DKG Interdisziplinäre Leitlinien 2002

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Kurzgefasste
Interdisziplinäre
Leitlinien
2002
Koordination:
Informationszentrum für
Standards in der Onkologie (ISTO)
Qualitätssicherung in der Onkologie
0202 3.5/E 29.90
Kurzgefasste
Interdisziplinäre Leitlinien 2002
Qualitätssicherung
in der Onkologie
Diagnostik und Therapie
maligner Erkrankungen
ISSN 0947-2428
ISBN 3-88603-776-2
W. Zuckschwerdt Verlag
Qualitätssicherung
in der Onkologie
W. Zuckschwerdt Verlag
München · Bern · Wien · New York
Diagnostik und Therapie
maligner Erkrankungen
Kurzgefasste
Interdisziplinäre
Leitlinien 2002
Koordination:
Informationszentrum für
Standards in der Onkologie (ISTO)
3. Auflage
W. Zuckschwerdt Verlag
München · Bern · Wien · New York
Herausgegeben von:
Deutsche Krebsgesellschaft e.V.
Informationszentrum für Standards
in der Onkologie (ISTO)
Dr. Birthe Schmitt-Thomas
Hanauer Landstraße 194
60314 Frankfurt/Main
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Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren)
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© 2002 by W. Zuckschwerdt Verlag GmbH, Industriestraße 1, D-82110 Germering/München
Printed in Germany by grafik + druck, München
ISBN 3-88603-776-2
IV
Inhalt
Vorwort zur ersten Auflage 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vorwort zur dritten Auflage 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
IX
A
A1
A2
A3
A4
Prinzipien
Prinzipien der chirurgischen Tumortherapie . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Prinzipien der medikamentösen antineoplastischen Systemtherapie 18
Prinzipien der modernen Strahlentherapie (Radioonkologie) . . . . 27
Prinzipien der onkologischen Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . 46
B
B1
B2
B3
Kopf-Hals-Tumoren
Karzinome des oberen Aerodigestivtraktes . . . . . . . . . . . . . . . . .
Diagnose und Therapie primär cerebraler Lymphome (PCL) . . . . .
Maligne Schilddrüsentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C
C1
C2
Thorax
Therapie des kleinzelliges Lungenkarzinoms . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms . . . . . . . . . . . 121
D
D1
D2
D3
D4
D5
D6
D7
D8
D9
D 10
Gastrointestinaler Bereich
Oesophaguskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Magenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kolonkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rektumkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rehabilitation beim kolorektalen Karzinom . . . . . . . . . . . . . . . .
Analkanalkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Primäre Leberkarzinome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lebermetastasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gallenblasenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Extrahepatisches Gallengangskarzinom einschließlich
Klatskin-Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ampullenkarzinom (Papillenkarzinom) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Exokrines Pankreaskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit
gastrointestinalen Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D 11
D 12
D 13
E
E1
E2
E3
E4
E5
Gynäkologie
Vulvakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zervixkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Endometriumkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Maligne Ovarialtumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vaginalkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
79
92
145
153
160
172
187
194
203
210
216
221
227
232
240
253
260
273
284
298
V
F
F1
F2
Urologie
Nierenzellkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
Harnblasenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
G
G1
G2
G3
G4
G5
G6
G7
Dermatologie
Basalzellkarzinom der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dermatofibrosarcoma potuberans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kutane Lymphome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kutanes neuroendokrines Karzinom (Merkelzell-Karzinom) . . . .
Kaposi-Sarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Plattenepithelkarzinom der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Malignes Melanom der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
H
H1
H2
H3
Pädiatrie (Leukämien und Lymphome)
Akute lymphoblastische (ALL) und akute
myeloblastische (AML) Leukämie im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . 383
Non-Hodgkin-Lymphome im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
Morbus-Hodgkin im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
I
I1
I2
I3
I4
I5
I6
I7
Pädiatrie (Solide Tumoren)
Nephroblastom (Wilms-Tumor) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Osteosarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ewing-Sarkom und PNET des Kindesalters . . . . . . . . . . . . . . . . .
Weichteilsarkome im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Neuroblastom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Keimzelltumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hepatoblastom des Kindesalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
J
J1
Pädiatrie (Hirntumoren)
Leitsymptome und Diagnostik der Hirntumoren im
Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Medulloblastom im Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . .
Hochgradig maligne Gliome und Ponsgliome im
Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gliome niedrigen Malignitätsgrades im Kindes- und Jugendalter
Ependymome im Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kraniopharyngiom im Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . .
J2
J3
J4
J5
J6
K
K1
K2
VI
333
338
342
351
357
368
374
419
427
437
446
454
461
469
479
483
489
496
507
515
Sonstige Leitlinien
Medikamentöse Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
Weichteilsarkom der Extremitäten, der Brust- und Bauchwand
und des Retroperitoneums bei Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . 541
Vorwort
zur ersten Auflage 1999
Die Fülle laufend erscheinender Literatur und die Flut von Marketing-Informationen machen es dem einzelnen Arzt sehr schwer, den Überblick über die tatsächlichen Entwicklungen in Diagnose und Therapie maligner Erkrankungen zu
behalten. Daher ist es eine wichtige Aufgabe der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften, regelmäßig aktualisierte Darstellungen des „State of
the art“ zu erarbeiten und diese der Ärzteschaft zur Verfügung zu stellen. Dies
erfordert bei malignen Erkrankungen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der
verschiedenen operativen Disziplinen, der internistischen Onkologie und der
Radioonkologie.
Die Deutsche Krebsgesellschaft als erklärt interdisziplinäre wissenschaftliche
Fachgesellschaft und das bei ihr mit Förderung des Bundesministeriums für
Gesundheit eingerichtete Informationszentrum für Standards in der Onkologie
(ISTO) haben es seit Jahren unternommen, kurz gefasste Leitlinien zu Diagnose
und Therapie maligner Erkrankungen zu erarbeiten. Diese werden mit allen
beteiligten Fachrichtungen und ihren wissenschaftlichen Gesellschaften sowie
der Deutschen Krebshilfe und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren
(ADT) abgestimmt, sodass sie von einem breiten Konsensus getragen werden.
Leitlinien dienen primär der Verbesserung der Qualität der Krankenversorgung.
Sie sind Empfehlungen für ärztliches Handeln in charakteristischen Situationen
und unterstützen damit die Ärzte bei den Entscheidungen über zweckdienliche
Maßnahmen der Krankenversorgung. Abweichungen von Leitlinien sind im Einzelfall möglich, sollten aber stets begründbar sein. Befolgt der Arzt die Leitlinien,
so schützt er sich vor unberechtigten Anschuldigungen und Haftungsansprüchen.
Die Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft wurden in verschiedenen Zeitschriften (Forum-DKG, Onkologe, Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie, Onkologie, InFo Onkologie) publiziert und fanden dort großes Interesse. Sie sind auch im Internet online über die Deutsche Krebsgesellschaft und die
AWMF zugänglich.
Nunmehr stellt das Informationszentrum für Standards in der Onkologie (ISTO)
der Deutschen Krebsgesellschaft die derzeit aktuellen kurz gefassten Leitlinien in
VII
einem handlichen Taschenbuch gesammelt zur Verfügung. Damit wird einer Forderung vieler klinischer Nutzer entsprochen. Wir hoffen, dass auf diesem Wege
eine weitere Verbreitung dieser Leitlinien erreicht wird und den Kollegen bei der
Behandlung maligner Erkrankungen eine nützliche Hilfe für ihre tägliche Praxis
an die Hand gegeben wird.
Prof. Dr. med. L. Weißbach
Präsident der Deutschen
Krebsgesellschaft
VIII
Prof. Dr. med. Dr. h.c. P. Hermanek
Vorsitzender des Informationszentrums für Standards
in der Onkologie (ISTO)
Vorwort
zur dritten Auflage 2002
Die Fortentwicklung in vielen Bereichen der Onkologie machte die Aktualisierung der Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. erforderlich. Nur wenige
konnten unverändert vom Jahr 2000 übernommen werden. Einige wurden, da
eine umfassende Überarbeitung nötig wurde, nicht in das Buch aufgenommen,
wobei eine spätere Publikation im Internet vorgesehen ist (http://www.krebsgesellschaft.de bzw. http://awmf.org). Neu hinzugekommen sind unter anderem
die Leitlinie „Weichteilsarkome des Erwachsenen“ sowie Leitlinien der pädiatrischen Onkologie.
Nicht nur der Inhalt der Leitlinien, auch die Erstellung der Leitlinien ist dem Wandel unterworfen. Alle in diesem Band vorliegenden Leitlinien wurden im informellen Expertenkonsens entwickelt.
In zunehmendem Maße und gesetzlich verankert finden die Kriterien der
„Evidence-based medicine“ (EBM) Eingang in die Leitlinienerstellung. Nach
systematischer Literaturrecherche und aufgrund eines formalen Konsensusprozesses werden dabei die Kernaussagen der Leitlinien bewertet und Empfehlungsgrade ausgesprochen.
Die Deutsche Krebsgesellschaft hat sich intensiv mit dieser Methodik befasst.
Derzeit werden die Evidenz-basierten Leitlinien „Mammakarzinom“ sowie
„Kolon- und Rektumkarzinom“ erstellt und voraussichtlich im Jahr 2002 publiziert. Ferner wurde bereits für Diagnostik und Therapie der Hodentumoren eine
Leitlinie entwickelt, die nach den Erkenntnissen der Evidenz-basierten Medizin
erstellt wurde und als gesonderter Band in der Reihe „Qualitätssicherung in der
Onkologie“ im Zuckschwerdt Verlag erscheint.
Schrittweise sollen in Zukunft für die häufigsten Tumoren EBM-Leitlinien entwickelt werden. Geplant ist ferner, einige kurz gefasste Leitlinien durch ein formales Konsensusverfahren auf ein methodisch höheres Niveau zu heben.
Aufgrund der vielfältigen Verfahrensänderungen, die zur Zeit berücksichtigt
werden müssen, ist die nächste planmäßige Aktualisierung der kurz gefassten
Leitlinien für das Jahr 2006 vorgesehen. Um notwendige Änderungen der bestehenden Leitlinien zu erfassen, die sich vor diesem Zeitpunkt ergeben, wird künftig jährlich der jeweilige Koordinator befragt und Änderungen werden über das
Internet publiziert (http://www.krebsgesellschaft.de bzw. http://awmf.org) .
IX
Die Nachfrage nach Leitlinien bestätigt ihre Notwendigkeit. Dies darf jedoch
nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Leitlinien nur ein erster, wenn auch wesentlicher Schritt sind, um die Behandlungsqualität zu verbessern. Nach der stürmischen Phase der Erstellung von Leitlinien wird es nun das Ziel sein, wenige,
qualitativ gute Leitlinien zu entwickeln und dafür Sorge zu tragen, dass diese flächendeckend umgesetzt werden.
Die jetzige Aktualisierung kam durch die Mitarbeit der an der Leitlinienerstellung
beteiligten Arbeitsgruppen zustande und allen, insbesondere den Koordinatoren gilt unser Dank für die hervorragende Kooperation. Noch immer ist die
Finanzierung der Erstellung und der Aktualisierung von Leitlinien nicht geregelt,
sodass diese Kooperation auf freiwilliger Basis und unentgeltlich erfolgte.
Unser besonderer Dank gilt Frau Dr. Schmitt-Thomas und ihren Mitarbeitern, die
mit großer Sorgfalt und hohem Sachverstand die interdisziplinären Absprachen
und Rückfragen übernommen und die Fertigstellung der Aktualisierung von
nicht weniger als 54 Leitlinien zeitgerecht bewerkstelligt haben.
Gewidmet sei der Band den Patienten in der Hoffnung, zur Verbesserung der
onkologischen Therapie beizutragen.
Prof. Dr. R. Kreienberg
Präsident der Deutschen
Krebsgesellschaft
X
Prof. Dr. Th. Junginger
Vorsitzender der Kommission
Qualitätssicherung
Prinzipien
A
1
2
A1
Prinzipien der chirurgischen
Tumortherapie
Federführung: Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Onkologie (CAO) der Deutschen
Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen Krebsgesellschaft
Die Prinzipien der chirurgischen Tumortherapie unterscheiden sich entsprechend
der Zielsetzung der zur Anwendung kommenden Maßnahmen. Operationen in
kurativer Absicht haben die Heilung des Patienten, d.h. die Tumorentfernung
unter Vermeidung eines Rezidivs zum Ziel, wobei mitunter ergänzend nicht-operative tumorspezifische Maßnahmen präoperativ (neoadjuvant) und/oder postoperativ (adjuvant) zum Einsatz kommen. Palliativmaßnahmen beseitigen, bessern oder vermeiden Symptome in inkurabler Situation. Hierzu stehen neben
operativen vielfach auch andere Verfahren zur Verfügung. Die zytoreduktive
Chirurgie hat die weitgehende Entfernung des Tumorgewebes (Debulking) zum
Ziel, um die Ausgangssituation für andere (additive) tumordestruierende Verfahren zu verbessern. Ob eine Tumorresektion tatsächlich zur Heilung führt oder
palliativen Charakter hat, wird von der Art, der Lokalisation und dem Stadium
des Tumorsleidens, der Art des operativen Eingriffs und anderen Faktoren bestimmt. Entscheidend ist die Tumorbiologie, die derzeit nur eingeschränkt bestimmbar ist, sodass im Einzelfall erst der weitere Krankheitsverlauf Aufschluss
über den kurativen oder palliativen Charakter der operativen Therapie gibt.
Die Anwendung der chirurgischen Maßnahmen setzt, abgesehen von Notfallsituationen, neben der Abklärung der Belastbarkeit des Patienten für einen operativen Eingriff ein tumorspezifisches, präoperatives Staging sowie die genaue intraoperative Beurteilung der Tumorausdehnung voraus (siehe jeweilige Organkapitel).
A1.1 Chirurgische Therapie mit kurativer Zielsetzung
Voraussetzung für ein operatives Vorgehen mit kurativer Zielsetzung ist in der
Regel ein lokoregional begrenztes Tumorwachstum. Eine begrenzte Metastasierung schließt unter bestimmten Voraussetzungen einen kurativen Eingriff nicht
aus (siehe unten). Der Eingriff beinhaltet die Tumorentfernung im Gesunden
(R0-Resektion). Die Absicht, eine vollständige Tumorentfernung zu erzielen,
führte in der Vergangenheit zu immer ausgedehnteren Eingriffen mit entsprechender Morbidität und Einbuße an Lebensqualität, ohne dass das Behandlungsziel in jedem Fall erreicht worden wäre. Dies begründete bei einigen Organtumoren das Konzept, begrenzte, weniger mutilierende Eingriffe mit additiven Therapiemaßnahmen zu kombinieren, um bei gleichem Langzeitergebnis
den Verlust an Lebensqualität zu begrenzen. Beispielsweise hat bei der Behandlung des Mammakarzinoms die brusterhaltende Tumorentfernung mit adjuvan-
3
ter Strahlentherapie unter bestimmten Voraussetzungen die modifiziert radikale
Mastektomie abgelöst (17) und bei peripheren Weichteiltumoren die mit einer
Radiotherapie kombinierte weite Tumorexzision die Amputation der Gliedmaße
(24, 36).
Onkologische Tumorentfernung
Die operationstechnischen Grundsätze des onkologisch-kurativen Vorgehens
sind
1. die Tumorentfernung im Gesunden einschließlich potenziell befallener Nachbarstrukturen,
2. die anatomieorientierte Entfernung des regionären Lymphabflusses und
3. die Vermeidung einer intraoperativen Tumorzellverschleppung.
Ziel ist die vollständige Entfernung des Tumorgewebes beim Ersteingriff (R0-Resektion). Die Heilungsaussichten bei einem Zweiteingriff wegen Tumorpersistenz
oder wegen eines lokoregionären Rezidivs sind ungleich ungünstiger.
Tumorentfernung im Gesunden
Um die Tumorentfernung im Gesunden sicherzustellen, ist über den makroskopisch sichtbaren Tumorbereich hinaus eine der dreidimensionalen Tumorausbreitung entsprechende Sicherheitszone mitzuentfernen. Dies ist nur durch Einhaltung von seitlichen und zirkumferenziellen Sicherheitsrändern möglich und trifft
für parenchymatöse Organe und Tumoren der Weichteile ebenso zu wie für Tumoren des Gastrointestinaltraktes. Die Größe der notwendigen Sicherheitszone
ist bei den einzelnen Organtumoren unterschiedlich und abhängig vom Wachstumsverhalten und Stadium des Tumors. Die bisherigen Empfehlungen zur Ausdehnung chirurgisch-onkologischer Eingriffe leiten sich aus histologischen Kriterien und der Häufigkeit von Lokalrezidiven in Abhängigkeit vom Sicherheitsabstand ab, wobei allerdings teilweise differente Daten vorliegen.
Intraoperativ ist die notwendige Sicherheitszone nicht immer klinisch fassbar,
sondern muss, ausgehend von der präoperativen Diagnostik und dem makroskopischen Befund, festgelegt und der Planung des Resektionsausmaßes zugrunde gelegt werden. Bei frühen Tumorstadien ist die Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes naturgemäß einfacher als bei fortgeschrittenen
Tumoren, worauf auch die Zunahme lokoregionärer Rezidive mit steigendem
Primärtumorstadium hinweist. Anatomische Strukturen sind für die Wahl der Resektionsebene hilfreich. Beispielsweise ist die vollständige Entfernung des Mesorektums durch Präparation in der avaskulären Schicht zwischen Fascia pelvis parietalis und viszeralis neben dem distalen Sicherheitsabstand wesentlich für eine
der räumlichen Tumorausdehnung adäquate Radikalität (15). Ähnliches gilt für
Weichteiltumoren, die sich innerhalb eines Muskelkompartments ausbreiteten.
Hier sichert die vollständige Entfernung der befallenen Muskelgruppe mit der
umgebenden Faszie (Kompartmentresektion) die größtmögliche Radikalität
(10). Zur Bestimmung des Sicherheitsabstands kann, insbesondere im Zweifelsfall, die Schnellschnittuntersuchung hilfreich sein.
4
Multiviszerale Resektion
Hat der Tumor benachbarte Strukturen erfasst, ist deren Mitentfernung, so weit
möglich und sinnvoll, gemeinsam mit dem Primärtumor anzustreben (multiviszerale En-bloc-Resektion), da das Lösen der Verwachsungen zu einer Zellverschleppung bzw. Tumoreröffnung führen kann. Die Entscheidung über das Vorgehen im
Einzelfall ist von der Beurteilung der Gesamtsituation und unter Berücksichtigung
der Tumorbiologie, des Operationsrisikos und der Prognose abhängig: Kolontumoren, die einen benachbarten Dünndarmabschnitt, das Blasendach oder die Adnexe erfasst haben, werden durch multiviszerale Resektion entfernt, ohne vorheriges Lösen der Verwachsungen und ohne intraoperative Schnellschnittuntersuchung (18). Der Aussagekraft der intraoperativen Schnellschnittuntersuchung
sind ohnehin Grenzen gesetzt. Andererseits gibt es Situationen, bei denen es sinnvoller ist, durch eine Vorbehandlung eine Tumorverkleinerung vorzunehmen (neoadjuvante Therapie) und dann die (vollständige) Resektion anzuschließen, als einer
ausgedehnten Resektion mit entsprechendem hohen Risiko eine Nachbehandlung
folgen zu lassen. Beispiel für eine Vorbehandlung ist die präoperative Radiochemotherapie eines lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinoms (6). Die präoperative
Chemotherapie eines nicht resektablen Magenkarzinoms (44) wird derzeit in einer
prospektiven randomisierten Studie (EORTC 40954) untersucht.
Entfernung des regionalen Lymphabflussgebietes
Mit zunehmender Tumorausdehnung nimmt – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die Wahrscheinlichkeit des Befalls der drainierenden (regionären) Lymphknoten zu. Es wird allgemein derzeit davon ausgegangen, dass der Lymphabfluss konstanten, anatomisch definierbaren Wegen folgt. Das Ausmaß des
Lymphknotenbefalls kann sehr diskret sein und unter Umständen erst durch subtile Untersuchungsmethoden nachweisbar werden. Diese Aspekte begründen
die so genannte elektive (prophylaktische) Lymphknotendissektion bei der das
tumorabhängige Lymphabflussgebiet im Rahmen der Operation mit kurativer
Zielsetzung routinemäßig mitentfernt wird, auch wenn zum Zeitpunkt der Operation weder klinisch noch histologisch ein Lymphknotenbefall vorliegt. Wird die
Indikation zur Lymphknotendissektion dagegen aufgrund eines nachgewiesenen Lymphknotenbefalls gestellt, wird dies als selektive oder therapeutische
Lymphknotendissektion bezeichnet.
Elektive (prophylaktische) Lymphknotendissektion
Die elektive Lymphnotendissektion erfolgt aus diagnostischen Gründen zur besseren Beurteilung des Tumorstadiums und der Prognose. Für bestimmte Tumoren (z.B. Mammakarzinom, Magenkarzinom) ist die Zahl der befallenen Lymphknoten ein wichtiger Prognoseparameter (17). Der Lymphknotenstatus dient
auch bei bestimmten Tumoren als Kriterium für adjuvante Therapiemaßnahmen
(Kolonkarzinom (23), Mammakarzinom). Die Lymphknotendissektion erfolgt
aber auch unter therapeutischem Aspekt, um durch Entfernung möglichst aller
befallener Lymphknoten das Auftreten eines lokoregionären Rezidivs zu verhindern. Inwieweit die Lymphknotendissektion die Heilungschance beeinflusst,
wird kontrovers beurteilt (38).
5
Das Ausmaß der Lymphknotendissektion kann sich auf die tumornahen Lymphknoten oder auch auf die juxtaregionären Stationen beziehen. Die Diskussion
über diese erweiterte Lymphknotendissektion hinsichtlich ihres therapeutischen
Gewinnes und des möglichen Risikos ist nicht abgeschlossen (3, 38). Für die
Mehrzahl der soliden Tumoren fehlen widerspruchsfreie klinische Studien zur
Wertigkeit des Ausmaßes der Lymphknotendissektion, sodass pathohistologische Befunde und Angaben der lokoregionären Rezidivhäufigkeit die Lymphknotendissektion begründen. Unstrittig ist bei den meisten soliden Tumoren die
Mitentfernung der ersten Lymphknotenstation bei einem Eingriff mit kurativer
Zielsetzung. Unter der Annahme, dass zumindest Subgruppen von Patienten aus
einer erweiterten Lymphknotendissektion Gewinn ziehen, ist diese dann gerechtfertigt, wenn sich hierdurch das operative Risiko nicht erhöht und therapeutische Alternativen fehlen (siehe Organkapitel).
Selektive (therapeutische) Lymphknotendissektion
Die selektive (therapeutische) Lymphknotenentfernung erfolgt beim Nachweis
vergrößerter oder befallener Lymphknoten. Beispiel für dieses in der onkologischen Chirurgie eher seltene Vorgehen ist das therapeutische Konzept bei differenzierten Schilddrüsenkarzinomen, insbesondere beim papillären Karzinom.
Der Tumor neigt zwar zu frühzeitiger lymphogener Metastasierung, jedoch ist
bislang der prognostische Gewinn einer routinemäßigen Dissektion der lateralen
Halslymphknoten nicht erwiesen, sodass diese nur bei nachgewiesenem Tumorbefall indiziert ist und zumeist zweizeitig erfolgt. Die zentralen Lymphknoten
sollten demgegenüber schon mit der Thyreoidektomie beim Ersteingriff zum genaueren Staging entfernt werden. Auch bei malignen Weichteiltumoren erfolgt
die Lymphknotendissektion in den meisten Fällen selektiv, d. h. nur beim Nachweis befallener Lymphknoten.
Mikrometastasen und isolierte Tumorzellen in Lymphknoten
Immunhistochemische und molekulare Untersuchungen haben isolierte Tumorzellen in histologisch unauffälligen Lymphknoten nachgewiesen und dies als
Vorstufe einer späteren Metastasierung gedeutet. Diese Zellen oder Zellgruppen
sind von so genannten Mikrometastasen (okkulte Metastasen) zu unterscheiden. Mikrometastasen sind histologisch nachgewiesene Metastasen bis zu einem maximalen Durchmesser von 2 mm und zeigen eine Invasion des lymphoretikulären Gewebes, meist mit Proliferation und Stromareaktion. Sie werden
abhängig von der Subtilität der histomorphologischen Untersuchungstechnik
bei den einzelnen Tumoren in unterschiedlicher Häufigkeit beschrieben (16).
Isolierte Tumorzellen werden durch verschiedene Verfahren (Immunhistochemie,
PCR u.a.) identifiziert. Die Methoden sind derzeit nicht standardisiert, sodass die
Nachweisraten schwanken (Tabelle 1), ebenso wie die Angaben zur Häufigkeit
falsch positiver Befunde. Die prognostischen und therapeutischen Konsequenzen dieser Befunde sind nur in prospektiven Studien mit klarer Klassifikation der
erhobenen Befunde zukünftig zu klären.
6
Tabelle 1. Nachweis isolierter Tumorzellen im Knochenmark und histologisch tumorfreien (N) regionalen Lymphknoten (nach Hermanek et al.
(16)).
Knochenmark
Mammakarzinom
Magenkarzinom
Kolorektales
Karzinom
Prostatakarzinom
Nicht kleinzelliges
Karzinom
Duktales Pankreaskarzinom
Öesophaguskarzinom
Regionäre Lymphknoten
~30% (Pantel et al. (32))
~30% (Pantel et al. (32))
~30% (Pantel et al. (32))
~15% (Wells et al. (43))
~30% (Fellbaum et al. (11))
~25-50% (Greenson et al.,
Liefers et al. (13, 26))
~35% (Oberneder et al. (30)) ~45% (Edelstein et al. (9))
~50% (Pantel et al. (31))
~15% (Passlick et al. (33))
~50% (Juhl et al. (32))
~75% (Hosch et al. (19))
~40% (Thorban et al. (39))
~50% (Izbicki et al. (20))
Sentinel Lymphonodektomie
Ausgehend von der Annahme eines konstanten Lymphabflusses, wurde das
Konzept der Sentinel Node (Wächter-Lymphknoten)-Biopsie entwickelt. Der Befund des ersten drainierenden Lymphknoten des Tumors gilt als repräsentativ für
das regionäre Lymphknotengebiet und wird der Entscheidung über die Entfernung oder Belassung des regionären Lymphabflussgebietes zugrunde gelegt. Erfahrungen liegen bisher vor allem für das Mammakarzinom und das maligne
Melanom, erste Ergebnisse auch für Tumoren des Gastrointestinaltraktes vor
(40). Inwieweit das Verfahren zukünftig klinische Routine wird, ist derzeit offen.
Onkologisch-chirurgische Regeleingriffe
Aus der Einhaltung der dargestellten Grundsätze ergeben sich unter Berücksichtigung der Tumorausbreitung bei den einzelnen Organtumoren Regeleingriffe,
die von der Tumorexzision ohne Lymphknotenentfernung bis zur Resektion (Organverkleinerung) oder Ektomie (Organentfernung) mit Lymphknotendissektion
reichen. Grundsatz aller Eingriffe ist es, eine bestehende Heilungschance nicht
zu vermindern, andererseits aber auch die Ausdehnung des Eingriffs auf das
notwendige Maß zu beschränken, um das operative Risiko sowie funktionelle
Folgen oder Folgeerkrankungen möglichst zu begrenzen. Die Wahl des Eingriffes richtet sich nach Tumorart, Tumorlokalisation, Tumorausdehnung und dem
regionären Lymphgebiet. Bei frühen Tumorstadien können lokal begrenzte Eingriffe ausreichend sein, insbesondere wenn das Risiko eines Lymphknotenbefalls
deutlich unter dem Risiko des radikalen Eingriffs mit Lymphknotenentfernung
liegt (z. B. lokale Exzision statt abdomino-perinealer Exstirpation eines low-riskT1-Rektumkarzinoms). Bei fortgeschrittenen Tumoren beinhaltet der Eingriff neben der Tumorentfernung im Gesunden in der Regel die Ausschaltung des regionalen Lymphabflussgebietes. Dieses orientiert sich an anatomischen Strukturen
und umfasst die tumornahen Lymphknoten, meist auch die sich anschließende
7
zweite Lymphknotenstation. Weitergehende Eingriffe, wie die grundsätzliche
Organentfernung oder Erweiterungen der Lymphknotendissektion sind in ihrer
onkologischen Wirksamkeit nicht erwiesen, meist mit einem höheren Risiko belastet und damit derzeit nicht gerechtfertigt.
Radioimmunoguided Surgery (RIGS)
Ziel dieses Verfahrens (28) ist die Bestimmung der genauen intraabdominellen
Tumorausdehnung mit Hilfe radioimmunologischer Methoden, um das operative Vorgehen entsprechend anzupassen. Durch einen radioaktiv markierten Antikörper, der gegen Tumorantigene gerichtet ist und der mehrere Tage bis
24 Stunden präoperativ intravenös verabreicht wird, wird intraoperativ mit einer
handgeführten Gammasonde die Aktivitätsverteilung im Operationsgebiet
untersucht. Erfahrungen liegen für das maligne Melanom und kolorektale Karzinom vor, aber auch für das Magen-, Pankreas-, Ovarial-, Prostasta-, Mammakarzinom und für endokrine Tumoren (1, 2, 25, 28). Inwieweit durch diese Strategie
die Prognose von Tumorpatienten verbessert werden kann, wird derzeit äußerst
kontrovers eingeschätzt (7, 35).
In jedem Fall sind technische und methodische Weiterentwicklungen (Entwicklung von Antikörpern mit höherer Spezifität und schneller Bindungskinetik, intraoperative Applikationen) und klinische Studien mit klaren Ergebnissen erforderlich, bevor dieses Vorhaben Eingang in die allgemeine chirurgisch-onkologische Praxis finden kann.
Vermeidung einer Tumorzellverschleppung
Zur Vermeidung einer intraoperativen Tumorzellverschleppung dienen eine Reihe von Maßnahmen wie die tumorferne Isolierung der Geschwulst, die Mitentfernung tumoradhärenter Strukturen ohne intraoperative Lösung vom Tumor
durch En-bloc-Resektion und die Vermeidung einer intraoperativen Tumoreröffnung. Nicht durch randomisierte Studien belegt, jedoch zumindest theoretisch
begründet und ohne Risiko für den Patienten sind
die frühe Ligatur der abführenden Venen (sog. No-touch-isolation-Technik),
bei Darmtumoren die Ligatur des Darmes proximal und distal des Tumors, um
einer intraluminalen Zellverschleppung vorzubeugen,
die intraoperative Spülung des Darmlumens und der Bauchhöhle.
8
Rekonstruktive Therapie
Die Rekonstruktion nach vollständiger oder teilweiser Organentfernung hat die
funktionelle Wiederherstellung zum Ziel. Die Entwicklung der Tumorchirurgie in
den letzten Jahren ist durch einen Rückgang der Operationsletalität trotz Ausdehnung der Radikalität gekennzeichnet, sodass Fragen der Lebensqualität
durch Wahl des geeigneten Organersatzes insbesondere bei Patienten mit guter
Langzeitprognose in den Vordergrund treten. Besondere Bedeutung kommt rekonstruktiven Maßnahmen nach ausgedehnten Haut- und Muskeldefekten an
den Extremitäten zu. Gefäßrekonstruktionen, Nervennähte und Hautplastiken
erlauben den Verschluss ausgedehnter Defekte und zumindest teilweise die Er-
haltung der Funktionsfähigkeit der Extremität. Im Bereich der Viszeralchirurgie
hat sich bei der Behandlung des Magenkarzinoms die subtotale Magenresektion
der Gastrektomie, auch bei Magenersatz durch Dünndarmpouch, als funktionell
überlegen erwiesen (37). In der Chirurgie des Pankreaskarzinoms hat die pyloruserhaltende partielle Duodeno-Pankreatektomie bei gleicher Radikalität funktionelle Vorteile (29) und im Bereich der kontinenzerhaltenden Rektumchirurgie
kann durch einen Dickdarmpouch die Funktion bereits während des ersten postoperativen Jahres verbessert werden (14). Dies sind erste Ansatzpunkte, auf dem
Weg die funktionellen Folgen nach Organverlust zu begrenzen und die Lebensqualität möglichst wenig zu mindern.
Neoadjuvante und adjuvante Therapie
Neoadjuvante und adjuvante Maßnahmen kommen zur Anwendung, um die
Heilungschancen der operativen Therapie zu erhöhen. Neoadjuvante Maßnahmen gehen der operativen Therapie voraus, adjuvante Maßnahmen schließen
sich an eine vollständige Tumorentfernung (R0-Resektion) an. Beide Verfahren
können kombiniert werden.
Ziele neoadjuvanter Maßnahmen sind u.a,. die Verkleinerung des Primärtumors
(Reduktion des Tumorvolumens, „Downstaging“), um die Chancen einer vollständigen Tumorentfernung und damit die Heilungschance zu erhöhen, und die
Senkung des lokoregionären Rezidivrisikos. Bei einigen Tumorentitäten konnte
die prinzipielle Wirksamkeit nachgewiesen werden, ohne dass umfangreiche
Studien den Einfluss auf das Langzeitergebnis belegen (z.B. Oesophagus- und
Rektumkarzinom).
Nicht erwiesen ist bisher der Wert neoadjuvanter Maßnahmen bei Patienten mit
resektablem oder nichtresektablem Pankreaskarzinom, bei Patienten mit resektablem Magenkarzinom, Bronchialkarzinom und Weichteilsarkomen. Neoadjuvante Maßnahmen sind eine viel versprechende Ergänzung der operativen Therapie, der Nachweis einer Prognoseverbesserung ist bislang vielfach nicht erbracht.
Adjuvante Maßnahmen haben das Ziel, nach vollständiger Tumorresektion (R0Resektion) okkulte Mikrometastasen auszuschalten und damit die Heilungsaussichten zu verbessern. Adjuvante Maßnahmen umfassen ein weites Spektrum
chemotherapeutischer, immunologischer, hormoneller und weiterer Maßnahmen, wobei nur für wenige Situationen die Wirksamkeit in Phase III-Studien erwiesen ist. Eine von vielen anerkannte Indikation für eine adjuvante Chemotherapie sind Patienten mit Kolonkarzinomen des Stadiums UICC III (23). Eine adjuvante Radiotherapie ist nach brusterhaltender Operation eines
Mammakarzinoms (17) und nach weiter Exzision peripherer Weichteilsarkome
(> T1, > G1) angezeigt (24). Eine adjuvante Hormon- und/oder Chemotherapie
erfolgt abhängig von Lymphknoten-, Rezeptor- und Menopausenstatus bei
Mammakarzinom.
Nicht erwiesen ist bislang der Wert adjuvanter Therapiemaßnahmen bei Patienten nach R0-Resektion eines Oesophagus-, Magen-, Pankreas-, Dünndarm-, Kolonkarzinoms des UICC Stadiums I und II, des Rektumkarzinoms Stadium I und
von Bronchialkarzinomen.
9
A 1.2. Präventive Chirurgie
Die Verbesserung der molekularbiologischen Diagnostik führt in zunehmendem
Maße zur Identifizierung von Krankheitsträgern vor der klinischen Manifestation
des Tumors. Dazu gehören u.a. die familiäre Polyposis coli, das hereditäre Non
Polyposis Colorectal Cancer- (HNPCC-) Syndrom, das im Rahmen eines MEN IISyndrom auftretende medulläre Schilddrüsenkarzinom und andere familiär gehäufte Malignome (Mamma-, Magen-, Kolon-, Pankreaskarzinom, malignes
Melanom).
Die Ergebnisse der mit diesen Untersuchungsmethoden durchgeführten präoperativen Diagnostik begründen situationsabhängig spezielle Vorsorgemaßnahmen oder operative Konsequenzen.
A 1.3 Chirurgie von Fernmetastasen
Metastasen schließen einen kurativen Eingriff nicht grundsätzlich aus. Unter folgenden Voraussetzungen ist ein operatives Vorgehen mit kurativer Zielsetzung
möglich:
1. der Primär- oder Rezidivtumor ist entfernt oder entfernbar,
2. weitere, nicht entfernbare Fernmetastasen fehlen,
3. eine vollständige Entfernung der Fernmetastasen ist möglich und das Operationsrisiko ist vertretbar,
4. gleichwertige, therapeutische Alternativen fehlen.
10
Resektionen von Fernmetastasen werden vor allem bei Lungen- und Lebermetastasen von kolorektalen Karzinomen und Weichteilsarkomen, im Einzelfall
auch bei Fernmetastasen von Hypernephromen und bei malignem Melanom
durchgeführt, können unter den genannten Voraussetzungen jedoch auch an
anderen Organen oder bei anderen Primärtumoren angezeigt sein. Anatomiegerechte Resektion und eine an der lokalen Tumorausbreitung orientierte Resektion sind unter der Voraussetzung der vollständigen Tumorentfernung gleichwertig, sodass die Metastasenlokalisation die Wahl zwischen beiden Verfahren bestimmt.
Das Letalitätsrisiko der Fernmetastasenentfernung beträgt, abhängig vom Ausmaß des Verfahrens und der Erfahrung des Operateurs, maximal 5%, die Fünfjahres-Überlebensraten nach R0-Resektion von Fernmetastasen kolorektaler
Karzinome schwanken zwischen 20 und bis zu 30%, wobei in den einzelnen Patientenkollektiven unterschiedliche Prognoseparameter ermittelt werden. Das
sich nach fünf Jahren abzeichnende Plateau der Überlebensrate bestätigt die Annahme einer begrenzten Tumorstreuung bei einem Teil der Patienten. Weitgehende Übereinstimmung herrscht darüber, dass Patienten mit solitären Fernmetastasen eine günstigere Prognose aufweisen als bei multiplen Tumorabsiedlungen. Auch wiederholte Metastasenentfernungen, insbesondere an der Leber,
können im Einzelfall indiziert sein. In neuer Zeit kommen neben der operativen
Entfernung andere lokal destruierende Verfahren wie die Kryo-, Laserablation
oder Radiofrequenz-Thermoablation zur Anwendung, ohne dass der therapeutische Wert derzeit abschließend zu beurteilen wäre.
Bei nicht resektablen, auf die Leber beschränkten Fernmetastasen, erwies sich
die lokoregionäre Chemotherapie über einen intraarteriellen Port-Katheter hinsichtlich der Remissionsrate, möglicherweise auch der Überlebensrate, der systemischen Chemotherapie als überlegen. Die Behandlung ist jedoch infolge möglicher Katheterkomplikationen nicht ohne Risiko, zudem sind mit neueren systemisch applizierbaren Chemotherapeutika hohe Remissionsraten erzielbar,
sodass das Einbringen eines Port-Katheters als primäre Behandlungsmaßnahme
bei Lebermetastasen allenfalls unter Studienbedingungen gerechtfertigt ist.
A 1.4 Palliative Operationen
Trotz kurativer Zielsetzung ist eine Heilung nur bei etwa der Hälfte der Patienten
mit gastrointestinalen Tumoren möglich. Palliativmaßnahmen im engeren Sinn
haben in inkurabler Situation die Verbesserung des Befindens des Patienten
durch Linderung oder Beseitigung von Symptomen der Tumorerkrankung oder
gleichzeitig bestehender Erkrankungen zum Ziel. Daneben erfolgen Palliativeingriffe prophylaktisch, um bei einem metastasiertem Tumorleiden Komplikationen vorzubeugen und das gute Befinden der oft asymptomatischen Patienten
möglichst lange zu erhalten.
Zur Anwendung kommen die Entfernung des Primärtumors, selten von Fernmetastasen, tumorbelassende Eingriffe, endoskopische Maßnahmen oder Eingriffe,
die supportive Maßnahmen vorbereiten (z.B. Port-Katheter). Die Wahl des Eingriffs ist abhängig vom Ausmaß der Beeinträchtigung der Lebensqualität durch
das Tumorleiden, der anzunehmenden Prognose, dem Risiko des Eingriffs, seiner
Wirksamkeit und von seinen unerwünschten Folgen. Die Entscheidung kann nur
individuell getroffen werden, abhängig von der Situation des Kranken, seiner
Einstellung und seiner Motivation, aber auch unter Berücksichtigung der nichtoperativen, therapeutischen Möglichkeiten, was auf die Notwendigkeit der interdisziplinären Abstimmung auch und gerade in der Palliativsituation hinweist.
Die Entfernung des Primärtumors gewährleistet meist den besseren Palliativeffekt, ist jedoch bei lokal fortgeschrittenem Prozess oft nicht, zumindest nicht im
Gesunden möglich und bei reduziertem Allgemeinzustand mit einem hohen
Operationsrisiko oder infolge des Organverlustes mit unerwünschten Folgen belastet. Indikationen für eine palliative Tumorentfernung sind das fernmetastasierte, kolorektale Karzinom, um einem Ileus bzw. einer weiteren Ausdehnung
des Tumors und seiner Verjauchung vorzubeugen. Anzustreben ist dabei eine
dem kurativen Vorgehen entsprechende Resektion, um ein lokales Rezidiv im
weiteren Verlauf zu vermeiden. Trotz eingetretener Fernmetastasierung haben
bei den derzeitigen therapeutischen Möglichkeiten zumindest einzelne Patienten eine langjährige Überlebenschance. Prospektive Untersuchungen, die die
Überlegenheit dieses Vorgehens gegenüber einer abwartenden, symptomorientierten Haltung belegen, liegen allerdings nicht vor. Bei einer Magenausgangsstenose durch ein resektables Magenkarzinom ist die distale Magenresektion ei-
11
ner Gastroenterostomie überlegen. Weitere Beispiele für palliative Tumorresektionen sind eine Lobektomie bei abszedierendem Bronchialkarzinom oder die
Mastektomie bei einem ulzerierten, metastasierten Mammakarzinom. Lebensbedrohliche Komplikationen des Tumors können u. U. ausgedehnte Tumorresektionen, selbst unter Inkaufnahme eines hohen Risikos, rechtfertigen, wenn nur
auf diese Weise die Notsituation beherrscht werden kann (z.B. Gastrektomie bei
massiver Blutung aus einem Magenkarzinom mit Fernmetastasen). Hormonaktive, nicht resektable Tumoren rechtfertigen in besonderem Maße tumorverkleinernde Eingriffe, um durch Beseitigung von Symptomen die Lebensqualität zu
verbessern.
Häufig ist bei lokal fortgeschrittenem Tumor nur ein tumorbelassendes Vorgehen möglich, wobei neben operativen Maßnahmen meist medikamentöse, endoskopische, interventionell radiologische und strahlentherapeutische Verfahren zur Verfügung stehen, die unterschiedliche Vor- und Nachteile besitzen und
individuell und situationsabhängig zur Anwendung kommen. Ein operatives
Vorgehen ist dann angezeigt, wenn weniger belastende Alternativen nicht zur
Verfügung stehen. Zur Behandlung eines nicht resektablen oder fernmetastasierten Pankreaskarzinoms wird in der Regel die endoskopische oder interventionell radiologische Gallenableitung wegen des geringeren Risikos zu bevorzugen
sein. Ergibt sich jedoch die lokale Inoperabilität erst bei einer explorativen Laparotomie, ist die biliodigestive Anastomose infolge ihrer im Langzeitverlauf geringeren Komplikationsrate zu bevorzugen.
Besondere Bedeutung in inkurabler Situation haben supportive Maßnahmen,
vor allem eine adäquate Schmerztherapie. Diese erfolgt meist medikamentös
nach dem WHO-Schema. Bei Patienten mit inoperablem Pankreaskarzinom hat
auch die intraoperative Schmerzausschaltung durch Blockade des Ganglion coeliacum durch Applikation von 50%igem Alkohol eine Berechtigung, wenn die
Inoperabilität anlässlich einer Probelaparotomie festgestellt wird (27). Durch eine
explorative Laparoskopie sind diese Situationen jedoch weitgehend vermeidbar.
A 1.5 Zytoreduktive Chirurgie
Die zytoreduktive Chirurgie hat die Entfernung eines Großteils der Tumormassen
(Senkung der Tumorlast) zum Ziel, um hierdurch die Chancen, das restliche nicht
resezierbare Gewebe durch andere tumorspezifische Maßnahmen auszuschalten, zu erhöhen. Dieses Debulking ist, abgesehen von Notfallsituationen, nur
sinnvoll, wenn neben der operativen Therapie effektive additive Maßnahmen
zur Verfügung stehen, beispielsweise bei weit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom. Auch die Thyreoidektomie bei metastasiertem, differenzierten Schilddrüsenkarzinom als Vorbereitung für eine Radiojodtherapie der Metastasen kann zu
den zytoreduktiven Maßnahmen gerechnet werden. Bei fortgeschrittenen gastrointestinalen Tumoren kommt das Konzept bei Pseudomyxoma peritonei zur
Anwendung, ohne dass bisher überzeugende Ergebnisse vorliegen.
12
A 1.6 Dokumentation und Qualitätskontrolle
Wesentliche Voraussetzung für eine Optimierung der chirurgischen Therapie ist
die Kontrolle der Behandlungsergebnisse und der Behandlungsqualität. Dies
setzt ein standardisiertes Vorgehen, die Definition von einzelnen messbaren
Qualitätsindikatoren sowie die Erfassung ausreichender Daten des peri- und
postoperativen Verlaufs voraus, um insbesondere die Rezidivraten, die Folgeerkrankungen und die Beeinträchtigung der Lebensqualität einschließlich der Patientenzufriedenheit zu erfassen.
Die unter dem Aspekt der Lebensqualität zusammengefassten Aspekte beziehen sich auf das physische und psychische Befinden sowie auf psychosoziale
Faktoren (Familie, Berufsleben). Zur Bewertung der Lebensqualität dienen vom
Patienten auszufüllende Fragebögen, die Befragung des Patienten nach strukturierten Vorgaben oder auch ein Patiententagebuch und zahlreiche Klassifikationen. Für die Bestimmung des physischen Befindens wird der Karnofsky-Index
vielfach verwendet, zur Bestimmung der Lebensqualität der Quality-of-Life-Fragebogen der EORTC (Europan Organisation for Research and Treatment of Cancer) mit den entsprechenden Organmodulen, der ist im Gegensatz zu anderen
Fragebogen gut validiert.
Wesentliche Aufgabe der Nachsorge nach operativer Therapie von Tumoren ist
die Erfassung der Behandlungsergebnisse als Grundlage einer Qualitätssicherung.
Neben diesen allgemeinen qualitätsverbessernden Maßnahmen dienen insbesondere prospektive Studien der Qualitätsverbesserung, um auf wissenschaftlicher Basis eine Beantwortung klinisch relevanter Fragestellungen zu erzielen.
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Verfasser
Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz; Prof. Dr. P. M. Schlag, Berlin
Der Text wurde nach Erstellung den folgenden Institutionen vorgelegt und deren
Änderungswünsche wurden nach Rücksprache mit den Autoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
16
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordinator
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für
Allgemein- und Abdominalchirurgie der
Johannes Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: Februar 1999
Komplett überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
17
A2
Prinzipien der medikamentösen
antineoplastischen
Systemtherapie
Federführung: Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) der Deutschen
Krebsgesellschaft
A 2.1 Einleitung
Die medikamentöse antineoplastische Therapie beinhaltet im Wesentlichen die
zytostatische Chemotherapie, die Hormontherapie und die Immuntherapie mit
monoklonalen Antikörpern. Auf die ebenfalls der antineoplastischen Systemtherapie zuzuordnende zelluläre Immuntherapie, die Zytokintherapie, differenzierungsinduzierende Therapie und Gentherapie sei hingewiesen.
Unterschiede zwischen malignem und benignem Zellwachstum lassen sich vorwiegend quantitativ und nicht qualitativ darstellen, sodass antineoplastische
Therapieverfahren immer auch das Wachstum von Normalgewebe beeinflussen.
Dennoch hat die Entwicklung der Zytostatikatherapie in den 50 Jahren ihres Bestehens zweifelsfrei zeigen können, dass die quantitativen Unterschiede zwischen maligner und benigner Zellproliferation genutzt werden können, um Tumorerkrankungen sowohl in früheren (neoadjuvante und adjuvante Therapie)
als auch in späteren (interventionelle Therapie) Erkrankungsstadien mit tolerablen, und in der Regel passageren Nebenwirkungen auf normale Zellen zu heilen
oder eine Lebensverlängerung unter Erhalt der Lebensqualität zu erzielen. In
letzter Zeit finden sich jedoch auch qualitative Unterschiede, die zur Therapie genutzt werden können. Hier sind zu nennen Unterschiede im Invasionsverhalten,
der Apoptosefähigkeit, der Gefäßversorgung ebenso wie rezeptorvermittelte
Unterschiede der Signaltransduktion. Auf Letzterem beruht die erfolgreiche Therapie mit Inhibitoren der Signaltransduktion wie dem Thyrosinkinase-Inhibitor
STI 571 (Glivec®) bei chronisch myeloischer Leukämie und gastrointestinalen
Stromatumoren.
A 2.2 Therapiekonzepte
18
Wesentliche Voraussetzung für die Durchführung antineoplastischer Therapieverfahren ist die Festlegung des Therapiekonzeptes. Insbesondere mit Blick auf
die erwartbare Toxizität müssen Kenntnisse vorliegen, um eine kurative von einer palliativen lebensverlängernden oder palliativ symptommildernden Therapie
zu unterscheiden. Hiernach richtet sich die Therapieintensität. Vom Ansatz her
kurativen Anspruch haben alle adjuvanten Chemo- und Hormontherapieverfahren, um so die Heilungsraten zu erhöhen. Hierzu zählen auch die so genannten
neoadjuvanten (präoperativen oder primären) Chemotherapieverfahren, bei-
spielsweise beim Osteosarkom, dem Mammakarzinom oder fortgeschrittenen
Kopf-Hals-Karzinomen. Im fortgeschrittenen Tumorstadium können interventionelle Therapieverfahren kurativen Anspruch haben. Dies gilt für die Hodgkinund hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphome, die akuten Leukämien, das Chorionkarzinom der Frau, die testikulären Karzinome, Ovarial- und Bronchialkarzinome in limitierten Krankheitsstadien und Tumoren des Kindesalters wie WilmsTumor und Rhabdomyosarkom. Ziel ist hierbei das Erreichen der anhaltenden
kompletten Tumorremission.
Gelingt dies nicht, muss zum richtigen Zeitpunkt auf eine palliative Tumortherapie gewechselt werden. Dieses palliative Therapiekonzept, das auch bei allen anderen bisher nicht genannten Tumorerkrankungen im fortgeschrittenen Stadium
vorliegt, beinhaltet als wichtigstes Ziel eine Lebensverlängerung unter Inkaufnahme einer minimalen therapiebedingten Morbidität (= Erhalt der Lebensqualität).
Bei einer geringen Zahl von Tumorerkrankungen besteht weiterhin nur ein palliatives Therapiekonzept im engeren Sinne (Beschwerdelinderung ohne Lebensverlängerung). Hierzu zählen das Pankreaskarzinom, das Leberzellkarzinom, das
Nierenzellkarzinom und Karzinome der ableitenden Gallenwege.
A 2.3 Indikationen zur Chemo- und Hormontherapie
Bei Verfolgung eines kurativen Therapiekonzeptes beginnt die zytostatische
Chemotherapie oder Hormontherapie in engem zeitlichen Zusammenhang mit
der Diagnosestellung (als primäre oder adjuvante Therapie) oder bei frühestem
Nachweis einer Metastasierung.
Bei Verfolgung eines palliativen Therapiekonzeptes zur Lebensverlängerung ist
die Chemo- oder Hormontherapie bei Nachweis der Metastasierung indiziert.
Die Therapie hat unter strenger Abwägung von Effektivität und Toxizität zu erfolgen. Somit steht eine nebenwirkungsärmere Hormontherapie in der Reihenfolge vor einer ggf. wirksamen Monochemotherapie, die gefolgt wird von einer
kombinierten Zytostatikatherapie. Die Hormontherapie ist beim metastasierenden Mamma- und Prostatakarzinom als Therapie der ersten Wahl anzusehen.
Nur bei sicherer Hormonrezeptornegativität oder disseminierter hepatischer und
pulmonaler Metastasierung besteht beim fortgeschrittenen Mammakarzinom
primär die Indikation für eine Zytostatikatherapie. Die Verfügbarkeit monoklonaler Antikörper hat zu Kombinationsbehandlungen mit der Chemotherapie beim
Mammakarzinom und bei malignen Lymphomen geführt.
A 2.4 Kontraindikationen
Die wichtigste Kontraindikation gegen eine antineoplastische Systemtherapie
besteht im Vorliegen einer weit forgeschrittenen Tumorerkrankung, bei der eine
Wirkung der Therapie nicht mehr erwartet werden kann, die Nebenwirkungen
dem Patienten nicht zumutbar sind oder die Tumorentität bzw. die Zahl voraus-
19
gegangener Systemtherapien eine Resistenz der Tumorerkrankung gegenüber
Zytostatika/Hormontherapeutika oder Antikörper weitgehend sicher vermuten
lässt.
Darüber hinaus gibt es bei Einschränkung spezieller Organfunktionen Kontraindikationen gegen einzelne zytostatische Substanzen. Zu nennen ist bei dekompensierter Herzinsuffizienz eine Kontraindikation gegen Anthrazykline, bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz die Kontraindikation gegenüber Platinsalzen,
bei restriktiven oder obstruktiven pulmonalen Erkrankungen die Kontraindikation gegen Bleomycin, Busulphan, Nitrosoharnstoffe u.a. Kontraindikation für
Hormontherapeutika ist die unbeherrschbare Hyperkalzämie, für monoklonale
Antikörper eine Allergie gegen diese Eiweiße. Kontraindikationen sind insbesondere bei torpidem Krankheitsverlauf zu überprüfen. So kann nach entsprechend
wirksamer Supportivtherapie eine anfangs kontraindizierte lebensverlängernde
Therapie indiziert sein.
A 2.5 Durchführung der Chemo- und Hormontherapie
20
Die Wirksamkeit einer Zytostatikatherapie ist unter pharmakologischen Gesichtspunkten direkt proportional dem Produkt aus Konzentration und Verweildauer. Neben der Konzentration des Zytostatikums in der Tumorzelle sind weitere Faktoren von Bedeutung, die die Grundlage der modernen Zytostatikatherapie darstellen. Hierzu gehören vor allem die Dosisintensität, d. h. die applizierte
Dosis pro Zeiteinheit, die Applikationsform, Absorption, Metabolisierung und
Exkretion, die Kombination einzelwirksamer Zytostatika mit additiven und synergistischen Effekten auf das Tumorzellwachstum, aber nicht additiven Nebenwirkungen und die Sequenz der Chemotherapiekombinationen.
Es gibt viele experimentelle und klinische Belege, dass die Kombination einzelwirksamer Zytostatika, in drei- bis vierwöchigen Abständen appliziert, einer Monotherapie überlegen ist. Eine kontinuierliche, niedrigdosierte Monotherapie
mit Zytostatika ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, obsolet.
In letzter Zeit haben insbesondere die Dosis-Wirkungs-Relation sowie die an der
Wachstumkinetik orientierten Chemotherapieapplikationen bis hin zur Chronomodulation theoretische und praktische Bedeutung erlangt.
Bei einer Reihe von Tumorerkrankungen – maligne Lymphome, akute und chronische Leukämien, primäres und fortgeschrittenes Mammakarzinom, kleinzelliges Bronchialkarzinom, rezidivierende oder fortgeschrittene Hodentumoren
bzw. Ovarialkarzinome werden unter Zuhilfenahme der modernen Supportivmaßnahmen inkl. des Blutstammzellersatzes Hochdosistherapieverfahren (HDT)
eingesetzt bzw. überprüft.
Bei malignen Lymphomen, Plasmozytomen und akuten Leukämien hat sich die
Überlegenheit der HDT-Strategien gegenüber konventionellen Salvage-Chemotherapieprotokollen eindeutig gezeigt. Bei Ovarial- und Hodentumoren gibt es
deutliche Anzeichen der höheren Effektivität der HDT, während beim Mammakarzinom und Bronchialkarzinom die randomisierten Studien bisher keine Überlegenheit dosisintensivierter Protokolle mit Stammzelltransfusion zeigen.
Verschiedene theoretische Modelle (Skipper-Schabel; Goldie-Coldman; NortonSimon) haben zu den heute gängigen Chemotherapieverfahren geführt: wirksame Zytostatikakombinationen werden nach Erholung des Normalgewebes in
drei- bis vierwöchigen Abständen repetiert, um so die Tumorerkrankung möglichst in eine komplette Remission zu überführen. Die Entwicklung einer genetisch und kinetisch bedingten Chemotherapieresistenz der Tumorzelle lässt sich
durch die Alternierung zwischen nicht-kreuzresistenten Zytostatikakombinationen bzw. die sequenzielle Applikation von zwei oder mehr Zytostatikakombinationen verringern.
Die Hormontherapie greift mit wenigen Ausnahmen (z. B. differenzierungsinduzierende Wirkung der Antigestagene) im Gegensatz zur zytostatischen Chemotherapie (s.u.) in Regelkreise der hormonellen Wachstumskontrolle der Tumorerkrankung ein. Die früher übliche Unterteilung zwischen hormonablativer und
hormonadditiver Therapie ist weitgehend verlassen worden. Heutige Therapieverfahren zielen auf die Blockierung der wachstumsstimulierenden Hormoneinflüsse ab. Dies kann geschehen durch Elimination körpereigener Hormone (z. B.
durch Suppression hypophysärer oder gonadaler Hormonsekretion; LHRH-Antagonisten; Aromatase-Inhibitoren) oder durch Blockierung von Hormonrezeptoren und damit Unwirksamkeit der endogenen Hormonsekretion (z. B. Antiöstrogene, Antiandrogene). Zur additiven Hormontherapie zählen noch die antiproliferativ und antigonadotrop wirksamen Gestagene in der Behandlung des
metastasierenden Mammakarzinoms und die Applikation von Östrogenen beim
fortgeschrittenen Prostatakarzinom. Sämtliche Hormontherapieverfahren werden nach Beginn kontinuierlich bis zum Nachweis ihrer Unwirksamkeit weitergeführt. Die Hormontherapie wird nicht kombiniert, sondern sequenziell eingesetzt, d. h. einzelne Therapieverfahren kommen nacheinander zum Einsatz. Lediglich die Agonisten des LHRH (Luteotropes-Hormon-Releasing-Hormon)
werden beim Mammakarzinom durch andere Hormontherapieverfahren (Antiöstrogene) supplementiert, beim Prostatakarzinom mit Antiandrogenen kombiniert.
A 2.6 Die Immuntherapie
Die Immuntherapie maligner Erkrankungen kann in aktive und passive Therapieverfahren unterteilt werden. Aktive Immuntherapie beinhaltet die spezifische
und unspezifische Generierung von zytotoxischen, zellulären oder humoralen
Immunreaktionen. Die passive Immuntherapie beinhaltet den Transfer spezifischer, zytotoxischer Immunzellen oder von tumorspezifischen Antikörpern.
Zelluläre Immunreaktionen führen durch direkte Zell-Zell-Interaktion oder über
Antikörpervermittlung zu einer Zytolyse der Tumorzelle. Humorale Antikörper
können entweder komplementvermittelt oder über eine zelluläre antikörperabhängige Zytotoxizität zum Untergang der Tumorzelle führen. Von humoraler
und zellulärer Immuntherapie streng abzugrenzen sind Verfahren einer unspezifischen Beeinflussung des Immunsystems (Mistelextrakte, Organextrakte), deren
antineoplastische Potenz nicht bewiesen ist.
21
A 2.7 Wirkung der antineoplastischen Therapie
Zytostatika wirken durch Interferenz mit der DNS-Replikation oder der Mitose
zellteilungshemmend. Man geht heute davon aus, dass hierdurch der Weg des
programmierten Zelltodes (Apoptose) induziert wird und es sich nicht um eine
Zellnekrose handelt. Die Wirksamkeit der medikamentösen Tumortherapie wird
anhand verschiedener Parameter bestimmt: hierzu gehören die Zeit zwischen
Beginn der Tumorremission und der erneuten Tumorprogression, die Überlebenszeit, die Überlebens- und Heilungsrate und der Nachweis oder das Fehlen
objektiver Tumorrückbildungen. Unter Berücksichtigung der durch die antineoplastische Therapie induzierten Toxizität werden in letzter Zeit zunehmend Parameter benutzt, die die Lebensqualität mit berücksichtigen. Daneben haben die
besseren Kenntnisse der Mechanismen von Apoptose, Kontrolle des Zellzyklus
und der zellulären Signaltransduktion zur Entwicklung „target“-spezifischer Inhibitoren (z.B. Imatinibmesilat (Glivec®), Somatorelin (Iressa®)) geführt. Ebenso
werden das bessere Verständnis von Gefäßversorgung und Invasions-/Metastasierungsmechansimen über Antiangiogenese-Stoffe und Modulatoren der Adhäsionsprozesse bzw. von Proteinasehemmern Beiträge zur Kontrolle des Tumorgeschehens leisten.
Objektive Tumorremissionen sind die komplette Remission mit vollständiger
Rückbildung aller messbaren Tumorparameter und der Tumorsymptome sowie
die partielle Remission mit Rückbildung von 50% oder mehr aller Tumorparameter für mehr als vier Wochen. Darüber hinaus wird ein Wachstumsstillstand einer
vorher progredienten Metastasierung für mehr als vier Wochen als Therapieerfolg gewertet.
Zeiten zwischen Erreichen einer Tumorwachstumskontrolle und erneuten Tumorprogression werden ebenso wie progressionsfreie Überlebenszeiten, häufig
unter Zuhilfenahme von statistischen Methoden, angegeben. Hierbei ist auf die
Nachbeobachtungszeit und die Zahl der Patienten zu den bestimmten Beobachtungszeitpunkten zu achten, da nicht selten mit zunehmender Beobachtungszeit die Therapieeffekte geringer und die Schlussfolgerungen geändert werden.
Es ist zu beachten, dass neue Wirkprinzipien (z.B. Antiangiogenese) einer völlig
anderen Wirksamkeitsbeurteilung bedürfen als klassische zytoreduktive Therapieverfahren.
A 2.8 Zytostatika und Hormone
22
Es gibt mittlerweile auf Grund der systematischen Forschung und Entwicklung
eine Vielzahl von zytostatisch wirkenden Medikamenten. Diese lassen sich klassifizieren in Alkylanzien, Antimetaboliten, Mitosehemmer, zytostatisch wirksame
Antibiotika, Enzyme und nicht klassifizierbare Substanzen.
Bei den Hormontherapeutika lassen sich unterscheiden die Agonisten und Antagonisten des gonadotropen Hormonreleasinghormons, Antiöstrogene, Antigestagene und Antiandrogene, Aromataseinhibitoren, Gestagene, Östrogene und
Androgene sowie Kortikosteroide.
Alle verfügbaren Zytostatika- und Hormontherapeutika sind durch entsprechende klinisch-pharmakologische Untersuchungen hinsichtlich der Einzeldosis und
der Applikationsweisen definiert. Hierzu sei auf entsprechende Lehrbuchkapitel
verwiesen.
Für die Immuntherapie stehen monoklonale Antikörper zur Verfügung. Hier sind
zu nennen der monoklonale Antikörper Edrecolomab gegen das 17-1A-Antigen
bei kolorektalem Karzinom, Rituximab gegen das CD 20-Antigen auf B-Lymphozyten maligner Lymphome und das Trastuzumab gegen das erbB2-Antigen bei
Mammakarzinomen. Eine Reihe weiterer monoklonaler Antikörper befinden
sich in der präklinischen und klinischen Entwicklung.
Für die zelluläre Immuntherapie stehen derzeit keine, für die klinische Routineanwendung zu empfehlenden Therapieverfahren zur Verfügung. Spezifische zytotoxische T-Zellen und dendritische, antigenpräsentierende Zellen befinden sich
im klinischen Experiment.
Auf die Entwicklung von Tumorvakzinen (z.B. beim Nierenzellkarzinom, Melanom und Ovarialkarzinom) sei hingewiesen.
A 2.9 Nebenwirkungen
Die unerwünschten Wirkungen der zytostatischen Chemotherapie beruhen zuvorderst auf den antiproliferativen Effekten an normalen Mausergeweben. Hierzu gehören Haarfollikel, Hämatopoese, Schleimhäute und Reproduktionssystem. Hierdurch kommt es zu der häufigen zytostatikabedingten reversiblen Alopezie, der reversiblen Myelosuppression, der reversiblen Mukositis sowie der z. T.
reversiblen, z. T. irreversiblen Sterilität.
Darüber hinaus stehen im Vordergrund der Toxizität die über das Brechzentrum
oder die Beeinflussung der gastrointestinalen Motilität bedingte Emesis und
Nausea. Eine Reihe von Zytostatika haben spezielle, dosislimitierende Organtoxizitäten (z. B. die Kardiotoxizität der Anthrazykline, die Nephrotoxizität der Platinsalze, die Pulmotoxizität von Bleomycin, Busulphan oder Nitrosoharnstoffen).
Letztlich induzieren Zytostatika als karzinogene und teratogene Substanzen
Zweitneoplasien (in etwa 10% der behandelten Patienten mit akuten Leukämien oder Non-Hodgkin-Lymphomen) bzw. Missbildungen oder Aborte.
Auch die Hormontherapie ist mit unerwünschten Wirkungen assoziiert. Auch
wenn diese in der Regel geringere Beeinträchtigungen von Lebensqualität oder
Organfunktion zur Folge haben, müssen sie bei Indikationsstellung und im
Therapieverlauf beachtet werden. Hierzu gehören je nach Therapie Hypertonie,
diabetische Stoffwechselentgleisung, Gewichtszunahme, Menopausensymptome u.a.
Die Therapie mit monoklonalen Antikörpern kann neben einer Hypersensitivitätsreaktion gegen das (murine) Fremdeiweiß mit entsprechender Symptomatik
zu einem Zytokinreleasesyndrom bei Rituximab sowie spezifischen Nebenwirkungen an der Herzmuskelzelle durch Trastuzumab oder am Darmepithel durch
Edrecolomab führen.
23
A 2.10 Supportivtherapie
Gegen die tumorbedingte Störung von Organfunktionen bzw. des Gesamtorganismus und insbesondere gegen die Toxizität der Tumortherapie richtet sich die
Supportivtherapie.
Hierzu zählen Maßnahmen gegen die tumor- oder therapiebedingte Myelosuppression in Form von Applikation hämatopoetischer Wachstumsfaktoren (Granulopoetine, Erythropoetin, SCF, Thrombopoetin) oder der Retransfusion autologer hämatopoetischer Stammzellen. Die moderne antimikrobielle Therapie mit
antibiotischen, antimykotischen und antiviralen Substanzen hat zu einer deutlich verbesserten Kontrolle krankheitsbedingter und nosokomialer Infektionen in
der Folge krankheits- und therapiebedingter Neutropenien oder Immunsuppressionen geführt.
Die moderne antiemetische Therapie unter Einschluss von Antihistaminika, Anticholinergika, Neuroleptika, Benzodiazepinen, 5-HT3-Rezeptorantagonisten und
Glukokortikoiden hat zu einer weitgehenden Beherrschung von Emesis und
Nausea geführt.
Die vorübergehende oder kontinuierliche analgetische Therapie unter frühzeitiger Verwendung von Opioiden und Morphinen führt heute fast immer zur
Schmerzfreiheit bei der überwiegenden Zahl von Schmerzzuständen bei Tumorerkrankungen.
Der Blutzellersatz konzentriert sich auf die Substitution von Erythrozyten und
Thrombozyten, wodurch in der Regel bedrohliche oder lebensgefährliche Zustände behoben oder vermieden werden können. Granulozytentransfusionen
können in besonderen Situationen ebenfalls zur Überbrückung der passageren
Neutropenie sinnvoll sein.
Die enterale Alimentation, gelegentlich über gastrale oder duodenale Verweilsonden, und die parenterale intravenöse Alimentation sind fester Bestandteil
der Supportivtherapie, wenn hierdurch eine Lebensverlängerung mit akzeptabler Lebensqualität oder der Zustand einer Therapiewürdigkeit erreicht werden
kann.
A 2.11 Schlussbetrachtung
24
Erfahrungen in Pharmakokinetik und Pharmakodynamik, theoretischen Grundlagen der Wirkung von Zytostatika, Hormontherapeutika und Immuntherapeutika, subtile Kenntnisse in der Indikationsstellung, Wirksamkeitsbeurteilung, Einschätzung der Toxizität sowie Erfahrung in allen verfügbaren Supportivtherapien
sind unabdingbare Voraussetzungen für die Durchführung von systemischen Tumortherapien. Die Beurteilung und Dokumentation des Therapieerfolgs, der unerwünschten Therapieeffekte sowie der Lebensqualität sind ebenso zu fordern
wie die Bereitschaft des Tumortherapeuten, an einer Optimierung der Tumortherapie durch Teilnahme an kontrollierten klinischen Studien mitzuwirken. Qualifikation des Therapeuten und Qualität der Therapie führen zu dem zu fordernden
optimalen Behandlungserfolg. Dieser muss durch ein umfassendes Qualitätssi-
cherungsprogramm inkl. Zertifizierung von Behandler, Behandlungseinrichtung
und kontinuierlicher Fortbildung sicher gestellt werden.
Literatur
1 Pfreundschuh M (1999) Prinzipen der medikamentösen Tumortherapie In:
Schmoll HJ, Höffken K, Possinger K (Hrsg) Kompendium Internistische Onkologie, 3. Auflage. Springer, pp 569–626
2 De Vita VT (1997) Principles of cancer management: Chemotherapy. In: De
Vita VT, Hellmann S, Rosenberg SA (eds) Cancer. Principles and practice of
oncology. Lippincott-Raven, pp 333–349
Verfahren der Konsensbildung
Verfasser
Prof. Dr. K. Höffken im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft mit Beratung
durch die Arbeitsgruppen der Deutschen Krebsgesellschaft.
Die Leitlinie wurde dem zuständigen Leitlinienkoordinator vorgelegt, um Änderungen oder Ergänzungen an der Leitlinie vorzunehmen. Anschließend wurde
die Leitlinie den folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
25
Leitlinienkoordinator
Prof. Dr. K. Höffken
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II
(Onkologie, Hämatologie, Endokrinologie,
Stoffwechselerkrankungen)
der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Erlanger Allee 101
D-07747 Jena
Erste Fassung: Februar 1999
Zweite Fassung: Februar 2000
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
26
A3
Prinzipien der modernen
Strahlentherapie
(Radioonkologie)
Federführung: Arbeitsgemeinschaft Radiologische Onkologie (ARO) der Deuschen
Krebsgesellschaft
A 3.1 Einleitung
Es erkranken jährlich in Deutschland etwa 350 000 Menschen an Krebs und
etwa jeder fünfte Deutsche stirbt an einer Tumorerkrankung, eine Zahl, die in
den nächsten Jahren zweifelsohne zunehmen wird.
Etwa 55% aller Patienten werden mit einer noch örtlich begrenzten Tumorerkrankung diagnostiziert und kommen so zur Therapie, hiervon können ca. zwei
Drittel durch die lokalen Therapiemaßnahmen (Chirurgie und Strahlentherapie)
geheilt werden.
Die Strahlentherapie als lokale, respektive lokoregionäre Maßnahme zielt also darauf, die Tumorzellen im Primärtumor und gegebenenfalls in den zugehörigen
Lymphbahnen und Lymphknoten abzutöten. Für die Heilung ist die Kontrolle des
lokalen bzw. lokoregionären Tumors, d.h. die Verhinderung des Lokalrezidivs, eine
wesentliche Voraussetzung und von entscheidender Bedeutung. In diesem Zusammenhang sollte auch nicht vergessen werden zu erwähnen, dass ca. ein Drittel
aller Tumorpatienten, die nicht geheilt werden können, nicht an einer Fernmetastasierung, sondern am lokoregional nicht kontrollierten Tumor versterben.
Die restlichen 45% kommen mit einer fortgeschrittenen, metastasierenden Erkrankung zur Behandlung, eine Heilbehandlung ist meist nicht oder nur für einen kurzen Zeitraum möglich.
Von allen diesen Patienten erhalten etwa 70% in ihrem weiteren Krankheitsverlauf eine Strahlenbehandlung. Diese dient dann im Wesentlichen der Bekämpfung von Schmerzen und anderen, den Patienten bedrängenden Symptomen,
eine längerfristige Ausheilung der Tumorerkrankung ist in diesen fortgeschrittenen Krankheitsstadien nur in wenigen Fällen möglich.
