Harry Harun Behr [ PDF-Dokument | 102 KB ]

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Worin liegt die Zukunft der islamischen Religionspädagogik in Deutschland?
Harry Harun Behr
Am 29. Januar 2010 veröffentlichte der Deutsche Wissenschaftsrat seine Empfehlungen zur
Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen
Hochschulen. Diese wurden auch in muslimischen Kreisen aufmerksam wahrgenommen, weil
sie mit dem Abschnitt „A.V.3. Islamische Religionspädagogik und Islamische Religionslehre“
auf den Fachbereich „Islamische Studien“ und in diesem Zusammenhang auch auf
„Islamische Religionspädagogik“ zu sprechen kommen. Dort steht, neben Stichwörtern wie
Imam-Ausbildung oder wissenschaftlicher Nachwuchs, die Frage der Ausbildung von
Lehrkräften für das Fach Islamische Religionslehre an den öffentlichen Schulen in
Deutschland im Vordergrund. Ein Zyklus von Fachtagungen, der im Sommer 2010 vom
Wissenschaftsrat in Berlin, Münster und Köln durchgeführt wurde, führte die einschlägigen
religionsbezogenen Fachdisziplinen und ihre Fachvertreterinnen und -vertreter zusammen.
Die Tagung vom 13. und 14. Juli 2010 in Köln widmete sich dem Themenbereich „Islamische
Studien“. Eines der Foren befasste sich mit der Zukunft der Islamischen Religionspädagogik
in Deutschland. Der vorliegende Beitrag beruht auf dem Referat, das der Verfasser dort
gehalten hat.
Vorbemerkung
Religionspädagogik wird in der Öffentlichkeit nicht als zukunftsweisender Fachbereich
wahrgenommen. In den Augen jener, die sich mit ihr beruflich auseinanderzusetzen haben,
gilt sie als eine typische Anwendungsdisziplin, die eine Reihe von Dingen zu leisten hat. Was
von ihr erwartet wird, verweist weniger auf die Religionspädagogik als forschende Disziplin
selbst als vielmehr auf bestimmte berufliche Handlungsfelder, in denen Religion zum Thema
wird. An prominenter Stelle steht dabei der schulische Religionsunterricht; Fragen der
Sozialbetreuung, der Gemeindepädagogik oder der Medienforschung stehen demgegenüber
eher am Rande des wissenschaftlichen Diskurses – an den Universitäten zumindest, denn an
den Fachhochschulen verschieben sich die Gewichtungen. Das liegt dort an der engeren
Kooperation zwischen solchen Wissenschaften, die vorrangig die Professionalisierung im
beruflichen Handlungsfeld im Blick haben. Was jedoch die Universität angeht, muss
gelegentlich in Erinnerung gerufen werden, dass die Religionspädagogik eine eigene
wissenschaftliche und im Besonderen akademische Disziplin ist.
Was heißt das konkret? Die Zukunft einer islamischen Religionspädagogik (Einer Pädagogik
des Islams? Einer Pädagogik von Muslimen für Muslime?) erschöpft sich nicht darin, dass
muslimische Professoren muslimische Lehrkräfte ausbilden, muslimische Schülerinnen und
Schüler in einem islamischen Religionsunterricht mit Islam zu beschulen. Die mit den
unterschiedlichen Religionen implizierten Einheiten des jeweils eigenen Bekenntnisses,
spezifischer normativer Strukturen und dazugehöriger Personen verweisen auf das, was von
den Religionsgemeinschaften, in Abgrenzung voneinander, als ihre eigene Deutungs- und
Gestaltungsmacht identifiziert wird, nicht aber auf ein wissenschaftlich begründbares
Paradigma. Religionspädagogik steht deshalb im Dienste dessen, was in den
Zuständigkeitsbereich institutionalisierter Religion fällt, und wird gern als die Wissenschaft
von der schulischen Vermittlung im Dienste etablierter Theologie verstanden – dies indes
weniger von Religionspädagogen selbst als vielmehr von solchen, die sie in Anspruch
nehmen.
Zum Konfliktfall für die islamische Religionspädagogik kann dabei werden, dass sie als
akademische Disziplin in Deutschland gegenwärtig besser etabliert ist als die islamische
Theologie – das zeichnen die Empfehlungen des Deutschen Wissenschaftsrats eindeutig nach.
Die Art von Theologie, wie sie von Seiten der islamischen Religionspädagogik betrieben
wird, wird deshalb als ein Phänomen des Übergangs wahrgenommen: Die wenigen heute an
den deutschen Universitäten exponierten Fachvertreter der islamischen Religionspädagogik in
Deutschland decken gleichsam subsidiarisch die theologischen Fragestellungen ab, bis ihnen
diese Aufgabe von den „eigentlichen“ Theologinnen und Theologen abgenommen wird.
Eine willkommene und notwendige Entlastung, gewiss, aber zugleich ein Missverständnis:
Religionspädagogik betreibt ihre eigene Form theologischer Expertise. Das hat mehrere
Gründe. Ein Grund liegt darin, dass die Schülerinnen und Schüler allen gegenwärtig
geltenden Religionslehrplänen zufolge in theologischen Kompetenzen geschult werden sollen.
Das heißt: Sie sollten befähigt werden, die Welt regelgeleitet religiös zu deuten und sich als
religiöse Subjekte zur Welt zu positionieren. Sie sollen dabei auch befähigt werden, sich zum
in der Religion Tradierten zu positionieren.
