Postoperative Wundinfektionen – schicksalhaft oder ein vollbeherrschbares Hygienerisiko? Univ.-Prof. Dr. Ojan Assadian Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene www.oegkh.ac.at Häufigkeit nosokomialer Infektionen in Österreich Nationales Referenzzentrum für Nosokomiale Infektionen und Antibiotikaresistenz / Linz / Wien Inzidenz postoperativer Wundinfektionen in Österreich (2013; Quelle: www.ANISS.at) * Hüftendoprothesen: 56/5718 (SSI = 0,98%) 1,0% Knieendoprothese: 5/1022 (SSI = 0,49%) 0,7% Sectio: 29/4243 (SSI = 0,68%) 3,0% Koronararterien-Bypass: 35/ 496 (SSI = 5,85%) 3,5% Cholezystektomie: 7/ 441 (SSI = 1,59%) 1,4% Viszeralchirurgie: 19/ 229 (SSI = 8,30%) 9,8% * ECDC – Surveillance Report of surgical site infection in Europe, 2010-2011 Verlauf eines Routineeingriffes … 48-jährigr männlicher Patient litt 2-3 Jahre an Schmerzen des metatarsophalangealen Gelenks Befund: Hallux valgus Deformität. Postoperativ: Wundinfektion an Operationssitus. Patient musste ambulant für 2,5 Monate behandelt werden. Nach wie vor gibt Patient subjektiv an, bei Belastung immer wieder Schmerzen zu erfahren. Verlauf einer Notfalloperation … 28-jähige weibliche Patientin, 10 Monate nach Notfall-Laparotomie aufgrund eines Verkehrsunfalles Keine postoperative Wundinfektion, problemlose Heilung. „Hygiene-Risiko“ … Risiko = Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und dessen Konsequenz Alle Faktoren, die zu einer Abweichung vom gewünschten Ziel der Hygiene - der Gesunderhaltung des Patienten - führen können. Risiko für postoperative Wundinfektionen Modifizierbare Risiken Nicht-Modifizierbare Risiken Aus Sicht der Hygiene ist wichtig zu wissen: Was erhöht die Chance, keine SSI zu bekommen Was reduziert das Risiko, eine SSI zu bekommen Was können wir tun, um beides für Patienten sicher zu stellen ... Prävalenz und Konsequenzen SSI Art der OP Mean Median Cholezystektomie (lap.) 0.98 0.68 Cholezystektomie (konv.) 4.12 3.33 Untere Gefäßrekonst. 3.32 3.03 CABG 3.03 2.80 Inguinal Hernie 1.04 0.91 HTEP (elektiv) 1.07 1.21 HTEP (Trauma) 3.49 3.31 Mastektomie 1.34 1.00 Prostatektomie 2.49 2.94 Daten: Nationales Referenzzentrum für Nosokomiale Infektionen, 2001-2005; 2005-2009 % SSI Infektionsrisiko: Rekonstruktion untere Extremitäten Arterie 10 9 8 7 6 5 3.32% 3.25% 4 3 1.58% 2 1 0 0-3 Risiko Kategorie: je 1 Punkt für 0 1 2 Risk category Dauer länger als 75% der Pooldaten [länger als 168 Min.] Wundkont. Klasse (kontaminiert od. septisch) 5.79% 6.23% 3 Modifizierbar. Bedingt Mod. Bedingt Mod. ASA score ≥ 3 Data: German National Reference Centre for Surveillance of Nosocomial Infection; 2005-2009 www.nrz-hygiene.de Verteilung und Häufigkeit der Perforationen Inzidenz am höchsten bei 1. Assistenz, Chirurg, OP-Schwester Parteke LI et al. Infect Control Hosp Epidemiol 2009;30: 409-14. Perforationsrate und Tragedauer Untersuchung von 898 Paar Handschuhe nach OP über 9 Monate N=150 46/299 54/299 71/300 Parteke LI et al. Infect Control Hosp Epidemiol 2009;30: 409-14. Mean (N=24) lg Reduction ± SD Hautflora nach chir. Händedesinfektion unter