50 Jahre Haslachmühle!! • Die Arbeit mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie ihren sozialen Systemen folgte immer schon einem interdisziplinären Ansatz, unter besonderer Beteiligung von Fachkräften der Pädagogik (Erziehern, Lehren, Sozialpädagogen, Heilpädagogen) und von Spezialtherapeuten (Logopäden, Ergotherapeuten, Musiktherapeuten, Physiotherapeuten etc.). Epidemiologie • Schon im Kindergarten zeigen 20% aller Kinder, meist Jungen, Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressivität, Hyperaktivität oder Aufmerksamkeitsschwäche. • Dazu finden sich bei über 25% der Vorschulkinder Entwicklungsstörungen im Sinne motorischer Entwicklungsrückstände, Sprachentwicklungsstörungen oder anderer Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen. • Sozio-ökonomische, psychische und somatische Bedingungsfaktoren lassen diese Zahl in besonders benachteiligten gesellschaftlichen Subgruppen auf bis zu 40 % ansteigen Bella‐Studie • Ca. 21% aller Kinder und Jugendlichen von 7 bis 17 sind in Deutschland psychisch auffällig. • Es überwiegen Angststörungen (10%), gravierende Störungen des Sozialverhaltens (7,6%) und depressive Störungen (5,4%). • Es besteht ein erheblicher sozialer Gradient, zugleich werden gerade Kinder aus bildungsfernen und ökonomisch benachteiligten Milieus deutlich seltener behandelt. Prävalenz geistiger Behinderung • Prävalenz: 0.6 % pro Geburtsjahrgang • d.h. 4800 Kinder pro Geburtsjahrgang • Entspricht ca. 85000 Kinder in der BRD Belastungen durch zusätzliche Erkrankungen • Motorische Schwächen,Cerebralparesen und andere Bewegungsstörungen • Sprachentwicklungsstörung • Sinnesbeeinträchtigungen (Sehen/Hören) • Epilepsien • Genetische Erkrankungen • Stoffwechselstörungen • Wachstumsstörungen etc. Prävalenz von emotionalen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten • 30- 50% der Kinder mit geistiger Behinderung oder anderen Entwicklungsbeeinträchtigungen zeigen emotionale Störungen und Verhaltensauffälligkeiten • Risiko um 3 – 4 mal erhöht bei geistiger Behinderung Kooperationsnetz bei Entwicklungsstörungen und Verhaltensproblemen JA/ Eingliederung Logopädie Kinderarzt Soz-.med. SPZ Nachsorge Kind Familie FUD Heilpädagogen KJP Frühförderung Kinder Physiotherapie garten Ergotherapie Schule Psychologie Tagesstätte Heim Verhaltensstörung oder psychische Erkrankung? • Genetische Erkrankungen mit „typischen“ Verhaltensbesonderheiten (z. B. Prader- Willi mit grenzenlosen Essverhalten, Zwängen, Autoaggression) • Frühkindlicher Autismus (Autoaggression, Fremdaggression, Brummen“, Rituale, Lichtschalter betätigen…) • Autoaggression bei syndromaler Erkrankung z.B. Smith Magenis (Mikrodeletion Ch 17) mit Kopfschlagen, Beißen… Emotionale Beeinträchtigung bei geistiger Behinderung • Erfahrungen von mangelnder Annahme und Wertschätzung, emotionale Verlassenheit, Verluste, Abwertung, Ausgrenzung, Kontrolle, Perspektivlosigkeit, Fremdbestimmung und Anpassungsdruck sind ursächlich. Diese drücken sich in, für Außenstehende, oft unverständlichen Verhaltensweisen aus. • Weitere Ablehnung und Verständnislosigkeit gegenüber dem behinderten Menschen folgen und verstärken so störendes und problematisches Verhalten. Entwicklungsstörung und emotionale Beeinträchtigung • Der Säugling, der in seiner Entwicklung die Erwartungen seiner Mutter erfüllt, verstärkt ein positives Erziehungsbemühen und die