Vortrag Prof. Dr. Keupp

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DasProf.
erschöpfte
Selbst
auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Dr. Heiner
Keupp
Das erschöpfte Selbst auf dem
Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Beitrag zum Hearing „Leben am Limit“
der Evangelischen Kirche KurhessenWaldeck am 19. Juni 2012 in Kassel
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Summary
Der globalisierte Kapitalismus hat zu einer spürbaren Beschleunigung und Verdichtung der Abläufe in den beruflichen und privaten Lebenswelten geführt. Die deutlichen Belege für eine Zunahme von Burnout und Depressionen lassen sich als Hinweise auf diese Entwicklung
verstehen. Sie führen bei zunehmend mehr Menschen zu
dem Gefühl der Erschöpfung.
Die Antworten auf diese Probleme dürfen nicht in individualisierenden Strategien gesucht werden, sondern erfordern kollektive Aktionen.
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Gewinner und Verlierer der
Wirtschaftsentwicklung im
Vergleich
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Leben am Limit und
darüber hinaus:
Burnout und Depressionen
als Volkskrankheiten No. 1
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
DER SPIEGEL 3/2011
Erschöpfungsdepression –
was hilft gegen die
Volkskrankheit des
21. Jahrhundert?
„Beruflicher Stress, unendlicher Informationsfluss,
intensive Kommunikation als soziales Muss:
Die moderne Welt hat
uns mit ihren Pflichten
fest im Griff.
Wer sich selbst nicht fest im
Griff hat, läuft Gefahr,
auszubrennen. Macht
uns das moderne Leben
auf Dauer krank.“
DER SPIEGEL 30/2011
Der Ausweg?
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Prof. Dr. Depressiv
Lehrende an deutschen
Hochschulen sind so
produktiv wie nie –
gleichzeitig häufen sich
psychische Probleme
DIE ZEIT vom 03.11.2011
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Mehr als schlechte Laune: Psychosoziale
Probleme nehmen deutlich zu.
Der SPIEGEL 4/2011 liefert folgende Daten:
4 Millionen Bundesbürger leiden an behandlungsbedürftigen Depressionen;
76 % Zunahme der Fehlzeiten aufgrund psychischer Störungen zwischen 1998 bis 2009;
38 % der Frühverrentungen 2009 erfolgten
Robert Enke
wegen psychischer Störungen.
(1977 – 2009)
Die Zahlen der Krankenkassen:
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Robert Enke
(1977 – 2009)
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen
am 27.12.2011 in der Saarbrücker Zeitung
„Es gibt ein Thema, das bislang viel zu kurz gekommen ist: die psychischen Belastungen in der
Arbeitswelt. Jeder dritte Bürger, der heute vorzeitig in Rente geht, tut das, weil er den Anforderungen seines Jobs psychisch nicht mehr gewachsen ist. Im Schnitt gehen die Leute mit
Robert Enke
Mitte Vierzig. Das ist für die Betriebe wie(1977
für die
– 2009)
Gesellschaft ein Riesenverlust. Allein die Behandlungskosten dafür belaufen sich auf geschätzte
27 Milliarden Euro im Jahr. Diese Zahlen sollten
aufrütteln.“
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Robert Enke
(1977 – 2009)
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Verschreibung von
Antidepressiva:
2009 wurden bei
Männern 119 Prozent,
bei Frauen 96 Prozent
mehr Tagesdosen als
im Jahr 2000
verschrieben.
Gesundheitsreport der TKK 2010
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Quelle: Betriebskrankenkassen 2009
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Quelle: Betriebskrankenkassen 2009
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Zwischenbilanz
Es ist notwendig, die inflationäre Verwendung der Diagnosen Burnout
oder Depression kritisch zu reflektieren. Die Hauptnutznießerin
dieser diagnostischen Gepflogenheit ist die Psychopharmaindustrie.
Unstrittig dürfte sein, dass immer mehr Menschen die Veränderungen
in ihrer Arbeits- und Alltagswelt als Herausforderungen und Belastungen erleben, die ihre Bewältigungsmöglichkeiten überschreiten. Die „Klinifizierung“ der daraus folgenden psychischen Probleme enthält die Gefahr der Individualisierung gesellschaftlicher Probleme.