Letzteres ist eine Zielangabe, die sich für den Islam aus zwei Gründen spannend gestaltet: Mit
der akademischen Bearbeitung des Islams als Lehre werden kulturräumliche und sprachliche
Grenzbereiche durchschritten – und zwar von den Muslimen selbst. Und von ihnen wird
nichts Geringeres erwartet als genügend emanzipatorisches Potenzial freizusetzen, um zu
einer Reformulierung des Islams zu finden, die als anschlussfähig gilt, und zwar an die
zivilgesellschaftlichen Standards was Normen, Werte, Rechtsgüter und die subjektive Ethik
angeht.
Ein weiteres Argument für die eigene theologische Expertise islamischer Religionspädagogik
liegt darin, dass bis in die gegenwärtige Literatur zur islamischen Bildungslehre die
Religionslehrkräfte als Personen gelten, die mit der religiösen und pädagogischen
Letztverantwortung als ihrer Pflicht und ihrem Recht Rede und Antwort stehen. Sie können
sich dabei weder hinter dem staatlichen Auftrag, der heiligen Schrift oder der religiösen
Institution verbergen, sondern treten selbst nach vorne – sie treten gleichsam als Personen für
die Religion ein, indem sie sie im ansonsten religionsneutralen Fächerkanon der öffentlichen
Schule vertreten. Das verlangt ihnen eine persönliche religiöse Orientierung und damit nicht
unerhebliche Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften ab, noch bevor sie die
Tür des Klassenzimmers durchschreiten.
Islamische Religionspädagogik schöpft dabei aus ihren eigenen reichen Traditionen. Sie ist
keine islamische Variation christlicher Religionspädagogik. Dieser Hinweis sei deshalb
gestattet, weil sich viele muslimische Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den oben
erwähnten Tagungen nicht ganz des Eindrucks erwehren konnten, dort werde einem Islam mit
dezidiert protestantischer Signatur das Wort geredet – das sei typisch deutsch. Das fiel
übrigens auch Fachvertretern aus dem Ausland überraschend deutlich auf, die in ihren
jeweiligen Ländern ganz andere Diskurse führen. Das ist auch nicht weiter schlimm – was
bleibt denen, die sich – und dafür gebührt ihnen Anerkennung – nun schrittweise mit der
Grammatik des Islams vertraut machen, anderes übrig, als sich der eingeübten Muster der
Beobachtung und Klassifizierung zu bedienen? Just um die Notwendigkeit dieses Diskurses
um diese Muster und um die Eigenständigkeit Islamischer Studien als notwendige Bedingung,
neue Muster einzuüben, dreht sich ja das Papier des Wissenschaftsrates.
Mitverantwortlich für die hier angezeichnete Problemlage aber könnte das Papier des
Wissenschaftsrats selbst ein: Es nimmt ja nicht nur die Islamischen Studien in den Blick,
sondern führt einen – zugegeben gut gelungenen – Rundumschlag in Richtung weiterer
Disziplinen: die christlichen Theologien, die Religionswissenschaften, die
Islamwissenschaften und die Judaistik. Damit aber sind Fachbereiche angetippt, die sich an
unterschiedlichen Universitätsstandorten in der einen oder anderen schwierigen Situation
befinden. Wegbrechende Studierendenzahlen, unvorteilhafte Spezialstudiengänge ohne
Zukunft, ein diffuses wissenschaftliches Selbstverständnis, ein misslungener Anschluss an die
empirische Forschung und ein Mangel an interdisziplinärer Verankerung deuten mehr auf den
Überlebenskampf als auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Dem Verfasser ist keine Empfehlung des Wissenschaftsrats bekannt, die nicht strukturbildend
gewirkt hätte. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass solche Empfehlungen Auswirkung
darauf haben, wohin Fördermittel fließen. Hinter dem kollegialen Zugriff auf die Islamischen
Studien steckt also auch die Aussicht auf neue Themen, gestiegenes Prestige und frisches
Geld. Daran ist nichts auszusetzen, ganz im Gegenteil. Allerdings führt das momentan zu
einer Beschleunigung von Prozessen und ihren Akteuren im Feld des Islams in Deutschland,
denen noch mehr Zeit gegeben werden müsste, sich zu entwickeln. Darauf verweisen die
„Entschleuniger“, während die „Beschleuniger“ darauf bauen, dass sich der über
Mittelzusagen aufgebaute Zugzwang am ehesten dazu eignet, sowohl die innermuslimische
Konsolidierung wie auch die Disziplinierung voranzutreiben. Beide haben auf ihre eigene Art
und Weise Recht.
Die Thematik, und das Argument spricht für das zügige Prozedere, hat auch ihre
integrationspolitische Bedeutung. In diesem Beitrag soll nun nicht auf die Fragen der
Integration eingegangen werden. Selbstredend stehen für die Religionspädagogik des Islams
in Deutschland Menschen im Zentrum, die Migrationserfahrung haben oder zumindest mit der
Migrationserfahrung ihrer Eltern oder Großeltern identifiziert werden. Die geläufigen
Vereinfachungen, „die Muslime in Deutschland“ als Zielgruppe zum Beispiel, mögen in
einem essenzialistisch und bisweilen territorial anmutenden Kultur- und Religionsbegriff
begründet liegen, der noch die überwiegende Mehrzahl der Publikationen regiert. Die
Prozessstrukturen religiöser Gegenwarts- und Alltagskulturen oder auch des Lebensentwurfs
religiös autonomer Subjekte mit ihren ganz eigenen Biografien bilden in der
wissenschaftlichen Forschung bis auf wenige Ausnahmen noch eine Randnotiz.
