Beruhigung/Sedierung und die Dosis, welche einzunehmen ist. Packt man dieses
Medikament in den Notfallkoffer, so erscheint es als sinnvoll, nur die vereinbarte Dosis
des besprochenen Präparats einzupacken. Dieses könnte beispielsweise in einer kleinen
Dose aufbewahrt werden, welche im Koffer leicht auffindbar ist.
Betroffene, welche an einer Medikamentenabhängigkeit leiden oder ein erhöhtes
Suchtpotential haben, sollten von einer Notfallmedikation Abstand nehmen und erst gar
keine Tabletten einpacken. Für diese Gruppe wäre eine Möglichkeit die Notfallmedikation
bei einem Arzt/Therapeuten oder einer Vertrauensperson zu deponieren. Im Notfall kann
die Medikation dort abgeholt werden.
Was gehört nicht hinein?
In einen Notfallkoffer gehören definitiv keine Dinge, welche Borderline-Verhaltensweisen
möglicherweise unterstützen. Ziel ist es, genau diesem Verhalten vorzubeugen. Deshalb
gehören beispielsweise Rasierklingen, spitze Gegenstände usw. nicht hinein.
Zudem wird davon abgeraten, Verbandsmaterialien einzupacken. Diese geben den
Betroffenen mögliche „Hinweisreize“, welche zu selbstschädigendem Verhalten verführen.
25
Vergleich
Stellen sie sich einen Raucher vor, der versucht diese Angewohnheit zu unterlassen. Beim
Anblick einer Zigarette verspürt der vorübergehende Nichtraucher sofort ein Lustgefühl,
welches ihn dazu verleitet eine Zigarette anzuzünden.
Ebenso könnte man die Reaktion der Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung auf
Rasierklingen und Verbandsmaterialen umlegen. Der Anblick dieser Gegenstände erinnert
die Betroffenen an eine Möglichkeit der Spannungsreduktion. Allerdings ist z.B. das
„Schneiden“ eine der Verhaltensweisen, welcher man versucht entgegenzuwirken.
(Knuf, Tilly 2007)
26
2.8.3
Musiktherapie bei Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Musiktherapie ist wie der Name schon sagt eine therapeutische Intervention und keine
pflegerische. Aus persönlichem Interesse und in Bezug auf die interdisziplinäre
Zusammenarbeit möchte ich diese Möglichkeit kurz Abhandeln.
Musiktherapie hat viele verschiedene Funktionen. In meiner Arbeit möchte ich einige
anführen, welche mir im Bezug auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung als wirkungsvoll
erscheinen. Doch bevor ich auf die einzelnen Punkte genauer eingehe, möchte ich diese
kurz auflisten:
 Musik als Haltefunktion
 Musik als basales Sinnesstimuli
 Musik als Vehikel
 Musik als Katalysator
Musik als Haltefunktion
Die Musik stellt in dieser Funktion eine Art Rahmen dar, welcher für Sicherheit und Stütze
in bewegt ablaufenden seelischen Prozessen sorgt. Das konstante, gleichbleibende Tempo
bzw. der verlässliche Rhythmus bietet dem Betroffenen eine klare Sturktur. Diese hilft
durch die Wiederholungen die vermeintlich schwierige Zeit übersichtlich zu gestalten.
Um Musik zu machen, muss man sich auf die zeitliche Struktur der Musik, die
musikalischen Formen sowie deren klaren Aufbau einlassen. Das Einlassen hilft den
Betroffenen die Grenzen und damit auch gleichzeitig Kontakt erfahrbar zu machen.
Der verlässliche Rhythmus, die Haltefunktion der Musik dient dazu, ein Gefühl von
Sicherheit, Struktur, Orientierung, Geborgenheit und halt erfahrbar zu machen. Sie gilt als
Grundlage „für alle anderen therapeutischen Funktionen der Musik“ (Remmel 2006,
S. 291).
27
Musik als basale Sinnesstimuli
Die basalen Sinnesstimuli beziehen sich auf die Erfahrung von Klang, Rhythmus,
Intensität der Musik und Formenerfahrung. Verschiedene Erfahrungen in Bezug auf diese
Stimuli können zur Entwickung der sinnlichen Wahrnehmung dienen. Weiters tragen diese
basalen Sinnesstimuli zur Entwicklung von Achtsamkeit bei.
Musik als Vehikel
Remmel vergleicht das Vehikel der Musik mit einem Fahrrad. Es steht symbolisch für das
Weitertragen der Gefühle, welches dem Betroffenen möglich macht die belastenden
Gefühle auszudrücken und schlussendlich zu verarbeiten. Das Gefühlspedal wird quasi
vom Betroffenen durch sein Erleben und Handeln in gewisser Weise selbst betätigt.
Die Vehikelfunktion basiert auf der Haltefunktion der Musik. Der Therapeut und der
Betroffene gehen während des Musizierens aufeinander ein. Durch die Unterstützung des
Therapeuten kann die Dynamik des Betroffenen gefördert werden. Er hat aber auch die
Möglichkeit den Betroffenen durch die eigene Improvisation mitzureißen. Die Musik wird
spielerisch erlebt und der Betroffene kommt quasi in Fluss. Die beiden musizierenden
Personen teilen die Vitalitäsaffekte und eine mangelnde Impulskontrolle kann durch den
Therapeuten aufgefangen werden.
Musiken mit Vehikelfunktion können beispielsweise Phantasiereisen unterstützen. Dabei
wird der Betroffene ermutigt sich nicht selbst zu verlieren, sondern sich mit seinen
Emotionen auf die Dynamik der Musik einzulassen.
Musik als Katalysator
Die Katalysatorfunktion ermöglicht das Ausdrücken von Gefühlen und das Durchleben
von basalen Affekten. Handelt es sich um Affekte so könnte man sagen, es handelt sich um
eine Verstärkung der Vehikelfunktion. Der Unterschied zwischen Vehikelfunktion und
Katalysatorfunktion liegt im Umgang mit den Gefühlen. Bei der Vehikelfunktion geht es
primär darum, sich auf ein Geschehen einzulassen, während die Katalysatorfunktion darauf
abzielt, sich mit den eigenen Gefühlen differenziert auseinanderzusetzen. So können
biespielsweise die Gefühle von Wut und Hass durch die Musik ausgedrückt werden. Durch
das Ausleben dieser Gefühle in der Musik kann die Regualtion dieser beeinflusst werden.