Zuwendung der Mutter. • Reagiert das Kind nicht hinreichend, z. B. wegen einer muskulären Hypotonie oder einer Hörschwäche, kommt es zunächst nochmals zu einer Intensivierung der Erziehungs- und Zuwendungsanstrengungen, dann gibt die Mutter häufig auf, und vermindert ihre Bemühungen. • Damit wirken das Kind wie die Mutter steuernd auf die eigene Entwicklung, in diesem Beispiel allerdings auf eher ungünstige Weise. Das Nicht-Reagieren eines Kindes wird aber von Eltern meist als Kränkung und Zurückweisung verarbeitet, ebenso wie Kinder ein Erleben von fehlender Selbstwirksamkeit häufig depressiv verarbeiten. • An einem solchen Punkt setzt dann häufig ein Problembewusstsein ein, das im günstigen Fall zu professioneller Hilfe bei der Gestaltung der Mutter-Vater-Kind-Beziehung führt. Regulationsstörung Entwicklungsstörung und emotionale Beeinträchtigung • Eine Schädigung, z. B. im Sinne einer emotionalen Vernachlässigung, seelischen oder körperlichen Traumatisierung oder einer längerfristigen Entwicklungsbehinderung hat nicht bei jedem Individuum in jeder Familie und zu jedem Zeitpunkt die gleiche Symptomatik zur Folge. Bio-psycho-soziales Entwicklungsmodell • Menschliche Entwicklung ist ein mehrdimensionales Geschehen auf den Ebenen der biologischen, psychologischen und sozialen Abläufe. • Psychische Störungen zeigen sich immer auch auf allen genannten Ebenen, wenn auch mit jeweils unterschiedlicher Ausprägung. • Entwicklung ist ein zirkuläres Wechselspiel zwischen Individuum und Umwelt, das nichtlinearen Kausalitäten folgt. Heute spricht man von systemischen Erklärungsmodellen Allgemein können vier Dimensionen unterschieden werden: • biologische Faktoren: Geschlecht, genetische Ausstattung, konstitutionelle Faktoren, somatische Vorerkrankungen, Unfälle, Behinderungen, Ernährung • psychosoziale Faktoren: individuelle psychosoziale Entwicklung, familiäre, schulische und PeergruppenSozialisation • soziokulturelle Faktoren: sozioökonomische Bedingungen, epochale, historische und politische Bedingungen wie Migration, Krieg etc., kulturelle Bedingungen wie Medieneinflüsse, religiöse Prägungen etc. • aktuelle Lebensumstände: situative Faktoren und Belastungen wie Trennung, Scheidung, Schulwechsel, akute Krisen Einfluss der vier Dimensionen • Es leuchtet unmittelbar ein, dass z. B. eine Entwicklungsverzögerung aufgrund von Geburtskomplikationen einen jeweils anderen Verlauf nimmt, abhängig von • Dimension1: den funktionellen Förderungsmöglichkeiten wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie • Dimension 2: der Ausgestaltung der Bindungsbeziehungen, und der psychischen Sicherheit • Dimension 3: der Zugehörigkeit zu einer sozialen und kulturellen Gruppe • Dimension 4: den situativen Belastungen bzw. Ressourcen Bedingungsgefüge psychischer Erkrankungen • Sozio-ökonomische Bedingungen, epochale, historische und politische biologische Faktoren: Bedingungen, Migration, Geschlecht, genetische Krieg.. Ausstattung, • Elterliche Kompetenz • situative Faktoren und Belastungen wie Trennung, Scheidung, akute Krisen Kognition • Institutionelle Bedingungen in KG/Schule/Einrichtung • situative Faktoren wie Schulwechsel Anpassungsfähigkeit konstitutionelle Faktoren, somatische Vorerkrankungen, Unfälle, Behinderungen, Ernährung Emotionsregulation • Interkulturelle Haltung • kulturelle Bedingungen • religiöse Prägungen Bedingungsgefüge