Keine Randnotiz ist, dass Integration als Berufungshorizont politischen Handelns auf
Menschen mit Namen und Gesichtern verweist, die Integration als Leistung erbringen: ihre
Integration in eine Gesellschaft, die in sozialer Hinsicht horizontal und vertikal mobil ist, die
mit Blick auf Ideen und Weltanschauungen neugierig und, was Religion in ihrer
institutionalisierten Form angeht, kritisch eingestellt ist. Beim Islam zumal. Befinden sich,
wie es unlängst wieder hieß, „Türken“ und „Araber“ denn nicht in einer selbstverschuldeten
prekären sozialen Situation, die auf den Islam zurückzuführen ist? Und wie kann der Islam
dort Lösungen für Probleme anbieten, wo er als Ursache wahrgenommen wird?
Gehört „Bildungsferne“ zum Referenzrahmen einer Religionspädagogik, die sich bevorzugt
dem Bild vom bildsamen Menschen widmet? Eindeutig ja, denn der so genannte
lebensweltliche Bezug des Religionsunterrichts gehört ebenso zum fachdidaktisch
begründeten Paradigma wie seine Rückbindung an das normative System der Deutung von
Welt und Mensch. Die Moderation zwischen religiöser Interpretation der Welt und weltlicher
Infragestellung der Religion, zwischen Institution, Inszenierung und Intention einer Religion,
und nicht zuletzt die zwischen Subjekt und System bildet die Plattform
religionspädagogischer Forschung, Lehre und Anwendung.
Zugegeben, die Chancen und Risiken islamischer Religionspädagogik liegen um so enger
beieinander, je gehobener der Anspruch. Wer die islamische Religionspädagogik vertritt, hat
es aber mit einem dreifachen Prestigeproblem zu tun. Erstens: Die Pädagogik als weiche
integrative Wissenschaft gilt schon per se im Kanon der geisteswissenschaftlichen Fächer als
anfällig für Ideologien und als nicht immer ganz auf der Höhe mit den Standards, wie sie in
ihren harten Bezugswissenschaften (Soziologie, Psychologie) vertreten werden. Zweitens:
Der Religionswissenschaft haftet der Ruch an, sich mit ihren Vorannahmen just in dem
normativen Gewebe zu verheddern, das sie eigentlich helfen soll zu entflechten. Drittens: Der
Islam gestattet, so eine weit verbreitete Ansicht in universitären Kollegien, seinen Anwendern
nicht die für Forschung notwendige Distanz.
Vielleicht liegt auch hier ein Motiv für die onkelhafte Umarmung der Islamischen Studien –
eine Mischung aus Fürsorge und Vorsorge. Fürsorge vielleicht, wie es der Dekan einer
theologischen Fakultät einer deutschen Universität kürzlich verriet. Er vertrat dem Verfasser
gegenüber die Ansicht, mit den an seiner Universität vorfindlichen Muslimen ließe sich keine
Theologie betreiben – „die sollen ihren Kant lesen, denn der Islam kennt ja keine
Aufklärung.“ Und Vorsorge vielleicht, wie es der Islambeauftragte einer Landeskirche
gegenüber dem Verfasser zum Ausdruck brachte: „Mit eurer liberalen Art, als Muslime mit
eurem Islam Theologie zu betreiben, seid ihr für unsere etablierten religiösen Systeme eine
echte Bedrohung – und zwar dann, wenn sich euer Weg als die interessantere Methode
erweisen sollte, überhaupt echte Theologie zu betreiben, ich meine nicht das Gebrabbel von
Theologen für Theologen, sondern die echte Botschaft für die da draußen.“
Schließlich lässt sich noch festhalten, dass es sich bei der islamischen Religionspädagogik
auch nicht um eine weitere religiöse Variation allgemeiner Pädagogik handelt, sondern
vielleicht ganz einfach nur um eine pädagogische Schule im Sinne einer Denkschule des
Islams. Um das zu verdeutlichen, lohnt es sich, ein Stück zurückzugehen und zu versuchen,
der pädagogischen Signatur des Islams selbst nachzuspüren. Das Verständnis der eigenen
Fachtraditionen (Plural!) kann helfen, die Zukunft, die hier Thema ist, besser einzuschätzen.
Dazu soll, was hier zu sagen sein wird, einmal der Übersicht halber grob in vier Thesen
gegliedert werden: die grundsätzliche, die schulische, die gesellschaftliche und die
wissenschaftliche Dimension.
Die grundlegende Dimension
Für diesen Ansatz soll folgende Ausgangsthese formuliert werden: Der Koran beschreibt ein
bestimmtes Spannungsverhältnis von Lehre, Situation und Person. In den damit verbundenen
theologischen und historischen Bezügen liegen richtungweisende Ansätze für die
religionspädagogische Bearbeitung begründet.
Folgende exemplarische Textstelle des Korans verdeutlicht, was darunter zu verstehen ist –
hier in einer eigenen freien, kommentargestützten Übertragung ins Deutsche, die in gewisser
Weise die Zielgruppe religionspädagogischen Handelns in den Blick nimmt: „Muhammad,
der Blinde kam zu dir, und du warst genervt und hast dich weggedreht. Aber was ist, wenn er
deine Führung braucht, oder wenn er etwas von Gott erfahren will, oder wenn er einfach nur
wissen will was ihm seine Religion bringt? Du hast deine Zeit mit Leuten verschwendet, die
sich überlegen fühlen. Sie wollen deine Führung nicht. Sie wollen überhaupt nichts von dir
wissen. Und ausgerechnet den, der nach dir sucht, den schickst du weg?“ (80:1-10).