Benötigt wird eine erklärungsfähige „Gesellschaftsdiagnostik“
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Von der Melancholie zur
Depression:
Was mit der Klinifizierung
verloren gehen kann
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Theophrast fragte:
„Aus welchem Grunde sind alle
hervorragenden Männer, sei es,
dass sie sich in der Philosophie,
der Politik, der Poesie oder den
bildenden Künsten ausgezeichnet haben, offenbar
Melancholiker?“
Theophrast von Eresos 371
v. Chr.–287 v. Chr.
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Martin Luther in seinen
„Tischreden“:
„Satan est Spiritus tristitiae“.
Oder:
„Die Traurigkeit, die Epidemien
und die Melancholie kommen
vom Satan.“
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Von der Notwendigkeit einer
Gesellschaftsdiagnostik
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„Der Tod des Selbst“
„Es gibt wenig Bedarf für das innengeleitete ‘one-style-for-all’ Individuum.
Solch eine Person ist beschränkt,
engstirnig, unflexibel. (...) Wir feiern
jetzt das proteische Sein (...) Man
muss in Bewegung sein, das Netzwerk ist riesig, die Verpflichtungen
sind viele, Erwartungen sind endlos,
Optionen allüberall und die Zeit ist
eine knappe Ware.“
Quelle: Kenneth J. Gergen: The self: Death by technology (2000).
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Robert Jay Lifton, geboren 1926 in New
York, ist Professor für Psychiatrie und
Psychologie an der New York University
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Die „Gewalt der Positivität“
Die Arbeitswelt setzt auf Eigenmotivation, Initiativgeist und Selbstverantwortung. Die Disziplinargesellschaft, von der Stechuhr regiert, wurde von der Leistungsgesellschaft abgelöst, in der jeder
sich konditioniert, als sei er sein eigener Unternehmer. Die „Negativität des Sollens“ hat sich zu einer viel effizienteren „Positivität
des Könnens“ entwickelt. Obamas millionenfach reproduzierter
Slogan „Yes, we can“ hat darin seine alptraumhafte Kehrseite.
Das sich selbst ausbeutende Subjekt ist Täter und Opfer zugleich,
Herr und Knecht in einer Person. Allgegenwärtige Werbesprüche
gellen wie zum Hohn in ihr nach: „Die Klage des depressiven Individuums ,Nichts ist möglich’ ist nur in einer Gesellschaft möglich,
die glaubt Nichts ist unmöglich.“
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Vertrauensarbeitszeit
Die Arbeitszeitkultur verändert sich von der kontrollierten Präsenzpflicht zur „Vertrauensarbeitszeit“.
Thomas Sattelberger (Personalvorstand der Telekom): „Ständige
Erreichbarkeit und Verfügbarkeit ist kein Zeichen von Leistungsfähigkeit.“
„Vertrauensarbeitszeit“ bedeutet, dass zwischen Vorgesetzten und
Mitarbeitern vereinbarte Ziele und Fristen von diesen in selbstbestimmter Zeiteinteilung erledigt werden können („management
by objectives“).
Hier übernimmt das Personal zunehmend die Last der unternehmerischen Verantwortung. Und ist der Gefahr der Selbstausbeutung ausgesetzt.
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Die Grenzen der „unternehmerischen Anrufung“
und des „Subjektivierungsregimes“
„Weil die Anforderungen unabschließbar sind, bleibt
der Einzelne stets hinter ihnen zurück. (…) Im Unglück
der Depressiven wird die Kluft zwischen dem Anspruch
an die Individuen und ihren stets unzureichenden Anstrengungen sichtbar.“
„Depressive Erschöpfung (ist) die dunkle Seite der auf
Dauer gestellten Hyperthymie des unternehmerischen
Selbst.“
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Das „erschöpfte Selbst“ –
Denkanstoss von Alain Ehrenberg
Alain Ehrenberg will zeigen, dass depressive Verstimmungen,
Erschöpfung und Verzweiflung keine Unregelmäßigkeiten, sondern so etwas wie der unvermeidliche Schatten
des karriere- und selbstverwirklichungssüchtigen Selbst
der kapitalistischen Moderne um die Jahrtausendwende
sind.
