Nachweis des Flächensatzes am Beispiels des Doppelsterns γ Virginis Stefan Völker1 1 AG Fachdidaktik Physik und Astronomie der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1 Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen 1.1 Die Keplerschen Gesetze . . . . . . . . 1.2 Diskussion des Flächensatz . . . . . . 1.3 Der visuelle Doppelsterne γ Virginis . 1.4 Die Bahn eines visuellen Doppelsterns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Aufgaben 3 3 4 5 6 8 3 Hinweise zur Durchführung 3.1 Durchführung mit GeoGebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Durchführung ohne Computer Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 9 10 A Anhang A.1 Wahre, relative Doppelsternbahn zur ante 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . A.2 Wahre, relative Doppelsternbahn zur ante 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . A.3 3-dimensionales Bahnmodell . . . . 13 Auswertung ohne Computereinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswertung ohne Computereinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Vari. . . . Vari. . . . . . . . 13 14 15 1 Grundlagen 1.1 Die Keplerschen Gesetze Im Jahre 1609 veröffentliche Johannes Kepler in seinem Werk Astronomia Nova“ die ersten ” beiden seiner Keplerschen Gesetze. Er leitete diese aus Beobachtungen des Planeten Mars, durchgeführt von Tycho Brahe, ab. Zehn Jahre später ergänzte er das dritte Keplersche Gesetz. Die drei Gesetze lauten, zitiert nach [1]: 1. Keplersches Gesetz: Die Bahn eines Planeten ist eine Ellipse, in deren einem Brennpunkt die Sonne ” steht“ 2. Keplersches Gesetz: Der Leitstrahl zwischen Sonne und Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche ” Flächen“ 3. Keplersches Gesetz: Das Verhältnis der dritten Potenzen der großen Halbachsen a zweier Planeten ” ist gleich dem Verhältnis der Quadrate ihrer Umlaufzeiten T “ a3Planet a3Erde AE3 = = 1 2 2 yr2 TPlanet TErde (1) Im Jahre 1687 beschrieb Sir Isaac Newton in seinem Werk Philosophiae Naturalis Principia ” Mathematica“ die physikalischen Grundlagen der drei Keplerschen Gesetze. Mit Newtons Theorie lässt sich zeigen, dass alle drei aus dem Gravitationsgesetz ableitbar sind. Gleichzeitig verallgemeinert dies damit die Gesetze. Während Kepler sich in seinen Formulierungen ausschließlich auf unser Sonnensystem bezog, folgt mit Newton, dass die Gesetze allgemein für zwei Himmelskörper gelten, welche sich gravitativ gebunden um ihren gemeinsamen Masseschwerpunkt bewegen. Diese Bewegung bezeichnet man als Zwei-Körper-Problem. Doppelsterne (m1 ≈ m2 ) sind typische Vertreter des Zwei-Körper-Problems am Nachthimmel. Für unser Sonnensystem gilt allerdings mSonne mPlanet , weshalb die Bewegung der Sonne um den gemeinsamen Massenschwerpunkt so gering ist, dass wir sie als stationär, im Brennpunkt sitzend, ansehen können. 3 1.2 Diskussion des Flächensatz Als erstes verallgemeinern wir das zweite Keplersches Gesetz für Doppelsterne, bevor wir es genauer betrachten möchten: Der Leitstrahl zwischen den beiden Komponenten eines Doppelsterns überstreicht ” in gleichen Zeiten gleiche Flächen“ Der Leitstrahl ist dabei eine gedachte Verbindungslinie zwischen den beiden Sternen (vgl. Abb. 1). Stern B Leit Periastron l h stra Δt Δt Stern A vmin Apastron vmax Δt Abbildung 1: Der Flächensatz Die hellere Komponente des Doppelsterns bezeichnen wir als Stern A und die dunklere als Stern B. Häufig spricht man auch von Hauptstern und Begleiter. Der Hauptstern sitzt im Koordinatenursprung und wird vom Begleiter auf einer Keplerbahn (Kreisbahn oder Ellipse) umrundet. Befindet sich der Begleiter im Periastron der Bahn, also am nächsten Punkt zum Hauptstern ist der Leitstrahl am kürzesten. Er verlängert sich dann, bis Stern B das Apastron erreicht. Damit der Leitstrahl nun in gleichen Zeiten ∆t auch gleiche Flächen überstreicht muss sich der Begleiter im Periastron (vmax ) schneller bewegen als im Apastron der Bahn (vmin ). Dieser Effekt ist umso stärker ausgeprägt, je größer die Exzentrizität der Bahnellipse ist. Für die Kreisbahn (Exzentrizität e = 0) hat der Leitstrahl überall die gleiche Länge, folglich bewegt sich der Begleiter auch überall auf der Bahn gleich schnell. 