psychischer Erkrankungen • Der Ausgang einer solchen Problemlage hängt nur zum kleineren Teil von der primären Ursache, sondern vielmehr vom Zusammenwirken der Bedingungsfaktoren im Gesamtverlauf ab. • So kann bei günstiger Konstellation die Entwicklungsverzögerung vollständig behoben werden, im ungünstigsten Fall jedoch in eine chronifizierte somatische, emotionale, kognitive oder soziale Behinderung führen, mit dem Ergebnis reduzierter Teilhabe und Selbstverwirklichung in vielen Lebensbereichen. • In allen Dimensionen werden protektive (=schützende) oder Ressource-Faktoren und Risiko- (=Vulnerabilitäts-) faktoren wirksam. Risikofaktoren • Jungen haben bis zur Pubertät ein 2-5-fach erhöhtes Risiko für Entwicklungsstörungen, Teilleistungsschwächen, Hyperkinetische Störungen und für aggressive Verhaltensauffälligkeiten. Sie gelten als insgesamt verletzlicher durch äußere und innere Belastungen, besonders im Zentralnervensystem. Ihr Entwicklungstempo und die Stabilität der Reifung sind langsamer als bei Mädchen. • Gleichzeitig konsumieren Jungen noch mehr als Mädchen Medien, die Gewalt als alleinige Konfliktlösung propagieren, muten sich mehr ihre Hirnentwicklung gefährdende Inhalte zu, und blockieren damit tendenziell schulischen Lernerfolg (z. B. Spitzer 2003). Risikofaktoren • Kinder mit zerebralen Schädigungen haben je nach Ausprägung und Lokalisation ein bis zu 10 x höheres Risiko für psychische Störungen als gesunde. • Familiäre Belastungen bei gesunden Kindern erhöhen dieses Risiko um nahezu den gleichen Faktor. Dazu zählen u.a.: psychische Erkrankung oder Delinquenz eines Elternteiles, dauerhafte Streitatmosphäre, Elternverlust durch Scheidung, körperliche und psychische Vernachlässigung und Misshandlung. • Eine problematische sozioökonomische Situation allein vergrößert die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Störung bei einem Kind um den Faktor 2 – 3. Vulnerabilitäts-Stress-Modell • Eine große angelegte US-amerikanische Studie, die Adverse Childhood Experiences Study (ACE, Felitti et al., 2002, 2005) untersuchte mehr als 17 000 Mitglieder einer Krankenversicherung bezüglich negativer Kindheitserfahrungen und ihrer Auswirkungen im späteren Leben. • Das Ergebnis war eine gesicherte Dosis-Wirkungsrelation von belastenden Lebenserfahrungen durch Vernachlässigung, Misshandlung, länger andauernden sexuellen Missbrauch, aber auch durch psychisch kranke oder inhaftierte Elternteile mit allen sozialmedizinisch bedeutsamen körperlich und psychischen Erkrankungen in späteren Lebensaltern. • Je früher, mehr und intensiver Belastungsfaktoren auf die jungen Menschen einwirkten, umso wahrscheinlicher war eine soziale, emotionale oder kognitive Beeinträchtigung bis hin zu psychosozialer Behinderung, chronisch körperlicher Erkrankung und einem früheren Tod Vulnerabilitäts-Stress-Modell Individuelle protektive Faktoren • Kinder, die ein heiteres, fröhliches Grundtemperament mitbringen, haben auch unter schwierigen Umweltbedingungen bessere Entwicklungschancen • Ebenso Kinder mit besonders guten Aufmerksamkeits- und Reaktionsfähigkeiten und Kinder die weniger leicht zu irritieren sind und bei ihren einmal gesteckten Zielen bleiben. Diese Kinder können unangenehme Situationen relativ gut aushalten und ihr Kern-Selbst vor Verletzungen schützen. • Kinder, die bereits eine Beziehung erlebt haben, die getragen hat; wenn