Dieses Selbst wird gesteuert von der Annahme, dass alles
möglich sei. Und dass es ausschließlich in seiner Verantwortung liege, aus der Fülle der Möglichkeiten das je
eigene „gelingende“ Leben zu stricken. Ehrenberg hält
diese Behauptung nicht für richtig, sondern für mächtig.
Sie wirkt wie eine innere Stimme, die den Unzufriedenen
allerorten hämisch einflüstert, dass es anders hätte kommen können, wenn sie nur die richtige Wahl getroffen
hätten. Unter der Last der Verantwortung brechen die
solcherart malträtierten Selbste oft zusammen.
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
These
In ihren Lebensformen passen sich die spätmoderne Subjekte der unaufhaltsamen Beschleunigungsdynamik des
globalen Kapitalismus an. Der gesellschaftliche und
berufliche Fitness-Parcours hat aber kein erreichbares
Maß, ein Ziel, an dem man ankommen kann, sondern es
ist eine nach oben offene Skala, jeder Rekord kann
immer noch gesteigert werden. Hier entsteht trotz –
oder gar wegen - der Wellness-Industrie keine Chance
eine Ökologie der eigenen Ressourcen zu betreiben, sondern in einem unaufhaltsamen Steigerungszirkel läuft
alles auf Scheitern und einen Erschöpfungszustand zu.
Die steigenden Depressionsraten sind der Beleg dafür.
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Das Zeitalter der Depression
Charles Darwin:
"Ich sollte mich wahrscheinlich damit zufriedengeben, die Fortschritte zu bewundern,
die andere in der Wissenschaft machen.“
"Jedes Leiden verursacht Depressionen, wenn
es nur lange genug anhält. Doch es macht
auch wachsam gegenüber großem und
plötzlichem Übel.“
Charles Robert Darwin (* 12. Februar 1809
in Shrewsbury; † 19. April 1882 in Downe)
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Das Zeitalter der Depression
Der evolutionäre Sinn der Depression
Paul Andrews von der Virginia
Commonwealth University in Richmond
J. Anderson Thomson, Jr.,
MD, University of Virginia
in Charlottesville
Thomson und Andrews stellten sich die Frage, ob ein
paar Monate noch so sinnlos scheinender innerer Monologe nicht am Ende auch ihr Gutes haben können.
Vielleicht hilft der von Selbstekel begleitete Trauerprozess, Beziehungsmuster zu überdenken und soziales Verhalten neu zu definieren. "Es schien uns nicht
logisch, dass das Gehirn ausgerechnet dann versagt,
wenn es am meisten gebraucht wird", sagt Andrews.
"Vielleicht sucht es nur besonders konsequent nach
einem Ausweg.„
"Wenn es die Depression nicht gäbe, würden wir
Lebenskrisen weniger gut meistern."
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Das erschöpfte Selbst auf dem Fitnessparcours des globalen Kapitalismus
Das Zeitalter der Depression
Was könnte insgesamt die Lehre aus diesen Beobachtungen sein?
Therapeutisch käme es im Zweifelsfall darauf an, den Patienten dahin zu bringen, dass er sein Leiden akzeptiert. Dass er den Grundton
der Verzweiflung annimmt und vielleicht sogar begrüßt, weil er den
Weg frei macht für ein geändertes, besseres Leben nach der Depression.
Eines muss man dennoch einräumen: Dass eine Depression einem
Zweck dienen kann, dass Trauer uns möglicherweise schlauer macht,
nimmt beidem nicht die Schwärze und den Schrecken. Auch ein Fieber kann hilfreich sein - trotzdem bekämpfen wir es mit Pillen.
Man kann darin ein weiteres Paradox der Evolution sehen: Selbst
wenn tiefer Schmerz uns auf Dauer weiterhilft, bleibt die instinktive
Flucht vor ihm doch der stärkste Impuls, den wir kennen.
Jonah Lehrer: Depression‘s Upside. In: The New York Times Magazine vom 25. Februar 2010
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Sebastian Deisler im Interview mit
dem Tagesspiegel vom 4.10.2007:
„Ich bin zu der Erkenntnis gelangt,
dass ich so, wie alles gelaufen ist,
nicht geschaffen war für dieses Geschäft. Am Ende war ich leer, ich
war alt, ich war müde. Ich bin so
weit gelaufen, wie mich meine
Beine getragen haben, mehr ging
nicht.