Handschuhen % Handschuhperforation EN 12791 Referenz Alkohol: 1-propanol 60% v/v Reduktion Bakterien auf der Hand prevalue Rotter ML et al. Infect Control Hosp Epidemiol 2007;28:346-50 Modifizierbarer Faktor Assoziation von Handschuhperforation und SSI Misteli H et al. Arch Surg 2009;144:553-8. Ohne AB Prophylaxe Gesamt Mit AB Prophylaxe 4.5% Misteli H et al. Arch Surg 2009;144:553-8. Viszeralchirurgie: Intraoperativer OP-Handschuhwechsel nach 90 Min. OP-Zeit Harnoß JC et al. Am J Infect Control 2010; 38: 154–8. Bündelung von Schutzmaßnahmen um den Patienten: Abdeckun g OPKleidung Perioperat ive Antibiotik a Hausversi egelung Verhalten sinformati on postOP Feedback SSI Rate an Abteilung OPTechnik Handschu hwechsel Nahttechn ik (Einzel, Fortlaufen d) Max. Reduktion von Kunststoff en Schulung und Training Mitarbeit er Postopera tive Pflege Hautnaht und Verschluss Positive Fehlerkult ur Wundverb andtechni k Anzahl Personen im OP Metabolisch e Korrektur Sanierung von Infektion u. Kolonisatio n Indikation Patient Hautantis eptik Sterile Instrumen te Surveillan ce SSI ggF. Haarkürz ung Analyse von Fehlern Zahnstatu s und Sanierung Risikoredukt ion (Rauchen, Adipositas) Prävention von SSI = Bündelstrategie, nicht nur Einzelmaßnahmen! Bündelstrategie Antimicrobials Glucose Control Surgical gloves Aseptic work Sterile Instrum. Surgical Skill Skin Antisepsis Pathogen Patient Zwei Grundprinzipien: 1 – Stärkung der Immunabwehr des Patienten und seines Gewebes 2 – Reduktion oder völlige Elimination interoperativer bakterieller Kontamination Mögliche Ursache für SSI Patient hatte eine Infektion mit Staphylococcus aureus. Der molekularbiologisch identische Stamm fand sich auch im Nasenvorhof, axillar und in den Leisten. Mit S. aureus kolonisierte Patienten haben ein 7x erhöhtes Risiko einer SSI.1,2 1-Pert TM et al. Ann Pharmacother 1998;32:7-16. 2-Kluytmans JA et al. Clin Microbiol Rev 1997;10:505-20. Mögliche Ursache für SSI Eine präoperative Eradikation des Besiedelungsstammes mit • 1% Mupirocin nasal 3xtgl • 2% CHG Körperwaschung 1xtgl. über 5 Tage (Kosten: € 60-80,-) hätte die Chance, keine SSI zu bekommen 7-fach erhöht. Fazit „Schicksalhafte“ Infektionen gibt es nicht! Jede Infektion hat eine Ursache und einen Grund Die Gründe können beeinflussbar (modifizierbar) oder unbeeinflussbar (nicht modifizierbar) sein. Kommt es zu einer postoperativen Infektion und lagen modifizierbare Faktoren vor, die nicht beseitigt oder reduziert wurden, wurde gegen den Stand des Wissens und der Technik gehandelt, und damit die Sorgfaltspflicht verletzt. Die Einhaltung modifizierbarer Infektionsrisiken ist heute ein vollbeherrschbares Risiko! Forderungen der ÖGKH: Vereinfachter Zugriff auf infektionsepidemiologisch relevante Messdaten des Gesundheitssystems Stärkung der Rolle von Hygienefachkräften und strukturelle Umsetzung der Empfehlungen von ProHyg 2.0, damit Surveillancedaten erhoben und präventive Maßnahmen gesetzt werden können. Übernahme von Kosten für präventive Maßnahmen durch Krankenversicherungen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!