28
Ein Schlagzeug kann z.B. helfen Aggressionen nach außen auszuleben, ohne sich selbst
oder jemandem Anderen Schaden zuzufügen. Drückt man Aggressionen über Musik aus,
so können die Betroffenen ihre eigene Kraft spüren.
Die Katalysatorfunktion dient allerdings nicht nur dem Ausdruck der Aggression. Ebenso
sollen die Betroffenen Wünsche und unbewusste Strebungen durch die Musik ausdrücken.
Musik hat die Fähigkeit durch das Verzerren und Verrücken von Ordnung, Gewohnheit
und Erwartung Gefühle, welche unter Umständen angstbesetzt, unheimlich oder bedrohlich
sind hörbar zu machen. Diese Ausdrucksweise beruht jedoch nicht auf Projektionen.
In der Funktion als Katalysator ist es auch möglich traumatische Erlebnisse zum Vorschein
zu bringen. Ursache dafür ist das Verknüpfen von traumatischen Erlebnissen mit
musikalischen Lauten wie zitternden Tönen, tiefe Klangfarben usw. Es besteht auch die
Möglichkeit, dass der Betroffene mit Abwehr auf die Katalysatorfunktion reagiert. Jenes
Verhalten kann auf eine Hemmung hinweisen die Gefühle auszudrücken oder sich gegen
Verbote aufzulehnen. Möglich wäre auch ein vorsichtiges Verhalten basierend auf der
Angst von Überflutung mit traumatischen Erlebnissen. (Remmel 2006)
29
2.9 Was versteht man unter Dissoziation/dissoziativer
Symptomatik?
2.9.1
Definition „Dissociation“ lt. DSM-IV:
“Wesensmerkmal dissoziativer Störungen ist die Unterbrechung normalerweise integrierter
Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der
Umwelt. Die Störung kann plötzlich, in Stufen, vorübergehend oder chronisch verlaufen.“
Bei Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung können dissoziative Symptome
in all den genannten Bereichen auftreten. Besonders häufig ist die Störung der Identität.
2.9.2
Dissoziative Reaktionen
Dulz und Schneider schreiben, dass es sich bei dissoziativen Reaktionen „um hysterische
Dämmerzustände bis hin zu gravierenden Bewusstseinsstörungen handelt, wobei eine
schwere dissoziative Phase hinterher zumeist nicht mehr erinnerlich ist“ (Dulz, Schneider
2001, S. 15). Betroffene fallen häufig in exzessiv betriebene Tagträumerei und schaffen
sich dadurch eine gewisse Zeit vermeitlichen Wohlbefindens. Sie fantasieren sich
beispielsweise ein Leben in einer heilen Familie. Zudem werden dissoziative Reaktionen
häufig verwendet um Situationen zu entgehen, welche einem Angst machen. Durch
hervorgerufene Trancezustände wird „die Außenwelt aus dem momentanen und bewussten
Erleben eliminiert“ (Dulz, Schneider 2001, S. 15).
30
2.10 Grenzen zwischen „Spannungen“ und dissoziativer
Störung?
Wo
liegt
die
Grenze
zwischen
akuten
Spanungen
und
sogenanntem
dissoziativen Verhalten?
Wenn wir uns „Die typischen Angriffsphasen“ nach Breakwell (1998) betrachten, so sieht
man wie sich die Kurve langsam erhebt, dann rasch ansteigt, ihren Gipfel erreicht und
schlussendlich wieder abflacht. Diese Kurve beschreibt den Ablauf von Auslösephase,
Eskalationshase, Krise, Erholungsphase (und evt. allfällige weitere Angriffe) und die
Depression nach der Krise.
31
2.10.1 Die typischen Angriffsphasen nach Breakwall
Auslösephase
Die Auslösephase ist jener Zeitpunkt, an dem die Pflege mögliche Frühwarnzeichen
erkennen sollte. Durch verschiedene Auslöser, wie z.B. bestimmte Geräusche, falsche
Äußerungen, mangelde Privatsphäre, Alkohol bzw. Drogen usw. bewegt sich die
betroffene Person vom normalen Verhalten/Handeln weg. Das Wegbewegen vom
„Normalen“ ist jene Phase, in der Frühwarnzeichen auftreten. Diese sind beispielsweise die
Vermeidung des Augenkontaktes, Verweigerung gegenüber Personen/Aufforderungen,
ungeduldiges Verhalten, Anspannung des Körpers usw. Je besser man eine Person erkennt,
umso schneller und „einfacher“ lassen sich die Frühwarnzeichen erkennen und benennen.
Eskalationsphase
Wenn bis hier noch keine Deeskalationsaßnahmen gesetzt wurden, so gilt es in dieser
Phase möglichst früh zu Intervenieren. Ansonsten führt diese Phase direkt zu
gewalttätigem Verhalten. Mögliche Interventionsmöglichkeiten sind unter anderem den
Betroffenen aus der aktuellen/unmittelbaren Umgebung zu entfernen oder versuchen den
Betroffenen abzulenken. Die Betreuenden Personen sollten jedoch mit größter
Aufmerksamkeit und Achtsamkeit bzgl. der eigenen Person vorgehen. Denn in dieser
Phase werden oft Handlungen, Körperhaltung, Mimik sowie Gestik von den Betroffenen
falsch gedeutet.
Krise
In dieser Situation gilt höchste Vorsicht, da die Betroffenen a.G. körperlicher,
gefühlsmäßiger und psychischer Erregung nur über eine verringerte Kontrolle über die
aggressiven Impulse verfügen. Erkennbar ist dieser Kontrollverlust z.B. am Umwerfen von
Stühlen, schlagen in die Wände usw. Da sie als Aggressoren nicht mehr rational reagieren,
ist eine Intervention in dieser Phase nur wenig wirksam. Nun steht die eigene Sicherheit
und die Sicherheit anderer Personen im Zentrum. Durch verbales Argumentieren fühlen
32
sich Betroffene oft noch mehr provoziert. Es bestehen nur noch wenige Möglichkeiten, wie
z.B. Flucht, körperliche Gegenwehr/Zwang zum Druck ausüben, Hilfe suchen oder klare
Grenzen zu setzten. In ihnen herrscht eine starke Erregung, was für sie jeden Angriff
rechtfertigt. Für viele ist Gewalt die einzige Möglichkeit ihren innerlichen Druck
abzubauen. Beobachtbar ist zudem, wie nach den ersten Gewalthandlungen meist das
Bewusstsein aussetzt und die Kontrolle über das eigene Ich verloren geht. Mit dem Setzen
von Gewalthandlungen tritt fast gleichzeitig eine Entlastung ein, da der innere Druck, das
unangenehme Gefühl von Ohnmacht/Hilflosigkeit abgebaut werden kann.