Hier wird, wenn man so will, das prototypische Szenario einer missglückten pädagogischen
Situation beschrieben: Der Verantwortliche, also derjenige mit der so genannten
Garantenstellung gegenüber seiner Zielperson, hat für einen Augenblick seinen
Bildungsauftrag vergessen und wird vom Urheber des Korans wieder aufs Gleis gesetzt.
Vereinfacht ausgedrückt: An dieser und an ähnlich konstruierten Textstellen klärt der Koran,
worum es in der Religion vorrangig geht und welche Auswirkungen das auf das mit- und
zwischenmenschliche Handeln hat.
Die mit der Garantenstellung sind im Koran zunächst solche Personen, die von Gott gesandt
sind – rund zwei Dutzend im Koran namentlich genannte Männer. Die Motive ihrer
Geschichten sind meist aus der hebräischen Bibel oder aber auf der Grundlage des globalen
kulturellen Gedächtnisses bekannt; es geht um Krisen und ihre Heilung, zwischen Hiob und
Noach mit mehr oder minder Anteil an Heimsuchung und Vernichtung. Allesamt Männer
übrigens, was nicht ganz plausibel erscheinen will. Aber das wäre das Thema eines anderen
Beitrags. Es sei hier deshalb am Rande erwähnt, weil ein prominenter Strang der
pädagogischen Literatur des Islams gerne das Bild bemüht, Lehrer im Islam seien die wahren
Erben des Propheten, und dies bei einem überwiegenden Anteil an Frauen unter derjenigen
Berufsgruppe, die der Wissenschaftsrat in den Blick nimmt.
Den Bildungsauftrag dieser Personen – die Altpropheten und die Lehrer also – formuliert der
Koran an Stellen wie dieser: „Ich habe für euch einen aus eurer Mitte bestimmt. Er deutet die
Zeichen, er führt euch, er lehrt euch die Schrift und die Weisheit, und er lehrt euch, was ihr
ohne Hilfe nicht wissen könnt.“ (2:151). Hier werden, um den erwähnten Aspekt der
Verhältnisbestimmung aufzugreifen, pädagogisch wirksame Kategorien gruppiert, zwischen
denen sich eine Art produktiver Spannung entfaltet: der Urheber der Schrift, von frommen
Muslimen in der Regel als Gott identifiziert, die Figur des mit der Lehre Beauftragten, dessen
Zielgruppen, die für die in Rede stehenden Personen wahrnehmbare Welt, die verfügbare
Schrift und schließlich Dinge, die gewusst, gelernt und eingeübt werden können.
Neben der prominenten Personengruppe der von Gott Gesandten führt der Koran weitere an,
die mit Lehre beauftragt sind: die Eltern, die Führer religiöser Gemeinschaften und andere
besondere Personen, einige namentlich genannt (darunter nun auch einige Frauen). David, um
einen herauszugreifen, erfüllt alle genannten Kategorien: Er ist Vorhersager und Hervorsager,
Gesandter, Anführer und Vater. Er wird vom auktorialen Ich des Korans angeredet: „David,
ich mache dich zu einem auf der Erde, der in meinem Sinne handelt. Verfahre mit den
Menschen so, wie es gut und richtig ist. Folge dabei aber nicht deiner Laune, sonst gehst du
verloren.“ (38:26). Mit dem Exempel David tritt eine ergänzende Verhältnisbestimmung
hinzu, und zwar diejenige zwischen dem Amt oder dem Auftrag einerseits und andererseits
der Person oder dem Wesen dessen, der mit der Lehre beauftragt ist. Dabei geht es um die
kritische Frage nach den relativen und den absoluten Standards dessen, was gut und richtig,
was wahr und rechtens ist.
Die schulische Dimension
Für diesen Ansatz soll als einleitende These formuliert werden: Die Religionspädagogik
nimmt sich der Religion als Gegenstand zwischenmenschlicher Kommunikation und
zwischenmenschlichen Handelns an. Der Verfasser hätte aber Schwierigkeiten, ein
entsprechendes Szenario zu benennen, das nicht auf irgendeine Weise in einen pädagogisch
beschreibbaren Handlungsrahmen fiele. Das soll nicht bedeuten, dass die Religionspädagogik
sich als die eigentliche, weil vom Menschen und nicht von der Sache her denkende Theologie
begreift. Deshalb soll dasjenige Feld eröffnet werden, welches im Regelfall mit Fragen der
Pädagogik identifiziert wird, nämlich die Schule. Was die Religion betrifft, geht es dort um
den Religionsunterricht als schulisches Unterrichtsfach – einmal ganz abgesehen von dem
Anspruch, dass nicht nur im so genannten Schulleben, sondern auch in Fächern wie
Mathematik, Biologie, Physik, Deutsch, Geschichte oder Kunst ebensoviel religiöse Themen
angeschnitten werden wie im Religionsunterricht die literarischen, historischen, ästhetischen
und wissenschaftlichen Aspekte zum Tragen kommen sollten – zumindest wenn der
Unterricht gut läuft.