Im Allgemeinen ist bei einer Strahlenbehandlung das Risiko einer schwergradigen und dauerhaften Verletzung gesunder Gewebe gering. Die Schwellendosen
(Gesamtdosis einer mit 5 × 2 Gy oder 5 × 1,8 Gy pro Woche fraktionierten Strahlentherapie), die am Normalgewebe nicht überschritten werden dürfen, sind bekannt. Die moderne Radioonkologie wählt die Strahlendosen und die technisch
hoch präzisen Applikationsverfahren so, dass das Risiko von bleibenden und
stärkeren Beeinträchtigungen in einer akzeptablen Größenordnung bleibt.
Grundsätzlich differiert die Strahlentherapie im Maß ihrer Risikobereitschaft
nicht von anderen Disziplinen und Therapieverfahren in der Medizin, insbesondere in der Onkologie, die u.U. sogar ein Letalitätsrisiko in Kauf nehmen müssen.
Eine Unterdosierung in der Strahlentherapie ist aber besonders gefährlich, ge-
27
fährdet sie in hohem Maße das Ziel, alle oder eine möglichst hohe Zahl von Tumorzellen zu vernichten.
Die Radioonkologie ist ein im besten Sinne des Wortes interdisziplinäres Fach, ist
sie doch in fast alle onkologischen Therapiestrategien maßgeblich eingebunden.
Das frühe interdisziplinäre Konsil, die frühzeitige konsiliarische Einbindung des
Radioonkologen in die onkologische Diagnostik und Therapieplanung, sind heute unverzichtbare Bestandteile einer optimierten onkologischen Strategie.
Dabei spielt die Qualitätssicherung eine immer wichtigere Rolle. Aus diesem
Grunde ist die Erarbeitung von therapeutischen Leitlinien heute eine der wichtigsten Aufgaben, denen sich die einzelnen Fachdisziplinen stellen müssen.
Nicht nur aus klinischen, sondern auch aus forensischen Gründen kann in der
Radioonkologie nicht auf die fachgebundene Nachsorge verzichtet werden. Wie
alle anderen onkologischen Disziplinen ist der Radioonkologe nicht nur verpflichtet, sich über den klinischen Verlauf der von ihm behandelten Patienten zu
informieren, sondern insbesondere auch die möglichen Spättoxizitäten seiner
Behandlungsmodalität zu erfassen, um daraus notwendige Konsequenzen im
Hinblick auf Therapiemodifikationen zu ziehen.
A 3.2 Wirkungsmechanismen der Strahlentherapie
28
Hauptziel einer jeden Strahlentherapie bösartiger Tumoren ist die maximale Zerstörung aller Tumorzellen bei möglichst geringer Schädigung der den Tumor umgebenden normalen Gewebe.
Der Angriffsort der Bestrahlung ist die im Zellkern jeder Zelle befindliche DNA
(Desoxyribonukleinsäure). Diese ist Träger der Erbinformation, die bei jeder Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben wird.
Eine Bestrahlung führt zu einer Vielzahl an DNA-Schäden, die zum großen Teil
von zelleigenen Enzymen repariert werden. Einige Schäden können aber nicht
repariert werden bzw. werden falsch repariert. Die Zelle führt dann noch eine bis
drei Teilungen durch, bevor sie ihre Teilungsfähigkeit irreversibel verliert. In weiteren Schritten werden die geschädigten Zellen aufgelöst und die dabei entstehenden Fragmente vom Immunsystem des Körpers abgebaut.
Ein zweiter Mechanismus der Zellvernichtung besteht in der durch Strahlen induzierten Apoptose. Die Apoptose entspricht einem von der Zelle selbst eingeleiteten und programmiert durchgeführten Zelltod. Sie endet ebenfalls in der
Auflösung der Zelle.
Modernste Untersuchungen der experimentellen Strahlentherapie an Zellkulturen ergaben, dass bei der Vernichtung von Zellen neben der direkten Wirkung
an der DNS auch Strahleneffekte (bei relativ niedrigen Strahlendosen!) auf die
intrazelluläre molekulare Übermittlung von Signalen und Informationen („Signalkaskaden“) eine Rolle spielen. Die DNS selber, die ein langstreckiges Molekül
darstellt und in die einzelnen Chromosomen gepackt ist, erweist sich in neueren
Studien auf unterschiedlichen Abschnitten als variabel in ihrer Empfindlichkeit
gegenüber Strahlen. Die Einflüsse einer Bestrahlung und deren selektive molekulare Auswirkungen werden künftig zielgerichtet zur Modulation der Strahlen-
wirkung (Protektion des Normalgewebes oder Verstärkung der Zellvernichtung
im Tumor durch additive Therapieprinzipien wie beispielsweise Biomodulatoren
oder Gentherapie) genutzt.
Die Wirkung einer Bestrahlung auf Krebsgewebe und auf normales gesundes
Körpergewebe ist im Prinzip gleich. Auch im Reparaturvermögen von Tumorund Normalzellen lassen sich keine Unterschiede nachweisen.
Die im Vergleich zum gesunden Gewebe oft schlechtere Versorgung der Tumorzellen mit Nährstoffen und vor allem mit Sauerstoff hat aber zur Folge, dass in
den dadurch entstehenden hypoxischen Tumorzellen einerseits die Reparatur
von DNA-Schäden weniger effizient verläuft, aber andererseits wegen fehlender
Sauerstoffsensibilisierung auch weniger Tumorzellen abgetötet werden.
Eine therapeutische Wirkung kann durch Bestrahlung nur dann erzielt werden,
wenn die Strahlendosis im Tumor deutlich höher als im Normalgewebe ist. Eine
Strahlenbehandlung wird deshalb „zielgerichtet“ durchgeführt, sodass der Tumor insgesamt eine relativ hohe Dosis erhält, während große Anteile des gesunden Gewebes keiner nennenswerten Dosis ausgesetzt sind. Das „unbelastete“
Gewebe kompensiert eventuelle Schäden, die in kleineren Anteilen gesunder
Strukturen entstanden sind.
Strahlenbiologie und Fraktionierung
Die Strahlentherapie erfolgt, bis auf ganz wenige spezielle Ausnahmen, nicht in
einer einzigen Bestrahlung.
Bei der sog. fraktionierten Strahlentherapie wird nicht die gesamte zur Tumorvernichtung erforderliche Strahlendosis auf einmal appliziert, vielmehr erfolgt die
Strahlenbehandlung in Form von vielen kleinen Portionen, den sog. Fraktionen.
Die Dosisangabe erfolgt hierbei in Gy (Gray) (1 Gy entspricht 100 rad).
Üblicherweise wird einmal täglich mit 1,8–2,0 Gy bestrahlt, an fünf Werktagen
der Woche.
Die zur Bekämpfung einer Tumorerkrankung notwendige Gesamtdosis von
40–70 Gy führt somit in der Regel zu einer Gesamtbehandlungszeit von vier bis
sieben Wochen.
Der Umfang der Zellabtötung nach Anwendung ionisierender Strahlen gehorcht
mathematischen Regeln. Wesentlich ist, dass bei der fraktionierten Strahlentherapie mit jeder Dosisapplikation, wie bei einer zytostatischen Chemotherapie mit
jedem Zyklus, jeweils ein in etwa gleichgroßer Prozentsatz von Tumorzellen vernichtet wird. Beispiel: Reduktion der Zellzahl von 100 Mio. auf 10 Mio. (1.Dosis),
von 10 Mio. auf 1 Mio. (2. Dosis), von 1 Mio. auf 100000 (3. Dosis), usw.; im Beispiel reduziert sich mit jeder gleich großen Bestrahlungsfraktion die Zahl lebender Tumorzellen auf 10% des Ausgangswertes.
Die vielen Einzelfraktionen einer fraktionierten, mehrwöchigen Strahlentherapie
mit einer hohen Gesamtdosis können zu einer Abtötung aller Zellen eines
makroskopischen Tumors der Größenordnung von ca. 1–2 cm führen. Dieser
besteht aus ca. 10 Mio. Zellen oder mehr. Die komplette und dauerhafte Rückbildung eines makroskopischen soliden Tumors gelingt mit alleiniger zytostatischer Chemotherapie in der Tumortherapie bei Erwachsenen (Ausnahme:
Hodentumoren) meistens nicht.
29
Mit einer zytostatischen Chemotherapie wird die Zahl der Tumorzellen allenfalls
von einer makroskopischen auf eine mikroskopische Größenordnung (unter ca.
10 Mio.) reduziert.
In der klinisch häufig durchgeführten Kombination von Radio- und zytostatischer Chemotherapie erhöht die zusätzliche und durch Chemotherapie bewirkte
Abtötung von Tumorzellen die Chance, alle Zellen des Tumors zu vernichten.
Über die lokale Wirkung hinaus hat die systemische zytostatische Chemotherapie in der Kombination den Vorteil, eventuell vorhandene Mikrometastasen zu
vernichten.
30
Akute und späte Nebenwirkungen der Strahlentherapie
Das optimale Schema dieser sog. fraktionierten perkutanen (d.h. von außen
durch die Haut durchgeführten) Strahlentherapie ergibt sich aus dem Verhältnis
einer möglichst hohen Wahrscheinlichkeit der Tumorvernichtung im Vergleich
zur Wahrscheinlichkeit der zu erwartenden Nebenwirkungen.
Letztere können in Form von akuten Nebenwirkungen während der Strahlenbehandlung auftreten und sind dann meist wenige Wochen nach Abschluss der
Behandlung reversibel.
In einem sehr geringen Prozentsatz können Monate bis Jahre nach der Strahlenbehandlung sog. chronische Strahlenfolgen auftreten, die in der Regel nur
symptomatisch zu behandeln sind.
Allgemein gilt, dass in jedem Körpergewebe sowohl akute als auch chronische
Strahlennebenwirkungen auftreten können, wobei je nach Gewebe die eine
oder andere Reaktion überwiegt.
Chronische Strahlenfolgen, die u.U. die Lebensqualität von langzeitüberlebenden bzw. geheilten Patienten stark beeinträchtigen, sind insgesamt selten. Das
Risiko hierfür ist aber speziell bei Bestrahlung mit hohen Einzeldosen (>2 Gy/die)
erhöht.
Das Auftreten dieser Nebenwirkungen wird jedoch ganz erheblich durch die Gesamtstrahlenmenge und die Ausdehnung des Strahlenfeldes bestimmt, da
grundsätzlich nur in den direkt bestrahlten Organen und Körperregionen Nebenwirkungen auftreten. In seltenen Fällen treten geringe systemische Nebenwirkungen auf. Eine Ausnahme hiervon bildet eine sich am Anfang einer Strahlenbehandlung ggf. ausbildende Müdigkeit und Übelkeit, die wahrscheinlich
durch die Überschwemmung des Körpers mit Zellabbauprodukten aus dem Tumor bewirkt wird.
Akute Strahlennebenwirkungen bestehen in der Regel zunächst in einer Hyperämie (vermehrten Durchblutung) und einem Ödem (Schwellung) in dem betroffenen Organ bzw. der Körperregion. Da während der Strahlenbehandlung auch
die Zellteilung in Normalgeweben behindert wird, kommt es durch den reduzierten Nachschub zu einem Mangel an funktionstüchtigen Zellen eines Organs.
Dieses wird daraufhin in seiner Funktion, je nach individueller Strahlenempfindlichkeit und verabreichter Strahlenmenge, mehr oder weniger stark eingeschränkt.
Typische akute Nebenwirkungen sind die feuchte Epitheliolyse (Ablösung) des
Epithels der Haut, die akute Schleimhautentzündung (Mukositis), der meist tem-
poräre Funktionsverlust von Speichel- und Schweißdrüsen, der Durchfall (Diarrhö) durch Zellverlust in Dünn- und Dickdarm, Störungen der Blutbildung im
Knochenmark mit Mangel an weißen Blutkörperchen (Leukopenie), akute Harnblasenentzündung (Cystitis) sowie eine Hirnschwellung (Hirnödem).
Die späten, chronischen Nebenwirkungen treten mit einer Häufigkeit von
5–11% in den jeweils bestrahlten Organen auf.
Es kommt relativ einheitlich zu einer Bindegewebsvermehrung (Fibrose), zu einem dauerhaften Verlust von funktionsfähigen Organzellen (Atrophie), zu einer
Verödung der versorgenden kapillären Blutgefäße mit Erweiterung der vorangehenden kleinen Arterien und Venen (Teleangiektasien) sowie zu damit verbundenen Funktionseinbußen des Organs.
Typische chronische Nebenwirkungen sind in wenigen Fällen die Strahlenfibrose
der Lunge, der strahleninduzierte Darmverschluss (Ileus) sowie Verhärtungen
des Unterhautfettgewebes, des Bindegewebes und der Muskulatur.
Die Kunst des Radioonkologen bei der Planung und auch Durchführung der
Strahlenbehandlung liegt in der möglichst kompletten Vermeidung von späten
irreversiblen Nebenwirkungen bei gleichzeitiger maximaler Tumorvernichtung.
Das Ausmaß der späten Nebenwirkungen wird insbesondere von der Höhe der
Gesamtdosis sowie von der Höhe der täglichen Einzeldosis bestimmt. Als Faustregel gilt, je höher die Gesamtdosis und je höher die tägliche Einzeldosis, um so
stärker ist eine mögliche späte Nebenwirkung ausgeprägt.
Zusätzlich ist hierfür noch das bestrahlte Volumen des normalen Körpergewebes
maßgebend.
In der Regel bestimmt also das den Tumor umgebende Normalgewebe die maximal tolerable Gesamtdosis in Abhängigkeit von der täglich applizierten Einzeldosis. Diese beträgt in der Regel 1,8–2,0 Gy, bei großen Bestrahlungsfeldern
1,5 Gy, in ausgewählten Fällen, bei sehr kleinen Bestrahlungsfeldern in der Nähe
strahlenunempfindlicher Normalgewebe bis zu 3 Gy täglich.
Die Aufteilung der Gesamtdosis in kleine Einzeldosen hat zwei Gründe: Erstens
können durch Anwendung kleiner Strahlendosen die meist dosislimitierenden
späten Nebenwirkungen deutlich reduziert werden (Schonung des Normalgewebes) und zweitens können die zu Therapiebeginn vorhandenen hypoxischen
Tumorzellen im Verlauf der sich über Wochen erstreckenden Strahlenbehandlung wieder in Kontakt mit Sauerstoff kommen und dadurch ihre besonders hohe Strahlenresistenz wieder verlieren (Reoxygenierung).
Dieses gilt speziell für Patienten, die Aussicht auf eine längere Überlebenszeit
oder eine Heilung ihrer Erkrankung haben, bei denen also eine kurative Strahlenbehandlung durchgeführt werden sollte.
In der rein palliativen Therapie, wenn also eine längerfristige Heilung aufgrund
der erheblichen Ausdehnung der Tumorerkrankung nicht mehr zu erwarten ist,
stehen ein rascher Wirkungseintritt und eine kurze Gesamtbehandlungszeit im
Vordergrund, sodass hier häufig mit höheren Einzeldosen gearbeitet wird.
31
A 3.3 Bestrahlungsgeräte und Methodik
32
Das Standardgerät für die Bestrahlung ist heutzutage überwiegend der Linearbeschleuniger.
Technisch werden in diesen Geräten Elektronen auf Energien bis zu ca. 15 MeV
(Millionen Elektronenvolt) beschleunigt, diese können nach Beschuss eines Targets in Photonenstrahlung derselben Energie umgewandelt werden.
Der Vorteil dieser hochenergetischen Photonenstrahlung liegt in der hohen Eindringtiefe in das Gewebe unter weitgehender Schonung der Haut.
Die Elektronenstrahlung kann auch direkt für die Therapie oberflächlich gelegener Prozesse benutzt werden, ihr Vorteil liegt in einer begrenzten Reichweite im
Gewebe mit einer vollständigen Schonung der dahinter liegenden Organe.
Zusätzlich zu der sog. perkutanen Strahlentherapie (Bestrahlung von außen
durch die Haut) können Tumoren auch aus dem Inneren des Körpers bestrahlt
werden.
Hierzu werden in Körperhöhlen oder in das Tumorgewebe selbst umkapselte radioaktive Strahler eingebracht, die therapeutische Reichweite der Strahlung beträgt hierbei in der Regel einige Zentimeter.
Diese sog. Brachytherapie wird heutzutage in den meisten Fällen im sog.
Afterloadingverfahren durchgeführt, d.h. ein eingelegter Applikator (eine Art
„Hülse“ aus Metall) wird elektromechanisch ferngesteuert mit den radioaktiven
Quellen beladen. Dabei entsteht, im Gegensatz z.B. zur früher durchgeführten
Radiumbehandlung, keine Strahlenbelastung für das medizinische Personal.
Wegen des kleinen bestrahlten Volumens können hierbei Einzelfraktionen von
5–10 Gy verwendet werden. Bei den modernen „High-dose rate“-AfterloadingGeräten liegen die Bestrahlungszeiten, im Vergleich zur früher durchgeführten
16–24 Stunden dauernden Radiumbestrahlung, bei nur 15–20 Minuten.
Für die Brachytherapie des Prostatakarzinoms werden seit neuestem wieder direkt implantierbare Quellen verwendet, und zwar überwiegend in Form so genannter Jod-Seeds.
Die intraoperative Strahlentherapie, bei der während des operativen Eingriffs die
erste Bestrahlung durchgeführt wird, ist eine sehr spezielle Methode, deren klinische Bedeutung derzeit an einigen Zentren für bestimmte Tumorentitäten (Magenkarzinome, Rektumkarzinome, gynäkologische Tumoren, Lungenkarzinome)
erprobt wird. Ihr endgültiger klinischer Stellenwert kann derzeit aber noch nicht
festgelegt werden kann.
Intraoperative Bestrahlungen sollten deshalb überwiegend innerhalb von kontrollierten Studien durchgeführt werden. Es kann hier der Vorteil des offenen Situs zu einer einseitigen direkten Bestrahlung ohne dazwischen liegendes gesundes Gewebe genutzt werden; auf diese Weise ist es möglich schon einen Teil der
vorgesehenen postoperativen Bestrahlungsdosis zu applizieren, die verbleibende Restdosis wird nach primärer Wundheilung perkutan gegeben.
Eine weitere wichtige Innovation stellen die stereotaktischen Pendelkonvergenzbestrahlungen (Radiochirurgie) dar. Mit dieser speziellen Technik ist es den Radioonkologen möglich, einzeitig oder fraktioniert (mit dem Linearbeschleuniger),
intrakraniell nur wenige Zentimeter große Raumforderungen so zielgenau zu
bestrahlen, dass 1–2 mm außerhalb des Zielvolumens im gesunden Gewebe
praktisch keine Strahlung mehr wirksam wird. Durch diese Spezialform der
Strahlentherapie kann Patienten mit einzelnen Hirnmetastasen die Operation
erspart bleiben. Sehr gute klinische Erfahrungen bestehen auch in der Behandlung von arteriovenösen Malformationen im Gehirn und bei Akustikusneurinomen. Von wenigen erfahrenen Zentren werden auch Patienten mit Rezidiven
von Meningeomen und Hypophysentumoren sowie malignen Tumoren der
Schädelbasis erfolgreich behandelt, hier sind jedoch umfangreiche Erfahrungen
Voraussetzung zur sicheren Durchführung dieser höchst speziellen, aber effektiven Bestrahlungsmethode.
Diese Methode wird derzeit nur von einigen erfahrenen Zentren angeboten, da
hier besonders die enge Kooperation der Strahlentherapeuten mit stereotaktisch
versierten Neurochirurgen notwendig ist.
Eine Ausweitung dieser technischen Möglichkeiten der Hochpräzisionsbestrahlung auf anatomische Regionen außerhalb des Hirnschädels (sog. „Body-Stereotaxie“) wird ebenfalls schon an einigen radioonkologischen Zentren praktziert
(Wirbelsäulenmetastasen, Lungenmetastasen, Lebermetastasen).
Durch die rasche Weiterentwicklung der Bestrahlungsplanungstechniken (3-DPlanung) und den Bau sog. Multi-leaf-Kollimatoren können heute die Bestrahlungsvolumina sehr präzise den individuellen, überwiegend irregulären Tumorkonfigurationen angepasst werden; hierin liegt eine wesentliche Weiterentwicklung der Strahlentherapie für die kommenden Jahre („konformierende Strahlenbehandlung“).
A 3.4 Indikationen zur Strahlentherapie
Im Folgenden sollen in einer kurzen Übersicht Indikationen und Durchführung
der Strahlentherapie für häufig vorkommende Tumoren dargestellt werden, auf
detaillierte Information muss aus Platzgründen verzichtet werden, hier wird auf
die weiterführende Literatur verwiesen.
Intrakranielle Tumoren
Hirntumoren gehen am häufigsten von den Hüllzellen (Gliazellen) des Hirngewebes aus. Die meisten bösartigen Hirntumoren sind aufgrund ihrer Lokalisation
und/oder ihrer diffusen Wachstumsgrenzen nicht komplett operativ zu entfernen, sodass in der Regel auch nach mikroneurochirurgischer Operation ein makroskopischer oder mikroskopischer Tumorrest verbleibt.
Deshalb wird bei malignen Oligodendrogliomen oder Astrozytomen postoperativ oder bei Auftreten eines Rezidivtumors die Tumorregion einschließlich eines
Sicherheitssaums mit 50–56 Gy Gesamtreferenzdosis, bei täglicher Einzelreferenz von 1,8–2 Gy, bestrahlt.
Hierzu verwendet man zur Schonung gesunden Hirngewebes in der Regel Mehrfeldertechniken mit Keilfilterung, d.h. die Tumorregion wird aus mehreren Richtungen bestrahlt und der Tiefendosisverlauf durch Einbringen von keilförmigen
Filtern in den Strahlengang entsprechend dem irregulären Volumen des Tumors
33
angepasst, eine weitere Verbesserung ist die individuelle Konturanpassung
durch Multi-leaf-Kollimatoren.
Die Durchführung der Strahlentherapie wird heute insgesamt sehr detailliert geplant und die dreidimensionale konforme Bestrahlungsplanung wird künftig
mehr die Regel denn die Ausnahme sein.
Bei den hochmalignen Gliomen handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle um
Glioblastome. Nach einer „vollständigen“ mikroneurochirurgischen Resektion
kann durch eine lokal erweiterte Strahlenbehandlung mit 60 Gy die mittlere
Überlebenszeit von sechs auf ca. 12 Monate verbessert werden.
Die Ganzhirnbestrahlung ist nicht mehr üblich.
Die Rolle der Radiochemotherapie ist bei den malignen Gliomen noch nicht endgültig zu bewerten, dazu müssen die derzeit verfügbaren Substanzen noch in
klinischen Studien ihre Wirksamkeit belegen.
Das am häufigsten im Kindesalter vorkommende Medulloblastom entsteht meistens im Kleinhirn. Aufgrund einer ausgeprägten Neigung dieser Tumoren, sich
im gesamten Liquorraum auszubreiten, müssen nach einer operativen Entfernung das ganze Gehirn sowie der gesamte Rückenmarkskanal bestrahlt werden.
Meningeome gehen von der harten Hirnhaut aus, eine Bestrahlung mit 56 Gy
kann nach inkompletter Entfernung oder im Falle eines inoperablen Rezidivs ein
weiteres Tumorwachstum mit großer Wahrscheinlichkeit verhindern oder für
lange Zeit aufhalten.
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Kopf-Hals-Tumoren
Kleine Tumoren der Mundhöhle und des Rachens ohne Absiedlung in die regionären Lymphknoten werden entweder operiert oder mit einer alleinigen (definitiven) Strahlentherapie behandelt.
Hierbei kommt neben der perkutanen Bestrahlung für ausgewählte Fälle die interstitielle Brachytherapie zum Einsatz, um eine höchstmögliche Tumorvernichtungsdosis im Tumor zu applizieren.
Bei fortgeschrittenen, aber noch operablen Tumoren ist in jedem Falle eine kombinierte Behandlung aus Operation und Bestrahlung anzustreben. Hierbei kann
die Bestrahlung präoperativ zur Tumorverkleinerung oder postoperativ zur Vernichtung mikroskopisch verbliebener Tumorzellen im Tumorbett oder den regionären Lymphknoten eingesetzt werden. Die notwendige Strahlendosis liegt zwischen 55–60 Gy im Tumorbett und, je nach chirurgischem Vorgehen und Ausdehnung des Befalls, zwischen 46–54 (60) Gy in den regionären Lymphknotenstationen, bei täglich 1,8–2 Gy an fünf Werktagen.
Ist eine Resektion des Tumors nur unter Inkaufnahme von schweren Verstümmelungen möglich, dann sollte eine alleinige Strahlentherapie, eventuell als simultane Radiochemotherapie, durchgeführt werden, da die Prognose, unabhängig
von der durchgeführten Therapie, schlecht ist. Die dabei am häufigsten verwendeten zytostatischen Substanzen sind das 5-Fluorouracil, Cisplatin und Mitomycin C, in neuerer Zeit auch die Taxane. Die klinischen Studien dazu sind aber
noch nicht komplett abgeschlossen, eine gewisse Überlegenheit der simultanen
Radiochemotherapie für einige Tumorentitäten und Risikogruppen scheint sich
aber abzuzeichnen.
Um eine maximale Wirkung zu erzielen, werden dabei heutzutage spezielle
Fraktionierungsschemata verwendet.
Bei der sog. hyperfraktioniert akzelerierten Strahlenbehandlung sind die Fraktionen mit 1,2– <1,8 Gy kleiner als üblich, hierdurch können insgesamt höhere Gesamtdosen von bis zu 80 Gy appliziert werden, ohne dass die Rate der Nebenwirkungen deutlich ansteigt. Bei schnell wachsenden Tumoren, die auch während der Strahlenbehandlung proliferieren können, verwendet man zusätzlich
eine zweimal tägliche Bestrahlung mit den o.g. Fraktionen, um die Gesamtbehandlungszeit möglichst kurz zu halten.
Strahlenbiologisch soll eine hyperfraktioniert akzelerierte Abfolge der Bestrahlung der Repopulierung (vermehrte gegenregulatorische Zellvermehrung des Tumors unter Radio- oder Radiochemotherapie) entgegenwirken.
Das Karzinom des Nasenrachenraumes (Nasopharynx) bildet einen Sonderfall,
da hier in der Regel die beidseitigen Halslymphknoten frühzeitig befallen sind
und der Tumor aufgrund seines speziellen anatomisch topographischen Sitzes
auch in den seltenen Frühstadien nicht vollständig resezierbar ist. Hier erfolgt sowohl in Früh- als auch in Spätstadien eine hoch dosierte Strahlentherapie mit
66–72 Gy, neuere Studien belegen, dass die simultane Radiochemotherapie
künftig wohl die Therapie der Wahl sein wird.
Gute Erfolge sind von einer alleinigen (definitiven) Strahlentherapie ebenfalls bei
Karzinomen des Kehlkopfes in den frühen Stadien (T1 und T2) und hier insbesondere bei Stimmlippenkarzinomen, zu erwarten. Bei sorgfältiger computeroptimierter Bestrahlungsplanung mit Dosen von 66–70 Gy kann in 80–90% der
Fälle eine langfristige Tumorheilung bei gleichzeitigem Erhalt der Stimme erwartet werden.
Auch für die fortgeschrittenen T3- und T4- Tumoren setzt ein Umdenken ein, da
aus den Ergebnissen einer EORTC-Studie erkennbar wird, dass die kombinierte
simultane Radiochemotherapie gleichwertige Therapieergebnisse im Hinblick
auf das Überleben ergab und in > 80% der Fälle der Kehlkopf erhalten werden
konnte. Hier sind aber noch ergänzende prospektiv randomisierte Studien
nötig, um den endgültigen Stellenwert der „organerhaltenden“ Strategie zu
definieren.
Lungentumoren
Die Behandlung von Lungenkarzinomen wird im Wesentlichen vom feingeweblichen Aufbau (Histologie) bestimmt.
Beim kleinzelligen Lungenkarzinom erfolgt primär eine zytostatische Chemotherapie, bei kompletter Rückbildung (Remission) des Tumors erfolgt danach die
konsolidierende Bestrahlung der Primärtumorregion und der häufig ebenfalls
befallenen Lymphknoten im Mediastinum (Raum zwischen den Lungenflügeln)
mit ca. 56 Gy Gesamtreferenzdosis.
Um die belastenden Folgen von Hirnmetastasen bei diesen Patienten zu verhindern, wird anschließend (ca. sechs Wochen nach Abschluss der Thoraxbestrahlung), bei anhaltender Remission des Primärtumors, eine prophylaktische Ganzhirnbestrahlung mit 30 Gy Gesamtreferenzdosis durchgeführt. Es ist bekannt,
dass bei einem beträchtlichen Prozentsatz der Patienten (bis zu 30%) eine mik-
35
roskopische, d.h. röntgendiagnostisch nicht nachweisbare Hirnmetastasierung
vorhanden ist.
Von den nicht-kleinzelligen Karzinomen sind am häufigsten die Plattenepithelkarzinome, es folgen großzellige Karzinome, Adenokarzinome und deren Kombinationen.
Sind lediglich umschriebene Strukturen der Lunge und die Lymphknoten an der
Lungenwurzel befallen, kann mit einer Entfernung eines Lungenlappens (Lobektomie) oder des gesamten Lungenflügels (Pneumonektomie) einschließlich der
Entfernung der Lymphknoten an der Lungenwurzel und im Mediastinum, je
nach Stadium, in 20–40% eine langfristige Heilung erreicht werden.
Das Auftreten von Rezidiven wird hierbei in den fortgeschrittenen Stadien pT3
und pT4 sowie dem Lymphknotenstatus pN2 und pN3 durch eine postoperative
Strahlenbehandlung mit 56–60 Gy im Bereich des Primärtumors und/oder der
befallenen Lymphknoten deutlich vermindert.
Ist der Tumor nicht resektabel oder der Patient aufgrund seines Allgemeinzustandes oder Begleiterkrankungen nicht operabel, wird eine definitive Strahlenbehandlung durchgeführt. Mit Strahlendosen von 66–70 Gy im Primärtumorbereich und 50–60 Gy in den befallenen Lymphknotenregionen können auch in
fortgeschrittenen Stadien noch 5–23% der Patienten mit einem dreijährigen
Überleben rechnen.
Auch hier scheint, nach den bisherigen klinischen Ergebnissen, die simultane Radiochemotherapie die Behandlungsergebnisse deutlich zu verbessern. Auch die
akzelerierte, hyperfraktionierte Strahlenbehandlung (zwei oder mehr Bestrahlungen pro Tag mit reduzierten Einzeldosen) scheint, gemessen an der Tumorkontrolle und am Überleben, von Vorteil zu sein. Sowohl Radiochemotherapie
als auch die hyperfraktionierte und akzelerierte Strahlenbehandlung sollten derzeit noch klinischen Studien vorbehalten sein.
Bei allen anderen Patienten in fortgeschrittenen Stadien führt die Strahlenbehandlung im Sinne einer palliativen Therapie zu einer wirksamen Bekämpfung
von Husten, Luftnot, Bluthusten, Thoraxschmerzen oder Schmerzen hinter dem
Brustbein und zu einer Beseitigung der häufig durch den Tumor ausgelösten
Lungenentzündung (poststenotische Pneumonie). Auch eine obere EinflussStauung (Umwachsung der oberen Hohlvene durch den Tumor und Lymphknotenmetastasen) kann mit der Strahlentherapie wirksam bekämpft werden
und verbessert die Lebensqualität des Patienten erheblich.
Sind die Symptome lediglich auf den Verschluss eines Bronchus mit fehlender
Belüftung von Teilen oder einer ganzen Lungenseite zurückzuführen, so gelingt
mit der Bestrahlung des Bronchus von innen mittels des zuvor beschriebenen
Afterloadingverfahrens (auch in Kombination mit dem Laser) in 80% der Fälle
eine Wiedereröffnung der verschlossenen Bronchialsegmente und damit meist
eine deutliche Verbesserung des Allgemeinbefindens der Patienten.
Die heute häufiger durchgeführte Einlage eines „Stents“ ist keine Kontraindikation zur perkutanen oder intraluminalen Strahlenbehandlung.
36
Brustkrebs (Mammakarzinom)
Etwa 70% der an Brustkrebs erkrankten Patientinnen können heutzutage erfreulicherweise brusterhaltend behandelt werden, d.h., es erfolgt zunächst eine
Entnahme des Tumorknotens mit Sicherheitsabstand oder eine Entfernung des
befallenen Brustdrüsenquadranten sowie eine Ausräumung der axillären Lymphknoten.
Beließe man es bei dieser chirurgischen Behandlung allein, so träte bei bis zu
40% der Patientinnen in der Region des Primärtumors oder an anderer Stelle in
der erkrankten Brust ein erneutes Tumorwachstum auf (Lokalrezidiv).
Diese lokalen Rezidive können durch eine der Operation folgenden Strahlenbehandlung der gesamten verbliebenen Brustdrüse mit 50 Gy wirksam verhindert
werden. Die lokale Rezidivrate sinkt auf 5–8%. Die Strahlenbehandlung kann also nach brusterhaltender Chirurgie des Mammakarzinoms als obligat angesehen werden. Ob die lokale Dosiserhöhung im Tumorbett auf 60 Gy („Boost-Bestrahlung“) nötig ist, wird derzeit in Studien (EORTC) überprüft.
Die Lebenserwartung (Prognose) dieser brusterhaltend behandelten Patientinnen ist, wie durch umfangreiche klinische Studien belegt werden konnte, dieselbe wie bei denjenigen Patientinnen, bei denen die gesamte Brust entfernt wurde
(Mastektomie).
Lediglich bei großen Tumoren (größer 4 cm), ausgedehntem Befall der axillären
Lymphknoten und bei multiplen Karzinomen in einer Brustdrüse (Multizentrizität) oder einem ungünstigen Verhältnis von Tumorgröße zu Brustgröße wird
heutzutage noch die Brustdrüse entfernt. In diesen Fällen kann eine postoperative Bestrahlung der Thoraxwand das Auftreten von lokalen Rezidiven im Narbenbereich weitestgehend verhindern.
Neuere Publikationen belegen, dass bei Patientinnen mit lokal fortgeschrittenen
Tumoren und einem Befall der axillären Lymphknoten, die eine Amputation der
Brust erhalten haben, eine postoperative Strahlenbehandlung der Brustwand
und der regionären Lymphabfluss-Stationen (im Bereich des Schlüsselbeins, der
Achselhöhle und des Brustbeins) die Heilungschancen signifikant verbessern
kann. Im Vergleich zu nicht bestrahlten Patientinnen war die Heilungsrate nach
zehn Jahren um 10% besser.
Tumoren des weiblichen Genitale
Der Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom) tritt meistens bei Frauen im jungen
und mittleren Lebensalter auf. Bei den frühen Ausbreitungsstadien kann eine
operative Entfernung der Gebärmutter und der Beckenlymphknoten (OP nach
Wertheim-Meigs) für die meisten Patientinnen eine Heilung erbringen.
Die fortgeschritteneren Tumorausbreitungsstadien mit Einwachsen des Tumors
in die Parametrien und Befall der Beckenlymphknoten sowie Ausbreitung auf die
Scheide können nicht langfristig erfolgreich allein operativ behandelt werden.
Hier kann mit einer kombinierten perkutanen Strahlentherapie und endokavitären Brachytherapie noch, je nach Ausbreitungsstadium, in 30–70% eine Heilung
oder dauerhafte Rückbildung des Tumors erreicht werden.
Auch nach radikaler Operation sollte in Risikosituationen (fortgeschrittenes Grading, knapp resezierte Scheidenmanschette, positive Lymphknoten) eine post-
37
operative Strahlenbehandlung des Beckens, eventuell auch der aortalen Lymphknoten, durchgeführt werden.
Neueste Studien belegen, dass bei fortgeschrittenen Zervixkarzinomen die simultane Radiochemotherapie (mit Cisplatin) die Heilungsraten deutlich verbessern kann. Die simultane Applikation ist der sequenziellen Radio- und zytostatischen Chemotherapie überlegen.
Auch in der neoadjuvanten Situation, bei grenzwertig operablen oder wahrscheinlich nicht sicher im Gesunden operablen Zervixkarzinomen ist die simultane Radiochemotherapie der alleinigen zytostatischen Chemotherapie vorzuziehen.
Das Karzinom der Schleimhaut des Gebärmutterkörpers (Endometriumkarzinom) tritt meistens bei der älteren Frau nach Eintritt der Wechseljahre auf. Nach
operativer Entfernung des Uterus wird, abhängig von der Eindringtiefe in die
Uterusmuskulatur und dem Tumorgrading, eine Bestrahlung des Beckens sowie
eine Brachytherapie des Scheidenstumpfes nach dem Afterloadingverfahren
durchgeführt. Hierdurch sind, stadienabhängig, langfristige Heilungsraten von
80–90% erreichbar.
Bei Inoperabilität, sei es aus lokalen, tumorausbreitungsbedingten oder allgemeinmedizinischen Gründen, ist die primäre Strahlenbehandlung (perkutane
Bestrahlung in Kombination mit Afterloading) des Endometriumkarzinoms eine
sinnvolle Option mit guter Erfolgsrate.
38
Tumoren des männlichen Genitale
Das Prostatakarzinom ist die häufigste Tumorerkrankung des älteren und alten
Mannes. Ist der Tumor auf das Organ beschränkt, kann bei jüngeren Männern
und entsprechend gutem Allgemeinzustand des Patienten eine operative Entfernung der Prostata einschließlich der Samenblasen und der Beckenlymphknoten
durchgeführt werden.
Bei älteren Männern kann aber mit gleich gutem Behandlungsergebnis eine alleinige Bestrahlung der Prostata mit Dosen im Bereich von ca. 70 Gy durchgeführt werden. Die gleichzeitige Bestrahlung der unmittelbar benachbarten
Lymphknoten des kleinen Beckens oder ausgedehnterer Anteile der Beckenlymphknoten ist in ihrem Wert nicht eindeutig in prospektiven Studien gesichert.
Sie erfolgt heute in vielen radioonkologischen Zentren nur noch unter besonderer und eher individueller Indikationsstellung (z.B. nachgewiesener oder vermuteter Befall der Lymphbahnen des Beckens, fragliche extrakapsuläre Tumorausbreitung, fortgeschritteneres Grading des Primärtumors).
In jüngster Zeit wird zunehmend mehr die neoadjuvante bzw. adjuvante antiandrogene Hormontherapie vor bzw. nach Durchführung der Strahlentherapie
empfohlen. Dieses gilt insbesondere für lokal fortgeschrittenere Tumoren, die
durch die vorangehende Hormonbehandlung zu einer teilweise beeindruckenden lokalen Rückbildung gebracht werden. Dieser deutlich verkleinerte Tumor
kann mit einer höheren Chance auf Erfolg und eventuell auch schonender bestrahlt werden.
Um eine höhere Strahlendosis in der befallenen Prostata ohne erhöhte Toxizität
applizieren zu können, wird in zunehmendem Maße die 3-D-konforme Strahlen-
behandlung allein und/oder die perkutane 3-D-Bestrahlung mit einer Brachytherapie mit radioaktiven Seeds oder als Afterloading kombiniert eingesetzt.
Nach jeder R1-, eventuell auch R2-Resektion (wenn also die Operation des Tumors nicht mit tumorfreien Resektionsrändern erfolgte) kann die postoperative
Strahlenbehandlung empfohlen werden. In diesem Punkt bestehen noch Meinungsunterschiede zu deutschen Urologen, in den USA wird in großen radioonkologischen Zentren entsprechend verfahren, die dort erreichten Behandlungsergebnisse rechtfertigen diese Indikation.
Spätestens bei einem Wiederanstieg des PSA ist die verzögerte postoperative
Strahlentherapie (60–66 Gy) dringend angezeigt. Ein jüngster Konsens der amerikanischen Strahlentherapeuten und Urologen empfiehlt die Strahlentherapie
schon bei PSA-Werten < 2 ng/ml. Wird die Strahlentherapie erst bei höheren
PSA-Werten begonnen, ist die Rate von „PSA-Rezidiven“ innerhalb von fünf
Jahren nach Abschluss der Strahlentherapie ungleich höher als bei frühzeitiger
Behandlung.
Ist eine Ausbreitung des Tumors über die Prostatakapsel hinaus sowie ein Befall
der Beckenlymphknoten sicher ausgeschlossen, so kann eine alleinige interstitielle Strahlenbehandlung des Prostatakarzinoms (mit 125Jod oder 192Iridium) mit
Heilungsraten von 80–90% durchgeführt werden, auch dazu liegen seriöse wissenschaftliche Arbeiten insbesondere aus den USA vor, die Patientenkollektive
sind jedoch noch vergleichsweise klein und die Nachbeobachtungszeiten kurz
im Vergleich zu den Ergebnissen der perkutanen Therapie. Diese Art der Strahlentherapie wird auch in Deutschland zunehmend populärer und von den Urologen empfohlen.
Das Harnblasenkarzinom tritt häufiger bei älteren Männern als bei Frauen auf. In
den fortgeschritteneren Stadien mit Einbruch in die glatte Muskulatur der Harnblase (muskelinvasives Karzinom) kann den Patienten als Alternative zur radikalen Zystektomie mit Neoblase die simultane Radiochemotherapie mit Cisplatin
mit gleich guten lokalen Tumorkontrollraten angeboten werden. Viele Patienten
erleiden Fernmetastasen, die durch die lokale Therapie, gleich welcher Radikalität, nicht beeinflusst werden und die Prognose entscheiden, eine aggressive zytostatische Chemotherapie ist den meist multimorbiden Patienten nur in ausgewählten Fällen zumutbar. Deshalb stellt eine lokal effiziente, organerhaltende
Therapie, wie die simultane Radiochemotherapie eine überlegenswerte Alternative für die älteren Menschen dar.
Das Seminom (Keimzelltumor) des Hodens tritt bei jungen Männern auf. Nach
der operativen Entfernung des befallenen Hodens muss, selbst in frühen Stadien, mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 30% okkulter, d.h. klinisch nicht erfassbare Mikrometastasen in den aortalen Lymphknoten ausgegangen werden.
Hier kann eine Strahlenbehandlung dieser Region mit der äußerst niedrigen
Strahlendosis von 26 Gy zu einer langfristigen Heilung in 95–100% der Fälle
führen.
Aufgrund der hohen Sensibilität von seminomatösen Hodentumoren sowohl gegenüber Strahlentherapie als auch zytostatischen Medikamenten ist hier, im Gegensatz zu den Karzinomen anderer Lokalisationen, selbst bei Patienten in ausgedehnten Stadien oder nach Rezidiven noch mit langfristigen Heilungen zu rechnen.
39
Karzinome des Verdauungstraktes
Oesophaguskarzinom
Das Speiseröhrenkarzinom (Oesophaguskarzinom) entsteht meistens in Folge
von Nikotin- und Alkoholabusus. Ist der Patient aufgrund seines Allgemeinzustandes nicht operabel oder aufgrund der Tumorausdehnung voraussichtlich
nicht vollständig im Gesunden resektabel (R0-resektabel), wird eine definitive
kombinierte Radiochemotherapie durchgeführt.
Während der sieben Wochen dauernden Therapie erhält der Tumor eine Dosis
von ca. 63 Gy, in der ersten und fünften Behandlungswoche werden täglich die
bei Oesophaguskarzinomen nachweislich wirksamen zytostatisch wirksamen
Medikamente Cisplatin und 5-FU als Infusionen verabreicht.
Durch die additive Wirkung beider Verfahren, der Strahlenbehandlung und simultanen zytostatischen Chemotherapie, kann eine höhere Tumorkontrollrate
erreicht werden.
Ein nach der perkutanen Strahlentherapie verbleibender Resttumor kann durch
eine endoluminale Brachytherapie (Afterloading) der Speiseröhre zur weiteren
Rückbildung gebracht werden.
Erste Ergebnisse klinischer Studien scheinen zu belegen, dass bei gleichwertig
operablen Oesophaguskarzinomen die präoperative simultane Radiochemotherapie die Resektabilität in den meisten Fällen möglich macht und damit die
Prognose verbessert werden kann; hier sind Langzeitergebnisse noch abzuwarten.
Auch bei den resektablen Oesphaguskarzinomen nimmt die präoperative simultane Radiochemotherapie einen immer höheren Stellenwert ein, insbesondere
bei den bifurkal/suprabifurkal gelegenen Tumoren, eventuell aber auch bei den
distal lokalisierten Tumoren. Erste präliminäre Ergebnisse scheinen zu belegen,
dass das Adenokarzinom des Oesophagus mit der simultanen Radiochemotherapie in der neoadjuvanten Situation mit gleichem Erfolg wie das Plattenepithelkarzinom behandelt werden kann, es sollte jedoch derzeit nur innerhalb
kontrollierter Studien so behandelt werden.
Nach mikroskopisch unvollständiger (R1)-Resektion suprabifurkaler Plattenepithelkarzinome sollte, bei entsprechendem Allgemeinzustand des Patienten, eine
postoperative Strahlenbehandlung (56–60 Gy Gesamtreferenzdosis) zur Verbesserung der lokoregionären Tumorkontrolle durchgeführt werden.
Die postoperative Strahlentherapie bei anderer Lokalisation des Oesophaguskarzinom, auch nach mikroskopisch vollständiger (R0)-Resektion (Gesamtreferenzdosis in ehemaligen Tumorbereich 54–60 Gy) vermindert die lokoregionären Rezidive, ohne das Gesamtüberleben zu verbessern.
Zur postoperativen adjuvanten Radiochemotherapie liegen keine Daten vor, die
ihren Einsatz außerhalb von Studien rechtfertigen.
Das endooesophageale Afterloading kann auch bei Rezidiven (nach vorheriger
Bestrahlung oder Operation) als alleinige Methode im Sinne einer palliativen
Maßnahme eingesetzt werden, bei fast 80% der Patienten ist eine zufrieden
stellende Wiederherstellung der Schluckfunktion für einige Monate, manchmal
auch länger, zu erreichen.
40
Rektumkarzinom
Die Primärtherapie des Rektumkarzinoms (Mastdarmkarzinom) erfolgt chirurgisch. In Abhängigkeit von Tumorausdehnung und Lymphknotenbefall (Patienten der Stadien II und III, pT3, pT4 und/oder pN1–3, M0) sollte eine postoperative kombinierte Radiochemotherapie durchgeführt werden. Die Strahlendosis
beträgt hierbei 50–56 Gy bei 1,8 Gy täglicher Einzelfraktion. Simultan wird in
den meisten Fällen 5-Fluorouracil (5-FU) (650–1000 mg/m2) in der ersten und
fünften Behandlungswoche als Dauerinfusion verabreicht (seltener als
Bolusinjektion), einige Zentren nehmen als weiteres Medikament Leukovorin
oder Levamisol. Die Patienten sollten in Studien eingebracht werden. Des Weiteren ist auf den aktualisierten Konsensus von CAO, AIO und ARO aus dem Jahre
1999 zu verweisen.
Bei T4-Tumoren ist die präoperative Radio- oder Radiochemotherapie dann zu
empfehlen, wenn die R0-Resektion primär nicht erreichbar erscheint.
Neuerdings wird auch überlegt, bei frühen T-Stadien eine präoperative Radiochemotherapie mit 5-FU durchzuführen. Publizierte Ergebnisse schwedischer
Studien zur präoperativen alleinigen Strahlenbehandlung (allerdings mit hohen
Einzeldosen) erbrachten einen Zuwachs von 10% Überlebensrate durch Anstieg
der lokalen Tumorkontrollraten. Bei Inoperabilität kann eine primäre Radio- oder
Radiochemotherapie erwogen werden.
Die intraoperative Strahlentherapie wird derzeit an einigen Zentren im Rahmen
von Studien überprüft.
Karzinome des Analkanals
Im Gegensatz zu den Rektumkarzinomen können Karzinome des Analkanals
ohne eine Operation mit einer alleinigen kombinierten Radiochemotherapie organerhaltend geheilt werden.
Als wirksam hat sich die Kombination von 5-FU und Mitomycin C mit simultaner
Strahlentherapie herausgestellt. Es wird insgesamt eine Strahlendosis von 56–63
Gy gegeben. Damit ist in 80% der Erhalt des Schließapparates langfristig möglich, die lokale Rezidivrate liegt bei 4–7% und stadienabhängige FünfjahresÜberlebensraten von 80–85% sind möglich.
Weichteilsarkome
Die hoch dosierte postoperative Strahlenbehandlung (Gesamtreferenzdosis in
Shrinking-field-Technik 66–70 Gy) hat, außer bei T1-, G1- und oberflächlich gelegenen Tumoren, wesentliche Bedeutung bei allen großen, tief gelegenen
Weichteilsarkomen, die nur mit marginaler Sicherheitszone entfernt werden
können und ein fortgeschrittenes Grading haben. In diesen Fällen ist bei eingeschränkter Radikalität der Operation in Kombination mit der Strahlentherapie
die Erhaltung der Extremität möglich. Es gibt viele erfahrene Zentren, die die
Meinung vertreten, dass bei extremitätenerhaltender Chirurgie die postoperative Strahlenbehandlung obligat ist.
Bei nicht resezierbaren Weichteilsarkomen kommt der präoperativen Strahlenbehandlung eine große Bedeutung zu, dies belegen amerikanische Studien.
Der Stellenwert der intraoperativen Strahlentherapie ist ungeklärt.
41
Erkrankungen des lymphatischen Systems
Neoplasien des lymphatischen Systems kommen in Form des Morbus Hodgkin
und der Non-Hodgkin-Lymphome vor.
An Morbus Hodgkin erkranken überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene, seltener ältere Erwachsene. Ausgehend meist von einer Lymphknotenschwellung am Hals und im Mediastinum kann sich die Erkrankung über alle
Lymphknotenstationen des Körpers ausbreiten, die kraniokaudale Ausbreitung
ist die häufigste Variante. Solange lediglich wenige Lymphknotenstationen oberoder unterhalb des Zwerchfells befallen sind (Stadium I–II) kann eine alleinige definitive Strahlentherapie in 80% zu einer dauerhaften Ausheilung der Erkrankung
führen. In einer aufwändigen Bestrahlungstechnik (sog. „Großfeldtechnik“) werden hierbei alle Lymphknotenregionen des Körperstamms mit 30–36 Gy
bestrahlt, im Bereich der befallenen Lymphknoten werden 40–44 Gy appliziert.
Da in den Frühstadien nach alleiniger Radiotherapie Rezidive überwiegend außerhalb der bestrahlten Lymphknotenstationen auftreten, wird zur Zeit in Studien überprüft, ob durch den frühzeitigen Einsatz einer zytostatischen Chemotherapie diese möglicherweise initial schon vorhandenen mikroskopischen Tumormanifestationen vernichtet werden können und eine Verkleinerung der
Bestrahlungsfelder auf die primär befallenen Regionen, respektive die benachbarten Regionen in ausgedehnteren Fällen, sowie eine Absenkung der Strahlendosis möglich ist.
Die Non-Hodgkin-Lymphome stellen eine heterogene Gruppe von Erkrankungen dar. Die niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphome (lymphoplasmozytoides
Immunozytom, zentroblastisch-zentrozytisches Lymphom etc.) können – wie
beim Morbus Hodgkin – bei Befall lediglich der Lymphknoten ober- oder unterhalb des Zwerchfells (Stadium I–II) ebenfalls mit einer alleinigen Strahlentherapie
(in „Großfeldtechnik“) geheilt werden. Hier sind – wie beim Morbus Hodgkin –
30 Gy in den nicht befallenen und 40–46 Gy in den befallenen Lymphknotenregionen erforderlich.
Die hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphome können bei Erwachsenen lediglich
in ihren absoluten Frühstadien (Stadium I mit Befall lediglich einer Lymphknotenregion) durch die alleinige Strahlentherapie geheilt werden.
Bei Kindern wird, gemäß den Kinderonkologiestudien, auch in den niedrigen
Stadien mit einer zytostatischen Chemotherapie begonnen.
In allen höheren Stadien wird, auch bei Erwachsenen, wegen der hohen Rate an
klinisch okkulter Dissemination schon bei Diagnosestellung, eine zytostatische
Chemotherapie durchgeführt, an die eine Bestrahlung der initial ausgedehnt befallenen Lymphknotenregionen mit 36–46 Gy angeschlossen werden sollte.
A 3.5 Palliative Strahlentherapie
42
Die palliative Strahlentherapie nimmt in der täglichen Praxis des Radioonkologen
einen breiten Raum ein und hat zur Beseitigung umschriebener, symptombezogener Beschwerden im Rahmen aller onkologischen Therapieoptionen einen hohen Stellenwert.
Darüber hinaus ist die Strahlentherapie ein vergleichsweise kostengünstiges
Therapieverfahren.
Ziel der Strahlenbehandlung eines inkurablen Tumorpatienten muss es sein, dessen Lebensqualität für die ihm noch verbleibende Zeit zu verbessern oder zumindest zu erhalten. Eine dabei erzielbare mögliche Lebensverlängerung ist nicht
primäres Ziel der palliativen Strahlenbehandlung.
Die palliative Strahlentherapie muss immer in das Gesamttherapiekonzept eingebunden sein, kann aber sehr häufig aufgrund ihrer lokalen Effektivität über
lange Zeit alternativ zu systemischen medikamentösen Konzepten eingesetzt
werden.
So können Skelettmetastasen von Mammakarzinomen, Lungenkarzinomen,
malignen Melanomen, Nierenzellkarzinomen und Prostatakarzinomen zur
Schmerzbekämpfung (Analgesie) und zur Stabilisierung (Reossifikation)
wirkungsvoll mit Dosen von 30–44 Gy bestrahlt werden. In ca. 70–80% der
Fälle lässt sich ein Ansprechen objektivieren und wird eine Besserung der
Symptomatik vom Patienten selbst angegeben, die Schmerzen bilden sich
vollständig oder deutlich zurück. Eine Stabilisierung frakturgefährdeter Knochen
lässt sich, je nach Tumorart und verbleibender Überlebenszeit, in ca. 40–65%
der Patienten objektivieren. Ähnliches gilt für die ossären Manifestationen
des Plasmozytoms (Neoplasien der Plasmazellen, meist jener des Knochenmarks).
Insgesamt kann auf diese Weise bei sehr vielen Patienten für nicht unerhebliche
Zeiträume die häufig mit unangenehmen Nebenwirkungen behaftete Medikamenteneinnahme reduziert oder erspart werden.
Hirnmetastasen treten häufig bei Patienten mit Mammakarzinomen oder Lungenkarzinomen auf. Eine Ganzhirnbestrahlung mit 30–40 Gy bringt häufig eine
rasche Linderung der durch das begleitende Ödem und die Raumforderung
selbst verursachten Kopfschmerzen und neurologischen Ausfälle.
Bei singulären Hirnmetastasen (bis zu 3,5 cm Durchmesser) oder bis zu drei Metastasen (größte Metastase mit nicht mehr als 2,5 cm Durchmesser), insbesondere bei den Hirnmetastasen primär weniger strahlensensibler Tumoren (maligne Melanome, Nierenzellkarzinome) ist die stereotaktische einzeitige Konvergenzbestrahlung (Radiochirurgie) in den letzten Jahren zu einer wichtigen neuen
radioonkologischen Therapiemaßnahme in einigen großen Zentren geworden,
die künftig auch als Alternative zum offenen neurochirurgischen Eingriff angesehen wird. Klinische Studien belegen das äquivalente Überleben nach beiden
Therapien.
Bei einer akut eingetretenen Querschnittslähmung aufgrund einer Rückenmarkskompression durch einen Tumor oder eine Tumorabsiedlung im Spinalkanal oder paravertebral kann, wenn ein primär neurochirurgisches Vorgehen
nicht möglich oder sinnvoll ist, eine frühzeitig (in den ersten sechs bis 12 Stunden nach Auftreten der ersten neurologischen Symptome) durchgeführte Strahlentherapie des betroffenen Wirbelsäulenabschnittes häufig die Symptomatik
rasch beseitigen und eine bleibende Querschnittslähmung verhindern. Auf jeden Fall sollte nach operativer Stabilisation eine postoperative Strahlenbehandlung durchgeführt werden, da eine radikale Sanierung chirurgisch häufig nicht
43
möglich ist und durch die Strahlenbehandlung das symptomfreie Intervall eindeutig verlängert werden kann.
Literatur
1 Scherer E, Sach H (Hrsg) (1996) Strahlentherapie – Radiologische Onkologie,
4. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg
2 Perez CA, Brady LW (eds) (1997) Principles and practice of radiation onkology, 3rd ed. Lippincott – Raven, Philadelphia New York
3 Million RR, Cassis NJ (eds) (1994) Management of head and neck cancer,
2nd ed. Lippincott, Philadelphia
4 Harris JJ, Lippmann ME, Morrow M, Hellman S (eds) (1996) Diseases of the
breast. Lippincott – Raven, Philadelphia New York
5 Pizzo PA, Poplack DG (eds) (1993) Principles and practice of pediatric oncology. Lippincott, Philadelphia
Verfahren der Konsensbildung
Verfasser
Prof. Dr. med. R.-P. Müller; Dr. med. M. Kocher; Prof. Dr. med. M. Molls
Im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und mit Beratung der Arbeitsgemeinschaften der Deutschen Krebsgesellschaft
Die Leitlinie wurde dem zuständigen Leitlinienkoordinator vorgelegt, um Änderungen oder Ergänzungen an der Leitlinie vorzunehmen. Anschließend wurde
die Leitlinie den folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
44
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestelltenkrankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordinator
Prof. Dr. R.-P. Müller
Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie
der Universität zu Köln
Joseph-Stelzmann-Straße 9
D-50924 Köln
Erste Fassung: Februar 1999
Zweite Fassung: September 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
45
A4
Prinzipien der onkologischen
Rehabilitation
Federführung: Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation, Nachsorge und Sozialmedizin
(ARNS)
A 4.1 Einleitung
Die Rehabilitationsmedizin ist – wie jeder andere Bereich der Medizin – vom Gesetzgeber dazu verpflichtet, erbrachte Leistungen überprüfen zu lassen mit dem
Ziel einer Sicherung und Verbesserung der Qualität. Mit § 137 SGB V werden unter anderem auch Rehabilitationseinrichtungen dazu aufgefordert, sich an
„Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen. Diese Maßnahmen sind auf
die Qualität der Behandlung, der Versorgungsabläufe und der Behandlungsergebnisse zu erstrecken. Sie sind so zu gestalten, dass vergleichende Prüfungen
ermöglicht werden“. Modalitäten zur Durchführung werden vom Gesetzgeber
nicht genannt, sodass es den Beteiligten überlassen bleibt, selbst Grundlagen
und Regeln zur Umsetzung des gesetzlichen Auftrages zu schaffen. Leitlinien
sollen Empfehlungen für angemessene Maßnahmen und für Orientierungshilfen
geben. Nach Einführung des Qualitätssicherungsprogramms durch die Träger
der gesetzlichen Rentenversicherung (1994) wird auf dem Gebiet der Rehabilitation dem gesetzlichen Auftrag mit der Absicht einer schrittweisen qualitativen
Weiterentwicklung Rechnung getragen.
Nach der Deutschen Industrienorm (DIN) wird Qualität definiert als „die Gesamtheit von Eigenschaften und Merkmalen eines Produktes oder Tätigkeit, die sich
auf deren Eignung zur Erfüllung gegebener Erfordernisse beziehen“. In der Rehabilitationsmedizin umfassen diese Erfordernisse nicht allein medizinische Leistungen, sondern schließen bei Bedarf psychosoziale oder berufsbezogene Interventionen ein. Die Beurteilung erfolgt auf der Basis gesicherten oder aber – nicht
selten – lediglich konsensorientierten medizinischen Wissens, letzteres eine
nicht geringe methodische Einschränkung bei der Umsetzung einer Qualitätssicherung. Ein praxisbezogenes Problem bei der Formulierung von Maßstäben
bzw. Leitlinien erscheint in der Individualität des Patienten bezüglich Krankheitsverlauf, Konstitution, Krankheitsverarbeitung, sozialem oder beruflichem Umfeld u.v.a. Besonders hierdurch wird die Erstellung eines endgültigen und einheitlichen Qualitätsanforderungsprofils zusätzlich erschwert.
Betont sei an dieser Stelle auch, dass Qualität und Qualitätsmanagement als Teil
eines umfassenden Prozesses gesehen werden müssen unter Einbeziehung aller
an der Leistungserbringung beteiligten Personen und Strukturen und nicht allein
als Inhalt einer Endkontrolle.
46
A 4.2 Definition und gesetzliche Rahmenbedingungen
Rehabilitation ist die Gesamtheit der Maßnahmen zur Wiedereingliederung Behinderter in die Umwelt, Gesellschaft und in den Arbeitsprozess. Eine Behinderung bezieht sich definitionsgemäß nicht allein auf eine Funktionsstörung (disability) als Folge eines körperlichen Schadens (impairment), sondern sie erstreckt
sich auch auf soziale Beeinträchtigungen (handicap), wie persönliche Folgen
(u.a. Unbeweglichkeit, wirtschaftliche und berufliche Beeinträchtigungen, Freizeitaktivitäten), familiäre (u.a. Pflegebedarf) und gesellschaftliche Folgen
(gestörte soziale Eingliederung, Fürsorgeanspruch).
Die Rehabilitation ist vom Gesetzgeber als sozialer Anspruch definiert worden
(§ 10 SGB I). Leistungen zur Rehabilitation sind dabei stets auf die konkrete Bedarfssituation auszurichten. Die nach diesem Grundsatz gebotene differenzierte
Betrachtungsweise entspricht dem persönlich-individuellen Charakter der rehabilitativen Maßnahmen, gewährleistet eine erforderliche Anpassung and die
rehabiltitativen Möglichkeiten und verhindert andererseits auch einen Missbrauch sowie ein unwirtschaftliches Vorgehen. Konkretisiert werden die gesetzlichen Vorgaben in weiteren Paragraphen der SGB I, V, VI sowie dem RehaAnglG.
A 4.3 Aufgaben und Abgrenzung
Aufgabe der onkologischen Rehabilitation ist eine weitestgehende Reduktion
von körperlichen, psychischen und sozialen Beeinträchtigungen, die als Folge
des Geschwulstleidens selbst bzw. dessen Therapie auftreten. Im Mittelpunkt
steht hierbei eine Stützung oder Verbesserung vom Kompensationsmöglichkeiten um funktionelle Einschränkungen, Aktivitätsminderungen des täglichen Lebens, Beeinträchtigungen im Berufsleben oder in der gesellschaftlichen Integration zu verringern evtl. sogar zu beseitigen. Der Betroffene soll in die Lage versetzt werden, ein möglichst beschwerdefreies Leben zu führen, auch dann,
wenn aufgrund des Geschwulstleidens oder der Vorbehandlung die körperliche
Unversehrtheit dauerhaft eingeschränkt bleiben wird. Die aktive Beteiligung des
Rehabilitanden an der Krankheitsbewältigung durch Anleitung und Schulung
gilt hierbei als zentrales Anliegen. Eine Verminderung funktioneller Ausfälle ohne Verbesserung der Lebensqualität oder ohne soziale Integration ist nicht als
voller Rehabilitationserfolg anzusehen.
Rehabilitationsmedizin beabsichtigt somit nicht allein die Beseitigung einer
Krankheit oder Funktionsstörung, sondern sie zielt auf die Akzeptanz der Behinderung, die Mobilisierung der verbliebenen Leistungsfähigkeit und die Befähigung zur sozialen Integration, wobei der Betroffene zur aktiven Mitarbeit und Eigenverantwortung angeleitet wird. Trotz dieses umfangreichen Aufgabengebietes erscheint eine strikte Trennung zur kurativen Medizin nicht sinnvoll, da
medizinisch-wissenschaftliche Grundlagen, Methoden und Verfahren identisch
sind und in vielfacher Hinsicht von fließenden Übergängen auszugehen ist. Onkologische Rehabilitation ist immer auch mit der Behandlung des Geschwulstlei-
47
dens verzahnt. Somit erscheint der kurativmedizinische Aspekt auch als Bestandteil eines umfassenden rehabilitativen Gesamtkonzepts.
A 4.4 Formen der Rehabilitation
Leistungen in der onkologischen Rehabilitation sind bislang zum großen Teil stationär in speziellen Rehabilitationseinrichtungen erbracht worden. Wegen des
Umfanges der zu bewältigenden Aufgaben nach abgeschlossener Primärtherapie erscheint eine Konzentration der rehabilitativen Maßnahmen in Form eines
stationären Heilverfahrens am erfolgreichsten. Die örtlich und zeitlich enge Zusammenarbeit aller an der Rehabilitation beteiligten Berufsgruppen (Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Berufsberater, Diätassistenten, Physiotherapeuten, Stomatherapeuten usw.) verspricht ein umfassendes, aber auch individuell angepasstes Vorgehen mit schneller Adaption der Maßnahmen an evtl. abweichende
Zwischenergebnisse. Die stationäre Rehabilitation versteht sich hierbei als Bindeglied zwischen Primärbehandlung des Geschwulstleidens im Krankenhaus und
der nachfolgenden Betreuung durch den Hausarzt.
Eine ambulante oder teilstationäre Rehabilitation kann stationäre Leistungen ergänzen oder auch ersetzen. Sie kann eingesetzt werden, wenn sie in sachlicher
und zeitlicher Beziehung zur Primärtherapie oder stationären Rehabilitation
steht und in gleicher Weise der Sicherung des Rehabilitationserfolges dient. Zielorientierung und interdisziplinäre Ansätze müssen hierbei gewährleistet sein. Ihr
Vorteil ist die flexiblere wohnortnahe Anpassung an die Erfordernisse des Einzelfalles. Die hierbei zu erbringenden Leistungen sind nicht Teil der hausärztlichen
Krankenbehandlung und sollen auch nicht mit dieser konkurrieren. Eine Abstimmung ist grundsätzlich notwendig.
A 4.5 Strukturelle Voraussetzungen
Die Struktur einer Rehabilitationseinrichtung unterliegt erheblichen Variablen,
die abhängig sind von der Form der zu erbringenden Leistung (stationär-ambulant), den Kostenträgern (Rentenversicherungsträger, Krankenkassen), der Indikationsstellung, den Leistungserbringern und nicht zuletzt den Bedürfnissen der
Patienten.
Hieraus ist abzuleiten, dass im Folgenden nur allgemeine Anhaltspunkte angeführt werden können, die in den speziellen indikationsbezogenen Darstellungen
konkretisiert werden müssen.
Ausreichendes und geschultes Personal ist eine Selbstverständlichkeit, wobei
sich der Personalschlüssel an den Vorgaben des jeweiligen Trägers orientiert. Die
Leitung sollte in der Hand von Fachärzten liegen mit Erfahrung bzw. Teilgebietanerkennung in der Onkologie sowie einer Zusatzausbildung in Sozialmedizin
und/oder Rehabilitationswesen. Zusätzliche fachliche Qualifikationen sind abhängig von der Indikationsstellung der Einrichtung.
48
Im Einklang mit der psychosozialen Zielorientierung ist die Beteiligung von Psychologen und Sozialarbeitern bzw. -pädagogen bei der Durchführung des Therapiekonzeptes unerlässlich. Ein ausreichender Stellenplan enthält ferner geschultes Personal für Pflege, Physiotherapie, Diätberatung, Stomatherapie, Logopädie usw. in einem bedarfsgerechten Personalschlüssel. Das therapeutische
Konzept erzwingt eine enge Kooperation und Integration aller an der Rehabilitation beteiligten Berufsgruppen, wobei der Arzt eine koordinierende Funktion
besitzt. Die permanente Weiterbildung und Schulung aller ist selbstverständlich.
Die räumliche Struktur wird bestimmt von Indikationsspektrum und dem erforderlichen Therapieangebot. Neben dem üblichen Standard einer Rehabilitationsklinik sind Funktionsräume für einzeltherapeutische Programme erforderlich. Die
Gruppenarbeit im Rahmen krankheitsbezogener Trainingsprogramme, der Informationsveranstaltungen und des Gesundheitstrainings benötigt ein zusätzliches
Raumangebot, das mit den erforderlichen Informationsträgern ausgestattet ist.
A 4.6 Zugang zur Rehabilitation
Für den Versicherten sind die Voraussetzungen zur Erlangung von Leistungen
der Rehabilitation festgelegt im §§ 9 – 12 SGB VI und § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI
(Rentenversicherung) sowie § 11 SGB V (Krankenversicherung). Die Rehabilitationsbedürftigkeit und -fähigkeit im Einzelfall muss vom primär behandelnden
Arzt festgestellt werden, die Zuweisungssteuerung wird von den Leistungsträgern derzeit noch in unterschiedlicher Weise vorgenommen. Eine enge Kooperation der Krankenkassen mit dem medizinischen Dienst (MDK) ist sinnvoll und
notwendig.
Gesetzlich gefordert wird eine positive Rehabilitationsprognose, bei der ein Rehabilitationserfolg von den durchzuführenden Maßnahmen möglich erscheint.
Vom Rehabilitanden wird erwartet, dass er in der Lage ist, das Angebot aktiver
und passiver therapeutischer Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung über die Form der zu erbringenden Leistung (stationär, teilstationär, ambulant) ist abhängig von
den zu erwartenden Komplikationen,
der Mobilität,
der psychophysischen Belastbarkeit,
der Motivation,
der Compliance,
dem sozialen Umfeld,
den beruflichen Perspektiven.
A 4.7 Diagnostik
Die bei der Primär- bzw. Vorbehandlung erhobenen Untersuchungsbefunde müssen zu Beginn des Rehabilitationsverfahrens ausführlich dokumentiert vorliegen
und umfassen Angaben entsprechend der Tumorbasisdokumentation (5) zu:
49
Primärsitz der Geschwulst,
Befund der histomorphologischen Untersuchung,
Grad der anatomischen Tumorausbreitung (TNM-System),
Operationsverfahren,
Form und Ergebnis der zytostatischen Therapie,
Form und Ergebnis der Strahlentherapie,
Angaben über zusätzliche therapeutische Maßnahmen.
Umfang und Schweregrad der funktionellen Einschränkungen sowie der sozialen Beeinträchtigungen sollten im Vorfeld der Rehabilitationsmaßnahme bereits
so weit abgeklärt sein, wie es zur Feststellung der Rehabilitationsbedürftigkeit
und -fähigkeit und somit zur Entscheidung über den Zugang zur Rehabilitation
notwendig ist. Hierzu gehören ggf. auch Angaben über
soziale Belastungsfaktoren,
berufliche Situation,
Probleme der beruflichen Reintegration,
psychische Situation, Krankheitsverarbeitung.
Die Diagnostik im Rehabilitationsverfahren sollte sich auf die Erkennung von
Funktionsdefiziten, relevanten psychischen Belastungen und sozialen Beeinträchtigungen beschränken. Sie zielt auf die
Feststellung des Funktionsdefizits,
Definition des Rehabilitationszieles (Rehabilitationsdiagnose),
Aufstellung eines Therapieplans,
Risikoverminderung einer Therapie,
Verlaufskontrolle,
sozialmedizinische Beurteilung.
A 4.8 Rehabilitationsziel – Therapieplanung
Auf der Grundlage der anamnestischen und diagnostischen Befunde wird der
Rehabilitationsbedarf dokumentiert und das Rehabilitationsziel schriftlich fixiert.
Sinnvoll hierbei ist – wenn möglich – die Berücksichtigung der Erwartungen des
Rehabilitanden.
Der Behandlungsplan ist im Verlauf des Rehabilitationsverfahrens entsprechend
den Ergebnissen der Verlaufsbeobachtung an die aktuelle Situation zu adaptieren. Die Koordination aller therapeutischen Maßnahmen ist Aufgabe des Arztes,
er ist in der Regel auch der zentrale Ansprechpartner des Patienten, sodass die
Qualität der Beziehung zwischen Arzt und Patient für den Erfolg einer rehabilitativen Maßnahme von entscheidender Bedeutung ist.
50
A 4.9 Therapie
Medizinische Basistherapie
Die medizinische Basistherapie umfasst alle erforderlichen ärztliche und pflegerische Behandlungsmaßnahmen. In Abstimmung mit den vorbehandelnden Ärzten werden auch spezifische Maßnahmen (Chemotherapie, hormonelle Therapie, Bisphosphonate u.a.) fortgesetzt.