Erholungsphase
Auf jede Krise folgt die Phase der Erholung. Dadurch, dass der Druck abgelassen werden
konnte, kehren die meisten Betroffenen wieder zu ihrem „normalen Grundverhalten“
zurück. Es ist jedoch möglich, dass ein gewisser psychischer und physischer
Erregungszustand über einen längeren Zeitraum nach der Gewalthandlung aufrecht
erhalten bleibt. Hier gilt es besonders sensibel zu sein, denn gut gemeinte Interventionen
können zu einer Wiederholung des Prozesses führen.
Depression nach der Krise
Am Ende nach der Krise plagen oft Schuldgefühle die Betroffenen. Das Ausmaß der
Gewalthandlung wird langsam bewusst und meist haben sie das Bedürfniss sich zu
entschuldigen. Es sollte nun ein spezielles Augenmerk darauf gelegt werden, wie es zu
diesem Zwischenfall kam und wie man dessen Wiederholung eventuell vermeiden könnte.
(Salvatore 2000)
Zusammenfassung und Bezug zur Borderline-Persönlichkeitsstörung
Diese Phasen werden von den Betroffenen in irgendeiner Form immer dann durchlaufen,
wenn es sich um Spannungen handelt. Man sollte jedoch beachten, dass sich bei Menschen
mit einer Boderline-Persönlichkeitsstörung die Gewalt nicht unbedingt nach außen richten
muss. Häufig tätigen die Betroffenen autoaggressive Handlungen. Diese dienen vor allem
33
dem Spannungsabbau. Durch beispielsweise Schneiden, sich Kratzen, mit Zigaretten
Brandwunden setzen usw. versuchen sie sich selbst zu spüren. Grenzwertig wird es
dahingehend, wenn es sich um ein dissoziatives Symptom handelt – wie Verlust über die
Funktion der Körperwahrnehmung.
Für mich ist dissoziatives Verhalten die Spitze der Spannung. Wenn Spannungen nicht
mehr aushaltbar sind, kippen viele Betroffene in dissoziatives Verhalten. Zum Schutz vor
den Spannungen werden wichtige Funktionen unterbrochen.
34
2.11 Bearbeitung der 2. Forschungsfrage
Welche Maßnahmen wirken im Speziellen zum Abbau/Durchbruch
von dissoziativen Störungen?
2.11.1 Die Dissoziations-Spannungs-Skala akut (DSS-akut)
In einem Artikel, Entwicklung und psychometrische Charakteristika der DissoziationsSpannungs-Skala akut (DSS-akut), erschienen in der Fachzeitschrift Psychother Psych
Med (2003), beschreibt Dr. Dipl.-Psych. Christian E. Stiglmayr et al. die Dissoziation
ebenfalls als ein „psychophysiologischer Prozess, dessen wesentlichstes Charakteristikum
in einer Auflösung der normalerweise integrativen Funktionen des Bewusstseins, des
Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umwelt besteht“ (Stiglmayr et al.
2003, S. 287). Weiters wird auf den Unterschied zwischen dem nordamerikanischen und
dem europäischen Verständnis hingewiesen. Im nordamerikanischen Verständnis beziehen
sich diese Phänomene nur auf die Manifestation auf psychisch-kognitiver Ebene. Hingegen
weitet der europäische Raum das Phänomen auf die neurophysiologischen Funktionen der
Sensorik, Sensibilität und Motorik aus.
Laut Artikel gibt es zahlreiche Fremd- und Selbstbeurteilungsinstrumente zur Erfassung
dissoziativer Symptomatik. Hier führt der Autor Fremdbeurteilungsverfahren wie das
klinische Interview für DSM-IV, dissoziative Störung (SKID-D) an. Die Dissoziative
Experience Scale (DES) wäre ein Beispiel für ein Selbstbeurteilungsverfahren.
Seit 1998 existiert ein Instrument zur Erfassung akuter dissoziativer Symptome – die
Clinican-Administered Dissociative States Scale (CADSS). Diese Skala ist jedoch ein
Instrument zur Erfassung der akuten dissoziatven Symptome basierend auf der
Fremdbeurteilung. Laut Stiglmayr et al. gibt es bislang im deutschsprachigen Raum kein
Instrument zur Erfassung der aktuen dissoziativen Symptomatik. Weiters schreibt er, dass
ihm kein Instrument zu diesem Thema bekannt ist, welches auf der Selbstbeurteilung
basiert.
35
2.11.1.1 Die DSS-akut
Diese Skala ist ein Instrument, welches im Rahmen einer Studie, speziell zur Überprüfung
der Wirksamkeit der DBT entwickelt wurde. Eines der Studienziele war die Erhebung von
Veränderungen und Verlauf dissoziativer Symptome. „Zusätzlich zu dissoziativen
Symptomen sollten subjektiv als aversiv erlebte Spannungszustände erhoben werden“.
Die DSS-akut ist eine Selbstbeurteilungsskala und besteht aus 22 Items, welche die akuten
dissoziativen Symptome nach dem europäischen Verständnis erheben soll. Bei der
Ausarbeitung der Items waren klinisch tätige Ärzte und Psychologen, welche bereits
Erfahrung in der Behandlung von Pat. mit dissoziativen Störungen bzw. dissoziativen
Symptomen hatten, beteiligt. Bei den 22 Items gibt es 3 Ausnahmen, den Spannungsitem,
sowie die Items zur Erfassung des Symptomkomplexes der psychologischen bzw.
körperlichen dissoziatver Phänomene.
 Spannungsitem: wichtig zur Erfassung von Schwankungen innerhalb eines Tages
 Psychologischer
Item:
zur
Erfassung
der
Syndrome
Depersonalisation,
Derealisation, Amnesie, Absorption und pseudohalluzinatorisches Erlebnis
 Körperlicher Item: zur Erfassung der Immobilität, optischen und akustischen
Veränderungen, sowie Veränderungen der Sprachgenerierung
Auf der nächsten Seite finden Sie einen Auszug aus der DSS-akut. Die Abbildung aus dem
Originaltext enthält den Eingangstext, sowie jeweils ein Item aus den Symptomkomplexen
der psychologischen und körperlichen dissoziativen Phänomenen der DSS-akut. Primär
soll die Grafik in meiner Arbeit der Veranschaulichung des Instruments (DSS-akut)
dienen.