Der Religionsunterricht in der Schule ist also ein Teilaspekt von Schule und von Religion als
jeweils eigene Ganzheit, eine Schnittmenge sozusagen. Mit folgendem Motiv aus dem Koran
soll deshalb deutlicher auf die Schule verwiesen werden; es geht um die Präzisierung des
Bildungsauftrags: Zusammengefasst beschreibt der Koran als Leitmotiv für das erzieherische
und unterrichtliche Handeln, die Menschen zu befähigen, sich selbst zu führen (tazkiyya;
‫)آ‬. Dazu bedarf es positiver Rollenvorbilder. Die oben angesprochene, unter Muslimen
bevorzugte Wahrnehmung von „Kultuspersonal“, wie es der Wissenschaftsrat nennt, als
„Erben des Propheten“, ist dazu geeignet, einen wechselseitigen hypostatischen
Erwartungsdruck zwischen Lehrenden und Lernenden aufzubauen (siehe vertiefend Behr, H.:
Ursprung und Wandel des Lehrerbildes im Islam mit besonderem Blick auf die deutsche
Situation. In: Harry Harun Behr, Daniel Krochmalnik und Bernd Schröder (Hg.):Was ist ein
guter Religionslehrer? Antworten von Juden, Christen und Muslimen. Reihe
Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen. Verlag Frank &
Timme. Berlin 2009. Seiten 149-188.).
Als panic door gibt es den Kompetenzbegriff im Angebot, der in etwa mit den Debatten um
so genannte Rahmen- oder Kerncurricula seine Konjunktur erlebte, auch wenn er gemeinsam
mit seinem stets unterschlagenen Geschwisterbegriff „Performanz“ für die Gestaltung von
Lehr-Lernprozessen (Spracherwerb) ursprünglich von Noam Chomsky erschlossen wurde.
Ein dem Verfasser gut bekannter evangelischer Fachkollege meinte unlängst zum Begriff der
Kompetenz in der Religionspädagogik, er habe den Eindruck, als hoffe man, dass „die Sau
vom Wiegen fetter“ wird. Nicht jeder springt also auf den Kompetenzbegriff gleichermaßen
euphorisch an. Kein Wunder, gehört er doch gemeinsam mit anderen konjunkten Begriffen
wie „Identität“, „Werte“, „Kultur“ oder „Religiosität“ zu jenem Rudel gefährlicher Wölfe, die
durch die dunklen Wälder wissenschaftlicher Arbeiten streifen und unaufmerksame
Promovenden reißen.
Dennoch: Die in der evangelischen Religionspädagogik kontrovers diskutierten
differenzierten Kompetenzmodelle (vgl. die Publikationen Volker Elsenbast oder Dietlind
Fischer, Münster 2006 u.a.) fußen auf einem einfachen Pentagramm grundlegender Bereiche,
in denen die Welt religiös erschlossen wird: das Wahrnehmen und Beschreiben (Perzeption),
das Verstehen und Deuten (Kognition), das Gestalten und Handeln (Performanz), das
Kommunizieren und Urteilen (Interaktion) sowie das Teilhaben und Entscheiden
(Partizipation). Ähnliches lässt sich als Konzeption islamischer Religionspädagogik
konstruieren – und dementsprechend moderner, also kompetenzorientiert, oder konservativer,
also themenorientiert formulieren, wobei hier die religiöse Signatur eindeutiger
herausgezeichnet werden soll: das bereits weiter oben erwähnte Einüben von Haltungen und
die Befähigung zur Selbstführung der Person (tazkiyya; ‫)آ‬, die Schulung und Stärkung der
religiösen Urteilskraft (tahkīm; ), die Schulung des guten und Gott gefälligen Verhaltens
im umfassenderen Sinne (ta’dīb; ‫)د‬, die Deutung der Welt und des Selbst auf Grundlage
der religiösen Informationsbestände (tilāwa; ‫)وة‬, das Verständnis vom Menschen und seiner
Beeinflussung (talqīn; ), die Übermittlung und Kunde der religiösen Informationsbestände
(taclīm; ) und die Gewöhnung an eine innere und äußere Ordnung durch das Einüben der
religiösen Lebensweise (tacwīd; ).
Diese Aufzählung ist nicht hierarchisch zu verstehen, auch wenn man berechtigterweise sagen
kann, dass die Kunde religiöser Information vor ihrer verstehenden Erschließung stehen
müsse. Vorausgesetzt allerdings, hier ist nicht die umfassende Kenntnis, sondern die
exemplarische gemeint, und da dreht sich das Argument um: Eine vollumfängliche Kenntnis
der religiösen Informationsbestände ist nämlich gar nicht möglich, sondern nur die spezifische
Auswahl, und die Auswahlkriterien müssen über das hermeneutische Verstehen erarbeitet
werden.
Als Hochschullehrer wird man in muslimischen Kreisen spätestens an dieser Stelle gefragt,
worauf man sich dabei berufe – nein, um genau zu sein: auf wen. Die Berufung auf einen als
gelehrt anerkannten Kopf, auf einen big name des Islams gilt Vielen auch ungeprüft als
Gütesiegel. Hier Bericht zu geben, dass das aus der persönlichen Erfahrung und dem eigenen
Nachdenken entstanden ist, stößt auf Skepsis. Die ist ja berechtigt, aber in der Umkehrung
auch, denn manch tradierte Meinung oder Systematik hält der wissenschaftlichen
Überprüfung auch nicht stand. Es ist aber Gott sei Dank nicht so, dass das der hohlen Hand
entspringt; es gibt Anhaltspunkte dafür. Einige der genannten Aspekte (nicht alle, aber es geht
dem Verfasser um die Begründung des methodischen Ansatzes) lassen sich im Einzelnen
zurückführen auf eine bestimmte Literatur der klassischen Art, aber gebrochen durch die
persönliche Art, wie der Verfasser als Hermeneut mit solcher Literatur verfährt.
