Vladimir Sabourin Mozarts Librettist Lorenzo da Ponte Wenn es ein »rein« österreichisches Wahrzeichen gibt, dann sicher Mozart. Man stellt sich aber kaum vor, wie transeuropäisch die Opernindustrie, die »Amadeus« zeitlebens beschäftigte, im 18. Jahrhundert war. Ihre gut eingespielte Infrastruktur von Opernhäusern, Truppen, Komponisten und Librettisten erstreckte sich von London über Wien bis nach St. Petersburg. Im Zusammenhang mit dem Thema der Konferenz möchte ich ein paradigmatisches Beispiel für dieses transkulturelle Schaffen in Wien Ende des 18. Jahrhunderts herausgreifen, die den Fall einer »österreichischen Literatur zwischen den Kulturen« auf eine prägnante Weise veranschaulicht. Es ist der Fall von Lorenzo da Ponte. Da Ponte, der Librettist, mit dem Mozart Le nozze di Figaro (1786), Don Giovanni (1787) und Così fan tutte (1790) geschaffen hat, war ein für das 18. Jahrhundert typischer Abenteuerer, ein enger Freund von Giacomo Casanova. Als erste Annäherung an diese schillernde Figur lässt sich die Tatsache anführen, dass es Da Ponte gelungen ist, mit seiner Heirat selbst den Freund Casanova, der in diesem Fach sicherlich schwer zu überraschen war, ins Staunen zu versetzen. Das Abenteuersujet seines Lebens führt ihn im Frühling 1783 zur Begegnung mit Mozart. Dazu kam es, nachdem Da Ponte als Hofpoet der italienischen Operntruppe, die Josef II. gerade nach Wien geholt hatte, engagiert wurde. Die vielbegehrte Anstellung erfolgte, ohne dass Da Ponte zu jener Zeit ein einziges Libretto, das er verfasst und auf die Bühne gebracht hätte, vorweisen konnte. Er bekommt diesen Traumjob in Wien durch die Protektion von Antonio Salieri. Bei der Uraufführung von Don Giovanni in Prag am 29. Oktober 1787 treffen sich die biographischen und die fiktionalen Figuren des Abenteuersujets: Casanova ist zugegen – und findet kein Gefallen an der Oper. Man 224 VLADIMIR SABOURIN kann nur mutmaßen, weshalb der Don Juan des 18. Jahrhunderts nicht willens war, sich in den Opernheld von Mozart und den Freund Da Ponte zu versetzen. (Ich vermute einmal, er fand ihn nicht aufgeklärt genug.) Im Tatsachenbereich des Abenteuersujets ist festzustellen, dass das erste Treffen von Mozart und Da Ponte durch die Vermittlung von Raimund Baron Wezlar von Plankenstern, der zu jener Zeit Vermieter der jungen Familie Mozart war, zustande kam. Der Name des Barons Wezlar taucht zum ersten Mal in einem Brief des Sohns an den Vater Ende 1781 auf, in dem er als »reicher getaufter Jud«1 in der Liste der Besucher eines Konzerts von Mozart erwähnt wird. Baron Wezlars Vater konvertierte zum Katholizismus und bekam 1778 den Adelstitel. Mozart und seine Frau Konstanze haben drei Monate in einem Haus des Barons gewohnt und Mozart teilt seinem Vater mit, dass Wezlar dabei keine Miete verlangte und später die Umzugskosten der jungen Familie übernahm. Baron Wezlar wird Taufpate des ersten Kindes von Wolfgang und Konstanze, das seinen Vornamen bekommt – Raimund. Opa Mozart wird erst mit dem zweiten Taufnamen – Leopold – eher zur Beschwichtigung geеhrt. Die Geschichte der Namensgebung des Erstgeborenen der Familie Mozart ist höchst bezeichnend für das gesellschaftliche Klima im josefinischen Wien. Die jüdische Herkunft von Wezlar war offensichtlich kein Problem für Mozart. Die Zeugnisse von Mozarts enger Freundschaft mit Baron Wezlar am Anfang seiner Wiener Zeit sind in unserem Zusammenhang insofern von Belang, als Da Ponte gleichfalls jüdischer Abstammung – und dazu auch Konvertit – war. Nirgends in Mozarts Korrespondenz wird jedoch darauf Bezug genommen: Von Da Ponte wird immer als »Abbé«2 gesprochen. Es klingt befremdend – oder mindestens abenteuerhaft –, dass der Autor der Operntexte von Don Giovanni, dem frivol-unanständigen Così fan tutte und vom nicht weniger erotisch geladenen Figaro ein römisch-katholischer Priester war. Bei der zwitterhaften Figur dieses Libretti schreibenden Priesters könnte sich die 1 Zit. nach Daniel Heartz: Mozart and Da Ponte. In: The Musical Quarterly, Vol. 79, No. 4 (Winter 1995), S. 700–718, hier S. 700. 