Ich möchte jetzt ein Leben führen,
das ich allein bestimme“.
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Schlussfolgerungen
1. Subjekte einer individualisierten und globalisierten Gesellschaft können in ihren Identitätsentwürfen nicht mehr
problemlos auf kulturell abgesicherte biographische
Schnittmuster zurückgreifen. In diesem Prozess stecken
ungeheuere Potentiale für selbstbestimmte Gestaltungsräume, aber auch das Risiko und die leidvolle Erfahrung
des Scheiterns. Die Zunahme der Depression verweist auf
dieses Risiko. Sie ist aber nicht ein „Fluch der Freiheit“,
sondern verweist auf einen Mangel im „Handwerk der
Freiheit“.
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Schlussfolgerungen
2. Die „Klinifizierung“ oder „Medikalisierung“ der Depression und die daraus in der Regel folgende medikamentöse Behandlung verhindert die Chance,
den persönlichen und gesellschaftlichen Sinn der
Depression zu erkennen. Er besteht in seiner Funktion als Haltesignal und einem Nachdenken über
Bedingungen und Möglichkeiten einer reflexiven
Identitätsarbeit.
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Schlussfolgerungen
3. Zum Verständnis der Depression brauchen wir eine
differenzierte Gesellschaftsdiagnostik und diese
muss im öffentlichen Raum kommuniziert werden: Die in den privatisierten und individualisierten Problem- und Leidenszuständen der Subjekte
enthaltenen gesellschaftlichen Hintergründe kann
man entschlüsseln und sichtbar machen. Dies ist
auch die Voraussetzung für sinnvolle Projekte der
Prävention und Gesundheitsförderung.
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Schlussfolgerungen
4. Erforderlich ist eine Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Menschenbildannahmen . Die Figur des „unternehmerischen Selbst“ ist auf den kritischen Prüfstand zu stellen.
Sie verweist auf ein neoliberales Menschenbildes, das eine
maximierte Selbstkontrolle als Fortschritt anpreist. Ausbeutung und Entfremdung wird zunehmend weniger als fremd
gesetzter Zwang von Menschen erlebt, sondern wird mehr
und mehr zu einer Selbsttechnologie, zu einer Selbstdressur,
die allerdings in den Ideologien des Neoliberalismus in einem
Freiheits- oder Autonomiediskurs daher kommt.
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Schlussfolgerungen
5. Auf das Individuum gerichtete Präventionsprojekte können hilfreiche Angebot sein, sich in diesen gesellschaftlichen Umbruchprozessen Unterstützung bei einer Neuorientierung, Reflexion und Selbstorganisation zu holen.
Sie sollten keinesfalls „Trainingslager“ für Fitness im globalen Netzwerkkapitalismus liefern. Sie stellt einen Rahmen der „inneren Modernisierung“ dar, aber die Frage,
was in diesem Rahmen Emanzipation oder Affirmation
sein kann, bleibt auf der Tagesordnung. Selbstverwirklichungsmöglichkeiten können in Selbstausbeutung umschlagen.
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Schlussfolgerungen
6. Eine Strategie der universellen oder Verhältnisprävention muss
letztlich auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zielen
und dazu ist nicht nur die professionelle Arbeitsgestaltung
gefragt, sondern die aktive Beteiligung der Betroffenen,
denen bewusst ist, dass individuelle Selbstsorge nur im Rahmen kollektiver Interessenvertretung (z.B. in Selbsthilfegruppen, Netzwerken, Gewerkschaften, Attac) möglich ist.
Das „unternehmerische Selbst“ darf nicht alleine gelassen werden.
„Vertrauensarbeit“ kann ein Potential selbstbestimmter Tätigkeit sein, bedarf aber einer Kontrolle der Zielvorgaben.
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Kohärenz
Metakonstrukte
Identität
Identitätsgefühl
Authentizität
Religion
Teilidentitäten
Arbeit
Mann
Identitäts
projekt(e)
Identitäts
entwürfe
Handlungsbefähigung
Identitäts
entwürfe
Identitäts
entwürfe
Situative
Selbstthema
-tisierungen
Handeln
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