Auswahlweise (zur Vollständigkeit siehe den Beitrag von Leila Djahani-Gürsoy in dieser
Zeitschrift, Heft 6, Dezember 2009) wäre hier zu nennen Muhammad Ibn Sahnūn (9. Jhdt. n.
Chr.), der zu Bescheidenheit, Geduld und Leidenschaft für das Arbeiten mit Kindern rät, der
Koedukation kritisch sieht, da gemischte Klassen die jungen Leute ungünstig beeinflussen
könnten, und der rät es christlichen Kindern zu gestatten, alles mitzumachen, sie aber vom
Lernen des Korans zu befreien.
Oder Abu cUthmān al-Basrī „al- Dschāhidh“ (8.-9. Jhdt. n. Chr.), der den Eltern rät, sie sollten
nicht die Lehrer dafür verantwortlich machen, wenn ihr Kind in der Schule nur langsam
vorankomme. Er sieht Lehrer übrigens als Forscher und bezeichnet das Schreiben und
Aufzeichnen von Daten als „Pfeiler“, auf denen die Gegenwart und die Zukunft der
Zivilisation ruhen. Ferner mahnt er an, die Unterrichtssituation zu beobachten oder
beobachten zu lassen, diese Beobachtung zu dokumentieren und mit Kollegen darüber zu
sprechen, um das Beste für die Schüler herauszuholen.
Oder Abū Nasr al-Fārābī, (9.-10. Jhdt. n. Chr.), der über die Prozesse des Lehrens und
Lernens und über die Bedeutung von Versprachlichung und Veranschaulichung nachdenkt; er
ist der Didaktiker unter diesen Philosophen. Oder Ibn Sīnā (10.- 11. Jhdt. n. Chr.), der Arzt
unter den Philosophen und von den etablierten Religionsgelehrten nicht gemocht. Er mahnt,
dass erst gesunde Lebensverhältnisse und stabile emotionale Bindungen Lernen ermöglichen.
Lernen beruht bei ihm auf der Bereitschaft der Person, sich auf Veränderungen einzulassen.
Er weist darauf hin, dass Wissen sich nicht an Beständen messen lässt, sondern ein Prozess
ist, der mit der sensorischen Wahrnehmung beginnt und im Innern geschieht. Wissen werde
subjektiv hergestellt.
Und schließlich Abu Hamid Muhammad ibn Muhammad al-Ghazālī, (11.-12. Jhdt. n. Chr.),
der doch tatsächlich meint, die Lehrkräfte sollten dem Beispiel des Propheten Muhammad
folgen (wir hatten das bereits) und ohne Bezahlung unterrichten. Nun, darüber müsste man
noch mal reden. Gemeint ist vielleicht, und das war ein gesellschaftspolitisches Thema der
abbasidischen Zeit, dass die Gelehrten allein von ihrer staatlichen Besoldung leben und nicht
noch für ihre Dienste Honorare verlangen sollten, um sie vom Ruch des gefälligen religiösen
Urteils freizuhalten. Dem ist zuzustimmen, sofern die Besoldung der Leistung entspricht.
Die Leistung wird am Erfolg des dienstlichen Handelns bemessen, was Religionslehrer
angeht, an der fachlichen Auswertung, an Schüler- und Elternstimmen und auch an der
nachweisbaren Qualifikation. Aber da gibt es noch etwas, das über den Heftrand hinausweist,
das als übergeordnete Vision pädagogischen Handelns morgens beim Aufstehen hilft.
Die gesellschaftliche Perspektive
Für diesen Ansatz soll als einleitende These formuliert werden: Die religionspädagogische
Bearbeitung von Islam und Schule zielt nicht so sehr auf den Islamunterricht in der Schule,
sondern auf den Diskurs um gesellschaftliche Leitbilder und ihre Auswirkung auf die
Wahrnehmung von Religion im Allgemeinen. Die Schule ist aber einer der Brennpunkte, in
denen sich diese Diskursachsen bündeln, und das macht Schule bei aller berechtigten
Systemkritik schmackhaft: Religionspädagogik hat sich dabei nicht nur in ihrem
moderierenden Ansatz in die gesellschaftliche Leitbilddiskussion einzuschalten, sondern auch
in ihrem fordernden – die islamische zumal. Dem Verfasser schweben drei zentrale Domänen
vor.
Erstens: In der islamischen Religionspädagogik hat die Subjektorientierung Vorrang vor der
Objektorientierung.
Der gegenwärtige Überhang an Objektorientierung (was heißt hier gegenwärtig – war das
schon mal anders?) bemisst sich am Skalierbaren: das Wachstum, der Wohlstand, die
Finanzen, der Mehrwert und ähnlich Begriffe mehr (siehe dazu auch den Kommentar zur Sure
102 im Beitrag von Salih Peter Spiewok in diesem Heft). Es geht hier nicht einfach nur um
die platte Opposition von Wertpapieren und Werten, sondern um ein zwangsläufiges Resultat
der irdischen Daseinsbefindlichkeit. Es soll also nicht heißen Subjektorientierung gut und
Objektorientierung schlecht, zumal sich diese Sphären nicht unbedingt trennschaft darstellen
lassen. Es geht vielmehr um Tendenzen, die sich in pädagogischen Leitfragen spiegeln:
Erschöpft sich der Sinn des Lebens im Erhalt des Arbeitsplatzes? Können wir nicht mehr aus
der Energiekrise lernen als mit Elektroautos so weiterzufahren wie bisher? Wem dienen der
wissenschaftliche Fortschritt und das wirtschaftliche Wachstum – Wissenschaft und
Wirtschaft oder den Menschen insgesamt? Wie führt der Islam Machbarkeit und
Verantwortbarkeit zusammen? Oder, wie der Verfasser einmal von seinen Schülern gefragt
wurde – und hier soll es als Forderung und nicht mehr als Frage formuliert werden: Der Islam
ist für den Menschen da und nicht umgekehrt.