Allgemeine therapeutische Maßnahmen
Nach längerer Bettlägerigkeit, größeren Operationen, Zytostatika- oder Strahlentherapie, aber auch bei sonstigen krankheits- oder therapiebedingten Schwächezuständen und Einschränkungen sind dosierte, an den Leistungszustand des
Rehabilitanden angebrachte aktivierende Therapieformen notwendig wie Physiotherapie, gestuftes Ergometertraining, isokinetischer Muskelaufbau, Schwimmen usw.
Positive Auswirkungen sind hierbei nicht nur auf den körperlichen Zustand, sondern auch auf das psychische Befinden zu erwarten, ferner soll hiermit eine
mögliche Assoziation von Krankheit mit Schonung und Inaktivität verringert
werden.
Spezielle therapeutische Maßnahmen
Spezielle therapeutische Maßnahmen sind gezielt auf definierte Krankheitsbilder, Funktionseinschränkungen, Behinderungen und Beschwerden ausgerichtet
und individuell auf den Einzelfall abgestimmt. Hierunter ist zu verstehen:
physikalische Therapie (z.B. manuelle Lymphdrainage, physikalische Schmerztherapie, Inhalationen, gezielte Physiotherapie, Massage),
Training von Restfunktionen (z.B. Beckenbodentraining bei Inkontinenz, Lungenfunktionstraining nach Pneumonektomie, Gangschulung usw.),
Erlernen und Einüben von Kompensationsmöglichkeiten bleibender Funktionseinschränkungen (z.B. Stomaversorgung, Oesophagussprache nach
Laryngektomie usw.),
berufsbezogene Trainingsmaßnahmen.
An dieser Stelle kann nur eine globale Beschreibung spezieller therapeutischer
Maßnahmen erfolgen, eine detailgerechte Darstellung sollte speziellen indikationsbezogenen Ausführungen vorbehalten sein.
Ernährung
Die Ernährung nimmt in der onkologischen Rehabilitation einen recht unterschiedlichen Stellenwert ein. Bei einzelnen Geschwulstkrankheiten, z.B. im Magen-Darm-Bereich oder bei fortgeschrittenen Stadien, steht sie jedoch im Mittelpunkt des therapeutischen Vorgehens. Festzustellen gilt, dass keine Ernährungsmaßnahme den Verlauf der Geschwulstkrankheit direkt beeinflussen kann (so
genannte Krebsdiäten o.ä.). Auch in der onkologischen Rehabilitation erfolgt die
Ernährung durch wissenschaftlich begründete Kostformen. Berücksichtigt werden muss hierbei eine krankheitsbedingte Minder- bzw. Mangelernährung, her-
51
vorgerufen durch tumor- und therapiebedingte Maldigestion, Anorexie oder
progressiven Gewichtsverlust wegen der Steigerung des Energiebedarfs. Eine
gezielte Ernährungstherapie bei fortgeschrittenem Geschwulstleiden kann zumindest für eine begrenzte Zeit die Verschlechterung des Ernährungszustandes
verhindern und somit zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Therapiebedingte Funktionsdefizite des Verdauungstraktes (z.B. bei einem Postgastrektomiesyndrom) oder therapiebedingte Störungen (bei Strahlen- oder
zytostatischer Therapie) sind durch adaptierte Kostformen und eine problembezogene Führung weitgehend zu beherrschen und im Einzelfall die einzig notwendige Maßnahme des Rehabilitationsprozesses.
Der enteralen Ernährung ist grundsätzlich gegenüber der parenteralen Ernährung der Vorzug zu geben. Eine parenterale Ernährung ist nur in Einzelfällen angezeigt, wenn aufgrund operativ- oder tumorbedingter Veränderungen des Magen- und Darmtraktes die Möglichkeit einer enteralen Ernährung einschließlich
einer Sondenernährung nicht gegeben ist.
Schulung und Information
Strukturierte, auf die speziellen Erfordernisse abgestimmte Schulungsprogramme haben das Ziel, den Betroffenen an der Bewältigung seiner Krankheitsfolgen
zu beteiligen, seine Eigenverantwortung zu stärken und eine aktive Auseinandersetzung mit der Krankheit (Coping) zu ermöglichen. Informative Vorträge
über die Krankheit (Therapie, Nachsorge, Prophylaxe, Diätetik usw.) mit anschließender Frage- und Diskussionsmöglichkeit bilden hierbei die Grundlage für
das Verstehen des Krankheitsprozesses und seiner Folgen. Die Arbeit in kleinen
Gruppen ist notwendig, um gezielt Inhalte zu erarbeiten und die erworbenen
Kenntnisse zu vertiefen, z.B.:
Hilfsmittel bei Uro-, Ileo-, Kolostoma,
Inkontinenzbewältigung,
Ernährung nach ausgedehnten Operationen am Magen-Darm-Trakt,
Versorgung mit Brustprothesen,
Hilfsmittel bei Tracheostoma,
Verhaltensschulung bei Lymphödem,
Sexualberatung.
52
Gesprächskreise, an deren Gestaltung die Patienten aktiv beteiligt sind, leisten
nicht nur durch Vermittlung von Informationen, sondern auch mit der Einleitung
hilfreicher emotionaler Prozesse einen wesentlichen Beitrag zur Krankheitsbewältigung; wenn irgendmöglich, sollten die Angehörigen mit einbezogen werden. Durch die Übernahme einer aktiven Rolle der Mitverantwortung am Heilungsverlauf lernt der Betroffene leichter, seinen Platz im Leben trotz veränderter
Bedingungen wieder einzunehmen und passende Verhaltensmuster zu entwickeln. In besonderen Veranstaltungen des Gesundheitstrainings bzw. der Gesundheitsbildung soll der Rehabilitand Unterstützung finden bei diesem schwierigen Lernprozess. Neben der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten soll eine
positive Grundhaltung zur aktiven Mitarbeit in der Rehabilitation aufgebaut
werden, damit der Betroffene die Rolle als selbstverantwortlicher Partner in der
Rehabilitation einnehmen kann. Er soll ermutigt werden, gesunde Lebensfunktionen und Persönlichkeitsanteile als Ausgleich für krankheitsbedingte Mängel
zu entwickeln. Ziel ist die Stärkung der Gesundheit und noch verbliebener Funktionen anstelle der alleinigen Beachtung und Behandlung von Krankheitsprozessen (Salutogenese).
Psychologische Intervention und Psychotherapie
Um die Spirale der depressiven Verstimmung und des sozialen Rückzugs zu stoppen, sind nicht selten spezielle individuell abgestimmte Hilfen zur psychischen
Krankheitsbewältigung erforderlich. Je nach Situation kann eine fachgerechte
Information den gleichen Erfolg haben wie eine professionelle fachpsychologische Entwicklung adäquater Verarbeitungsmethoden. Der Bedarf für fachpsychologisch begründete Interventionen und psychotherapeutische Maßnahmen
ergibt sich besonders aus Problemen bei der Verarbeitung des Geschwulstleidens:
der Angst vor zunehmender Krankheitsbelastung oder dem Tod,
der veränderten Lebenssituation nach gravierenden operativen Eingriffen
(Stoma, Mastektomie, Gastrektomie etc.),
den konditionierten Reaktionen im Rahmen der Primärtherapie (Überempfindlichkeiten, Schmerzsyndrome, Brechreiz usw.),
den sozialen Rückzugstendenzen,
den Konflikten in Partnerschaft und Familie,
den Problemen mit der Akzeptanz der Krankheit.
Ziel einer fachpsychologischen Intervention ist es, Hilfestellungen zur Bewältigung des Krankheitsgeschehens und hierdurch aufgebrochener Lebenskonflikte
zu geben und mögliche individuelle Ressourcen zu erkennen. Die Methodik berücksichtigt kognitive, emotionale und verhaltensbezogene Aspekte und orientiert sich an der vorab geklärten Zielsetzung, die Teil des Therapieplans ist.
Je nach Indikation sollte die Möglichkeit des Einsatzes von Gruppen- und Einzeltherapien bestehen. Neben der verbalen Kommunikation ist auch der Einsatz gestalterischer Wirkmechanismen Erfolg versprechend. Entspannungsverfahren
(z.B. autogenes Training, progressive Muskelrelaxation) ermöglichen eine Verminderung von begleitenden Symptomen wie Angst, Depression, Schmerz oder
psychovegetativen Störungen im Rahmen des Krankheitsgeschehens.
Soziale Hilfestellung
Ziel jeder Hilfestellung ist die baldige soziale Reintegration in die Familie bzw.
das weitere soziale Umfeld. Sie unterstützt den Betroffenen auf seinem Weg in
die neue Situation mit den erforderlichen Anpassungsleistungen. Ihre Aufgaben:
Information und Sicherstellung einer sozialrechtlichen Beratung unter Berücksichtigung der verschiedenen Sozialgesetze (SGB),
Hilfen bei der Durchführung finanzieller Ansprüche (Krankengeld, Übergangsgeld, Sozialhilfe, Pflegeversicherung),
Informationen über
– weitere Rehabilitationsmaßnahmen,
53
– berufliche Beratung,
– soziale Eingliederungshilfen (BSHG),
– Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen bei Schwerbehinderung (SchwbG),
Zusammenarbeit mit den benötigten Institutionen und Ansprechpartnern,
Beratung der Partner und Angehörigen.
Berufliche Rehabilitation
Voraussetzung für das Vorgehen in der beruflichen Rehabilitation ist die Einschätzung der Möglichkeit einer Tätigkeit unter Erwerbsbedingungen. Grundlage hierfür ist eine sozialmedizinische Stellungnahme, die unter Berücksichtigung
des Alters der Betroffenen und des zu erwartenden Verlaufs der Erkrankung enthalten soll:
Dokumentation der krankheitsbedingten Funktionsausfälle,
Beschreibung der verbliebenen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit,
umfassende Beschreibung der zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit,
Vergleich der Leistungsfähigkeit mit den Anforderungen der zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit,
Beschreibung von funktionellen Beeinträchtigungen bezogen auf die zuletzt
ausgeübte berufliche Tätigkeit (negatives Leistungsbild),
Beschreibung der verbliebenen zumutbaren qualitativen Leistungsmerkmale
des körperlichen Leistungsumfangs der Arbeitshaltung und der Arbeitsorganisation (positives Leistungsbild),
Selbsteinschätzung des Patienten zur beruflichen Leistungsfähigkeit,
Empfehlung für berufsfördernde Maßnahmen.
Ist vorhersehbar, dass die berufliche Tätigkeit nur in begrenztem Umfang ausgeübt werden kann oder aber eine anderweitige Erwerbstätigkeit möglich ist, sind
berufsfördernde Leistungen nach Absprache und ggf. Genehmigung durch den
zuständigen Leistungsträger anzustreben, wie z.B.
Belastungserprobung,
Arbeitserprobung,
stufenweise Wiedereingliederung,
innerbetriebliche Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz,
Arbeitsplatzbeschaffung, ggf. mit befristetem Lohnkostenzuschuss,
behindertengerechte Arbeitsplatzumrüstung,
Anlernmaßnahmen mit partieller Lohnkostenübernahme,
Umschulung in einem Berufsförderungswerk.
Die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess muss so früh wie möglich einsetzen, weil deren Erfolgsaussichten mit der Dauer der erwerbsmindernden Behinderungen geringer werden. Wenn möglich, sollten medizinische und berufsbezogene Maßnahmen gleichzeitig durchgeführt werden, zumindest aber nahtlos
ineinander übergehen. Lange Wartezeiten haben nicht nur wirtschaftliche Nachteile, sondern fördern auf Dauer auch ein resignatives Verhalten.
54
A 4.10 Dokumentation – Kommunikation
Die Dokumentation der rehabilitativen Maßnahmen benötigt den Umfang, der
erforderlich ist, um die Durchführung der Aufgaben aller am Rehabilitationsprozess beteiligten Institutionen zu gewährleisten. Sie soll aussagekräftig, reproduzierbar und als Rechtsmittel verwendbar sein. Ihre effektive Verarbeitung bildet
das Fundament für die Evaluation therapeutischer Prozesse und somit auch die
Grundlage für eine effektive Qualitätssicherung.
Um die Sammlung von therapierelevanten Daten zu vereinfachen, ihre Qualität
zu erhöhen und die Arbeit zu erleichtern, ist eine Vereinheitlichung, z.B. in vorher festgelegten Strukturen, anzustreben – so weit dieses Vorgehen möglich ist.
Die Weitergabe von Daten muss hierbei einen ausreichenden Datenschutz gewährleisten, andererseits eine weitestgehende Vollständigkeit anstreben, um
doppelte und unnütze Maßnahmen, z.B. in der Diagnostik zu vermeiden.
Rehabilitation ist keine isolierte Maßnahme, sondern Glied in der onkologischen
Versorgungskette. Der erwünschte Erfolg einer Rehabilitation ist nur dann zu erreichen, wenn sie in ein therapeutisches Gesamtkonzept integriert wird. Voraussetzung hierfür ist eine ausreichende Kommunikation aller Beteiligten, von der
Akutklinik bis zum Hausarzt, dem Rehabilitationsberater, dem sozialmedizinischen Gutachter, der Rentenversicherung, der Krankenkasse oder den Institutionen der beruflichen Rehabilitation.
Der ärztliche Bericht über die durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme enthält
die Beschreibung von Funktionsdefiziten,
das Rehabilitationsziel (bzw. Rehabilitationsmaßnahmen),
die Darstellung der therapeutischen Maßnahmen und deren Verlauf,
die Dokumentation des Rehabilitationsergebnisses,
die Einschätzung der verbliebenen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit (positives Leistungsbild) und bestehender Funktionsdefizite (negatives
Leistungsbild),
Möglichkeiten der Versorgung im Alltag, eventuell die Notwendigkeit einer
pflegerischen Stützung,
Empfehlungen bzw. Vorschläge für weitere erforderlich erscheinende Maßnahmen.
A 4.11 Evaluation
Die Beurteilung der Effektivität rehabilitativer Maßnahmen setzt das erreichte Ergebnis in Beziehung zu den vorab definierten Rehabilitationszielen. Um von
vornherein hierbei Fehlinterpretationen bzw. Missverständnisse zu umgehen, sei
betont, dass in der onkologischen Rehabilitation – entsprechend der Zielvorgabe
– weniger verhältnismäßig eindeutige Effektivitätsparameter wie Krankheitsheilung oder Lebensverlängerung verwendet werden können. Vielmehr stehen die
Verbesserung körperlicher Funktionen, der körperlichen und seelischen Befindlichkeit, Krankheitsverarbeitung, Lebensqualität, soziale Integration usw. im Mittelpunkt der Erfolgsbeurteilung. Prinzipiell ist schon dann ein Rehabilitationsef-
55
fekt zu erkennen, wenn Pflegebedürftigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Invalidität vermindert oder verhindert worden ist.
Trotz zahlreicher Messinstrumente und etablierter Wertungsverfahren in Form
von Fragebögen ist eine eindeutige umfassende Effektivitätsbeurteilung einer
Rehabilitationsmaßnahme nur in Teilen möglich, weil die subjektive Beurteilung
des Prozesses und seines Ergebnisses durch alle daran Beteiligten eine nicht zu
übersehende Rolle spielt.
Die Bewertung rehabilitativer Maßnahmen durch den Betroffenen selbst – eine
sehr wesentliche Variable in der Evaluation rehabilitativer Maßnahmen – ist in
großen Teilen abhängig vom Vergleich der erbrachten Leistung mit seinen zuvor
bestandenen Erwartungen und somit ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor.
Als dringend notwendig für die aussagekräftige Ergebnisbeurteilung durch den
Rehabilitanden selbst erweist sich eine umfangreiche Information über das Wesen der Rehabilitation und ihre Möglichkeiten zu Beginn des Verfahrens. Eine akzeptable Evaluation erscheint nur dann möglich, wenn sich die Durchführung
auf themenzentrierte Ergebnisqualitätsmessungen unter eng definierten Aspekten beschränkt. Angestrebt werden sollte eine weitere Verfeinerung von Messund Wertungsverfahren.
Literatur
1 Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (Hrsg) (1994) Rehabilitation
Behinderter: Schädigung – Diagnostik – Therapie – Nachsorge. Dtsch ÄrzteVerlag, Köln
2 Deutsche Krebsgesellschaft (1995) Qualitätssicherung in der Onkologie.
Grundlagen und Definitionen Bd. 1.1. Enghofer E, Winkler K (Hrsg) Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
3 Deutsche Krebsgesellschaft (1997) Qualitätssicherung in der Onkologie.
Standards und Qualitätskriterien in der onkologischen Rehabilitation. Bd.
7.1. Delbrück H (Hrsg) Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
4 Verband Deutscher Rentenversicherungsträger/Reha-Kommission (Hrsg)
(1992) Rahmenkonzept für die medizinische Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung. Deutsche Rentenversicherung 7–8: 441–467
5 Dudeck J, Wagner G, Grundmann E, Hermanek P (Hrsg) (1999) Basisdokumentation für Tumorkranke. 5. Aufl. Zuckschwerdt, München Bern Wien
New York
6 Koch U, Bürger W (1996) Ambulante Rehabilitation: Ziele, Voraussetzungen
und Angebotsstruktur. Deutsche Rentenversicherung 10–11: 690–710
Verfahren der Konsensbildung
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Verfasser
Dr. P. Kruck
Im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und mit Beratung durch die Arbeitsgemeinschaften der Deutschen Krebsgesellschaft.
Die Leitlinie wurde dem zuständigen Leitlinienkoordinator vorgelegt, um Änderungen oder Ergänzungen an der Leitlinie vorzunehmen. Anschließend wurde
die Leitlinie den folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestelltenkrankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordinator
Dr. P. Kruck
Nahetal-Klinik
Burgweg
D-55543 Bad Kreuznach
Erste Fassung: Dezember 1997
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
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Kopf-Hals-Tumoren
B
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B1
Karzinome des oberen
Aerodigestivtrakts
B 1.1 Karzinome des oberen Aerodigestivtraktes
Es handelt sich fast ausschließlich um Plattenepithelkarzinome, weswegen sich
die folgenden Leitlinien hauptsächlich auf diese Tumorentität konzentrieren. Bei
anderen Tumorentitäten bedarf es meist einer Einzelfallentscheidung.
Operation, Radiotherapie und Chemotherapie sowie deren Kombinationen gelten heute als anerkannte Therapiemodalitäten. Die Wirksamkeit alternativer,
komplementärer Therapiemethoden (z.B. immunstimulierende Therapie) ist wissenschaftlich bisher nicht gesichert. Beim operativen Vorgehen wird eine R0-Resektion angestrebt. Die Grenzen der Operabilität (Resektabilität) werden sowohl
durch die Größe des Primärtumors als auch der Lymphknotenmetastasen bestimmt. Das Behandlungskonzept muss für jeden Patienten individuell aufgestellt werden.
Die präoperative Diagnostik umfasst neben der Beurteilung des Primärtumors
auch die Kontrolle der regionären Metastasierungswege und ggf. den Nachweis/Ausschluss einer Fernmetastasierung (siehe einzelne Organkapitel). Die
bildgebende Diagnostik sollte in der Regel vor einer ausgedehnten Tumorbiopsie
erfolgen, um Artefakte durch Gewebeeinblutungen zu vermeiden. Ferner muss
an das Auftreten von Zweitkarzinomen im oberen Aerodigestivtrakt gedacht
werden, weshalb eine Spiegeluntersuchung oder Panendoskopie dieser Regionen in den meisten Fällen notwendig erscheint. Wegen der niedrigen Prävalenz
von Skelettmetastasen wird die Skelettszintigraphie nur noch bei Hochrisikopatienten eingesetzt, bei denen eine höhere Wahrscheinlichkeit der Knochenmetastasierung besteht (z.B. Nasopharynx-Karzinome).
Das Vorliegen von Mehrfachtumoren und Fernmetastasen stellt den Therapeuten vor eine schwierige Entscheidung. Die Behandlungsstrategie muss individuell und interdisziplinär festgelegt werden. Eine abgestufte Diagnostik und Therapie analog des TNM-Systems von malignen Tumoren ist prinzipiell sinnvoll, weil
es die einzige, weltweit akzeptierte Klassifizierung von Tumoren beinhaltet. Ungeachtet dessen sind Unzulänglichkeiten der TNM-Klassifikation bekannt,
sodass beispielsweise sehr kleine knocheninfiltrierende Tumoren als T4 klassifiziert werden. Die für die verschiedenen Tumorentitäten in Abhängigkeit von
TNM vorgesehene Therapie kann deshalb in einzelnen Fällen nicht eingehalten
werden.
Die extrakapsuläre Ausbreitung, die Lymphangiosis sowie ein multipler Lymphknotenbefall (mehr als drei Lymphknoten) stellen Risikofaktoren dar. Die ersten
beiden Parameter sind jedoch aufgrund widersprüchlicher Literaturangaben nur
bedingt geeignet, die Indikation für eine postoperative adjuvante Therapie abzuleiten.
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Als Alternative zur oder vor einer palliativen Radio- und/oder Chemotherapie
können Palliativeingriffe (Tumorreduktion) unter Verzicht auf onkologische Radikalität zur Beseitigung von Symptomen durchgeführt werden. Im Kopf-Hals-Bereich haben diese Eingriffe meist die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung
wichtiger Funktionen wie z.B. Atmung, Stimme und Schlucken zum Ziel. Palliativeingriffe können eine komplette organ- bzw. funktionserhaltende Primärtumorresektion bei nicht resektabler Metastase beinhalten.
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Allgemeine Bemerkungen zur chirurgischen Therapie
Zur Therapie maligner Tumoren des Kopf-Hals-Bereiches stehen verschiedene
chirurgische Verfahren zur Verfügung. Sie unterscheiden sich neben der Basistechnik in der Wahl des schneidenden Instruments (Skalpell, Laser, elektrisches
Messer) und ihrem Zugangsweg zur Tumorregion. Das Ziel der chirurgischen
Therapie von malignen Tumoren des Kopf-Hals-Bereiches ist eine vollständige
Entfernung des Tumors einschließlich der Lymphknotenmetastasen (R0-Resektion). Nach ausgedehnter Tumorresektion können funktionell beeinträchtigende
Defekte entstehen, die mit Hilfe rekonstruktiver Verfahren verschlossen werden.
Hierzu steht eine Vielzahl unterschiedlicher Transplantate und Rekonstruktionsmethoden zur Verfügung, die je nach individuellen Bedürfnissen eingesetzt werden.
Die operative Behandlung von Rezidivtumoren ist meist schwieriger als die des
Ersttumors, v.a. bei bereits bestrahlten Patienten. Da die Prognose beim Rezidivtumor allgemein als relativ ungünstig eingestuft wird, muss die Indikation v.a. zu
radikal chirurgischen Eingriffen kritisch abgewogen werden.
Auch bei inoperablen Tumoren oder beim ausgedehnten Rezidiv kann ein chirurgisches Vorgehen zur Verbesserung der Lebensqualität des Patienten beitragen
(Palliativeingriff). Ein Eingriff, der in palliativer Absicht durchgeführt wird, sollte
jedoch zu keiner weiteren als der bereits bestehenden funktionellen Einschränkung führen.
Die Operation des Primärtumors wird häufig von einer Ausräumung verschiedener Lymphknotengruppen begleitet. Art und Umfang der Neck-dissection sind
abhängig von der Anzahl, Größe und Lokalisation der Lymphknotenmetastasen
und der Lage des Primärtumors. Ist durch die klinische Untersuchung (physikalische Untersuchung und bildgebende Verfahren) eine Lymphknotenmetastasierung nicht nachzuweisen (N0), so kann dennoch eine Ausräumung verschiedener Lymphknotengruppen, entsprechend dem typischen Metastasierungsweg
des Primärtumors angezeigt sein (elektive Neck-dissection).
Die Entscheidung für eine elektive Neck-dissection ist abhängig von der Lokalisation und Ausdehnung (oberflächlich/tief) des Primärtumors. Besteht nur ein geringes Risiko für klinisch okkulte Halslymphknotenmetastasen, so ist eine abwartende Haltung vertretbar, wobei jedoch engmaschige Nachsorgeuntersuchungen gewährleistet sein sollen (z.B. Sonographie und/oder CT, MRT des Halses).
Besteht aufgrund des Primärtumors die Indikation zur adjuvanten Radiotherapie, kann auf die operative Behandlung klinisch metastasenfreier Halslymphknoten verzichtet werden, wenn das regionäre Lymphabflussgebiet bestrahlt wird.
Bei der kurativen Form der Neck-dissection (präoperativer Nachweis von Metas-
tasen/N+) werden die betreffenden Metastasen einschließlich weiterer Lymphknotengruppen (je nach Sitz des Primärtumors) entfernt.
Die Neck-dissection wird uni- oder bilateral durchgeführt, je nach Tumorlokalisation (Überschreiten der Mittellinie) oder bekanntem Risiko für kontralaterale Metastasierung (z.B. Zungengrund, Supraglottis, Uvula und andere Mittellinientumoren).
Die Neck-dissection erfolgt in der Regel in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Operation des Primärtumors. Sie kann auch zeitversetzt vorgenommen werden (siehe Strahlentherapie).
Lymphknotenmetastasen, die nach primärer Bestrahlung des Primärtumors und
der Lymphabflusswege persistieren, können in manchen Fällen durch eine „Salvage“Neck-dissection (Rettungschirurgie) entfernt werden.
Es gibt unterschiedliche Definitionen für die verschiedenen Formen der Neckdissection. Die Mitglieder der interdisziplinären Expertenrunde empfehlen eine
Terminologie in Anlehnung an die organspezifische Tumordokumentation der
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT) (Wagner und Hermanek
1995). Sie basiert auf einer Untergliederung der Halslymphknoten in fünf Gruppen (submental und submandibulär; tiefe kraniojuguläre Lymphknoten; tiefe
mediojuguläre Lymphknoten; tiefe kaudojuguläre Lymphknoten; Lymphknoten
des posterioren Halsdreiecks, sog. Accessoriusgruppe).
Radikale Neck-dissection (RND):
Basisverfahren der Halsweichteilausräumung aller fünf Lymphknotengruppen
mit Entfernung wichtiger nicht-lymphatischer Strukturen (M. sternocleidomastoideus, V. jugularis interna und N. accessorius).
Modifiziert radikale Neck-dissection (MRND):
Resektion aller fünf Lymphknotengruppen, mit Erhalt einer oder mehrerer nichtlymphatischer Strukturen.
Selektive Neck-dissection (SND):
Resektion von mindestens zwei aber weniger als fünf Lymphknotengruppen, Erhalt von mindestens einer nicht-lymphatischen Struktur.
Erweiterte radikale Neck-dissection (ERND):
Entfernung zusätzlicher Lymphknotengruppen (z.B. intraparotideale Lymphknoten) oder nicht-lymphatischer Strukturen (z.B. Glandula parotis, Schilddrüse).
Allgemeine Bemerkungen zur Radiotherapie (Strahlentherapie)
Prinzipiell wird die Radiotherapie entweder als alleinige Behandlungsmethode
oder als zusätzliche Maßnahme vor oder nach der Operation eingesetzt. Die interstitielle Brachytherapie (automatisches Afterloading) ist geeignet zur lokalen
Dosiserhöhung („Boost“) nach großvolumiger perkutaner Radiotherapie oder
als alleinige Maßnahme für die lokalisierte Radiotherapie eines kleinen umschriebenen Primärtumors oder Rezidivs.
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In Kombination mit der Operation kann die Radiotherapie entweder prä- oder
postoperativ eingesetzt werden. Vorteil der postoperativen Radiotherapie ist die
Möglichkeit der strengeren Indikationsstellung aufgrund der auf pathologischanatomischen Befunden begründeten Stadieneinteilung.
Eine kurative Resektion nach „neoadjuvanter“ (geplante präoperative Radiound/oder Chemotherapie) Therapie sollte entsprechend den ursprünglichen
(primären, prätherapeutischen) Tumorgrenzen erfolgen. Eine prätherapeutische
Tätowierung der Tumorausdehnung an der Oberfläche ist nicht ausreichend, da
die tatsächlichen Infiltrationsgrenzen des Tumors in der Tiefe nicht erfasst werden können. MRT und/oder CT erlauben keine absolut verbindliche Aussage. Es
besteht die Gefahr der unvollständigen Resektion, da insbesondere multilokuläre Tumorreste in der Tiefe derzeit mit bildgebenden Verfahren nicht zuverlässig
identifiziert werden können.
Lokoregionär fortgeschrittene Tumoren werden in der Regel in Abhängigkeit
von der Lokalisation primär operiert und postoperativ bestrahlt. Alternativ kann
in besonderen Fällen eine primäre Radiochemotherapie erwogen werden.
Ist der Tumor aufgrund seiner lokoregionären Ausdehnung funktionell nicht
mehr sinnvoll operabel, so ist eine intensivierte Radiotherapie (mit Hyperfraktionierung, Akzelerierung) oder eine simultane Radiochemotherapie zu empfehlen.
Bei reduziertem oder schlechtem Allgemeinzustand des Patienten ist die konventionelle palliative Strahlenbehandlung vorzuziehen.
Lokoregionäre Rezidive bei nicht-vorbestrahlten Patienten werden wie Tumoren
im Rahmen einer Primärtherapie bestrahlt (auch Radiochemotherapie). Lokoregionäre Rezidive nach vorausgegangener Radiotherapie können operiert oder
unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. Art und Dosis der vorausgegangenen
Bestrahlung) nochmals bestrahlt werden.
Indikationen für die postoperative Radiotherapie (Abweichungen siehe spezielle
Kapitel der Organtumoren)
Indiziert:
nach R1- und R2-Resektion, wenn eine Nachresektion nicht möglich ist
pT4 (Infiltration von Nachbarstrukturen)
pN2, 3
Lymphknotenkapselruptur (nur begrenzt als Indikationsparameter geeignet)
Lymphgefäßinvasion (nur begrenzt als Indikationsparameter geeignet)
Fakultativ:
pT2–3 pN0 (siehe Organkapitel)
pT1–3 (p)N1 (siehe Organkapitel)
Bei der Indikation zur Radiotherapie des zervikalen Lymphabflusses werden im
Allgemeinen beide Halsseiten bestrahlt. Ausnahmen sind z.B. Speicheldrüsenkarzinome und Hautkarzinome.
Die Supportivtherapie (Mukositisprophylaxe und -behandlung, Schmerztherapie
u.a.) spielt v.a. bei der hyperfraktionierten Radiotherapie eine bedeutende Rolle.
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Allgemeine Bemerkungen zur Kombination von Radiotherapie
und Chemotherapie
Tumoren, die aufgrund ihrer lokoregionären Tumorausdehnung inoperabel sind,
werden primär hochdosiert bestrahlt. Die Langzeitergebnisse sind unbefriedigend. Deshalb wurde die sequenzielle oder simultane Gabe von radiosensibilisierenden Substanzen sowie Zytostatika untersucht. Die simultane Anwendung
führt zu einer erhöhten therapieassoziierten Akutmorbidität. Sie verlangt besondere Erfahrung auf dem Gebiet der Supportivtherapie. Die simultane Radiochemotherapie erbringt signifikant höhere Raten an lokoregionärer Tumorfreiheit
sowohl im Vergleich zur alleinigen (konventionell fraktionierten) Radiotherapie
als auch zur sequenziellen Radiochemotherapie
Substanzen, die sich simultan mit einer hochdosierten RT applizieren lassen, sind
das 5-Fluorouracil (5-FU), auch in Kombination mit Cis- oder Carboplatin,
Mitomycin und die Taxane. Die meisten Daten liegen zur Kombination von 5-FU
mit Cisplatin vor.
Eine höhere Therapieeffizienz resultiert auch bei Einsatz einer hyperfraktionierten Bestrahlung und akzelerierten Fraktionierung. In aktuellen Studien werden
derzeit die simultane Radiochemotherapie mit hyperfraktionierten und akzelerierten Radio- bzw. Radiochemotherapiekonzepten randomisiert überprüft.
Die primäre simultane Radiochemotherapie gewinnt zunehmend in der Organerhaltung fortgeschrittener Kopf-Hals-Tumoren an Bedeutung. Bei Pharynxkarzinomen zeigt sich ein Trend, dass die simultane RCT der sequenziellen Therapie
überlegen scheint.
Die Supportivtherapie (Mukositisprophylaxe und -behandlung, Schmerztherapie
u.a.) spielt bei der hochdosierten Radiochemotherapie eine bedeutende Rolle.
Die prophylaktische PEG-Anlage kann zur Sicherung eines adäquaten Ernährungszustandes des Patienten von Nutzen sein.
Allgemeine Bemerkungen zur zytostatischen Chemotherapie
Die alleinige Chemotherapie wird bislang nur in palliativer Absicht bei Patienten
mit Metastasen oder bei lokoregionärem Rezidiv ohne weitere chirurgische oder
strahlentherapeutische Optionen eingesetzt. Dabei haben sich bei Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereiches folgende Substanzen als wirksam erwiesen: Cisplatin, Carboplatin, 5-Fluorouracil, Methotrexat, Cyclophospamid,
Ifosfamid, Vincaalcaloide und Paclitaxel. Die höchsten Remissionsraten haben
die Kombinations-Chemotherapie mit Cisplatin bzw. Carboplatin und einer
5-Fluorouracil-Dauerinfusion. Die deutlich höhere Toxizität der Polychemotherapie muss dabei bedacht werden. Es wird z.Zt. die Wirksamkeit weiterer Substanzen wie z.B. die der Taxane geprüft.
Lippenkarzinom
Diagnostik
Notwendig
Lokaler Untersuchungsstatus
Palpation des Halses und des Primärtumors
Sonographie des Halses
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Biopsie (evtl. Exzisionsbiopsie) mit histologischer Begutachtung
Röntgen Thorax
In Einzelfällen nützlich
CT, MRT
Panoramaschichtaufnahme der Kiefer
Interdisziplinäre Untersuchung (Tumorstaging)
PET
Spiegeluntersuchung oder Panendoskopie (Ausschluss eines synchronen
Zweitkarzinoms)
Chirurgische Therapie:
Tis Exzision
T1 Exzision und primäre Wundadaptation, evtl. plastische Rekonstruktion
T2 Tumorresektion und plastische Rekonstruktion
T3 Tumorresektion und plastische Rekonstruktion
T4 Tumorresektion und plastische Rekonstruktion
N0 Vorgehen in Abhängigkeit von pT-Klassifikation (Tumorgröße und
Tiefeninvasion)
pT1: Beobachtung
pT2: SND oder Beobachtung
pT3–4: SND oder MRND
N1 SND oder MRND
N2 SND oder MRND, in besonderen Fällen RND
N3 RND, evtl. MRND oder ERND
Radiotherapie:
Primäre Radiotherapie:
Bei Kontraindikationen gegen eine Operation kann eine primäre, kurativ intendierte Radiotherapie in den Kategorien T1 und T2 in Betracht gezogen
werden.
Postoperative Radiotherapie:
Tumor non in sano reseziert (R1, R2), wenn eine Nachresektion nicht möglich ist
Tumoren ≥T3
p N2–3, unabhängig von der T-Kategorie
Fakultativ: p N1
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Mundhöhlenkarzinom
Diagnostik
Notwendig
Lokaler Untersuchungsstatus
Palpation des Primärtumors und des Halses
Sonographie des Halses
Spiegeluntersuchung oder Panendoskopie (Ausschluss eines synchronen
Zweitkarzinoms)
Biopsie (evtl. Exzisionsbiopsie) mit histologischer Begutachtung)
Röntgen Thorax
In Einzelfällen nützlich
CT
MRT
Panoramaschichtaufnahme der Kiefer
Exfoliativzytologie
Skelettszintigraphie zum Ausschluss von Skelettmetastasen (bei entsprechendem Risiko)
Interdisziplinäre Untersuchung (Tumorstaging)
PET
Chirurgische Therapie:
Tis Enorale Resektion, ggf. plastische Rekonstruktion
T1 Enorale Resektion und gegebenenfalls primärer Wundverschluss,
im Einzelfall Blockresektion (Zugang transzervikal, Tumorentfernung mit
Lymphknoten), plastische Rekonstruktion
T2 Enorale Resektion oder Blockresektion, plastische Rekonstruktion
T3 Blockresektion oder enorale Tumorresektion, plastische Rekonstruktion
T4 Blockresektion, plastische Rekonstruktion. In Ausnahmefällen enorale
Tumorresektion (Palliativeingriff).
N0 SND oder Beobachtung (abhängig von Lokalisation und Ausdehnung des
Primärtumors), in Einzelfällen MRND
N1 SND oder MRND
N2 SND oder MRND, in besonderen Fällen RND
N3 RND, evtl. MRND oder ERND
Radiotherapie:
Primäre Radiotherapie:
Alternativ zur Operation kann bei einem T1-Zungenrandkarzinom im dorsalen
Abschnitt der mobilen Zunge eine interstitielle Brachytherapie durchgeführt
werden. Bei klinischem Verdacht auf Lymphknotenmetastasen sowie bei der
Kategorie T2 führt die erforderliche Kombination von Brachytherapie und perkutaner Radiotherapie zu höheren Komplikationsraten und soll nur bei Kontraindikationen zur Operation eingesetzt werden.
In fortgeschrittenen Tumorstadien (III, IV) kann alternativ eine Radiochemotherapie erfolgen, wenn eine Operation nicht möglich oder nicht sinnvoll ist.
Postoperative Radiotherapie:
Tumor non in sano reseziert (R1, R2), wenn eine Nachresektion nicht möglich ist
Tumoren > pT2, pN2, pN3 (Einschränkungen bei pT4)
Im Stadium pT2 cN0 können sowohl eine Radiotherapie als auch eine engmaschige Beobachtung erwogen werden.
Fakultativ: pN1
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Oropharynxkarzinom
Der häufigste maligne Tumor ist das Plattenepithelkarzinom, seltener sind das
adenoidzystische Karzinom und das Adenokarzinom.
Diagnostik
Notwendig
Lokaler Untersuchungsstatus
Palpation des Halses
Sonographie des Halses
Spiegeluntersuchung oder Panendoskopie (Ausschluss eines synchronen
Zweitkarzinoms)
Biopsie mit histologischer Begutachtung
Röntgen Thorax
In Einzelfällen nützlich
CT
MRT
Exfoliativzytologie
Interdisziplinäre Untersuchung (Tumorstaging)
Skelettszintigraphie
PET
Chirurgische Therapie:
Tis Exzision
T1 Transorale, ausnahmsweise (Zungengrund) transzervikale Resektion,
primärer Defektverschluss selten notwendig
T2 Transzervikale (laterale Pharyngotomie) oder transorale Resektion,
plastische Rekonstruktion
T3 Transzervikale Resektion (laterale Pharyngotomie, evtl. mit temporärer
Mandibulotomie), Laryngektomie) selten notwendig. Plastische
Rekonstruktion. Alternative: transorale Resektion
T4 Transzervikale Resektion (laterale Pharyngotomie, evtl. mit temporärer
Mandibulotomie), Laryngektomie evtl. notwendig (Befall des
Zungengrundes). Plastische Rekonstruktion.
In besonderen Fällen: transorale Resektion.
N0
N1
N2
N3
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SND, evtl. Beobachtung
SND oder MRND
SND oder MRND, in besonderen Fällen RND
RND, evtl. MRND oder ERND
Radiotherapie:
Primäre Radio- (Chemo-) therapie:
Alternativ zur Operation (bei Vorliegen von Kontraindikationen gegen die
Operation) kann für die Stadien I und II (T1 N0 bzw. T2N0) eine primäre alleinige Radiotherapie erwogen werden.
In fortgeschrittenen Stadien kann alternativ zu einer Operation eine Radiochemotherapie durchgeführt werden. Lymphknoten der Klassifikation N3
können in Einzelfällen initial chirurgisch entfernt werden. Bei kompletter Remission des Primärtumors kann das Residuum einer Lymphknotenmetastase
exstirpiert werden.
Postoperative Radiotherapie:
Tumor non in sano reseziert (R1, R2), wenn eine Nachresektion nicht möglich ist
Karzinome von Uvula/Gaumenbogen: pT2–4
Karzinome von Tonsillen, Zungengrund: pT2–4
> pN1
Fakultativ: pN0 mit Lymphgefäßinvasion am Primärtumor (nur begrenzt als Indikationsparameter geeignet)
Nasopharynxkarzinom
Die häufigsten Tumoren des Nasopharynx sind das undifferenzierte Karzinom
mit lymphozytärem Stroma und das Plattenepithelkarzinom. Der Epstein-Barr-Virus (EBV)-Titer ist beim undifferenzierten Nasenrachenkarzinom in der Diagnostik und in der Verlaufskontrolle als Tumormarker von Bedeutung
Diagnostik
Notwendig
Lokaler Untersuchungsstatus
Palpation des Halses
Sonographie des Halses
Spiegeluntersuchung oder Panendoskopie (Ausschluss eines synchronen
Zweitkarzinoms)
Biopsie mit histologischer Begutachtung
CT Schädel und Hals (prävertebrale und parapharyngeale Lymphknoten
Skelettszintigraphie
EBV-Titer
Röntgen Thorax
Interdisziplinäre Untersuchung (Tumorstaging)
In Einzelfällen nützlich
MRT
PET
Therapie:
Nasopharynxkarzinome sollten nur in Ausnahmefällen operiert werden. Standardtherapie bei allen Karzinomen ist die primäre (definitive) Bestrahlung sowohl der
Primärtumorregion als auch der Lymphabflusswege. Wenn nach Abschluss der
Radiotherapie der Primärtumor nicht mehr, aber resektable regionäre Lymphknotenmetastasen nachweisbar sind, ist eine Neck-dissection angezeigt. Bei großen
Metastasen (N3a), vor allem beim Plattenepithelkarzinom kann in besonderen
Fällen evtl. eine Neck-dissection vor der Radiotherapie durchgeführt werden.
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Von einer bilateralen Neck-dissection nach voll dosierter Radiotherapie beider
Halsseiten mit klinisch kompletter Remission wird abgeraten.
Im Stadium III und IV ist eine simultane Radiochemotherapie heute als Standardtherapie anzusehen. Individuelle Kontraindikationen und Risikokonstellationen sind bei der Wahl der Therapie zu berücksichtigen. Ein endoluminaler Brachytherapie-Boost auf den Primärtumor kann die Prognose verbessern, muss
aber im Interesse der Begrenzung der Radiotoxizität exakt geplant werden.
Hypopharynxkarzinom
Im Hypopharynx kommen fast ausschließlich Plattenepithelkarzinome vor. Bis zu
90% der Hypopharynxkarzinome kommen in einem fortgeschrittenen Stadium
zur Primärdiagnose.
Diagnostik
Notwendig
Lokaler Untersuchungsstatus
Lupenlaryngoskopie (Stimmlippenbeweglichkeit)
Palpation des Halses
Sonographie des Halses
Spiegeluntersuchung oder Panendoskopie (Ausschluss eines synchronen
Zweitkarzinoms)
Biopsie mit histologischer Begutachtung
Röntgen Thorax
In Einzelfällen nützlich
CT, MRT (In fortgeschrittenen Stadien und bei Befall der Hinterwand notwendig)
Oesophagusendosonographie
Exfoliativzytologie
Interdisziplinäre Untersuchung (Tumorstaging)
PET
Chirurgische Therapie:
Tis Exzision
T1 Hypopharynxteilresektion (transoral oder transzervikal) eventuell mit
plastischer Deckung. In besonderen Fällen kann eine Laryngektomie
notwendig sein (z.B. Postcricoid-Region).
T2 Partielle Pharyngektomie transzervikal oder transoral unter Erhalt des
Larynx evtl. mit Resektion des ipsilateralen Schilddrüsenlappens ggf.
plastische Rekonstruktion; ggf. Pharynx-Larynx-Teilresektion oder
Laryngektomie mit partieller Pharyngektomie und ggf. Rekonstruktion.
Alternativ: transorale Resektion
T3 Laryngektomie mit Teilpharyngektomie evtl. mit Resektion des
ipsilateralen Schilddrüsenlappens und ggf. Rekonstruktion. Transorale
Resektion in besonderen Fällen möglich.
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T4 Oft nicht unter Organ- bzw. Funktionserhalt operabel.
Pharyngolaryngektomie mit Resektion des ipsilateralen Schilddrüsenlappens und Rekonstruktion mit Magenhochzug oder anderem Transplantat.
N0 SND, evtl. Beobachtung. Bei postoperativ geplanter Radiotherapie kann
auf eine elektive Neck-dissection verzichtet werden
N1 SND oder MRND
N2 SND oder MRND, in besonderen Fällen RND
N3 RND, evtl. MRND oder ERND
Radiotherapie:
Primäre Radiotherapie:
Alternativ zur Operation (bei Vorliegen von Kontraindikationen gegen die
Operation) kann für das Stadium I (T1 N0) eine primäre alleinige Radiotherapie erwogen werden.
Ist eine Laryngektomie indiziert, kann alternativ eine primäre Radiochemotherapie mit der Option der Laryngektomie als Rettungschirurgie erwogen
werden.
Postoperative Radiotherapie:
Tumor non in sano reseziert (R1, R2), wenn eine Nachresektion nicht möglich
ist
Hypopharynxkarzinome pT3–4 pN0 und pT1–4 pN1–3
Fakultativ: pT2 pN0 und bei Vorliegen einer Lymphgefäßinvasion am Primärtumor (nur begrenzt als Indikationsparameter geeignet)
Larynxkarzinom
Maligne Tumoren des Larynx sind fast ausschließlich Plattenepithelkarzinome.
Andere Tumoren sind sehr selten.
Diagnostik
Notwendig
Lokaler Untersuchungsstatus
Lupenlaryngoskopie (Tumorausdehnung, Stimmlippenbeweglichkeit) oder
flexible Endoskopie
Palpation des Halses (auf prälaryngeale Lymphknoten achten)
Sonographie des Halses
Röntgen Thorax
Mikrolaryngoskopie (Tumorausdehnung, Infiltration)
Spiegeluntersuchung oder Panendoskopie (Ausschluss eines synchronen
Zweitkarzinoms)
Biopsie mit histologischer Begutachtung
In Einzelfällen nützlich
CT
MRT
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Abstrichzytologie
Interdisziplinäre Untersuchung (Tumorstaging)
Phonatorische Untersuchung (Stroboskopie, Stimmanalyse), Erläuterung der
Stimmrehabilitation
PET
Supraglottis
Chirurgische Therapie:
Tis Exzision
T1 Transorale oder transzervikale Kehlkopfteilresektion
T2 Transorale oder transzervikale Kehlkopfteilresektion, in besonderen Fällen
Laryngektomie
T3 Teillaryngektomie transoral oder transzervikal evtl. mit Teilpharyngektomie, ggf. Rekonstruktion, in manchen Fällen Laryngektomie notwendig
T4 Laryngektomie kombiniert mit Teilpharyngektomie, evtl. Pharyngolaryngektomie mit Rekonstruktion. In besonderen Fällen transorale oder transzervikale Teilresektion evtl. mit Teilpharyngektomie.
N0 Bevorzugt bilaterale SND, evtl. Beobachtung bei oberflächlichem T1. Ab
T2N0 ist eine Neck-dissection bilateral zu erwägen.
N1 SND oder MRND + SND kontralateral
N2 SND oder MRND (in besonderen Fällen RND) + SND kontralateral
N3 RND, evtl. MRND oder ERND+ SND kontralateral
Radiotherapie:
Primäre Radiotherapie:
Bei Bestrahlung der Primärtumorregion sind die zervikalen Lymphknoten eingeschlossen und werden mit einer Gesamtdosis bestrahlt, die adjuvant als
wirksam betrachtet wird, sodass auf eine elektive Neck-dissection verzichtet
werden kann.
Im Stadium I (T1 N0) kann alternativ zur Operation eine alleinige Radiotherapie durchgeführt werden. Beim Stadium II (T2 N0) sollte der Operation der
Vorzug gegeben werden.
Anstatt einer primären Laryngektomie in höheren Tumorstadien kann ein Versuch mit einer primären Radiochemotherapie gemacht werden. Dieses Konzept ist Gegenstand klinischer Forschung.
Postoperative Radiotherapie
Tumor non in sano reseziert (R1, R2), wenn eine Nachresektion nicht möglich
ist
Tumorbett und regionäres Lymphabflussgebiet sollen ab der Kategorie pT3
und/oder pN1–3 bestrahlt werden.
Fakultativ: pT2 pN0
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Glottis
Chirurgische Therapie:
Tis Exzision
T1 Chordektomie (unterschiedlichen Ausmaßes) transoral ggf. transzervikal.
T2 Teilresektion transoral oder transzervikal, in besonderen Fällen Laryngektomie
T3 Laryngektomie oder Teillaryngektomie transzervikal oder transoral
T4 Laryngektomie, Teilpharyngektomie, evtl. mit Rekonstruktion. In besonderen Fällen Teilresektion möglich
N0 Bei T1–2 oberflächlichem Tumor keine Neck-dissection
Bei T2 tief infiltrierendem Tumor (> 5mm) SND oder Kontrolle
Bei T3–4 SND
N1 SND oder MRND
N2 SND oder MRND, in besonderen Fällen RND
N3 RND, evtl. MRND, ERND
Bei T2–T4 Karzinomen mit bilateraler Tumorausdehnung und falls Supraglottis erreicht, bilaterale Neck-dissection.
Radiotherapie
Primäre Radiotherapie:
Bei den Primärtumorkategorien (Tis), T1a und T1b kann alternativ zur Operation eine primäre hochdosierte Radiotherapie durchgeführt werden.
Anstatt einer primären Laryngektomie in höheren Tumorkategorien kann ein
Versuch mit einer neoadjuvanten Radiochemotherapie gemacht werden.
Postoperative Radiotherapie:
Tumor non in sano reseziert (R1, R2), wenn eine Nachresektion nicht möglich
ist (Organerhalt)
pT4, pN2–3
Fakultativ: pT2–3, pN1
Subglottis
Chirurgische Therapie
T1–T4 Keine standardisierte Therapie, da der Tumor sehr selten ist. Beim
operativen Vorgehen ist meist eine Laryngektomie notwendig. Selten Teilresektion möglich, immer bilaterale Neck-dissection.
Radiotherapie
Primäre Radiotherapie:
Alternativ zur Operation
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Postoperative Radiotherapie:
Alle subglottischen Karzinome
Stimmrehabilitation nach Laryngektomie
Zur Stimmrehabilitation nach Laryngektomie stehen verschiedene Verfahren zur
Verfügung. Sie können in operative und nicht-operative aufgeteilt werden. Zu
den operativen gehören die Anlage eines Stimmshunts (Verbindung zwischen
Luft- und Speiseröhre bzw. Hypopharynx) mit Einsatz einer Stimmprothese oder
die Bildung eines Hautkanals (Unterarmlappen, lokale Lappen). Zu den nichtoperativen gehören das Erlernen der Oesophagusersatzstimme und die Anwendung einer elektronischen Sprechhilfe (Servox®).
Die Stimmrehabilitation (nach Total- oder Teilentfernung des Kehlkopfes) erfolgt
in der Regel in enger Kooperation mit der Phoniatrie und Logopädie.
Lymphknotenmetastase bei unbekanntem Primärtumor (CUP-Syndrom)
In 5% treten bei klinisch nicht erkennbarem Karzinom des oberen Aerodigestivtraktes Lymphknotenmetastasen auf. Der Primärtumor (in der Regel Plattenepithelkarzinom) kann trotz intensiver Diagnostik nicht gefunden werden.
Der Primärtumor muss auch außerhalb des Kopf-Hals-Bereiches gesucht werden
(v.a. bei einer Adenokarzinommetastase).
Diagnostik
Notwendig
Lokaler Untersuchungsstatus
Palpation des Halses
Sonographie des Halses
MRT und/oder CT des Kopf-Hals-Bereiches
Spiegeluntersuchung oder Panendoskopie (Primärtumorsuche), ggf. Probeexzision aus Nasopharynx, Tonsille (Tonsillektomie), Zungengrund
Röntgen Thorax
Biopsie der Lymphknotenmetastase(n)
Biopsie: Wenn möglich Feinnadelpunktion (Zytologie), evtl. isolierte Lymphknotenexstirpation. In Zweifelsfällen und bei Verdacht auf ein malignes Lymphom ist
die Lymphknotenexstirpation immer erforderlich. Bei sehr großen Lymphknotenmetastasen kann in Ausnahmefällen eine Keilexzision oder Stanzbiopsie vorgenommen werden.
In Einzelfällen nützlich
PET
Dopplersonographie
Interdisziplinäre Diagnostik mit der Frage: infraklavikulärer Primärtumor (Urologe, Pneumologe, Gastroenterologe, Chirurg, Gynäkologe, Dermatologe)
74
Chirurgische Therapie:
SND oder MRND, in besonderen Fällen RND
Radiotherapie:
Die postoperative Bestrahlung ist indiziert, insbesondere wenn eine extranodale
Tumorausbreitung nachweisbar ist und wenn mehr als eine Lymphknotenmetastase im Neck-dissection-Präparat vorliegt. Das Zielvolumen umfasst die zervikalen Lymphknoten bilateral sowie die Schleimhaut des Oro- und Hypopharynx,
bei kranialem Sitz der Metastase ggf. auch die Schleimhaut von Nasopharynx.
B 1.2 Nachsorge maligner Tumoren des Kopf-Hals-Bereiches (außer Haut)
Wichtige Aufgaben der Tumornachsorge sind neben der frühzeitigen Erkennung von Tumorrezidiven und/oder Zweittumoren die Erhebung des postoperativen (Funktions-) Status und eine kritische Beurteilung der (onkologischen) Behandlungsergebnisse, ggf. gefolgt von der Einleitung weiterer Maßnahmen
(Rehabilitation, Palliativ- und Schmerztherapie). Ferner sollen Anstrengungen
zur Integration in das soziale und berufliche Umfeld des Patienten ergriffen und
rehabilitative Maßnahmen (z.B. Stimm- und Schlucktraining) sowie falls erforderlich, Pflegemaßnahmen koordiniert werden. Die Tumornachsorge sollte in
Kooperation mit den an der Therapie beteiligten Fachdisziplinen (z.B. Radioonkologen) sowie mit niedergelassenen Fachärzten, Zahnärzten und Hausärzten
erfolgen, die einen Teil der Nachsorge übernehmen können. Auch eine psychosoziale Betreuung sollte angestrebt werden. Supportive Maßnahmen sollten zur
Sicherung der Lebensqualität des Patienten bei Spätfolgen v.a. der Radiotherapie Anwendung finden.
Für die Tumornachsorge wurden mehrfach standardisierte Schemata angegeben, ohne dass der tatsächliche Nutzen bisher exakt nachgewiesen ist. Ein Beispiel einer solchen Empfehlung wird nachstehend aufgeführt.
Folgende Nachuntersuchungsintervalle sind als empfehlenswert anzusehen:
1. Jahr: mindestens dreimonatige Abstände
2. Jahr: mindestens vier- bis sechsmonatige Abstände
3.–5. Jahr: mindestens sechsmonatige Abstände
ab 5. Jahr: mindestens jährliche Abstände. In Einzelfällen keine weiteren Kontrolluntersuchungen notwendig
Jede Untersuchung umfasst:
Notwendig
Lokaler Untersuchungsstatus
Palpation des Halses
In Einzelfällen nützlich
Sonographie des Halses
Stroboskopie des Kehlkopfes
CT, MRT
Röntgen Thorax
75
B 1.3 Rehabilitation
Rehabilitationsbemühungen dürfen nicht nur auf die Behebung der somatischen Funktionsbeeinträchtigungen ausgerichtet sein, sondern müssen auch auf
eine möglichst baldige Wiedereingliederung in das soziale Umfeld abzielen. Stationäre oder teilstationäre Rehabilitationsmöglichkeiten bieten sich hierzu an.
Auch gewinnen Selbsthilfegruppen zunehmend an Bedeutung (Bundesverband
der Kehlkopflosen e.V., Obererle 65, D-45897 Gelsenkirchen, Tel.: 0209-592282).
Ein Großteil der Betroffenen verfügt über ein sehr geringes Gesundheitsbewußtsein und weder große Eigeninitiative noch Verständnis für rehabilitative und präventive Maßnahmen. All dies erschwert die psychosoziale Rehabilitation und
überfordert die Hilfsmöglichkeiten ungeschulter Betreuungskräfte. Wegen der
fachärztlichen Betreuung, der gezielten logopädischen und krankengymnastischen Behandlung und der Möglichkeit einer psychosozialen Therapie kommen
nur speziell ausgerichtete und erfahrene onkologische Rehabilitationskliniken in
Frage.
Verfahren der Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft durch eine Arbeitsgruppe
der Arbeitsgemeinschaft Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgische Onkologie (AHMO), des Deutsch-Österreichisch-Schweizerischen
Arbeitskreises für Tumoren im Kiefer- und Gesichtsbereich (DÖSAK), der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
und der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie.
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. F. Bootz, Leipzig (Vorsitzender) (HNO); Prof. Dr. W. Draf, Fulda (HNO);
Prof. Dr. U. Ganzer, Düsseldorf (HNO); Prof. Dr. H. Glanz, Gießen (HNO); Prof. Dr.
R. Hagen, Stuttgart (HNO); Prof. Dr. C. von Ilberg, Frankfurt/M. (HNO); Prof. Dr.
Dr. H.-P. Howaldt, Gießen (MKG-Chirurgie, DÖSAK); Prof. Dr. H. Iro, Homburg
(HNO); Prof. Dr. H. Maier, Ulm (HNO); Prof. Dr. R.-P. Müller, Köln (Radioonkologie); Prof. Dr. W. Steiner, Göttingen (HNO); Prof. Dr. J. A. Werner, Marburg
(HNO); Priv. Doz. Dr. H.-G. Mergenthaler, Stuttgart (Internistische Onkologie);
Prof. Dr. Th. G. Wendt, Jena (Radioonkologie)
Beratend haben mitgewirkt
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Röntgengesellschaft; Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin; Deutsche Gesellschaft
für Pathologie; Prof. Dr. H. Delbrück, Wuppertal (Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation, Nachsorge und Sozialmedizin); Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT); Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO); Prof. Dr. P.
Hermanek, Erlangen (ISTO).
76
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren redaktionell überarbeitet
und aktualisiert. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorge-
legt und deren Änderungswünsche wurden nach Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. F. Bootz, Leipzig (Vorsitzender) (HNO); Prof. Dr. Dr. H.-P. Howaldt,
Gießen (MKG-Chirurgie, DÖSAK); Priv. Doz. Dr. H.-G. Mergenthaler, Stuttgart
(Internistische Onkologie); Prof. Dr. Th. G. Wendt, Jena (Radioonkologie)
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AHMO
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
DÖSAK
Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. F. Bootz
Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde
Plastische Operationen, Universität Leipzig
Liebigstraße 18a
D-04103 Leipzig
Prof. Dr. Dr. H.-P. Howaldt
Klinik für Mund-, Kopf- und Gesichtschirurgie
Universität Gießen
Klinikstraße 29
D-35385 Gießen
77
Erste Fassung: Januar 2000
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
78
B2
Diagnose und Therapie primär
cerebraler Lymphome (PCL)
B 2.1 Einleitung
Primär cerebrale Lymphome (PCL) werden in den Krankheitsstatistiken immer
häufiger. Dazu tragen verschiedene Faktoren bei. Zum einen wird die Diagnose
häufiger gestellt, zum anderen spricht einiges dafür, dass die Inzidenz auch bei
immunkompetenten Patienten zunimmt (15, 42). Die Zahl immunsupprimierter
Patienten, die eine deutlich erhöhte Inzidenz primär cerebraler Lymphome haben, nimmt sowohl durch die AIDS-Ausbreitung als auch im Rahmen der erfolgreichen Langzeitbehandlung von Autoimmunerkrankungen und organtransplantierten Patienten zu. Dennoch beziehen sich die Publikationen noch immer
auf verhältnismäßig kleine Serien.
Randomisierte Studien zur Therapie der PCL wurden inzwischen begonnen, aber
noch nicht abgeschlossen. Die Literaturergebnisse sind uneinheitlich, sodass
Unsicherheit im praktischen Vorgehen besteht. Der Vorstand der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft hat beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen,
die die Literaturergebnisse und die in Deutschland vorhandenen Erfahrungen zu
einer standardisierten Empfehlung für Diagnostik und Therapie auswertet und
integriert.
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sind sich bewusst, dass die Datenlage nicht immer eindeutig gesicherte Empfehlungen zulässt, andererseits sind sie überzeugt,
dass diese Empfehlungen den heutigen Stand der Erkenntnis richtig widerspiegeln
und von daher als vorläufiger Standard in die Praxis Eingang finden sollten. Die
Empfehlungen beziehen sich nicht auf maligne Lymphome der Orbita.
Die hier u.a. zugrunde gelegten Übersichtsarbeiten finden sich im Literaturverzeichnis (2, 3, 5, 9, 12, 21, 23, 27, 29, 33, 38, 40).
B 2.2 Diagnostik (s. auch Abbildung)
Wegen des häufig raschen Tumorwachstums und der hohen Gefahr irreversibler
neuro-psychiatrischer Ausfälle ist eine schnelle Diagnostik erforderlich, um die
notwendige aggressive Therapie unverzüglich beginnen zu können. Der frühere
Ansatz einer probatorischen Glukokortikoidtherapie ist nicht mehr vertretbar,
da nur ca. 50% der Tumoren ansprechen und die bioptische Diagnostik erschwert oder vorübergehend unmöglich gemacht wird. Es ist aus diesem Grunde wichtig, schon aus den klinischen und neuroradiologischen Befunden die
Verdachtsdiagnose eines PCL zu stellen, um die Kortisongabe zu vermeiden. Vor
den Therapieempfehlungen sollen daher die klinischen und neuroradiologischen
Verdachtsmomente genannt werden, die allerdings nicht spezifisch sind und nur
hinweisenden Charakter haben.
79
CT/MRT
Verdacht auf Lymphom
Keine Kortikosteroide
ggf. Osmotherapie
Hirndruck – Massenverschiebung?
ja
nein
Spaltlampenuntersuchung
Lumbalpunktion
Negativ
Liquor- und Spaltlampenuntersuchung
Zellen im Glaskörper
1)
Positiv
Lymphom
im Liquor
Vitrektomie
Lymphom
negativ
Stereotaktische Biopsie
Lymphom
negativ
Lymphom
positiv
Lymphom
positiv
Therapie entsprechend
Histologie
Beginn der Kortikosteroidtherapie
Behandlung des Lymphoms
Hochdosierte Chemotherapie und/oder Bestrahlung des gesamten Gehirns (s. Text)
1) Da die Vitrektomie in Deutschland nicht zu den Routineverfahren gehört,
kommt alternativ die stereotaktische Biopsie in Betracht.
80
Abbildung 1. Diagnostikschema bei Patienten mit Verdacht auf primär
cerebrales Lymphom (PCL) (modifiziert nach (2)).
Klinische Verdachtsmomente
Die meisten Patienten erkranken im Alter von 50 bis 60 Jahren. Grundsätzlich
kann das PCL aber in jedem Lebensalter auftreten. Die Anamnese ist in der Regel
kurz. Am Anfang stehen oft geringe psychiatrische Auffälligkeiten, u.U. in Kombination mit Hirndruckzeichen, ca. 50% der Patienten haben fokal neurologische Ausfälle. Die Spaltlampenuntersuchung ist nach Literaturangaben in ca.
20% der Fälle positiv für Lymphom-Zellen im Glaskörper, auch wenn keine Sehstörungen vorliegen (22, 41, 42).
Neuroradiologische Verdachtsmomente
CT- und MRT-Untersuchungen sind stets ohne und mit Kontrastmittel durchzuführen.
CT: Es finden sich in 20 bis 50% der Fälle multiple, in den übrigen Fällen singuläre, meist iso- oder hyperdense, mittelliniennahe oder periventrikulär gelegene,
homogen Kontrastmittelaufnehmende Herde supratentoriell oder supra- und
infratentoriell, sehr selten nur infratentoriell. Die Herde sind scharf begrenzt, zeigen ein geringes bis mäßiges Ödem und sind meist nur wenig raumfordernd.
Charakteristisch ist, dass ein Herd Kontakt zum Liquor hat, sei es am Ventrikel
oder an der Hirnoberfläche (8, 23, 27).
MRT: Aufgrund der höheren Sensitivität werden mehr multiple Herde dargestellt. Im T1-Bild sind fast 100% der Fälle hypo- bis isointens, im T2-Bild ganz
überwiegend hyperintens (22, 45). Im Übrigen gelten die gleichen Aussagen wie
beim CT.
Therapeutische Konsequenzen bei Verdacht auf PCL
Sofern aus klinischen und neuroradiologischen Befunden die Verdachtsdiagnose
PCL zu stützen ist, sollte bis zur histologischen Sicherung auf Glukokortikoidgabe verzichtet werden und die ggf. nötige antiödematöse Behandlung mit Glyzerin oral, Glycerosteril i.v. oder Mannit i.v. durchgeführt werden. Empfehlenswert
ist eine vorläufige prophylaktische antiepileptische Behandlung.
Bioptische Diagnosesicherung
Die stereotaktische Serienbiopsie gilt als „Goldstandard” zur definitiven Diagnose eines PCL. Sie sollte schnellstmöglich angestrebt werden, wobei eine unmittelbare neuropathologische Begutachtung der Präparate während des Eingriffs
zu fordern ist. Zusammen mit der Durchführung einer Serienbiopsie wird hierdurch und durch die inzwischen routinemäßig zu fordernde immunmorphologische Aufarbeitung die diagnostische Treffsicherheit wesentlich erhöht (16, 39,
40, 46). Nur bei akut lebensbedrohlicher Raumforderung, insbesondere in der
hinteren Schädelgrube, muss eine offene operative Resektion durchgeführt werden. Eine Verbesserung der Prognose ist bei diesem radio- und chemosensiblen
Tumor durch die operative Entfernung nicht zu erreichen.
Histologisch finden sich in über 90% der Fälle hochmaligne B-Zell-Lymphome.
Ein Überwiegen reaktiver T-Zellen kann allerdings das Vorliegen der neoplastischen B-Zellen verschleiern, sodass differenzierte Untersuchungen notwendig
sind (16, 39, 40, 46).
81
Vorgehen bei schon erfolgter Glukokortikoidgabe
Einzelne Kortisongaben ändern die Situation in der Regel nicht. Bei tagelanger Vorbehandlung ist ein erneutes CT/MRT erforderlich. Bei deutlicher Rückbildung oder
komplettem Verschwinden der Läsion sollte Kortison abgesetzt und ca. zehn Tage
später erneut ein CT oder MRT durchgeführt werden, da sich erfahrungsgemäß
der Herd dann wieder darstellt bzw. vergrößert hat. Die für eine treffsichere stereotaktische Diagnostik wünschenswerte Größe beträgt mindestens 1 cm Durchmesser. Ist der Herd nach der Kortisontherapie zu diesem Zeitpunkt noch nicht nachweisbar, empfiehlt sich zunächst eine engmaschige Kontrolle alle zwei Wochen,
bis nach sechs Wochen bei den wenigen Patienten, die auf Kortison langfristig
ansprechen, auf vierteljährliche Kontrollen übergegangen werden kann.
Liquordiagnostik
Eine lumbale Liquorentnahme darf nur erfolgen, wenn akuter Hirndruck oder
zerebrale Massenverschiebung nicht vorliegen.
Die qualitative Liquorzytologie (Zytozentrifugenpräparation) ermöglicht den
Nachweis lymphoider Blasten, die ggf. immunzytochemisch als B-Zell-Abkömmlinge identifiziert werden können. In diesem Fall kann auf eine weitere histologische Sicherung verzichtet werden, wenn eine intrazerebrale Raumforderung
vorliegt, welche die obengenannten neuroradiologischen Kriterien erfüllt. Lymphom-ähnliche B-Blasten reaktiver Natur können allerdings auch bei floriden
Meningoradikulitiden, z.B. bei Neuroborreliose, auftreten und zur Fehldiagnose
eines PCL führen. In Zweifelsfällen kann per FACS-Analyse oder mit molekulargenetischen Methoden (PCR) der Nachweis der Monoklonalität der B-Zellen geführt und damit die Diagnose eines PCL gestellt werden.
Eine negative Liquorzytologie schließt ein PCL bzw. eine leptomeningeale Beteiligung keineswegs aus (2, 23). Wegen der bei PCL häufig auftretenden Reaktion
in Form von T-Lymphozyten-Infiltraten auch im Leptomeningealraum kann das
Liquorzellpräparat lediglich durch eine unspezifische Pleozytose kleiner reaktiver
T-Lymphozyten gekennzeichnet sein, welche diagnostisch nicht weiterhilft.
82
Staging-Untersuchungen
Da sich PCL auch im Verlauf in weniger als 5% der Fälle in anderen Organen manifestieren und umgekehrt Manifestationen von okkulten Non-Hodgkin-Lymphomen anderer Körperregionen im Gehirn Raritäten sind, sind ausgedehnte
Staging-Untersuchungen nicht sinnvoll (12, 22, 37). In allen berichteten Fällen
mit systemischer Manifestation eines PCL war die Primärmanifestation im ZNS
und nicht die systemische Manifestation für die Prognose entscheidend (22).
Notwendige Untersuchungen bei klinischem und bildgebendem Verdacht auf PCL:
Anamnese und körperliche Untersuchung, einschl. Lymphknotenstatus
Routinelabor
HIV-Test
Thoraxaufnahme in zwei Ebenen
Liquoruntersuchung (nicht bei akutem Hirndruck oder zerebraler Massenverschiebung!)
Spaltlampenuntersuchung des Auges
HNO-ärztliche Untersuchung, Abdomensonographie, CT des Abdomens und
des Thorax und Knochenmarkuntersuchungen u.a. sind für die Diagnostik eines
PCL in der Regel nicht hilfreich. Sie dürfen die Diagnostik des Hirntumors und
den Beginn der Therapie nicht verzögern, sondern sollen nur bei entsprechenden Vorerkrankungen oder klinischen Hinweisen bzw. zum Ausschluss von Begleiterkrankungen durchgeführt werden. Tumormarker in Serum und Liquor tragen nicht zur Diagnostik bei.
B 2.3 Therapie bei immunkompetenten Patienten
Operation
Es herrscht Konsensus in der internationalen Literatur, dass auf Grund der Effektivität der strahlen- und chemotherapeutischen Behandlung der stereotaktischen Biopsie und Probengewinnung in jedem Fall der Vorzug vor der offenen
Resektion zu geben ist. Die offene Biopsie ist nur dort gerechtfertigt, wo keine
stereotaktischen Möglichkeiten zur Diagnosesicherung in angemessener Zeit zur
Verfügung stehen, da die Prognose der Erkrankung vom raschen Beginn einer
adäquaten Therapie abhängt. In Einzelfällen können jedoch das klinische und
das weitere radiologische Bild einen anderen Tumor vortäuschen oder eine
lebensbedrohliche Raumforderung, insbesondere in der hinteren Schädelgrube,
kann zur raschen Entlastung zwingen.
Strahlen- und Chemotherapie bei Erstbehandlung
Allgemeines
PCL sind strahlen- und chemosensibel. Nach alleiniger Bestrahlung liegen die
medianen Überlebenszeiten zwischen 12 und 18 Monaten. 15–30% der Patienten überleben zwei Jahre, 3–4% fünf Jahre (35). Bei zusätzlicher Chemotherapie
mit Methotrexat, Methotrexat und Ara-C oder Procarbazin, CCNU und Vincristin
sind mediane Überlebenszeiten von 33 bis 43 Monaten berichtet worden.
60–76% der Patienten überlebten zwei Jahre, 19–35% fünf Jahre (11, 13, 14,
18, 19). In einer multizentrischen retrospektiven Studie erwies sich die hochdosierte Methotrexat-Therapie neben der Strahlentherapie als der einzige therapieabhängige prognostische Faktor (7). Die kombinierte Radiochemotherapie
primärer NHL des ZNS hat potenziell schwer wiegende Langzeitfolgen. Nach
Methotrexat-haltiger Chemotherapie und Radiotherapie besteht ein Leukoenzephalopathie-Risiko mit Entwicklung einer Demenz für alle Langzeitüberleber von
etwa 10% und ein nicht genau zu bezifferndes höheres Risiko für weniger ausgeprägte kognitive Beeinträchtigungen. Patienten über 50 Jahre haben ein Leukoenzephalopathie-Risiko von etwa 40% (1, 14, 17, 43). Nach alleiniger Chemotherapie, z.B. Hochdosistherapie mit Methotrexat, die nach den bisherigen
vorläufigen Daten ähnlich gute Ergebnisse zeigt (20, 25, 36, 43), sind solche
Komplikationen bisher nicht in nennenswertem Umfang beobachtet worden.