2 Vgl. ebda., S. 702. MOZARTS LIBRETTIST LORENZO DA PONTE 225 Assoziation mit den Renaissance-Gestalten von Jacob Burckhardt oder aber mit den Popfolk singenden orthodoxen Popen aufdrängen. Wir befinden uns jedoch in der Zeit der Hochaufklärung, wobei das Bild dadurch komplizierter wird, dass Da Ponte Konvertit war. Was in dieser komplexen Konstellation mit relativer Sicherheit Orientierung bieten kann, ist die sozialgeschichtliche Tatsache der Liberalisierung im konfessionellen Bereich, die von Josef II. Anfang der 80er-Jahren eingeleitet wurde3. In dieser Zeit war Wien sowohl in Sachen Konfession als auch in Sachen der allgemeineren Lebensführung um einiges toleranter und freizügiger als z.B. Berlin oder Weimar. Die norddeutschen Bearbeitungen von Wiener Opern4 belegen diesen Unterschied, indem sie durchgreifende Veränderungen der Opernbücher vornehmen, um sie von Elementen zu säubern, die im protestantischen Norden als frivol oder aber nonsensverdächtig galten. Das berühmteste Beispiel einer solchen norddeutschen Säuberung von Wiener Libretti ist wohl Karl August Vulpius’ Bearbeitung der Zauberflöte für die Aufführung am Weimarer Hoftheater im Jahr 1794. Diese von Goethe als Theaterdirektor in Auftrag gegebene und gutgeheißene moralistisch-rationalistische Verstümmelung von Mozarts letzter Oper wird ihre Rezeption im deutschsprachigen Raum bis ins späte 19. Jahrhundert bestimmen. Gerade diese höhere Toleranzschwelle, die das kulturelle Leben im josefinischen Wien weitgehend prägte, ließ südländische Abenteuerer vom Schlage eines Casanova5 oder Da Ponte Heimatluft in der Habsburgischen Metropole der 80er-Jahre schnuppern. Gleich seinem jüngeren Freund Da Ponte war auch Casanova zuerst für den Priesterberuf bestimmt (dem er durch die finanzielle Unterstützung eines reichen venezianischen Adligen entkommen konnte) 3 Hans Magenschab: Josef II.: Revolutionär von Gottes Gnaden. 4., unveränd. Aufl., Graz/Wien/Köln: Styria 1989, S. 192–196. 4 Manuela Jahrmärker: Das Wiener Singspiel im protestantischen Norden. Vulpius’ Zauberflöten-Version für die Weimarer Hofbühne. In: Österreichische Oper oder Oper in Österreich? Die Libretto-Problematik. Hg. v. Pierre Béhar und Herbert Schneider. Hildesheim/Zürich/New York: Olms 2005 (= Musikwissenschaftliche Publikationen; Bd. 26), S. 104–132, hier S. 126. 5 Vgl. Abroad in Austria. Traveller’s Impressions from Five Centuries. An Exhibition of the Austrian Federal Ministry of Foreign Affairs. Hg. v. Heinz Lunzer und Victoria Lunzer-Talos. Vienna: Rema-print 1997, S. 88–95, hier S. 88. 226 VLADIMIR SABOURIN und hatte außerdem eine überdurchschnittliche musikalische Kultur. Er war also bestens ausgestattet, um Don Giovanni wenngleich nicht zu mögen, doch allerdings erfahrungsmäßig und sachkundig beurteilen zu können. Zu den Faktoren des relativ lebensfrohen süddeutschen Katholizismus, der verspäteten Aufklärung und der liberalen konfessionellen Politik von Josef II., die das Phänomen Da Ponte im Wien der 80erJahre möglich machen, kommt zusätzlich ein Element hinzu, das bei der Beurteilung der Zusammenarbeit von Mozart und seinem wichtigsten Librettisten in Erwägung zu ziehen ist: Da Pontes Sozialisation als getaufter Jude, als Konvertit. Im Unterschied zu Mozarts Freund Wezlar, wächst er nicht in einer konvertierten Familie auf. Sein Vater unterzog sich der Taufe, als Emanuele Coneliano – so hieß Da Ponte vor der Taufe – bereits 14-jährig war, d.h. unmittelbar nachdem Emanuele den jüdischen Konfirmationsritus Bar-mitzwa absolviert hatte. Kurz nach der Aufnahme in die