Zweitens: Die islamische Religionspädagogik hebt die rationalen Personmerkmale hervor.
Das hängt zusammen mit der Frage der Identität als aktive Selbstkonstruktion des Subjekts.
Diese konstituiert sich aus rationalen, das heißt bewusst verfügbaren, und relationalen, das
heißt über die Verhältnisbestimmung von Ich und Du gewonnene Merkmalen. Damit wendet
sich die islamische Religionspädagogik gegen jede Identitätskonstruktion über
Gegenhorizonte, und folglich auch gegen essenzialistische Begriffsschöpfungen. Das betrifft
Begriffe wie „Kultur“, und in Ausdehnung dessen von „islamischer Kultur“: Musliminnen
und Muslime leben unterschiedliche Kulturen, mit Religion umzugehen, nicht in „islamischer
Kultur“.
Drittens: Die islamische Religionspädagogik legt einen besonderen Bezug zu erinnerter
Geschichte nahe.
Sie führt eine veränderte Wahrnehmung von Geschichte ein. Hier geht es darum, zum Primat
der materialen Geschichtsauffassung eine weiterführende Konstruktion anzubieten. Es fällt
auf, dass es in jüngerer Zeit vor allem Historiker sind, denen es am schwierigsten fällt,
altgeliebte Vorurteile aus dem Bereich Islam aufzugeben. Das scheint daran zu liegen, dass
materiale Geschichtsbilder mit normativem Anspruch aufwarten, und die erwähnten
Fachvertreter zum entsprechenden Habitus des Unwiderlegbaren verführen. Geschichte und
Religion sind zwei artverwandte Disziplinen. Was wäre die Weiterführung? Sie läge darin,
die subjektiv und kollektiv generierten Geschichtsbilder auf die Merkmale ihrer Konstruktion
hin zu dekonstruieren, ihren religiösen Gehalt herauszuschälen und diesen als den subjektiven
Bezugshorizont zu klären. Geschichte als Chronogramm subjektiven Bewusstseins von
Herkunft und Zugehörigkeit würde sich dann nicht allein als eine schier unendliche Abfolge
von Personen, Ereignissen, Bedingungen, Ursachen und Wirkungen entfalten (man denke an
die Einführung des Zeitstahls als bevorzugtem Konstruktionsmuster von Vor- und
Nachzeitigkeit in allen Lehrplänen für die Primarstufe), sondern alternativ: gleichsam als
thematische Kreisbahnen personalen Verstehens, mit weniger Anspruch auf strukturelle
Normativität, aber mehr Anspruch auf Gleichzeitigkeit und Gegenwart. Es geht um die
Bezugshorizonte der Person mit bestimmender Kraft, entlang derer sich Verstehen
manifestiert. Das scheint die Lehre daraus zu sein, wie der Koran die altprophetischen
Geschichten arrangiert: scheinbar chaotisch, gegen den Strich gebürstet, prototypisch mit
Blick auf die zentralen religiösen Themen und nicht genealogisch mit Blick auf Namen und
Geschichten. Das leitet über zur vierten Dimension, die Sache mit der Wissenschaftlichkeit.
Die wissenschaftliche Perspektive
Für diesen Ansatz soll als einleitende These formuliert werden: Islamische
Religionspädagogik bringt einen veränderten Zugriff auf die Schrift mit sich. Sie erfordert –
oder bedingt – eine veränderte Kultur, den Koran zu lesen. Dabei geht es darum, sich der
Motive bewusst zu werden, entlang derer das Verstehen konstruiert wird. Es sind diese
Motive, die auf den Prüfstand gehören, nicht die Schrift selbst. Mit den kodifizierten und
kanonisierten Werken des Koran- und Hadithkommentars (tafsīr) und der politischen,
rechtlichen und religiösen Steuerung früherer Gesellschaften transportieren sich auch die
Beweggründe der damaligen Akteure. Der Koran lebt von dieser Spannung zwischen
Historizität und Aktualität – das war schon zu Zeiten seiner Entstehung so, was für die
religionspädagogische Erschließung des Korans hier und heute eine mindestens zweifache
Korrelation erfordert: die Geschichtlichkeit des Korans als Dokument, und die Art und Weise,
wie in ihm Geschichtlichkeit entworfen wird, als so etwas wie seine literarische Analyse.
Das muss hier betont werden, nachdem in jüngeren Publikationen in Indonesien und in der
Türkei ein Wort wie „hermeneutisch“, und zwar als kursiv gesetztes Lehnwort ohne weitere
Erklärung, immer wieder mit Wörtern wie „westlich“, „christlich“ und „ungläubig“
gleichgesetzt wird. Die Schulung von Kompetenzen des verstehenden Zugangs ist deshalb für
die islamische Religionspädagogik einzufordern; die Kaprizierung auf den erklärenden
Zugang führt zu den Verzerrungen des Islams, unter denen wir Muslime heute zu leiden
haben, und das liegt keineswegs nur an einer islamophobischen Diktion der Massenmedien.