36
Abb. 2: Eingangstext, „Spannungsitem“ sowie jeweils ein Item aus den
Symptomkomplexen der psychologischen und körperlichen dissoziativen
Phänomenen der DSS-akut
2.11.1.2 Studienergebnisse
Die Anwender der DSS-akut verwenden zur Beantwortung der Fragen eine Skala von 0 bis
9. Der Wert „0“ steht für „keine Empfindung“ und der Wert „9“ für „sehr starke
Empfindung“.
Teilnehmer der Studie waren Frauen im Alter zwischen 18 und 50 Jahren. „Rekrutiert
wurden Patientinnen mit BPS, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Major
Depression,
Schizophrenie
oder
Angststörung
sowie
psychisch
gesunde
Kontrollprobandinnen.“
37
Die Realibität (als Maß der Zuverlässigkeit) der Studie wurde die Split-Hals-Methode nach
Gutmann verwendet. Als zweites Instrument bediente man sich Cronbachs α als Maß für
die innere Konsistenz. Die Auswertung nach Gutmann ergibt ein r von 0,93, Cronbachs α
beträgt 0,94 (Stiglmayr et al. 2003, S. 291).
Die Änderungssensivität wurde zu vier Messzeitpunkten mit der DSS-akut überprüft. Sieht
man sich die entsprechenden Werte in der originalen Tab. 4 des Artikels an (hier Abb. 3),
so ist deskriptiv teilweise zwischen den einzelnen Messzeitpunkten ein deutlicher
Unterschied feststellbar. Inferenzstatistisch kann dies a.G. der geringen Stichprobengröße
nicht bestätigt werden.
Abb. 3: Änderungssensivität
Erstmals wird mit der DSS-akut ein Selbstbeurteilsungsverfahren vorgestellt, welches der
Efassung von akuten dissoziativen Symptomen dient. Als Grundlage für die Skala dienten
Patientinnen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die Ergebnisse von Stiglmayr et
al. bestätigen den „hohen Zusammehang zw. dissoziativen Phänomenen und der als aversiv
erlebten Spannung“ (Stiglmayr et al. 2003, S. 292). Betrachtet man die verschiedenen
Reliabilitätsparameter miteinander und vergleicht sie mit Werten von Fragebögen, welche
die Dissoziation berücksichtigt haben, so könnte man diese als gut einschätzen.
Die DSS-akut zeigt eine gute Diskriminationsfähigkeit, obwohl die Stichprobengröße zum
Teil sehr gering war. Wirft man einen Blick auf die Tabelle der Änderungssensitivität,
erkennt man eine Halbierung des Dissoziationsscores zwischen dem „Tag der Aufnahmen“
und dem „Tag der Entlassung“. Die Belege der Änderungssensitivität sind ausschließlich
deskriptiv, da hier ebenfalls eine geringe Stichprobengröße vorherrscht.
38
2.11.2 Die Skills
2.11.2.1 Was sind Skills und wie werden sie vermittelt?
Marsha Linehan (1993) definiert Skills als kognitive, emotionale und handlungsbezogene
Reaktionen, die sowohl kurz- als auch langfristig zu einem Maximum an positiven und
einem Minimum an negativen Ergebnissen führen. Diese Reaktionen können automatisiert
sein oder bewusst eingesetzt werden.
Laut dieser Definition verwendet jeder Mensch täglich eine Vielzahl von Skills, ohne dass
sie sich dessen bewusst sind. Problematisch bei Menschen mit einer BorderlinePersönlichkeitsstörung ist, dass sie unter emotionaler Belastung häufig dysfunktionale
Reaktionsmuster und Bewältigungsstrategien aktivieren. Dabei werden Skills nur selten
angewendet. Durch das Skillstraining wird versucht, bereits vorhandene Fertigkeiten
bewusst zu machen und neue Fertigkeiten zu erlernen und trainieren. Im Endeffekt geht es
darum, dass die Fertigkeiten so verinnerlicht werden, dass sie auch in Kriesensituationen
angewendet werden können.
Wichtig ist dabei, sich selbst und den Betroffenen immer wieder bewusst zu machen, dass
das
theoretische
Wissen
allein
nicht
zu
Veränderung
von
dysfunktionalem
Erleben/Verhalten führt. Lediglich das Trainieren und Anwenden der Skills kann zu einer
Veränderung führen.
„Die Wirkung der Skills baut sich daher in vier Schritten auf“:
 Schritt I: Vermittlung von theoretischem Wissen
 Schritt II: Individuelle Anpassung der Skills
 Schritt III: Übung mit den Skills unter Non-Stress-Bedingungen
 Schritt IV: Einsatz der Skills als zielförderndes Alternativverhalten
39
2.11.2.2 Die fünf Module des Skillstrainings
 Achtsamkeit
 Stresstoleranz
 Umgang mit Gefühlen
 Zwischenmenschliche Fertigkeiten
 Selbstwert
Achtsamkeit
Ziel dieses Moduls sowie gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung für die Anwendung
von Fertigkeiten ist es, eine „metakognitive Ebene“ zu erreichen, welche eine
selbstreflexive Beobachtung der aktuellen emotionalen Reaktionen ermöglicht. Die
Fertigkeiten dieses Moduls basieren auf der Praxis der Zen-Meditation. Sie soll den Pat.
die Relativierung von aktivierten Emotionen und Kognitionen ermöglichen. Da dieses
Modul eine wichtige Basis des Skillstrainings ist, gilt es darauf zu achten dieses immer
wieder zu wiederholen (z.B. nicht bewertende Beschreibung von Gedanken und Gefühlen).
Stresstoleranz
Hier geht es darum, mit verschiedenen Fertigkeiten die Hochstressphasen zu minimieren
und zugleich die Wahrscheinlichkeit von auftretenden Hochstressphasen zu reduzieren.
Besondere Aufmerksamkeit verlangt dieses Modul vor allem dann, wenn die
Hochspannungen zu ausgeprägten selbstverletzenden Verhaltensweisen führt (z.B. Eisbad,
Sport/Bewegung, starke Sinnesreize).
Umgang mit Gefühlen
Die Fertigkeiten, welche in Zusammenhang mit diesem zentralen Modul erlernt werden,
ermöglichen eine tiefgreifende Veränderung. Thema dieses Moduls sind die theoretischen
Aspekte der Emotionsregulation, sowie Fertigkeiten zum Identifizieren und Regulieren
wichtiger Emotionen (z.B. Gefühlsprotokolle).