Zur Zeit werden weltweit verschiedene Protokolle zur primären Chemotherapie
von PCL evaluiert (20, 25, 43), darunter auch ein gemeinsames Protokoll der AIO
und NOA: „Zum Stellenwert der Ganzhirnbestrahlung in der Primärtherapie pri-
83
märer ZNS-Lymphome mit Hochdosis-Methotrexat“ – Teilnahme empfohlen.
Die kombinierte Radiochemotherapie und die alleinige Chemotherapie von PCL
sollten wegen der genannten Komplikationsmöglichkeiten (s. auch 24) und der
vielen noch offenen Fragen möglichst im Rahmen kontrollierter klinischer Studien durchgeführt werden.
Strahlentherapie
Gesicherte Erkenntnisse über die optimale Dosis liegen nicht vor. Die meisten
Autoren empfehlen eine lokale Tumordosis zwischen 50 und 54 Gy bei einer Einzeldosis von 1,8–2,0 Gy. Eine Gesamtdosis unter 40 Gy im Bereich der primären
Tumorregion ist gegenüber 50 Gy mit einer klinisch relevant verminderten lokalen Tumorkontrolle verbunden (6, 32, 34). Mit Erhöhung der Dosis im Bereich
des bildgebend sichtbaren Tumors wird keine weitere Verbesserung der Überlebensraten erreicht (34, 35). Wegen häufig multipler intrakranieller Tumormanifestationen und der Tendenz zur meningealen Mitbeteiligung empfiehlt sich eine Strahlenbehandlung des Ganzhirns unter Einschluss der Meningen.
Liegt ein okulärer Befall vor, so sollte der Bulbus beider Augen unter Schonung der
Linsen auch bei klinisch nur einseitig nachweisbarem Befall mitbestrahlt werden.
Bei positiver Liquorzytologie sollte eine Strahlenbehandlung der gesamten Neuroachse erfolgen, falls keine zusätzliche Chemotherapie durchgeführt wird und
es der Allgemeinzustand des Patienten zulässt (30). Wenn eine Chemotherapie
erfolgt, sollte auch bei positiver Liquorzytologie auf die Bestrahlung des gesamten Spinalkanals verzichtet werden, da hierdurch eine erhebliche und dauernde
Beeinträchtigung der Knochenmarkreserve verursacht wird.
Kombinierte Radiochemotherapie
Ein Standardschema kann derzeit nicht angegeben werden.
Die bisher besten Ergebnisse bezüglich der Überlebenszeit wurden bei folgendem dreistufigem Vorgehen berichtet (14):
1. Vor Bestrahlung: mittelhochdosierte systemische Methotrexat-Therapie und
intrathekale Methotrexat-Therapie
2. Bestrahlung des Cerebrums
3. Nach Bestrahlung: hochdosierte systemische Ara-C-Therapie
Trotz der günstigen Ergebnisse bezüglich der Überlebenszeit ist dieses Protokoll
wegen eines hohen Leukoenzephalopathie-Risikos bei den Langzeitüberlebenden (s. auch Allgemeines) wieder weitgehend verlassen worden.
Als weitere Protokolle kommen in Frage:
hochdosierte systemische Methotrexat-Therapie, gefolgt von Strahlentherapie (19)
Strahlentherapie, gefolgt von PCV (Procarbazin, CCNU und Vincristin) (11)
84
Chemotherapie mit nicht-schrankengängigen Zytostatika, z.B. nach dem bei
systemischem NHL wirksamen CHOP- oder CHOD-Protokoll, führt bei manifestem PCL in der Regel ebenfalls zur Remission, verlängert aber nicht die Überlebenszeit im Vergleich zu alleiniger Bestrahlung (31, 44). Methotrexat sollte nach
Strahlentherapie wegen des hohen Risikos einer Leukoenzephalopathie nicht
gegeben werden.
Primäre Chemotherapie
Die primäre alleinige Chemotherapie sollte wegen der zahlreichen offenen Fragen bezüglich Wirksamkeit und Nebenwirkungen derzeit nur im Rahmen der
laufenden klinischen Studien durchgeführt werden (20, 25, 29, 43). Das gemeinsame Protokoll der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft und der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (G-PCNSL-SG-1) beinhaltet eine
Hochdosis-Methotrexat-Therapie zur Induktion; die Anwendung der konsolidierenden Strahlentherapie bleibt der Randomisierung vorbehalten. Beim derzeitigen Stand des Wissens ist die Beteiligung an der multizentrischen Studie dringend zu empfehlen. Ansprechpartner: Prof. Dr. Thiel, Medizinische Klinik III, Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin oder PD. Dr. Weller, Neurologische Klinik,
Hoppe-Seiler-Str. 3, 72026 Tübingen.
Intrathekale Chemoprophylaxe
Sofern keine hochdosierte Methotrexat- oder Ara-C-Therapie durchgeführt
wird, ist wegen der starken und frühen Neigung zur Liquoraussaat und dem autoptisch fast in 100% der Fälle nachweisbaren leptomeningealen Befall eine intrathekale Chemoprophylaxe zu empfehlen.
Diese Therapie führt zumindest zu einem längeren tumorfreien Intervall (2). Am
besten wird diese Prophylaxe ventrikulär über ein subkutan gelegenes Ommayaoder Rickham-Reservoir mit angeschlossenem Ventrikelkatheter durchgeführt.
Die pharmakokinetischen Vorzüge und die für den Patienten weniger belastenden späteren Applikationen rechtfertigen den risikoarmen Eingriff. Bei engem
Ventrikelsystem sollte die Anlage stereotaktisch geführt erfolgen, um Fehlpunktionen zu vermeiden.
Nicht simultan, sondern vor der Bestrahlungstherapie werden 2 × pro Woche
12 mg Methotrexat oder 40 mg Ara-C gegeben. Nach der Bestrahlung sollte
noch einmal in der Woche für vier Wochen die gleiche Dosis Ara-C verabreicht
werden, Methotrexat birgt nach der Bestrahlung ein höheres Risiko einer
Leukoenzephalopathie. Ein Ausweichen auf lumbale Zytostatikagabe erscheint
möglich, ist aber pharmakokinetisch ungünstiger. Hierfür werden Dosen von
15 mg Methotrexat bzw. 40 mg Ara-C empfohlen. Wegen möglicher hämatologischer Nebenwirkungen und zur Vermeidung einer Stomatitis wird nach der
intrathekalen Methotrexat-Gabe ein Leucovorinschutz, beginnend 24 h nach
der Injektion mit 1 Tabl. à 15 mg alle 6 h für 48 h empfohlen.
Therapie von Rezidiven
Treten im Verlauf der Nachsorge maligne Zellen im Liquor auf, sind erneut die intrathekale Chemotherapie mit Ara-C 2 bis 3 × pro Woche mit 40 mg ventrikulär
oder lumbal und eine gleichzeitige systemische Chemotherapie mit hochdosiertem Ara-C oder eine PCV-Therapie notwendig. Nach einem Intervall von
mehreren Monaten kann eine ursprünglich effiziente Behandlung durchaus erneut wirksam sein.
85
Erfahrungen mit einer Hochdosisbehandlung mit Stammzell-Support wurden
noch nicht in nennenswertem Umfang mitgeteilt.
Nachsorgeempfehlungen
In den ersten zwei Jahren sind wegen der hohen Rezidivneigung routinemäßig
1/4-jährliche klinische Kontrollen, jeweils mit kranialer CT- oder MRT-Untersuchung und Liquorzytologie zu empfehlen, da der Liquor eine bevorzugte Lokalisation für Rezidive darstellt. Bei ursprünglich okulärem Befall oder auch nur geringen ophthalmologischen Beschwerden ist auch eine augenärztliche Untersuchung erforderlich.
Für weitere drei Jahre sind halbjährliche klinische Untersuchungen und kraniales
CT/MRT ohne routinemäßige Liquorzytologie zu empfehlen, ggf. mit zusätzlicher augenärztlicher Untersuchung.
B 2.4 Rehabilitation
Je nach Rehabilitationsbedürftigkeit kommt eine stationäre/teilstationäre oder
nur eine ambulante Rehabilitation im Anschluss an die Primärtherapie in Frage.
Die Rehabilitation soll ganzheitlich orientiert sein, d.h. neben der physiotherapeutischen Betreuung auch psychosoziale Hilfsangebote beinhalten.
B 2.5 PCL bei immunsupprimierten Patienten
86
Bei den wenigen Nicht-AIDS-Patienten, z.B. Transplantatempfängern, sollte eine
immunsuppressive Behandlung nach Möglichkeit abgesetzt werden, da Spontanremissionen möglich sind. Im übrigen kann die Therapie nach den oben genannten Richtlinien durchgeführt werden.
Bei AIDS-Patienten ist das differenzialdiagnostische Spektrum breiter und umfasst vor allem die ZNS-Toxoplasmose, die sich in den bildgebenden Verfahren
nicht von einem PCL unterscheidet und auch serologisch nur schwer zu diagnostizieren ist. Da Toxoplasmose-Herde wesentlich häufiger sind, ist – falls nicht im
Liquor der PCL-Nachweis gelingt – zunächst eine entsprechende Antibiose zu
empfehlen. Sofern sich der Herd innerhalb von zwei Wochen nicht zurückbildet,
sollte unverzüglich eine stereotaktische Biopsie erfolgen.
Bei Sicherung eines PCL beim AIDS-Patienten ist wegen der schlechten Prognose
mit medianen Überlebenszeiten von wenigen Monaten eine rasch einsetzende
Therapie noch bedeutsamer. Der Einsatz von Kortikosteroiden muss wegen des
zusätzlichen immunsuppressiven Effektes sparsam erfolgen. Eine Radiotherapie
sollte auch im Hinblick darauf unverzüglich eingeleitet werden (4). Die Durchführung einer systemischen Chemotherapie ist bei diesen Patienten hoch problematisch, aber verschiedene Fallberichte zeigen, dass es offenbar eine kleine
Gruppe von Patienten gibt, die hiervon profitiert (10). Diese Gruppe ist noch unzureichend definiert, sodass eine Einzelfallentscheidung nötig ist. Während somit die systemische Chemotherapie als anfänglicher Bestandteil des Therapie-
konzeptes nur in prospektiven Studien eingesetzt werden sollte, ist bei positiver
Liquorzytologie auch bei diesen Patienten eine palliative intrathekale Chemotherapie mit Methotrexat oder Ara-C zu empfehlen.
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89
Verfahren der Konsensbildung
Erstellung durch Expertengruppe „Primär Cerebrale Lymphome“ der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft (NOA) der Deutschen Krebsgesellschaft
Mitglieder
Prof. Dr. Herrmann, Medizinische Onkologie, Univ. Spital Basel
Prof. Dr. Krauseneck,Neurologische Klinik Bamberg
Priv.-Doz. Dr. Kortmann, Univ.Klinik für Strahlentherapie Tübingen
Prof. Dr. Roosen, Neurochirurgische Univ. Klinik Würzburg
Prof. Dr. Schabet, Neurologische Klinik Ludwigsburg
Prof. Dr. Schwechheimer, Inst.f. Neuropathologie, Univ. Essen
Prof. Dr. Tonn, Neurochirurgische Univ. Klinik München Großhadern
Fr. Dr. Warmuth-Metz, Abt. f. Neuroradiologie, Univ. Würzburg.
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. Feiden, Abt. f. Neuropathologie, Univ. Homburg;
Fr. Dr. Scharein, Neurologische Klinik Wittenberge;
Dr. Wick, Inst. f. Klin. Chemie, Ludwig-Maximilians-Univ. München;
Priv.-Doz. Dr. Weller, Neurolog. Univ. Klinik Tübingen.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P (Prof. Dr. R. Moll, Marburg)
AIO (Prof. Dr. K. Höffken, Jena)
ARO (Prof. Dr. J. Dunst, Halle)
ARNS (Prof. Dr H. Delbrück, Wuppertal)
Arbeitskreis Supportive Maßnahmen in der Onkologie (Prof. Dr. P. Feyer, Köln)
CAO (Prof. Dr. W. Hohenberger, Erlangen)
ADT (Prof. Dr. H. Sauer, München)
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (Prof. Dr. R. Andreesen,
Regensburg)
Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (Prof. Dr. K. Roosen, Würzburg)
Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (Prof. Dr. W.
Feiden, Homburg)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie (Prof. Dr. Th. Kirchner, Erlangen)
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (Priv.-Doz. Dr. R.-D. Kortmann;
Prof. Dr. M. Bamberg, Tübingen)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. P. Krauseneck (NOA)
Neurologische Klinik
St.-Getreu-Straße 14–18
D-96049 Bamberg
E-Mail: [email protected]
90
Aktuelle Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung: 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
91
B3
Maligne Schilddrüsentumoren
B 3.1 Diagnostik vor Primäreingriff
Notwendige Untersuchungen
Anamnese und klinische Untersuchung
Sonographie Hals
Szintigraphie (üblicherweise 99mTC-Szintigraphie zur Beurteilung der funktionellen Aktivität von Knoten)
Schilddrüsenfunktionsparameter
Röntgen Thorax in zwei Ebenen
Stimmbandbeweglichkeit
Serumkalzium
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Feinnadelpunktion (s.u.)
Calcitonin im Serum, CEA
Halslymphknotenexstirpation
Abklärung MEN (Multiple endokrine Neoplasie) II-Syndrom (Nebenniere? Nebenschilddrüse?)
Magnetresonanztomographie (MRT) oder CT ohne Kontrastmittel, ggf. Oesophagus-Breischluck, Trachea-Zielaufnahmen bei Verdacht auf organüberschreitendes Wachstum
Diagnostik zum Ausschluss von Fernmetastasen
Prätherapeutische morphologische Diagnostik
Wünschenswert ist die Feinnadelpunktion, die mit hoher Sensitivität die Unterscheidung zwischen benignen und malignen kalten Knoten der Schilddrüse und
unter Umständen auch bereits eine spezifische Tumorklassifikation (z.B. papilläres Karzinom) erlaubt und Zweiteingriffe vermeidet. Ein negativer Befund
schließt ein Karzinom nicht aus. Dies gilt insbesondere für follikuläre Tumoren
(follikuläres Adenom versus follikuläres Karzinom), deren Dignität zytologisch
nicht bestimmbar ist. Aus diesem Grund beschränkt sich die zytologische Diagnostik hierbei auf die Feststellung einer „follikulären Neoplasie“, ein Befund, der
in aller Regel die operative Abklärung zur Konsequenz hat.
B 3.2 Therapie
92
Primärtherapie
Regeleingriff ist die (totale) Thyreoidektomie mit zentraler Lymphknotendissektion unter Identifizierung der Nn. recurrentes inferiores und Erhaltung mindestens
einer Nebenschilddrüse.
Die Thyreoidektomie ist indiziert bei:
1. papillärem Karzinom mit einem Durchmesser von mehr als 1 cm (ab T 2) sowie
multifokalem papillären Karzinom jeder Größe (jedes T mit Zusatz b)
2. follikulärem Karzinom
3. medullärem Karzinom
4. undifferenziertem Karzinom, sofern kein organüberschreitendes Wachstum
vorliegt (s.u.)
Ausnahmen
1. Bei papillärem Karzinom mit einem größten Durchmesser von 1 cm oder weniger (pT1a) und fehlendem Hinweis auf Lymphknotenmetastasen ist die Lobektomie oder Hemithyreoidektomie onkologisch adäquat.
2. Bei nach subtotaler Schilddrüsenresektion zufällig gefundenem papillärem
Mikrokarzinom bis 1 cm (pT1a) ist eine Nachoperation nicht erforderlich,
sofern der Tumor im Gesunden reseziert ist und keine Hinweise auf Lymphknotenmetastasen bestehen.
3. Bei gekapseltem follikulärem Karzinom mit einem Größendurchmesser von
1 cm oder weniger (pT1a), das postoperativ nach Lobektomie oder subtotaler
Resektion nachgewiesen wird, ist unklar, ob die komplette Entfernung des
restlichen Schilddrüsengewebes die Prognose verbessert.
Lymphknotendissektion
Das Lymphabflussgebiet der Schilddrüse kann in ein zentrales, laterales und mediastinales Kompartiment unterteilt werden (Abbildung 1).
Zentrales Kompartiment: Nr. 1, 2, 8 (bei der zentralen Lymphknotendissektion
werden nur die Lymphknoten der Gruppe 8 entfernt).
Laterales Kompartiment: Nr. 3–7.
Mediastinales Kompartiment nicht abgebildet.
1. Zentrale Lymphknotendissektion (Lymphknotengruppen Nr. 1, 2 und 8,
Abbildung1)
Die Thyreoidektomie wegen eines Karzinoms schließt die zentrale Lymphknotendissektion ein. Dabei werden die perithyreoidalen, prälaryngealen und prätrachealen isthmusnahen Lymphknoten (Nr. 8) entfernt; die submentalen (Nr. 1)
und submandibulären (Nr. 2) Lymphknoten werden nicht prophylaktisch entfernt.
2. Laterale Lymphknotendissektion (Lymphknotengruppen Nr. 3–7, Abbildung1)
Papilläres und follikuläres Karzinom
Bei palpablen oder sonographisch verdächtigen lateralen Halslymphknoten
erfolgt die systematische, ipsilaterale, ggf. auch kontralaterale Dissektion der
lateralen Halslymphknoten.
Wegen der Häufigkeit von Lymphknotenmetastasen bei fortgeschrittenem differenziertem Karzinom (T3/4) (65–90%) (6) wird von manchen Autoren (5) die ipsilaterale Lymphknotendissektion unabhängig vom Palpations- und Sonographiebefund empfohlen.
93
2
2
1
2
3
6
3
8
8
4
5
8
7
Abbildung 1. Einteilung der Halslymphknoten (aus (7)).
3. Mediastinale Lymphknotendissektion
Die mediastinale Lymphknotendissektion erfolgt befundabhängig (nicht prophylaktisch) und umfasst die oberen tracheooesophagealen Lymphknoten und den
Thymus mit den anliegenden Lymphknoten (anteriore mediastinale Lymphknoten).
Medulläres Karzinom
Bei sporadischem und familiärem medullärem Karzinom erfolgt zusätzlich zur
zentralen Dissektion obligat die beidseitige systematische laterale Halslymphknotendissektion.
Ausnahme:
Bei allein durch Genscreening identifizierten Patienten erfolgt lediglich die Thyreoidektomie mit oder ohne Lymphknotendissektion in Abhängigkeit von Alter,
Mutation und pentagastrinstimuliertem Calcitoninspiegel.
94
Multiviszerale Eingriffe
Bei Invasion von Nachbarstrukturen durch differenzierte Schilddrüsenkarzinome
kann eine Mitresektion indiziert sein, wenn hierdurch eine vollständige Tumorentfernung (R0-Resektion) erreichbar wird (Oesophagus, Trachea, Gefäße).
Bei organüberschreitendem undifferenzierten Karzinom sollte nach histologischer Sicherung der Diagnose eine multimodale Therapie erfolgen (s.u.).
Intraoperative Schnellschnittdiagnostik
Follikuläre Neoplasien
Die intraoperative Unterscheidung follikuläres Adenom versus follikuläres Karzinom setzt den definitiven Nachweis eines Kapseldurchbruchs und/oder einer
Gefäßinvasion voraus.
Da dieser Nachweis häufig erst nach kompletter Aufarbeitung der follikulären
Tumoren im Paraffinschnitt gelingt, muss die endgültige Dignitätsbestimmung
follikulärer Tumoren auch im Schnellschnitt häufig offenbleiben.
Nichtfollikuläre Tumoren
Die Dignitätsbestimmung und Klassifizierung nichtfollikulärer Schilddrüsentumoren ist im Schnellschnitt in aller Regel unproblematisch; dennoch können sich
differenzialdiagnostische Probleme ergeben, die zusätzliche immunhistologische
Untersuchungen notwendig machen und damit erst postoperativ erfolgen können. Dies betrifft unter anderem die Abgrenzung niedrig differenzierter Follikelzellkarzinome gegenüber malignen Lymphomen und medullären Karzinomen
oder die Abgrenzung hellzelliger Schilddrüsenkarzinome von Metastasen eines
klarzelligen Nierenzellkarzinoms.
Postoperative pathohistologische Diagnostik
Vom Alter und von einzelnen klinischen Parametern abgesehen wird die Prognose maligner Schilddrüsentumoren im Wesentlichen von histomorphologischen
Parametern bestimmt. An die postoperative histologische Aufarbeitung sind
deshalb folgende Minimalanforderungen zu stellen:
1. Klassifizierung der Tumoren nach den Richtlinien der WHO (2), gegebenenfalls unter Einbeziehung spezifischer immunhistochemischer Untersuchungen.
2. pT-Klassifikation nach den Richtlinien der UICC (7). Hierbei kommt unter prognostischen wie auch therapeutischen Gesichtspunkten dem organüberschreitenden Tumorwachstum eine besondere Bedeutung zu, sodass diese
Frage bei der Aufarbeitung bzw. histopathologischen Beurteilung besonders
berücksichtigt werden muss. Stets ist nach Multifokalität durch eine ausreichend repräsentative Aufarbeitung des Operationspräparates zu fahnden.
3. Vollständigkeit der lokalen Tumorentfernung (Untersuchung der Resektionsflächen) zur Festlegung der R-Klassifikation.
4. Beschreibung des Wachstumsverhaltens, wobei zwischen minimal invasiven
(gekapselten) Tumoren und grob invasiven (nicht-gekapselten) Tumoren unterschieden werden soll (2).
95
5. Unter diagnostischen und therapeutischen Aspekten ebenfalls wichtig ist der
Tumorzelltyp, da sich gezeigt hat, dass sowohl oxyphile wie auch hellzellige
Karzinome bzw. deren gleichartig differenzierte Metastasen keine oder nur eine deutlich reduzierte Radiojodspeicherung aufweisen. Eine entsprechende
Subtypisierung der differenzierten Karzinome ist deshalb vorzunehmen. Der
Begriff des Hürthle-Zell-Tumors bzw. -Karzinoms soll entsprechend den Richtlinien der WHO-Klassifikation nicht mehr gebraucht werden.
6. Die prognostische Relevanz eines Gradings differenzierter Schilddrüsenkarzinome ist nach wie vor umstritten und gehört zur Zeit nicht zum Standard einer histopathologischen Beurteilung.
7. Bei erfolgter Lymphknotendissektion erfolgt eine pN-Klassifikation nach
UICC. Die Lymphknoten sind getrennt nach zentralem, lateralem und mediastinalem Kompartiment zu untersuchen und die Zahl der jeweils untersuchten
und befallenen Lymphknoten ist anzugeben. Eine verlässliche pN0-Diagnose
erfordert die histologische Untersuchung von mindestens sechs regionären
Lymphknoten (7).
Radiojodtherapie (RIT)
Ziel der Radiojodtherapie nach totaler Thyreoidektomie ist neben der Ablation
von evtl. noch vorhandenem restlichen Schilddrüsengewebe (z.B. Lobus pyramidalis) der Nachweis bzw. Ausschluss von speichernden Lymphknoten- und Fernmetastasen und deren Behandlung mit kurativer oder palliativer Intention.
Keine Indikation zur RIT stellen das paplläre Mikrokarzinom (pT1a N0); Durchmesser < 1,0 cm) nach eingeschränkter radikaler Operation sowie das medulläre
und anaplastische Karzinom dar.
Kontraindikationen
Gravidität (die bei Frauen im gebährfähigen Alter durch einen Schwangerschaftstest auszuschließen ist) und Stillperiode.
Nach RIT Kontrazeption für sechs bis 12 Monate!
96
Die vorbereitende Diagnostik erfolgt drei bis vier Wochen nach der Thyreoidektomie. Dabei soll der basale TSH-Spiegel über 30mU/I liegen, zwischenzeitlich
sind Hormonsubstitution bzw. Applikation jodhaltiger Medikamente oder Kontrastmittel zu vermeiden.
Diagnostik vor RIT:
Zwischenanamnese und klinische Untersuchung
Labor: Thyreoglobulin mit Wiederfindung, Thyreoglobulin-Antikörper Immunoassay, Blutbild, Kalzium
Hals-Sonographie
Radiojodtest (131I: 10–20 MBq):
– mit Uptake-Messung nach 24 Std. (bei einem Uptake >20% sollte eine
Reoperation diskutiert werden!)
– mit Szintigraphie der Halsregion; bei Verdacht auf Fernmetastasen Ganzkörperszintigraphie unter Verwendung höherer 131I-Aktivitäten.
Durchführung
In Deutschland ist die RIT nach Richtlinien Strahlenschutz in der Medizin (3)
grundsätzlich nur unter stationären Bedingungen möglich.
Aktivitätsbemessung:
– Zur Ablation von Restgewebe Standardaktivität (1–3 GBq 131I) oder individuelle Aktivitätsabschätzung (nach Marinelli) für eine Herddosis > 300 Gy.
– RIT von Lokalrezidiven, Lymphknoten-, Frenmetastasen, inoperablen sowie
nicht vollständig operablen Tumoren, Standardaktivität (5–8 GBq 131I) oder
individuelle Aktivitätsabschätzung für eine Herddosis > 500 Gy.
Orale Applikation als Kapsel: Nahrungskarenz: mindestens sechs Stunden vor
und eine Stunde nach Applikation.
Messung der Kapselaktivität unmittelbar vor Applikation (3).
Tägliche intratherapeutische Aktivitätsbestimmung des Patienten zur Dosimetrie.
Ganzkörperszintigraphie zum endgültigen Staging (am Entlassungstag, jedoch nicht früher als 72 Stunden nach Applikation).
Begleitende Maßnahmen:
Reichlich Flüssigkeitszufuhr
Bei Obstipation Laxanziengabe (insbesondere vor Ganzkörperszintigraphie)
Stimulation der Speicheldrüsen (z.B. mit Zitronensaft)
Magenschleimhautschutz
Eiskrawatte bzw. Antiphlogistika (bei entzündlichen Reaktionen im Halsbereich)
Wegen der höheren Aktivitäten spielen begleitende Maßnahmen bei der Metastasentherapie eine besondere Rolle; beim Vorliegen von zerebralen und spinalen
Metastasen mit lokaler Kompressionsgefahr empfiehlt sich die Gabe von Kortikosteroiden.
Nebenwirkungen
Frühe (acht bis 14 Tage nach Abschluss der RIT):
Lokale schmerzhafte Schwellung der Restschilddrüse, des Tumors bzw. der
Metastasen (Häufigkeit 10–20%, abhängig von der Gewebsmasse)
Passagere Gastritis (Häufigkeit ca. 30%)
Passagere Knochenmarkveränderungen mit Thrombo-/Leukopenie (Häufigkeit bis zu 70%, abhängig von der Therapieaktivität)
Radiogene Sialadenitis (Häufigkeit ca. 30%)
Späte:
Sicca-Syndrom (Häufigkeit 10–20%)
Knochenmarksdepression (Häufigkeit abhängig von der kumulativen Aktivität; sehr selten)
Leukämie mit einer Latenz von fünf und mehr Jahren (Häufigkeit abhängig
von der kumulativen Therapieaktivität: ca. 1%)
97
Lungenfibrose bei speichernden Metastasen (Häufigkeit abhängig vom Ausmaß der pulmonalen Speicherung und von der kumulativen Therapieaktivität
ca. 1%)
Azoospermie (sehr selten; Häufigkeit abhängig von der kumulativen Therapieaktivität)
Perkutane Strahlentherapie
Eine perkutane Strahlentherapie ist indiziert
1. nach Thyreoidektomie eines auf die Schilddrüse beschränkten undifferenzierten Karzinoms;
2. nach Verbleiben eines mikroskopischen oder makroskopischen Tumorrests
(R1- oder R2-Resektion) eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms, wenn
die operative Entfernung (Reoperation) und/oder eine Ausschaltung mit Radiojod nicht möglich sind.
In der Regel wird eine Referenzdosis von 50–60 Gy im Bereich der regionalen
Lymphabflusswege und 60–66 Gy im primären Tumorausbreitungsgebiet, dem
sog. „Schilddrüsenbett“ verabreicht. Der obere Dosiswert gilt bei makroskopischem Tumorrest im jeweiligen Zielvolumen.
Adjuvante perkutane Strahlentherapie
Nach R0-Resektion und adäquater Radiojodtherapie differenzierter Karzinome
ist in der Regel eine adjuvante perkutane Strahlentherapie nicht erforderlich.
Sollte sie in Studien erwogen werden, ist ein negativer szintigraphischer Befund
Voraussetzung. Nach operativer Therapie des medullären Karzinoms ist die
Wirksamkeit einer adjuvanten perkutanen Strahlentherapie nicht erwiesen.
Primäre Non-Hodgkin-Lymphome der Schilddrüse
Primäre Non-Hodgkin-Lymphome der Schilddrüse werden nach histologischer
Sicherung in Abhängigkeit von klinischem Stadium und Malignitätsgrad des
Lymphoms behandelt. Bei niedrigmalignen Lymphomen des klinischen Stadiums
CS IE und CS IIE empfiehlt sich eine Strahlentherapie (30–40 Gy), bei hochmalignen Lymphomen die Kombination von Polychemotherapie (4–6 × CHOP) und
Strahlentherapie.
98
Therapie des lokoregionären Rezidivs
Bei Lymphknoten- oder Lokalrezidiv sollte primär die chirurgische Behandlung
angestrebt werden. An den Wiederholungseingriff schließt sich die Radiojoddiagnostik und bei Nachweis speichernden Gewebes eine Radiojodtherapie an.
Beim progressiven, irresektablen oder nicht vollständig resezierten nicht speichernden Lokalrezidiv ist eine perkutane Strahlentherapie oder im Einzelfall eine
Chemotherapie (s.u. Fernmetastasen) oder Radiochemotherapie in Abstimmung
mit einem Zentrum zu erwägen.
Zur Zeit wird in einer multizentrischen prospektiven randomisierten Studie der
Stellenwert adjuvanter perkutaner Strahlentherapie beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom im Stadium pT4 geprüft (http://medweb.uni-muenster.de/institute/nuklear/msds).
Therapie von Fernmetastasen
Bei singulären Fernmetastasen in Knochen, Lunge oder Leber ist die vollständige
operative Entfernung anzustreben. Sofern Inoperabilität besteht, erfolgt beim
papillären und follikulären Karzinom bei Jodspeicherung eine Radiojodtherapie.
Bei fehlender oder unzureichender Radiojodspeicherung kann der Versuch einer
perkutanen Strahlentherapie unternommen werden, sofern Beschwerden bestehen. Auch bei symptomatischen Fernmetastasen des medullären Schilddrüsenkarzinoms ist die perkutane Strahlentherapie indiziert. Je nach Lokalisation
der Metastasen können Bestrahlungsdosen von 30 Gy (10 × 3Gy) in zwei
Wochen oder 45–50 Gy (25 × 1,8–2 Gy) in fünf Wochen verabreicht werden.
Bei diffuser Metastasierung kann im Einzelfall in Abstimmung mit einem Zentrum eine Mono- oder Kombinations-Chemotherapie oder auch eine Radiochemotherapie verabreicht werden. Bei Patienten mit diffusen Metastasen eines papillären oder follikulären Karzinoms, kann im Einzelfall bei fehlender Radiojodspeicherung eine Monotherapie mit Doxorubicin verabreicht werden. Der Effekt
anderer Substanzen (Cisplatin, Carboplatin, Etoposid) ist deutlich geringer. Bei
Patienten mit diffuser Metastasierung eines anaplastischen Karzinoms kommt
der Chemotherapie größere Bedeutung zu. Hier hat sich die Kombination von
Doxorubicin und Cisplatin bzw. Etoposid der alleinigen Verabreichung von
Doxorubicin als überlegen erwiesen.
Zur Zeit wird eine multizentrische prospektive randomisierte Studie zum Stellenwert der Redifferenzierungstherapie mit Retinsäure bei Patienten mit metastasiertem differenzierten Karzinom und unzureichender Radiojodspeicherung
durchgeführt (Info: [email protected])
Zur symptomatischen Therapie einer calcitoninbedingten Diarrhö empfiehlt sich
Octreotide (Sandostatin) 3 × 100–3 × 400 µg/die s.c.
Multimodale Therapie beim undifferenzierten Karzinom
Bei organüberschreitendem undifferenzierten Karzinom sollten die Patienten
nach Diagnosesicherung einem multimodalen Therapiekonzept (Radiochemotherapie und Operation) zugeführt werden.
Diese multimodalen Konzepte sollten möglichst an Zentren mit entsprechenden
Erfahrungen durchgeführt werden.
B 3.3 Nachsorge
Medikamentöse Therapie
Bei papillärem und follikulärem Karzinom erfolgt die Gabe von Levothyroxin in
TSH-suppressiver Dosierung (basaler TSH-Spiegel 0,1–0,2 mU/l bzw. niedrig normal bei nicht differenziertem Karzinom) lebenslang. Bei medullärem Karzinom
und anaplastischem Karzinom ist die Substitutionsdosis richtig gewählt, wenn
das basale TSH im Normbereich liegt. Erfahrungswert: 150–200 µg Levothyroxin
pro Tag (2 µg/kg).
99
Nachsorge bei differenzierten Karzinomen
Die Nachsorge differenzierter Schilddrüsenkarzinome sollte risikoorientiert und
lebenslang durchgeführt werden. Ein mögliches Schema zeigt die Tabelle 1. Das
halbjährlich, nach fünf Jahren jährlich, durchzuführende Basisprogramm umfasst:
Anamnese, klinischen Befund, Sonographie des Halsbereiches und die Bestimmung des Thyreoglobulinspiegels und der Thyreoglobulinantikörper.
Die 131Jod-Ganzkörperszintigraphie erfolgt drei bis vier Monate nach der
Radiojodtherapie sowie ein Jahr danach. Nur bei Patienten mit erhöhtem Risiko
wird gegebenenfalls ein 131Jod-Ganzkörperszintigramm etwa alle zwei Jahre
empfohlen werden.
Bei Tg-Anstieg dienen zur Lokalisation des Rezidivs 131Jod-Ganzkörperszintigraphie, Sonographie und Computertomographie von Hals und Thorax, die Sonographie des Abdomens und die 18F-FDG-PET oder 99mTc-MIBI-Szintigraphie.
Tabelle 1. Risikoorientierte Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms (nach (1)).
Niedriges Risiko
(75% der Patienten)
Hohes Risiko
(25% der Patienten)
pT1–T3 pN0 M0a
pT1–T3 pN1 M0a
pT4 jedes pN jedes Ma
jedes pT jedes pN M1a
Nach Beweis der vollständigen Ablation durch zweimaligen 131I-Scan
Basisprogramm
Alle 6 Monate, ab 5. Jahr jährlich
Klinik
Sonographie
Tg unter T4
Basisprogramm
alle 6 Monate, ab 5. Jahr jährlich
Klinik
Sonographie
Tg unter T4
Röntgen Thorax
Alle 2 Jahre
Röntgen Thorax
alle 2 Jahre
131
I-Ganzkörperszintigraphie
einschl. Tgb
131
Nach 3–4 Monaten und 1 Jahr nach
der Radiojodtherapie bzw. dem
letzten 131I-Scan
regelmäßig alle 1–2 Jahre
a
b
100
I-Ganzkörperszintigraphie
einschl. Tgb
Die TNM-Klassifikation wurde angepasst, aktuelle Daten liegen nicht vor.
Die Ganzkörperszintigraphie erfolgt zwei bis vier Tage nach Applikation von
100–300 MBq 131I, entweder in Hypothyreose (TSH>30 mU/I) nach Hormonkarenz oder nach exogener Stimulation mit rekombinantem TSH (rhTSH).
Nachsorge bei medullärem Karzinom
Nach Operation eines medullären Karzinoms muss eine hereditäre Form durch
molekulargenetische Untersuchung belegt oder ausgeschlossen werden und
beim betroffenen Patienten die Suche nach assoziierten Endokrinopathien
(Phäochromozytom, primärer Hyperparathyreoidismus) erfolgen.
Die Nachsorge bei medullärem Karzinom schließt in der Verlaufskontrolle die
Bestimmung des Calcitoninspiegels und des CEA-Werts im Serum ein. Bei
Anstieg der Tumormarker kann die weitere Abklärung durch 18F-FDG-PET oder
111
In-Octreotid-Szintigraphie, bei V.a. Lebermetastasen die MRT des Abdomens
erfolgen.
B 3.4 Rehabilitation
Den Patienten sollte vor der Entlassung aus der Primärtherapie mitgeteilt werden, wo, wann und welche Nachsorgeuntersuchungen erfolgen müssen.
Über die Notwendigkeit stationärer Rehabilitationsmaßnahmen sollte individuell
entschieden werden. Eine Indikation kann z.B. gegeben sein bei Bewegungseinschränkungen nach Halslymphknotendissektion oder schwieriger Hormonsubstitution nach Thyreoidektomie oder psychosozialen Problemen.
Im Allgemeinen sind die Patienten nach abgeschlossener Wundheilung und bei
gut eingestellter Hormonsubstitution, sofern kein Hinweis auf ein Rezidiv besteht, wieder voll arbeitsfähig. Zu einer Rente – auch einer Rente auf Zeit – sollte
nur dann geraten werden, wenn die Auswirkungen der Thyreoidektomie so erheblich sind, dass eine Tätigkeit in dem ausgeübten Beruf nicht mehr möglich ist
oder eine die Leistungsfähigkeit beeinflussende Metastasierung vorliegt.
Der Grad der Behinderung (GdB) ist nach den Funktionsstörungen zu bemessen.
Besonders bei jungen, in der Ausbildung befindlichen Patienten sollte jedoch auf
die Möglichkeit langfristiger Nachteile von „Vergünstigungen“ für Schwerbehinderte hingewiesen werden (z.B. Schwierigkeiten, eine neue oder eine andere
Arbeitsstelle zu finden).
Literatur
1 Börner W, Riners Chr (1987) Schilddrüsenmalignome. Diagnostik, Therapie
und Nachsorge. Schattauer, Stuttgart New York, p 176
2 Hedinger Chr (1988) Histological typing of thyroid tumours. 2nd ed. WHO
International Histological Classification of Tumours. Springer, Berlin Heidelberg New York
3 Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin (1992) GMBI 40: p 991
4 Röhrer HD, Simon D. Witte J, Goretzki PE (1993) Principles of limited or radical surgery for differentiated thyroid cancer. Thyroidol Clin Exp 5: 93
5 Simon D (1997) Von limitierter bis erweiterter Radikalität der Operation beim
Schilddrüsenkarzinom. In: Roth SL, Ackermann R, Aul C, Bender H-G, Göbel
U, Müller-Gärtner HW, Röher H-D (Hrsg) Klinische Onkologie ´97. Hans
Huber, Bern, pp 347–352
101
6 UICC (2001) TNM supplement 2nd ed. A commentary on uniform use. Wittekind Ch, Henson DE, Hutter RVP, Sobin LH (eds). John Wiley and Sons, New
York
7 UICC (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren. 5. Aufl. Wittekind Ch,
Wagner G (Hrsg). Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Verfahren der Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der
Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
Mitglieder der Expertengruppe waren
Prof. Dr. H. Delbrück, Wuppertal (ARNS); Prof. Dr. H. Dralle, Halle (CAEK);
Prof. Dr. F.W. Eigler, Essen (CAO); Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Pathologie);
Prof. Dr. P. Georgi, Heidelberg (Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin);
Prof. Dr. P.E. Goretzki, Düsseldorf (CAO); Prof. Dr. D.K. Hossfeld, Hamburg (AIO);
Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO, Pathologie); Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz
(CAO); Prof. Dr. H.-J. Meyer, Solingen (CAO); Prof. Dr. K. Mann, Essen (Deutsche
Gesellschaft für Endokrinologie); Prof. Dr. H. Pichlmaier, Köln (CAO);
Prof. Dr. H.D. Röher, Düsseldorf (CAO); Prof. Dr. G. Schmitt, Düsseldorf (ARO);
Prof. Dr. M.H. Seegenschmidt, Essen (ARO); Prof. Dr. W. Stock, Düsseldorf (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. med. H.G. Beger, Ulm (CAO)
Prof. Dr. med. M. Rothmund, Marburg (CAO)
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, Chirurgische Arbeitsgemeinschaft
für endokrine Chirurgie (CAEK);
Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie, Sektion Schilddrüse
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie
Deutsche Röntgengesellschaft
102
Bei der Aktualisierung 1999 haben weiter mitgewirkt
Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. E. Moser, Freiburg i. Brsg.
(Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin)
Arbeitsausschuss „Klinisches Qualitätsmanagement“ der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin: Prof. Dr. Dr. O. Schober (Sprecher)
Arbeitsgemeinschaft „Schilddrüse“ der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin: Prof. Dr. Chr. Reiners (Sprecher), Dr. med. M. Dietlein, Prof. Dr. J. Farahati,
Prof. Dr. H. Schicha
Arbeitsgemeinschaft „Therapie“ der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin: Prof. Dr. B. Leisner (Sprecher), Prof. Dr. J. Dressler
Prof. Dr. G. Brabant, Hannover (Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie)
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin (DGN)
Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: November 1998
Zweite Fassung: November 1999
103
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
104
Thorax
C
105
106
C1
Therapie des kleinzelligen
Lungenkarzinoms
Die hohe Proliferationsrate (Tumorverdopplungszeit zehn bis 50 Tage) und die
frühzeitige Disseminationstendenz bedingen für das unbehandelte kleinzellige
Lungenkarzinom eine sehr ungünstige Prognose mit einer mittleren Überlebenszeit von drei bis fünf Monaten und einer Einjahres-Überlebensrate von etwa 4%.
Das heterogene Tumorwachstum mit der schnellen Selektion therapieresistenter
Zelllinien und die sich daraus ergebende ausgeprägte Neigung zu Rezidiven
erfordern frühzeitige und intensive interdisziplinäre Therapiemaßnahmen (2, 5).
Zur Definition der Stadieneinteilung und für die Therapieentscheidung ist ein diagnostisches Programm erforderlich, welches sich an den therapeutischen Konsequenzen zu orientieren hat. Es schließt in Ergänzung zur kompletten Krankengeschichte und körperlichen Untersuchung des Patienten die Thoraxröntgenübersicht in zwei Ebenen, ein komplettes Blutbild und chemisches Profil inklusive
Leber und Nierenfunktionstests, LDH und Elektrolyte sowie eine Computertomographie des Thorax und oberen Abdomens ein. Zusätzliche Untersuchungen,
um das Stadium zu bestätigen oder auszuschließen, Limited Disease bei Patienten mit Symptomen oder metastasenverdächtigen Befunden sind die Skelettszintigraphie, eine Computertomographie des Gehirns und die Knochenmarkbiopsie. Wenn eine dieser Untersuchungen ein positives Ergebnis liefert, ist das
Stadium Extensive Disease bestätigt. Nach den Minimalforderungen der ESMO
(3) wären dann weitere Untersuchungen nicht erforderlich.
C 1.1 Stadieneinteilung und Prognosefaktoren
Die Tumorausbreitung bei Behandlungsbeginn stellt den wesentlichsten prognose-bestimmenden Parameter dar. Beim kleinzelligen Lungenkarzinom wurde von
der Veterans Administration Lung Cancer Study Group (VALG) (11) für die klinische Anwendung, da die Tumorausdehnung häufig schon bei Diagnosestellung
Tabelle 1. Stadieneinteilung der VALG (11).
Limited Disease (LD):
Der Tumor ist auf einen Hemithorax begrenzt, obwohl eine lokale Ausdehnung möglich ist
Keine extrathorakalen Metastasen mit Ausnahme möglicher ipsilateraler und
supraklavikulärer Lymphknoten, wenn sie in das gleiche Strahlenfeld wie der
Primärtumor eingeschlossen werden können
Extensive Disease (ED):
Jede Ausbreitung über Limited Disease hinaus
107
Tabelle 2. Stadieneinteilung der IASLC (8).
Limited Disease (LD):
Der Tumor ist auf einen Hemithorax begrenzt
mit oder ohne ipsilaterale oder kontralaterale mediastinale oder supraklavikuläre Lymphknotenmetastasen
mit oder ohne ipsilateralen Pleuraerguss unabhängig vom zytologischen Befund
Extensive Disease (ED):
Jede Ausbreitung über Limited Disease hinaus
Tabelle 3. Stadieneinteilung nach der Marburger Klassifikation (10)
Very Limited Disease (VLD)
Primärtumor von Lungengewebe oder viszeraler Pleura umgeben mit maximal
partialer Atelektase
Kleiner Winkelerguss ohne maligne Zellen
Lymphknotenbefall hilär ipsilateral
Limited Disease (LD)
Primärtumor mit Thoraxwand-, mediastinaler Pleura-, oder Diaphragmainfiltration
Totalatelektase einer Lunge
Lymphknotenbefall mediastinal ipsi- oder kontralateral sowie kontralateral
hilär
Extensive Disease I (ED I)
Primärtumor mit Herz-, Oesophagus-, oder Wirbelsäuleninfiltration
Maligner Perikarderguss
Maligner Pleuraerguss
Rekurrens-, Phrenicusparese
Vena Cava Superior-Syndrom
Lymphknotenbefall supraklavikulär ipsi- oder kontralateral
Extensive Disease IIa (ED IIa)
Hämatogene Fernmetastasen in einem Organ einschließlich kontralateraler
Lungenbefall
Extensive Disease IIb (ED IIb)
Hämatogene Fernmetastasen in mehr als einem Organ
108
weiter fortgeschritten ist, eine Einteilung in das auf einen Hemithorax begrenzte
Stadium „Limited Disease“ (25–30%) und das Stadium „Extensive Disease“
(60–70%) mit schon weitergehender Metastasierung vorgeschlagen (Tabelle 1).
Später wurden von der IASLC (8) und einer deutschen Studiengruppe (10) Modifikationen dieser Stadieneinteilung vorgeschlagen, die ebenfalls eine weite Verbreitung fanden.
In Zukunft werden diese Einteilungen zu Gunsten der TNM-Klassifikation verlassen werden (Tabelle 4 a+b). Da sie jedoch gegenwärtig eine sehr häufige Verwendung finden, werden sie aufgeführt und in Bezug auf die verschiedenen
Stadien nach dem TNM-System dargestellt (Tabelle 5). Die letzte Fassung der
TNM-Klassifikation (9) wurde auch im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit beim
kleinzelligen Karzinom konzipiert. Weiteren häufig schon prätherapeutisch einfach zu erfassenden klinischen und serologischen Parametern kommt ein teils
gesicherter, teils wahrscheinlicher Einfluss auf die Krankheitsprognose zu (4).
Außerdem beeinflusst das Ansprechen auf die Therapie wesentlich die Prognose
der Patienten.
Tabelle 4 a. Kurzfassung TNM (9).
Stadiengruppierung
TX Positive Zytologie
T1 ≤ 3 cm
T2 > 3 cm, Hauptbronchus ≥ 2 cm von der Carina, Invasion von viszeraler Pleura, partielle Atelektase
T3 Brustwand, Zwerchfell, Perikard, mediastinale Pleura, Hauptbronchus
< 2 cm von der Carina, totale Atelektase
T4 Mediastinum, Herz, große Gefäße, Carina, Trachea, Oesophagus, getrennte
Tumorherde im selben Lappen, maligner Erguss
N1 Ipsilaterale peribronchiale/hiläre Lymphknoten
N2 Ipsilaterale mediastinale/subcarinale Lymphknoten
N3 Kontralaterale mediastinale, hiläre, ipsi- oder kontralaterale Skalenus- oder
supraklavikuläre Lymphknoten
M1 Fernmetastasen, einschließlich getrennter Tumorherde in einem anderen
Lappen
109
Tabelle 4 b. Stadiengruppierung der UICC (9).
Okkultes Karzinom
Stadium 0
Stadium IA
Stadium IB
Stadium IIA
Stadium IIB
Stadium IIIA
Stadium IIIB
Stadium IV
TX
Tis
T1
T2
T1
T2
T3
T1
T2
T3
T4
jedes T
jedes T
N0
N0
N0
N0
N1
N1
N0
N2
N2
N1, N2
jedes N
N3
jedes N
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M1
Tabelle 5. Vergleich verschiedener Stadieneinteilungen beim kleinzelligen Lungenkarzinom.
UICC
(1997)
VALG
(1973)
IASLC
(1989)
Wolf u. Havemann
(1995)I
I
immer LD
immer LD
immer VLD
IIA
immer LD
immer LD
immer VLD
IIB
teils LD,
teils ED
immer LD
teils VLD, teils LD
IIIA
teils LD,
teils ED
immer LD
meist LD,
selten EDI
IIIB
meist ED
z.T. auch LD
überw. LD
selten ED
teils LD
teils EDI
IV
immer ED
immer LD
ED II
(LD = Limited Disease, ED = Extensive Disease,
VDL = Very Limited Disease, EDI = Extensive Disease I,
EDII = Extensive Disease II).
110
C 1.2 Therapie
Wegen seiner schnellen Zellproliferation und der Tendenz zur frühzeitigen lymphogenen und hämatogenen Metastasierung sowie der hohen Sensibilität gegenüber der Chemotherapie stellt diese die führende Behandlungsmodalität
dar. Bei noch lokoregionärer Ausdehnung werden lokale Therapieverfahren wie
die Radiotherapie (Stadien I–III) und die chirurgische Behandlung (Stadien I + II)
ergänzend mit potenziell kurativem Ziel eingesetzt (1, 3, 6).
Chemotherapie
Zytostatikakombinationen weisen deutlich günstigere Ansprechraten als eine
Monotherapie auf. Das Ergebnis von optimal dosierten Zweierkombinationen
ließ sich durch das Hinzufügen weiterer Substanzen nicht sicher verbessern. Als
„Standardtherapie“ gelten heute die Kombinationen Adriamycin/Cyclophosphamid/Vincristin (ACO), Epi-Adriamycin/Cyclophosphamid/Vincristin (EpiCO),
Cisplatin/Etoposid (PE) und Carboplatin/Etoposid/Vincristin (CEV) (7) mit einer
entsprechenden supportiven Therapie.
Mit jeweils einer dieser Kombinationen werden bei gutem Therapieansprechen
vier bis sechs Zyklen im Abstand von jeweils drei bis höchstens vier Wochen
appliziert. Die primär schon fest eingeplante alternierende oder sequenzielle
Behandlung mit zwei verschiedenen Zytostatikakombinationen konnte bisher
zu keiner signifikanten Verbesserung der Ergebnisse beitragen. Nur bei unzureichendem Ansprechen auf die Primärkombination nach einem bis höchstens
zwei Zyklen sollte auf eine nur partiell kreuzresistente Kombination (z. B. ACO –
PE oder vice versa) gewechselt werden.
In der Regel wird die Behandlung nach maximal sechs Zyklen beendet und eine
Therapiepause bis zur Progression eingelegt. Bei einer Teilremission nach vier
Zyklen oder keinem weiteren Ansprechen auf die Chemotherapie sollten bei
limitierter Erkrankung die Möglichkeiten einer Operation mit anschließender Bestrahlung oder bei Nicht-Operabilität bzw. Nicht-Resektabilität die Durchführung einer frühzeitigen Bestrahlung in Betracht gezogen werden.
Die initiale Chemotherapie muss unbedingt mit 100%iger Dosisdichte erfolgen,
da bei Patienten, die mit einer niedrigeren als der geplanten Dosis behandelt
werden, die Krankheitsprognose eindeutig schlechter ist.
Eine Reduzierung der Chemotherapieintensität und die Gabe einer Monotherapie oder wenig intensiven Kombinationstherapie sind bei Patienten unter 75
Jahren mit einer Verschlechterung der Symptomkontrolle und einer Reduktion
der Überlebenszeit verbunden. Phase III-Studien unter Einschluss älterer Patienten in schlechtem Allgemeinzustand haben gezeigt, dass eine Monotherapie mit
oralem Etoposid in Bezug auf Überlebenszeit, rezidivfreie Überlebenszeit, Ansprechraten, Lebensqualität und Hämatotoxizität zu schlechteren Ergebnissen
führt als ein Standardprotokoll mit Polychemotherapie (PE oder CAV bzw. ACO).
Wenn der Zustand des Patienten eine Chemotherapie erlaubt, sollte deshalb immer ein Standardprotokoll mit Polychemotherapie eingesetzt werden. Die Gabe
einer zytostatischen Monotherapie entspricht nicht dem Evidenz-basierten medizinischen Standard.
111
Die Effektivität einer Dosissteigerung ist bisher nicht sicher belegt. Intensivierungen um den Faktor 1,5 bis 2 mit und ohne hämatopoetische Wachstumsfaktoren führen weder bei „Limited“ noch bei „Extensive Disease“ zu einer
signifikanten Prognoseverbesserung. Der Stellenwert einer Hochdosisbehandlung wird derzeit geprüft.
Eine Erhaltungstherapie mit Zytostatika nach erreichter kompletter Remission
verlängert das progressionsfreie Intervall nur marginal, verbessert aber nicht die
medianen Überlebenszeiten oder die Langzeitüberlebensraten. Deshalb wird
man auf sie verzichten. Die Fortsetzung der Chemotherapie im Sinne einer Erhaltungstherapie entspricht nicht dem Evidenz-basierten medizinischen Standard.
Der Stellenwert immunologischer Therapiemaßnahmen (z. B. Interferone oder
andere Zytokine) muss noch endgültig definiert werden.
Bei der überwiegenden Zahl der Patienten kommt es trotz initial gutem Therapieansprechen zum Rezidiv. Beim Auftreten eines Rezidivs nach Remission bleibt
nur ein palliativer Therapieansatz. Beträgt das rezidivfreie Intervall weniger als
sechs Monate, werden zur Primärtherapie alternative Zytostatikakombinationen
appliziert. Nach einem therapiefreien Intervall von mehr als neun bis 12 Monaten
kann das initial verwendete Behandlungsprotokoll erneut eingesetzt werden. Die
Indikation zur Behandlung muss in dieser Situation individuell unter Berücksichtigung des Allgemeinzustandes und der Lebensqualität gestellt werden, da Remissionen bei höchstens 50% der Patienten erwartet werden können und Vollremissionen sehr selten sind. Dementsprechend liegen die medianen Überlebenszeiten nach dem Auftreten eines Rezidivs in der Regel unter sechs Monaten.
112
Radiotherapie
Die Kombination von Chemotherapie und Radiotherapie verbessert signifikant
die Überlebenschancen der Patienten und den Teil der zwei Jahre und länger
rezidivfrei Überlebenden in den noch lokoregionären Tumorstadien (I bis IIIB
nach UICC) (6).
Das radiotherapeutische Zielvolumen richtet sich nach dem aktuellen Tumorvolumen. Im Anschluss an die Chemotherapie schließt es das Mediastinum immer,
die Supraklavikularregion nur elektiv ein. Daraus resultiert eine Reduktion des
gesamten Bestrahlungsvolumens. Eine Dosis von 45–50 Gy (Einzelfraktion
1,8 Gy) sollte nicht unterschritten werden.
Bisher erfolgt die thorakale Bestrahlung in der Regel nach Beendigung der Chemotherapie. Alternativ zur sequenziellen Behandlung kann die Bestrahlung parallel zur Chemotherapie durchgeführt werden. Bisher vorliegende Studien zeigen zum Teil einen Vorteil für die simultane Chemoradiotherapie. Dieser wurde
jedoch nur bei paralleler Gabe eines Cisplatin-Etoposid-haltigen Chemotherapieprotokolles beobachtet. Andere Studien unter Verwendung von Anthrazyklin-haltigen Protokollen zeigen keine positiven Effekte aber eine erhöhte Toxizität. Ob eine Hyperfraktionierung der Strahlentherapie der konventionellen Fraktionierung überlegen ist, konnte bisher ebenfalls nicht definitiv gesichert
werden. Durch die Kombination beider Therapiemodalitäten erhöht sich die Toxizität. Eine adäquate supportive Therapie (z. B. bei strahlen-/chemotherapieinduzierter Oesophagitis) ist unerlässlich.
Das Risiko eines zerebralen Rezidivs nach Induktion einer Vollremission beträgt
20–40%, bei Langzeitüberlebenden liegt es noch deutlich höher. Bei etwa der
Hälfte dieser Patienten ist gleichzeitig kein extrazerebrales Rezidiv nachweisbar.
Es wird deshalb bei Patienten des Stadiums „Limited Disease“ nach erreichter
Vollremission eine adjuvante Schädelbestrahlung durchgeführt. Sie resultiert in
einer signifikanten Reduktion der Hirnmetastasen-Rezidive von 30 auf unter
10%. Nach einer neueren Metaanalyse (1) ist dies zusätzlich mit einem geringen
Überlebensvorteil der Patienten vergesellschaftet. Die adjuvante Schädelbestrahlung wird im Regelfall in einer Dosierung von 30 Gy mit 1,8–2,0 Gy Einzelfraktion durchgeführt.
Chirurgie
Die Operation spielt beim kleinzelligen Lungenkarzinom eine untergeordnete
Rolle. Lediglich in den Stadien I und möglicherweise auch im Stadium II kann sie
als ergänzende Maßnahme zur Chemotherapie durchgeführt werden. Diese Stadien bestehen aber nur bei weniger als 10% der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose.
Patienten mit mediastinalem Lymphknotenbefall und lokal fortgeschrittener Erkrankung stellen im Regelfall keine Kandidaten für eine primäre Operation dar.
Nicht gesichert ist derzeit, inwieweit eine operative Resektion nach neoadjuvanter Chemo-/Radiotherapie die Prognose dieser Patienten verbessern kann. Eine
randomisierte Studie aus den 1980er Jahren zeigte keinen Überlebensvorteil für
die operierten Patienten, bestätigende Untersuchungen stehen hier jedoch aus.
Eine Salvage-Operation sollte bei den Patienten in Betracht gezogen werden, bei
denen es nach der Chemo- und Radiotherapie nicht zu der erwarteten Remission gekommen ist. Diese Patienten haben mit einiger Wahrscheinlichkeit einen
Mischtumor mit nicht-kleinzelligen Karzinomanteilen und können von einer Resektion in hohem Maße profitieren.
Die Abgrenzung der Patienten, die einer Operation oder einer lokoregionären
Radiotherapie zugeführt werden, bedarf einer großen individuellen onkologischen Erfahrung.
Generell gelten die gleichen Operationsverfahren wie bei der chirurgischen Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms. Standardoperationen sind die
Lobektomie, die Bilobektomie und parenchymsparende bronchoplastische und
angioplastische Resektionsverfahren (Manschettenresektionen) zur Vermeidung
einer Pneumonektomie. Bei hohem kardiopulmonalem Risiko ist die Segmentresektion vertretbar. In jedem Fall wird eine subtile mediastinale Dissektion durchgeführt.
C 1.3 Therapieentscheidung nach Tumorstadium
Stadium „Limited Disease“ (Stadien I–IIIB nach UICC)
Im Stadium „Limited Disease“ besteht prinzipiell ein kurativ orientierter
Therapieansatz. Bei sehr begrenzter Tumorausdehnung (T1–2 N0–1 M0, entsprechend Stadien I und II) (Abbildung 1) kann eine primäre Operation erfolgen.
113
Dies gilt ganz besonders bei feingeweblich noch nicht gesichertem „peripherem
Lungenrundherd“. Eine adjuvante Chemotherapie mit vier Behandlungskursen
wird immer empfohlen. Der Stellenwert der mediastinalen Nachbestrahlung
nach chirurgischer Resektion im Stadium I und II ist derzeit offen. Die Ergebnisse
der postoperativen Radiotherapie beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom
können aufgrund der unterschiedlichen Tumorbiologie nicht direkt auf das kleinzellige Bronchialkarzinom übertragen werden. Bis zum Vorliegen valider Daten
wird außerhalb von Studien die postoperative Strahlentherapie ab einer N2Situation oder im Falle einer inkompletten Tumorresektion empfohlen. Die
„prophylaktische Schädel-Hirn-Bestrahlung“ wird nach kompletter lokaler
Remission empfohlen, wenn sie für den Patienten als zumutbar erscheint. Bei
diesem Vorgehen liegen nach R0-Resektion die Fünfjahres-Überlebensraten zwischen 40 und 50%.
Alternativ kann zunächst auch eine Induktions-Chemotherapie mit vier Kursen
durchgeführt werden. Nach Erreichen einer Remission erfolgen die Operation
und anschließend die adjuvante Radiotherapie. Zu diesem Vorgehen liegen bisher nur wenige Daten vor. Unterschiede zur primären Operation werden nicht
erwartet.
Stadium I + II
Chemotherapie
4 Zyklen
Chemotherapie
4 Zyklen
Operation
Radiotherapie
Operation
Chemotherapie
4 Zyklen
konsolidierende Radiotherapie
prophylaktische Hirnbestrahlung bei kompletter Remission
114
Abbildung 1. Behandlungsstrategie in den Stadien I und II des kleinzelligen Lungenkarzinoms.
Wenn aus funktionellen Gründen Inoperabilität besteht oder eine Operation
vom Patienten verweigert wird, orientiert sich die Therapie an den Stadien IIIA
und IIIB.
Im weiter fortgeschrittenen Stadium „Limited Disease“ (mehr als T2 oder mehr
als N1, entsprechend Stadium IIIA oder IIIB) (Abbildung 2) wird unmittelbar nach
Stellen der Diagnose eine Chemotherapie eingeleitet. Das Zweierschema Cisplatin und Etoposid gilt in dieser Situation als Standardtherapie, da es ohne unakzeptable Toxizität mit der Radiotherapie kombiniert werden kann. Immer folgt
eine Radiotherapie (in der Regel mit kurativer Zielsetzung; bei großen Resttumoren nach unzureichendem Ansprechen auf die Chemotherapie oder sogar Tumorprogress als palliative strahlentherapeutische Maßnahme).
Im Rahmen prospektiver Studien kann nach kompletter Remission der Lymphknotenmetastasen (Re-Mediastinoskopie) auch die Resektion des Residualtumors in Frage kommen.
Im Stadium „Limited Disease“ ist der gegenwärtige therapeutische Standard
nach wie vor die Durchführung von vier bis sechs Chemotherapiezyklen mit
einer anschließenden konsolidierenden Primärtumorbestrahlung mit 45–50 Gy
in konventioneller Fraktionierung. Hierüber werden Remissionsraten von
80–90% mit 50–60% Komplettremissionen erreicht. Die medianen Überlebenszeiten liegen zwischen 14 und 18 Monaten, die Dreijahres-Überlebensraten bei
10–20%. Ca. 10–20% der Patienten können als rezidivfreie Langzeitüberlebende betrachtet werden.
Alternativ zum Standardvorgehen kann die Strahlentherapie auch parallel mit einer Cisplatin-Etoposid-haltigen Chemotherapie in konventioneller oder hyperfraktionierter Form durchgeführt werden. Hierüber ist eine Prognoseverbesserung zu erhoffen, die jedoch bisher nicht definitiv bestätigt ist. Innovative und
derzeit noch nicht definitiv beurteilbare Therapieansätze sind die Durchführung
Stadium IIIA + IIIB
Chemotherapie 4–6 Zyklena
konsolidierende Radiotherapie
prophylaktische Hirnbestrahlung
bei kompletter Remission
a
Die Radiotherapie kann bei besonders gutem Ansprechen vorgezogen werden.
Abbildung 2. Behandlungsstrategie in den Stadien IIIA und IIIB des
kleinzelligen Lungenkarzinoms.
115
der Hochdosistherapie und die Gabe einer neoadjuvanten Chemo-/Strahlentherapie mit anschließender operativer Resektion bei lokal fortgeschrittenem Tumor.
Stadium „Extensive Disease“ (Stadium IV nach UICC)
Nach Abschluss der Diagnostik befinden sich mindestens 60% der Patienten in
diesem Stadium. Für sie existiert kein kurativer Therapieansatz. Auch in diesem
Stadium ist die zytostatische Therapie mit primär palliativem Ziel indiziert. Sie
führt bei den meisten Patienten zu einer Reduzierung der klinischen Symptome,
zu einer Verlängerung der Überlebenszeit und zu einer Verbesserung der Lebensqualität. Prinzipiell kommen ähnliche Kombinationen wie bei kurativer Zielsetzung in Frage, da auch hier die Prognose durch das Erreichen der Vollremission verbessert werden kann. Das Verhältnis Nutzen/Nebenwirkungen muss hier
jedoch wie bei den nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen besonders berücksichtigt werden.
Stadium IV
Chemotherapie 4–6 Zyklen
Radiotherapie simultan oder sequenziell
am „Ort der Not“
Abbildung 3. Behandlungsstrategie im disseminierten Stadium IV des
kleinzelligen Lungenkarzinoms.
Trotz Ansprechraten bis 80% können aber nur 15–30% Vollremissionen erwartet werden. Die medianen Überlebenszeiten im Stadium „Extensive Disease“
liegen bei acht bis 12 (nach kompletter Remission bei 12–16) Monaten, nur
wenige Patienten überleben zwei bis drei Jahre.
Die Radiotherapie wird ergänzend „am Ort der Not“ bei einer Metastasierung,
besonders in das Skelett oder das Gehirn, eingesetzt.
Eine palliative Operation kommt nur in besonderen Fällen in Betracht. Die Chirurgie kann eine Bedeutung haben bei Tumorblutungen oder septischen Komplikationen. Bei drohender oder eingetretener pathologischer Fraktur kann eine
stabilisierende Operation in Erwägung gezogen werden. Die Belastung durch eine Operation muss dabei immer in Relation zur Biologie des Tumors und den in
dieser Situation bestehenden Überlebenschancen bewertet werden.
116
C 1.4 Nachsorge des Tumorpatienten
Die Nachsorge eines an einem Lungenkarzinom erkrankten Patienten dient der
rechtzeitigen Erfassung und Behandlung von Therapiefolgen sowie dem rechtzeitigen Erkennen eines Tumorrezidivs, der Dokumentation seines Spätschicksals
und der psychosozialen Betreuung. Wie die primäre Diagnostik des Tumors hat
sich auch das Nachsorgeprogramm an seinen therapeutischen Konsequenzen zu
orientieren.
Die Nachsorge wird bevorzugt ambulant von niedergelassenen Ärzten durchgeführt. Hierzu sind besonders die Schwerpunktpraxen geeignet. Es sollte immer
ein Informationsaustausch mit der primär behandelnden Klinik bestehen.
Im Nachsorgeuntersuchungsprogramm ist es besonders wichtig, ein lokales Rezidiv oder einen möglichen Zweittumor rechtzeitig zu erkennen, da hier noch
kurative Chancen bestehen können. Das Früherfassen einer Fernmetastasierung
hat im Gegensatz dazu für den asymptomatischen Patienten keine kurativen,
sondern nur palliative Konsequenzen. Dementsprechend wird man sich im Untersuchungsprogramm auf Zwischenanamnese, körperliche Untersuchung,
Basislaborprofil und Thoraxübersicht in zwei Ebenen beschränken. Weitergehende Untersuchungen sind nur bei entsprechenden Beschwerden oder Hinweisen auf ein Tumorrezidiv berechtigt.
Tabelle 6. Nachsorgeprogramm beim Lungenkarzinom.
Monat nach Ende
der Behandlung a
Basisprogramm:
Zwischenanamnese
Körperliche
Untersuchung
BKS, Hb, Leukozyten,
AP, GGT, LDH
Zusatzprogramm:
Röntgenübersicht des
Thorax in zwei Ebenen
1,5 3 6 9 12
Alle 3
Mon.
bis 24
Mon.
Alle 6
Mon.
bis 60
Mon.
Weiterhin
1 mal
jährlich
O
O O O O
O
O
O
O
O O O O
O
O
O
O
O O O O
O
O
O
O
O O O O
O
O
O
Spezialprogramm:
Nach Bedarf
a
Untersuchungen beim kleinzelligen Lungenkarzinom im 1. Jahr alle 6 Wochen
117
Die Nachsorgeuntersuchungen werden nach einem festgelegten Zeitplan durchgeführt (Tabelle 6). Die Erstuntersuchung erfolgt sechs Wochen nach den klinischen Abschlussuntersuchungen. Man achtet bei ihr hauptsächlich auf frühzeitige direkte Folgen der primären Behandlung. Bis zum Ablauf des zweiten postoperativen Jahres werden die Untersuchungen in Intervallen von drei Monaten,
später für weitere drei Jahre in Abständen von sechs Monaten durchgeführt.
Danach gilt die Empfehlung von Untersuchungen in nur noch jährlichen Abständen. Beim Nachweis eines Rezidivs wird das Programm selbstverständlich individuell modifiziert. Wegen der Tendenz zur raschen Rezidivierung des kleinzelligen
Lungenkarzinoms werden bei diesem Tumor die Nachsorgeuntersuchungen im
ersten Jahr häufiger empfohlen. Die genannten Zeiträume beruhen auf klinischer Erfahrung, jedoch nicht auf Evidenz-basiertem Wissen.
Literatur
1 Auperin A, Arriagada R, Pignon JP et al (1999) Prophylactic cranial irradiation
for patients with small-cell lung cancer in complete remission. Prophylactic
Cranial Irradiation Overview Collaborative Group. N Engl J Med 341:
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2 Drings P (ed) (1996) Therapeutische Standards. Lungenkarzinom. Qualitätssicherung in der Onkologie 4.1. Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
3 ESMO (2001) ESMO minimum clinical recommendations for diagnosis, treatment and follow-up of small-cell lung cancer (SCLC). Ann Oncol 12:
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4 Gospodarowicz MK, Henson DE, Hutter RVP, O’Sullivan B, Sobin LH, Wittekind CH für die UICC (2001) Prognostic factors in cancer, 2nd ed. John Wiley
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5 Hermanek P (ed) (1995) Diagnostische Standards. Lungen-, Magen-, Pankreas- und kolorektales Karzinom. Qualitätssicherung in der Onkologie 3.1.
Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
6 Pignon JP, Arriagada R, Ihde DC et al (1992) A meta-analysis of thoracic
radiotherapy for small cell lung cancer. N Engl J Med 327: 1618–1624
7 Schiller JH (2001) Current standards of care in small-cell and non-small cell
lung cancer. Oncology 61 (suppl 1): 3–13
8 Stahel RA, Ginsberg R, Havemann K et al (1989) Staging and prognostic factors in small cell lung cancer: a consensus report. Lung Cancer 5: 119–126
9 Wittekind CH, Wagner G (Hrsg) für die UICC (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren. Springer, Berlin Heidelberg New York
10 Wolf M, Havemann K (1995) Kleinzellige Bronchialkarzinome. In: Seeber S,
Schütte J (Hrsg) Therapiekonzepte Onkologie. 2., vollständig überarbeitete
und erweiterte Auflage, Springer, Berlin Heidelberg New York, pp 420–445
11 Zelen M (1973) Keynote address on biostatistics and data retrieval. Cancer
Chemother Rep 4: 31–42
118
Verfahren zur Konsensbildung
Expertengruppe mit Beratung durch
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie
Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie
Verfasser
Im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft:
Dr. H. Becker, Heidelberg; Prof. Dr. P. Drings, Heidelberg; Prof. Dr. K. Havemann,
Marburg; Prof. Dr. J. Hasse, Freiburg; Prof. Dr. Dr. P. Hermanek, Erlangen; Prof.
Dr. Th. Junginger, Mainz; Prof. Dr. K. M. Müller, Bochum; Prof. Dr. R. P. Müller,
Köln; Prof. Dr. N. Niederle, Leverkusen; Dr. P. Schneider, Heidelberg; Dr. P.
Schraube, Heidelberg; Prof. Dr. I. Vogt-Moykopf, Heidelberg; Prof. Dr. Dr. M.
Wannenmacher, Heidelberg; Dr. J. Zelt, Reichelsheim.
Verantwortlich für die Redaktion: Prof. Dr. P. Drings
Bei der Aktualisierung 1999 haben ferner mitgewirkt:
Prof. Dr. R. Andreesen, Regensburg; Prof. Dr. D. Kaiser, Berlin; Prof. Dr. H. Morr,
Greifenstein; Prof. Dr. M. Wolf, Marburg.