4 1.3 Der visuelle Doppelsterne γ Virginis γ Virginis ist ein visueller Doppelstern im Sternbild Jungfrau (vgl. Abbildung 2). γ-Virginis Abbildung 2: Sternbild Jungfrau [3] Seine beiden Komponenten A und B sind vom gleichen Spektraltyp F0 V. Die äquatorialen Koordinaten des Doppelsterns lauten α = 12h 41m 39, 6s und δ = −01◦ 260 57, 700 . Er ist 11, 83 pc bzw. 38, 57 Lj von der Erde entfernt. Die beiden Komponenten des Doppelsterns bewegen sich auf je einer stark exzentrischen Ellipsenbahnen (e = 0, 88) um ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Stellt man die Doppelsternbahn im relativen Bezugssystem dar, sitzt die Komponente A im Nullpunkt des Koordinatensystems und wird von der Komponente B umkreist. Tabelle 1 fasst die Bahnelemente der relativen Doppelsternbahn zusammen. Größe a e i P Ω ω Wert 3, 63900 0, 8815 149, 46◦ 169, 104 yr 35, 34◦ 255, 02◦ Fehler ±0, 00800 ±0, 00018 ±0, 16◦ ±0, 011 yr ±0, 42◦ ±0, 37◦ Tabelle 1: Bahnelemente γ-Virginis [4] γ Virginis wurde bereits im Jahre 1718 zum ersten Mal beobachtet. Dies gelang den beiden Herren Bradely und Pound in London [4]. Präzise Beobachtungen und Messungen begannen dann ca. 100 Jahr später durch Friedrich Georg Wilhelm Struve im Jahre 1820. Bis heute wurden der Positionswinkel und der Abstand der beiden Komponenten über 1500 mal gemessen. Interessant ist hierbei auf welch unterschiedliche Weisen das im Lauf der Jahre geschah. Während Friedrich Struve noch mit bloßem Auge am Teleskop beobachtete, wurden Doppelsterne im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Photoplatten abgebildet. In der heutigen astronomischen Forschung haben CCD-Kameras die Photoplatten wiederum längst abgelöst. CCD-Kameras findet man in kleinerer Form in allen modernen Digitalkameras. 5 1.4 Die Bahn eines visuellen Doppelsterns Aufgrund der riesigen Entfernungen der Sterne von der Erde ist es uns nicht möglich ihre wahre, drei-dimensionale Bewegung im Raum zu beobachten. Wir sehen nur die Projektion ihrer Bewegung in die zwei-dimensionale Himmelsebene. Zum besseren Verständnis stellen wir uns zwei Menschen vor, die sich mit einigen hundert Metern Abstand auf einem großen Platz oder in einer langen Straße gegenüberstehen, wobei einer der beiden den Beobachter darstellt. Der andere bewegt sich zunächst langsam auf den Beobachter zu. In diesem Fall ist die Bewegung nur schwer auszumachen. Bewegt sich der andere jedoch senkrecht zur Beobachtungsrichtung, kann der Beobachter seine Bewegung vor einem festen Hintergrund spielend ausmachen und einfach beschreiben. Ähnlich verhält es sich bei Doppelsternen. Ihre Bewegung in der Himmelsebene können wir einfach beobachten, da andere Sterne (Fixsterne) uns einen guten Hintergrund für die Beobachtung bieten. Den Anteil der Bewegung auf uns zu bzw. von uns weg, können wir jedoch visuell überhaupt nicht wahrnehmen. Deshalb beobachten und beschreiben wir die Bewegung der Doppelsterne nur in der Himmelsebene. Die Hauptkomponente des Doppelsterns setzten wir dabei in den Ursprung unseres Koordinatensystems und beschreiben die Position des Begleiters durch den Positionswinkel