40
Zwischenmenschliche Fertigkeiten
Im Mittelpunkt dieses Moduls steht die Verbesserung der sozialen Kompetenz.
Berücksichtigt werden die Aspekte der Planbarkeit und Bewertung sozialer Situationen.
Viele Betroffenen leiden unter ausgeprägter sozialer Phobie. Deshalb erhält dieses Modul
einen hohen Stellenwert in der Alltagsbewältigung (z.B. in Rollenspielen Bedürfnisse
angemessen äußern, Konflikte lösen, sich abgrenzen üben).
Selbstwert
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden oft an einem schwerwiegend
dysfunktionalen Selbstwert. Aus diesem Grunde werden in diesem Abschnitt vor allem
primär kognitive Fertigkeiten vermittelt. Um das Selbstwertgefühl zu verändern, benötigt
es ein gewisses Maß an Selbstreflexion und metakognitiver Fertigkeiten.
Zusätzlich, zu den oben genannten Modulen gibt es noch zwei weitere Module, die
vor allem zu Beginn des Skillstrainings von Bedeutung sind:
 Modul Hintergründe und Fakten
 Modul Einführung in das Skillstraining
Modul Hintergründe und Fakten
Durch dieses Modul sollen die Betroffenen einen kurzen Einblick in das Bio-Soziale
Modell der Borderline-Störung erhalten und die Grundlagen der DBT erfahren. Sie sollten
anschließend beispielsweise ihren Angehörigen vermitteln können, was man unter einer
Borderline-Persönlichkeitsstörung versteht, und welches die Grundannahmen der DBT
sind.
41
Modul Einführung in das Skillstraining
Nach diesem Modul sollten die Betroffenen den Begriff „Skill“ definieren können. Weiters
ist die Unterscheidung zw. funktionalem Verhalten und dysfunktionalem Verhalten ein
wichtiger Abschnitt. Es wird zudem vermittelt, dass Anspannungszustände subjektiv sind
und mittels
Skala visualisiert
werden können. Jeder
Betroffene
sollte seine
Frühwarnzeichen kennen und verstehen, dass verschiedene Skills in verschiedenen
Situationen hilfreich sind. Zudem gilt es sich bewusst zu machen, dass Skills je nach
Person und Situation unterschiedlich wirksam sind.
42
2.11.2.3 Beispiele von Spannungsskalen
Diese beiden Grafiken zeigen zwei unterschiedliche Möglichkeiten, wie man
Spannungszustände messen könnte. In der Abb. 2 wurde eine Skallierung von 0 bis 100%
gewählt. 0% bedeutet keine Anspannung, bei 70% befindet man sich bereits in einem
solchen Spannungszustand, dass man unter Hochstress leidet. Bei 30% ist in etwa der
Punkt, wo die Spannungen schon stark im Vordergrund sind, jedoch noch bewältigbar.
Umso höher man in dieser Spannungskurve steigt, umso schwieriger wird es, mit den
Gefühlszuständen umzugehen.
Abb. 4: Darstellung einer Spannungskurve
43
Abb. 3 zeigt eine ähnliche Spannungseinteilung. Hier wird die Spannung ebenfalls in
einem Bereich von 0 bis 100% gemessen. Der Unterschied zur oberen Spannungskurve ist
der, dass hier nicht primär eingezeichnet wird wo man sich auf der Skala befindet. In
dieser Skala liegt das Hauptaugenmerk auf den Gedanken, Gefühlen, körperlichen
Merkmalen und dem Verhalten in einer bestimmten Anspannungsphase. Durch das
ausfüllen dieser Skala sollten die Betroffenen ein größeres Bewusstsein für ihre
Anspannung und dessen Begleiterscheinungen/Frühwarnzeichen entwickeln. (Bohus, Wolf
2009)
Abb. 5: Möglichkeit einer Spannungskurve zur Erfassung der Gefühle
2.11.2.4 Wirksamkeit der Anwendung von Skills
In dem Artikel „Das Skilltraining und die poststationäre Effektivität der stationären
Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) nach sechs Monaten“ wird eine Studie
beschrieben, die unter anderem den „Zusammenhang zwischen der poststationären
Anwendung der erlernten Skills und der Symptomreduktion 1 bzw. 6 Monate nach
Entlassung“ (Dams et al. 2007, S. 19) darlegen soll.
44
64 Patienten/innen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung wurden gebeten einen
Fragebogen auszufüllen und diesen anschließend zurückzusenden. Im Endeffekt gelangten
38
Fragebögen
wieder
retour,
16
Patienten/innen
konnten
auf
Grund
von
Adressabweichungen nicht erreicht werden.
Die Studie berichtet von einem allgemeinen Rückgang der psychopathologischen
Belastung nach der DBT. In einer Grafik zum poststationären Einsatz von Skills lässt sich
entnehmen, dass die Skills zur Bewältigung der Stresstoleranz nach 6 Monaten deutlich
weniger verwendet wurden (nach 1 Monat 68% - nach 6 Monaten 41%). Die Skills zum
Umgang mit Emotionen verwenden zu Beginn die Hälfte (51%) der Befragten mehrmals
pro Woche. Allerdings gibt es hier kaum einen Unterschied zwischen der Anwendung nach
einem Monat und der Anwendung nach 6 Monaten. Die Fertigkeiten der anderen Module
verhalten sich ähnlich. Skills im Bereich der Dissoziationen (41%), Achtsamkeitsübungen
(38%) und soziale Kompetenz (35%) werden von den Patienten/innen (den Prozentzahlen
entsprechend) mehrmals wöchentlich angewandt.
Nach einem halben Jahr sind die Werte der Fertigkeiten im Bezug auf die Dissoziation und
Achtsamkeitsübungen annähernd gleich. Auffallend ist die Zunahme der Verwendung von
Skills im Bereich der sozialen Kompetenz (52%). (Dams et al. 2007)
45
3 SCHLUSSTEIL
Wenn man sich den theoretischen Teil (Geschichte, Ursache, Verlauf, Symptome usw.)
über die Borderline-Persönlichkeitsstörung genauer betrachtet, so wird einem schnell
bewusst, wie komplex dieses Krankheitsbild ist.
Menschen mit dieser Erkrankung kommen meist nur zur Krisenintervention in das LKH-R.
Die Aufenthalte sind je nach Schweregrad der Erkrankung unterschiedlich lang und die
Spannungszustände von Person zu Person unterschiedlich intensiv.