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
119
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordinator
Prof. Dr. P. Drings
Thoraxklinik der LVA Baden
Amalienstraße 5
D-69126 Heidelberg
Erste Fassung: August 1996
Zweite Fassung: 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
120
C2
Therapie des nicht-kleinzelligen
Lungenkarzinoms
Als nicht-kleinzellige Karzinome werden alle Lungenkarzinome zusammengefasst, die keine kleinzelligen Anteile enthalten und nicht typischen Karzinoidtumoren entsprechen. Bei diesen Tumoren sind für die Prognose und die therapeutischen Entscheidungen die anatomische Ausbreitung des Tumors (TNM-System), der Leistungsindex (nach der Skala von Karnofsky oder der ECOG) und die
funktionellen Reserven des Patienten die wichtigsten Größen. Vor jeder Behandlung stehen die histologische Verifikation und die Typenbestimmung des Tumors, die Klärung der Tumorausbreitung und das interdisziplinäre Konsilium.
C 2.1 Diagnostik
Die Symptomatik der Lungenkarzinome ist uncharakteristisch und unterscheidet
sich zunächst nicht von der vieler anderer Lungenerkrankungen. Diagnostik und
Staging des Lungenkarzinoms erfordern ein Untersuchungsprogramm, welches
die individuelle subjektive und objektive Belastbarkeit des Patienten berücksichtigen muss (10). Es dient nicht nur der Sicherung der Diagnose und der Beurteilung der Tumorausdehnung, sondern ermöglicht zusätzlich eine Beurteilung der
Belastbarkeit des Patienten für das zu wählende Therapieverfahren. Es ist selbstverständlich, dass sich der Umfang des diagnostischen Programms immer an seinen therapeutischen Konsequenzen orientieren muss. Daraus ergibt sich
zwangsläufig, dass hier bereits das interdisziplinäre Konsilium gefordert ist. Es
hat sich eine Unterteilung der diagnostischen Verfahren in eine standardisierte
Basisdiagnostik (Tabelle 1) und eine weiterführende Diagnostik (Tabelle 2) bewährt.
Tabelle 1. Basisdiagnostik des Lungenkarzinoms.
Notwendig:
Anamnese
Klinische Untersuchung und physikalischer Befund
Basislaboruntersuchungen
Röntgenaufnahmen der Thoraxorgane in zwei Ebenen
Bronchoskopie mit morphologischer Diagnosesicherung (mit Biopsie und
Bronchiallavage, evtl. ergänzt durch transbronchiale Lungenbiopsie
Im Einzelfall nützlich:
In Ergänzung zur Röntgenaufnahme gegebenenfalls Durchleuchtung und Tomographie
Transthorakale Punktion
121
Tabelle 2. Weiterführende Diagnostik des Lungenkarzinoms.
Notwendig:
Computertomographie (Spiral-CT mit Kontrastmittel) des Thorax unter Einschluss der Oberbauchregion (inkl. Nebennieren) vor einer kurativ intendierten Behandlung
Diagnostik und Ausschluss von Fernmetastasen vor einer Operation, Chemotherapie oder Radiotherapie
Kardiorespiratorische Funktionsdiagnostik vor geplanter Operation, Radiotherapie oder Chemotherapie
Im Einzelfall nützlich:
Mediastinoskopie, wenn im Computertomogramm mediastinale Lymphknoten mit einem Transversaldurchmessser von mindestens 1,0 cm nachgewiesen
wurden.
Magnetresonanztomographie (z.B. bei Pancoast-Tumoren und Verdacht auf
Infiltration der Wirbelsäule)
Thorakoskopie, wenn die Ätiologie eines Pleuraergusses durch Punktion oder
Pleurabiopsie allein nicht zu klären ist.
Diagnostische Thorakotomie, wenn die Tumordiagnose durch weniger invasive Verfahren nicht zu stellen ist.
Sonographie regionärer Lymphknotenstationen zur Klärung des N-Stadiums
vor Operation (externe Sonographie supraklavikulärer und zervikaler Lymphknotenstationen, Endosonographie der mediastinalen Lymphknotenstationen)
Mit der Basisdiagnostik wird lediglich die Tumordiagnose gestellt. Das Programm
der weiterführenden Diagnostik liefert zusätzliche Informationen zum Tumorstadium und zur funktionellen Kapazität des Patienten. Aus der Synopsis aller Befunde wird das therapeutische Konzept interdisziplinär erarbeitet.
Die Stadieneinteilung, die auf der Grundlage des TNM-Systems nach einem Vorschlag der UICC erfolgt (25), ist in den Tabellen 3a und 3b dargestellt.
Die prognostische Bedeutung dieser Einteilung wird in Tabelle 4 dokumentiert.
122
In der Basisdiagnostik ist neben der Anamnese, der körperlichen Untersuchung
des Patienten und einem Basislaborprogramm die in zwei Ebenen anzufertigende Röntgenübersicht (Hartstrahltechnik) unverzichtbar. Durch sie wird in den
meisten Fällen erst der Tumorverdacht geäußert. Die Bronchoskopie stellt die
zentrale diagnostische Maßnahme dar, denn sie liefert nicht nur bei den meisten
Patienten auf der Grundlage der gültigen WHO-Klassifikation die histologische
Diagnose, sondern gibt dem Operateur zusätzlich Hinweise auf die T-Kategorie
und damit die Operabilität des Tumors. Deshalb muss die Bronchoskopie immer
vor einer Operation durchgeführt werden. Der Operateur muss den endobronchialen Befund persönlich kennen. Zum Staging der lokoregionären Tumoraus-
breitung gehören das Spiral-CT des Thorax nach Kontrastmittelinfusion unter
Einschluss des Oberbauchs mit Leber und Nebennieren sowie die Biopsie
mediastinaler Lymphknoten, wenn sie im CT eine Ausdehnung von 1,0 cm im
kleinsten transversalen Durchmesser aufweisen.
Tabelle 3 a. Kurzfassung TNM (25).
Stadiengruppierung
TX Positive Zytologie
T1 ≤ 3 cm
T2 > 3 cm, Hauptbronchus ≥ 2 cm von der Carina, Invasion von viszeraler Pleura, partielle Atelektase
T3 Brustwand, Zwerchfell, Perikard, mediastinale Pleura, Hauptbronchus
< 2 cm von der Carina, totale Atelektase
T4 Mediastinum, Herz, große Gefäße, Carina, Trachea, Oesophagus, Wirbelkörper, getrennte Tumorherde im selben Lappen, maligner Erguss
N1 Ipsilaterale peribronchiale/hiläre Lymphknoten
N2 Ipsilaterale mediastinale/subcarinale Lymphknoten
N3 Kontralaterale mediastinale, hiläre, ipsi- oder kontralaterale Skalenus- oder
supraklavikuläre Lymphknoten
M1 Fernmetastasen, einschließlich getrennter Tumorherde in einem anderen
Lappen
Tabelle 3 b. Stadiengruppierung der UICC (25).
Okkultes Karzinom
Stadium 0
Stadium IA
Stadium IB
Stadium IIA
Stadium IIB
Stadium IIIA
Stadium IIIB
Stadium IV
TX
Tis
T1
T2
T1
T2
T3
T1
T2
T3
T4
jedes T
jedes T
N0
N0
N0
N0
N1
N1
N0
N2
N2
N1, N2
jedes N
N3
jedes N
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M0
M1
123
Tabelle 4. Fünfjahres-Überlebensraten von Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom gemäß Zuordnung zum internationalen Stagingsystem nach TNM-Descriptoren.
Tumorstadium
Fünfjahres-Überlebensrate
klinisches Staging
chirurgisches Staging a
n = 6097
n = 1750
Stadium I
43%
57%
Stadium II
31%
41%
Stadium IIIa
Stadium IIIb
18%
7%
25%
20%
Stadium IV
2%
–
a
Überlebensraten nach operativer Behandlung (R0-Resektion) mit chirurgischer Verifikation des Stadiums und histomorphologischer Bestätigung.
Die Zahlen wurden dem klinischen Krebsregister der Thoraxklinik Heidelberg
gGmbH entnommen.
Das Staging der Fernmetastasen konzentriert sich auf die Prädilektionsorgane
Skelett, Gehirn, Nebennieren und Leber. Eine Skelettszintigraphie wird man nur
bei Patienten mit Skelettschmerzen sowie erhöhten Werten für das Serum-Kalzium und die alkalische Phosphatase durchführen. Die Bedeutung der PositronenEmissions-Tomographie (PET) ist gegenwärtig noch nicht abzuschätzen. Im Rahmen von Studien scheint eine Überprüfung dieser Methode nach Empfehlungen
der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (5) bei folgenden Indikationen
sinnvoll zu sein:
Dignitätsbeurteilung eines peripheren Lungenrundherdes bei Risikopatienten
mediastinales Lymphknotenstaging
Lokalrezidiv
124
Zum Ausschluss von Hirnmetastasen wird man bei zerebraler Symptomatik ein
Schädel-CT mit Kontrastmittel ggf. eine Kernspintomographie des Schädels
durchführen. Wenn im Ultraschall oder in der Computertomographie isolierte
Herde in der Leber oder Vergrößerungen der Nebennieren erkennbar sind, müssen diese bioptisch untersucht werden, um eine Fernmetastasierung entweder
zu bestätigen oder auszuschließen.
Für diese genannten Untersuchungen besteht internationaler Konsens auf verschiedenen Ebenen der Evidenz mit den Graden der Empfehlung auf den Stufen
A bis C (1,6,19,23).
Die prätherapeutische Funktionsdiagnostik liefert einen Anhalt, welches Ausmaß eine Lungenresektion oder Lungenbestrahlung für die Erhaltung einer hinreichenden Lebensqualität nicht überschreiten darf. Die prognostisch bedeutsamste Größe ist das Einsekundenvolumen bei forcierter Exspiration (FEV1) (23).
Mit einem individuell variablen Untersuchungsprogramm, welches ggf. die
Ganzkörperplethysmographie, die arterielle Blutgasanalyse, die Bestimmung der
Diffusionskapazität für Kohlenmonoxyd (DLC0), die Ergometrie und Spiroergometrie, die Lungenperfusionsszintigraphie und die Elektrokardiographie sowie
Echokardiographie einschließen, werden Kriterien für die funktionelle Operabilität aufgestellt.
C 2.2 Therapiemodalitäten (5)
Die Therapie der Wahl bei einem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom der frühen
Stadien besteht in der potenziell kurativen Operation (8). Dies bezieht sich auf
die Stadien I und II und in Verbindung mit postoperativer Strahlentherapie auch
auf das Stadium IIIA (siehe Abbildungen 1–3). Eine primäre Operation ist jedoch
nur bei 25–30% aller Patienten möglich. Im Stadium IIIA mit Lymphknotenmetastasen sowie im Stadium IIIB dominiert die Radiotherapie. In den letzten
Jahren tritt bei diesen Patienten der multimodale Therapieansatz mehr und mehr
in den Vordergrund. Bei gering ausgeprägtem und vermutlich technisch vollständig resektablem N2 konkurrieren primäre Operation und Nachbestrahlung
mit einem neoadjuvanten Therapieansatz und anschließender Operation. Das
neoadjuvante Konzept mit initialer Chemotherapie oder Chemoradiotherapie
sowie anschließender Operation hat sich in der fortgeschrittenen N2-Situation
(„bulk N2“) bzw. im Stadium IIIB weitgehend durchgesetzt. Im disseminierten
Stadium IV dominiert die Chemotherapie als palliative Behandlung, zum Teil
ergänzt durch die Radiotherapie.
Chirurgische Therapie
Die chirurgische Therapie von Lungenkarzinomen muss bewährten Richtlinien
folgen (8,21,24), welche dem jeweiligen Tumorstadium angemessen sind. Als
operative Standardverfahren gelten die Lobektomie einschließlich ihrer Modifikationen mit angio-, bronchoplastischer Manschettenresektion, die Bilobektomie und die Pneumonektomie, während Segment-, Bisegment- und Trisegmentresektionen nur als Ausnahme vorgenommen werden sollten. Die Entscheidung
zur erweiterten Pneumonektomie unter Mitnahme benachbarter Strukturen
(Brustwand, Herzbeutel, Vorhof usw.) wird der intraoperativ angetroffenen Situation angepasst. Hierzu gehört auch die Erweiterung in die Bereiche der unteren Trachea (Bifurkationsresektion) und der Vena cava superior. Es muss bei der
Operation immer eine systematische interlobäre und mediastinale Lymphknotendissektion durchgeführt werden.
Neben der kurativen Zielsetzung kommen chirurgische Maßnahmen mit palliativer Wirkung zum Einsatz, auch wenn damit keine Heilung erreicht werden kann.
Indikationen sind:
Tumorblutungen,
poststenotische Komplikationen,
unbeeinflussbare Schmerzen bei Tumoreinbruch in die Brustwand nach Versagen anderer Therapieverfahren,
125
Metastasen (z. B. Osteolysen im Bereich der Extremitäten und Wirbelkörpermetastasen bei drohenden Instabilität bzw. drohendem Querschnitt sowie
singuläre Hirnmetastasen).
Die palliativen operativen Maßnahmen erfolgen häufig kombiniert mit der Radiotherapie, Stentimplantationen und anderen Verfahren.
Das Risiko der operativen Therapie bei Patienten mit Lungentumoren ist auch
von der Erfahrung des Operateurs und der Institution abhängig, was die Behandlung dieser Patienten in Zentren mit spezieller Erfahrung nahe legt.
126
Radiotherapie
Als unbedingte Voraussetzung für eine definitive, potenziell kurative thorakale
Radiotherapie gelten ein guter Leistungsindex der Patienten entsprechend den
ECOG-Graden 0 oder 1 (in Ausnahmefällen 2) sowie eine adäquate Lungenfunktion. Der Tumor muss auf den Thorax beschränkt sein. Patienten mit einem
malignen Pleuraerguss oder Fernmetastasen sind keine Kandidaten für eine
potenziell kurative thorakale Radiotherapie (1,4).
Die Radiotherapie wird primär als Behandlungsmodalität in den Stadien I und II
mit potenziell kurativer Intention eingesetzt, wenn die Operation vom Patienten
verweigert wird oder eine kardiorespiratorische Inoperabilität bzw. andere Kontraindikationen gegen eine Operation vorliegen. Die Dosis beträgt mindestens
60Gy (Einzelfraktion 1,8–2Gy) in sechs Wochen. Die präoperative Radiotherapie
wird bei Pancoast-Tumoren empfohlen, sie wird bei sonstigen Karzinomen im
Stadium IIIA/B in Verbindung mit der Chemotherapie in klinischen Studien geprüft. Teildosis-Bestrahlungen können postoperativ durch Aufsättigungs-Radiotherapie ergänzt werden (Sandwich-Methode).
Bei Patienten mit mediastinaler Metastasierung (pN2 und pN3) wird eine postoperative Radiotherapie vorgenommen. Die Dosis beträgt mindestens 50Gy
(Einzelfraktion 1,8–2,0Gy) in fünf Wochen. Sie kommt auch bei fraglich oder
nicht vollständig resezierten pT3/pT4-Tumoren in Betracht.
Eine 1998 publizierte Metaanalyse (15) zeigte, dass bei Patienten mit einem
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom, das R0-reseziert werden konnte, eine postoperative Bestrahlung aufgrund der damit verbundenen Toxizität eher zu einer
Verschlechterung der Langzeitüberlebensraten führen kann. Man muss bei der
Interpretation der Ergebnisse jedoch berücksichtigen, dass diese Metaanalyse
Therapiestudien aus einem Zeitraum von zwei Jahrzehnten, in dem sich die Technik der Radiotherapie wesentlich entwickelte, erfasste sowie Patienten mit sehr
heterogenen Tumoren (N0–N2) einschloss. Mit dieser Studie kann nicht ausgeschlossen werden, dass mit modernen Bestrahlungsverfahren in einzelnen Untergruppen (z.B. N2- und N3-Lymphknotenstatus) eine Verbesserung der
Prognose durch eine adjuvante Radiotherapie möglich ist. Zur endgültigen
Beantwortung dieser Frage sind prospektive klinische Studien erforderlich. Auch
wenn eine postoperative Bestrahlung außerhalb klinischer Studien gegenwärtig
nicht einem Evidenz-basierten medizinischen Standard entspricht, ist sie bei
pN2-Status auch nach R0-Resektion berechtigt, da sie die Rate lokaler Rezidive
vermindern kann.
Zunehmend kommen in spezialisierten Zentren auch modifizierte Behandlungsschemata mit mehreren Bestrahlungen am Tag zum Einsatz (15). Im Rahmen
einer prospektiv-randomisierten Studie konnte gezeigt werden, dass durch eine
hyperfraktioniert-akzelerierte Bestrahlung mit drei Fraktionen zu 1,5 Gy an
12 aufeinander folgenden Tagen (Gesamtdosis 54Gy) im Vergleich zu einer
konventionellen Bestrahlung mit 60Gy in sechs Wochen die Langzeitüberlebensraten bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen signifikant verbessert werden konnten (16).
Für Patienten mit einem lokal fortgeschritten nicht-resektablen Tumor des
Stadiums IIIB oder einem aus medizinischen Gründen inoperablen Tumor des
Stadiums IIIA gilt eine Platin-basierte Chemotherapie in Kombination mit einer
thorakalen Radiotherapie als Standardverfahren (6,19). In einer Metaanalyse
randomisierter klinischer Studien mit dem Vergleich der Radiotherapie plus
Cisplatin-basierter Chemotherapie führte die zusätzliche Chemotherapie zu
einer Verminderung des Sterberisikos um 13% (14). Jedoch betrug die Zunahme
in der Zweijahres-Überlebensrate nur 4%. Mit dieser Therapiemodalität konnte
in einer randomisierten Therapiestudie der Cancer and Leukemia Group B
(CALGB) die Fünfjahres-Überelebensrate der Patienten durch den Zusatz der
Chemotherapie zur Radiotherapie von 6 auf 17% erhöht werden. Obwohl die
Kombination von Chemotherapie und Radiotherapie in den letzten Jahren sehr
intensiv untersucht wurde, sind die optimalen Sequenzen beider Modalitäten
(sequenziell versus alternierend versus simultan) nicht bekannt. Kontrollierte
Studien mit einer simultanen Chemoradiotherapie mit täglicher, niedrig dosierter und gering toxischer Gabe von Zytostatika waren in der Lage, einen lebensverlängernden Effekt zu bestätigen (17,18). Zwei neue randomisierte Studien
(Furuse und RTOG, 7, 17) haben darüber hinaus die simultane Radiochemotherapie mit der sequenziellen verglichen. Ergebnisse liegen für die Furuse-Studie
(7) vor. Sie zeigen einen signifikanten Vorteil für die simultane gegenüber der
sequenziellen Radiochemotherapie.
Wie die Platin-basierte Chemotherapie mit nachfolgender Radiotherapie erbrachte auch die CHART-Strahlentherapie (16) einen vergleichbaren Überlebensvorteil. Nach dem gegenwärtigen Wissensstand stehen sich beide Therapieverfahren als gleichwertig gegenüber.
Umfangreich ist die Indikation zur Radiotherapie mit palliativer Zielsetzung besonders bei Metastasen im Bereich des Skeletts und des Gehirns. Prinzipiell ist
keine Region zur palliativen Therapie ausgeschlossen.
An apparativen Voraussetzungen für die Radiotherapie werden Hochvolttherapiegeräte gefordert. In der Regel werden Linearbeschleuniger mit individueller
Satellitentechnik verwandt. Der Zugriff auf eine Computertomographie für die
Bestrahlungsplanung ist unerlässlich. Die 3-D-konformale Strahlentherapie bietet wesentliche Vorteile bei der Definition der Zielvolumina und der Schonung
von Risikoorganen. Für palliative Zielsetzungen kann auch eine Therapie mit
Kobalt-60 eingesetzt werden.
127
128
Chemotherapie
Der Stellenwert der Chemotherapie ist im Behandlungskonzept des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. In Verbindung mit einer Radiotherapie ist die Chemotherapie in der Lage, bei Patienten mit nicht resektablem lokal fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom des Stadiums III das Leben zu verlängern. Eine wesentliche
Voraussetzung hierfür ist jedoch ein guter Leistungsindex entsprechend den
ECOG-Graden 0 und 1 und nur in Ausnahmefällen Grad 2. Im nicht bestrahlungsfähigen Stadium IIIB und im Stadium IV hat die Chemotherapie lediglich eine palliative Wirkung und einen nur geringen lebensverlängernden Effekt. Große Metaanalysen zeigen (3, 9, 14, 22), dass unabhängig von der Art des Protokolls die maximal erreichbare Verlängerung der medianen Überlebenszeit ca.
zwei Monate beträgt. Es ist ferner zu beachten, dass in den letzten zehn Jahren
fast ausschließlich Patienten mit einem guten Allgemeinzustand entsprechend
der ECOG-Skala 0 oder 1 in die für diese Metaanalysen als Grundlage dienenden
Phase III-Studien eingeschlossen wurden. Für Patienten, bei denen ein schlechterer Allgemeinzustand Grad 2 und mehr besteht bzw. schwere Organinsuffizienzen vorhanden sind, ist eine systemische Chemotherapie kontraindiziert. Aus
den verfügbaren Metaanalysen geht hervor, dass Cisplatin-haltige Chemotherapiekombinationen den größten Einfluss auf die Überlebenszeit haben. Sie gelten
deshalb als Standard der Primärtherapie des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms. Carboplatin erwies sich in dieser Indikation als vergleichbar wirksam. Wegen seines differenten Nebenwirkungsspektrums eignet
es sich besonders für einige Kombinationen.
Aus den Metaanalysen geht hervor, dass eine Cisplatin-basierte Chemotherapie
im Vergleich zu Best Supportive Care die Einjahres-Überlebensrate um 10% erhöht. Im adjuvanten Einsatz nach potenziell kurativer Operation hat die Chemotherapie keinen signifikanten Überlebensvorteil.
Für die neuen Zytostatika Paclitaxel und Docetaxel sowie Vinorelbin wurden im
prospektiven Vergleich zu Best Supportive Care signifikante Verlängerung der
medianen Überlebenszeiten nachgewiesen. Es wäre jedoch ungenügend, den
Effekt der Chemotherapie lediglich auf ihren Einfluss auf die Überlebenszeit der
Patienten zu reduzieren. Wesentlich für die Patienten ist, dass durch die Chemotherapie die Lebensqualität verbessert und die Tumorsymptomatik reduziert
wird, wie es in einer prospektiven englischen Phase III-Studie zu Gemcitabine
versus Best Supportive Care (2) nachgewiesen wurde.
Aus der großen Zahl der in den letzten Jahren sowohl in Phase II- als auch in Phase III-geprüften Zytostatikakombinationen konnte sich kein Verfahren als eindeutig überlegen behaupten (12). Dies wurde noch einmal eindrucksvoll durch
eine prospektive Studie der ECOG (25), in der vier Chemotherapiekombinationen verglichen wurden, bestätigt. Auch ist keineswegs bewiesen, dass eine
Zweier-Zytostatikakombination einer Monotherapie grundsätzlich überlegen ist.
So ergaben zwei prospektive Studien im Vergleich von Gemcitabine allein gegen
die weitgehend als Standard geltende Kombination Cisplatin plus Etoposid gleiche Ergebnisse für die Überlebensdauer der Patienten und die Remissionsrate
bei allerdings deutlich geringerer Toxizität der Monotherapie (13).
Bei lediglich palliativer Wirkung muss in jedem einzelnen Fall bei der Entscheidung zur Chemotherapie die Nutzen-Lasten-Relation beachtet werden.
Bezüglich des Behandlungsbeginns besteht Konsens, dass die Chemotherapie
eingeleitet werden sollte, wenn sich der Patient noch in einem guten Leistungsindex befindet (1,6).
Im Vordergrund der Behandlung steht die Lebensqualität des Patienten, deshalb
ist eine optimale supportive Therapie unbedingt erforderlich.
Möglichkeiten der endoskopischen Therapie
Bei Obstruktionen der zentralen Atemwege gibt es seit einigen Jahren mehrere
Möglichkeiten für interventionelle endoskopische Maßnahmen, zum Teil ergänzt durch eine endoluminale Radiotherapie. Diese Verfahren sind in der Tabelle 5 dargestellt.
Tabelle 5. Maßnahmen bei der Obstruktion der zentralen Atemwege.
Verlegung durch Sekret
Absaugung
Abszedierende postobstruktive Pneumonie
Drainage durch Katheter/Stents
Blutung
Mechanische Kompression, Laserkoagulation
Lokale Applikation von Vasokonstriktiva und Gerinnungskomponenten
Endobronchiale Blockade
Verlegung der Atemwege durch Tumor
Mechanische Eröffnung, Kryosonden, Hochfrequenzdiathermie, Laser
Endoprothesen/Stents
Aerodigestive Fisteln
Endoprothesen /Stents
Endoluminale Hochdosisradiotherapie
Photodynamische Lasertherapie
129
C 2.3 Therapiemöglichkeiten in Abhängigkeit vom Tumorstadium
Die drei Behandlungsmodalitäten (Operation – Radiotherapie – Chemotherapie)
erfahren in den verschiedenen Stadien eine unterschiedliche Gewichtung (Abbildung 1–5).
Stadium IA (T1N0M0) und Stadium IB (T2N0M0) (Abbildung 1)
Stadium IA und IB
Funktionell operabel
Funktionell inoperabel a
Operation
Radiotherapie in kurativer
Intention
a
entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (23) stellt
eine Sauerstoffaufnahme von mehr als 20 ml/kg/min bzw. > 75% des Solls eine uneingeschränkte Operabilität dar. Eine VO2 max. von < 10 ml/kg/min oder < 40% des Solls bedeutet
Inoperabilität. Innerhalb dieser Grenzen werden zusätzlich die DLCO bestimmt und die
Flächenintegrale zur Quantifizierung der postoperativ zu erwartenden 1-Sekunden-Kapazität gemessen. Sind die FEV1- und die DLCO-Werte größer als 40% des Solls und die VO2
max. > 15 ml/kg/min bzw. > 60% des Solls, ist wiederum Inoperabilität gegeben.
Abbildung 1.
130
Chirurgie
Bei auf einen Lungenlappen beschränktem Karzinom Lobektomie mit Sicherheitsabstand von mindestens 10 mm (Schnellschnittkontrolle der Absetzungsränder!)
Obere bzw. untere Bilobektomie bei lappenübergreifenden Tumoren sowie
bei Ostiumtumoren mit Annäherung oder Übergreifen auf den distalen Bronchus intermedius
Manschettenresektion bei Ostiumtumoren (Oberlappen, Segment 6)
Pneumonektomie, sofern angeführte Verfahren nicht zur kurativen Entfernung führen (lappenübergreifende Karzinome der linken Lunge; bronchoskopisch das Ostium von Segment 6 links besetzende Karzinome, wenn Re-Anastomosierung des Oberlappens nicht möglich)
Segmentresektion, nur im Ausnahmefall bei stark eingeschränkter Lungenfunktion und peripherer Tumorlage
Die kurative Operation schließt möglichst vollständige Dissektion der regionären Lymphknoten (Station 2 beidseits, 3, 4 beidseits, 5 links, 6 links, 7, 8 beidseits, 9, 10 beidseits, 11 und 12) ein!
Radiotherapie
Der Primärtumor wird mit 60–70 Gy mit einer Einzeldosis von nicht mehr als
2 Gy oder dem biologischen Äquivalent einer modifizierten Fraktionierung bestrahlt. Das Mediastinum wird mit 50 Gy bestrahlt. Bei kleinem Primärtumor und
schlechter Lungenfunktion ist es jedoch gerechtfertigt, das Mediastinum nicht
zu bestrahlen. In einigen radioonkologischen Institutionen wird auch im Stadium
I zur Radiotherapie eine Chemotherapie hinzugegeben.
Chemotherapie
Keine Indikation.
Stadium IIA (T1N1MO) und Stadium IIB (T2N1M0, T3N0M0) (Abbildung 2)
Stadium II
Funktionell operabel
Funktionell inoperabel a
Operation
Radiotherapie in
kurativer Intention
Postoperative Radiotherapie bei R1 und R2
Adjuvante Radiotherapie in Diskussion (siehe Text)
Abbildung 2. (a siehe Abbildung 1).
Chirurgie
Bei klinischem und computertomographischem Hinweis auf eine Infiltration der
Pleura parietalis und angrenzender Strukturen der Brustwand ist die En-bloc-Resektion erforderlich. Der Sicherheitsabstand zur vermuteten Invasionszone soll
2–3 cm betragen, das heißt: mindestens einen Interkostalraum bzw. eine
Rippenbreite. Bei histopathologischer Sicherung dieser Distanzen ist eine lokale
Bestrahlung nicht erforderlich.
Bei T3 durch Hauptbronchusbefall mehr als 2 cm an der Carina: In Abhängigkeit
des Befundes Manschettenresektion des rechten Oberlappens, Pneumonektomie mit plastischem Stumpfverschluss oder Manschettenpneumonektomie unter Resektion der Bifurkation.
Radiotherapie
Die Indikation zur adjuvanten Radiotherapie bei radikal operierten T3-Tumoren
ist in Diskussion. Sie empfiehlt sich bei Schwierigkeiten in der Differenzierung
131
zwischen hilären und tracheobronchialen Lymphknotenmetastasen sowie bei
Mitresektion von Pleura parietalis und angrenzenden Strukturen der Brustwand,
sofern der Sicherheitsabstand geringer als 2 bis 3 cm ist. Bezüglich einer primären Radiotherapie bzw. einer Kombination von Radiotherapie und Chemotherapie gilt die Aussage wie im Stadium I.
Chemotherapie
Ob eine zusätzliche adjuvante Chemotherapie das Rezidivrisiko senkt, ist nicht
geklärt. Eine induktive (präoperative) Chemotherapie wird gegenwärtig in klinischen Studien geprüft. Außerhalb klinischer Studien besteht keine Indikation.
Stadium IIIA (T3N1M0, T1–3N2M0) (Abbildung 3)
Stadium IIIA
(außer Sulcus-superior-(Pancoast-)Tumor
Funktionell inoperabel
Multimodale Radiochemotherapie
Bei lokaler Progression:
Brachytherapie,
Stent,
Lasertherapie
Funktionell operabel
N1, N2/geringgradig (nur eine
Lymphknotenstation
befallen)
N2 ausgeprägt
(mehrere Lymphknotenstationen befallen,
Kapseldurchbruch)
Operation (1)
Neoadjuvante Radiochemotherapie (2)
Operation
Postoperative Radiotherapie
bei pT3, pN2 und/oder R1, 2 (3)
(1) Ob bei geringgradiger N2-Ausbreitung eine neoadjuvante Chemotherapie Vorteile
bringt, ist nicht geklärt
(2) In klinischen Studien
(3) Adjuvante Radio-/Chemotherapie bzw. Chemotherapie wird derzeit in klinischen
Studien geprüft
132
Abbildung 3.
Chirurgie
Restriktive Operationsindikation bei eingeschränkter Lungenfunktion (O2-Aufnahme unter 16 ml/kg/min für Lobektomie bedeutet erhöhtes Risiko; O2-Aufnahme unter 12 ml/kg/min bedeutet Inoperabilität). Das Alter stellt per se keine
Kontraindikation dar. Beim Nachweis von Lymphknotenmetastasen mit Kapseldurchbruch im oberen Mediastinum (durch Mediastinoskopie) besteht eine ungünstige Prognose, deshalb ist die Operationsindikation eingeschränkt. Bei T3
durch Brustwand-, Zwerchfell-, Perikard- oder mediastinale Pleurainvasion: Enbloc-Resektion!
Bei T3 durch Hauptbronchusbefall bis weniger als 2 cm von der Carina: Oberlappenmanschettenresektion, Pneumonektomie mit plastischem Stumpfverschluss,
Manschettenpneumonektomie.
Radiotherapie und Chemotherapie
Ob eine neoadjuvante oder eine adjuvante Chemotherapie bzw. Chemoradiotherapie die Prognose zu verbessern vermag, wird derzeit in klinischen Studien
untersucht.
Bei Patienten mit fortgeschrittener N2-Situation liegt die Fünfjahres-Überlebensrate nach alleiniger Chirurgie unter 10%. Hier scheint die Durchführung einer
neoadjuvanten Chemo- oder Chemoradiotherapie mit anschließender Operation die Prognose signifikant verbessern zu können (Fünfjahres-Überlebensraten
in Phase II-Studien ca. 30%).
Es besteht Übereinstimmung, dass Patienten, deren Tumor resektabel und die
aus funktionellen Gründen operabel sind, primär ein operatives Vorgehen angeboten werden sollte. Es fehlen bislang prospektiv randomisierte Studien zum
Vergleich eines operativen Vorgehens mit einer alleinigen Radio-/Chemotherapie, sodass eine vergleichende Beurteilung der Wirksamkeit beider Therapieverfahren zur Zeit nicht möglich ist.
Sulcus-superior-(Pancoast-)Tumor
Sulcus-superior-Tumoren werden im allgemeinen als T3 klassifiziert, können
aber auch z. B. durch Infiltration der Querfortsätze T4-Tumoren entsprechen. Sie
sind bei N0 dem Stadium II B, bei N1,2 dem Stadium III A, bei N3 dem Stadium III
B zuzuordnen.
Präoperative Bestrahlung (40 Gy) – unmittelbar anschließende Resektion (Lobektomie),ggf. mit Resektion von A. und V. subclavia, unterem Plexusfaszikel, Querfortsätzen – postoperative komplementäre Bestrahlung des Tumorgebietes bis
60 Gy, ggf. mit Nachbestrahlung des Mediastinums.
133
Stadium IIIB (jedes T N3M0, T4 jedes N M0) (Abbildung 4)
Stadium IIIB
(außer Sulcus-superior-(Pancoast-)Tumor
Im Allgemeinen
Sonderfälle bei günstiger
Konstellation (1)
Neoadjuvante Chemooder Radiochemotherapie
Kombinierte Radiochemotherapie oder
alleinige Radiotherapie
Operation (2)
Postoperative
Radiotherapie
(1) Patienten in sehr gutem Allgemeinzustand, mit sehr guten funktionellen Reserven,
biologisch jüngerer Altersstufe und hoher Motivation
(2) Bei T4 N0/1-Tumoren mit Befall der Bifurkation erfolgt die Manschettenpneumonektomie; bei Infiltration der Vena cava superior die Gefäßresektion, eventuell mit prothetischem Ersatz. Bei T4-Situationen, insbesondere kombiniert mit N0 sind auch eine
Aortenteilresektion, eine Oesophagusteilresektion und Vorhofteilresektion onkologisch sinnvoll und anzustreben.
Abbildung 4.
134
Die Auswahl der Therapie erfordert große onkologische Erfahrungen und sollte
stets interdisziplinär diskutiert werden. Folgende Anhaltspunkte können als
Empfehlungen gegeben werden:
a) Medistinale N3-Situation und/oder technisch resektable T4-Ausbreitung: neoadjuvante Chemo- oder Chemoradiotherapie mit anschließender Operation
bei Patienten mit guten funktionellen Reserven, hoher Motivation, biologisch
jüngerer Altersstufe und gutem Leistungsindex (ECOG-Grad 0–1).
b) Weit fortgeschrittene nicht resektable Tumorausbreitung oder funktionelle Inoperabilität: In Abhängigkeit von Alter und Allgemeinzustand kombinierte
Chemoradiotherapie oder alleinige Radiotherapie.
Die Intensität der Therapie mit den verschiedenen Möglichkeiten der Monotherapie und Kombinations-Chemotherapie muss individuell entschieden werden.
Stadium IV (jedes T jedes N M1) (Abbildung 5)
Stadium IV
Im Allgemeinen
Chemotherapie
Palliative Radiotherapie
Operation singulärer Metastasen
Endoskopische Metastasenentfernung
Therapie lokaler Komplikationen
Bei reduziertem
Allgemeinzustand
(ECOG-Grad ≥ 2)
Supportive Behandlung
Abbildung 5.
Die Chemotherapie hat bei den nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen im Stadium der Fernmetastasierung nur eine palliative Wirkung, die meistens zeitlich außerordentlich befristet ist. Deshalb wurde die Entscheidung zur Chemotherapie
in diesem Stadium bisher mit großer Zurückhaltung getroffen. Es gelingt mit der
Chemotherapie, bei einem großen Teil der Patienten eine Symptomlinderung
und damit eine Verbesserung der Lebensqualität zu erzielen. Der lebensverlängernde Effekt ist marginal. In jedem Fall ist eine sorgfältige Nutzen-Lasten-Abwägung erforderlich. Berechtigt ist die Chemotherapie bei Patienten mit gutem
Allgemeinzustand (ECOG-Grad 0–1) und dringendem Behandlungswunsch
nach entsprechender gründlicher Aufklärung über die Möglichkeiten und Grenzen dieser Therapie.
Zu berücksichtigen sind die palliativen Möglichkeiten der Radiotherapie. Singuläre Metastasen stellen gelegentlich eine Indikation zur operativen Resektion
dar.
C 2.4 Vorgehen bei Karzinoidtumoren
Bei typischen Karzinoidtumoren (hochdifferenzierte neuroendokrine Tumoren)
der Kategorie T1 und eventuell T2 sind wegen des nur geringgradigen histologischen Wachstums jenseits der makroskopischen Grenzen sparsame Resektionen
im Gesunden (Segmentresektionen, Segmentmanschettenresektionen) durchaus gerechtfertigt, sofern eine Kontrolle der Resektionsgrenzen im Schnell-
135
schnitt erfolgt. Bei T1–3 N1–2-Tumoren erfolgt die Resektion entsprechend dem
Empfehlungen beim üblichen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom.
Die lymphogene Metastasierung ist seltener als beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom. Bei unter 2 cm großen Tumoren ist nur in weniger als 5% der Fälle
mit regionären Lymphknotenmetastasen zu rechnen, bei größeren Tumoren
steigt die Rate an Lymphknotenmetastasen auf 15% und mehr an, weshalb
eine Lymphknotendissektion wie bei sonstigen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen indiziert ist.
Atypische Karzinoidtumoren (gut differenzierte neuroendokrine Karzinome)
sind wie die üblichen nicht-kleinzelligen Karzinome zu behandeln.
C 2.5 Nachsorge des Tumorpatienten
136
Die Nachsorge eines an einem Lungenkarzinom erkrankten Patienten dient der
rechtzeitigen Erfassung und Behandlung von Therapiefolgen sowie dem rechtzeitigen Erkennen eines Tumorrezidivs, der Dokumentation seines Spätschicksals
und der psychosozialen Betreuung. Wie die primäre Diagnostik des Tumors hat
sich auch das Nachsorgeprogramm an seinen therapeutischen Konsequenzen zu
orientieren.
Die Nachsorge wird bevorzugt ambulant von niedergelassenen Ärzten durchgeführt. Hierzu sind besonders die Schwerpunktpraxen geeignet. Es sollte immer
ein Informationsaustausch mit der primär behandelnden Klinik bestehen.
Im Nachsorgeuntersuchungsprogramm ist es besonders wichtig, ein lokales Rezidiv oder einen möglichen Zweittumor rechtzeitig zu erkennen, da hier noch
kurative Chancen bestehen können. Das Früherfassen einer Fernmetastasierung
hat im Gegensatz dazu für den asymptomatischen Patienten keine kurativen
und wohl auch kaum palliative Konsequenzen. Dementsprechend wird man sich
im Untersuchungsprogramm auf Zwischenanamnese, körperliche Untersuchung, Basislaborprofil und Thoraxübersicht in zwei Ebenen beschränken.
Weitergehende Untersuchungen sind nur nach speziellen Eingriffen sowie bei
entsprechenden Beschwerden oder Hinweisen auf ein Tumorrezidiv berechtigt.
Von den Thoraxchirurgen wird bei operierten Patienten die Computertomographie und die Bronchoskopie im ersten Jahr nach sechs Monaten und danach bis
zum fünften Jahr in jährlichen Intervallen gewünscht.
Bei bronchoplastischen Resektionen muss die Bronchoskopiefrequenz individuell
vom Operateur im ersten halben Jahr festgelegt werden. Sie richtet sich nach der
Heilungstendenz der Bronchusanastomose. Bei adjuvanten Therapiemaßnahmen sind die Intervalle individuell festzulegen. Die Bronchoskopie muss sowohl vor als auch nach der Radiotherapie, nach Möglichkeit auch einmal in der
Mitte dieser Therapie erfolgen.
Die Nachsorgeuntersuchungen werden nach einem festgelegten Zeitplan durchgeführt (Tabelle 5). Die Erstuntersuchung erfolgt sechs Wochen nach den klinischen Abschlussuntersuchungen. Man achtet bei ihr hauptsächlich auf frühzeitige direkte Folgen der primären Behandlung. Bis zum Ablauf des zweiten postoperativen Jahres werden die Untersuchungen in Intervallen von drei Monaten,
später für weitere drei Jahre in Abständen von sechs Monaten durchgeführt.
Danach gilt die Empfehlung von Untersuchungen in nur noch jährlichen Abständen. Beim Nachweis eines Rezidivs wird das Programm selbstverständlich individuell modifiziert.Die genannten Zeiträume beruhen auf klinischer Erfahrung,
jedoch nicht auf Evidence-basiertem Wissen.
Tabelle 5. Nachsorgeprogramm beim Bronchialkarzinom.
Monat nach radikaler
Resektion oder
kurativer
Radiotherapie
Basisprogramm:
Zwischenanamnese
Körperliche
Untersuchung
BKS, Hb, Leukozyten,
AP, GGT, LDH
Zusatzprogramm:
Röntgenübersicht des
Thorax in 2 Ebenen
1,5 3 6 9 12
Alle 3
Mon.
bis 24
Mon.
Alle 6
Mon.
bis 60
Mon.
Weiterhin
1 mal
jährlich
O
O O O O
O
O
O
O
O O O O
O
O
O
O
O O O O
O
O
O
O
O O O O
O
O
O
Spezialprogramm:
Nach Bedarf
Nur durch eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen dem Hausarzt, dem niedergelassenen Facharzt und dem Kliniker ist eine effektive Nachsorge möglich.
Der Allgemeinarzt übernimmt die allgemeine und psychosoziale Betreuung des
Patienten, während die spezifische und weiterführende Diagnostik in Schwerpunktpraxen und Klinikambulanzen erfolgt.
Ein guter Informationsaustausch unter den genannten Partnern ist wesentlich,
zumindest für die Radioonkologie ist dies durch die Strahlenschutzgesetzgebung vorgeschrieben (Empfehlung der Strahlenschutzkommission, Bundesanzeiger, Nr. 144 vom 06.08.1998).
Ebenso arbeiten Rehabilitationskliniken eng mit vor- und nachbehandelnden
Ärzten zusammen. Rehabilitationskliniken, die personell und apparativ auf die
Bedürfnisse von Krebskranken ausgerichtet sind, befassen sich mit den Auswirkungen von Erkrankung und Therapie auch auf der sozialen, psychischen und
beruflichen Ebene.
137
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Verfahren zur Konsensbildung
Expertengruppe mit Beratung durch
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und
Toxikologie
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie
Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie
Verfasser
Im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft:
Dr. H. Becker, Heidelberg; Prof. Dr. P. Drings, Heidelberg; Prof. Dr. K. Havemann,
Marburg; Prof. Dr. J. Hasse, Freiburg; Prof. Dr. Dr. P. Hermanek, Erlangen; Prof.
Dr. Th. Junginger, Mainz; Prof. Dr. K. M. Müller, Bochum; Prof. Dr. R. P. Müller,
Köln; Prof. Dr. N. Niederle, Leverkusen; Dr. P. Schneider, Heidelberg; Dr. P.
Schraube, Heidelberg; Prof. Dr. I. Vogt-Moykopf, Heidelberg; Prof. Dr. Dr. M.
Wannenmacher, Heidelberg; Dr. J. Zelt, Reichelsheim.
Verantwortlich für die Redaktion: Prof. Dr. P. Drings und Prof. Dr. P. Hermanek
Bei der Aktualisierung 1999 haben ferner mitgewirkt:
Prof. Dr. R. Andreesen, Regensburg; Prof. Dr. D. Kaiser, Berlin; Prof. Dr. H. Morr,
Greifenstein; Prof. Dr. M. Wolf, Marburg.
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
140
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordinator
Prof. Dr. P. Drings
Thoraxklinik der LVA Baden
Amalienstraße 5
D-69126 Heidelberg
Erste Fassung: August 1996
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
141
142
Gastrointestinaler Bereich
D
143
144
D1
Oesophaguskarzinom
D 1.1 Diagnostik
Prätherapeutische Diagnostik und Tumorstaging
Für das therapeutische Vorgehen bei Patienten ohne Fernmetastasen bedeutsam ist die Klassifikation der Oesophaguskarzinome:
1. in suprabifurkale (einschließlich an der Bifurkation gelegene) und infrabifurkale Tumoren (ohne Bezug zum Tracheobronchialsystem),
2. in auf die Oesophaguswand beschränkte (T1/T2) und lokal fortgeschrittene
(T3/T4) Karzinome.
3. Zervikale Karzinome erstrecken sich vom unteren Rand des Krikoidknorpels
bis zum Eintritt des Oesophagus in den Thorax.
Notwendige Untersuchungen
Anamnese und klinische Untersuchung
Oesophagus- und Magen-Darm-Passage (bei zervikalem Karzinom mit wasserlöslichem Kontrastmittel)
Röntgen-Thorax in zwei Ebenen
Oesophago-Gastroskopie mit Biopsie des Tumors
Spiral-Computertomographie Thorax
Spiral-Computertomographie Abdomen
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Endosonographie (zur genauen Bestimmung des T-Status vor neoadjuvanter
Therapie und lokaler Exzision)
HNO-ärztliche Untersuchung bei zervikalem Tumor und Verdacht auf Rekurrensparese
Bronchoskopie (bei suprabifurkalem Tumor)
Laparoskopie (bei infrabifurkalem Adenokarzinom)
Sonographie/Computertomographie des Halses (bei suprabifurkalem Tumor)
Präoperative histologische Diagnostik
Anhand von endoskopischen Zangenbiopsien sind zunächst die Dignität und außerdem wegen der typenspezifischen Therapie (s.u.) auch der Tumortyp (Plattenepithel- oder Adenokarzinom) und möglichst auch der Differenzierungsgrad zu
klären. Sehr selten sind darüber hinaus auch primäre oder eingewachsene kleinzellige Karzinome und – mittels Immunhistochemie – primäre oder sekundäre
Lymphome des Oesophagus abzugrenzen.
Nach multimodaler Therapie erlauben nur positive Biopsiebefunde einen Rückschluss auf den Tumorstatus, da die in tieferen Wandschichten persistierenden
Tumorinseln an der Oberfläche von einem normalen Plattenepithel reepitheli-
145
siert werden können, wodurch dann bioptisch ein Normalbefund vorgetäuscht
werden kann.
Bei den hochgradigen intraepithelialen Neoplasien (Dysplasien) der BarrettMukosa, bei denen die Diagnostik am Resektat vielfach bereits invasive
Adenokarzinome ergibt, sollte die Diagnose durch einen zweiten, in der Dysplasiediagnostik erfahrenen Pathologen bestätigt werden (1).
D 1.2 Therapie
Neoadjuvante (präoperative) Therapie
Die alleinige neoadjuvante (präoperative) Radiotherapie des wahrscheinlich R0resektablen Oesophaguskarzinoms ist nicht zu empfehlen. Die neoadjuvante
(präoperative) kombinierte Radiochemotherapie ist prinzipiell wirksam. Sie sollte
bei resektablem Tumor derzeit nur innerhalb klinischer Studien eingesetzt werden. Sie wird vor allem bei lokal fortgeschrittenen suprabifurkalen und zervikalen Plattenepithelkarzinom angewandt (s. Abschnitt 3). Eine intensive Supportivtherapie ist als Begleitmaßnahme wesentlich.
Chirurgische Therapie in kurativer Zielsetzung
Das Risiko der operativen Therapie bei Patienten mit Oesophaguskarzinom ist
auch von der Erfahrung des Operateurs und der Institution abhängig. Daher sollte die operative Therapie in Zentren mit spezieller Erfahrung in der Oesophaguschirurgie erfolgen. Entscheidend für die Indikation zur Operation sind die Beurteilung des Risikos des geplanten Eingriffs und die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Tumorentfernung (R0-Resektion). Die R0-Resektion
(radikale Entfernung des Tumors mit regionalem Lymphabflussgebiet) ist die wesentliche Voraussetzung für einen kurativen Behandlungserfolg.
Nichtinvasive und frühinvasive Plattenepitehelkarzinome
Für nichtinvasive Plattenepithelkarzinome (pTis) und bis zu 2 cm große, gut differenzierte Mukosakarzinome ist eine Mukosaresektion im Gesunden als ausreichende Therapie anzusehen, sofern durch sorgfältige endoskopische Untersuchung sichergestellt ist, dass keine weiteren Tumorareale im Oesophagus
vorhanden sind und regelmäßige endoskopische Nachuntersuchungen stattfinden (4).
146
Suprabifurkales Oesophaguskarzinom
Bei T1/T2-Tumoren ist die subtotale Oesophagusresektion mit abdominaler und
mediastinaler (vermutlich auch zervikaler) Lymphadenektomie (3-Feld-Dissektion) indiziert. Fortgeschrittene Tumoren (T3/T4) sind in Anbetracht ihres frühen
Bezugs zum Tracheobronchialsystem häufig lokoregional nicht R0-resektabel.
Sie sollten unter Studienbedingungen einer neoadjuvanten Strahlenchemotherapie mit dem Ziel zugeführt werden, ein sog. Downstaging zu erreichen und
sekundär die operative Therapie zu ermöglichen. Bei diesem Konzept ist mit
einer Erhöhung des postoperativen Risikos zu rechnen.
Infrabifurkales Oesophaguskarzinom
Bei T1/T2-Tumoren ist die subtotale Oesophagusresektion mit abdominaler und
mediastinaler Lymphadenektomie (2-Feld-Dissektion) indiziert. Auch im fortgeschrittenen Tumorstadium kann dieses Vorgehen erfolgen, allerdings ist bei T4Tumoren mit einem erhöhten Operationsrisiko und ungünstiger Langzeitprognose zu rechnen. Neoadjuvante Therapiemodalitäten unter Einschluss der Strahlentherapie sind derzeit in der Erprobung. Sie sind nur innerhalb kontrollierter
Studien indiziert. Als Alternative kommt bei Patienten im Stadium II/III bei hohem
operativem Risiko die Radiochemotherapie zur Anwendung. Prospektive randomisierte Studien zur ausschließlichen Radiochemotherapie fehlen.
Zervikales Oesophaguskarzinom
Bezüglich des therapeutischen Vorgehens besteht kein Konsens. Studien sind
wünschenswert.
Operative Technik
Thorakale Plattenepithelkarzinome werden durch En-bloc-Resektion des intrathorakalen Oesophagus mit dem umgebenden Fett- und Bindegewebe einschließlich des Ductus thoracicus, ggf. der Vena azygos und adhärenter Strukturen entfernt, am besten nach rechtsseitiger Thorakotomie. Die Speiseröhre wird
kranial situationsabhängig entweder in Höhe der Thoraxkuppe oder nach Freilegung am Hals reseziert. Die mediastinale und abdominelle Lymphadenektomie
ist ein fester Bestandteil der Operation. Die abdominelle Lymphadenektomie
umfasst die proximale Resektion der kleinen Kurvatur des Magens und die Entfernung der zoeliakalen und suprapankreatischen Lymphknoten (entsprechend
Kompartment 2 bei Magenkarzinom).
Die transmediastinale (stumpfe) Dissektion der Speiseröhre erfüllt bei diesem Tumortyp nicht die Ansprüche an einen adäquaten chirurgisch-onkologischen Eingriff, kann jedoch im Einzelfall unter besonderen Bedingungen indiziert sein (z.B.
schwere Dysplasie, Verdacht auf Mukosakarzinom, hohes Risiko bei transthorakalem Vorgehen u.a.).
Distale Adenokarzinome (Barrett-Karzinome) können sowohl transthorakal als
auch durch die radikale transhiatale so genannte 2-Feld-Oesophagektomie mit
ausreichender Radikalität behandelt werden. Die Lymphadenektomie im unteren hinteren Mediastinum ist notwendig und kann transhiatal erfolgen. Die abdominelle Lymphadenektomie entspricht dem Vorgehen bei intrathorakalem
Plattenepithelkarzinom.
Bei Patienten mit hochgradiger intraepithelialer Neoplasie (Dysplasie) in einem
Barrett-Oesophagus sollte primär eine komplette Entfernung durch endoskopische Mukosaresektion versucht werden. Dies kann auch bei späterem Nachweis
eines schon entwickelten auf die Mukosa beschränkten gut differenzierten Adenokarzinoms als ausreichende Therapie angesehen werden. Gelingt eine komplette Entfernung einer hochgradigen intraepithelialen Neoplasie (Dysplasie)
durch Mukosaresektion nicht, ist abhängig vom Operationsrisiko eine Resektion
zu erwägen. Der therapeutische Wert einer photodynamischen Therapie ist derzeit durch kontrollierte Studien nicht belegt.
147
Höher gelegene Adenokarzinome werden wie Plattenepithelkarzinome operiert.
Als Oesophagusersatz dient der zu einem Schlauchmagen umgeformte Magen
oder, sofern dieser nicht geeignet ist, ein Kolonabschnitt. Eine Pyloroplastik ist
nicht regelhaft indiziert.
Für minimal-invasive, thorakoskopische oder laparoskopische Operationsmethoden gibt es derzeit keinen gesicherten Platz bei der operativen Therapie des
Oesophaguskarzinoms mit kurativem Ziel (Internationale Konsensus-Konferenz
ISDE 1995) (2).
Pathohistologische Diagnostik des Resektats
Das Resektat sollte nach Abschluss der Operation wegen der starken Schrumpfungsneigung aufgespannt werden und ohne Verzögerung zum Pathologen gelangen. Der endgültige pathohistologische Befund sollte den Tumortyp und das
Grading nach WHO, Angaben zur R-Klassifikation und die pTNM-Klassifikation
nach UICC (6) einschließen. Die Anzahl der untersuchten und befallenen regionären Lymphknoten sollte angegeben werden. Eine verlässliche Diagnose pN0
erfordert die histologische Untersuchung von mindestens sechs regionären
Lymphknoten (6). Bisweilen kommt es nach multimodaler Therapie (besonders
von Plattenepithelkarzinomen) zu einer weitgehenden Tumorregression. Die
dann feststellbare Tumorausbreitung ist nach der UICC als ypTNM-Stadium zu
klassifizieren.
Beim Adenokarzinom des gastrooesophagealen Übergangs empfiehlt sich zur
Sicherung eines Barrett-Karzinoms die Anfertigung einer Skizze bzw. einer Fotografie des fixierten Präparates und eine möglichst genaue topographische Aufarbeitung unter Berücksichtigung des tubulären Oesophagus bzw. des Magens,
dabei ist auf stehen gebliebene Inseln der Barrett-Mukosa zu achten. Diffus-siegelringzellige Karzinome sind im gastrooesophagealen Übergang nach der UICC
als in den Oesophagus eingewachsene Magenkarzinome zu klassifizieren (5).
Postoperative (adjuvante) Strahlen- und/oder Chemotherapie
Die postoperative Strahlentherapie nach R0-Resektion von Plattenepithelkarzinomen vermindert die lokoregionäre Rezidivrate, ohne die Überlebensrate zu
verbessern. Durch die assoziierte Toxizität kann das Überleben ungünstig beeinflusst werden. Zur postoperativen adjuvanten Radiochemotherapie liegen keine
Daten vor, die ihren Einsatz außerhalb von Studien rechtfertigen. Liegt aufgrund
der histologischen Beurteilung eine R0-Resektion vor, ist somit in der Regel keine
weitere onkologische Therapie indiziert.
Nach R1-Resektion suprabifurkaler Plattenepithelkarzinome kann durch Radiotherapie versucht werden, eine lokoregionäre Tumorprogression mit Einbeziehung des Tracheobronchialsystems zu vermeiden. Es ist eine Gesamtreferenzdosis im ehemaligen Tumorbereich von 54 bis maximal 60 Gy bei Einzeldosen von
1,8 Gy täglich zu empfehlen. Ein retrosternal hochgezogener Magen ist primär
keine Kontraindikation für die postoperative Radiotherapie.
148
Radiochemotherapie primär irresektabler Oesophaguskarzinome
Für die lokal fortgeschrittenen nicht R0-resektablen Karzinome des Oesophagus
ist bei ausreichendem Allgemeinzustand des Patienten die kombinierte simultane Radiochemotherapie zu empfehlen. Es sollte eine Gesamtreferenzdosis von
mehr als 60 Gy (1,8 Gy/fx, ICRU 50) simultan mit einer Zytostatikakombination
(Cisplatin/5-Fluorouracil, letzteres als Dauerinfusion) appliziert werden. Die
Wirksamkeit der Kombination der externen Strahlentherapie mit einer endokavitären Bestrahlung (Brachytherapie) auf die Überlebenszeit ist bislang nicht nachgewiesen. Das Verfahren sollte daher nur in klinischen Studien zur Anwendung
kommen. Eine begleitende supportive Therapie zur Sicherstellung der Ernährung, Antiemese u. a. ist erforderlich.
Palliativmaßnahmen
Zur Beseitigung der Schluckbeschwerden bei Patienten mit nicht resektablem
Oesophaguskarzinom stehen endoskopische, interventionelle, chirurgische und
radiotherapeutische Maßnahmen zur Verfügung, die situationsabhängig zur
Anwendung kommen. Die intraluminale Bestrahlung in Afterloadingtechnik ist
eine wenig belastende Therapie mit meist rascher Besserung bestehender
Schluckbeschwerden. Bei starken thorakalen Schmerzen und/oder Kompression
des Oesophaguslumens kann die kleinvolumige perkutane Radiotherapie mit
36–45 Gy als Palliativmaßnahme eingesetzt werden. Bei Patienten mit Fernmetastasen eines Plattenepithelkarzinoms kann, insbesondere bei jüngeren Patienten in gutem Allgemeinzustand, durch eine Cisplatin-/5-Fluorouracil-Kombinationstherapie ein palliativer Effekt erzielt werden (Remissionsraten 30–40%).
Alternativ kommt die Monotherapie zum Einsatz. Bei Patienten mit Fernmetastasen eines Adenokarzinoms ist die Meinung über die geeignete medikamentöse Tumortherapie noch kontrovers. Vermutlich ist die Wirksamkeit der Chemotherapie für beide Tumorentitäten gleich.
D 1.3 Nachsorge (3)
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und
Prognoseverbesserung ist bisher nicht belegt. Die Nachsorge sollte daher symptomorientiert erfolgen, wobei die Beseitigung von Anastomosenstenosen im
Vordergrund steht, und Aspekte der Lebensführung einbeziehen. Eine strukturierte Tumornachsorge ist nur in Therapiestudien angezeigt.
D 1.4 Rehabilitation
Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollten, so weit notwendig, ausschließlich in besonders erfahrenen Tumornachsorgekliniken durchgeführt werden, die
mit der speziellen somatischen, psychischen, sozialen oder beruflichen
Rehabilitationsbedürftigkeit von Patienten mit Abdominaltumoren vertraut sind.
Für alkoholabhängige Patienten gibt es spezielle Krebsrehabilitationskliniken.
149
Nicht nur bei den inoperablen, sondern auch potenziell kurativ behandelten
Patienten, ist, abhängig vom Tumorstadium, von einem sehr hohen Grad der
Behinderung (GdB) auszugehen. Er beträgt mindestens 80%, in der Regel
100%. Manuelle und körperlich belastende Tätigkeiten sind nur noch in Ausnahmefällen möglich.
Literatur
1 Arbeitsgemeinschaft Gastroenterologische Pathologie der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (2002) Konsensuskonferenz Barrett-Mukosa am
22.09.2001 in Erlangen. Pathologe: in Vorbereitung)
2 Fumagilli U and Panel of Experts (1996) Resective surgery for cancer of the
thoracic esophagus. Results of a Consensus Conference held et the VIth
World Congress of the International Society for Diseases of the Esophagus.
Dis Esoph 9, (suppl 1): 30–38
3 Hermanek P, Junginger Th, Hossfeld DK, Müller R-P, Fölsch UR (1999) Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Dtsch
Ärztebl 96A: 2084–2088
4 Pathirana A, Poston GJ (2001) Lessons from Japan – Endoscopic management of early gastric and oesophageal cancer. Eur J Surg Oncol 27: 9–16
5 4. UICC (2001) TNM supplement, 2nd ed. A commentary on uniform use.
Wittekind Ch, Henson DE, Hutter RVP, Sobin LH (eds). John Wiley and Sons.
New York
6 5. UICC (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren, 5. Aufl. Wittekind Ch,
Wagner G (Hrsg). Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Verfahren der Konsensbildung
Erarbeitet von den Arbeitsgemeinschaften der Deutschen Krebsgesellschaft
Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. med. F. Borchard, Aschaffenburg (Pathologie), Prof. Dr. med. H. Delbrück, Wuppertal (ARNS), Prof. Dr. med. F.W. Eigler, Essen (CAO), Prof. Dr. med.
D.K. Hossfeld, Hamburg (AIO), Prof. Dr. med. Th. Junginger, Mainz (CAO), Prof.
Dr. med. H.J. Meyer, Solingen (CAO), Prof. Dr. med. J.R. Siewert, München
(CAO), Prof. Dr. med. S. Staar, Köln (ARO), Prof. Dr. med. W. Stock, Düsseldorf
(CAO)
150
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. med. H.G. Beger, Ulm (CAO), Prof. Dr. med. P. Hermanek, Erlangen
(ISTO, Pathologie), Prof. Dr. med. J. Müller, Berlin (CAO), Prof. Dr. med. R.-P. Mül-
ler, Köln (ARO), Prof. Dr. med. W. Queißer, Mannheim (AIO), Prof. Dr. med. P.M.
Schlag, Berlin (CAO)
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
Deutsche Röntgengesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
151
Leitlinienkoordinatinator
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: November 1998
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
152
D2
Magenkarzinom
D 2.1 Prätherapeutische Diagnostik und Tumorstaging (2)
Notwendige Untersuchungen
Klinische Untersuchung (supraklavikuläre Lymphknotenvergrößerung,
Aszites, intraabdomineller Tumor)
Oesophago-Gastro-Duodenoskopie mit multiplen (5 bis 10) Biopsien
Sonographie des Abdomens und kleinen Beckens
Röntgen-Thorax in zwei Ebenen
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Doppelkontrastuntersuchung des Magens bei unklarem endoskopischem Befund, z.B. bei submukös wachsendem Karzinom (Linitis plastica).
Endosonographie (Tiefeninfiltration, Lymphknotenmetastasen, sofern eine
präoprative Therapie geplant ist)
Computertomogramm Abdomen (bei unklarem sonographischem Befund,
Verdacht auf Metastasen in Leber, Ovarien u.a., Beurteilung des lokoregionären Tumorwachstums vor Chemotherapie s.u.)
Computertomogramm Thorax (bei Verdacht auf Lungenmetastasen)
Laparoskopie (zum Ausschluss von intraabdominellen Fernmetastasen: z.B.
Peritoneum, Leber, Ovar) vor geplanter neoadjuvanter Therapie.
Tumormarker (CA 72-4, Ca 19-9, CEA, Bestimmung mindestens eines Markers)
Pathohistologische Diagnostik (2, 6)
Die präoperative Biopsiediagnostik erfordert eine Differenzierung zwischen Karzinom und Lymphom. Für die Abgrenzung undifferenzierter und kleinzelliger
Karzinome von malignen Lymphomen sind immunhistologische Untersuchungen von Bedeutung. Bei Karzinomen ist an der präoperativen Biopsie eine Differenzierung in intestinalen und diffusen Typ anzustreben. Entsprechend der
WHO-Klassifikation sind Karzinome, die sowohl Strukturen eines Intestinaltyps
als auch solche eines diffusen Typs zeigen, für klinische Zwecke als Karzinom
vom diffusen Typ zu klassifizieren.
D 2.2 Therapie
Präoperative (neoadjuvante) Chemotherapie (6)
Bei Patienten mit potenziell resektablem Magenkarzinom (T1/2) ist eine präoperative Chemotherapie nicht indiziert.
Für Patienten mit fortgeschrittenem Magenkarzinom (T3/4) gibt es Hinweise auf
eine Prognoseverbesserung durch präoperative Chemotherapie. Der Nachweis
153
durch randomisierte Studien steht aus. Diese Therapie soll ausschließlich im Rahmen kontrollierter Studien erfolgen (EORTC-Studie 40954: Präoperative Chemotherapie plus Op. vs. Op.; Universitätsklinik Essen, PD Dr. Stahl: präoperative Radiochemotherapie plus Op. vs. präoperative Chemotherapie plus Op.).
Für Patienten mit nicht resektablem Magenkarzinom gibt es Hinweise, dass
durch präoperative Chemotherapie sekundär Resektabilität erreicht werden
kann. Sofern die allgemeinen Voraussetzungen für eine Chemotherapie (Alter,
Allgemein- und Ernährungszustand, internistische Begleiterkrankungen) gegeben sind, kann eine präoperative Therapie mit dem Ziel des „Downstaging“ und
nachfolgender R0-Resektion versucht werden. Diese Therapie sollte unter kontrollierten Bedingungen an Zentren mit spezieller Erfahrung, z.B. Tumorzentren,
erfolgen. Die Beurteilung der Resektabilität muss laparoskopisch (durch einen
Chirurgen) oder nach Laparotomie erfolgen.
Operative Therapie mit kurativer Zielsetzung (6)
Für die kurative Behandlung des Magenkarzinoms ist das adäquate onkologischchirurgische Vorgehen unbedingte Voraussetzung. Die chirurgische Therapie
des Magenkarzinoms umfasst die Tumorentfernung unter Einhaltung eines adäquaten Sicherheitsabstandes (5 cm (intestinaler Typ) bzw. 8 cm (diffuser Typ) in
situ gemessen) und die systematische Lymphadenektomie einschließlich der Resektion des großen und kleinen Netzes. Die Indikation zur Gastrektomie oder
subtotalen Resektion richtet sich nach der Tumorlokalisation, dem histomorphologischen Typ und der individuellen Risikobeurteilung. Gastrektomie und subtotale Resektion sind gleichwertig, wenn ein Sicherheitsabstand von 5 cm bzw.
8 cm (siehe oben) einzuhalten ist.
Die systematische Lymphadenektomie soll die Ausräumung des Kompartments I
und II umfassen1. Kompartment I soll mit dem Magen en bloc entfernt werden.
Die Splenektomie muss bei Durchführung einer Gastrektomie nicht obligat erfolgen. Bei fortgeschrittenen Tumoren der oberen Magenhälfte, vor allem bei Tumorsitz großkurvaturseitig oder bei Gesamtbefall des Magens, ist die Splenektomie notwendig. Bei subtotaler Resektion ergibt sich keine onkologisch begründete Indikation für die regelhafte Splenektomie.
Endoskopische Polypektomie oder Mukosaresektion und kombiniert endoskopisch-laparoskopische Mukosa- oder Magenwandresektion sind als kurative Behandlung vertretbar bei auf die Mukosa beschränktem gut- oder mäßiggradig
154
1 Die obige Empfehlung zu einer D2-Dissektion beim Magenkarzinom geht von umfangreichen retrospektiven Ergebnissen aus, die keine Erhöhung der Morbidität und Letalität nach
D2-Dissektion, jedoch eine Prognoseverbesserung in Untergruppen gezeigt hat.
Zwei prospektive randomisierte Studien haben die D1- und D2-Dissektion verglichen und
keinen signifikanten Vorteil für die D2-Dissektion gefunden. Allerdings war in beiden Studien ein großer Anteil von Kliniken mit nur geringen Fallzahlen beteiligt. Die postoperative
Morbidität und Letalität waren ungewöhnlich hoch. Die Mehrzahl der Mitglieder der Expertengruppe empfiehlt die D2-Dissektion bei der Therapie des Magenkarzinoms in kurativer
Absicht, wobei diese Operation an Zentren mit entsprechender Erfahrung und niedriger
Morbidität und Letalität vorgenommen werden sollte.
differenziertem Karzinom vom intestinalen Typ (G1, G2, Low grade), sofern sie
sicher im Gesunden erfolgen und weitere Tumorherde durch Endoskopie ausgeschlossen sind (5, 7).
Intraoperative Therapie (6)
Die derzeit noch laufenden Studien zur intraoperativen Radiotherapie (IORT) und
zur intraperitonealen Chemotherapie sind nicht abgeschlossen, sodass außerhalb von Studien diese Behandlungsformen nicht indiziert sind.
Pathohistologische Beurteilung der Tumorresektate
Als Minimalanforderung für die Aufarbeitung von Tumorresektaten mit Magenkarzinom und die Dokumentation der pathohistologischen Befunde sollten die
Empfehlungen der Deutschen Krebsgesellschaft gelten (2). Insbesondere sind
Aussagen zur R-Klassifikation (Tumorfreiheit oder -befall an Resektionslinien
oral, aboral, am Halteapparat, ggf. an mitentfernten Nachbarorganen) und die
pTNM-Klassifikation erforderlich. Die Zahl untersuchter und befallener regionärer Lymphknoten ist anzugeben. Die histologische Klassifikation soll sowohl
nach WHO als auch nach Laurén erfolgen. Beim vierstufigen Grading kann G1
und G2 als Low grade, G3 und G4 als High grade zusammengefasst werden. Eine verlässliche Diagnose pN0 erfordert die histologische Untersuchung von mindestens 15 regionären Lymphknoten.
Palliativmaßnahmen (6)
Maßnahmen nach R1-Resektion (ohne Fernmetastasen)
Ergibt sich postoperativ nach vermeintlicher R0-Resektion ein mikroskopischer
Tumorrest (R1-Resektion), ist eine Nachresektion (R0-Resektion) anzustreben. Ist
diese nicht möglich, soll zunächst der weitere Verlauf beobachtet und bei nachgewiesenem Tumorprogress über die weitere Behandlung entschieden werden.
Maßnahmen nach R2-Resektion oder bei Magenkarzinom mit Fernmetastasen
Zur Behandlung dieser Patienten stehen operative Maßnahmen, strahlen- und
chemotherapeutische Behandlungen zur Verfügung, wobei die Wahl, abhängig
von der bestehenden Symptomatik, individuell erfolgt. Grundsätzlich ist die Indikation zur Chemotherapie gegeben. Wegen des raschen Krankheitsverlaufs sollte dies auch bei fehlenden Symptomen eingeleitet werden, unter Berücksichtigung des Allgemein- und Ernährungszustands und internistischer Begleiterkrankungen (2a). Bei Patienten mit hochgradig eingeschränktem Allgemeinzustand
(Karnofsky < 60%) ist über eine zytostatische Therapie im Einzelfall zu entscheiden.
Gebräuchliche Kombinationen zur palliativen Chemotherapie sind Epirubicin/
Cisplatin/5-FU (ECF), 5-FU-Folinsäure/Cisplatin (FLP) und Mitomycin/Cisplatin/
5-FU (MCF). Für Patienten, bei denen eine Platin-haltige Therapie nicht möglich
oder sinnvoll ist, stehen 5-FU-Folinsäure und Oxaliplatin, für Patienten in
schlechtem Allgemeinzustand, bei denen keine Möglichkeit einer Kombinationstherapie besteht, 5-FU und Folinsäure zur Verfügung.
155
Adjuvante Therapie (6)
Bisher konnte nicht belegt werden, dass eine adjuvante Chemotherapie oder Radiotherapie nach R0-Resektion eines Magenkarzinoms die Prognose verbessert. Dies
gilt derzeit für alle Subgruppen, sodass eine adjuvante Chemo- bzw. Radiochemotherapie nach R0-Resektion außerhalb von Studien derzeit nicht begründet ist.
In einer prospektiven randomisierten Studie (4) konnte nach Resektion von Adenokarzinomen des Magens und des gastrooesophagealen Übergangs nach
Radiochemotherapie das rezidivfreie und das Gesamtüberleben verbessert werden (Dreijahresrate rezidivfreien Überlebens 48% vs. 31%, Dreijahres-Gesamtüberleben 50% vs. 41%). Allerdings entsprach das chirurgische Vorgehen nicht
den Prinzipien der onkologischen Chirurgie (54% D0-Dissektion, d.h. keine vollständige Entfernung des Kompartment I, nur 10% D2-Dissektion). Überdies war
die Toxizität hoch (41% Grad 3, 32% Grad 4, 1% Letalität). Damit wird diese
Studie von der Mehrheit der Experten der Arbeitsgruppe nicht als Grundlage
einer allgemeinen Empfehlung einer adjuvanten Radiochemotherapie außerhalb
von Studien angesehen.