θ und den Abstand ρ vom Hauptstern. Die eingezeichneten Himmelsrichtungen in Abbildung 3 gehören zum äquatorialen Koordinatensystem. S (180°) scheinbare, relative Bahn Stern A W (270°) ρ O (90°) θ Stern B N (0°) Abbildung 3: Scheinbare, relative Bahn und deren Koordinaten Die entstehende Bahnkurve am Himmel bezeichnen wir als scheinbare Bahn. Durch eine genaue Analyse dieser Bahn kann man die wahre Bahn des Doppelsterns ableiten. Diese beinhaltet auch die Komponente der Bewegung in radialer Richtung, also auf die Erde zu bzw. von ihr weg. Die Form und die Position der wahren Bahn werden durch fünf Bahnelemente beschrieben. Die Form wird durch die große Halbachse a und die Exzentrizität e bestimmt. Zur Beschreibung der Lage im Raum benötigt man drei Winkel. Die Inklination i, die Länge des aufsteigenden Knotens Ω und die Länge des Periastrons ω. Zusätzlich gibt es ein sechstes Bahnelemente, welches einen genauen Zeitpunkt, als Bezugspunkt der Bewegung des Begleiters festlegt. Schneiden Sie das Bahnmodell aus Abschnitt A.3 aus und stecken Sie es entlang der gestrichelten Schnittlinien zusammen. Machen Sie sich die Bedeutung der drei Winkel i, Ω und ω mit Hilfe des Modells und der Abbildung 4 klar. 6 Abbildung 4: Die Lage der Bahnebene von γ Virginis im Raum 7 Beobachtungsrichtung e eben Bahn i ≈ 149° ene Himm elseb W S N Ω ≈ 34° E 2 Aufgaben A1 Bestätigen Sie den Flächensatz am Beispiel des visuellen Doppelsterns γ Virginis. Bestimmen Sie hierzu den Flächeninhalt, welchen der Leitstrahl in Zeitintervallen von je 26 Jahren überstreicht. Verwenden Sie die relativen Positionen aus den Jahren 1855, 1881, 1907, 1933, 1959, 1985 und 2011! A2 Berechnen Sie den Mittelwert der von Ihnen bestimmten Flächeninhalte und tragen Sie diesen, sowie die einzelnen Flächeninhalte in einem Diagramm Fläche über Jahr“ ” ein! A3 Schätzen Sie das Fehlerintervall ∆A des Flächeninhalts für eine Winkelgenauigkeit von ±0, 5◦ ab (vgl. Abb. 5)! Nähern Sie hierfür die relative Ellipsenbahn im Apastron durch eine Kreisbahn mit dem Radius RA = (1 + e) · a (vgl. Tab. 1)! Verwenden Sie die Formel ±0, 5◦ ∆A = · AKreis . 360◦ Tragen Sie ihr berechnetes Fehlerintervall mit in das Diagramm aus Aufgabe A2 ein. Kreisbahn RA +0,5° -0,5° Abbildung 5: Fehlerabschätzung Flächeninhalt 8 3 Hinweise zur Durchführung 3.1 Durchführung mit GeoGebra • Öffnen Sie die GeoGebra-Datei Wahre Bahn gamma-Virginis.ggb“. Dort ist die wahre ” Bahn des Begleiters um den Hauptstern dargestellt. • Mit Hilfe des jeweiligen Kontrollkästchens können Sie alle Datenpunkte oder die ausgewählten Datenpunkte der Jahre 1855, 1881, 1907, 1933, 1959, 1985, 2011 ein- und ausblenden. • Wählen Sie das Werkzeug Vieleck“ der Werkzeugleiste aus. ” – Bestimmen Sie die Flächeninhalte aller Teilstücke (Zeitpunkt 1, Zeitpunkt 2, SternA ) der Ellipse in dem Sie diese durch je ein Vieleck annähern. – Klicken Sie hierfür zunächst auf den Punkt Stern A“, anschließend auf den Punkt ” der früheren Jahreszahl. Nähern Sie dann die Ellipse durch ausreichend Hilfspunkte an, bis Sie am Datenpunkt der späteren Jahreszahl angekommen sind. Klicken Sie zuletzt wieder auf den Punkt Stern A“ (vgl. Abb. 6). ” Vieleck 1985-2011 Hilfspunkt Werkzeug Vieleck cm2 Werkzeug Fläche Abbildung 6: Hinweise zur Näherung der Teilflächen durch Vielecke – Falls die Datenpunkte der ausgewählten Jahre nicht exakt auf der Ellipse liegen, setzten Sie einen zusätzlichen Hilfspunkt des Vielecks auf den Rand der Ellipse, so dass die Verbindungslinie Stern A“ - zusätzlicher Hilfspunkte“ den Datenpunkt der ” ” Jahreszahl schneidet (vgl. Abb. 6, roter Kreis) – Wiederholen Sie dies für alle Teilstücke. • Wählen Sie das Werkzeug Fläche“ der Werkzeugleiste aus. ” – Klicken Sie nacheinander alle Vielecke an und notieren Sie die angezeigten Flächeninhalte. – In GeoGebra entspricht die Länge eines Koordinatenkästchen einer Bogensekunde 1 Kästchen = 100 . Der angegebene Flächeninhalt hat die Einheit [A] = 1002 (Quadratbogensekunde). 