In den Praktikaeinsätzen habe ich teilweise miterlebt, wie eine gewisse Anspannung im
Team vorhanden ist, wenn Menschen mit dieser Erkrankung stationär sind. Man könnte
fast sagen, dass alle Teammitglieder ihre Fühler ausstrecken und vermehrt auf
Frühwarnzeichen achten, welche einen solchen Spannungszustand ankündigen. Ein Teil
der pflegerischen Aufgaben im Bezug auf diese Menschen liegt darin, solche
Spannungszustände mit den Betroffenen auszuhalten. Wir sind diejenigen, die darauf
achten müssen, dass sich die Betroffenen nicht selbst Schaden zufügen und auch keine
anderen Personen schädigen. Zudem sind wir häufig diejenigen, die gemeinsam mit den
Betroffenen die Ursachen der Erkrankung erarbeiten (über das Störungsbild aufklären),
gezielt an ihren Coping-Strategien arbeiten und ihnen neue Möglichkeiten aufzeigen.
3.1 Zusammenfassung und Erläuterung der ersten
Fragestellung
Welche nicht medikamentösen alternativen Methoden gibt es, um akute Spannungen
bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen abzubauen?
Während meiner Literaturrecherche bin ich auf viele Möglichkeiten gestoßen. Häufig
wurden diese jedoch in Erfahrungsberichten und Studien nur am Rande erwähnt. Aus
diesem Grunde habe ich mich entschieden, nur einige wenige Methoden an- und
auszuführen.
46
3.1.1
Die
Progressive Muskelentspannung nach Jakobs
progressive
Muskelentspannung
nach
Jacobs
ist
eine
von
vielen
Entspannungsverfahren. Im gleichen Zusammenhang finden sich oft auch die Begriffe
Autogenen Trainings und Yoga. Der Vorteil der progressiven Muskelentspannung liegt
darin, dass sie in fast allen Situationen angewendet werden kann. Die Durchführung der
Maßnahmen gestalten sich als einfach und können sowohl im Liegen, wie auch im Sitzen
angewendet werden. Betrachtet man die Wirkung der progressiven Muskelentspannung, so
kann man sowohl positive als auch negative Aspekte herausfiltern. Durch das Anwenden
dieser Methode kann der Blutdruck gesenkt werden und es ist ein positiver Effekt in Bezug
auf die Schlafstörungen der Befragten erkennbar. Bei Spannungskopfschmerzen berichtet
die Fachliteratur von einem größeren Effekt, wenn Progressive Muskelentspannung als
Coping-Strategie angewendet wird und nicht nur als Übung zum Entspannen der Muskeln.
Ich möchte jedoch nicht nur die positiven Effekte herausheben. Es liegt an uns, die
Betroffenen auch über die negativen Effekte zu informieren. Hierzu zählen z.B.
entspannungsinduzierte Angstzustände, Schwindelzustände, Muskelspasmen, sowie die
Möglichkeit
einer
Verschlechterung
der
Symptomatik
durch
die
intensive
Selbstwahrnehmung.
3.1.2
Notfallkoffer
Als zweite Methode habe ich den Notfallkoffer angeführt. Wie dem Haupttext zu
entnehmen ist, handelt es sich hierbei um einen spezifischen Teil der Skills, welche aus der
DBT stammen. Speziell zum Notfallkoffer habe ich keine brauchbaren Studien gefunden.
Allerdings bin ich auf einige Aussagen, Statements von Betroffenen gestoßen, die ich
gerne anführen möchte.
Karen schreibt beispielsweise: „Ich habe meinen Notfallkoffer in der Skilssgruppe gepackt.
Ich hatte ihn immer dabei, aber habe ihn fast nie benutzt, es war eine bestimmte Sicherheit,
die er mir gegeben hat“ (Karen, zitiert nach Knuf und Tilly 2007, S. 87)
Pascal hingegen erwähnt, dass für ihn Krisen immer mit einem hohen Druck verbunden
sind. Für ihn heißt das, er muss vor der Krisenbewältigung zuert seinen Druck regulieren.
Aus diesem Grunde verwendet er den Notfallkoffer.
47
Ein weiterer Betroffener berichtet über eine schriftliche Form des Notfallkoffers. Er hat ein
Dokument an sich selbst geschrieben, welches ihn daran erinnert, bei einem Gefühl von
innerer Leere oder Einsamkeit ins Fitness-Studio zu gehen, oder sich in ein Café zu
setzten. Wenn er eine der beiden Möglichkeiten gewählt und auch angewendet hat, so gehe
es ihm besser. (Knuf, Tilly 2007)
Wie sich aus diesen drei Beispielen erkennen lässt, kann der Notfallkoffer aus
verschiedenen Gründen angelegt werden. Zudem enthält er auch ganz individuelle Dinge,
welche genau auf eine Person abgestimmt sind. Es handelt sich hierbei also um eine
individuelle Methode. Der Notfallkoffer sollte meiner Meinung nach von den Betroffenen
möglichst kreativ und individuell gestaltet werden, denn Dinge die nicht auf einen
zugeschnitten sind, können nicht den gleichen Effekt erzielen, wie Dinge mit einer
persönlichen Note.
3.1.3
Musiktherapie bei Borderline-Persönlichkeitsstörung
Ergänzend und aus persönlichem Interesse habe ich die Musiktherapie als weitere Methode
angeführt. Wenn ich mir diese Methode aus dem interdisziplinären Blickwinkel betrachte,
so erachte ich es als wichtig, dass auch die Pflege über die Funktionen der Musik bescheid
weiß. Häufig sind wir diejenigen, die den Betroffenen die Musiktherapie etwas näher
bringen und ihnen die Gründe für eine solche Therapie vermitteln.
Nimmt ein Betroffener bereits an der Musiktherapie teil und lernt beispielsweise den
Umgang mit einer Trommel als Katalysator für seine Gefühle, so liegt es an uns die erlente
Coping-Strategie auch auf der Station zu fördern. Es macht meiner Meinung nach keinen
Sinn, wenn das Trommelspiel als Methode zum Spannungsabbau in der Therapie
verwendet wird, auf der Station und im Alltag aber keine Anwendung findet. Die Pflege
hat in dieser Konstellation eine wichtige Rolle. Sie erinnert und motiviert den Betroffenen
zur Anwendung des Erlenten.