Eine postoperative Chemo- oder Strahlentherapie gilt derzeit nach R0-Resektion
auch dann als adjuvant, wenn immunhistologisch isolierte Tumorzellen in Knochenmarkbiopsien oder Lymphknoten gefunden (M0(i+) bzw. pN0(i+)) oder
Tumorzellen zytologisch in Peritonealspülungen nachgewiesen werden
(M1(cy+)). Der alleinige Nachweis immunhistologisch isolierter Tumorzellen stellt
keine Indikation für eine Chemotherapie außerhalb von Studien dar.
D 2.3 Nachsorge (3)
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge für die Verbesserung der Prognose ist bisher nicht belegt. Die Nachsorge sollte symptomorientiert erfolgen und
insbesondere Folgen des Organverlustes behandeln. Neu auftretende Symptome sollten innerhalb von vier bis sechs Wochen abgeklärt werden.
Eine strukturierte Nachsorge ist immer in Therapiestudien angezeigt.
Erfolgte die Behandlung eines auf die Schleimhaut begrenzten Frühkarzinoms
durch Polypektomie, Mukosektomie oder lokale Magenwandexzision, ist wegen
des möglicherweise erhöhten Rezidivrisikos und der Möglichkeit einer kurativen
radikalen Reoperation eine gastroskopische Überwachung in sechsmonatigen
Abständen für drei Jahre zu empfehlen.
D 2.4 Rehabilitation (1)
156
Voraussetzungen für die Rehabilitation sind das Vorliegen einer Rehabilitationsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit und Rehabilitationsbereitschaft. Bei gegebenen Voraussetzungen ist ein stationäres Anschlussheilverfahren in einer spezialisierten, möglichst wohnortnahen Nachsorgeklinik (AHB-Klinik) zu empfehlen, u.a. zur intensiven diätetischen Beratung und Behandlung der Postgastrektomiebeschwerden. Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollten so
weit notwendig ausschließlich in besonders erfahrenen Tumornachsorgekliniken
durchgeführt werden, die mit der speziellen somatischen, psychischen, sozialen
oder beruflichen Rehabilitation der Patienten vertraut sind.
Manuell Tätige sind in ihrer Leistungsfähigkeit besonders von den Folgen der
Postgastrektomiebeschwerden betroffen. Tätigkeiten in häufig wechselnder,
stehender, bückender Stellung sind für Gastrektomierte wegen der Refluxgefahr
oft nicht möglich. Ggf. ist bei Gastrektomierten so früh wie möglich eine Arbeitsplatzumsetzung anzustreben und – unter der Voraussetzung einer guten
Prognose – eine berufliche Neuorientierung in Erwägung zu ziehen. Bei magenresezierten Patienten ist bei der sozialmedizinischen Begutachtung von anderen
Kriterien als bei gastrektomierten Patienten auszugehen.
Literatur
1 Delbrück H (1997) Standards und Qualitätskriterien von Rehabilitationsmaßnahmen nach Magenoperation wegen Krebs. In: Delbrück H (Hrsg) Deutsche
Krebsgesellschaft und Deutsche Krebshilfe: Qualitätssicherung in der Onkologie 7.1 Standards und Qualitätskriterien in der onkologischen Rehabilitation. Zuckschwerdt, München Bern Wien New York, pp 117–130
2 Deutsche Krebsgesellschaft (1995) Qualitätssicherung in der Onkologie 3.1.
Diagnostische Standards. Lungen-, Magen-, Pankreas- und kolorektales Karzinom. Hermanek P (Hrsg). Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
2a Glimelius B et al (1997) Randomized comparison between chemotherapy
plus best supportive care with best supportive care in advanced gastric cancer. Ann Oncol 71: 163–168
3 Hermanek P, Junginger Th, Hossfeld DK, Müller R-P, Fölsch UR (1999) Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Dtsch
Ärztebl 96A: 2084–2088
4 Macdonald IS et al (2001) Chemoradiotherapy after surgery compared with
surgery alone for adenocarcinoma of the stomach or gatroesophageal junction. N Engl J Med 345: 725
5 Pathirana A, Poston GJ (2001) Lessons from Japan – Endoscopic management of early gastric and oesophageal cancer. Eur J Surg Oncol 27: 9–16
6 Pichlmaier H, Hossfeld DK, Müller RP (1995) Konsensus zur multimodalen
Therapie des Magenkarzinoms. Forum Dt Krebsges 10: 275–277
7 Wanebo HJ (2000) The challenge of early gastric cancer; the need to optimize microstaging and therapy. Gastric Cancer 3:121–122
8 Waters JS, Norman A, Cunningham D et al (1999) Long term survival after
epirubicin, cisplatin and flourouracil for gastric cancer: results of a randomized trial. Br J Cancer 80: 269–72
157
Verfahren der Konsensbildung
Erstellung durch die Expertengruppe der
Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. F. Borchard, Aschaffenburg (Pathologie); Prof. Dr. F. W. Eigler, Essen
(CAO); Prof. Dr. R. Engelhardt, Freiburg (AIO); Prof. Dr. H. Frommhold, Freiburg
(ARO); Dr. G. Hartung, Mannheim (AIO); Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO,
Pathologie); Prof. Dr. D. K. Hossfeld, Hamburg (AIO); Prof. Dr. Th. Junginger,
Mainz (CAO); Prof. Dr. R. Kirchner, Koblenz (CAO); Prof. Dr. E. D. Kreuser, Berlin
(AIO); Prof. Dr. H. J. Meyer, Solingen (CAO); Prof. Dr. R.-P. Müller, Köln (ARO);
Prof. Dr. H. Pichlmaier, Köln (CAO); Prof. Dr. W. Queißer, Mannheim (AIO); Prof.
Dr. P.M. Schlag, Berlin (CAO); Prof. Dr. H. Wilke, Essen (AIO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. H.G. Beger, Ulm (CAO); Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren
(ADT); Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin; Deutsche Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie; Deutsche
Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten; Deutsche Röntgengesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
158
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Koordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: November 1998
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
159
D3
Kolonkarzinom
Als Kolonkarzinome gelten Tumoren, deren aboraler Rand bei der Messung mit
dem starren Rektoskop mehr als 16 cm von der Anokutanlinie entfernt ist (6).
Von Karzinom wird hier ausschließlich gesprochen, wenn atypische epitheliale
Formationen in die Submukosa infiltriert sind (pT1 oder mehr). Nicht einbezogen
sind sog. Mukosakarzinome und sog. intraepitheliale Karzinome (pTis), bei denen keine Metastasierung erfolgt und die durch lokale Abtragung im Gesunden
ausreichend behandelt werden.
D 3.1 Prätherapeutische Diagnostik
Notwendige Untersuchungen
Anamnese und klinische Untersuchung (einschließlich digitale-rektaler Untersuchung)
Von entscheidender Bedeutung für die Diagnose eines hereditären Kolonkarzinoms ohne Polyposis (HNPCC) ist die ausführliche Familienanamnese. Diesbezügliche Hinweise ergeben sich aus den Amsterdam- und Bethesda-Kriterien (Tabellen 1 und 2) und können durch molekulargenetische Untersuchungen, einschließlich des Nachweises der Mikrosatelliteninstabilität (MSI),
bestätigt werden. Differenzialdiagnostisch sind auch hereditäre PolyposisSyndrome, die mit einer erhöhten Disposition zu kolorektalen Karzinomen
einhergehen (z.B. familiäre adenomatöse Polyposis, familiäre juvenile Polyposis) zu berücksichtigen. Bei Verdacht auf ein erbliches Kolonkarzinom sollte
den Patienten bzw. ihren Familienangehörigen eine humangenetische Beratung empfohlen werden, die gemäß den „Richtlinien zur Diagnostik der
genetischen Disposition für Krebserkrankungen“ der Bundesärztekammer (2)
durchzuführen ist.
Koloskopie mit Biopsie oder Doppelkontrasteinlauf mit Rektoskopie und Biopsie bei auffälligem Befund. Bei eindeutigem Befund des Kontrasteinlaufs kann
auf die Koloskopie verzichtet werden.
Bei stenosierendem, nicht passierbarem Tumor ist die vollständige Koloskopie
innerhalb von drei Monaten postoperativ nachzuholen.
Sonographie Abdomen (Leber, Niere, Aszites)
Röntgen-Thorax in zwei Ebenen
Tumormarker CEA
Bei Sigmakarzinom: Urinsediment
160
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Spiral-Computertomographie des Abdomens bei unklarem sonographischem
Befund
Magnetresonanztomographie als Alternative oder Ergänzung zur Spiral-Computertomographie
Spiral-Computertomographie des Thorax bei Verdacht auf Lungenmetastasen
Bei Sigmakarzinom: Spiral-Computertomographie bei sonographischem Verdacht auf Infiltration der Harnwege oder Erythrozyten im Urin; Zystoskopie
bei Verdacht auf Harnblaseninfiltration; gynäkologische Untersuchung bei
Verdacht auf Infiltration von Uterus und/oder Adnexen.
Tabelle 1. Amsterdam-Kriterien zur Diagnose des HNPCC (13) (Punkte 1
bis 5 müssen erfüllt sein).
1. Mindestens drei Familienmitglieder mit kolorektalem Karzinom und/oder
Endometrium-, Dünndarm- oder urothelialem Karzinom von Nierenbecken
oder Ureter
2. Mindestens zwei aufeinander folgende Generationen betroffen
3. Ein Familienmitglied erstgradig verwandt mit den beiden anderen
4. Ein Erkrankter zum Zeitpunkt der Diagnose jünger als 50 Jahre
5. Ausschluss einer familiären adenomatösen Polyposis (FAP)
Tabelle 2. Bethesda-Kriterien (10) (einer der Punkte muss erfüllt sein).
1. Patienten mit Krebserkrankung in Familien, die die Amsterdam-Kriterien
erfüllen
2. Patienten mit zwei HNPCC-assoziierten Karzinomen, einschließlich
synchroner und metachroner kolorektaler Karzinome oder assoziierter
extrakolonischer Karzinome a
3. Patienten mit kolorektalem Karzinom und einem erstgradigen Verwandten
mit kolorektalem oder assoziierten extrakolonischen Karzinom und/oder
einem kolorektalen Adenom; eine der Krebserkrankungen wurde im Alter
< 45 Jahren diagnostiziert, das Adenom <40 Jahren.
4. Patienten mit kolorektalem Karzinom oder Endometriumkarzinom,
diagnostiziert im Alter <45 Jahren.
5. Patienten mit rechtsseitigem Kolonkarzinom mit einem undifferenzierten
(solid/kribriformen) Zelltyp in der Histopathologie, diagnostiziert im Alter
< 45 Jahren b
6. Patienten mit kolorektalem Karzinom vom Siegelringzell-Typ, diagnostiziert
im Alter <45 Jahren c
7. Patienten mit Adenomen, diagnostiziert im Alter < 40 Jahren.
a
b
c
Endometrium-, Ovarial-, Magen-, Dünndarm- oder hepatobiliäres Karzinom
oder Übergangsepithelkarzinom des Nierenbeckens oder des Ureters;
Solid/kribriform – definiert als schwach differenziertes oder undifferenziertes
Karzinom bestehend aus irregulären, soliden Haufen großer eosinophiler
Zellen, die keine drüsenartigen Bestandteile aufweisen;
Bestehend aus >50% Siegelringzellen
161
D 3.2 Therapie
Präoperative neoadjuvante Therapie
Beweisende Untersuchungen für die Wirksamkeit neoadjuvanter Maßnahmen
liegen nicht vor.
Operative Therapie mit kurativem Ziel
Die chirurgische Therapie des Kolonkarzinoms unter kurativer Zielsetzung besteht in der Resektion des tumortragenden Kolon mit dem regionalen Lymphabflussgebiet, ggf. unter Mitentfernung adhärenter Organe (s.u. Multiviszerale Resektion). Kolonkarzinome wachsen vorwiegend zirkulär. Zur Entfernung des intramuralen mikroskopischen Tumorwachstums ist grundsätzlich eine minimale
Resektionsgrenze von 2 cm ausreichend. Das regionäre Lymphabflussgebiet
geht über diesen Bereich hinaus. Entsprechend der Gefäßversorgung breiten
sich Lymphknotenmetastasen tangential (bis zu 10 cm vom makroskopischen
Tumorrand entfernt), vorwiegend jedoch in zentraler Richtung aus. Für das Ausmaß der Darmresektion ist damit weniger die Tumorausbreitung in der Darmwand, als das nach zentraler Gefäßligatur zu entfernende Lymphabflussgebiet
bestimmend. Nur bei strenger Selektion kann auch eine lokale Therapie in Form
einer koloskopischen Polypektomie erfolgen (s.u.).
Karzinome des Zäkum und Colon ascendens
Regeloperation ist die Hemikolektomie rechts mit radikulärer Entfernung des
Lymphabflussgebietes der A. colica dextra und der A. ileocolica. Die A. colica
dextra entspringt in 52% aus der A. colica media, in 38% aus der A. mesenterica superior und in 10% aus der A. ileocolica (11). Der Stamm der A. colica media
wird erhalten, die nach rechts ziehenden Äste der A. colica media werden durchtrennt. Das große Netz wird im Bereich des zu resezierenden Querkolonteiles
mitentfernt. Bei der Durchtrennung des Ligamentum gastrocolicum bestehen
unterschiedliche Vorgehensweisen bezüglich der A. gastroepiploica dextra: teilweise wird das Gefäß durchtrennt, teilweise geschont.
Karzinom der rechten Flexur und des proximalen Colon transversum
Regeleingriff ist die erweiterte Hemikolektomie rechts. Hierbei wird zusätzlich
die A. colica media am Ursprung der A. mesenterica superior zentral ligiert. Die
distale Resektionsgrenze liegt nahe der linken Flexur, die bei schlechter Durchblutung mitreseziert wird. Das große Netz wird mit dem Lig. gastrocolicum und
der A. und V. gastroepiploica dextra nach abgangsnaher Durchtrennung (zur
Mitentfernung möglicher Lymphknotenmetastasen über dem Pankreaskopf)
reseziert.
162
Transversumkarzinom
Bei Tumoren in der Mitte des Transversum erfolgt die Transversumresektion mit
der zentralen Ligatur der A. colica media, situationsabhängig unter Mitresektion
der Flexuren. Das große Netz wird mit dem Lig. gastrocolicum und der gastroepiploischen Arkade reseziert. Bei flexurnahem Tumor ist die erweiterte Hemi-
kolektomie rechts bzw. links mit Entfernung des benachbarten Lymphabflussgebietes erforderlich.
Tumoren der linken Kolonflexur
Regeleingriff ist die erweiterte Hemikolektomie links mit Entfernung der Lymphabflussgebiete von A. colica media und A. mesenterica inferior. Gleichwertig ist
die abgangsnahe Ligatur der A. colica sinistra bei Erhalt des Stammes der A.
mesenterica inferior. Hierdurch bleibt die A. rectalis superior erhalten, wodurch
das distale Sigma belassen werden kann. Abhängig von der Tumorlokalisation
und der Durchblutung kann die rechte Kolonflexur erhalten werden. Die Lymphknoten am Stamm der A. mesenterica superior sollten aus diagnostischen Gründen bis zur Aorta disseziert werden.
Karzinom des Colon descendens und proximalen Sigma
Regeleingriff ist die Hemikolektomie links mit radikulärer Unterbindung der A.
mesenterica inferior. Die distale Resektionsgrenze am Darm liegt im oberen Rektumdrittel. Die linke Flexur wird in der Regel mitreseziert (Transversorektostomie). Aus technischen Gründen kann es erforderlich sein, die A. colica media zu
durchtrennen, um eine spannungsfreie Anastomose sicherzustellen.
Tumoren des mittleren und distalen Sigmas
Regeloperation ist die (radikale) Sigmaresektion. Die A. mesenterica inferior wird
zentral oder distal des Abgangs der A. colica sinistra unterbunden. Ein onkologischer Vorteil der stammnahen Unterbindung der A. mesenterica inferior ist nicht
erwiesen. Die V. mesenterica inferior sollte am Pankreasunterrand durchtrennt
werden. Die Resektionsebenen am Darm finden sich im Bereich des Kolon descendens und im oberen Rektumdrittel.
Sondersituationen
Multiviszerale Resektionen
Bei Adhärenz benachbarter Strukturen ist neben der radikulären Lymphknotendissektion nach Möglichkeit die En-bloc-Resektion der befallenen Organe
(multiviszerale Resektion) anzustreben. Biopsien aus der Gegend der vermuteten
Tumorinfiltration sind zu vermeiden, da diese zu einer lokoregionären Tumorzelldissemination mit dem Risiko eines lokoregionären Rezidivs führen können.
Fernmetastasen
Die Resektion von (syn- und metachronen) Fernmetastasen (Leber, Lunge, u.a.)
ist indiziert, sofern eine Resektion, die den onkologischen Radikalitätsprinzipien
entspricht (R0-Resektion), möglich und das Risiko des Eingriffs vertretbar ist. Bei
Inoperabilität s.u. Palliativmaßnahmen.
Mehrfachkarzinom des Kolorektums
Beim Mehrfachkarzinom des Kolons orientiert sich das Resektionsausmaß an
den Lymphabflussgebieten. Daraus kann sich eine Kolektomie mit Ileorektostomie ergeben.
163
Bei gleichzeitigem Rektumkarzinom ist der Eingriff entsprechend dem Vorgehen
bei Rektumkarzinom zu erweitern (s. Rektumkarzinom).
Begleitende Kolonadenome
Gleichzeitig vorhandene Adenome, die endoskopisch nicht abtragbar sind, können eine Erweiterung der Darmresektion notwendig machen, wobei auf eine Erweiterung des Lymphabflussgebietes verzichtet werden kann.
Colitis ulcerosa, familiäre adenomatöse Polyposis, HNPCC
Bei auf dem Boden einer Colitis ulcerosa oder familiären adenomatösen Polyposis entstandenem Karzinom ist die Proktokolektomie, so weit möglich unter Erhaltung der Kontinenz, indiziert. Die Karzinomerkrankung, zumal im begrenzten
Stadium, ist keine grundsätzliche Kontraindikation für die Anlage eines ileoanalen Pouch.
Bei hereditärem Nicht-Polypose-Kolonkarzinom (HNPCC, bevorzugt ist das Kolon
ascendens) wird von manchen Autoren die subtotale Kolektomie empfohlen.
Karzinomdiagnose am endoskopisch entfernten Polypen
Ergibt die histologische Untersuchung eines endoskopisch entfernten Polypen
ein Karzinom, kann auf eine onkologische Nachresektion nur dann verzichtet
werden, wenn es sich um ein auf die Submukosa beschränktes „Low risk“-Karzinom (pT1, G1-G2, keine Lymphgefäßinfiltration) bei histologisch tumorfreier Polypenbasis handelt. Zur exakten pathohistologischen Beurteilung muss die Abtragungsfläche mit Tusche, Tipp-Ex oder einer Nadel markiert werden.
Notfalloperationen
Bei Ileus, Tumorperforationen oder Darmperforation bei stenosierendem Tumor
ist das Vorgehen abhängig von der vorliegenden Situation. Nach Möglichkeit
sollten die Erfordernisse der onkologischen Chirurgie eingehalten werden.
Laparoskopische Operation
Die Ergebnisse der alleinigen laparoskopischen Resektion sind derzeit nicht abschließend beurteilbar, sodass diese Verfahren nur im Rahmen von qualifizierten
Studien mit langfristiger Nachbeobachtung zur Anwendung kommen sollen.
Gegen in palliativer Zielsetzung laparoskopisch vorgenommene Segmentresektionen bestehen keine Einwände.
164
Intra- und postoperative pathohistologische Diagnostik
Eine Dignitätsbestimmung im Schnellschnitt (z.B. bei großen villösen Tumoren)
ist aus untersuchungstechnischen Gründen nicht sinnvoll.
Nach radikaler Tumorresektion sind für die weitere Therapieplanung Aussagen
über die lokoregionäre Vollständigkeit der Tumorentfernung (R-Klassifikation),
die Invasionstiefe des Tumors (pT-Klassifikation), das Grading und den Lymphknotenstatus (pN-Klassifikation) (12) notwendig, da sich hieraus u.U. die Indikation zur Nachbehandlung ergibt (näheres siehe (4)). Erforderlich ist eine Aussage
über die Anzahl der untersuchten und befallenen Lymphknoten. Eine Angabe zu
Einriss/Einschnitt in oder durch den Tumor sollte aus Gründen des Qualitätsmanagements erfolgen.
Ist aufgrund der Anamnese (s.o.) und einer genetischen Beratung die Diagnose
eines hereditären Nicht-Polypose-Kolonkarzinoms (HNPCC) wahrscheinlich, wird
empfohlen, nach Mikrosatelliteninstabilitäten aus Zellen des Tumors und Normalgewebe zu suchen (Methode in Zentren verfügbar). Nachsorge s. D 3.3 und
Tabelle 4 und 5.
Adjuvante Therapie (Konsensus CAO, AIO, ARO 1999 (8))
Voraussetzung für eine adjuvante Therapie ist die R0-Resektion des Primärtumors. Grundlage für die Indikation zur adjuvanten Therapie nach Tumorresektion ist die pathohistologische Stadienbestimmung, insbesondere die Bestimmung des pN-Status. Zur Festlegung von pN0 sollten üblicherweise 12 oder
mehr regionäre Lymphknoten untersucht werden (10). Immunzytologische
Befunde von isolierten Tumorzellen in Knochenmarkbiopsien oder Lymphknoten sowie zytologische Tumorzellbefunde in Peritonealspülungen sollen für
die Indikation zur adjuvanten Therapie außerhalb von Studien nicht berücksichtigt werden.
Für Patienten mit einem Kolonkarzinom im Stadium I und II oder nach R0-Resektion von Fernmetastasen ist eine adjuvante Therapie außerhalb von Studien nicht indiziert.
Patienten des UICC-Stadiums III (jedes pT, pN1-2, M0) sollen möglichst in kontrollierte, prospektive Studien eingebracht werden, um auf diese Weise Aufschluss über die optimale adjuvante Therapie zu erhalten.
Außerhalb von klinischen Studien wird bei Kolonkarzinomen im Stadium III
eine adjuvante Chemotherapie empfohlen. Der einjährigen Behandlung mit
5-Fluorouracil (5-FU)-Levamisol erwies sich die sechsmonatige Gabe einer
Kombination von 5-FU und Folinsäure als gleichwertig. Diese besteht entweder in der Gabe von 5-FU (425 mg/m2 als Bolusgabe innerhalb von weniger als
5 Minuten) plus Folinsäure (20 mg/m2)/Tag 1 bis Tag 5, Wiederholung Woche
4 und 8, die nächsten drei Zyklen alle fünf Wochen, oder in der Gabe von 5-FU
(500 mg/m2) als Bolus, plus Folinsäure (500 mg/m2) als zweistündige Infusion
einmal wöchentlich über sechs Wochen, dann zwei Wochen Pause, insgesamt
vier Zyklen (à 8 Wochen), wobei 5-FU als Bolus (< 5 Minuten) eine Stunde
nach Beginn der zweistündigen Folinsäureinfusion verabreicht wird. Die beiden genannten Protokolle sind in Bezug auf ihre Effektivität in der adjuvanten
Situation als gleichwertig anzusehen. Kontraindikationen sind in Tabelle 3
aufgelistet.
Die Durchführung der adjuvanten Chemotherapie erfordert einschlägige Erfahrung und insbesondere die Kenntnis der entsprechenden Dosisreduktionsschemata, die bei auftretender Toxizität eingehalten werden müssen.
Der Verlauf von Patienten, die außerhalb klinischer Studien behandelt werden, ist im Rahmen der Qualitätssicherung hinsichtlich des Auftretens von Rezidiven, der Überlebensrate und von Nebenwirkungen zu dokumentieren.
165
Tabelle 3. Kontraindikationen der adjuvanten Chemotherapie bei
Kolonkarzinom (8)
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
166
Allgemeinzustand schlechter als 2 (WHO)
Unkontrollierte Infektion
Leberzirrhose Child B und C
Schwere koronare Herzkrankheit; Herzinsuffizienz (NYHA III und IV)
Präterminale und terminale Niereninsuffizienz
Eingeschränkte Knochenmarkfunktion
Unvermögen, an regelmäßigen Kontrolluntersuchungen teilzunehmen
Palliativmaßnahmen
Vor Einleitung einer palliativen Chemotherapie muss die Inoperabilität interdisziplinär geprüft werden. Dies gilt insbesondere für Lebermetastasen (5), aber
auch für andere Organe, z.B. die Lunge. Die vollständige operative Entfernung
von Metastasen beinhaltet für einen Teil der Patienten eine Heilungschance.
Auch bei nachgewiesener Fernmetastasierung empfiehlt sich abhängig vom
operativen Risiko die Entfernung des resektablen Primärtumors zur Sicherstellung der Darmpassage (s.o.). Bei nicht resektablem Tumor ist das Vorgehen
symptomorientiert. Ggf. sind operative Umleitungsverfahren indiziert.
Bei diffusen, nicht resektablen Metastasen sollte die Behandlung bei Nachweis
der Metastasierung nach einem 5-FU-haltigen Protokoll erfolgen. Die Folinsäuredosis ergibt sich aus der Applikationart von 5-FU:
Bei Applikation als Bolus über fünf Tage (Mayo Clinic Protokoll) oder als
wöchentliche Gabe (Roswell Park Protokoll modifiziert nach Jäger/Knuth) ist
niedrig dosierte Folinsäure, bei intermittierender 5-FU-Hochdosis-Infusion ist
hoch dosierte Folinsäure, bei Dauerinfusion von 5-FU ist keine Folinsäure erforderlich. Alternativen in der Primärsituation sind die Kombination von intermittierender 5-FU-Hochdosis-Infusion/Hochdosis-Folinsäure und Irinotecan sowie die
Kombination von intermittierender 5-FU Hochdosis-Infusion/Hochdosis-Folinsäure und Oxaliplatin. Die Therapie ist zu ändern, wenn die Kontrolluntersuchungen nach zwei bis drei Zyklen einen Progress zeigen. Bei stabiler Erkrankung oder bei Ansprechen zu diesem Zeitpunkt sollte die Therapie bis zum nachgewiesenen Progress oder intolerabler Toxizität fortgeführt werden.
Bei Tumorprogression (PD) während oder kurz nach Beendigung der First-line-Therapie wird eine Second-line-Behandlung eingeleitet. Als Second-line-Therapien stehen, in Abhängigkeit von der Primärtherapie, eine protrahierte Infusion mit Hochdosis-5-FU/Folinsäure, eine Behandlung mit CPT11, CPT11/Hochdosis-5-FU-Infusion/Hochdosis-Folinsäure oder Oxaliplatin/Hochdosis-5-FU-Infusion/HochdosisFolinsäure zur Verfügung. Bei Tumorprogress sollte eine Third- oder Fourth-lineTherapie nach Rücksprache mit einem kompetenten Zentrum erfolgen.
In Anbetracht der Komplikationsmöglichkeiten der regionalen Chemotherapie
kann diese derzeit nicht als Standardverfahren gelten, sondern sollte nur in Studien Anwendung finden. Eine Laparotomie ausschließlich zur Einlage eines
Katheters in die A. hepatica ist nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt.
Tabelle 4. Nachsorgeempfehlung bei Patienten mit Kolonkarzinom:
UICC-Stadium I (5).
Untersuchung
Monate
6
12
18
24
36
48
60
Anamnese, körperliche
Untersuchung
*
+
+
Koloskopiea
*
+
+
a
3 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten
Kolons nicht möglich. Nach dem 5. Jahr alle 3 Jahre Koloskopie;
* nach endoskopischer Abtragung.
Spiral-Computertumographie Abdomen: befundorientiert
(z.B. bei unklarem Sonographiebefund, CEA-Anstieg).
Tabelle 5. Nachsorgeempfehlung bei Patienten mit Kolonkarzinom:
UICC-Stadium II-III (5).
Untersuchung
Monate
6
12
18
24
36
48
60
Anamnese, körperliche
Untersuchung, CEA
+
+
+
+
+
+
+
Abdomen-Sonographie
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Röntgen-Thorax
Koloskopiea
a
+
+
+
+
3 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons
nicht möglich.
Spiral-Computertomographie Abdomen befundorientiert (z.B. bei unklarem
Sonographiebefund, CEA-Anstieg).
Nach dem 5. Jahr alle 3 Jahre Koloskopie;
HNPCC: ohne subtotale Kolektomie: alle 2 Jahre Koloskopie, wenn kein
Adenomnachweis in der Voruntersuchung, bei Adenomnachweis jährlich;
nach subtotaler Kolektomie: alle 2 Jahre Rektoskopie. Jährliche gynäkologische
Untersuchung, Urinzytologie
Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) hat 1996 (1) die CEA-Bestimmung bei Patienten mit kolorektalem Karzinom des Stadiums II und III alle 2–3
Monate für 2 Jahre empfohlen, allerdings nur für Patienten, die willens und in
der Lage sind, sich einer Leberresektion bei Auftreten von Metastasen zu unterziehen.
167
D 3.3 Nachsorge (7)
Bei Patienten mit frühem Tumorstadium (UICC I) ist nach R0-Resektion in Anbetracht der geringen Rezidivrate und der günstigen Prognose durch regelmäßige
Nachuntersuchung kein prognostischer Gewinn zu erwarten. Eine Koloskopie
nach zwei und fünf Jahren dient der Früherkennung von Zweittumoren (Tabelle
4). Abweichend hiervon kann im Einzelfall bei Annahme eines hohen Rezidivrisikos aufgrund des intraoperativen Befundes (z.B. erhöhtes Lokalrezidivrisiko
nach intraoperativer Tumoreröffnung) oder eines pathologischen Befundes (z.B.
erhöhtes Risiko für Lebermetastasen bei Invasion perikolischer Venen oder G3/4Tumoren) eine regelmäßige oder engmaschige Nachsorge angezeigt sein. Nach
palliativer Tumorresektion (R2-Resektion) sollte eine symptomorientierte Nachbetreuung durchgeführt werden.
Regelmäßige Nachuntersuchungen nach operativer Therapie bei Kolonkarzinom
sind zu empfehlen bei Patienten nach R0-Resektion von Tumoren des UICC-Stadiums II und III, sofern der Allgemeinzustand und die Lebenserwartung einen
Eingriff bei Rezidiv vertretbar erscheinen lassen. Nachsorgeschema s. Tabelle 5.
Bei Patienten mit HNPCC sind nach Hemikolektomie koloskopische Untersuchungen (bei Adenom jährlich) und nach subtotaler Kolektomie rektoskopische
Untersuchungen in zweijährigem Intervall angezeigt.
Bei Patienten mit familiärer Adenomatosis coli (FAP) sollten nach Anlage eines
Ileum-Pouches eine Pouchoskopie jährlich und ab dem 30. Lebensjahr eine Gastro-Duodenoskopie in dreijährigem Abstand (bei Vorliegen von Adenomen jährlich) erfolgen. Nach Ileorektostomie ist die Rektoskopie in jährlichem Abstand
empfehlenswert.
D 3.4 Rehabilitation (9)
Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollten so weit notwendig ausschließlich
in besonders erfahrenen Tumornachsorgekliniken durchgeführt werden, die mit
der speziellen somatischen, psychischen, sozialen oder beruflichen Rehabilitationsbedürftigkeit der Patienten vertraut sind.
Ziele jeder Rehabilitation sind Sicherung und erforderlichenfalls Verbesserung
der Lebensqualität des Betroffenen, wobei die Notwendigkeit rehabilitativer
Maßnahmen individuell einzuschätzen ist. Der Rehabilitationsbedarf bei Patienten nach kolorektalen Tumoren ist äußerst variabel und abhängig von Art und
Ausmaß des operativen Vorgehens. Rehabilitationsverfahren sollten möglichst
im Anschluss an die Primärtherapie stattfinden.
Literatur
168
1 American Society of Clinical Oncology (1996) Clinical Practice Guidelines for the
use of tumor markers in breast and colorectal cancer. J Clin Oncol 14: 2843–2877
2 Bundesärztekammer (1998) Richtlinien zur Diagnostik der genetischen Disposition für Krebserkrankungen. Dtsch Ärztebl 95: 1396–1403
3 Desch Ch, Benson III Al B, Smith TJ, Flynn PJ, Krause C, Loprinzi ChL, Minsky
BD, Petrelli NJ, Pfister DG, Sommerfield MR (1999) Recommended colorectal
cancer surveillance guidelines by the American Society of Clinical Oncology.
J Clin Oncol 17: 1312–1321
4 Deutsche Krebsgesellschaft (1995) Qualitätssicherung in der Onkologie 3.1.
Diagnostische Standards. Lungen-, Magen-, Pankreas- und kolorektales Karzinom In: Hermanek P (Hrsg). Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
5 Deutsche Krebsgesellschaft (1999) Interdisziplinäre Leitlinie Lebermetastasen. http://www.krebsgesellschaft.de/ISTO/Standards/index.html
6 Fielding LP, Arsenault PA, Chapuis PH, Dent O, Gatright B, Hardcastle JD, Hermanek P et al (1991) Clinicopathological staging for colorectal cancer: An
International Documentation System (IDS) and an International Comprehensive Anatomical Terminology (ICAT). J Gastroenterol Hepatol 6: 325–344
7 Hermanek P, Junginger Th, Hossfeld DK, Müller R-P, Fölsch UR. (1999) Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Dtsch
Ärztebl 96A: 2084–2088
8 Junginger Th, Hossfeld DK, Sauer R, Hermanek P (1999) Adjuvante und neoadjuvante Therapie bei Kolon- und Rektumkarzinom. Dtsch Ärztebl 96 A:
698–700
9 Kruck P (1998) Leitlinie der Deutschen Krebsgesellschaft zur Rehabilitation
beim kolorektalen Karzinom. Forum-DKG 13: 395–397
10 Rodriguez-Bigas MA, Boland CR, Hamilton SR et al (1997) A National Cancer
Institute workshop on hereditary nonpolyposis colorectal cancer syndrome;
meeting highlights and Bethesda guidelines. J Natl Cancer Inst 89:
1758–1762
11 Rohen JW (1998) Dickdarm und Mastdarm: Topographische Anatomie. In:
Durst J, Rohen JW (Hrsg) Bauchchirurgie. Operationslehre mit topographischer Anatomie – Standards der Viszeralchirurgie, 2. Aufl. Schattauer, Stuttgart New York pp 676–677
12 UICC (1997) TNM Klassifikation maligner Tumoren, 5. Aufl. Wittekind Ch,
Wagner G (Hrsg.) Springer, Berlin Heidelberg New York
13 Vasen HF, Watson P, Mecklin JP, Lynch HAT (1999) New clinical criteria for
hereditary nonpolyposis colorectal cancer (HNPCC, Lynch syndrome) proposed by the International Collaborative Group on HNPCC. Gastroenterology
116: 1453–1456
Verfahren zur Konsensbildung
1. Primär Erstellung durch Expertengruppe der Arbeitsgemeinschaften der
Deutschen Krebsgesellschaft
Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation, Nachsorge und Sozialmedizin (ARNS)
169
Mitglieder der Expertengruppe waren
Prof. Dr. F. W. Eigler, Essen (CAO), Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Pathologie),
Prof. Dr. Ch. Herfarth, Heidelberg (CAO), Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO,
Pathologie), Prof. Dr. W. Hohenberger, Erlangen (CAO), Prof. Dr. D. K. Hossfeld,
Hamburg (AIO), Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz (CAO), Dr. P. Kruck, Bad Kreuznach (ARNS), Prof. Dr. H. J. Meyer, Solingen (CAO), Prof. Dr. H. Pichlmaier, Köln
(CAO), Prof. Dr. R. Sauer, Erlangen (ARO), Prof. Dr. W. Stock, Düsseldorf (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. H. G. Beger, Ulm (CAO), Prof. Dr. W. Hartel, München (CAO), Prof. Dr. J.
Hauss, Leipzig (CAO), Prof. Dr. B. Kremer, Kiel (CAO), Prof. Dr. H.K. Schackert,
Dresden (CAO), Prof. Dr. F. W. Schildberg, München (CAO), Prof. Dr. P. M.
Schlag, Berlin (CAO)
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und
Onkologie, Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, Deutsche Gesellschaft für
Pathologie, Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie, Deutsche Gesellschaft
für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Deutsche Röntgengesellschaft
2. Überarbeitung mit der Technik des nominalen Gruppenprozesses durch eine
von der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
(DGVS) unter der Schirmherrschaft der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) am
15. und 16.1.1999 in Bochum veranstalteten Konsensuskonferenz.
Mitglieder der Expertengruppe waren
W. Schmiegel (AGO/DGVS); P. Drings (DKG); S. Petrasch (AGO/DGVS); R. Porschen (AGO/DGVS); H.-J. Schmoll (AIO)
Ferner nahmen Vertreter folgender Arbeitsgemeinschaften und Gesellschaften teil:
Arbeitsgemeinschaft Gastroenterologische Onkologie der DGVS (AGO), Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie der DKG (AIO), Arbeitsgemeinschaft
Radiologische Onkologie der DKG (ARO), Chirurgische Arbeitsgemeinschaft der
DKG und der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (CAO), Deutsche Gesellschaft
für Chirurgie, Deutsche Gesellschaft für Humangenetik, Deutsche Gesellschaft
für Klinische Chemie, Deutsche Gesellschaft für Pathologie, Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie, Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Deutsche Röntgengesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
170
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik
Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie e.V. (DGKC)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie der
Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: Februar 1999
Zweite Fassung: Oktober 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Für 2002 ist die Fertigstellung einer Leitlinie nach EBM-Kriterien geplant.
Der Leitlinienkoordinator wird jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen
Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version
der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter
http://awmf.org/ veröffentlicht.
171
D4
Rektumkarzinom
Als Rektumkarzinome gelten Tumoren, deren aboraler Rand bei der Messung
mit dem starren Rektoskop 16 cm oder weniger von der Anokutanlinie entfernt
ist (Internationales Dokumentationssystem für das kolorektale Karzinom 1991
(6). Die Therapie des Rektumkarzinoms sollte grundsätzlich auf der Basis einer
histologischen Untersuchung geplant werden. Neben der prätherapeutischen
Sicherung der Karzinomdiagnose ist eine Tumorklassifikation nach den Richtlinien der WHO anzustreben. Von Karzinom wird hier ausschließlich gesprochen,
wenn atypische epitheliale Formationen in die Submukosa infiltriert sind (pT1
oder mehr). Nicht einbezogen sind sog. Mukosakarzinome und sog. intraepitheliale Karzinome (pTis), bei denen keine Metastasierung erfolgt und die durch lokale Abtragung im Gesunden ausreichend behandelt werden.
D 4.1 Prätherapeutische Diagnostik
Notwendige Untersuchungen
Anamnese und klinische Untersuchung (einschließlich digital-rektaler Untersuchung)
Von entscheidender Bedeutung für die Diagnose eines Rektumkarzinoms, das
auf der Grundlage eines „Hereditären Kolonkarzinom ohne Polyposis (HNPCC)“ oder der familiären adenomatösen Polyposis (FAP) auftritt, ist die ausführliche Familienanamnese. Diesbezügliche Hinweise ergeben sich aus den
Amsterdam- und Bethesda-Kriterien (Tabelle 1 und Abbildung 1) und können
durch molekulargenetische Untersuchungen, einschließlich des Nachweises
der Mikrosatelliteninstabilität (MSI), bestätigt werden. Bei Verdacht auf ein
erbliches kolorektales Karzinom sollte den Patienten bzw. ihren Familienangehörigen eine humangenetische Beratung empfohlen werden, die gemäß
den „Richtlinien zur Diagnostik der genetischen Disposition für Krebserkrankungen“ der Bundesärztekammer (2) durchzuführen ist.
Rektoskopie mit Biopsie
Koloskopie des gesamten Kolons oder Doppelkontrasteinlauf. Bei hochgradig
stenosiertem Rektumkarzinom empfiehlt es sich, den restlichen Darm intraoperativ palpatorisch und koloskopisch innerhalb von drei Monaten postoperativ abzuklären.
Sonographie Abdomen
Röntgen-Thorax in zwei Ebenen
Tumormarker CEA
Urinsediment
172
Tabelle 1. Rektumkarzinom T4. Mögliches Therapieschema bei präoperativer Radiochemotherapie (15).
1. Bestrahlungsvolumen:
Hintere Beckenhälfte von Deckplatte LWK 5 bis
Beckenboden, lateral 1 cm lateral der Linea
terminalis
2. Bestrahlungstechnik:
3- bis 4-Felder-Box, individuell kollimierte Felder,
Bestrahlung aller Felder täglich
3. Bestrahlungsdosis:
Einzeldosis 1,8 Gy/Referenzpunkt, 5 mal
wöchentlich, bis 50,4 Gy/Referenzpunkt
(Dosismaximum < 55 Gy).
Die 90%-Isodose umschließt das Zielvolumen.
Bei Radio-(Chemo-)Therapie vor abdominoperinealer Rektumexstirpation können 56 Gy
appliziert werden, sofern das Dosismaximum
weniger als 5% höher liegt
4. Chemotherapie:
1000 mg 5-FU/m2/d als Dauerinfusion über
5 Tage in der 1. und 5. (6.) Bestrahlungswoche
5. Operationszeitpunkt nach 4 bis 6 Wochen nach Abschluss der
Vorbestrahlung:
Radiotherapie
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Endosonographie obligat vor lokaler Exzision (s.u.)
Spiral-Computertomographie Abdomen bei unklarem sonographischen
Befund
Magnetresonanztomographie oder Computertomographie Becken bei Verdacht auf organüberschreitendes Tumorwachstum und vor neoadjuvanter
Chemotherapie
Zystoskopie bei Verdacht auf Blaseninfiltration
Gynäkologische Untersuchung bei Verdacht auf Infiltration von Vagina, Uterus und Adnexen
Sphinktermanometrie vor intersphinktärer oder koloanaler Anastomose
Präoperative histologische Diagnostik
Biopsie des Primärtumors
Bei Diagnose eines Karzinoms sollten – so weit möglich – auch Aussagen zum
Tumortyp, zum Differenzierungsgrad und zu einer möglicherweise vorhandenen
Lymphgefäßinvasion gemacht werden. Für die Bestimmung des Tumortyps ist
die WHO-Klassifikation (4) maßgeblich, die zwischen Adenokarzinomen und
muzinösen Adenokarzinomen sowie weiteren selteneren Karzinomtypen (z.B.
Siegelringzellkarzinom, Plattenepithelkarzinom) unterscheidet.
Für die Bestimmung des histologischen Differenzierungsgrades ist die Unterscheidung sog. „Low-grade-Karzinome“ und „High-grade-Karzinome“ für die
173
Pause
4–8
Wochen
2
0
Wochen
O
P
4
6
5-FU
500 mg/m2
8
10
5-FU
800 mg/m2
12
14
16
Radiotherapie 45 + 5,4 Gy
18
5-FU
kontinuierlich 225 mg/m2/d
20
5-FU
450 mg/m2
22
24
5-FU
800 mg/m2
Abbildung 1. Adjuvante Therapie des Rektumkarzinoms (19). Indikation: Stadium UICC II und III (pT3/4 oder pN+).
174
Therapieplanung ausreichend. Als „High-grade-Karzinome“ werden schlecht
differenzierte, muzinöse und nicht muzinöse Adenokarzinome (G3), Siegelringzellkarzinome, kleinzellige und undifferenzierte Karzinome klassifiziert. Bei Vorliegen eines „High-grade-Karzinoms“ empfiehlt es sich, einen größeren Sicherheitsabstand nach distal (siehe Abschnitt 3) einzuhalten (9). Die intratumorale
Heterogenität insbesondere größerer Karzinome kann Ursache dafür sein, dass
die „High-grade“-Qualität eines Tumors in einer Biopsie nicht erfasst wird. Die
Diagnose „High-grade-Karzinom“ schließt ebenso wie der Nachweis einer
Lymphgefäßinvasion eine lokale Tumorexzision oder eine endoskopische Tumorabtragung in kurativer Intention aus (8, 10).
Polypektomie und lokale Tumorexzision
Bei ektomierten Adenomen bzw. lokalen Tumorexzisionen ist außer der histopathologischen Dignitätsbeurteilung (Adenom versus Karzinom) auch die Vollständigkeit der Tumorentfernung histologisch zu verifizieren: Entfernung im Gesunden, Entfernung nicht im Gesunden, Entfernung zweifelhaft im Gesunden. Letztere Beurteilung sollte dann abgegeben werden, wenn Tumorgewebe im
Bereich der durch die Diathermieschlinge verursachten Koagulationsnekrose
liegt oder die Abtragungsfläche mangels einer Markierung durch den Endoskopiker nicht identifiziert werden kann (10). Zur exakten pathologischen Beurteilung muss die Abtragungsfläche mit Tusche, Tipp-Ex oder einer Nadel markiert
werden.
Liegt histologisch ein Karzinom vor, so ist darüber hinaus der histologische
Tumortyp, der Differenzierungsgrad sowie eine möglicherweise vorhandene
Lymphgefäßinvasion zu dokumentieren. Dabei wird in gleicher Weise wie oben
beschrieben zwischen „High grade“- und „Low grade-Karzinomen“ unterschieden.
Eine Indikation zur radikalen Resektion ergibt sich
a) bei Unvollständigkeit der Karzinomentfernung,
b) bei „High-grade-Karzinomen“ (G3, G4),
c) bei nachweisbarer Lymphgefäßinvasion und
d) bei Invasion der Muscularis propria (pT2), wobei jedoch das individuelle
Operationsrisiko einer radikalen Resektion zu berücksichtigen ist (8).
D 4.2 Therapie
Präoperative (neoadjuvante) Tumortherapie (Konsensus CAO, AIO, ARO 1999 (15))
Bei T4-Tumoren wird eine präoperative Radiotherapie (vermutlich günstigere Ergebnisse durch präoperative Radiochemotherapie) dann empfohlen, wenn aufgrund des präoperativen Stagings oder nach explorativer Laparotomie eine R0Resektion nicht erreichbar erscheint (Tabelle 1). Der Wert der alleinigen präoperativen Radiotherapie bei Patienten mit R0-resektablem Rektumkarzinom zur
Senkung des lokalen Tumorrezidivs ist erwiesen. Ein Einfluss auf die Langzeitprognose wurde in randomisierten Studien nicht nachgewiesen. Die Kurzzeitvorbestrahlung erbrachte in einer randomisierten Studie eine Prognoseverbesse-
175
rung, in einer weiteren Studie hat sich dies bisher nicht bestätigt. Der Einfluss einer präoperativen Radiochemotherapie wird derzeit in einer laufenden Studie
untersucht.
Operative Therapie mit kurativem Ziel
Eine kurative Therapie des Rektumkarzinoms erfolgt in der Regel durch Resektion des Tumors im Gesunden und partielle oder totale En-bloc-Entfernung des
Mesorektums und des regionären Lymphabflussgebietes (sog. radikale Resektion nach internationalem Dokumentationssystem für das kolorektale Karzinom
1991 (6)). In streng selektionierten Fällen (s.u.) ist eine kurative Behandlung auch
durch lokale endoskopische mikrochirurgische oder chirurgische Tumorexzision
(Vollwandresektion) möglich.
Folgende Operationsverfahren sind bei Einhaltung der Kriterien der onkologischen Chirurgie (s.u.) als gleichwertig anzusehen, wobei die Indikationsstellung
von der Tumorlokalisation, der Tumorgröße und anderen Faktoren abhängig ist.
Nach Möglichkeit sind kontinenzerhaltende Verfahren zu bevorzugen:
die anteriore Rektumresektion
die abdomino-perineale Rektumexstirpation
die intersphinktäre Rektumresektion (auch als abdomino-peranale Rektumresektion bezeichnet). Diese Operation setzt besondere Erfahrung voraus.
Die Operation in kurativer Absicht beinhaltet:
die Absetzung der A. mesenterica inferior zumindest unmittelbar distal des
Abgangs der A. colica sinistra
die komplette Entfernung des Mesorektums bei Karzinomen der unteren zwei
Rektumdrittel und die partielle Mesorektumexzision bei Karzinomen des oberen Drittels
die Einhaltung eines angemessenen Sicherheitsabstandes (s.u.)
in der Regel die En-bloc-Resektion von tumoradhärenten Organen (multiviszerale Resektion)
möglichst die Erhaltung der autonomen Nervenstränge (Nn. u. Plexus hypogastrici)
176
Rektumkarzinome breiten sich intramural (Submukosa, Muscularis propria) und
extramural (Mesorektum) aus. Die intramurale Ausbreitung nach distal erfolgt in
der Regel nur wenige Millimeter jenseits des makroskopisch erkennbaren Tumorrandes. Hingegen finden sich mikroskopisch erkennbare Tumorabsiedlungen vor allem bei pT3,4-Tumoren relativ häufig im Mesorektum und auch auf
weitere Distanz sowohl nach dorsal und lateral als auch distal des Tumors. Danach sind die aboralen Sicherheitszonen zu bemessen.
Bei Karzinomen des oberen Rektumdrittels ist ein aboraler Sicherheitsabstand in
der Rektumwand von 5 cm in situ (entsprechend 3 cm am frischen, nicht ausgespannten Resektat) und eine ebenso weit nach aboral reichende Entfernung des
Mesorektums erforderlich. Die aborale Durchtrennung muss dabei horizontal
und nicht konusförmig sein.
Bei Karzinomen der unteren zwei Drittel des Rektums sollte das Mesorektum komplett bis zur Puborektalisschlinge (totale mesorektale Exzision) entfernt werden. Die
Rektumwand wird im Falle einer Anastomosierung nahe der Puborektalisschlinge
durchtrennt. Im allgemeinen ist ein aboraler intramuraler Sicherheitsabstand von 2
cm in situ (etwa 1 cm am frischen nicht ausgespannten Resektat) ausreichend. Bei
„High-grade-Karzinomen“ empfiehlt sich ein größerer Sicherheitsabstand (3–4 cm
in situ, etwa 2 cm am frischen nicht ausgespannten Resektat) (9).
Lokale chirurgische Tumorexzision
Eine lokale chirurgische Tumorexzision bei Rektumkarzinom (Vollwandexzision)
ist unter kurativer Zielsetzung vertretbar bei pT1 und „Low-risk-Karzinom“ (gute
bis mäßige Differenzierung, G1-2, keine Lymphgefäßinvasion). Dabei muss die
Entfernung im Gesunden erfolgen (s.o.). Geeignete Operationsmethoden sind
die transanale chirurgische Exzision (bei nahe der Kryptenregion gelegenen Tumoren) oder die endoskopische mikrochirurgische Tumorabtragung.
Präoperative Hinweiskriterien für eine lokale Exzision sind:
Tumordurchmesser unter 3 cm
Palpation: Mason Clinical Stage I
Endosonographie: uT1 und N0 (Fehlen von metastasenverdächtigen pararektalen Lymphknoten)
Histologie: gute bis mäßige Differenzierung (G1,2), keine Lymphgefäßinfiltration („Low-risk“-Karzinom).
Endoskopische Polypektomie
In sorgfältig ausgewählten Fällen kann ein frühes Rektumkarzinom auch durch
endoskopische Polypektomie kurativ behandelt werden. Näheres s. Abschnitt
Polypektomie bei „Präoperative histologische Diagnostik“.
Sondersituationen
Bei Mehrfachkarzinomen im Kolorektum (synchron zwei oder mehrere Primärtumoren) richtet sich das Resektionsausmaß nach der Lokalisation der Tumoren,
für zusätzliche Kolonkarzinome gelten die Empfehlungen zur Behandlung des
Kolonkarzinoms.
Beim Rektumkarzinom auf dem Boden einer Colitis ulcerosa oder familiären adenomatösen Polypose ist die Proktokolektomie, so weit möglich unter Erhaltung
der Kontinenz, indiziert. Die Karzinomerkrankung, insbesondere in begrenztem
Stadium, ist keine Kontraindikation für die Anlage eines ileoanalen Pouch.
Die Ergebnisse der laparoskopischen Tumorresektion sind derzeit nicht abschließend zu beurteilen, sodass dieses Verfahren nur im Rahmen von qualifizierten
Studien mit langfristiger Verlaufsbeobachtung zur Anwendung kommen sollte.
Bei Notfallsituationen (Ileus, Tumorperforation, Darmperforation bei stenosierendem Tumor) ist das Vorgehen abhängig von der vorliegenden Situation. Nach
Möglichkeit sollen die onkologischen Erfordernisse eingehalten werden.
Die Resektion von (syn- und metachronen) Fernmetastasen (Leber, Lunge, u.a.)
ist indiziert, sofern eine Resektion, die den onkologischen Radikalitätsansprüchen genügt (R0-Resektion), erzielt werden kann und das Risiko des Eingriffs
vertretbar ist (5). Bei Inoperabilität s. u. Palliativmaßnahmen.
Bei einem lokoregionalen Tumorrezidiv ist der Versuch der kompletten Tumorentfernung gerechtfertigt. Bei Inoperabilität s. u. Palliativmaßnahmen.
177
Intraoperative pathohistologische Diagnostik
Eine intraoperative Schnellschnittuntersuchung der Resektionslinien kann unter
der Frage „Resektion im Gesunden?“ durchgeführt werden. Eine Dignitätsbestimmung im Schnellschnitt (z.B. bei großen villösen Tumoren) ist aus untersuchungstechnischen Gründen nicht sinnvoll. Biopsien aus der Gegend einer verdächtigen Tumorinfiltration sind zu vermeiden, da diese zu einer lokoregionalen
Tumorzelldissemination mit dem Risiko des lokoregionalen Rezidivs führen können (s.u. multiviszerale Resektion).
Postoperative pathohistologische Diagnostik
Nach radikaler Tumorresektion sind für die weitere Therapieplanung Aussagen
über die lokoregionäre Vollständigkeit der Tumorentfernung (R-Klassifikation),
die Invasionstiefe des Tumors (pT-Klassifikation), den Lymphknotenstatus (pNKlassifikation), zu Einriss/Einschnitt in oder durch den Tumor sowie über Ausmaß
und Qualität der Mesorektumexzision notwendig, weil sich hieraus u.U. die Indikation zur Nachbehandlung mit einer Chemo- bzw. Radiochemotherapie ergibt
(4, 20). Erforderlich ist eine Aussage über die Anzahl untersuchter und befallener
Lymphknoten. Eine Angabe zu Einriss/Einschnitt in oder durch den Tumor sowie
Aussagen zu Sicherheitsabständen bzw. Entfernung des Mesorektums sollten
aus Gründen des Qualitätsmanagements erfolgen. Nach neoadjuvanter Therapie ist ein histologisches Regressionsgrading wünschenswert, wobei die Methodik noch nicht standardisiert ist.
Bei der Begutachtung von Resektionspräparaten ist festzuhalten, ob die Kriterien einer adäquaten Mesorektumexzision vorliegen. Diese sind (12, 20):
1) Bei Karzinomen des oberen Rektumdrittels: Durchtrennung des Mesorektums
bei Messung am frischen nicht ausgespannten Resektat mindestens 3 cm vom
distalen makroskopischen Tumorrand entfernt und dabei in den äußeren Anteilen des Mesorektums in gleicher Höhe wie in den inneren Anteilen und in
der Muskelwand des Rektums (keine konusartige distale Durchtrennung).
2) Bei Karziomen des mittleren und unteren Rektumdrittels Mesorektumexzision
bis zum Beckenboden (totale Mesorektumexzsion).
3) Oberfläche des Resektates glatt und intakt (lipomähnliches Aussehen), ohne
Defekte und Einrisse der Grenzlamelle (sog. mesorektale oder viszerale oder
viszerale pelvine Faszie).
178
Adjuvante Therapie
1. Voraussetzung für die adjuvante Therapie ist die R0-Resektion des Primärtumors. Grundlage für die Indikation zur adjuvanten Therapie nach Tumorresektion ist die pathohistologische Untersuchung des Tumorresektats, insbesondere bezüglich Tumorfreiheit des zirkumferenziellen Resektionsrandes am
Mesorektum und bezüglich des Lymphknotenstatus. Zur Festlegung der Kategorie pN0 sollen üblicherweise 12 oder mehr regionäre Lymphknoten untersucht wurden (UICC 1997 (24)). Immunzytologische Befunde von isolierten
Tumorzellen in Knochenmarkbiopsien oder Lymphknoten sowie zytologische
Tumorzellbefunde in Peritonealspülungen sollen für die Indikation zur adjuvanten Therapie außerhalb von Studien nicht berücksichtigt werden.
2. Im Hinblick auf eine postoperative Radiochemotherapie ist das kleine Becken
so zu versorgen, dass die Verlagerung des Dünndarms in das kleine Becken
verhindert wird (z.B. Rektumresektion bzw. Netz oder Netzersatz nach abdomino-perinealer Exstirpation).
3. Für Patienten im UICC-Stadium I oder nach R0-Resektion von Lokalrezidiven
oder Fernmetastasen ist eine adjuvante Therapie außerhalb von Studien nicht
indiziert.
4. Patienten des UICC-Stadiums II (pT3-4, pN0, M0) und III (jedes pT, pN1–2, M0)
sollten möglichst in kontrollierte Studien eingebracht werden, um auf diese
Weise Aufschluss über die optimale adjuvante Therapie zu erhalten.
5. Außerhalb von Studien wird für Tumoren im mittleren und unteren Drittel im
Stadium II und III die postoperative Radiochemotherapie empfohlen1. Statt
der 5-FU-Bolusapplikation (NIH-Empfehlung) sollte wegen der besseren Langzeitprognose eine niedrig dosierte 5-FU-Dauerinfusion während der Strahlentherapie (s. Abbildung 1) erfolgen. Tumoren im oberen Rektumdrittel werden wie Kolonkarzinome behandelt.
6. Der Wert der adjuvanten Radiotherapie bei totaler Mesorektumentfernung
(TME) ist bisher nicht geklärt. Nach einer randomisierten Studie (14a) ist nach
alleiniger totaler Mesorektumexzision bei Tumoren des mittleren und unteren
Rektumdrittels des Stadiums III die Lokalrezidivrate erhöht, was die Anwendung einer adjuvanten Radiochemotherapie in dieser Situation begründet.
7. Der Verlauf von Patienten, die außerhalb klinischer Studien behandelt werden, ist im Rahmen der Qualitätssicherung hinsichtlich des Auftretens von Rezidiven, der Überlebensrate und von Nebenwirkungen zu dokumentieren.
Radiotherapie
Die intraoperative Radiotherapie wird derzeit an einigen Zentren überprüft und
sollte nur im Rahmen von Studien zur Anwendung kommen.
Eine alleinige Strahlentherapie (endokavitär und/oder perkutan) kann allenfalls
bei Inoperabilität des Patienten erwogen werden.
Nach lokoregionär inkompletter Tumorresektion (R1, R2-Resektion) kann der
Versuch angezeigt sein, mit einer postoperativen Radiochemotherapie doch
noch ein kuratives Therapieziel zu erreichen.
Palliativmaßnahmen
Zur Palliativbehandlung stehen chirurgische, endoskopische, strahlentherapeutische, chemotherapeutische, medikamentöse und interventionell radiologische
1
Diese Empfehlung des Konsensus vom Januar 1998 beruht auf einer Mehrheitsmeinung
der erstellenden Expertengruppe. Von der Minderheit dieser Expertengruppe wird ebenso
wie von den Experten eines internationalen Symposiums (Soreide, Norstein, Fielding, Silen
(22)) die Meinung vertreten, dass bei Einhaltung der in diesen Leitlinien empfohlenen
modernen Prinzipien der operativen Therapie mit kurativem Ziel (insbesondere der diesbezüglichen Empfehlungen zum Vorgehen bezüglich Mesorektum) die Indikationen zur
adjuvanten Therapie als ungeklärt anzusehen sind und aufgrund entsprechender klinischer Studien neu zu definieren sind. Das Tumorzentrum München hat auch ausführlich
dargelegt, dass für die adjuvante Therapie im Stadium II die Datenlage unzureichend ist
(Tumorzentrum München 1997 (23), Seiten 53–55, 176–177).
179
Maßnahmen zur Verfügung. Der Einsatz erfolgt individuell abhängig von der
vorliegenden Situation. Auch bei Vorliegen von Fernmetastasen kann die operative Entfernung des Primärtumors indiziert sein, wobei neben dem operativen Risiko die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch eine Kolostomie bei der Entscheidung zur Operation besondere Berücksichtigung finden muss.
Bei inoperablem lokoregionären Rezidiv kann versucht werden, durch eine Kombinations-Chemotherapie eine Tumorverkleinerung zu erzielen, um eine
Tumorresektion zu ermöglichen. Kontrollierte Studien hierzu fehlen. Weitere
Optionen sind eine Strahlentherapie oder eine Beckenperfusionsbehandlung
über perkutanen Katheter. Wesentlich ist eine adäquate Schmerztherapie. Bei
Unverträglichkeit der oralen Medikation kommt die Morphinapplikation über
einen Periduralkatheter in Betracht.
Bei diffusen, nicht resektablen Metastasen sollte die Behandlung bei Nachweis
der Metastasierung nach einem 5-FU-haltigen Protokoll erfolgen. Die Folinsäuredosis ergibt sich aus der Applikationart von 5-FU: Bei Applikation als Bolus über
fünf Tage (Mayo Clinic Protokoll) oder als wöchentliche Gabe (Roswell Park
Protokoll modifiziert nach Jäger/Knuth) ist eine niedrig dosierte Folinsäure, bei
intermittierender 5-FU-Hochdosis-Infusion ist eine hoch dosierte Folinsäure, bei
Dauerinfusion von 5-FU ist keine Folinsäure erforderlich. Alternativen in der
Primärsituation sind die Kombination von intermittierender 5-FU HochdosisInfusion/Hochdosis-Folinsäure und Irinotecan sowie die Kombination von
intermittierender 5-FU-Hochdosis-Infusion/Hochdosis-Folinsäure und Oxaliplatin. Die Therapie ist zu ändern, wenn die Kontrolluntersuchungen nach zwei bis
drei Zyklen einen Progress zeigen. Bei stabiler Erkrankung oder bei Ansprechen
zu diesem Zeitpunkt sollte die Therapie bis zum nachgewiesenen Progress oder
intolerabler Toxizität fortgeführt werden.
Bei Tumorprogression (PD) während oder kurz nach Beendigung der First-lineTherapie wird eine Second-line-Behandlung eingeleitet. Als Second-lineTherapien stehen, in Abhängigkeit von der Primärtherapie, eine protrahierte
Infusion mit Hochdosis-5-FU/Folinsäure, eine Behandlung mit CPT11,
CPT11/Hochdosis-5-FU-Infusion/Hochdosis-Folinsäure oder Oxaliplatin/Hochdosis-5-FU-Infusion/Hochdosis-Folinsäure zur Verfügung. Bei Tumorprogress sollte
eine Third- oder Fourth-line-Therapie nach Rücksprache mit einem kompetenten
Zentrum erfolgen.
In Anbetracht der Komplikationsmöglichkeiten der regionalen Chemotherapie
kann diese derzeit nicht als Standardverfahren gelten, sondern sollte nur in Studien Anwendung finden. Eine Laparatomie ausschließlich zur Einlage eines Katheters in die A. hepatica ist nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt.
D 4.3 Nachsorge (11)
180
Bei frühem Tumorstadium (UICC I) ist nach radikaler R0-Resektion in Anbetracht
des geringen Rezidivrisikos und der günstigen Prognose von regelmäßigen
Nachsorgeuntersuchungen kein Gewinn zu erwarten. Eine Koloskopie nach
zwei und fünf Jahren dient der Früherkennung von Zweittumoren (Tabelle 2).
Abweichend hiervon kann im Einzelfall bei Annahme eines hohen Rezidivrisikos
aufgrund des intraoperativen Befundes (z.B. erhöhtes Lokalrezidivrisiko nach
intraoperativer Tumoreröffnung) oder eines pathohistologischen Befundes (z.B.
erhöhtes Risiko für Lebermetastasen bei Invasion perirektaler Venen oder G3/4Tumoren) eine regelmäßige oder engmaschige Nachsorge angezeigt sein. Bei
Patienten, bei denen eine lokale Tumorexzision durchgeführt bzw. das frühe
Karzinom durch endoskopische Polypektomie entfernt wurde, sollten wegen
des möglicherweise höheren lokoregionären Rezidivrisikos rektoskopische Untersuchungen evtl. mit Endosonographie in sechsmonatigen Abständen erfolgen (Tabelle 3). Nach palliativer Resektion von Rektumkarzinomen sollte die
Nachbetreuung symptomorientiert erfolgen.
Tabelle 2. Nachsorgeempfehlung bei Patienten mit Rektumkarzinom.
UICC-Stadium I (aus (11)).
Untersuchung
Monate
6
12
18
24
36
48
60
Anamnese, körperliche
Untersuchung
+
+
Koloskopiea
+
+
a
3 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons
nicht möglich.
Nach dem 5. Jahr alle 3 Jahre Koloskopie.
Tabelle 3. Nachsorgeempfehlung bei Patienten mit Rektumkarzinom
nach lokaler Exzision (aus (11)).
Untersuchung
Monate
6
12
18
24
36
48
60
+
+
+
+
+
+
+
Rektoskopie o. Sigmoidoskopie, +
evtl. Endosonographie
+
+
Anamnese, körperliche
Untersuchung
Koloskopiea
a
+
+
3 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons
nicht möglich.
Nach dem 5. Jahr alle 3 Jahre Koloskopie.
Nach endoskopischer Abtragung eines gestielten Polypen mit T1-Karzinom
Low-risk sind bei tumorfreier Polypenbasis die Nachuntersuchungen nach 12
und 18 Monaten entbehrlich.
181
Tabelle 4. Nachsorgeempfehlung bei Patienten mit
Rektumkarzinoma: UICC-Stadium II + III (aus (11)).
Untersuchung
Monate
6
12
18
24
36
48
60
Anamnese, körperliche
Untersuchung, CEAb
+
+
+
+
+
+
+
Abdomen-Sonographie
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Röntgen-Thorax (in zwei Ebenen)
Nach Rektumresektion:
Rektoskopie o. Sigmoidoskopie,
evtl. Endosonographie
Koloskopied
Computertomographie
(Axialverfahren) Becken
+
+
+
+c
+
+
+
+c
+
3 Monate nach Abschluss der tumorspezifischen Therapie (Operation bzw. adjuvanter
Strahlen-/Chemotherapie)
a
Tumoren, die nicht eindeutig dem Rektum oder Sigma zuzuordnen sind (sog.
Rektosigmoidkarzinome) werden in der Tumornachsorge wie Rektumkarzinome behandelt;
b Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) hat 1996 (1) die CEABestimmung bei Patienten mit kolorektalem Karzinom des Stadiums II und
III alle 2-3 Monate für 2 Jahre empfohlen, allerdings nur für Patienten,
die willens und in der Lage sind, sich bei Auftreten von Metastasen einer
Leberresektion zu unterziehen.
c Nach adjuvanter Strahlen-/Chemotherapie wegen verzögert auftretender
Lokalrezidive;
d 3 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons
nicht möglich.
Nach dem 5. Jahr alle 3 Jahre Koloskopie.
Regelmäßige Nachuntersuchungen sind zu empfehlen bei Patienten nach R0Resektion von Tumoren des UICC-Stadiums II und III, sofern der Allgemeinzustand und die Lebenserwartung einen Eingriff bei Rezidiv vertretbar erscheinen
lassen (Nachsorgeschema s. Tabelle 4). Tumoren, die nicht eindeutig dem Rektum oder Sigma zuzuordnen sind (so genannte Rektosigmoidkarzinome) werden in der Tumornachsorge wie Rektumkarzinome behandelt.
D 4.4 Rehabilitation (16)
182
Ziel jeder Rehabilitation sind Sicherung und erforderlichenfalls Verbesserung der
Lebensqualität des Betroffenen, wobei die Notwendigkeit rehabilitativer Maßnahmen individuell einzuschätzen ist. Der Rehabilitationsbedarf bei Patienten
nach kolorektalen Tumoren ist äußerst variabel und abhängig von Art und Ausmaß des operativen Vorgehens. Rehabilitationsverfahren sollten möglichst im
Anschluss an die Primärtherapie stattfinden.
Eine psychosoziale Betreuung und Beratung ist wünschenswert bei Problemen
der psychischen Verarbeitung des Tumorleidens, bei aufgetretenen Therapiefolgen (Kontinenzproblemen, sexuellen Funktionsstörungen usw.), bei sozialen Anpassungsstörungen sowie bei der beruflichen Wiedereingliederung.
Ggf. können stationäre Rehabilitationsverfahren erforderlich sein, um die benötigten Maßnahmen koordiniert und konzentriert einzusetzen. Kontakte zu
Selbsthilfeorganisationen (ILCO) sind zu empfehlen.
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Nachsorge gastrointestinaler Tumoren. 5. Aufl (Redaktionelle Bearbeitung
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24 UICC (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren. 5. Aufl. Wittekind Ch,
Wagner G (Hrsg) Springer Berlin Heidelberg New York Tokyo
Verfahren zur Konsensbildung
1. Primär Erstellung durch Expertengruppe der Arbeitsgemeinschaften der Deutschen Krebsgesellschaft
Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
184
Mitglieder der Expertengruppe waren
Prof. Dr. F.W. Eigler, Essen (CAO), Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Pathologie),
Prof. Dr. Ch. Herfarth, Heidelberg (CAO), Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO,
Pathologie), Prof. Dr. W. Hohenberger, Erlangen (CAO), Prof. Dr. D.K. Hossfeld,
Hamburg (AIO), Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz (CAO), Dr. P. Kruck, Bad Kreuznach (ARNS), Prof. Dr. H. J. Meyer, Solingen (CAO), Prof. Dr. H. Pichlmaier, Köln
(CAO), Prof. Dr. R. Sauer, Erlangen (ARO), Prof. Dr. W. Stock, Düsseldorf (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. H.G. Beger, Ulm (CAO), Prof. Dr. W. Hartel, München (CAO), Prof. Dr.
F.W. Schildberg, München (CAO), Prof. Dr. P.M. Schlag, Berlin (CAO)
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik
Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
Deutsche Röntgengesellschaft
2. Überarbeitung mit der Technik des nominalen Gruppenprozesses durch eine
von der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
(DGVS) unter der Schirmherrschaft der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) am
15. und 16.1.1999 in Bochum veranstalteten Konsensuskonferenz.
Mitglieder der Expertengruppe waren
W. Schmiegel (AGO/DGVS), P. Drings (DKG), S. Petrasch (AGO/DGVS),
R. Porschen (AGO/DGVS), H.-J. Schmoll (AIO)
Ferner nahmen Vertreter folgender Arbeitsgemeinschaften und Gesellschaften teil:
Arbeitsgemeinschaft Gastroenterologische Onkologie der DGVS (AGO)
Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie der DKG (AIO)
Arbeitsgemeinschaft Radiologische Onkologie der DKG (ARO)
Chirurgische Arbeitsgemeinschaft der DKG und der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie (CAO)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik
Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
Deutsche Röntgengesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt
185
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik
Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie e.V. (DGKC)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: Februar 1999
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Für 2002 ist die Fertigstellung einer Leitlinie nach EBM-Kriterien geplant.
Der Leitlinienkoordinator wird jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen
Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version
der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter
http://awmf.org/ veröffentlicht.
186
D5
Rehabilitation beim kolorektalen
Karzinom
D 5.1 Einleitung und Abgrenzung
Die Gruppe der rehabilitationsbedürftigen Patienten nach Therapie eines kolorektalen Karzinoms umfasst ein höchst inhomogenes Kollektiv mit sehr unterschiedlichen tumor- und therapiebedingten Funktionseinschränkungen bzw. Behinderungen.
Da für die Therapie des kolorektalen Karzinoms überwiegend ein operatives Vorgehen charakteristisch ist, sind die therapiebedingten Beeinträchtigungen überwiegend abhängig von dem Verlust des betreffenden Kolon- bzw. Rektumanteiles. Hierin sind auch die deutlichen Unterschiede in den Funktionsstörungen begründet. Die Folgen einer zytostatischen oder Bestrahlungstherapie treten zwar
in den Hintergrund, müssen jedoch Berücksichtigung finden.