jüdische Kultgemeinschaft empfängt Emanuele das katholische Sakrament der Taufe, das ihn aus der jüdischen Gemeinschaft herausreißt und über Nacht in die römischkatholische christliche Gemeinschaft versetzt. Dieser Vorgang stellt ein paradigmatisches Beispiel einer tief greifenden modernen Erfahrung der Aufhebung des Gesetzes dar – eine von Grund auf anomische, ja nihilistische Erfahrung, die sozialgeschichtlich mit den Prozessen der Emanzipation des europäischen Judentums und dem Auseinanderfallen der Traditionsgemeinschaft des Ghettos in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einhergeht. Emanuele/Lorenzo macht diese epochal-umwälzende Erfahrung innerhalb eines knappen Jahres durch. Erschwerend kommt hinzu, dass sein Vater dem Glauben der Väter nicht im Zuge lebensbedrohender Verfolgungen den Rücken kehrt, sondern wegen eines christlichen Mädchens, das er nach dem Tod von Emanueles Mutter heiraten will. Die Stiefmutter des 14jährigen Lorenzo ist knappe vier Jahre älter als der Junge. Die für die Mentalität des Konvertiten und Assimilierten charakteristische Problematik der Promiskuität, die den anomisch-nihilistischen Vorgang der Konversion begleitet und intensiviert, erscheint im Fall Da Pontes in schneidender Deutlichkeit. Andererseits eröffnet die Konversion die Aussicht auf eine glänzende klassisch-humanistische Ausbildung, die MOZARTS LIBRETTIST LORENZO DA PONTE 227 der junge Lorenzo im Pristerseminar genießt. In seiner Autobiographie bezeichnet Da Ponte die schnellen Fortschritte, die ihn in kurzer Zeit zu einem ausgezeichneten Kenner der lateinischen und italienischen Klassiker machten, mit einer Formulierung der rabbinischen Pädagogik, die aus seinen Kindheitserinnerungen stammt. »Das, was mir meine Lehrer aus Zeitmangel nicht beibringen konnten, habe ich von meinen Schülern gelernt.«6 Die Erfahrung der Konversion, die klassisch-humanistische Ausbildung und die Erinnerungen aus der Zeit vor der Taufe bilden in Da Pontes Figur ein eigenartiges genealogisches Geflecht. Die im Priesterseminar erworbene glänzende klassisch-humanistische Ausbildung hindert Da Ponte jedoch nicht, im Libretto von Così fan tutte – vielleicht zum ersten Mal in einem Operntext überhaupt – politisch völlig unkorrekt das Wort »Hündin« (also bitch), eine Frau meinend, zu gebrauchen. »Assassina, furfante, ladra, cagna!« (»Mörderin, Betrügerin, Diebin, Hündin!«)7 Dieser Sprachgebrauch, den man eher bei einem Rapper erwarten würde, fügt sich in die allgemeine Misogynie der Behandlung der Geschlechterdifferenz im Text des letzten Librettos, das Da Ponte für Mozart geschrieben hatte. Mich interessiert in diesem Zusammenhang nicht so sehr die offensichtliche Frauenfeindlichkeit des Librettos, sondern die Marginalität, aus der dieser Sprachgebrauch seine Kräfte zieht. Da ist Da Ponte, glaube ich, den Rappern verwandt. Die Spuren des Ghettos, die weder das Priesterseminar noch die aufgeklärte Emanzipation restlos auslöschen konnten, kann man in der Szene von Don Giovannis letztem Abendmahl unmittelbar vor dem Eintreffen des Steinernen Gastes und der anschließenden Höllenfahrt finden. Giovanni bemerkt, dass sein Diener Leporello, der ihn bei der Tafel bedient, sich im Stillen, indem er sich unbemerkt wähnt, auch vom Tisch des Herrn bedient. 6 Zit. nach Heartz: Mozart and Da Ponte, S. 703. Wolfgang A. Mozart / Lorenzo da Ponte: Così fan tutte [CD]. Karl Böhm, Wiener Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker. Live recording from the Salzburg Festival 1974, Großes Festspielhaus, 28.8.1974. Hamburg: Polydor 1975. Das Zitat befindet sich auf S. 178 des beiliegenden Librettos. 7 228 VLADIMIR SABOURIN »Sta mangiando quel marrano;/ fingerò di non capir.