3.1.4
Allgemein
Meine Fragestellung zu alternativen Methoden im Spannungsabbau kann ich mit Ja
beantwortet. Es gibt viele verschiedene Methoden und ich habe nur einige wenige in meine
48
Arbeit miteinbezogen. Wichtig erscheint mir noch zu erwähnen, dass die Methoden sehr
unterschiedlich sind und individuell an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst werden
müssen. Hier kann vor allem die Anamnese wichtige Hinweise liefern.
3.2 Zusammenfassung und Erläuterung der zweiten
Fragestellung
Welche Maßnahmen wirken im Speziellen zum Abbau/Durchbruch von dissoziativen
Störungen?
Die Beantwortung dieser Frage gestaltete sich für mich schwieriger, wenn ich mir vor
Augen führe was der Begriff dissoziative Störung/Reaktion bedeutet. Nimmt man
beispielsweise noch einmal Bezug auf die Erklärung nach Dulz und Schneider (2001), so
handelt
es
sich
um
Dämmerzustände,
bis
hin
zu
gravierenden
Bewusstseinsbeeinträchtigungen. Je nach Intensität dieser Phase ist das Erlebnis noch
erinnerlich oder nicht. Es stellt sich also die Frage, wie schwerwiegend bzw. tiefgreifend
die gerade vorhandene dissoziative Störung ist. Handelt es sich um eine gravierende
Bewusstseinsbeeinträchtigung bin ich mir nicht sicher, ob ich den Betroffenen durch meine
Interventionen erreichen kann.
3.2.1
Die DSS-akut
In der Anwendung der DSS-akut haben Betroffene die Möglichkeit ihre aktuellen Gefühle,
Gedanken, Wahrnehmungen usw. in einem Selbstbeurteilungsinstrument zu erfassen.
Aufgrund der geringen Stichprobengröße ist die Wirksamkeit der DSS-akut für mich noch
nicht gesichert. Dieses Instrument steht sozusagen noch in der Entwicklungsphase und
kann meiner Meinung nach erst dann richtigt bewertet werden, wenn ausreichend
Datenmaterial vorhanden ist.
3.2.2
Die Skills
Die einzige, nicht medikamentöse Methode, welche speziell bei dissoziativen Störungen
angewendet werden kann, stellt nach meiner Literaturrecherche die Anwendung von Skills
49
dar. Das Skilltraining vermittelt den Betroffenen Hintergrundwissen bzgl. ihrer
Erkrankung und soll zur Festigung von Fertigkeiten in bestimmten Bereichen dienen. Das
Modul der Stresstoleranz behinhaltet Maßnahmen, welche beispielsweise auf die
Körperwahrnehmung Einfluss nehmen. Wie im Hauptteil erwähnt beinhalten dissoziative
Symptome auch eine Störung der Körperwahrnehmung. Durch ein Eisbad könnte die
Wahrnehmung aktiv gefördert werden. Wichtig ist allerdings, diese Extremsituation in
einem normalen Zustand auszuprobieren.
Bei Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen können wir von der Pflege die Betroffenen
motivieren, ein Gefühlsprotkoll zu erstellen und dieses gemeinsam mit ihr/m zu einem
späteren Zeitpunkt reflektieren.
Hilfreich
zur
Erfassung
der
Spannungsintensität,
empfinde
ich
sogenannte
Spannungsskalen. Diese können in verschiedenen Formen und ganz individuell
angewendet werden. Sie bieten dem Betroffenen Struktur und können eventuell dazu
beitragen, dass sie sich bei Veränderung der Spannungsintensität bei der Pflege melden. In
meinen Praktikaeinsätzen habe ich den Umgang mit Spannungsskalen trainiert und
empfand diese als hilfreich für die Betroffenen und die Pflege.
Ich bin aber auch der Meinung, dass ganz schwere dissoziative Störungen vorübergehend
nicht ohne Medikamente behandelt bzw. bewältigt werden können.
3.3 Fazit
Es gibt verschiedene nicht medikamentöse Methoden, die im Umgang mit akuten
Spannungszuständen hilreich sein können. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die
Methoden individuell auf die Betroffenen angepasst werden und eventuell an früher
Bewältigungsstrategien bzw. Interessen anknüpfen.
Aus diesem Grunde möchte ich alle Pflegenden dazu motivieren ressourcenorientiert zu
arbeiten und nach individuellen Coping-Strategien zu suchen.
Betrachtet man sich die Grenze zwischen akuten Spannungszuständen und Dissoziativen
Störungen, so könnte man sagen, dass die Intervention bei Spannungszuständen bereits das
Risiko für Dissoziative Störungen verringert. Ist eine solche Störung erst einmal in den
50
Fordergrund gerückt, gestaltet es sich als sehr schwierig, diese ohne die Unterstützung von
Medikamenten zu bewältigen.
Es liegt also an unsPflegenden, die Frühwarnzeichen für Spannungen mit den Betroffenen
zu erarbeiten, diese zu erkennen und gemeinsam mit den Betroffenen zu reflektieren.
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung benötigen relativ oft die
Unterstützung durch die Pflege, da sie selbst meist nicht in der Lage sind adäquat auf ihre
Frühwarnzeichen zu reagieren und erlente Coping-Strategien anzuwenden.
51
4 ANHANG
4.1 Abkürzungsverzeichnis
a.G.
auf Grund
Abb.
Abbildung
BPS
Borderline-Persönlichkeitsstörung
bzgl.
bezüglich
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CADSS
Clinician-Administered Dissociative States Scale
d.h.
das heißt
DBT
Dialektisch-Behaviorale Therapie
DES
Dissoziative Experience Scale
DSM IV
Diagnostic and Statistical Manual IV
DSS-akut
Dissoziations-Spannungs-Skala akut
et al.
et alii (m), et aliae (w), et alia (n) – und andere
evt.
eventuell
FBA
Fachbereichsarbeit
ICD 10
International Classification of Diseases 10
LKH-R
Landeskrankenhaus Rankweil
Pat.
Patienten
PTBS
Posttraumatische Belastungsstörung
S.