Patienten mit kolorektalen Karzinomen unterscheiden sich ferner von Patientengruppen anderer Tumorentitäten durch ihr höheres Lebensalter: Letzteres kann
den Rehabilitationsprozess entscheidend beeinflussen, wenn zusätzliche altersabhängige Funktionsstörungen bzw. Behinderungen bestehen.
D 5.2 Rehabilitationsbezogene Funktionseinschränkungen und
Behinderungen
Direkte Operationsfolgen: Wundheilungsstörung, Spätabszess, persistierende
Sakralfistel
Hernien: perineal, parastomal, Bauchwand
Verdauungsstörungen: nach umfangreichem Organverlust, Verlust des terminalen Ileum, Verlust der Rektumampulle (imperativer Stuhldrang), Bestrahlungsfolgen
Passagebehinderungen: Stenosen
Stuhlinkontinenz: tiefe anteriore Rektumresektion
Harninkontinenz bei Postproktektomie-Syndrom
Komplikationen im Bereich des Urogenitalsystems: Harnblasendeviation, sekundäre retroperitoneale Fibrose, Vaginaldeviation bzw. -stenose, Vaginalfisteln
Sexuelle Funktionsstörungen: neurogener Potenzverlust, psychogener Potenz- und Libidoverlust
Stomaanlagen
Stomakomplikationen: Dermatitiden, Hernie, Bauchwandrelaxation, Prolaps,
Stenoseretraktion, Blutungen, Anlagefehler
Schmerzen: perineale Narbe, Verwachsungen, lokale Rezidive
Bestrahlungsfolgen: Adhäsionen, Proktitis, Durchfälle
187
Folgen der zytostatischen Therapie (meist passager)
Psychische Probleme der Krankheitsverarbeitung
Soziale Anpassungsstörungen, soziale Absicherung
Probleme der beruflichen Wiedereingliederung
D 5.3 Diagnostik bei Rehabilitation und Nachsorge
Neben der Rehabilitation im engeren Sinne, nämlich der Behandlung tumoroder therapiebedingter Funktionsstörungen bzw. Behinderungen hat bei der
Betreuung von Patienten mit kolorektalen Karzinomen nach abgeschlossener
Primärbehandlung die rezidivbezogene Nachsorgediagnostik einen hohen
Stellenwert. Letztere sollte jedoch trotz ihrer großen psychologischen Wertschätzung seitens der betroffenen Patienten angesichts eines verhältnismäßig
begrenzten Nutzens einer früher einsetzenden Rezidivtherapie nachdrücklich
relativiert werden zugunsten eines individuellen problemorientierten Vorgehens.
Unerlässlich bei der Planung einer Nachsorgediagnostik ist das Einbeziehen
unterschiedlicher prognostischer Kriterien einer eventuell nachfolgenden Rezidivtherapie in Abhängigkeit von der Lokalisation des Tumorrezidivs (Anastomose, kleines Becken, Fernmetastasen). Eine Nachsorgediagnostik sollte auch das
Ziel einer Optimierung möglicher palliativer Maßnahmen beinhalten.
Rehabilitationsrelevante Diagnostik
Vor jeder rehabilitativen Therapie steht die funktionsbezogene Diagnostik, um
den Rehabilitationsbedarf zu ermitteln:
Anamnese: Befindlichkeit, Funktionsausfälle, Verdauung, Appetit, Körpergewicht, Schmerzen
Klinische Untersuchung: allgemeiner Status, Abdominalbefund, Operationsnarben, Stoma, perineale Narbe bzw. digital-rektale Untersuchung
Laboruntersuchungen: gezielter Einsatz abhängig von den Beschwerden
Apparative Untersuchungsmethoden: Sonographie, Koloskopie, Endosonographie, Computertomographie
Rezidivbezogene Diagnostik bzw. Ausschluss metachroner Darmtumoren
Siehe „Leitlinie zum Kolonkarzinom” (Abschnitt „Nachsorge”) und „Leitlinie
zum Rektumkarzinom” (Abschnitt „Nachsorge”).
D 5.4 Therapie
Das therapeutische Vorgehen in der Rehabilitation ist abhängig von den diagnostizierten Funktionseinschränkungen und Behinderungen:
Wundversorgung
Kost- bzw. Ernährungsberatung
Versorgung von Hernien (Leibbinden usw.)
188
Inkontinenzversorgung
– Beckenbodentraining
– apparative Trainingsmethoden, z.B. Biofeedback
Erlernen der Stomaversorgung und -pflege
– Auswahl von geeigneten Versorgungssystemen
– Erlernen der Irrigation
– Information über prophylaktische Maßnahmen
Therapie von Stomakomplikationen
Schmerztherapie
Sexualberatung: Information, apparative und operative Hilfen
Indikationsstellung für weitere, evtl. adjuvante Maßnahmen (Operation, Radiatio, Zytostase)
D 5.5 Psychische Rehabilitation
Das individuelle Erleben des Krankheitsverlaufes und die stark variierenden
Funktionsstörungen bei Patienten nach kolorektalen Karzinomen verursachen
sehr unterschiedliche Einschränkungen in der subjektiven und objektiven Lebensqualität und der Krankheitsverarbeitung der Betroffenen. Neben den Problemen, unter denen potenziell jeder Tumorpatient leidet, gibt es spezielle psychische Belastungen bei Betroffenen mit kolorektalen Tumoren:
Massiv verändertes Körperbild
Verlust der Organfunktion mit Ausfall der Möglichkeit einer bewussten
Sphinkterkontrolle
Beeinträchtigung der sexuellen Aktivität
Weitere unvollständige oder missglückte Krankheitsbewältigung infolge Stomakomplikationen
Angst vor einem Rezidiv
Interventionsformen:
Patientenbezogene Gesprächspsychotherapie als Einzeltherapie
Themenzentrierte offene Gesprächsgruppen
Spezielle psychotherapeutische Fragen: autogenes Training, progressive Muskelrelaxation usw.
Bedarfsangepasste gezielte Verwendung von Biofeedback-Verfahren
D 5.6 Soziale Rehabilitation
Die soziale Isolation durch Rückzug, Partnerprobleme, Störungen im Sexualbereich und zum Teil massive Einschränkung in der Mobilität durch Inkontinenzund Stomaprobleme erfordern zusätzliche soziale Hilfestellung bei Patienten mit
kolorektalen Tumoren über den üblichen Standard hinaus.
Hilfe und Beratung bei der Reintegration in Familie, Nachbarschaft, Freundeskreis und Beruf, besonders bei Stomaträgern
189
Vermittlung von Kontaktadressen: Selbsthilfegruppen (Ilco), Beratungsstellen
Informationen zum Schwerbehindertenausweis, ggf. auch zu den Nachteilsausgleichen
Vermittlung von Hilfen zur häuslichen/familiären Situation (Haushaltshilfe,
häusliche Krankenpflege, Unterbringung in Pflegeheimen)
Kontaktherstellung zu den verschiedenen Institutionen, falls noch nicht vorhanden (Hausarzt, Sozialversicherungsträger, Hauptfürsorgestelle, Sozialamt,
Krankenkasse)
Beratung der Partner und Angehörigen!
D 5.7 Berufsbezogene Rehabilitation
25–30% der Betroffenen mit kolorektalem Karzinom stehen im erwerbsfähigen
Alter. Während Patienten nach einer kontinenzerhaltenden Operation an Kolon
und Sigma nicht selten schon bald wieder uneingeschränkt arbeitsfähig sind,
kann bei Betroffenen nach tiefen Rektumresektionen und Inkontinenzproblemen oder bei Stomaträgern mit längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten und einem
höheren Risiko einer Berufs- und Erwerbsunfähigkeit gerechnet werden. Eine
Verbesserung und Intensivierung berufsfördernder Maßnahmen und Beratungen ist notwendig, weil ein nicht zu übersehender Teil dieser Betroffenen die Arbeit nicht wieder aufnimmt, wobei wiederum erhebliche Unterschiede bei der
Tumorlokalisation und dem Operationsmodus festzustellen sind (z.B. 60% nach
Rektumamputation, 17% nach Rektumresektion).
Die Leistungseinbuße betrifft häufig Berufe, die einen vermehrten körperlichen
Einsatz erfordern, insbesondere durch Heben und Tragen schwerer Lasten, ferner bei Arbeiten, die mit verstärkter Hitzeeinwirkung verbunden sind (Komplikationen mit der Stomaversorgung) bzw. die längere sitzende Tätigkeiten verlangen (Beschwerden von Seiten der perinealen Narbe). Auch sind Beeinträchtigungen bei der Abwicklung von Publikumsverkehr infolge Komplikationen im
Stomabereich zu erwarten. Ferner sind Kenntnisse der Arbeitsplatzbedingungen
notwendig, um Funktionsstörungen des Stomas so weit wie möglich zu adaptieren (Weg zu Toiletten, Raumtemperatur usw.).
D 5.8 Qualitätssicherung
190
Die Kontrolle jeder Maßnahme und deren Nutzen oder Schaden abzuschätzen
ist auch in der Rehabilitation Teil ärztlichen Handelns und mit diesem untrennbar
verbunden. Sie unterliegt Standards, die im Rahmen der Qualitätssicherungsmaßnahmen in der Rehabilitation aufgestellt worden sind.
Bei der Rehabilitation von Patienten mit kolorektalen Tumoren wird das Ziel verfolgt, den gesamten Rehabilitationsprozess – selbstverständlich unter Einschluss
pflegerischer Maßnahmen – zu standardisieren, mit dem Ziel einer effektiven Evaluationsmöglichkeit, welche allein die Grundlage einer Sicherung – und wenn
notwendig – auch Verbesserung der Versorgung von Betroffenen ermöglicht.
Die Gliederung qualitätssichernder Maßnahmen in Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität ermöglicht eine Evaluationsvereinfachung der rehabilitativen Tätigkeit. Es kann davon ausgegangen werden, dass jede Verbesserung
eines dieser Glieder auch zu einer Verbesserung der anderen Anteile des Qualitätsmanagements führt. Da bei einer Evaluation ein Ist-Zustand ermittelt und
dieser mit dem Standard verglichen wird, ist die Formulierung entsprechender
Standards unerlässlich.
Für die Rehabilitation und Nachsorge kolorektaler Tumoren sind deshalb zusätzliche strukturelle Voraussetzungen zu fordern:
Gastroenterologische und onkologische Zusatzkenntnisse der betreuenden
Ärzte
Kenntnisse in der Stomaversorgung (Stomatherapeuten, Ärzte)
Zusätzliche Kenntnisse in der Kost- und Ernährungsberatung
Problemorientierte Kenntnisse über psychische, soziale und berufliche Besonderheiten
Ausreichende Räumlichkeiten für Beratungsgespräche und Stomaversorgung
Ausreichendes Personal für die zum Teil zeitintensiven rehabilitationsbezogenen Tätigkeiten
Ausreichende apparative Ausstattung für Diagnostik und Therapie
Literatur
1 Kommission zur Weiterentwicklung der Rehabilitation in der gesetzlichen
Rentenversicherung (Hrsg) (1991) Abschlussberichte Bd. III
2 Tumorzentrum München an den Med. Fakultäten der Ludwig-MaximiliansUniversität und der Technischen Universität (Hrsg) (1997) Gastrointestinale
Tumoren. Empfehlungen zu Diagnostik, Therapie und Nachsorge, 5. Auflage.
München
3 Bruinvels DJ, Stiggelbout AM, Kievit J et al (1994) Follow-up of patients with
colorectal cancer. A meta-analysis. Ann Surg 219: 174–182
4 Delbrück H, Kruck P, Braun G, Gärtner G (1995) Rehabilitation und Nachsorge beim Rektumkarzinom. Onkologe 1: 48–56
5 Deutsche Krebsgesellschaft: Standards und Qualitätskriterien in der onkologischen Rehabilitation (1997) In: Delbrück H (Hrsg) Qualitätssicherung in der
Onkologie 7.1. Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
6 Eckhardt VF, Bernhardt G (1997) Nachsorge beim kolorektalen Karzinom, Dt
Ärztebl 94: A 456–462
7 Müller JM, Tübergen D, Zieren U (1994) Nachsorge beim kolorektalen Karzinom. Zbl Chir 119: 65–74
8 Pichlmaier H (1994) Kosten-Nutzen-Überlegungen in der onkologischen
Chirurgie. Münch Med Wochenschr 136: 226–230
9 Steele G (1993) Standard postoperative monitoring of patients after primary
resection of colon and rectum cancer. Cancer (suppl 71): 4225–4235
191
Verfahren zur Konsensbildung
Expertengruppe der Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Sozialmedizin
unter Beratung durch
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie
Deutsche Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
Deutsche Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin
Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes
Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie
Deutsche Gesellschaft für Urologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin
Verfasser
Dr. P. Kruck
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
192
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordinator
Dr. P. Kruck
Nahetal-Klinik
Burgweg
D-55543 Bad Kreuznach
Erste Fassung: Dezember 1997
Zweite Fassung: Dezember 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
193
D6
Analkanalkarzinom
Definition
Der Analkanal erstreckt sich vom Oberrand der Puborektalisschlinge bis zur Linea
anocutanea (Übergang des Anoderms (Plattenepithel ohne Hautanhangsgebilde) in die äußere Haut (Epidermis mit Hautanhangsgebilden)). Tumoren des
Analrandes (außerhalb der Linea anocutanea) gehören zu den Hauttumoren und
werden entsprechend behandelt (1).
Hinweise auf ein Analkarzinom sind peranaler Blutabgang (50%), perianale
Schmerzen, Tenesmen, Juckreiz, Stuhlunregelmäßigkeiten, Inkontinenzsymptome oder vergrößerte Leistenlymphknoten. Bei Patienten mit Analkanaltumoren
liegen häufig gleichzeitig benigne Erkrankungen (Hämorrhoiden, Fissur, Fistel,
Kondylom etc.) vor. Gelegentlich wird ein Analkanalkarzinom zufällig bei der
operativen Entfernung von Hämorrhoiden nachgewiesen.
Für die Frühdiagnose wesentliche Grundsätze sind: Bei „chronischem Ekzem”,
therapierefraktärer Analfissur, knotigen Veränderungen und jedem nicht völlig
typischen Analbefund muss eine Biopsie erfolgen. Das gesamte aus der Anorektalregion operativ entfernte Gewebe ist histologisch zu untersuchen, auch wenn
es sich „nur” um Hämorrhoiden, Fissuren oder Fisteln ohne klinischen Verdacht
auf Malignität zu handeln scheint.
D 6.1 Präoperative Diagnostik
Notwendige Untersuchungen
Anamnese und klinische Untersuchung (einschließlich Leistenlymphknoten)
Untersuchung des Analkanals mit analem Spreizspekulum
Digital-rektale Untersuchung
Proktoskopie, Rektoskopie
Bei Tumorverdacht bioptische Sicherung (ggf. in Narkose):
– Kleine Läsionen (≤ 1 cm und isolierter Schleimhautbefall): Totalbiopsie
(Tumorexzision).
– Größere Läsionen und Infiltration in Muskulatur: Inzisions- oder Stanzbiopsie.
Spiral-Computertomographie oder Magnetresonanztomographie (MRT) des
Abdomens und Beckens
Röntgenuntersuchung des Thorax in zwei Ebenen.
194
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Endosonographie des Analkanals
Gynäkologische Untersuchung
Urologische Untersuchung bei fortgeschrittenem Tumor
D 6.2 Präoperative mikroskopische Diagnostik
Vor Therapieeinleitung ist die histologische Sicherung der Malignität und die Differenzierung zwischen Plattenepithel- und Adenokarzinom erforderlich. Die
Abgrenzung des sehr seltenen primären Adenokarzinoms des Analkanals vom
wesentlich häufigeren Befall des Analkanals durch ein primäres Adenokarzinom
des Rektums ist histologisch an Biopsien nicht möglich, sondern muss durch die
klinischen Untersuchungen erfolgen. Eine Subtypisierung des Plattenepithelkarzinoms ist für die Therapiewahl nicht erforderlich. Bei schlecht differenziertem
Plattenepithel- sowie den sehr seltenen kleinzelligen und undifferenzierten Karzinomen ist differenzialdiagnostisch auf die Abgrenzung gegenüber malignen
Melanomen und Lymphomen zu achten.
D 6.3 Therapie des Plattenepithelkarzinoms des Analkanals
Als Therapieverfahren mit kurativem Ziel stehen die operative Entfernung des
Tumors (lokale Exzision, abdomino-perineale Exstirpation), die Radiotherapie
und die Radiochemotherapie zur Verfügung. Eine prospektive randomisierte
Studie zwischen der abdomino-perinealen Exstirpation und der Radiochemotherapie wurde bisher nicht durchgeführt. Die Radiochemotherapie erwies sich in
prospektiven Studien als wirksames Behandlungsverfahren, das vermutlich eine
ähnlich hohe Heilungschance wie die abdomino-perineale Exstirpation ermöglicht, ohne den Verlust der anorektalen Kontinenz und unter Vermeidung der
Morbidität nach abdomino-perinealer Exstirpation. Diese Gründe sprechen für
die Radiochemotherapie als Erstbehandlungsverfahren beim Analkanalkarzinom
(Abbildung 1). Die Rate eines persistierenden oder rezidivierenden Tumors nach
Radiochemotherapie betrug in der multizentrischen UKCCCR-Studie (4) 39%
(nach alleiniger Radiotherapie 61%). Dies begründet engmaschige Nachsorgeuntersuchungen, um diese Patienten frühzeitig einer abdomino-perinealen
Exstirpation zuzuführen.
Radiochemotherapie
Das Zielvolumen der perkutanen Radiotherapie umfasst den Analkanal inkl. Perianalregion und distales Rektum sowie perirektale, präsakrale, interne iliakale
und inguinale Lymphknotenstationen. Bei bis 2 cm großen auf den Analkanal
beschränkten Tumoren kann auf eine elektive Bestrahlung der Leistenregion
möglicherweise verzichtet werden. Mit einer Einzeldosis von 1,8 Gy wird in einmal täglicher und fünfmal wöchentlicher Fraktionierung bis zu einer Gesamtdosis von 50,4 Gy bestrahlt. Bei T3- und T4-Tumoren ist eine kleinvolumige Dosisaufsättigung bis 55,8 bzw. 59,4 Gy in gleicher Fraktionierung empfehlenswert.
Die Bestrahlung der Leisten erfolgt elektiv bis zu einer Gesamtdosis von 45 Gy,
bei Befall bis zu einer Gesamtdosis von 55,8 Gy. Die im Rahmen der Radiochemotherapie verwendete Technik umfasst eine Drei- oder Vierfeldertechnik in
Bauchlage. In den PA (AP) Photonenfeldern wird die Leistenregion miterfasst, in
den seitlichen Feldern jedoch nicht. Deshalb ist ein täglicher Ausgleich mit Elek-
195
Abdomino-perineale Rektumexstirpation
Tumorpersistenz histologisch gesichert
Nein
Nachsorge
Vorgehen unklar
Weiterreichende
Invasion
Radiochemotherapie
Invasion nur
Schleimhaut
pT1 N0 G1 R0
Ja
Kolostomie
Hochgradige Stenose
und/oder komplette Inkontinenz?
Größter Tumordurchmesser > 2 cm oder N1–3
oder Linea dentata befallen
Keine weitere Therapie
pTis R0
Lokale Exzision
Größter Tumordurchmesser bis 2 cm, N0, Linea dentata frei
Abbildung 1. Plattenepithelkarzinom des Analkanals: Therapie in kurativer Intention.
196
Therapietage
Externe Bestrahlung
(1,8 Gy/Tag
5-Fluorouracil
(1000 mg/m2/24 h)
Mitomycin C
(10 mg/m2)
1
7
14
21
Abbildung 2. Protokoll zur primären Radiochemotherapie des Analkanalkarzinoms.
197
28
35
tronen geeigneter Energiestufen notwendig. Eine Bestrahlung der vorderen
Beckenorgane (Blase, Dünndarm) ist nicht indiziert. Die simultane Chemotherapie erfolgt in der ersten und fünften Behandlungswoche. Dabei werden die Substanzen 5-FU (1000 mg/m2 pro Tag an den Tagen 1 bis 5 und 29 bis 33 als 120Stunden-Infusion) sowie Mitomycin C (10 mg/m2 pro Tag an den Tagen 1 und 29
als intravenöser Bolus) appliziert (s. Abbildung 2). Der maximale Therapieeffekt
ist frühestens sechs bis acht Wochen nach Therapieende zu erwarten.
Operative Therapie
Es ist derzeit unklar, ob bei kleinen (unter 2 cm großen, Kategorie pT1), oberflächlichen (auf Schleimhaut begrenzten) und gut differenzierten Karzinomen,
sofern keine Lymphknotenmetastasen vorliegen und der Tumor die Linea dentata nicht erreicht hat, eine alleinige operative Exzision vertretbar ist.
Ob eine Radiochemotherapie in diesem Tumorstadium eine Prognoseverbesserung erbringt, ist unter Studienbedingungen bislang nicht überprüft. Bei In-situKarzinomen oder solchen mit beginnender Infiltration (mikroinvasives Karzinom)
kann die komplette Exzision im Gesunden als ausreichend angesehen werden.
Eine abdomino-perineale Rektumexstirpation erfolgt bei histologisch gesichertem, trotz Radiochemotherapie persistierendem Tumor (histologischer Nachweis
s.u.) oder einem lokoregionären Rezidiv.
Bei Patienten mit hochgradig stenosierenden Tumoren oder bei kompletter
Inkontinenz ist vor einer Radiochemotherapie eine Kolostomie notwendig.
D 6.4 Posttherapeutische pathohistologische Diagnostik
Frühestens sechs Wochen nach Abschluss der Radiochemotherapie sollen bei
Verdacht auf Tumorpersistenz Stanzbiopsien (mindestens fünf, Länge insgesamt
mindestens 3 cm) entnommen werden (keine Inzisionsbiopsie!). An diesen Biopsien soll ein histologisches Regressionsgrading vorgenommen werden (5). Ob
bei klinisch unverdächtigem Befund die Vollremission bioptisch zu sichern ist,
wird unterschiedlich beurteilt.
Der histologische Befund bei Exstirpation liefert Angaben über die Tumorfreiheit
der Resektionsränder (vor allem zirkumferenzielle Resektionsränder), zur pTNMKlassifikation, zum histologischen Typ und Subtyp, zum Differenzierungsgrad und
nach erfolgter Radiochemotherapie über den Grad der Tumorregression. Die Zahl
der untersuchten und befallenen regionären Lymphknoten ist anzugeben. Für eine
verlässliche pN0-Diagnose sind 12 oder mehr perirektale, bei inguinaler Lymphadenektomie sechs oder mehr inguinale Lymphknoten histologisch zu untersuchen.
D 6.5 Adenokarzinom und Melanom
198
Beim Adenokarzinom des Analkanals ist die radikale chirurgische Entfernung
(abdominoperineale Rektumexstirpation) indiziert. Daten zur adjuvanten oder
neoadjuvanten Behandlung liegen nicht vor.
Da das Adenokarzinom häufig in einem lokoregional fortgeschrittenen Stadium
diagnostiziert wird, kann im Einzelfall entsprechend dem Vorgehen bei fortgeschrittenen Rektumkarzinom eine neoadjuvante Radiochemotherapie sinnvoll
sein (siehe Leitlinie Rektumkarzinom).
Beim anorektalen Melanom ist grundsätzlich im lokalisierten Stadium die Resektion im Gesunden anzustreben. Die Analyse der Literatur zu der Frage, ob die
abdomino-perineale Rektumexstirpation der Lokalexzision überlegen ist, ergibt
keine eindeutige Empfehlung zum chirurgischen Vorgehen.
D 6.6 Tumorrezidive bzw. Karzinom mit Fernmetastasen
Ein lokoregionäres Rezidiv nach Radiochemotherapie des Analkanalkarzinoms
entsteht meist in den ersten zwei Jahren nach Therapie. Es sollte frühzeitig diagnostiziert werden, da in der Regel durch die Rektumexstirpation eine hohe Heilungschance besteht.
Bei isolierten Lungen- oder Lebermetastasen gelten die allgemeinen Grundsätze
der Metastasenchirurgie.
Bei inkurablem Lokalrezidiv ist in der Regel eine Kolostomie zur Stuhlableitung
indiziert. Die palliative Chemotherapie mit Cisplatin und 5-FU stellt hierbei ebenso wie bei Tumorgeneralisierung eine therapeutische Option dar.
D 6.7 Nachsorge (3)
Tabelle 1. Nachsorge bei Patienten mit Analkanalkarzinom nach Radiochemotherapie oder lokaler Exzision.
Untersuchung
Wochena
6
Anamnese, körperliche
Untersuchung
Monatea
3
6
9
12 18 24 36 48 60
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Abdomen-Sonographie
+
+
Röntgen-Thorax in
zwei Ebenen
Rektoskopie, evtl.
Endosonographie
+
+
+
MRT oder
Spiral-CT-Becken
a
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
nach Abschluss der Radiochemotherapie
199
Nachsorgeuntersuchungen haben die Beurteilung des Lokalbefunds nach Therapie sowie die Früherkennung eines Tumorrezidivs bzw. einer Tumorpersistenz
zum Ziel. Diese Untersuchungen erfolgen erstmals sechs Wochen nach
Abschluss der Therapie und dann in dreimonatigen Abständen während des
ersten Jahres (Tabelle 1).
D 6.8 Rehabilitation
Auftrag der Rehabilitation ist die Sicherung bzw. Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen.
Voraussetzung sind eine individuelle Rehabilitationsfähigkeit und ein definierter
Rehabilitationsbedarf. Letzterer muss erwartet werden zum Beispiel bei Stuhlinkontinenz, bei Bestrahlungsfolgen oder nach Anlage eines Kolostomas.
Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollten soweit notwendig ausschließlich
in besonders erfahrenen Tumornachsorgekliniken durchgeführt werden, die mit
der speziellen somatischen, psychischen, sozialen oder beruflichen Rehabilitationsbedürftigkeit der Patienten vertaut sind.
Literatur
1 Deutsche Krebsgesellschaft (1998) Diagnostische und therapeutische Standards in der dermatologischen Onkologie. Garbe C (Hrsg). Zuckschwerdt,
München Bern Wien New York
2 Flam et al (1996) Role of mitomycin in combination with the fluorouracil and
radiotherapy, and salvage chemoradiation in the definitive nonsurgical treatment of epidermoid carcinoma of the anal canal: results of a phase III randomized intergroup study. J Clin Oncol 14: 2527–2539
3 Hermanek P, Junginger Th, Hossfeld DK, Müller R-P, Fölsch UR (1992) Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Dtsch
Ärztebl 96 A: 2084–2088
4 UKCCCR Anal Cancer Trial Working Party (1996) Epidermoid anal cancer:
results from the UKCCCR randomised trial of radiotherapy alone versus radiotherapy, 5-fluorouracil and mitomycin. Lancet 348 (9034): 1049–1054
5 Wagner G, Hermanek P (1995) Organspezifische Tumordokumentation. ADT
Tumordokumentation in Klinik und Praxis Band 2. Springer, Berlin Heidelberg
New York
Verfahren der Konsensbildung
200
Erstellung durch eine Expertengruppe der
Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. H.-D. Becker, Tübingen (CAO); Prof. Dr. F. Borchard, Aschaffenburg
(Pathologie); Prof. Dr. M. Büchler, Bern (CAO); Prof. Dr. W. Dippold, Mainz
(DGVS); Prof. Dr. V. Eckardt, Wiesbaden (DGVS); Prof. Dr. F.W. Eigler, Essen
(CAO); Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Pathologie); Prof. Dr. G. Grabenbauer,
Erlangen (ARO); Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO, Pathologie); Prof. Dr. D.K.
Hossfeld, Hamburg (AIO); Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz (CAO); Dr. P. Kruck, Bad
Kreuznach (ARNS); Prof. Dr. H. J. Meyer, Solingen (CAO); Prof. Dr. J. Müller, Berlin (CAO); Prof. Dr. R.-P. Müller, Köln (ARO); Prof. Dr. P. Neuhaus, Berlin (CAO);
Frau Dr. F. Roelofsen, Essen (CAO); Prof. Dr. J. Scheele, Jena (CAO);
Prof. Dr. W. Stock, Düsseldorf (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. P. Helmich, Düsseldorf (DEGAM)
Prof. Dr. W. Hohenberger, Erlangen (CAO)
Prof. Dr. Ch. Wittekind, Leipzig (Pathologie)
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
AK Supportive Maßnahmen der Deutschen Krebsgesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Röntgengesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
201
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: September 1998
Zweite Fassung: September 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
202
D7
Primäre Leberkarzinome
Unter den primären Leberkarzinomen werden hepatozelluläre und cholangiozelluläre Karzinome (intrahepatische Cholangikarzinome) unterschieden. Bezüglich
der Hepatoblastome wird auf die Leitlinien der Pädiatrischen Onkologie (1), bezüglich der Klatskin-Tumoren auf die Leitlinie für Tumoren der extrahepatischen
Gallengänge verwiesen.
D 7.1 Prätherapeutische Diagnostik
Notwendige Untersuchungen
Anamnese und klinische Untersuchung, einschließlich Festlegung des ChildPugh-Status
Sonographie des Abdomens
Bei therapeutischen Konsequenzen:
Tumormarker AFP
Hepatitisserologie
Spiral-Computertomographie Abdomen oder MRT mit geeignetem Kontrastmittel (z.B. superparamagnetische Eisenoxidpartikel)
Rö.-Thorax in zwei Ebenen
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Duplexsonographie der Leber
Angiographie bei unklarer Differenzialdiagnose, insbesondere Regeneratknoten im zirrhotischen Lebergewebe.
CT-Thorax bei unklarem Röntgenbefund. (Nach Meinung der DGVS ist die CTUntersuchung des Thorax obligat.)
Gastroskopie/Koloskopie bei unklarer Abgrenzung gegenüber sekundären Lebertumoren.
Laparoskopie bei fraglicher Operationsindikation.
Weitere diagnostische Schritte, z.B. vor Lebertransplantation, müssen
individuell entschieden werden.
D 7.2 Prätherapeutische mikroskopische Diagnostik
Vor Einleitung einer Therapie ist die histologische Sicherung des Verdachts eines
Leberkarzinoms in der Regel erforderlich. Die Materialgewinnung erfolgt vorzugsweise mit einer Nadelbiopsie (1,2 mm) oder bei entsprechender Erfahrung
des Untersuchers mit histologischer oder zytologischer Auswertung durch eine
203
Feinnadelbiopsie (≤ 1 mm). Bei folgenden Konstellationen kann auf eine mikroskopische Diagnosesicherung verzichtet werden:
1. Vor geplanter Operation (Resektion oder orthotope Lebertransplantation)
2. Bei mutmaßlichem Leberkarzinom, jedoch fehlender Option auf eine tumorspezifische Therapie
3. Bei charakteristischen Befunden der bildgebenden Verfahren, ggf. in Kombination mit der AFP-Konstellation
D 7.3 Präoperative (neoadjuvante) Therapie
Die Wirksamkeit neoadjuvanter Maßnahmen ist nicht belegt. Eine präoperative
intraarterielle Chemoembolisation wird derzeit in Studien überprüft und sollte
nur unter Studienbedingungen zur Anwendung kommen.
D 7.4 Operative Therapie mit kurativem Ziel
Das Risiko der operativen Therapie bei Patienten mit Lebertumoren ist auch von
der Erfahrung des Operateurs und der Institution abhängig, was die Behandlung
dieser Patienten in Zentren mit spezieller Erfahrung nahe legt.
Eine kurative Therapie des hepatozellulären Karzinoms (HCC) erfordert in der
Regel dessen Resektion im Gesunden mit einem Mindestabstand zum Tumorrand von 1 cm. Zur Klärung der genauen Tumorlage, der Uni- oder Multifokalität
und der Beziehung zu den großen Gefäßen ist eine intraoperative Ultraschalluntersuchung sinnvoll.
Das operative Verfahren hängt davon ab, ob ein zirrhotischer Umbau vorliegt
oder ob nicht. Bei hepatozellulärem Karzinom ohne assoziierte Zirrhose kommen abhängig von der Tumorgröße und -lage sowie der funktionellen Parenchymreserve anatomieorientierte Resektionen, periphere Resektion und Segmentresektionen oder Mehrsegmentektomien zur Anwendung. Ob im geeigneten Fall durch Bevorzugung ausgedehnter Resektionen (z.B. Hemihepatektomie)
gegenüber parenchymerhaltenden Eingriffen (z.B. periphere Resektion) eine
Prognoseverbesserung erreichbar ist, ist derzeit nicht geklärt. Eine Lymphadenektomie mit Dissektion am Ligamentum hepatoduodenale ist für das Staging
nützlich, der therapeutische Wert ist bislang nicht belegt.
204
Fibrolamelläres Karzinom
Die Prognose nach Resektion fibrolamellärer Karzinome soll günstiger als bei anderen hepatozellulären Karzinomen sein. Meist treten fibrolamelläre Karzinome
in nicht zirrhotischer Leber und bei jüngeren Patienten auf. Unklar ist derzeit, ob
die fibrolamelläre Variante des hepatozellulären Karzinoms einen unabhängigen
Parameter für eine günstige Prognose darstellt. Auch ist unklar, ob Einzelbeobachtungen von günstigen Langzeitverläufen nach Lebertransplantation bei
Patienten mit fortgeschrittenem Tumor eine Ausweitung der Indikationsstellung
zur Lebertransplantation rechtfertigen.
Das chirurgische Vorgehen beim hepatozellulären Karzinom mit Zirrhose ist abhängig vom Stadium der Zirrhose und des Tumors. Prospektive Untersuchungen
zur Lebertransplantation bei hepatozellulärem Karzinom liegen nicht vor. Einige
retrospektive Untersuchungen sprechen für günstige Ergebnisse nach Lebertransplantation in den Stadien UICC I und II. Bei Patienten, die diese Voraussetzungen erfüllen, bei denen aber allgemeine Kontraindikationen für eine Lebertransplantation vorliegen, ist das Risiko der Resektion gegen ein nicht-operatives
Vorgehen abzuwägen. Das Ausmaß der Resektion richtet sich nach der Lage und
Größe des Tumors sowie der Leberparenchymreserve.
Beim cholangiozellulären Karzinom gelten die gleichen chirurgischen Prinzipien
wie beim hepatozellulären Karzinom, allerdings besteht keine Indikation zur Lebertransplantation.
D 7.5 Intra- und postoperative pathohistologische Diagnostik
Vor einer Lebertransplantation ist ein Verdacht auf extrahepatische Tumormanifestation, insbesondere im Bereich der regionären Lymphknoten, durch intraoperative Schnellschnittuntersuchung auszuschließen.
An die postoperative histologische Aufarbeitung sind folgende Minimalanforderungen zu stellen:
1. Klassifikation der Tumoren nach den Richtlinien der WHO (3); ggf. unter Berücksichtigung spezifischer immunhistologischer Untersuchungen zur Differenzialdiagnose von hepatozellulärem vs. cholangiozellulärem Karzinom
2. pT-Klassifikation nach den Richtlinien der UICC (4)
3. Histopathologisches Grading (G1–G4) nach den Richtlinien der UICC (4)
4. Vollständigkeit der lokalen Tumorentfernung (Untersuchung der Resektionsflächen) zur Festlegung der R-Klassifikation. Bestimmung des Abstandes zwischen Tumor und Resektionsfläche
5. Bei durchgeführter Lymphknotendissektion erfolgt eine pN-Klassifikation
nach UICC. Zur Festlegung von pN0 sollten mindestens drei Lymphknoten
entfernt und histologisch untersucht werden. In jedem Fall sollte die Zahl der
untersuchten und der befallenen Lymphknoten angegeben werden
6. Untersuchung des nicht-tumorösen Lebergewebes, insbesondere auch bezüglich zugrunde liegender prognose- und therapierelevanter Erkrankungen
(z.B. Virushepatitis, Hämochromatose).
D 7.6 Adjuvante Therapie
Die Wirksamkeit adjuvanter Therapiemaßnahmen ist nicht belegt.
205
D 7.7 Palliativmaßnahmen
Bei fehlenden verfahrensspezifischen Kontraindikationen und einem KarnofskyIndex >60% stehen für die Palliativbehandlung u.a. perkutane Verfahren, wie z.
B. die perkutane Ethanolinjektion (PEI), transarterielle Verfahren, wie z. B. die
transarterielle Chemoembolisation (TACE), die chirurgische Resektion oder systemische medikamentöse Ansätze zur Verfügung. Therapiewahl, Kombination
der einzelnen Verfahren und auch Zeitpunkt des Therapiebeginns sind in der palliativen Situation offen. Die Wirksamkeit lokaler Verfahren sollte mit geeigneten
Methoden überprüft werden. Hierfür liegen jedoch keine standardisierten Protokolle vor. Außerdem ist auf jeden Fall für eine adäquate Schmerztherapie Sorge
zu tragen.
Lokoregionäre Therapieverfahren
Bei nicht kurativ operablen Patienten mit auf die Leber begrenztem Tumor können transarterielle Verfahren wie die TACE und/oder perkutane Verfahren wie
die PEI durchgeführt werden. Für perkutane und transarterielle Verfahren ist ein
Überlebensvorteil von behandelten Patienten gegenüber unbehandelten Patienten durch randomisierte Studien nicht belegt. Patienten, die einer solchen Behandlung unterzogen werden, sollten daher kontrollierten Studien zugeführt
werden. Weitere transarterielle Therapieverfahren werden zur Zeit erprobt.
Mit der PEI werden die günstigsten Ergebnisse bei Solitärtumoren ≤ 3 cm erzielt.
Vor allem bei kleinen Tumoren (≤ 3cm) und Leberzirrhose mit Child-Pugh-Stadium A wurde nach unkontrollierten Studien im Vergleich zu historischen Kontrollen ein Überlebensvorteil durch PEI-Behandlung gezeigt. Die Rezidivhäufigkeit
nach PEI ist nach der Resektion vergleichbar. In der Regel wird 95%iger Alkohol
unter Ultraschall- oder CT-Kontrolle injiziert. Die injizierte Ethanolmenge, Zahl
der Injektionen und Abstände zwischen den Injektionen sind nicht standardisiert.
Der TACE kann bei nicht operablem HCC und bei für die PEI nicht zugänglichem
oder weniger geeignetem HCC (z. B. > 5 cm, > 3 Herde) durchgeführt werden.
Kontraindikationen sind in der Regel eine vorbestehende Leberzirrhose im ChildPugh-Stadium C, die komplette Pfortaderthrombose und massiver Aszites. Die
Zusammensetzung des Embolisats und die Applikationsart sind nicht standardisiert.
Der Wert anderer lokal destruierender Verfahren (laserinduzierte Thermotherapie, Radiofrequenz-, Kryotherapie u.a.) ist derzeit nicht abschließend beurteilbar.
Diese Verfahren sollten nur im Rahmen klinischer Studien Anwendung finden.
Systemische Therapieverfahren
Die Bewertung der bisherigen Untersuchungen zur Wirksamkeit einer systemischen Chemotherapie und einer chemohormonellen Tumortherapie (z. B. mit Tamoxifen, Octreotid) ist kontrovers. Jedenfalls besteht aber Übereinstimmung
darüber, dass systemische Therapieverfahren möglichst innerhalb von Studien
zur Anwendung kommen sollen.
206
D 7.8 Nachsorge (2)
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und
Prognoseverbesserung ist bisher nicht belegt. Bei wenigen Patienten mit Rezidiven können eine Re-Resektion oder eine Lebertransplantation den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen. Aus diesem Grunde sollten als Minimalprogramm
alle sechs Monate eine klinische Untersuchung, eine Ultraschalluntersuchung
des Abdomens und eine Tumormarkerbestimmung (AFP) durchgeführt werden.
D 7.9 Rehabilitation
Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollten so weit notwendig ausschließlich
in besonders erfahrenen Tumornachsorgekliniken durchgeführt werden, die mit
der speziellen somatischen, psychischen, sozialen oder beruflichen Rehabilitationsbedürftigkeit der Patienten vertraut sind.
Ziel der Rehabilitation ist die Sicherung und ggf. Verbesserung der Lebensqualität des Patienten. Der Rehabilitationsbedarf ist äußerst variabel und abhängig
von der Genese der Grunderkrankung, dem prätherapeutischen Status des Patienten, dem gewählten Therapieverfahren und dem posttherapeutischen Verlauf.
Literatur
1 Creutzig U, Henze G (Hrsg) (1996) Diagnostische und therapeutische Standards in der Pädiatrischen Onkologie. Qualitätssicherung in der Onkologie
5.1. Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
2 Hermanek P, Junginger Th, Hossfeld DK, Müller R-P, Fölsch UR (1999) Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Dtsch
Arztebl 96A: 2084–2088
3 Hirohashi S, Ishak KG, Kojiro M, Wanless LR, Theise ND et al (2000) Hepatocellular carcinoma. In: Hamilton SR, Aaltonen LA (eds) Pathology and genetics of tumours of the digestive system. World Health Organization. IARC
Press, Lyon
4 UICC (1997) TNM-Klassfikation maligner Tumoren 5. Aufl Wittekind CH,
Wagner G (Hrsg). Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der Arbeitsgemeinschaften der Deutschen
Krebsgesellschaft:
Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
207
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. H.-D. Becker, Tübingen (CAO), Prof. Dr. F. Borchard, Aschaffenburg
(Pathologie), Prof. Dr. M. Büchler, Bern (CAO), Prof. Dr. W. Dippold, Mainz
(DGVS), Prof. Dr. V. Eckardt, Wiesbaden (DGVS), Prof. Dr. F.W. Eigler, Essen
(CAO), Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Pathologie), Prof. Dr. G. Grabenbauer,
Erlangen (ARO), Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO, Pathologie), Prof. Dr. D.K.
Hossfeld, Hamburg (AIO), Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz (CAO), Dr. P. Kruck, Bad
Kreuznach (ARNS), Prof. Dr. H. J. Meyer, Solingen (CAO), Prof. Dr. J. Müller, Berlin (CAO), Prof. Dr. R.-P. Müller, Köln (ARO), Prof. Dr. P. Neuhaus, Berlin (CAO),
Frau Dr. F. Roelofsen, Essen (CAO), Prof. Dr. J. Scheele, Jena (CAO), Prof. Dr. W.
Stock, Düsseldorf (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. P. Helmich, Düsseldorf (DEGAM)
Prof. Dr. Ch. Wittekind, Leipzig (Pathologie)
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
AK Supportive Maßnahmen der Deutschen Krebsgesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Röntgengesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
208
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: November 1998
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
209
D8
Lebermetastasen
D 8.1 Prätherapeutische Diagnostik
Die prätherapeutische Diagnostik betrifft den Primärtumorbereich, das Ausmaß
der hepatischen Metastasierung und extrahepatische Tumorabsiedlungen
(s. Leitlinien Primärtumor).
Notwendige Untersuchungen der Leber
Anamnese und klinische Untersuchung
Sonographie Abdomen
Spiral-Computertomographie Abdomen
Magnetresonanztomographie (MRT) bei diskrepantem Befund der erstgenannten Untersuchungen oder bei Kontrastmittelunverträglichkeit
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Tumormarker (abhängig vom Primärtumor)
Laparoskopie (bei fraglicher Operationsindikation)
PET (zur Differenzierung unklarer Raumforderungen)
D 8.2 Prätherapeutische mikroskopische Diagnostik
Nach kompletter bildgebender Diagnostik kann auf eine zytologisch-histologische Diagnostik verzichtet werden, wenn eine Resektion geplant ist. Dies gilt jedoch nicht bei unbekanntem Primärtumor. Bei beabsichtigter nicht-chirurgischer
Behandlung ist eine vorherige zytologisch-histologische Diagnostik erforderlich,
wenn nach Abschluss der nicht invasiven Diagnostik eine erhebliche diagnostische Unsicherheit verbleibt und sich aus dem Biopsieergebnis eine direkte therapeutische Konsequenz ableitet. Die Materialgewinnung erfolgt vorzugsweise
mit einer Nadelbiopsie (Menghini bis 1,2 mm), oder bei entsprechender Erfahrung des Untersuchers mit histologischer oder zytologischer Auswertung einer
Feinnadelbiopsie (≤ 1 mm).
D 8.3 Neoadjuvante Therapie
Der Effekt neoadjuvanter Therapieverfahren ist nicht belegt. Diese Verfahren sollen nur unter Studienbedingungen zur Anwendung kommen.
210
D 8.4 Operative Therapie mit kurativem Ziel
Die kurative Therapie erfordert die Resektion aller erkennbaren Metastasen im
Gesunden. Ein Sicherheitsabstand von 1 cm sollte eingehalten werden. In Ergänzung zur präoperativen Diagnostik ist die intraoperative Sonographie zur nochmaligen Überprüfung der Resektabilität und zur Festlegung des Resektionsverfahrens notwendig.
Eine Leberresektion ist unter dem Gesichtspunkt der Prognoseverbesserung
nicht sinnvoll, wenn
a) der Tumor nicht im Gesunden (R0-Resektion) entfernt werden kann,
b) Lymphknotenmetastasen im Ligamentum hepatoduodenale vorliegen oder
c) extrahepatisches Tumorwachstum nachgewiesen wird.
Dies gilt nicht, wenn ein resektabler Primärtumor, ein resektables lokoregionäres
Rezidiv oder einzelne resektable Lungenmetastasen vorliegen.
D 8.5 Postoperative pathohistologische Diagnostik
An die postoperative histologische Aufarbeitung sind folgende Minimalanforderungen zu stellen:
1. Histologische Typisierung und Grading der Metastasen nach den Richtlinien
der WHO
2. Anatomische Ausbreitung: Zahl der Metastasen, Lappenbefall (unilobär, bilobär), größter Durchmesser der Metastase(n), Satelliten, Gefäßinvasion, Serosapenetration, Invasion von Nachbarorganen
3. Vollständigkeit der lokalen Tumorentfernung (Untersuchung der Resektionsflächen) zur Festlegung der R-Klassifikation. Bestimmung des minimalen Abstandes zwischen Tumor und Resektionsfläche
4. Im Falle einer vorausgegangenen Chemotherapie soll das Ausmaß der Nekrosen angegeben werden
5. Bei durchgeführter Lymphknotendissektion sollte die Zahl der untersuchten
und befallenen Lymphknoten angegeben werden.
D 8.6 Adjuvante Therapie
Die adjuvante regionale Chemotherapie nach R0-Resektion von Lebermetastasen hat kontroverse Ergebnisse gezeigt. Die adjuvante systemische Chemotherapie und Immuntherapie sind in prospektiven Studien bisher nicht untersucht.
Adjuvante Therapiemaßnahmen sollen nur unter Studienbedingungen zur Anwendung kommen.
211
D 8.7 Sonstige Verfahren
Mit kurativem Ziel werden als konkurrierende Therapieverfahren die lokale Tumordestruktion durch interstitielle Laserkoagulation, Kryotherapie, Radiofrequenztherapie u.a. erprobt. Frühergebnisse lassen eine Evaluierung dieser Techniken innerhalb von Studien sinnvoll erscheinen. Bei Patienten mit nicht resektablen Metastasen neuroendokriner Tumoren kann im Einzelfall eine Lebertransplantation indiziert sein.
D 8.8 Palliativmaßnahmen
Die Indikation zu den verschiedenen Palliativmaßnahmen wird vom Primärtumor
mitbestimmt (s. Leitlinien Organtumoren).
1. Der Stellenwert der regionalen Chemotherapie bei isolierten inoperablen Lebermetastasen kolorektaler Karzinome ist in Anbetracht der verbesserten
Möglichkeiten der systemischen Chemotherapie nicht gesichert. Das Verfahren sollte ausschließlich in klinischen Studien zur Anwendung kommen.
2. Zur Palliativbehandlung von Metastasen hormonaktiver Tumoren stehen neben supportiven Maßnahmen medikamentöse Verfahren zur Verfügung. Bei
medikamentös nicht beherrschbaren Symptomen kann ein operatives Debulking in Betracht gezogen werden. Alternativ stehen vor allem die Chemoembolisation oder lokal destruierende Verfahren zur Verfügung.
3. Zur Schmerzbehandlung (Leberkapselschmerz) ist ergänzend zur systemischen Schmerztherapie die perkutane Bestrahlung zu erwägen.
D 8.9 Nachsorge (1)
Im Falle eines Tumorrezidivs in der Leber nach operativer Therapie von Metastasen eines kolorektalen Karzinoms ist bei ca. 20% der Patienten eine nochmalige
R0-Resektion möglich mit einer Fünfjahres-Überlebensrate von etwa 30%. Bei
nicht gegebener Resektabilität sind lokal destruierende Verfahren zu diskutieren.
Auch bei begrenzter Lungenmetastasierung ist eine Resektion sinnvoll. Dies ist
einer der wesentlichen Gründe für eine regelmäßige Nachsorge bei diesen Patienten (alle sechs Monate klinische Untersuchung, Sonographie Abdomen,
Röntgenuntersuchung Thorax, ggf. Tumormarker).
Bei Patienten mit Metastasen nicht-kolorektaler Tumoren ist dies nicht der Fall,
was die Notwendigkeit der Tumornachsorge bei Patienten mit derartigen Tumoren einschränkt.
212
D 8.10 Rehabilitation
Auftrag der Rehabilitation ist die Sicherung bzw. Verbesserung der Lebensqualität des Betroffenen. Voraussetzungen sind ein definierter Rehabilitationsbedarf
und die individuelle Rehabilitationsfähigkeit.
Literatur
1 Hermanek P, Junginger Th, Hossfeld DK, Müller R-P, Fölsch UR (1999) Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Dtsch
Ärztebl 96 A: 2084–2088
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der
Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. H.-D. Becker, Tübingen (CAO); Prof. Dr. F. Borchard, Aschaffenburg
(Pathologie); Prof. Dr. M. Büchler, Bern (CAO); Prof. Dr. W. Dippold, Mainz
(DGVS); Prof. Dr. V. Eckardt, Wiesbaden (DGVS); Prof. Dr. F.W. Eigler, Essen
(CAO); Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Pathologie); Prof. Dr. G. Grabenbauer,
Erlangen (ARO); Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO, Pathologie);
Prof. Dr. D.K. Hossfeld, Hamburg (AIO); Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz (CAO);
Dr. P. Kruck, Bad Kreuznach (ARNS); Prof. Dr. H. J. Meyer, Solingen (CAO);
Prof. Dr. J. Müller, Berlin (CAO); Prof. Dr. R.-P. Müller, Köln (ARO);
Prof. Dr. P. Neuhaus, Berlin (CAO); Frau Dr. F. Roelofsen, Essen (CAO);
Prof. Dr. J. Scheele, Jena (CAO); Prof. Dr. W. Stock, Düsseldorf (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. P. Helmich, Düsseldorf (DEGAM)
Prof. Dr. W. Hohenberger, Erlangen (CAO)
Prof. Th. Vogl, Frankfurt (Deutsche Röntgengesellschaft)
Prof. Dr. Ch. Wittekind, Leipzig (Pathologie)
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Röntgengesellschaft
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
AK Supportive Maßnahmen der Deutschen Krebsgesellschaft
213
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: September 1998
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
214
Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
215
D9
Gallenblasenkarzinom
Die klinischen Symptome sind unspezifisch und umfassen Oberbauchbeschwerden (~50%), Ikterus (~50%), Gewichtsverlust (~30%), Anorexie (~20%), Übelkeit und Erbrechen (~20%). Die Diagnose eines Gallenblasenkarzinoms ergibt
sich nicht selten als Zufallsbefund nach Cholecystektomie wegen eines Gallensteinleidens oder einer Cholezystitis.
D 9.1 Prätherapeutische Diagnostik
Notwendige Untersuchungen
Anamnese und klinische Untersuchung
Sonographie Abdomen
Röntgen-Thorax in zwei Ebenen
Endoskopisch-retrograde Cholangiographie (ERC) mit Stenteinlage bei Ikterus
Perkutane transhepatische Cholangiographie und Drainage (PTCD) bei erfolgloser ERC.
Leberfunktionsteste bei Ikterus (Basislabor)
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Spiral-Computertomographie
oder
Magnetresonanz-Cholangiogramm
(MRC)
Weiterführende Diagnostik des Magens, Duodenums oder Kolons bei Verdacht auf Tumorbefall
D 9.2 Präoperative mikroskopische Diagnostik
Die diagnostischen Möglichkeiten bei Patienten mit Verdacht auf ein primäres
Karzinom der Gallenblase sind begrenzt. Bei gegebener Operabilität wird eine
histologische Sicherung des Karzinoms ggf. intraoperativ vorgenommen.
D 9.3 Therapie
Neoadjuvante Therapie
Studien zur neoadjuvanten Therapie bei Gallenblasenkarzinom liegen nicht vor.
216
Chirurgische Therapie mit kurativem Ansatz
Beim Carcinoma in situ (Tis), Mukosakarzinom (T1a) und Primärtumor der Kategorie T1b (Infiltration der Muscularis) ist die Entfernung der Gallenblase ausrei-
chend. Bei Tumoren der Kategorie T2 und mehr muss die Resektion des Gallenblasenbettes mit einem ca. 3 cm breiten Saum angeschlossen werden oder eine
anatomische Leberresektion (Resektion der Segmente IVb und V) mit Lymphadenektomie entlang des Ligamentum hepatoduodenale durchgeführt werden.
Bei Infiltration des Ductus choledochus kann eine Mitresektion des Ductus
choledochus indiziert sein. Selten ist bei ausgedehntem Tumor eine Hemihepatektomie möglich und sinnvoll.
Intraoperative Schnellschnittdiagnostik
Sie sollte immer bei Verdacht auf Vorliegen eines Karzinoms erfolgen.
Vorgehen bei postoperativ nachgewiesenem Gallenblasenkarzinom
Die Cholecystektomie ist bei präinvasivem Karzinom (Tis) und T1-Karzinom ausreichend, sonst Re-Operation entsprechend o.a. Vorgehen. Nach laparoskopischer Cholecystektomie sind die Trokarkanäle bei der Re-Operation zu exzidieren.
Postoperative pathohistologische Diagnostik
Die Prognose beim Karzinom der Gallenblase wird wesentlich von der anatomischen Ausbreitung bestimmt, wie sie in der TNM-Klassifikation (3) erfasst wird.
An die postoperative histologische Aufarbeitung sind deshalb folgende Minimalanforderungen zu stellen:
1. Histologische Typisierung und Grading der Tumoren nach den Richtlinien der
WHO (1)
2. pT-Klassifikation nach den Richtlinien der UICC (3). Hierbei ist besonders auf
ein organüberschreitendes Wachstum zu achten: Serosapenetration, Infiltration von Leber, Ligamentum hepatoduodenale, Omentum und extrahepatischen Gallengängen
3. Vollständigkeit der lokalen Tumorentfernung: Untersuchung der Resektionsflächen der Leber und des Absetzungsrandes am Ductus cysticus oder der extrahepatischen Gallengänge, retroperitonealer Resektionsrand (lateraler
Rand). Bestimmung des minimalen Abstandes zur Resektionsfläche der Leber
4. Beschreibung des makroskopischen Wachstumsverhaltens, z.B. polypös, solide, diffus-infiltrativ
5. Der Status der regionären Lymphknoten wird nach der pN-Klassifikation der
UICC (3) beschrieben. In jedem Falle sollte die Zahl der untersuchten und der
befallenen Lymphknoten angegeben werden. Einer verlässlichen pN0-Diagnose sollte die histologische Untersuchung von mindestens drei Lymphknoten
zugrunde liegen.
Adjuvante Therapie
Die Wirksamkeit adjuvanter Therapiemaßnahmen bzw. einer postoperativen
medikamentösen Tumortherapie ist bisher nicht erwiesen.
217
Palliative Therapie
Bei Beteiligung der intra- und extrahepatischen Gallengänge können endoskopische und interventionell-radiologische Behandlungsverfahren zur Anwendung
kommen. Im Einzelfall kann eine chirurgische extrahiläre Gallengangsableitung
sinnvoll sein (s. Therapie der extrahepatischen Gallengangstumoren). Bei symptomatischen Patienten in gutem Allgemeinzustand kann eine Chemotherapie
erwogen werden.
Tumorrezidiv bzw. Fernmetastasen
Beim lokalen Tumorrezidiv bringt eine erneute Resektion nur in Ausnahmefällen
Erfolg. Meist sind lediglich palliative und supportive Maßnahmen möglich. Das
gleiche gilt für Karzinome mit Fernmetastasen. Bei symptomatischen Patienten
in gutem Allgemeinzustand kann eine Chemotherapie erwogen werden.
D 9.4 Nachsorge (2)
Eine verbindliche Empfehlung für die zeitliche und inhaltliche Struktur eines
Nachsorgeprogramms kann nicht gegeben werden, da keine kontrollierten Untersuchungen vorliegen, die einen Einfluss eines Nachsorgeprogramms auf die
Prognose der Patienten gezeigt haben. Die Nachbetreuung der Patienten sollte
auf Anamnese und klinische Untersuchung beschränkt werden. Wenn sich hieraus ein Handlungsbedarf für weiterführende Untersuchungen ergibt, so wären
alle diejenigen Untersuchungen zu veranlassen, aus denen sich eine zu erwartende therapeutische Konsequenz ableiten lässt.
D 9.5 Rehabilitation
Der Auftrag der Rehabilitation ist die Sicherung bzw. Verbesserung der Lebensqualität des Betroffenen. Voraussetzung für die Einleitung sind ein definierter
Rehabilitationsbedarf und die individuelle Rehabilitationsfähigkeit.
Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollten so weit notwendig ausschließlich
in besonders erfahrenen Tumornachsorgekliniken durchgeführt werden, die mit
der speziellen somatischen, psychischen, sozialen oder beruflichen Rehabilitationsbedürftigkeit der Patienten vertraut sind.
Literatur
1 Albores-Saavedra J, Henson DE, Sobin LH (1991) Histological typing of
tumours of the gallbladder and extrahepatic bile ducts. 2nd ed. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
2 Hermanek P, Junginger TH, Hossfeld DK, Müller R-P, Fölsch UR (1996) Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Dtsch
Ärztebl 96A: 2084–2088
3 UICC (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren. 5. Aufl. Wittekind Ch,
Wagner G (Hrsg). Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
218
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der
Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. H.-D. Becker, Tübingen (CAO); Prof. Dr. F. Borchard, Düsseldorf (Pathologie); Prof. Dr. M. Büchler, Bern (CAO); Prof. Dr. W. Dippold, Mainz (DGVS);
Prof. Dr. V. Eckardt, Wiesbaden (DGVS); Prof. Dr. F.W. Eigler, Essen (CAO); Prof.
Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Pathologie); Prof. Dr. G. Grabenbauer, Erlangen
(ARO); Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO, Pathologie); Prof. Dr. D.K. Hossfeld, Hamburg (AIO); Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz (CAO); Dr. P. Kruck, Bad
Kreuznach (ARNS); Prof. Dr. H. J. Meyer, Solingen (CAO); Prof. Dr. J. Müller, Berlin (CAO); Prof. Dr. R.-P. Müller, Köln (ARO); Prof. Dr. P. Neuhaus, Berlin (CAO);
Frau Dr. F. Roelofsen, Essen (CAO); Prof. Dr. J. Scheele, Jena (CAO);
Prof. Dr. W. Stock, Düsseldorf (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. P. Helmich, Düsseldorf (DEGAM)
Prof. Dr. W. Hohenberger, Erlangen (CAO)
Prof. Dr. Ch. Wittekind, Leipzig (Pathologie)
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Röntgengesellschaft
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
AK Supportive Maßnahmen der Deutschen Krebsgesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
219
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: September 1998
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete Fassung: Oktober 2001
Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
220
D10
Extrahepatisches Gallengangskarzinom einschließlich
Klatskin-Tumoren
Bei der Diagnostik und Therapieplanung dieser Tumoren ist die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit von besonderer Bedeutung.
D 10.1 Diagnostik
Notwendige Untersuchungen
Anamnese und klinische Untersuchung
Sonographie Abdomen
Röntgen-Thorax in zwei Ebenen
Endoskopische retrograde Cholangiographie (ERC), ggf. perkutane transhepatische Cholangiographie und Drainage (PTCD)
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Spiral-Computertomographie des Abdomens
Magnetresonanz-Cholangio-Pankreatikographie (MRCP)
Endosonographie, besonders bei distaler Tumorlokalisation
D 10.2 Präoperative mikroskopische Diagnostik
Eine mikroskopische Sicherung der Diagnose bei Verdacht auf ein Karzinom der
extrahepatischen Gallengänge ist durch histologische Untersuchung von endoskopisch gewonnenen Gallengangsbiopsien oder durch zytologische Untersuchung von Abstrichen (sog. Bürstenzytologie) möglich. Vor allem bei diffus-infiltrativen Tumoren mit vorwiegend intramuralem Wachstum ist die Diagnose
schwierig zu sichern. In einem Teil der Fälle muss ohne präoperative mikroskopische Diagnose reseziert werden.
D 10.3 Therapie
Operative Therapie
Anzustreben ist eine R0-Resektion. Aus anatomischen Gründen ist allerdings das
Einhalten weiter Sicherheitsabstände nicht möglich, sodass nicht selten R1-Resektionen resultieren.
Tumoren der Hepaticusgabel (Klassifikation nach Bismuth (2)) erfordern entsprechend ihrer Lokalisation und Ausbreitung ein differenziertes operatives Vorgehen.
221
Typ I
Der Tumor betrifft den Ductus hepaticus communis, jedoch nicht die Hepaticusgabel:
Therapie: Resektion des extrahepatischen Gallengangs, (Hepaticusgabel bis
Pankreas und biliodigestive Anastomose) mit regionaler Lymphadenektomie.
Typ II
Der Tumor betrifft auch die Hepaticusgabel, die sekundäre Aufzweigung rechts
oder links allerdings nicht.
Therapie: Resektion wie Typ I. Wegen der Beteiligung der zum Lobus caudatus
ziehenden Äste bei mehr als 50% der Patienten sollte der Lobus caudatus mitentfernt werden.
Typ III
Der Tumor reicht auf einer Seite (Typ IIIa rechts, Typ IIIb links) bis an die Segmentabgänge heran.
Therapie: Resektion des extrahepatischen Gallengangs, Hemihepatektomie unter Mitnahme des Lobus caudatus. Ggf. ist ein solches Vorgehen auch bereits
beim Typ II angezeigt. Ggf. können Gefäßresektionen zur Erzielung einer R0-Situation angezeigt sein.
Zum genaueren Staging sollte bei Tumorresektion mit kurativem Ziel eine komplette Lymphadenektomie des Ligamentum hepatoduodenale bis zum Truncus
coeliacus erfolgen. Daten hierzu liegen nicht vor.
Typ IV
Die sekundären Zusammenflüsse rechts und links sind betroffen. Eine kurative
Resektion ist in diesem Falle nicht möglich.
Tumoren des Ductus hepaticus communis und des Ductus choledochus werden
durch Resektion des Gallengangs, bei distaler Lokalisation zusätzlich durch eine
partielle (magenerhaltende) Duodenopankreatektomie mit zentralem Absetzungsrand am Ductus hepaticus operativ behandelt.
222
Postoperative pathohistologische Diagnostik
An die postoperative histologische Aufarbeitung sind folgende Minimalanforderungen zu stellen:
1. Histologische Typisierung und Grading der Tumoren nach den Richtlinien der
WHO (1)
2. pT-Klassifikation nach den Richtlinien der UICC (4). Hier ist besonders auf ein
organüberschreitendes Wachstum zu achten: Infiltration der Leber (z.B. entlang der großen Gallengänge in den Lobus caudatus), des Ligamentum hepatoduodenale, des Pankreas, der Gallenblase und des Kolon
3. Vollständigkeit der lokalen Tumorentfernung: Untersuchung der Resektionsflächen der Leber, des Absetzungsrandes am Ductus choledochus und des
retroperitonealen (lateralen) Resektionsrandes; Bestimmung des minimalen
Abstandes zwischen Tumor und Resektionsflächen
4. Der Status der regionären Lymphknoten wird nach der pN-Klassifikation nach
UICC (4) beschrieben. In jedem Fall sollte die Zahl der untersuchten und befallenen Lymphknoten angegeben werden. Einer verlässlichen pN0-Diagnose
sollte die histologische Untersuchung von mindestens drei Lymphknoten zugrunde liegen.
Adjuvante Therapie
Untersuchungen, die die Wirksamkeit adjuvanter Therapiemaßnahmen beweisen, liegen nicht vor.
Palliative Therapie
Chirurgische Therapie
Bei Tumoren der Hepaticusgabel, insbesondere beim Typ IV, kann sich die definitive Ausdehnung erst intraoperativ ergeben, sodass eventuell eine R1-Hilusresektion mit intrahepatisch angelegter biliodigestiver Anastomose vorgenommen
werden muss, wodurch in Einzelfällen eine gute und lang anhaltende Palliation
erreicht werden kann. Sofern eine endoskopische oder interventionelle Galleableitung nicht möglich ist, kann die operative Drainage des intrahepatischen linken Gallengangssystems indiziert sein.
Beim distalen Choledochustumor stellt eine biliodigestive Anastomose (Hepaticojejunostomie mit Cholecystektomie) meist eine lang anhaltende Palliation dar.
Bei gutem Allgemeinzustand und einer anzunehmenden Lebenserwartung von
mehr als vier bis sechs Monaten sollte die operative Drainage des Gallengangs
bevorzugt werden.
Endoskopische und interventionelle palliative Therapie
Bei Verschlussikterus stellt die endoskopische Gallengangsdrainage das Palliativverfahren der Wahl dar und ist einer äußeren Drainage als Langzeitversorgung
vorzuziehen. Zur Anwendung kommen nach Papillotomie eine Plastikendoprothese (mindestens 10 fr im Durchmesser) oder ein Metallstent. Bei Tumorverschluss beider Ductus hepatici kann die Ableitung beider Gallengänge erforderlich werden.
Die perkutane transhepatische Drainage hat eine interne transtumorale Ableitung zum Ziel, die überwiegend durch die Implantation von Metallgitterstents
erreicht wird. Verschlüsse der Drainagen treten etwa bei 20 bis 30% der Patienten nach einem Intervall von drei bis neun Monaten auf. Die Therapie besteht in
einer Rekanalisation durch koaxiale Stentimplantation, in der Regel wiederum
über einen transhepatischen Zugang.
Perkutane transhepatische Verfahren sind indiziert, wenn eine endoskopische
Therapie primär nicht möglich ist. Dies ist häufiger bei fortgeschrittenen Tumoren mit proximaler Lokalisation als bei distal lokalisierten Tumoren der Fall. Bei
hochgradigen therapierefraktären Gerinnungsstörungen sind die transhepatischen Verfahren kontraindiziert.
223
Strahlentherapie
Bei lokal inoperablen Tumoren oder nach palliativer R1-/R2-Resektion muss der
Wert der Strahlentherapie als kombinierte perkutane Bestrahlung und Afterloading durch weitere Studien untermauert werden.
Medikamentöse Tumortherapie
Die Wirksamkeit einer medikamentösen Tumortherapie zur Prognoseverbesserung ist derzeit nicht gesichert. Unter Chemotherapie wurden Remissionen
beobachtet.
Weitere palliative Maßnahmen
Der Schmerztherapie, einer adäquaten Ernährung und weiteren supportiven
Maßnahmen kommen ggf. in Ergänzung zu den genannten Verfahren große Bedeutung bei der Therapie dieser Patienten zu.
D 10.4 Nachsorge (3)
Untersuchungen zur Prognoseverbesserung durch eine strukturierte Nachsorge
bei extrahepatischen Gallengangskarzinomen liegen nicht vor. Es sollte jedoch in
Abständen von ca. sechs Wochen die Durchgängigkeit der implantierten Drainagen überprüft werden.
D 10.5 Rehabilitation
Der Auftrag der Rehabilitation ist die Sicherung bzw. Verbesserung der Lebensqualität des Betroffenen. Voraussetzung für die Einleitung sind ein definierter
Rehabilitationsbedarf und die individuelle Rehabilitationsfähigkeit.
Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollten so weit notwendig ausschließlich
in besonders erfahrenen Tumornachsorgekliniken durchgeführt werden, die mit
der speziellen somatischen, psychischen, sozialen oder beruflichen Rehabilitationsbedürftigkeit der Patienten vertraut sind.
Literatur
224
1 Albores-Saavedra J, Henson DE, Sobin LH (1991) Histological typing of
tumours of the gallbladder and extrahepatic bile ducts. 2nd ed. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
2 Bismuth H, Nakache R, Diamond T (1992) Management strategies in resection for hilar cholangiocarcinoma. Ann Surg 215: 31–38
3 Hermanek P, Junginger Th, Hossfeld DK, Müller R-P, Fölsch UR (1999) Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Dtsch
Ärztebl 96 A: 2084–2088
4 UICC (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren. 5. Aufl. Wittekind Ch,
Wagner G (Hrsg). Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der
Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. H.-D. Becker, Tübingen (CAO); Prof. Dr. F. Borchard, Aschaffenburg
(Pathologie); Prof. Dr. M. Büchler, Bern (CAO); Prof. Dr. W. Dippold, Mainz
(DGVS); Prof. Dr. V. Eckardt, Wiesbaden (DGVS); Prof. Dr. F.W. Eigler, Essen
(CAO); Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Pathologie); Prof Dr. G. Grabenbauer,
Erlangen (ARO); Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO, Pathologie); Prof. Dr. D.
K. Hossfeld, Hamburg (AIO); Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz (CAO); Dr. P. Kruck,
Bad Kreuznach (ARNS); Prof. Dr. H. J. Meyer, Solingen (CAO); Prof. Dr. J. Müller,
Berlin (CAO); Prof. Dr. R.-P. Müller, Köln (ARO); Prof. Dr. P. Neuhaus, Berlin (CAO);
Frau Dr. F. Roelofsen, Essen (CAO); Prof. Dr. J. Scheele, Jena (CAO);
Prof. Dr. W. Stock, Düsseldorf (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. P. Helmich, Düsseldorf (DEGAM), Prof. Dr. W. Hohenberger, Erlangen
(CAO), Prof. Dr. Ch. Wittekind, Leipzig (Pathologie)
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Röntgengesellschaft
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
AK Supportive Maßnahmen der Deutschen Krebsgesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
225
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: September 1998
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
226
D11
Ampullenkarzinom
(Papillenkarzinom)
Nach dem makroskopischen Befund wird zwischen Ampullen-, Duodenal- und
gemischtem Typ unterschieden. Beim Ampullentyp liegt der Tumor in der Ampulle (intraampullär), beim Duodenaltyp sind die Oberfläche der Papille und die
angrenzende Duodenalschleimhaut befallen.
D 11.1 Prätherapeutische Diagnostik
Notwendige Untersuchungen
Anamnese und klinische Untersuchung
Sonographie des Abdomens
Endoskopie und Biopsie
Endoskopisch-retrograde Cholangio-Pankreatikographie (ERCP)
Spiral-Computertomographie des Oberbauchs
Röntgen-Thorax in zwei Ebenen
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Endosonographie
Magnetresonanztomographie des Oberbauchs
Tumormarker besitzen keine diagnostische Bedeutung.
D 11.2 Prätherapeutische mikroskopische Diagnostik
Bei ulzerierten Ampullenkarzinomen ist die histologische Diagnose an Zangenbiopsien bei Gastroduodenoskopie in der Regel problemlos möglich. Bei polypösen Tumoren ergeben Zangenbiopsien bisweilen nur den Befund von Adenomanteilen bzw. einer niedrig- oder hochgradigen Dysplasie, da die Invasion der
Lamina propria mucosae nicht erfasst wurde. Gleiches gilt für Biopsien nach Papillensondierung bei ausschließlich intraampullärem Wachstum. In solchen Fällen ist zur definitiven Klärung die Schlingenbiopsie oder die chirurgische lokale
Exzision (Ampullenexzision) erforderlich. Bei Patienten ohne erhöhtes Operationsrisiko und großen polypoiden Tumoren (≥ 2 cm) kann die partielle Duodenopankreatektomie auch ohne präoperative histologische Sicherung eines invasiven Karzinoms indiziert sein, insbesondere bei makroskopischem Tumorverdacht
oder Nachweis hochgradiger Dysplasien in den Biopsien.
227
D 11.3 Therapie
Neoadjuvante Therapie
Beweisende Untersuchungen für die Wirksamkeit neoadjuvanter Maßnahmen
liegen nicht vor. Sie sollten nur in Studien zur Anwendung kommen.