9 3.2 Durchführung ohne Computer Einsatz 3.2.1 Variante 1 - Bestimmung der Fläche durch Wiegen • Drucken Sie Abbildung 9 auf Seite 14 aus. In Abbildung 9 ist die wahre Bahn des Begleiters um den Hauptstern dargestellt. • Zeichen Sie die Verbindungslinien zwischen Stern A und den ausgewählten Datenpunkten (grün) der Jahre 1855, 1881, 1907, 1933, 1959, 1985, 2011 ein (vgl. Abb. 7). Hilfspunkt Abbildung 7: Hinweise zur Näherung der Teilflächen durch Auswiegen • Kleben Sie die Abbildung 9 auf Moosgummi (h ≥ 3 mm) auf und schneiden Sie die Ellipse sowie die Teilflächen, entlang ihrer Verbindungslinien, aus. • Bestimmen Sie die Masse der Teilstücke mTeilstück mit Hilfe einer Feinwaage (∆m ≤ 0, 05 g). • Bestimmen Sie die Gesamtmasse mges aller Teile. • Zur Umrechnung der gemessenen Massen in Flächen benutzen sie die Formel ATeilstück = mTeilstück · AEllipse . mges Die Fläche einer Ellipse berechnet sich nach der Formel p AEllipse = π · a2 · 1 − e2 . Für a und e nutzen Sie die Angaben aus Tabelle 1. 10 3.2.2 Variante 2 - Bestimmung der Fläche durch Auszählen der Koordinatenkästchen • Drucken Sie die Abbildung 10 auf Seite 15 aus. In Abbildung 10 ist die wahre Bahn des Begleiters um den Hauptstern dargestellt. • Zeichen Sie die Verbindungslinien zwischen Stern A und den ausgewählten Datenpunkten (grün) der Jahre 1855, 1881, 1907, 1933, 1959, 1985, 2011 ein (vgl. Abb. 8). Hilfspunkt 3 1 2 Abbildung 8: Hinweise zur Näherung der Teilflächen durch Abzählen der Koordinatenkästchen • Bestimmen Sie die Flächen der Teilstücke durch Abzählen der Koordinatenkästchen. – Fassen Sie mehrere Kästchen zu größeren Strukturen zusammen, deren Flächeninhalt sich rechnerisch einfach bestimmen lässt (vgl. Abb. 8). – Fassen Sie mehrere unvollständige Kästchen am Rand des betrachteten Teilstücks zu ganzen Koordinatenkästchen zusammen. • Zur Umrechnung der Anzahl NTeilstück an Koordinatenkästchen eines Teilstücks in einen Flächeninhalt benutzen sie die Formel ATeilstück = NTeilstück · A , mit A = 0, 01125 00 2 . 11 Literaturverzeichnis [1] H. Karttunen: Astronomie - Eine Einführung; Springer-Verlag; 1. Auflage; 1987 [2] http://simbad.u-strasbg.fr/ [3] Planetariumssoftware Stellarium: www.stellarium.org [4] M. Scardia et al.: The orbit of the visual binary ADS 8630 (γ Vir); Astronomische Nachrichten; 328, No.2, 2007, S146-153 [5] M. Reble: Keplersche Gesetze im Unterricht; Astronomie + Raumfahrt Im Unterricht; Jahrgang 33; 1996: Heft 3; S.16-18 12 A Anhang A.1 Wahre, relative Doppelsternbahn zur Auswertung ohne Computereinsatz - Variante 1 Abbildung 9: Wahre, relative Doppelsternbahn - Variante 1 13 A.2 Wahre, relative Doppelsternbahn zur Auswertung ohne Computereinsatz - Variante 2 2'' Abbildung 10: Wahre, relative Doppelsternbahn - Variante 2 Ein Koordinatenkästchen hat den Flächeninhalt A = 0, 01125 00 2 . 14 A.3 3-dimensionales Bahnmodell Drucken Sie diese Seite auf Folie aus. Schneiden Sie das Modell aus und entlang der gestrichelten Linien ein. Stecken Sie beide Modellteile zusammen. Halten Sie das Modell so, dass die beiden Ebene einen Winkel von α = 180◦ − i = 180◦ − 149, 49◦ ≈ 30◦ einschließen. E Ω N Himmelsebene N ω E Bahnebene Abbildung 11: Bastelvorlage 3-dimensionales Bahnmodell 15 This research has made use of the Washington Double Star Catalog maintained at the U.S. Naval Observatory. 16