mindestens ein Jahr lang eine gute Mutter-Kind- Beziehung bestanden hat. (selbst, wenn das Kind später von der Mutter misshandelt wird!) • Kinder, die es auch in schlechteren Verhältnissen schaffen, gut durch zukommen, fallen in Heimen oft dadurch auf, dass sie sich stärker für andere in der Gemeinschaft engagieren, und es gleichzeitig fertigbringen, sich eine Privatsphäre zu schaffen. Äußere protektive Faktoren • Eine stabile und gute familiäre Atmosphäre, mit emotionaler Verbundenheit, Förderung von Autonomie der Familienmitglieder, eindeutiger Kommunikation, konsequenter Erziehungshaltung und klarer Aufgabenverteilung liefert beste Entwicklungsbedingungen, auch bei ansonsten belastenden Risikofaktoren. • Früherkennung von medizinisch-neurologischen Risikofaktoren und die Behandlung trägt zur Verhinderung bzw. Begrenzung von körperlichen Behinderungen (Sekundäre Schäden) bei. Äußere protektive Faktoren • Größere soziale Netze bieten mehr Sicherheit vor psychischer Erkrankung. Eine isoliert lebende Zwei- oder Dreikopffamilie birgt ein höheres Risiko als eine stärker sozial vernetzte größere Familie. Wenn mehrere Erwachsene als Bezugspersonen zur Verfügung stehen, kann das Kind zwischen ihren Verhaltensweisen differenzieren lernen. Es ist nicht nur einer Sichtweise ausgeliefert, und es kann sich bei Schwierigkeiten mit dem einen auf den anderen stützen. • Ein „wissender Zeuge“ (Alice Miller): ein Mensch, der nicht direkt in die problematischen Umstände verwickelt ist, dem das Kind aber als Vertrautem etwas davon erzählen kann (entfernt wohnender Großvater, Lehrer, ältere Geschwister etc.), der dem Kind das Gefühl vermittelt: Hier ist jemand, der zu mir steht, mir ein Stück Wert gibt und der mir eine Reflektion über das Erlebte ermöglicht. Bedingungsgefüge psychischer Erkrankungen • Das Zusammenspiel von Risiko- und Protektionsfaktoren, von Krankheits- und Bewältigungsvariablen (Coping) entscheidet wesentlich über Entstehung und Verlauf einer psychischen Störung. Gehirnentwicklung und Psyche • Die durch die Weiterentwicklung der modernen bildgebenden Verfahren heute mögliche Erforschung neurobiologischer Zusammenhänge mit psychischen Prozessen kommt zu noch weitergehenden Schlussfolgerungen: • Hirnforscher wie Spitzer (2000), Hüther (2001) oder Roth (2004) betonen heute immer stärker die psychischen Voraussetzungen für eine adäquate somatische Entwicklung des Gehirns. • Ausgeprägter als bei anderen Primaten ist das menschliche Gehirn angewiesen auf intensive, angemessene und konstante Beziehungen, um ausreifen zu können. Gehirnentwicklung und Psyche • Neuere Erkenntnisse zeigen, dass biologische Risiken sich primär in Beeinträchtigungen von motorischen Entwicklungen bemerkbar machen, während der Einfluss psychosozialer Risiken sich stärker in der kognitiven und sozioemotionalen Entwicklung niederschlägt. • Dabei ändert sich auch die relative Bedeutung der Risikofaktoren im Verlauf der Entwicklung: während biologische Risiken mit zunehmendem Alter an Bedeutung verlieren, wächst im Gegenzug der Einfluss von psychosozialen Risiken. Gehirnentwicklung und Psyche • Hüther weist nach, dass „Liebe ein Naturgesetz ist und das Gehirn ein Sozialorgan“. Das menschliche Gehirn ist vom Aufbau her optimiert für „psychosoziale Kompetenz“. • Dabei ist die strukturelle Ausformung, die Vernetzung einzelner Hirnareale zu funktionellen