Seite
SKID-D
Strukturiertes Klinisches Interview für DSM IV – Dissoziative Störungen
SSV
selbstschädigendes Verhalten
usw.
und so weiter
z.B.
zum Beispiel
zw.
zwischen
52
4.2 Abbildungsverzeichnis
 Abb.1: Die typischen Angriffsphasen
Quelle: Breakwell G. M. (1998): Aggression Bewältigen. Bern: Huber
 Abb.2: Eingangstext, „Spannungsitem“ sowie jeweils ein Item aus den
Symptomkomplexen
der
psychologischen
und
körperlichen
dissoziativen
Phänomenen der DSS-akut
Quelle: Stiglmayr Chrsistian E., Braakmann Diana, Haaf Brigitte, Stieglitz RolfDieter, Bohus Martin (2003): Entwicklung und psychometrische Charakteristika
der Dissoziations-Spannungs-Skala akut (DSS-aktu). Psychother Psych Med,
53/2007, S. 287-294
 Abb. 3: Änderungssensivitä
Quelle: Stiglmayr Chrsistian E., Braakmann Diana, Haaf Brigitte, Stieglitz RolfDieter, Bohus Martin (2003): Entwicklung und psychometrische Charakteristika
der Dissoziations-Spannungs-Skala akut (DSS-aktu). Psychother Psych Med,
53/2007, S. 287-294
 Abb. 4: Darstellung einer Spannungskurve
Quelle: Bohus Martin, Wolf Martina (2009): Interaktives Skillstraining für
Borderline-Patienten. Manual zur CD-Rom für die therapeutische Arbeit. Stuttgart:
Schattauer Verlag
 Abb. 5: Möglichkeit einer Spannungskurve zur Erfassung der Gefühle
Quelle: Bohus Martin, Wolf Martina (2009): Interaktives Skillstraining für
Borderline-Patienten. Manual zur CD-Rom für die therapeutische Arbeit. Stuttgart:
Schattauer Verlag
53
4.3 Literaturverzeichnis
4.3.1
Bücher
 Bertelsmann (1995): Lexikon der Psychologie: Gütersloh: Bertelsmann-LexikonVerlag
 Bohus Martin, Wolf Martina (2009): Interaktives Skillstraining für BorderlinePatienten. Manual zur CD-Rom für die therapeutische Arbeit. Stuttgart: Schattauer
Verlag
 Breakwell G. M. (1998): Aggression Bewältigen. Bern: Huber
 Dulz, Schneider (2001): Borderline-Störungen: Theorie und Therapie. Stuttgart:
Schattauer Verlag
 Eckhardt-Henn Annegret (2004): Dissoziative Bewusstseinsstörungen. Theorie,
Symptomatik, Therapie. Stuttgart: Schattauer Verlag
 Fleischhaker Christian, Schulz Eberhard (2010): Borderline-Störungen. Manuale
psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Heidelberg: Springer-Verlag
 Herpertz-Dahlmann Beate, Resch Franz, Schulte-Markwort Michael, Warnke
Andreas (2007): Entwicklungspsychiatrie. Biopsychologische Grundlagen und die
Entwicklung psychischer Störungen. Stuttgart: Schattauer Verlag
 Knuf Andreas, Tilly Christian (2007): Borderline: Das Selbsthilfebuch. Bonn:
Balance Buch und Medien Verlag
 Remmel
(2006):
Handbuch
Körper
und
Persönlichkeit:
Entwicklungspsychologische und neuropsychologische Grundlagen der BorderlineStörung. Stuttgart: Schattauer Verlag
 Schröder Hartwig (1985): Grundwortschatz Erziehungswissenschaften. Ein
Wörterbuch der Fachbegriffe von „Abbilddidaktik“ bis „Zielorientierung“.
München: Ehrenwirt.
54
4.3.2
Dissertationen
 Arndt Michael (2007): Transfer von Entspannungsverfahren aus der stationären
Rehabilitation in den Alltag. Homburg/Saar: Aus dem Institut für Psychoanalyse,
Psychotherapie und Psychosomatische Medizin der Medizinischen Fakultät der
Universität des Saarlandes.
 Friedrich Maria, Wechselberger Susanne (2009): Persönlichkeitsstörungen.
Borderline Persönlichkeitsstörung. Rankweil: P-GUKPS 2009. 2 Ausbildungsjahr
(Skript für den Unterricht)
 Lüders Stephan (2001): Borderline-Störungen. München: GRIN-Verlag GmbH
 Salvatore Michael (2007): Studienarbeit zum Thema Gewalt Schwerpunkt:
Erklärungsansätze/Theorie. München: GRIN-Verlag GmbH
4.3.3
Artikel
 Dams Andreas, Schommer Nicole, Röpke Stefan, Heuser Isabella, Lammers ClaasHinrich (2007): Das Skilltraining und die poststationäre Effektivität der stationären
Dialektische-Behavioralen Therapie (DBT) nach sechs Monaten. Psychother Psych
Med, 57/2007, S. 19-24
 Martin Bohus, Christian Schmahl (2006): Psychopathologie und Therapie der
Borderline-Persönlichkeitsstörung. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 103, 2006, Heft 49 –
A3345
 Stiglmayr Chrsistian E., Braakmann Diana, Haaf Brigitte, Stieglitz Rolf-Dieter,
Bohus Martin (2003): Entwicklung und psychometrische Charakteristika der
Dissoziations-Spannungs-Skala akut (DSS-aktu). Psychother Psych Med, 53/2007,
S. 287-294
55
4.3.4
Internet
 Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Bearbeitungsstand:
09.
In:
Februar
Wikipedia,
2011,
Die
21:21
freie
Enzyklopädie.
UTC.
URL:
http://de.wikipedia.org/wiki/Borderline-Pers%C3%B6nlichkeitsst%C3%B6rung
(Konsum 11/02/15, 13:51)
 Dr. Löhmer Cornelia (2009): Progressive Muskelentspannung nach Edmund
Jakobs.
Online
im
Internet:
http://www.progressive-muskelentspannung.de/
(11/01/24, 19:03)
 Fellner Richard L. (2003): Zitieren von Quellen im Internet. Online im Internet:
Borderline-Persönlichkeitsstörung auf:
http://www.psychotherapiepraxis.at/artikel/borderline/borderline.phtml
(11/01/12,
18:43)
 www.borderline-plattform.de (15.12.2010/15:44 Uhr)
 Zadrazil Ewald (2007): Borderlinestörung: Diagnostische Kriterien. Online im
Internet: http://www.praxis-zadrazil.at/private/wissen_borderline.htm (11/01/12,
22:28)
56
5 EIGENSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG
Hiermit erkläre ich, Knünz Kerstin, dass die hier vorliegende Fachbereichsarbeit von mir
eigenständig erstellt wurde. Zur Erstellung dieser Arbeit habe ich keine anderen Behelfe
als die im Literatur- und Abbildungsverzeichnis angeführte Literatur verwendet.
Röthis, am 24.02.2011
Unterschrift
57
Quelle: http://www.borderline-plattform.de/%C3%BCber-borderline
Zugriff am 21.02.2011 um 17:10
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