«8 Die Replik ist halblaut zu sich selbst gesprochen, in diesem Fall – gesungen. Was sagt also zu sich selbst der Don, seinen Gesang dämpfend? »Dieser Schelm stopft brav in sich hinein;/ ich werde vortäuschen, es nicht zu bemerken.« Auf den ersten Blick eine wenig sagende Aussage: Giovanni ersinnt den nächsten Scherz: Da er keiner Frau habhaft werden kann, muss er scherzen. Das Interessante in seiner halblauten Replik zu sich selbst liegt im Wort marrano, das ich sinngemäß mit »Schelm« übersetzt habe. »Marranen« – wörtlich »Schweine« – wurden aber die getauften Juden, die Konvertiten abwertend genannt. Der Gebrauch dieses traumatischen Wortes wird sehr geschickt durch die typische Gefräßigkeit der komischen Figur des Dieners motiviert und verdeckt. Die Replik von Don Giovanni, in der das brisante Wort marrano vorkommt, ist wohl nicht nur aus dramaturgischen Gründen zu sich selbst gesprochen. Unmittelbar daran schließt eine Bühnenanweisung an, die das kleine Orchester betrifft, das im Hintergrund der Szene das Abendessen am Abgrund ahnungsvoll erheitert: »Das Orchester spielt ein Fragment delle ›Nozze di Figaro‹ di Mozart.« Es sieht so aus, als ob Mozart keinen Anstoß daran genommen hat, dass das Figaro-Zitat unmittelbar an Giovannis Replik zu sich selbst anschließt, in der das berüchtigte Wort marrano vorkommt. Ob er seine ursprüngliche Bedeutung gewusst hat? Ich hätte es gerne gewusst. 1791 – in Mozarts Todesjahr – heiratete Da Ponte in Triest Nancy Grahl, die Tochter einer französischen Mutter und eines reichen jüdischen Kaufmanns aus Dresden. Die Hochzeitszeremonie fand nach orthodox-jüdischem Ritus in einer Synagoge statt. Das war die Heirat, die Casanova ins Staunen versetzt hatte. Übrigens hat Da Ponte sie zuerst sogar vor seinem engen Freund verheimlicht. Da Ponte wanderte mit Nancy nach Nordamerika aus. Der Autor von Don Giovanni und Così fan tutte blieb allem Anschein nach seiner Frau bis zu ihrem Tod in New York 1831 treu. Er überlebte sie nur um ein paar Jahre. Im Abenteuersujet seines Lebens, in dem sich Bar-mitzwa, römischWolfgang A. Mozart / Lorenzo da Ponte: Don Giovanni [CD], Josef Krips, Wiener Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker. Recording location: Redoutensaal, Vienna, June 1955. London: Decca 2000. Das Zitat befindet sich auf S. 104 des beiliegenden Librettos. 8 MOZARTS LIBRETTIST LORENZO DA PONTE 229 katholische Taufe und Priesterweihe, Zusammenarbeit mit Mozart und Eheschließung in der Synagoge unvermittelt dicht aneinander reihen, blieben die wohl wichtigsten Episoden die Begegnungen mit Mozart und Nancy. Zum Glück für die Musik traf er zuerst Mozart. Literaturverzeichnis Primärliteratur Abroad in Austria. Traveller’s Impressions from Five Centuries. An Exhibition of the Austrian Federal Ministry of Foreign Affairs. Hg. v. Heinz Lunzer und Victoria Lunzer-Talos. Vienna: Remaprint 1997, S. 88–95. Wolfgang A. Mozart / Lorenzo da Ponte: Don Giovanni [CD]. Josef Krips, Wiener Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker. Recording location: Redoutensaal, Vienna, June 1955. London: Decca 2000. Wolfgang A. Mozart / Lorenzo da Ponte: Così fan tutte [CD]. Karl Böhm, Wiener Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker. Live recording from the Salzburg Festival 1974, Großes Festspielhaus, 28.8.1974. Hamburg: Polydor 1975. Sekundärliteratur Daniel Heartz: Mozart and Da Ponte. In: The Musical Quarterly, Vol. 79, No. 4 (Winter 1995), S. 700–718. Manuela Jahrmärker: Das Wiener Singspiel im protestantischen Norden. Vulpius’ Zauberflöten-Version für die Weimarer Hofbühne. In: Österreichische Oper oder Oper in Österreich? Die Libretto-Problematik. Hg. v. Pierre Béhar und Herbert Schneider. Hildesheim/Zürich/New York: Olms 2005 (= Musikwissenschaftliche Publikationen; Bd. 26), S. 104–132. Hans Magenschab: Josef II.: Revolutionär von Gottes Gnaden. 4., unveränd. Aufl. Graz/Wien/Köln: Styria 1989.