Einheiten zu einem großen Teil nutzungsabhängig, und nur in Grundzügen genetisch bestimmt. Gehirnentwicklung und Psyche • Nur unter dem einfühlsamen Schutz und der kompetenten Anleitung durch erwachsene „Vorbilder“ können Kinder vielfältige Gestaltungsangebote auch kreativ nutzen und dabei ihre eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten erkennen und weiterentwickeln. • Nur so kann im Frontalhirn ein eigenes, inneres Bild von Selbstwirksamkeit stabilisiert und für die Selbstmotivation in allen nachfolgenden Lernprozessen genutzt werden. Gehirnentwicklung und Psyche • Um die für funktionelle Netzwerke erforderlichen, hochkomplexen Verschaltungen ausbilden zu können, müssen Kinder möglichst viele und möglichst unterschiedliche eigene Erfahrungen machen. • Dazu brauchen sie vielfältige stimulierende (ihre emotionalen Zentren aktivierende) Angebote und Herausforderungen und – um diese annehmen und erfolgreich bewältigen zu können – Sicherheit- und Orientierung- bietende Bindungsbeziehungen. Gehirnentwicklung und Psyche • Vertrauensvolle emotionale Bindungen sind für Kinder die wichtigste Ressource zur Bewältigung von Unsicherheit, Angst und Stress. • Die Ausformung und Stabilisierung sicherer Bindungsmuster hängt davon ab, ob ein Kind die wiederholte Erfahrung machen kann, dass es in der Lage ist, neue Anforderungen, die zu einer Störung seines emotionalen Gleichgewichtes führen, mit der Unterstützung einer primären Bezugsperson bewältigen zu können. Gehirnentwicklung und Psyche • Die im kindlichen Gehirn angelegten neuronalen und synaptischen Verschaltungsmuster sind weitaus verformbarer als bisher angenommen. • Die am stärksten durch die jeweiligen Nutzungsbedingungen strukturierte Hirnregion ist der frontale Kortex. Die in dieser Region während der Kindheit herausgebildeten Verschaltungen sind für die Steuerung der wichtigsten späteren Leistungen des menschlichen Gehirns zuständig: • • • • • Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugungen Motivation Impulskontrolle Handlungsplanung soziale und emotionale Kompetenz Gehirnentwicklung und Psyche • Emotionale Verunsicherung führt zur Aktivierung unbewusst reagierender limbischer und anderer stress-sensitiver neuro-endokriner Regelkreise und zwingt das Kind, nach Strategien zur Wiederherstellung seines inneren Gleichgewichtes zu suchen. • Solche stressinduzierte, in der Regel unbalancierten Bahnungsprozesse führen zwangsläufig zu defizitären Entwicklungen in anderen Bereichen: Wahrnehmung, Motorik, Lernverhalten, Motivierbarkeit, Sozialverhalten Gehirnentwicklung und Psyche • Chronischer Stress, messbar am SerumCortisolspiegel, auch schon praenatal , zerstört neuronale Strukturen des limbischen Systems, u.a.: • im Hippocampus (Zentrum für Gedächtnis), • in der Amygdala (Mandelkern, Zentrum für Emotionen, v.a. Angst) und • bremst die Hemisphärenvernetzung im Corpus callosum (der „Balken“, die Faserstränge zwischen den Hirnhemisphären) • Damit werden organisch begründbare Regulationsstörungen verursacht, die später in komplexe Störungen von Lernen, Emotionen und Verhalten münden können. Gehirnentwicklung und Psyche • Wenn während der frühkindlichen Entwicklung Erfahrungen aus der Umwelt vorenthalten werden, beispielsweise durch mangelhafte Angebote an Sinnesreizen, aber auch im Bindungsaufbau, können Hirnfunktionen irreversible Schäden erleiden. • Fazit: Erfährt das kindliche Gehirn nicht genügend auf seine Struktur hin angepasste Zuwendung, wird es – bedingt kompensierbar – unter seinen Möglichkeiten für kognitive und psychosoziale Kompetenz, Liebes- und Lernfähigkeit bleiben. Gehirnentwicklung und Psyche • Bei Kindern, die aufgrund wiederholter emotionaler Traumatisierungen oder chronischer Vernachlässigung keine geeignete Strategie zur Wiederherstellung ihres emotionalen Gleichgewichtes finden, kommt es zu einer lang anhaltenden, unkontrollierbaren Aktivierung ihres neuroendokrinen Stress-Systems mit nachhaltigen destabilisierenden Auswirkungen auf • psychischer (z. B. Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen) Ebene und auf • körperlicher Ebene (adaptive Veränderungen endokriner und vegetativer Regelkreise, Umbau neuronaler Netzwerke). Gehirnentwicklung und Psyche • Emotionale Prozesse stellen eine wesentliche Komponente für die Fokussierung von Aufmerksamkeit, Verarbeitungstiefe von Ereignissen, für Lernen und für Motivation dar. • Jegliches Lernen – auch von Sprache, motorischen Fertigkeiten und sozialer Kompetenz – ist damit immer eingebettet in emotionale Bewertung Gehirnentwicklung und Psyche • Man geht davon aus, dass diese Störungen abhängig von der Art und Dauer der schädigenden Einwirkungen reversibel sind, wenn das Beziehungsund Erziehungsmilieu entsprechend verbessert wird. • Studien zu stark deprivierten rumänischen Waisenkindern (Rutter 2006) haben gezeigt, dass nur bei drastischer Milieuverbesserung vor dem 18. Lebensmonat gute Aufholeffekte im Kognitiven, Motivationalen und Sozialen zu erzielen sind. • Andererseits wird aus dem Beschriebenen nochmals deutlich, dass ernste psychische Störungen auf der Grundlage andauernder früher Stressbelastungen entstehen Zusammenfassung • Die ersten Lebensjahre sind entscheidend für den ungestörten Aufbau eines gesunden Gehirns, entscheidende Voraussetzung für Selbstbewusstsein, angemessene Selbstregulation und kompetentes Verhalten auf allen Ebenen • Zur Entwicklung gehört das Durchleben von Krisen ebenso wie Perioden scheinbarer Ruhe • Der größte Teil der „normalen“ Krisen wird vom Kind eigenständig bewältigt Zusammenfassung • Ein kleinerer Teil bedarf stützender Hilfe seitens der sozialen Primärgruppen wie Familien, Schule, Peers. • Erst bei erheblichen Einschränkungen des Erlebens von Autonomie und Selbstwert mit entsprechender Symptombildung wird professionelle Hilfe erforderlich. Der gute Grund…. oder warum verhält sich ein Kind nicht wie es soll? Was tun bei…… • • • • • • • • • Rückzug Weinen Verweigern Schreien Unruhigem Verhalten Autoaggression Beißen Treten ………….. Fragen, die sie sich stellen sollten • Bei welchen Aktivitäten tritt das unerwünschte Verhalten typischerweise auf ? • Was geschieht in der Regel, wenn es auftritt ? • Gibt es bestimmte Ereignisse, die unmittelbar vorher geschehen ? • Gibt es Bedingungen, unter denen das Verhalten nie auftritt? • Gibt es einen Zusammenhang zu körperlichem Befinden ? • Spielen äußere Faktoren für das Auftreten eine Rolle? • Haben Sie eine Vorstellung, was das Kind damit mitteilen möchte ? Analyse der sozialen Anforderungen und Umgebungsbedingungen • • • • • • Reizvielfalt und Bewegungsfreiraum Angebot von Beschäftigungen Tagesstruktur Überschaubarkeit von Übergängen Wahlmöglichkeiten und Selbstbestimmung Schmerzen, Störungen des Wohlbefindens, Diät • Schlafstörungen • Eindeutigkeit und Stabilität von Betreuungspersonen • Konflikte im sozialen System Entwicklung einer Arbeitshypothese • Ereignisse, die dem Verhalten unmittelbar vorausgehen • Rahmenbedingungen, die sein Auftreten wahrscheinlicher machen • Konsequenzen, die das Verhalten aufrechterhalten • Einschränkungen von sozial-kognitiven Fähigkeiten, die zum Problem beitragen (Verstehen von Anforderungen und Zusammenhängen) • genetische Dispositionen (Einschränkungen der Selbstregulation) • Einschränkungen der Lebensqualität (Beziehungen und Selbstbestimmung) Der gute Grund…. oder warum verhält sich ein Kind nicht wie es soll? • • • • • • • Überforderung Unterforderung Lärm Fehlende Struktur fehlende Orientierung, viele Reize Organische/Genetische Erkrankungen Psychische Erkrankungen (Autismus, Bindungsstörung, Traumatisierung?) • Nicht verstehen • Sich nicht mitteilen können Förderung von Kommunikation • Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis und subjektiv für die Lebensqualität von entscheidender Bedeutung. • Sie ist eine wesentliche Bedingung für soziale Partizipation und Selbstbestimmung und zudem eine wichtige Grundlage für jede Entwicklung. • Es besteht deshalb die Notwendigkeit, beeinträchtigten Kindern sowohl frühe entwicklungsbegleitende Hilfen zum Verstehen und zum Verständigen anzubieten als auch Jugendlichen und Erwachsenen, die sich nur unzureichend lautsprachlich verständigen können, Möglichkeiten ergänzender und ersetzender Kommunikationsformen zu vermitteln. Interventionselemente (Auswahl) • Veränderung von sozialen Anforderungen • • • • Reduzierung der Aufgabenschwierigkeit Rhythmisierung und Gliederung von Aufgaben Tagesstrukturierung und Visualisierungshilfen Individuelle Assistenzen • Veränderung von Konsequenzen • • Verhaltensverträge (kontingenter Zugang zu bevorzugten Tätigkeiten) Veränderung dysfunktionaler Interaktionsmuster • Training adaptiver Verhaltensformen • • • • Selbständige Beschäftigung Alternative Kommunikation Ärger-(Selbst-) Management Soziales Kompetenztraining Ziel der Unterstützung Wertschätzende, ressourcenorientierte Beobachtung und Einschätzung des Kindes, von Eltern-Kind-Interaktionen, oder auch Kind-Kind Interaktion bei der die Perspektive des Kindes mit seinen individuellen Möglichkeiten im Vordergrund steht. Verhalten und Interaktionen des Kindes differenzierter beobachten und erkennen: SEHEN Wahrgenommenes aus der Perspektive des Kindes mit dem Wissen der medizinischen, entwicklungspsychologischen, pädagogischen und therapeutischen Sicht zu interpretieren: VERSTEHEN Möglichkeiten zur Veränderung in die Wege leiten: HANDELN Interventionsplanung • Einleitung der Unterstützung des Kindes mit anschließendem Bemühen um Generalisierung und Stabilisierung • „Positive Verhaltensunterstützung“ Veränderung von Bedingungen in Kombination mit differentieller Verstärkung adaptiver Kompetenzen. • Anpassung der Umwelt an Kompetenz und Hilfebedarf des Kindes („goodness of fit“) • Förderung von Lebens- und Beziehungsqualität vs. soziale Anpassung LITERATUR • • • • Papouesek, Regulationsstörungen Brisch, K.H.: Bindungsstörung u.a. Roth Gerhard: Wie das Gehirn die Seele macht Theunissen, G.: Heilpädagogik und soziale Arbeit bei verhaltensauffälligen Kindern u.a. • Herpertz-Dahlmann B.: Entwicklungspsychiatrie • Hüther G.: Biologie der Angst, wie aus Stress Gefühle werden