Hermeneutik bietet sich allein schon deshalb als ein kooperatives und ebenso
intradisziplinäres wie interdisziplinäres Unterfangen an, als sie eine wissenschaftlich
regelgeleitete Technik des sich Einfühlens und sich Hineindenkens erfordert, mithin der
Wechsel zwischen Perspektiven. Zu ihren Gütekriterien, insbesondere als Denkdisziplin an
der Schnittstelle zwischen Theologie und Pädagogik, gehören Authentizität und Plausibilität.
Damit ist sie besonders auf die Zusammenarbeit mit solchen Disziplinen, die abweichende,
aber notwendig ergänzende Gütekriterien anlegen. Abgesehen von der Theologie, die per se
als Anschlussdisziplin Pate steht, geraten andere Wissenschaften in die Mitte der
Aufmerksamkeit – allesamt Disziplinen, die der Religionspädagogik helfen, ihre Sätze von
den Menschen und ihren Lebenswelten aus zu formulieren: die empirische Erforschung
religiöser Gegenwartskulturen, die Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt auf empirischer
Sozialforschung, die Medienforschung, die Genderforschung (wie etwa die Studieneinheit
Gender Studies an der Universität Regensburg), die Regionalforschung, die Rechts- und
Politikwissenschaften, die Bildungsforschung…
Auch die Islamwissenschaften sollen hier besonders erwähnt sein, sofern sie davon Abstand
nehmen, die besseren Islamversteher sein zu wollen. Hier kommt es darauf an, welchen
Schwerpunkt die Islamwissenschaften sich jeweils geben – einen kulturgeografischen, einen
philologischen, einen historischen oder dergleichen mehr. Was eine zukünftige Theologie des
Islams angeht, hätte sie die Aufgabe, hier die theologische Grundlagenforschung zu betreiben,
die im Islam einen ausgeprägt textwissenschaftlichen Bezug hat – ein Brückenschlag hin zu
den Islamwissenschaften.
Wo läge also das Profil der islamischen Religionspädagogik? Sie hätte die Aufgabe, die
wissenschaftliche Moderation zwischen derlei Grundlagen- und Handlungsforschung zu
betreiben, um für die ins Ziel genommenen Personengruppen, Schülerinnen und Schüler zum
Beispiel, eine Verbesserung ihrer Situation zu erreichen und für diesen Prozess den Islam als
religiöses System nutzbar zu machen. Das weist natürlich über den schulischen Kontext
hinaus. Es geht also um religiöses Lernen in formalen und nicht-formalen Kontexten als den
Aufgabenbereich islamischer Religionspädagogik. Lernen lässt sich einer vereinfachten
Definition gemäß als Verhaltensänderung beschreiben. Die islamische Religionspädagogik in
Deutschland hat die Chance, solche Veränderungsprofile zu entwerfen und die entsprechende
Regelleitung zu beschreiben. Sie ist also Orientierungs- und Prinzipienwissenschaft mit
Rückwirkung in das soziale Feld hinein, aus dem heraus sie ihre Legitimation bezieht. Hier
liegt vielleicht ein Unterschied zum Selbstverständnis islamischer Theologie, das sich nicht
darin erschöpfen kann, dass Betroffene aus ihrer Situation heraus von Gott reden.
Schlussbemerkung
Wer als Muslim Religionspädagoge sein will, muss aus der beruflichen und persönlichen
Perspektive heraus die gesamte Gesellschaft als die eigene Solidargemeinschaft im Blick
haben. Die persönliche Perspektive ist dabei besonders wichtig: Wer den Islam an der
Hochschule vertritt, wird von Seiten vieler Muslime als jemand wahrgenommen, der Lehre
betreibt und den Islam weiterführt. So entstehen Schulen theologischen Denkens. Es wäre
also den einzelnen Hochschulstandorten anzuraten, nicht nach dem vermeintlich konsensualen
Mittelmaß in der Lehre des Islams zu suchen, sondern im Gegenteil eigenes Profil in der
Lehre zu zeigen. Und das ist heute ebenso wie schon in den früheren Kulturen des Islams nur
möglich, wenn es nicht um Muslim und Nichtmuslim geht, sondern um den Menschen.
Die Zukunft islamischer Religionspädagogik hängt also nicht allein an der Frage des
Religionsunterrichts, sondern an anderen Fragen: Wie wirkt sich der Islam auf das Verhalten
des Menschen aus, der in einer Weise auf die Welt zugreift, als gehöre sie ihm, und der dabei
aus dem Blick verliert, dass sie immer schon der kommenden Generation gehört? Welche
Aspekte hat der Islam beizusteuern zu den Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des
politischen Friedens? Immerhin, Muhammad rückte einen zentralen Aspekt in die Mitte, als er
sagte, er sei nicht gekommen, um die Menschen unglücklich zu machen, sondern um sie
glücklich zu machen. Und hier läge die zentrale Zukunftsfrage: Wie beschreiben wir als
Musliminnen und Muslime in Deutschland das Glück des Menschen, und was haben wir da
anzubieten?
Um abschließend noch einmal auf David zurückzukommen: Es könnte sich ja sein, dass sich
die Sache mit dem Guten und Richtigen, dem Wahren und Rechten als eine Sache der
gesellschaftlichen Aushandlung erweist – als echtes religiöses Anliegen und nicht aus der
bloßen Not pluraler Lebensverhältnisse oder aus konservativer Steckenpferdreiterei heraus.
Das wäre dann das Schöne.
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