Operative Therapie mit kurativem Ziel
Zur operativen Therapie mit kurativem Ziel stehen die konventionelle partielle
Duodenopankreatektomie sowie die pyloruserhaltende partielle Duodenopankreatektomie zur Verfügung. Nach onkologischen Kriterien sind beide Verfahren
als gleichwertig anzusehen. Die geringeren funktionellen Beschwerden sprechen für das magenerhaltende Vorgehen. Bei Tumorbefall des Duodenums ist
die (klassische) partielle Duodenopankreatektomie vorzuziehen.
Die Entfernung der regionären Lymphknoten entsprechend dem Vorgehen bei
Pankreaskopfkarzinom (s. Leitlinie Exokrines Pankreaskarzinom) empfiehlt sich
aus onkologischen Überlegungen und zum genauen Tumorstaging. Der therapeutische Nutzen ist allerdings bislang nicht erwiesen.
Eingeschränkt radikale Verfahren
Eine operative oder endoskopische lokale Tumorexzision (Ampullektomie, Papillenresektion) ist vertretbar bei kleinem Karzinom (Durchmesser ≤ 1 cm) und hohem Patientenrisiko durch einen radikalchirurgischen Eingriffs.
Postoperative pathohistologische Diagnostik
Bei fortgeschrittenen Tumoren ist für die Einordnung als Ampullen-, Gallengangs-, Duodenal- oder Pankreaskarzinom einerseits die Topographie (Lage des
Tumorzentrums), andererseits auch die histologische Struktur maßgebend (Ausgang vom intestinalen Epithel der Ampulle).
Die histologische Klassifikation des Tumors und das Grading erfolgen nach der
WHO-Klassifikation der Tumoren der Gallenblase und extrahepatischen Gallengänge (1).
Bei der partiellen Duodenopankreatektomie kann sich die Untersuchung der Resektionslinien auf den Absetzungsrand des Choledochus und die retroperitoneale Fläche am Ligamentum hepatoduodenale beschränken. Bei lokalen Tumorexzisionen ist die sorgfältige Untersuchung der Resektionslinien (basal und seitlich)
von entscheidender Bedeutung. Für die pT-Klassifikation ist das Verhalten des
Tumors zu Duodenum und Pankreas wesentlich, bei Invasion des Pankreasparenchyms ist das Ausmaß der Invasion am histologischen Schnitt zu messen. Einer
verlässlichen pN0-Diagnose sollte die histologische Untersuchung von mindestens zehn regionären Lymphknoten zugrunde liegen (3). Die Zahl der untersuchten und befallenen regionären Lymphknoten ist anzugeben.
Adjuvante Therapie
Der Wert adjuvanter Maßnahmen beim Papillenkarzinom ist nicht erwiesen. Eine
adjuvante Therapie ist nur in Studien vertretbar.
228
Palliativmaßnahmen
Als Palliativmaßnahmen stehen medikamentöse, zytostatische, endoskopische,
operative, radiotherapeutische und insbesondere supportive Maßnahmen
zur Verfügung. Zur Beseitigung eines Ikterus kommen endoskopische und
interventionelle Galleableitung zur Anwendung. Bei Duodenalverschluss mit
Magenentleerungsstörung erfolgt die konventionell (oder laparoskopisch)
durchgeführte Gastroenterostomie, evtl. in Kombination mit einer biliodigestiven Anastomose. Unter Chemotherapie, teilweise kombiniert mit Strahlentherapie, wurden Remissionen beobachtet.
D 11. 4 Nachsorge (2)
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und
Prognoseverbesserung ist bisher nicht belegt. Die Nachsorge sollte symptomorientiert erfolgen. Eine strukturierte Nachsorge ist nur in Therapiestudien angezeigt.
D 11.5 Rehabilitation
Der Auftrag der Rehabilitation ist die Sicherung bzw. Verbesserung der Lebensqualität des Betroffenen. Voraussetzung für die Einleitung sind ein definierter
Rehabilitationsbedarf und die individuelle Rehabilitationsfähigkeit.
Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollten so weit notwendig ausschließlich
in besonders erfahrenen Tumornachsorgekliniken durchgeführt werden, die mit
der speziellen somatischen, psychischen, sozialen oder beruflichen Rehabilitationsbedürftigkeit der Patienten vertraut sind.
Literatur
1 Albores-Saavedra J, Henson DE, Sobin LH (1991) Histological typing of
tumours of the gallbladder and extrahepatic bile ducts. 2nd ed. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
2 Hermanek P, Junginger Th, Hossfeld DK, Müller R-P, Fölsch UR (1999) Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Dtsch
Ärztebl 96 A: 2084–2088
3 UICC (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren. 5. Aufl. Wittekind Ch,
Wagner G (Hrsg) Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Verfahren der Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der
Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
229
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. H.-D. Becker, Tübingen (CAO); Prof. Dr. F. Borchard, Aschaffenburg
(Pathologie); Prof. Dr. M. Büchler, Bern (CAO); Prof. Dr. W. Dippold, Mainz
(DGVS); Prof. Dr. V. Eckardt, Wiesbaden (DGVS); Prof. Dr. F.W. Eigler, Essen
(CAO); Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Pathologie); Prof. Dr. G. Grabenbauer,
Erlangen (ARO); Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO, Pathologie); Prof. Dr. D.K.
Hossfeld, Hamburg (AIO); Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz (CAO); Dr. P. Kruck, Bad
Kreuznach (ARNS); Prof. Dr. H. J. Meyer, Solingen (CAO); Prof. Dr. J. Müller, Berlin (CAO); Prof. Dr. R.-P. Müller, Köln (ARO); Prof. Dr. P. Neuhaus, Berlin (CAO);
Frau Dr. F. Roelofsen, Essen (CAO); Prof. Dr. J. Scheele, Jena (CAO); Prof. Dr. W.
Stock, Düsseldorf (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. P. Helmich, Düsseldorf (DEGAM)
Prof. Dr. W. Hohenberger, Erlangen (CAO)
Prof. Dr. Ch. Wittekind, Leipzig (Pathologie)
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
AK Supportive Maßnahmen der Deutschen Krebsgesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Röntgengesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
230
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: September 1998
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
231
D12
Exokrines Pankreaskarzinom
D 12.1 Präoperative Diagnostik (1)
Notwendige Untersuchungen
Anamnese und klinische Untersuchung
Sonographie Abdomen
Spiral-Computertomographie des Abdomens
Röntgen Thorax in zwei Ebenen
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Tumormarker (CA 19-9, CEA)
Magnetresonanztomographie mit ultraschnellen Sequenzen (falls verfügbar
kann dieses Verfahren die anderen bildgebenden Verfahren ersetzen)
MDP/Gastroduodenoskopie bei Verdacht auf Infiltration des Magens oder
Zwölffingerdarms
ERCP bei unklarer Diagnose und zur passageren Stenteinlage
Endosonographie zur Beurteilung der lokalen Tumorausbreitung
Laparoskopie zur Klärung einer Peritonealkarzinose, Lebermetastasierung
und Durchführung einer Peritoneallavage für zytologische Untersuchung
D 12.2 Präoperative mikroskopische Diagnosesicherung
232
Ist eine Laparotomie zur Tumorresektion oder Palliativoperation geplant, ist die
präoperative mikroskopische Sicherung entbehrlich und sollte intraoperativ erfolgen (s.u.). Wird bei inkurabler Situation auf eine Laparotomie verzichtet, hat
eine zytologische oder histologische Sicherung der Diagnose vor Beginn einer
Strahlen- oder Chemotherapie durch sonographisch oder CT-gesteuerte
perkutane Punktion oder nach Laparoskopie (Biopsien aus Lebermetastasen,
Peritonealabsiedlungen, Lymphknotenmetastasen) zu erfolgen. Anhand der
Biopsie sollte, wenn immer möglich, zum histologischen Tumortyp, zum Differenzierungsgrad und zur Gefäßinvasion des Tumors Stellung genommen werden. Für die histologische Einordnung des Tumortyps ist die WHO-Klassifikation
2000 (3) maßgeblich, wobei vor allem auf eine Abgrenzung zwischen dem häufigen duktalen Adenokarzinom sowie den seltenen Tumorformen (z.B. intraduktaler papillär-muzinöser Tumor, muzinös-zystischer Tumor, Azinuszellkarzinom,
neuroendokriner Tumor u.a.) geachtet werden muss.
Beim duktalen Pankreaskarzinom und seinen Varianten sollte für die Bestimmung des histologischen Differenzierungsgrades ein Grading-System angewandt werden, welches zwischen drei verschiedenen Differenzierungsstufen (3)
unterscheidet. Als „high-grade carcinoma“ werden schlecht differenzierte Adenokarzinome (G3), undifferenzierte (großzellige) Karzinome sowie kleinzellige
Karzinome klassifiziert.
D 12.3 Therapie
Präoperative Therapie
Ikterus
Bei hohen Bilirubin-Werten im Serum (>20 mg/%) kann als Vorbereitung zur
Operation eine Gallenableitung durch endoskopische Stentimplantation oder
nach perkutaner transhepatischer Drainage (PTD) erfolgen, ohne dass prospektive Studien einen Einfluss auf Morbidität und Mortalität der nachfolgenden Operation zweifelsfrei erwiesen haben.
Präoperative (neoadjuvante) Therapie
Eine präoperative (neoadjuvante) Chemo- und/oder Radiotherapie ist nur im
Rahmen klinischer Studien zu vertreten.
Operative Therapie unter kurativer Zielsetzung
Die postoperative Morbidität und Letalität bei Patienten mit Pankreaskarzinom
ist in hohem Maße von der Erfahrung des Operateurs und der Institution abhängig, was die Behandlung dieser Patienten in Zentren mit spezieller Erfahrung nahe legt.
Zielsetzung und Kontraindikation
Ziel der operativen Therapie ist die Tumorentfernung im Gesunden einschließlich
des regionalen Lymphabflussgebietes (R0-Resektion).
Nachgewiesene Fernmetastasen (einschließlich Metastasen in nicht-regionären
Lymphknoten), eine großflächige tiefreichende retroperitoneale Infiltration und
die ausgedehnte Infiltration der Mesenterialwurzel sind Kontraindikationen für
eine Tumorresektion, da im Vergleich zu nicht-resezierenden Palliativmaßnahmen keine Prognoseverbesserung erzielt werden kann. Bei umschriebenem oder
fraglichem Befall der V. mesenterica superior oder der Pfortader kann abhängig
von der Gesamtsituation eine Gefäßresektion indiziert sein, um eine R0-Resektion zu erzielen. Gleiches gilt für umschriebene oder fragliche Infiltrationen von
Magen, Milz oder Kolon.
Intraoperative mikroskopische Sicherung der Diagnose
Nach Laparotomie soll eine mikroskopische (zytologische oder histologische) Bestätigung der Karzinomdiagnose angestrebt werden. In erster Linie sollen fernmetastasenverdächtige Strukturen (Peritoneum, Leber) sowie verdächtige
Lymphknoten exzidiert bzw. biopsiert werden. Bei fehlenden Metastasen ist der
Primärtumor im Pankreas zu biopsieren. Bei oberflächlich gelegenen Tumoren
kann eine Inzisionsbiopsie, ansonsten die Punktion mit der Tru-Cut-Nadel, bei
Tumoren im Pankreaskopf transduodenal, erfolgen (oder Feinnadelpunktion).
Bleiben die Gewebsentnahmen ergebnislos, so kann bei bestehender klinischer
Symptomatik, entsprechendem Befund der bildgebenden Verfahren und intraoperativ nach wie vor bestehendem dringenden Verdacht auf ein Pankreaskarzinom eine Tumorresektion auch ohne vorherige mikroskopische Sicherung der
Diagnose gerechtfertigt sein.
233
Operationsverfahren
Das Ausmaß der Operation am Pankreas richtet sich nach der Lokalisation des
Tumors (Tabelle 1). Bei Resektionen ist ein makroskopischer Sicherheitsabstand
des Pankreasparenchyms von mindestens 2 cm anzustreben. Die Tumorfreiheit
der Pankreasresektionsfläche ist im Schnellschnitt zu überprüfen, bei Tumorbefall erfolgt situationsabhängig entweder eine Nachresektion oder die totale
Pankreatektomie. Die Beurteilung der R0-Resektion durch den Pathologen ist
besonders retroperitoneal erschwert, sodass hier eine Markierung am Operationspräparat erfolgen sollte (4).
Tabelle 1. Operationsverfahren.
234
Lokalisationa
Operationsverfahrenb
Kopf
partielle Duodenopankreatektomie bzw. pyloruserhaltende partielle Duodenopankreatektomie, sofern
2 cm Sicherheitsabstand möglich und PankreasResektionsfläche im Schnellschnitt tumorfrei, ansonsten
subtotale oder totale Duodenopankreatektomie
Kopf und Körper
subtotale Duodenopankreatektomie, sofern 2 cm
Sicherheitsabstand möglich und Pankreas-Resektionsfläche im Schnellschnitt tumorfrei ansonsten (totale)
Pankreatektomie
Schwanz
Hemipankreatektomie links
Schwanz und Körper
Subtotale Pankreaslinksresektion
Gesamtes Pankreas
(Totale) Pankreatektomie
a
Kopf: Tumor rechts vom linken Rand der V. mesenterica superior (einschl.
Proc. uncinatus);
Corpus: Tumor zwischen linkem Rand der V. mesenterica superior und linkem
Rand der Aorta;
Schwanz: Tumor links des linken Randes der Aorta
b
Partielle Duodenopankreatektomie (Kausch-Whipple-Operation): Durchtrennung des Pankreas über der V. mesenterica superior; subtotale Duodenopankreatektomie (modifizierte oder erweiterte Kausch-Whipple-Operation):
Entfernung von Kopf und gesamtem Corpus mit Durchtrennung des Pankreas am linken Rand der Aorta; Hemipankreatektomie links: Entfernung des
Schwanzes und eines Teiles des Corpus mit Durchtrennung des Pankreas am
rechten Rand der Aorta; subtotale Pankreaslinksresektion (4/5-Linksresektion): Entfernung des Schwanzes und des gesamten Corpus, ggf. auch von
Teilen des Kopfes.
Die Lymphadenektomie umfasst die Lymphknoten der 1. Station (Tabelle 2), bei
der Linksresektion und bei der totalen Pankreatektomie auch die Splenektomie,
um die Lymphknoten um die Milzgefäße und am Milzhilus mit zu entfernen.
Der Wert der Dissektion auch der 2. Station oder einer Erweiterung auf die
paraaortalen und andere Lymphknotenbereiche ist (noch) kontrovers zu beurteilen.
Aufgrund zahlreicher retrospektiver Untersuchungen sind die konventionelle
partielle Duodenopankreatektomie sowie die pyloruserhaltende partielle Duodenopankreatektomie hinsichtlich der Überlebensraten als gleichwertig anzusehen. Die geringeren funktionellen Beschwerden sprechen für das magenerhaltende Vorgehen bei nicht organüberschreitenden Pankreaskarzinomen.
Tabelle 2. Regionäre Lymphknoten des Pankreas (5, 6).
Pankreaskopf
1. Station
Pankreaskörper und -schwanz
suprapankreatische Lymphknoten im Bereich von Kopf (1) und
Körper (2)
infrapankreatische Lymphknoten im Bereich von Kopf (3) und
Körper (4)
pankreatikoduodenale Lymphknoten (vordere (5) und hintere (8))
pylorische
Lymphknoten (6)
2. Station
Lymphknoten an Milzhilus (10)
Lymphknoten an Pankreasschwanz (11)
proximale mesenteriale Lymphknoten (7)
Lymphknoten an Ductus choledochus (9)
Lymphknoten am
Truncus coeliacus (12)
Intraoperative Radiotherapie
Der Wert der intraoperativen Strahlentherapie ist bislang nicht abschließend beurteilbar, sodass diese nur im Rahmen von Studien erfolgen soll.
Postoperative pathohistologische Diagnostik (4)
Tumorresektate
Nach radikaler Tumorresektion durch eine partielle Duodenopankreatektomie
oder Pankreaslinksresektion sind für die Prognose und evtl. weitere Therapieplanung Aussagen über die lokale Ausdehnung des Tumors (insbesondere Einwachsen in das peripankreatische Fettgewebe), Invasivität (lymphatisch-perineural),
235
den Lymphknotenstatus und die lokoregionäre Vollständigkeit der Tumorentfernung notwendig. Diese Parameter werden in der pTNM-Klassifikation (5) mit zusätzlicher R-Klassifikation festgehalten. Zur Erfassung des Lymphknotenstatus
sind alle im Tumorresektat befindlichen Lymphknoten sorgfältig zu präparieren
und histologisch zu untersuchen. Einer verlässlichen pN0-Diagnose sollte die histologische Untersuchung von mindestens zehn regionären Lymphknoten
zugrunde liegen.
Nachbarorgane
Eine tumoröse Infiltration des Duodenums und des Gallengangs sollte erwähnt
werden, scheint aber prognostisch keine Bedeutung zu besitzen. Wichtig ist dagegen, eine mesenteriale Gefäßinvasion und Peritonealkarzinose festzuhalten.
Histopathologische Untersuchungsmethodik: (siehe (1) und (4))
Adjuvante Therapie
Nach potenziell kurativer Resektion kann die kombinierte simultane Radiochemotherapie nur innerhalb von Studien empfohlen werden, z.B. bestehend aus
externer Bestrahlung kombiniert mit 5-Fluorouracil. Auch die Effektivität einer
adjuvanten Chemotherapie ist bisher nicht gesichert und sollte nur in Studien
zur Anwendung kommen.
Palliativmaßnahmen
Zur Palliativbehandlung des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Pankreaskarzinoms stehen medikamentöse, endoskopische, interventionell radiologische, strahlentherapeutische und operative Maßnahmen zur Verfügung, die individuell abhängig von den im Vordergrund stehenden Beschwerden und dem
Allgemeinzustand des Patienten zur Anwendung kommen. Die adäquate
Schmerztherapie hat dabei Priorität. Hierzu stehen lokale Maßnahmen (Blockade des Ganglion coeliacum intraoperativ oder perkutan) oder systemische Maßnahmen (WHO-Schema) (7) zur Verfügung. Bei einem Ikterus ist eine biliodigestive Anastomose indiziert, wenn sich anlässlich einer Probelaparotomie die Inoperabilität des Tumors ergibt. Ist aufgrund der präoperativen Diagnostik die
Inoperabilität des Tumors unzweifelhaft, sind endoskopische oder interventionell radiologische Verfahren angezeigt. Bei einer Magenausgangsstenose ist eine Gastroenterostomie angezeigt, die konventionell oder laparoskopisch erfolgen kann.
236
Beim lokal fortgeschrittenen, inoperablen Pankreaskarzinom gilt die kombinierte
simultane Radiochemotherapie (Gesamtreferenzdosis 54–59 Gy/1,8 Gy ED: 5-FU
Woche 1+5 (650–1000mg/m2/24 h an Tag 1–5 und 29–33) derzeit als wirksamste Therapiemaßnahme. Rechnerplanung und „Shrinking field“-Technik
sind obligat. Diese Therapie sollte nur Patienten mit gutem Allgemeinzustand
angeboten werden. Auch nach R1-Resektion ist eine Radiochemotherapie bei
Patienten mit gutem Allgemeinzustand zu erwägen. Die Patienten sollten möglichst in Studien behandelt werden.
Bei Patienten mit Fernmetastasen stellt die Chemotherapie eine therapeutische
Option dar. Dazu kommen folgende Zytostatika in Frage: Gemcitabin, 5-Fluorouracil/ Folinsäure, Mitomycin, Adriamycin, Epirubicin.
D 12.4 Nachsorge (2)
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und
Prognoseverbesserung ist bisher nicht belegt. Die Nachsorge sollte symptomorientiert erfolgen. Eine strukturierte Nachsorge ist nur in Therapiestudien angezeigt.
D 12.5 Rehabilitation
Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollten so weit notwendig ausschließlich
in besonders erfahrenen Tumornachsorgekliniken durchgeführt werden, die mit
der speziellen somatischen, psychischen, sozialen oder beruflichen Rehabilitationsbedürftigkeit von Patienten mit Abdominaltumoren vertraut sind. Auf die
Selbsthilfegruppen für Pankreatektomierte sollte hingewiesen werden (Arbeitskreis der Pankreatektomierten e.V., Krefelder Str. 3, 41539 Dormagen).
Nach totaler Pankreatektomie, unvollständiger Tumorresektion sowie bei Inoperabilität ist grundsätzlich von einem Grad der Behinderung (GdB) von 100% auszugehen. Bei den anderen Patienten ist der GdB in Abhängigkeit von den operationsbedingten Funktionsstörungen anzusetzen. Er beträgt mindestens 60%.
Aufwändigere berufliche Rehabilitationsmaßnahmen kommen kaum in Betracht.
Literatur
1 Deutsche Krebsgesellschaft (1995) Qualitätssicherung in der Onkologie 3.1:
Diagnostische Standards. Lungen-, Magen-, Pankreas- und kolorektales Karzinom. Hermanek P (Hrsg) Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
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3 Klöppel G, Hruban RH, Longnecker DS (2000) Ductal adenocarcinoma of the
pancreas. In: Pathology and genetics of tumours of the digestive system. In:
Hamilton SR, Aaltonen LA (eds) World Health Organization Classification of
Tumours. IARCPress, Lyon
4 Lüttges J, Zamboni G, Klöppel G (1999) Recommendation for the examination of pancreaticoduodenectomy specimens removed from patients with carcinoma of the exocrine pancreas. Gig Surg 16: 291–296
5 UICC (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren. 5. Aufl. Wittekind Ch,
Wagner G (Hrsg). Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
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6 Wagner G, Hermanek P (1995) Organspezifische Tumordokumentation, ADT
Tumordokumentation in Klinik und Praxis, Band 2. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
7 WHO (1986) Cancer pain relief. WHO, Geneva. Deutsche Übersetzung in:
Deutsche Krebsgesellschaft (1997) Standards und Qualitätskriterien in der
onkologischen Rehabilitation. Qualitätssicherung in der Onkologie 7.1. Zuckschwerdt, München Bern Wien New York, pp 75–77
Verfahren der Konsensbildung
Erarbeitet von den Arbeitsgemeinschaften der Deutschen Krebsgesellschaft:
Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. F.W. Eigler, Essen (CAO); Prof. Dr. D.K. Hossfeld, Hamburg (AIO);
Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz (CAO); Prof. Dr. G. Klöppel, Kiel (Pathologie);
Dr. P. Kruck, Bad Kreuznach (ARNS); Prof. Dr. H.-J. Meyer, Hannover (CAO);
Prof. Dr. R.-P. Müller, Köln (ARO); Prof. Dr. H. Pichlmaier, Köln (CAO);
Prof. Dr. W. Stock, Düsseldorf (CAO); Prof. Dr. M. Trede, Mannheim (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. H.G. Beger, Ulm; Prof. Dr. H. Delbrück, Wuppertal;
Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf; Prof. Dr. J. Hauss, Leipzig;
Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen; Prof. Dr. W. Queißer, Mannheim;
Prof. Dr. P.M. Schlag, Berlin
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
Deutsche Röntgengesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
238
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: November 1998
Zweite Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
239
D13
Nachsorge und Rehabilitation bei
Patienten mit gastrointestinalen
Tumoren
D 13.1 Nachsorge
240
Eine Nachsorge nach Primärtherapie von Tumorpatienten wird vornehmlich unter der Zielsetzung durchgeführt, Tumorrezidive frühzeitig, möglichst im asymptomatischen Stadium zu erkennen, um durch erneute kurative Operation oder
andere Therapiemodalitäten die Prognose zu verbessern. Der Wert der Nachsorgeprogramme wird auch bei gastrointestinalen Tumoren zunehmend kritisch beurteilt. Dies trifft insbesondere für Patienten zu, bei denen im Falle eines Rezidivs
keine (Oesophagus-, Pankreaskarzinom, Gallenblasen- und Gallengangskarzinom) oder nur in Einzelfällen (Magenkarzinom, hepatozelluläres Karzinom) eine
kurative Behandlungsmöglichkeit besteht. Eine Ausnahme bilden kolorektale
Karzinome. In prospektiven Vergleichsstudien ergab sich hier bei intensiver
Nachbeobachtung eine höhere Rate kurativer Nachoperationen als ohne Nachsorge. In randomisierten Studien (5–9) konnte bisher allerdings ein Überlebensvorteil nicht nachgewiesen werden; dabei ist zu berücksichtigen, dass hierfür
sehr große Patientenzahlen erforderlich sind; jedenfalls ist ein Überlebensvorteil,
insbesondere bei Patientengruppen mit hohem Rezidivrisiko, nicht auszuschließen.
Bei der Empfehlung von Nachsorgeprogrammen ist der mögliche Nutzen für den
Patienten gegen die Belastung durch die Untersuchungen, insbesondere auch
durch falsch-positive Befunde sowie die Kosten abzuwägen. Diese Aspekte begründen eine individualisierte Tumornachsorge, deren zeitliche Intervalle und
deren Umfang sich an der Tumorbiologie, der erfolgten Therapie und der Akzeptanz durch den Patienten einerseits und an der Sensitivität und Spezifität der Untersuchungen sowie der Belastung für den Patienten andererseits orientieren.
Neben dem Ziel der Rezidivfrüherkennung sind Nachsorgeuntersuchungen nach
operativer Therapie von gastrointestinalen Tumoren sinnvoll, um die Folgen der
Operation bzw. des Organverlustes bzw. anderer therapeutischer Verfahren
frühzeitig zu erkennen und auszugleichen. Sie dienen auch der psychologischen
Rehabilitation. Der Zeitpunkt und der Umfang dieser Untersuchungen und die
notwendigen therapeutischen Maßnahmen sind von der individuellen Situation
des Patienten abhängig. Daneben ist die Tumornachsorge ein Instrument der
Qualitätssicherung des Therapieverfahrens, um aus der Analyse des Verlaufs Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Therapie zu erhalten.
Die Nachbetreuung des Patienten sollte in enger Kooperation von Hausarzt und
allen an der Behandlung des Patienten beteiligten Ärzten erfolgen. Vor der Entlassung aus der stationären Behandlung sollten die Patienten über mögliche
Symptome eines Tumorrezidivs und über mögliche Therapiefolgen aufgeklärt
werden.
D 13.2 Rehabilitation
Auftrag der Rehabilitation ist die möglichst weitgehende Beseitigung bzw. Kompensation tumor- oder therapiebedingter Folgen sowie die Hilfestellung zur Akzeptanz verbliebener Behinderungen. Hierzu gehören die Behandlung aufgetretener Funktionsstörungen, die Verbesserung der verbliebenen Leistungsfähigkeit, die Hilfe bei der psychischen Verarbeitung des Krankheitsgeschehens, die
soziale Stützung sowie die berufliche Re-Integration, wenn durchführbar.
Voraussetzung für die Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen sind ein definierter Rehabilitationsbedarf und die individuelle Rehabilitationsfähigkeit. Gegebenenfalls sind stationäre Rehabilitationsverfahren notwendig, wenn möglich
im unmittelbaren Anschluss an die Primärtherapie (AHB) in einer wohnortnahen,
auf die erforderlichen Aufgaben spezialisierten Rehabilitationsklinik, um die
Maßnahmen konzentriert und koordiniert durchführen zu können. Eine ambulante oder teilstationäre Rehabilitation kann hierbei das Vorgehen ergänzen
oder auch ersetzen.
Ausführliche Hinweise sind den „Allgemeinen Richtlinien zur onkologischen Rehabilitation“ der Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Nachsorge und Sozialmedizin in der Deutschen Krebsgesellschaft zu entnehmen.
D 13.3 Tumornachsorge bei gastrointestinalen Tumoren
Die folgenden Empfehlungen beziehen sich auf die Nachsorge zur Rezidivfrüherkennung nach operativer Therapie und vollständiger Entfernung (R0-Resektion)
gastrointestinaler Tumoren sowie nach Radiochemotherapie des Analkarzinoms.
Sie beruhen auf der Beurteilung des Rezidivrisikos in Abhängigkeit vom Tumorstadium (TNM-System) und legen Untersuchungsmethoden zugrunde, deren
Aussagekraft geklärt ist. Differenziertere Prognoseparameter werden ebenso
wie neuere Untersuchungsverfahren in Studien untersucht. Ihre Anwendung ist
unter Studienbedingungen gerechtfertigt. Nachsorgeuntersuchungen und
-behandlungen, die sich als Folge der Therapie ergeben (Stomabetreuung, Kontinenzstörungen, Mangelzustände) bedürfen einer individualisierten, regelmäßigen Nachbetreuung und sind nicht Gegenstand der nachfolgenden Empfehlungen.
Oesophaguskarzinom
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und
Prognoseverbesserung ist bisher nicht belegt. Die Nachsorge sollte daher symptomorientiert erfolgen und Aspekte der Lebensführung einbeziehen. Eine strukturierte Tumornachsorge ist nur in Therapiestudien angezeigt.
Magenkarzinom
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und
Prognoseverbesserung ist bisher nicht belegt (3). Die Nachsorge sollte symptomorientiert erfolgen und insbesondere Folgen des Organverlustes behandeln. Neu auf-
241
tretende Symptome sollten innerhalb von vier bis sechs Wochen abgeklärt werden.
Erfolgte die Behandlung eines auf die Schleimhaut begrenzten Frühkarzinoms
durch Polypektomie, Mukosektomie oder lokale Magenwandexzision, ist wegen
des möglicherweise erhöhten Rezidivrisikos und der Möglichkeit einer kurativen
Reoperation eine gastroskopische Überwachung in sechsmonatigen Abständen
für drei Jahre zu empfehlen.
Eine strukturierte Nachsorge ist immer in Therapiestudien angezeigt.
Primäres Leberkarzinom
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und
Prognoseverbesserung ist bisher nicht belegt. Bei wenigen Patienten mit Rezidiven kann eine erneute Resektion, eine Lebertransplantation oder eine Resektion
einzelner Lungenmetastasen prognostisch relevant sein. Aus diesem Grunde
sollten als Minimalprogramm alle sechs Monate eine klinische Untersuchung,
eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens, eine Röntgenuntersuchung des
Thorax sowie eine Tumormarkerbestimmung (AFP) durchgeführt werden.
Lebermetastasen
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und
Prognoseverbeserung ist bisher nicht belegt. Im Falle eines Tumorrezidivs in der
Leber nach operativer Therapie von Metastasen eines kolorektalen Karzinoms
ist bei ca. 20% der Patienten eine nochmalige R0-Resektion möglich mit einer
Fünfjahres-Überlebensrate von etwa 30%. Auch bei begrenzter Lungenmetastasierung ist eine Resektion sinnvoll. Dies ist einer der wesentlichen Gründe für eine regelmäßige Nachsorge bei diesen Patienten (alle sechs Monate klinische Untersuchung, Sonographie Abdomen, Röntgenuntersuchung Thorax,
ggf. Tumormarker, siehe Primärtumor).
Bei Patienten mit Metastasen nicht-kolorektaler Tumoren sind die Möglichkeiten
einer neuerlichen Resektion beschränkt, was die Notwendigkeit der Tumornachsorge bei Patienten mit derartigen Tumoren einschränkt.
Gallenblasen- und Gallengangstumoren
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und
Prognoseverbesserung ist bisher nicht belegt. Die Nachsorge sollte symptomorientiert erfolgen. Eine strukturierte Nachsorge ist nur in Therapiestudien oder
nach endoskopischer Endoprothesenimplantation angezeigt.
Pankreaskarzinom und Karzinom der Ampulla Vateri (Papillenkarzinom)
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und
Prognoseverbesserung ist bisher nicht belegt. Die Nachsorge sollte symptomorientiert erfolgen. Eine strukturierte Nachsorge ist nur in Therapiestudien angezeigt.
242
Kolonkarzinom
Bei Patienten mit frühem Tumorstadium (UICC I, International Union Against
Cancer) ist nach R0-Resektion in Anbetracht der geringen Rezidivrate und der
günstigen Prognose durch regelmäßige Nachuntersuchung kein prognostischer
Gewinn zu erwarten (4). Eine Koloskopie nach zwei und fünf Jahren dient der
Früherkennung von Zweittumoren (Tabelle 1). Abweichend hiervon kann im Einzelfall bei Annahme eines hohen Rezidivrisikos aufgrund des intraoperativen
Befundes (z.B. erhöhtes Lokalrezidivrisiko nach intraoperativer Tumoreröffnung)
oder eines pathohistologischen Befundes (z.B. erhöhtes Risiko für Lebermetastasen bei Invasion perikolischer Venen oder G3/4-Tumoren) eine regelmäßige oder
engmaschige Nachsorge angezeigt sein. Nach palliativer Tumorresektion (R2Resektion) sollte eine symptomorientierte Nachbetreuung durchgeführt werden.
Regelmäßige Nachuntersuchungen nach operativer Therapie bei Kolonkarzinom
sind zu empfehlen bei Patienten nach R0-Resektion von Tumoren des UICC-Stadiums II und III, sofern der Allgemeinzustand und die Lebenserwartung einen
Eingriff bei Rezidiv vertretbar erscheinen lassen. Nachsorgeschema s. Tabelle 2.
Bei Patienten mit HNPCC (Hereditäres Nicht-Polypose-Kolonkarzinom) sind nach
Hemikolektomie koloskopische Untersuchungen und nach subtotaler Kolektomie rektoskopische Untersuchungen in zweijährigem Intervall (bei Adenom jährlich) angezeigt. Zusätzlich sollten jährlich gynäkologische Untersuchungen, Urinzytologie und Oberbauchsonographie erfolgen.
Bei Patienten mit familiärer Adenomatosis coli (FAP) sollten nach Anlage eines
Ileum-Pouches eine Pouchoskopie jährlich und ab dem 30. Lebensjahr eine Gastro-Duodenoskopie in dreijährigem Abstand (bei Vorliegen von Adenomen jährlich) erfolgen. Nach Ileorektostomie ist die Rektoskopie in jährlichem Abstand
empfehlenswert.
Tabelle 1. Nachsorgeempfehlung bei Patienten mit Kolonkarzinom.
UICC-Stadium I.
Untersuchung
Monate
6
12
18
24
36
48
60
Anamnese, körperliche
Untersuchung
+b
+
+
Koloskopiea
+b
+
+
a
b
3 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons
nicht möglich.
Nach dem 5. Jahr alle 3 Jahre Koloskopie.
Nach endoskopischer Abtragung.
243
Tabelle 2. Nachsorgeempfehlung bei Patienten mit Kolonkarzinom.
UICC-Stadium II–III
Untersuchung
Monate
6
12
18
24
36
48
60
Anamnese, körperliche
Untersuchung, CEAa
+
+
+
+
+
+
+
Abdomen-Sonographie
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Röntgen-Thorax in zwei Ebenen
Koloskopieb
a
+
+
+
+
Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) hat 1996 und 1999 (1,2)
die CEA-Bestimmung bei Patienten mit kolorektalem Karzinom des Stadiums
II und III alle 2–3 Monate für 2 Jahre empfohlen, allerdings nur für Patienten,
die willens und in der Lage sind, sich bei Auftreten von Metastasen einer
Leberresektion zu unterziehen.
Spiral-Computertomographie Abdomen befundorientiert (z.B bei unklarem
Sonographiebefund, CEA-Anstieg).
b
3 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons
nicht möglich.
Nach dem 5. Jahr alle 3 Jahre Koloskopie.
HNPCC: ohne subtotale Kolektomie: alle 2 Jahre Koloskopie, wenn kein
Adenomnachweis in der Voruntersuchung, bei Adenomnachweis jährlich;
nach subtotaler Kolektomie: alle 2 Jahre Rektoskopie. Jährliche gynäkologische Untersuchung, Urinzytologie.
244
Rektumkarzinom
Bei frühem Tumorstadium (UICC I) ist nach radikaler R0-Resektion in Anbetracht
des geringen Rezidivrisikos und der günstigen Prognose von regelmäßigen
Nachsorgeuntersuchungen kein Gewinn zu erwarten. Eine Koloskopie nach
zwei und fünf Jahren dient der Früherkennung von Zweittumoren (Tabelle 3).
Abweichend hiervon kann im Einzelfall bei Annahme eines hohen Rezidivrisikos
aufgrund des intraoperativen Befundes (z.B. erhöhtes Lokalrezidivrisiko nach
intraoperativer Tumoreröffnung) oder eines pathohistologischen Befundes (z.B.
erhöhtes Risiko für Lebermetastasen bei Invasion perirektaler Venen oder G3/4Tumoren) eine regelmäßige oder engmaschige Nachsorge angezeigt sein. Bei
Patienten, bei denen eine lokale Tumorexzision durchgeführt bzw. das frühe
Karzinom durch endoskopische Polypektomie entfernt wurde, sollten wegen
des möglicherweise höheren lokoregionären Rezidivrisikos rektoskopische Untersuchungen, evtl. mit Endosonographie, in sechsmonatigen Abständen erfolgen (Tabelle 4). Nach palliativer Resektion von Rektumkarzinomen sollte die
Nachbetreuung symptomorientiert erfolgen.
Regelmäßige Nachuntersuchungen sind zu empfehlen bei Patienten nach R0Resektion von Tumoren des UICC-Stadiums II und III, sofern der Allgemeinzustand und die Lebenserwartung einen Rezidiveingriff vertretbar erscheinen lassen. Nachsorgeschema s. Tabelle 5. Tumoren, die nicht eindeutig dem Rektum
oder Sigma zuzuordnen sind (so genannte Rektosigmoidkarzinome), werden in
der Tumornachsorge wie Rektumkarzinome behandelt.
Tabelle 3. Nachsorgeempfehlung bei Patienten mit Rektumkarzinom.
UICC-Stadium I.
Untersuchung
Monate
6
12
18
24
36
48
60
Anamnese, körperliche
Untersuchung
+
+
Koloskopiea
+
+
a
3 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons
nicht möglich.
Nach dem 5. Jahr alle 3 Jahre Koloskopie.
Tabelle 4. Nachsorgeempfehlung bei Patienten mit Rektumkarzinom
nach lokaler Exzision oder Polypektomie.
Untersuchung
Monate
6
12
18
24
36
48
60
+
+a
+a
+
+
+
+
Rektoskopie o. Sigmoidoskopie, +
evtl. Endosonographie
+a
+a
Anamnese, körperliche
Untersuchung
Koloskopieb
+
+
a
Nach endoskopischer Abtragung eines gestielten Polypen mit pT1-Karzinom
low risk sind bei tumorfreier Polypenbasis die Nachuntersuchungen nach 12
und 18 Monaten entbehrlich.
b
3 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons
nicht möglich.
Nach dem 5. Jahr alle 3 Jahre Koloskopie.
245
Tabelle 5. Nachsorgeempfehlung bei Patienten mit Rektumkarzinoma.
UICC-Stadium II + III.
Untersuchung
Monate
6
12
18
24
36
48
60
Anamnese, körperliche
Untersuchung, CEAb
+
+
+
+
+
+
+
Abdomen-Sonographie
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Röntgen-Thorax (in zwei Ebenen)
Nach Rektumresektion:
Rektoskopie oder
Sigmoidoskopie, evtl.
Endosonographie
Koloskopied
Computertomographie Becken
+
+
+
+c
+
+
+
+c
+
3 Monate nach Abschluss der tumorspezifischen Therapie (Operation bzw. adjuvanter
Strahlen-/Chemotherapie)
a
Tumoren, die nicht eindeutig dem Rektum oder Sigma zuzuordnen sind (sog.
Rektosigmoidkarzinome) werden in der Tumornachsorge wie Rektumkarzinome behandelt.
b
Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) hat 1996 und 1999 (1, 2)
die CEA-Bestimmung bei Patienten mit kolorektalem Karzinom des Stadium II
und III alle 2–3 Monate für 2 Jahre empfohlen, allerdings nur für Patienten,
die willens und in der Lage sind, sich bei Auftreten von Metastasen einer
Leberresektion zu unterziehen.
c
nach adjuvanter Strahlen-/Chemotherapie wegen verzögert auftretender
Lokalrezidive.
d
3 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons
nicht möglich.
Nach dem 5. Jahr alle 3 Jahre Koloskopie.
Analkanalkarzinom
Nachsorgeuntersuchungen haben die Beurteilung des Lokalbefundes nach Therapie sowie die Früherkennung eines Tumorrezidivs bzw. einer Tumorpersistenz
zum Ziel. Diese Untersuchungen erfolgen erstmals sechs Wochen nach
Abschluss der Therapie und dann in dreimonatigen Abständen während des
ersten Jahres (s. Tabelle 6).
246
Tabelle 6. Nachsorge bei Patienten mit Analkarzinom.
Untersuchung
Anamnese,
körperliche
Untersuchung
Wochena
Monatea
6
3
6
9
12
18
24
36
48
60
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
AbdomenSonographie
+
Röntgen-Thorax
in zwei Ebenen
Rektoskopie,evtl. +
Endosonographie
+
+
+
MRT oder CT-Becken
a
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Nach Abschluss der Radiochemotherapie
Literatur
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the use of tumour markers in breast and colorectal cancer. J Clin Oncol 14:
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Verfahren der Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der
Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
und der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
(DGVS)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. H.-D. Becker, Tübingen (CAO); Prof. Dr. F. Borchard, Aschaffenburg
(Pathologie); Prof. Dr. M. Büchler, Bern (CAO); Prof. Dr. W. Dippold, Mainz
(DGVS); Prof. Dr. V. Eckardt, Wiesbaden (DGVS); Prof. Dr. F.W. Eigler, Essen
(CAO); Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Pathologie); Prof. Dr. G. Grabenbauer,
Erlangen (ARO); Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO, Pathologie); Prof. Dr. D.
K. Hossfeld, Hamburg (AIO); Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz (CAO); Dr. P. Kruck,
Bad Kreuznach (ARNS); Prof. Dr. H. J. Meyer, Solingen (CAO); Prof. Dr. J. Müller,
Berlin (CAO); Prof. Dr. R.-P. Müller, Köln (ARO); Prof. Dr. P. Neuhaus, Berlin (CAO);
Frau Dr. F. Roelofsen, Essen (CAO); Prof. Dr. J. Scheele, Jena (CAO);
Prof. Dr. W. Stock, Düsseldorf (CAO)
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. P. Helmich, Düsseldorf (DEGAM)
Prof. Dr. W. Hohenberger, Erlangen (CAO)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Röntgengesellschaft
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
AK Supportive Maßnahmen der Deutschen Krebsgesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
248
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Th. Junginger, Mainz
Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie
der Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
D-55101 Mainz
Erste Fassung: Oktober 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
249
250
Gynäkologie
E
251
252
E1
Vulvakarzinom
E 1.1 Definition
Die Inzidenz liegt bei 2/105 Frauen/Jahr. Sie steigt von 0,4 bei 30-jährigen auf 20
bei über 70-jährigen Frauen. Vulväre intraepitheliale Neoplasien (VIN) werden
heute häufiger diagnostiziert, und dies besonders bei 35- –40-jährigen Frauen.
Als Risikofaktoren gelten Genitalwarzen und besonders der Nachweis von
Papillomviren, meist HPV 16. Wahrscheinlich gibt es zwei Formen des
Plattenepithelkarzinoms der Vulva: Ein HPV-positives Karzinom, das bei jüngeren
Frauen vorkommt und oft mit Karzinomen der Zervix und des Anus kombiniert
ist, und ein zweites, das kein HPV aufweist und bei älteren Frauen vorkommt.
Risikofaktoren sind Immunsuppression, besonders eine HIV-Infektion und wahrscheinlich der Nikotinabusus. Die Symptomatik ist uncharakteristisch. Ein chronischer Juckreiz tritt aber häufig schon bei präkanzerösen Veränderungen auf. Für
die Unterteilung nach der Lokalisation gilt der Tumorlokalisationsschlüssel (3):
C 51.0 Labia majora (einschl. Bartholin-Drüsen), C 51.1 Labia minora, C 51.2 Klitoris, C 51.8 Vulva, mehrere Teilbereiche übergreifend, C 51.9 Vulva o.n.A.
E 1.2 Diagnostik
Diagnostik bei symptomatischen Patientinnen
Prätherapeutische Diagnostik
Inspektion der Vulva: Veränderungen der Farbe und des Oberflächenreliefs
Vulvoskopie nach Einwirkung von 3%iger Essigsäure zur Festlegung repräsentativer Biopsieareale
Toluidinblau-Probe (Collins-Test): 1%ige Toluidinblaulösung, dann 2%ige
Essigsäure
Zytologie
Biopsie zur histologischen Sicherung
Knipsbiopsie (Nachteil: Basis fehlt, da keilförmiges Biopsat)
Stanzbiopsie
Exzisionsbiopsie (bei zirkumskripten, auf VIN verdächtigen Herden)
Prätherapeutisches Staging bei Karzinom
Grundprinzipien des Stagings
Das Staging erfolgt entsprechend den Empfehlungen der FIGO (1) und der damit
identischen 5. Auflage der TNM-Klassifikation der UICC (4). Maßgeblich sind die
Operationsbefunde und das Ergebnis der histopathologischen Untersuchung
der Operationspräparate.
253
Gynäkologische Untersuchung
Inspektion: gesamte Vulva, Urethra, Introitus, Vagina, Portio, Damm, Anus
Palpation: gesamte Vulva, Vagina, inneres Genitale, Anus, Rektum, Beckenwand, Leisten einschließlich der Schenkelgruben
Dokumentation aller Veränderungen
Bildgebende Verfahren
Stadium I und II:
Im Einzelfall nützlich
Röntgen-Thorax
Lebersonographie
Stadium III:
Notwendig
Röntgen-Thorax
Lebersonographie
Zystoskopie
Rektoskopie
Im Einzelfall nützlich
Vaginalsonographie
Rektale Sonographie
Weitere bildgebende oder endoskopische Verfahren nur bei gezielter
Indikation
Stadium IV:
Individuell an klinische Situation adaptiert (therapeutische Konsequenz)
Früherkennung, Screening
Die Früherkennung erfolgt durch Diagnose der prämalignen Veränderungen.
Ein Screening ist derzeit nicht erfolgversprechend und nicht etabliert.
Pathologische Diagnostik
Nomenklatur
Präinvasive Veränderungen (nach WHO (2)): Vulväre intraepitheliale Neoplasien
(VIN)
Leichte Dysplasie VIN 1 (Befall des basalen Drittels)
Mäßige Dysplasie VIN 2 (basales und mittleres Drittel)
Schwere Dysplasie VIN 3 (einschl. oberes Drittel).
Die Bowenoide Papulose, der Morbus Bowen, die Erythroplasie Queyrat und
das Carcinoma in situ simplex werden der VIN 3 zugerechnet.
M. Paget der Vulva
254
Invasives Karzinom
Unter den malignen Tumoren der Vulva wird an dieser Stelle nur der histologische Typ des Plattenepithelkarzinoms separat genannt, der in über 90% der Fäl-
le vorliegt. Auf diesen Tumortyp beziehen sich die nachfolgenden Therapieempfehlungen.
Biopsie zur Diagnose
Die Schnittführung erfordert besondere Beachtung. Bei prämalignen und frühinvasiven Veränderungen muss das maximale Tiefenwachstum gemessen werden.
Exzisionsbiopsien werden aufgespannt.
Aufarbeiten des Operationspräparates
Primärtumor: Operationspräparat auf einer Korkplatte ausgespannt fixieren.
Lymphknoten nach Regionen getrennt aufarbeiten, zählen und in Stufen schneiden.
Angaben für die Kliniker
Für die Stadieneinteilung und eine evtl. Anschlusstherapie sind folgende Angaben nötig:
Größe und Lokalisation des Tumors
Histologischer Typ und Subtyp
Differenzierungsgrad
Invasionstiefe in mm (gemessen am histologischen Schnitt)
Uni- oder multizentrisch
Minimaler Abstand Tumor – Resektionsrand
Zahl der entfernten und evtl. befallenen Lymphknoten, aufgegliedert nach
der Region.
E 1.3 Therapie
Operation
Therapie der vulvären intraepithelialen Neoplasie (VIN 3)
Umschriebene Epithelveränderungen mit 10 mm breiter Manschette bei gespannter Haut exzidieren. Bei sehr ausgedehntem Befall: Skinning vulvectomy
und Spalthautlappen. Alternativ nach histologischer Sicherstellung des präinvasiven Charakters: Destruktive Therapie (z. B. CO2-Laser).
Therapie des mikroinvasiven Vulvakarzinoms (Ia/ pT1a)
Invasionstiefe 1 mm oder weniger. Lokale Exzision mit 10 mm breitem Sicherheitsabstand, keine Lymphadenektomie.
Operative Therapie des invasiven Karzinoms
Kategorie T1 (FIGO-Stadium I)
Umschriebene Läsion: Lokale Exzision mit 10 mm breitem Sicherheitsabstand
Mit umgebender VIN oder anderen Vulvadermatosen:
– lokale Exzision im Gesunden und destruktive Therapie der veränderten Umgebung oder
– einfache Vulvektomie
255
Klitorisnahe Lokalisation: Individualisiertes möglichst klitoriserhaltendes Vorgehen
Vollständige inguino-femorale Lymphknotendissektion (Fett- und Lymphknotengewebe der Leiste bis 2 cm oberhalb des Leistenbandes und Gewebe medial der A. femoralis):
– bei streng einseitiger Lokalisation ipsilaterale Lymphonodektomie ausreichend
– Lymphknoten bei intraoperativem Schnellschnitt befallen: ipsilaterale extraperitoneale pelvine und kontralaterale inguino-femorale Lymphadenektomie
Kategorie T2 (FIGO-Stadium II) und Patientinnen der Kategorie T3 (FIGO-Stadium III) mit günstiger Prognose
(Als günstige Kriterien gelten: fehlender Lymphgefäßeinbruch, hoher Differenzierungsgrad (G1), histologisch ausgeprägte Stromareaktion)
Radikale Vulvektomie mit beidseitiger inguino-femoraler Lymphadenektomie
(En-bloc-Resektion oder von separaten Inzisionen aus, ggf. Lappenplastik)
Je nach Lage des Tumors werden Teile der Vagina oder der Urethra (der äußere Teil = 1 cm der Urethra ohne Risiko einer Inkontinenz) entfernt.
Sonderfälle:
– In klinisch geeigneten Fällen: Lokale Exzision 10 mm breitem Sicherheitsabstand und separate Lymphadenektomie
– Bei begrenzter Operabilität: ggf. palliative Resektion ohne Lymphadenektomie
Patientinnen der Kategorie T3 (FIGO-Stadium III) mit ungünstiger Prognose und
Kategorie T4 (FIGO-Stadium IVa)
Präoperative Vorbehandlung s. Abschnitt „Strahlentherapie“. Radikale inguinofemorale Lymphadenektomie.
Große, verbackene Leistenlymphknoten (N2)
Radikale inguino-femorale und ggf. pelvine Lymphadenektomie
Besonderheit: Malignes Melanom der Vulva
Infiltrationstiefe < 1 mm: radikale lokale Exzision im Gesunden mit 10 mm
breitem Sicherheitsabstand
Bei größerer Infiltrationstiefe En-bloc-Resektion mit regionären Lymphknoten
(femorale und inguinale Lymphknoten)
Keine pelvine Lymphadenektomie
Strahlentherapie
Plattenepithelkarzinome sind überwiegend strahlensensibel. Allerdings muss mit
einer Vulvitis vor Erreichen einer wirksamen Strahlendosis gerechnet werden.
Die Bestrahlung kann aber ein ungeeignetes Operieren nicht vollständig ausgleichen.
256
Indikationen zur Nachbestrahlung
Zwei oder mehr befallene Lymphknoten,
Kapseldurchbruch oder Ausdehnung des Tumorwachstums in das umgebende Gewebe (T3 und T4)
Bestrahlung des kleinen Beckens, wenn keine pelvine Lymphadenektomie,
aber ausgedehnter Befall der Leisten
Bei Verzicht auf die Lymphadenektomie wegen eingeschränkter Operabilität
Die optimale Behandlung der pelvinen Lymphknoten (Operation oder Bestrahlung) bei befallenen inguinalen Lymphknoten ist ungeklärt.
Präoperative Vorbestrahlung
Bei ungünstigem T3- und T4-Tumor, ggf. als Radiochemotherapie, dann radikale
Vulvektomie und inguino-femorale Lymphadenektomie.
Chemotherapie
5-Fluorouracil, Cisplatin, Mitomycin C und Bleomycin führen in ca. 30% zur Remission über wenige Monate. Deshalb nur zur Linderung von Beschwerden bei
einer Metastasierung.
Rezidiv
Bei lokoregionärem Rezidiv ist das Vorgehen abhängig von der Art der Primärtherapie und von der individuellen klinischen Situation. Die möglichen Maßnahmen umfassen die einfache Exzision, die Radiotherapie ohne oder mit Chemotherapie, die Exenteration und myokutane Lappenplastiken.
E 1.4 Nachsorge
Kern der Nachsorge ist die gynäkologische Untersuchung, ggf. mit Vulvoskopie,
Zytologie und Biopsie. Bildgebende Verfahren werden bei Beschwerden symptomorientiert indiziert.
Der Nutzen einer strukturierten Nachsorge ist bisher nicht erwiesen. Ein mögliches Schema sieht Nachsorgeuntersuchungen in den ersten drei Jahren alle drei
Monate, im vierten und fünften Jahr alle sechs Monate und danach einmal jährlich vor.
Ein Vulvakarzinom in der Vorgeschichte stellt keine Kontraindikation für eine
Hormonsubstitution in der Postmenopause dar.
E 1.5 Rehabilitation
Bei den zumeist älteren Patientinnen liegt häufig eine Multimorbidität vor, die
neben den Auswirkungen der Erkrankung und Therapie ein Grund für einzuleitende Rehabilitationsmaßnahmen sein kann. Eines der Ziele von Rehabilitationsmaßnahmen ist die Verhinderung von Pflegebedürftigkeit bzw. bei Vorliegen ei-
257
ner Pflegebedürftigkeit die Einleitung von Pflegemaßnahmen. Steht das soziale
Rehabilitationsziel im Vordergrund, so sollte eine wohnortnahe stationäre/teilstationäre Rehabilitationsmaßnahme bevorzugt werden.
Literatur
1 Pecorelli S (Hrsg) (1998) FIGO Annual report on the result of treatment in
gynaecological cancer. 23rd ed. J Epidemiol Biostat 3: 1–168
2 Scully RE, Bonfiglio TA, Kurman RJ, Silverberg SG, Wilkinson EJ (1994) Histological typing of female genital tract tumours. 2nd ed. WHO International
Histological Classification of Tumours. Springer, Berlin Heidelberg New York
3 Wagner G (Hrsg) (1993) Tumorlokalisationsschlüssel, 5. Aufl. Springer, Berlin
Heidelberg New York
4 Wittekind Ch, Wagner G (1997) TNM Klassifikation maligner Tumoren. 5.
Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. Dr. h. c. G. Bastert, Heidelberg; Prof. Dr. Dr. R. Bauknecht, Bonn; Prof.
Dr. H.G. Bender, Düsseldorf; Prof. Dr. H. Egger, Neumarkt; Prof. Dr. D. von Fournier, Heidelberg; Prof. Dr. W. Jonat, Kiel; Prof. Dr. M. Kaufmann, Frankfurt/Main;
Prof. Dr. G. Kindermann, München; Prof. Dr. R. Kreienberg, Ulm; Prof. Dr. H. G.
Meerpohl, Karlsruhe; Prof. Dr. D. Mosny, Duisburg; Prof. Dr. A. Pfleiderer, Freiburg (federführend); Prof. Dr. H. G. Schnürch, Neuss
Überarbeitet durch die Mitglieder der Organkommission „Vulvakarzinom“
Prof. Dr. P. Hantschmann, München; Prof. Dr. H. G. Schnürch, Neuss (federführend); PD Dr. W. Schröder, Aachen; PD Dr. W. Weikel, Mainz; Prof. Dr. H. H.
Zippel, Hanau
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. med. R. Andreesen, Regensburg (DGHO); Prof. Dr. med. H. Delbrück,
Wuppertal (ARNS); Prof. Dr. med. P. Hermanek, Erlangen (ISTO); Prof. Dr. med. K.
Höffken, Jena (AIO); Prof. Dr. med. H. Sauer, München (ADT); Prof. Dr. med. H.E. Stegner, Hamburg (Deutsche Gesellschaft für Pathologie)
258
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Dr. h. c. G. Bastert (AGO),
Universitäts-Frauenklinik
Vossstraße 9
D-69115 Heidelberg
Erste Fassung: Dezember 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
259
E2
Zervixkarzinom
E 2.1 Einleitung
Die Inzidenz des invasiven Zervixkarzinoms ist bei uns, gemessen an den Zahlen
des Saarlandes, in den letzten 13 Jahren von 20,5 auf 15,6/105 zurückgegangen
und die Mortalität von 7,8 auf 6,1 abgefallen. Das Carcinoma in situ (CIS) der
Zervix wird heute auch in Deutschland häufiger (15–17/105) als invasive Karzinome beobachtet. 25% der Erkrankten sind jünger als 43 Jahre. Die Altersverteilung zeigt einen kleineren Gipfel zwischen 35 und 39 Jahren sowie einen Hauptgipfel zwischen 60 und 64 Jahren.
Ätiologisch ist für die Krebsentstehung eine Infektion mit High-risk-HPV (hauptsächlich die HPV-Typen 16, 18, 31, 33, 45, 51, 52 und 56) unabdingbar. Zusätzliche Kofaktoren, wie u.a. genetische Veränderungen oder erworbene Immunschwäche sind für die Tumorentstehung notwendig. Als weitere Tumorpromotoren werden das Rauchen und Genitalinfektionen mit unterschiedlichsten
Erregern diskutiert.
Symptomatik: Die Vor- und meisten Frühstadien sind symptomlos. Bei invasiven
Karzinomen kommt es zu Kontaktblutungen, blutigem Fluor und Metrorrhagien. Schmerzen im kleinen Becken, in der Kreuzbein- und Lendengegend und ein
Lymphödem der Beine sind „Spätsymptome“ und weisen auf einen weit ausgedehnten Tumorprozess hin.
E 2.2 Diagnostik
Diagnostik bei symptomatischen Patientinnen
Notwendige Untersuchungen
Inspektion der Portio vaginalis uteri durch Spiegeleinstellung bei der gynäkologischen Untersuchung
Bei endozervikalem Prozess durch Kürettage der Zervix (meist ohne Narkose)
ergänzt durch
– die Kolposkopie der Portio und Vagina,
– die bimanuelle vaginale und rektovaginale Untersuchung
– Sicherung der Diagnose durch kolposkopische Gewebeentnahme bei makroskopisch sichtbarem Tumor
Bei FIGO Stadium Ia1/Ia2 nur durch Konisation und Zervixabrasio
260
Untersuchungsverfahren zum prätherapeutischen Staging
Die Stadieneinteilung des Zervixkarzinoms erfolgt nach der Übereinkunft der
FIGO (1) „klinisch-diagnostisch“.
Die Definitionen sind identisch der klinischen TNM-Klassifikation (2).
Notwendige Untersuchungsverfahren
Die prätherapeutische Stadieneinteilung des Zervixkarzinoms ist trotz aller moderner diagnostischer Methoden ganz entscheidend von der klinischen Erfahrung des Untersuchers abhängig. Wesentliche Grundlage stellen die gynäkologische bimanuelle Untersuchung und damit der Tastbefund – wenn nötig auch in
Narkose – sowie die Spiegeluntersuchung dar. Dabei müssen die Ausdehnung
des pathologischen Prozesses in der Vagina durch die Kolposkopie genau festgelegt und die vaginalen Tumorgrenzen ggf. durch Biopsien dokumentiert werden
Die notwendige bildgebende Diagnostik stellen dar:
Sonographie und intravenöse Pyelographie zum Ausschluss einer Ureterstenose bzw. Ureterinfiltration
Zystoskopie und Rektoskopie zum Ausschluss eines Tumoreinbruchs in Harnblase oder Rektum
Röntgen-Thorax in zwei Ebenen
Bei endozervikalem Prozess eine Kürettage des Uterus, evtl. mit Hysteroskopie
Im Einzelfall nützliche bildgebende Verfahren
Das Ergebnis weiterer bildgebender Untersuchungen, eine Laparoskopie und
der Befund bei der Operation finden zwar für die Stadieneinteilung bis heute
keine Berücksichtigung, sind aber für die Therapieplanung wichtig und werden
je nach der Ausdehnung der Erkrankung und dem geplanten Vorgehen eingesetzt. Bei ausgedehnten Karzinomen gibt es zusätzliche Untersuchungsverfahren:
Sonographie: Bei ausgedehnten Karzinomen ohne Befall der Rektumschleimhaut kann die Zystoskopie bzw. Rektoskopie durch die transrektale Sonographie ergänzt werden. Bei ausgedehnten Karzinomen erlaubt die Sonographie
der Skalenusregion am Hals Lymphknotenmetastasen, die der Palpation entgangen sind, zu entdecken.
Computertomographie zum Nachweis vergrößerter paraaortaler Lymphknoten
Kernspintomographie ergibt für die Diagnostik des Lymphknotenstatus keine
zusätzlichen Informationen, scheint jedoch geeignet, die Größe des Tumors
im kleinen Becken und die Beziehung zu den Nachbarorganen zu bestimmen.
Sie kann jedoch die palpatorische Beurteilung der Parametrien nicht ersetzen.
PET (Positronenemissionstomographie) ermöglicht eine Information über den
Stoffwechsel des Tumors und findet derzeit ihren Einsatz im experimentellen
Sinne unter Studienbedingungen sowie zur Erfassung von für übliche Verfahren okkulten Metastasen.
Im Einzelfall nützliche chirurgische Maßnahmen
Zur Untersuchung der Tumorausdehnung in der Vagina sind in allen Zweifelsfällen multiple Biopsien nötig.
Feinnadelpunktion suspekter Lymphknoten (Hals- und Skalenusregion, inguinal) unter sonographischer Führung oder CT-gesteuert oder Tru-Cut-Biopsie
von Infiltraten im kleinen Becken, wenn der positive Metastasennachweis für
weitere Behandlungsmaßnahmen relevant ist
261
Endoskopie zur Bestimmung der lokoregionären Tumorausdehnung, insbesondere zur Abklärung einer Tumorinfiltration von Harnblasen- und Rektumwand sowie zum Ausschluss bzw. zur Bestätigung von paraaortalen und/oder
pelvinen Lymphknotenmetastasen
Präoperative Laboruntersuchungen
Notwendige präoperative Laboruntersuchungen
Blutbild
BSG
Elektrolytstatus
Gerinnungsstatus
Harnstoff und Kreatinin
Transaminasen, alkalische Phosphatase, Gamma-GT
Urinstatus
Markerbestimmungen (bei Plattenepithelkarzinomen SCC, bei Adenokarzinomen CA 125)
Im Einzelfall nützliche Laboruntersuchungen
CA 19-9
Blutzucker
Kreatininclearance bei Vorliegen einer Harnstauungsniere und geplanter Cisplatin-Applikation
Entscheidung: Operation oder primäre Strahlentherapie
Die Entscheidung über die adäquate Therapiemodalität erfolgt interdisziplinär
unter Einbeziehung der Pathologie, der Anästhesiologie, der Strahlentherapie
und der internistischen Onkologie.
Früherkennung, Screening
Das Plattenepithelkarzinom der Zervix eignet sich besonders gut zu Screeninguntersuchungen wegen seiner langen präklinischen Phase, in der die Vorstadien
des invasiven Zervixkarzinoms erkannt und behandelt werden können (3). Ein
optimales Screeningresultat setzt eine regelmäßge Teilnahme an so genannten
Vorsorgeuntersuchungen voraus. Anzustreben und zu empfehlen sind dabei
einjährige Intervalle, insbesondere bei Risikokonstellation. Zu fordern ist eine
Spiegeleinstellung und eine zytologische Abstrichentnahme von der Portiooberfläche sowie aus dem Zervikalkanal, ggf. unter kolposkopischer Sicht.
Die Diagnosestellung in der Zytologie erfolgt nach der Münchner Nomenklatur II
(Einteilung nach Papanicolaou (Pap) (4)).
262
Pathologisch-anatomische Diagnostik
Histopathologische Diagnostik
Die Definition der Dysplasie (syn. zervikale intraepitheliale Neoplasie – CIN) beinhaltet zelluläre Atypien des (Platten-) Epithels mit Störung des geweblichen Aufbaus. Da sie quasi Vorläuferläsionen des invasiven Karzinoms darstellen, werden
sie auch als Präkanzerosen bzw. präkanzeröse Läsionen bezeichnet. Je nach
Schweregrad der zellulären Atypien und Ausdehnung der Veränderung werden
drei Grade unterschieden:
CIN I = geringgradige Dysplasie
CIN II = mäßiggradige Dysplasie
CIN III = hochgradige Dysplasie und Carcinoma in situ (CIS)
Aufgrund des fehlenden klinisch relevanten Unterschiedes im biologischen Verhalten der hochgradigen Dysplasie und des CIS werden diese unter CIN III subsumiert. Unter Berücksichtigung der HPV-Infektion werden in der Bethesda-Klassifikation zervikaler Zytologiebefunde HPV-assoziierte Veränderung (Kondylome,
Papillome etc.) und CIN I zusammen als „low grade squamous intraepithelial lesions” (SIL) klassifiziert und die CIN II und III als „high grade” SIL. Labormethoden zur HPV-Diagnostik sind: Southern Blot, PCR, Dot Blot, DNA-Hybridisierung,
Immunzytochemie. Eine fakultative prognostische Bedeutung kommt der DNAZytometrie zu.
Teilweise sind CIN-Läsionen mit einem Adenocarcinoma in situ der Endozervix
(ACIS) vergesellschaftet.
Die Majorität aller invasiven Zervixkarzinome sind Plattenepithelkarzinome
(80%), gefolgt von den Adenokarzinomen (5–15%). Andere Tumortypen sind
selten. Prognostisch ungünstige Tumortypen sind neuroendokrine (groß- oder
kleinzellige), klarzellige bzw. serös-papilläre Karzinome. Aufgrund notwendiger
Therapiemodifikationen ist auf den Nachweis eines neuroendokrinen (großoder kleinzellig), klarzelligen bzw. serös-papillären Typs zu achten. Die Tumortypisierung erfolgt nach der WHO-Klassifikation (5), die Stadieneinteilung nach
der pTNM-Klassifikation (2) mit zusätzlicher Angabe des FIGO-Stadiums.
Aufarbeitung des Gewebes
Diagnostische Biopsien
Das zur histologischen Sicherung einer CIN bzw. eines invasiven Karzinoms entnommene Gewebe muss in Stufen geschnitten werden (ca. sechs bis neun Stufen). Der Befundbericht sollte zum Grad der CIN, virusassoziierten Veränderungen und einer eventuellen Invasion Stellung nehmen.
Konisationen
Voraussetzungen für eine adäquate morphologische Aufarbeitung ist die Übersendung eines intakten und markierten Präparates (üblicherweise Fadenmarkierung bei 12 Uhr). Das Konisat muss vollständig eingebettet werden, wobei die
segmentale Aufarbeitungstechnik favorisiert wird (6). Von jedem Paraffinblock
sollten mindestens vier bis sechs Stufenschnitte angefertigt werden. Der pathologische Befundbericht muss zur Größe (insbes. Länge) und Beschaffenheit des
Konisates Stellung nehmen. Vermerkt sein sollten der Grad, die Lokalisation (endo-, ektozervikal) und die Ausdehnung (Angaben im Uhrzeigersinn; z.B. 2 Uhr
bis 6 Uhr) der CIN-Läsion sowie virusassoziierte Veränderungen. Beim Nachweis
eines invasiven Karzinoms sollte zusätzlich die Angabe der Größe erfolgen (Ausnahme: sog. frühe Stromainvasion bei pT1a1) und zur Lymphgefäßinvasion Stel-
263
lung bezogen werden. Obligat sind dezidierte Angaben zu den Resektionsrändern (vaginal, endozervikal, lateral).
Anforderungen an den histologischen Befundbericht bei Konisation
Art der Läsion (CIN; ACIS u.a.)
Lokalisation: endo- oder ektozervikale Ausdehnung im Uhrzeigersinn
Bezug zum Resektionsrand vaginal, endozervikal, Tiefe
Radikales Hysterektomiepräparat
Die morphologische Aufarbeitung sollte so erfolgen, dass alle in der nachfolgenden Liste erforderlichen Angaben erhoben werden können (6). Der Befunderstellung ist, wie erwähnt, die WHO-Klassifikation zur Tumortypisierung und die
pTNM-Klassifikation zur Stadieneinteilung zugrunde zu legen.
Anforderungen an den histologischen Befundbericht bei Hysterektomiepräparat
Histologischer Typ nach WHO
Grading, Lymph- oder Blutgefäßeinbruch
Staging (pTNM und FIGO)
Invasionstiefe und Ausdehnung in mm bei pT1a1 und pT1a2
minimaler Abstand zum vaginalen Rand bei pT2a
Abstand zum lateralen (parametranen) Rand bei pT2b
R-Klassifikation (UICC)
Bzgl. des Lymphknotenstatus Angabe von
– Zahl untersuchter Lymphknoten
– Zahl befallener Lymphknoten
– Lokalisation der befallenen Lymphknoten
– größter Durchmesser der größten Lymphknotenmetastase
– Tumorgröße in cm (ab pT1b1)
E 2.3 Therapie
Operation
Übersicht über die verschiedenen Operationsverfahren
Konisation
Die Konisation kann als Messerkonisation, mit elektrischer Schlinge oder als Laserkonisation erfolgen. Wichtig ist, dass durch die Konisation die prämaligne
oder maligne Veränderung in sano mit tumorfreien Rändern entfernt wird. In
2–3% kommt es zu Nachblutungen, im Falle einer Schwangerschaft etwas vermehrt zu Frühgeburt (mangelnder Verschlussmechanismus des inneren Muttermundes).
264
Radikaloperation nach Wertheim-Meigs (Typ III, Piver et al. 1974 (7))
Diese Operation wird nach den Empfehlungen von Wertheim, Meigs, Latzko,
Okabayashi und anderen durchgeführt. Die Grundprinzipien der Operation be-
stehen aus folgenden Schritten:
Eröffnung der Bauchhöhle, systematische Inspektion
Belassung der Ovarien möglich bei prämenopausalen Frauen
Pelvine Lymphadenektomie
Eröffnung der paravesikalen Grube, Inzision des Douglasperitoneums und Eröffnung der pararektalen Grube; Entfernung des Binde- und Fettgewebes mit
den Lymphbahnen und -knoten medial und lateral der Vasa iliaca communis,
externa und interna, mit Ausräumung der Fossa obturatoria bis auf den Beckenboden
Darstellung und Absetzen der Ligg. cardinalia unmittelbar an der Beckenwand
Mobilisierung des Rektums und Absetzen der Ligg. sacrouterina
Komplette Präparation des Ureters aus den Parametrien
Mobilisierung der Blase
Absetzen von Parakolpium und Vagina in Abhängigkeit von der Größe des
Primärtumors und Befall der Vagina
Drainage des Wundgebietes. Die früher übliche Peritonealisierung des kleinen
Beckens kann entfallen, zumal dadurch die Rate an postoperativen Lymphzysten geringer wird
Verschluss der Bauchdecken
Lymphadenektomie
Die pelvine Lymphknotenentfernung wird üblicherweise vor der radikalen Hysterektomie durchgeführt. Die systematische Lymphadenektomie umfasst die
Entfernung sämtlicher Lymphknoten und des Fettgewebes im Bereich der Beckengefäße. Entfernt werden die Lymphbahnen und die Lymphknoten medial
und lateral der Arteria iliaca externa, um die Arteria iliaca communis sowie im
Bereich der Arteria und Vena obturatoria bis zum Beckenboden.
Der therapeutische Nutzen einer paraaortalen Lymphadenektomie insbesondere
in Kenntnis eines paraaortalen Lymphknotenbefalls ist derzeit nicht bewiesen. Es
zeigt sich jedoch, dass so behandelte Fälle überraschend gute Fünfjahres-Überlebensraten aufweisen (8).
Laparoskopische Lymphadenektomie/vaginale Radikaloperation
sind Methoden in der Erprobung. Ihre therapeutische Sicherheit muss noch bewiesen werden.
Dies gilt auch für die radikale Trachelektomie, ein Verfahren, bei dem ein Teil der
Zervix mit Parametrium entfernt und die Gebärmutter und damit die Fertilität erhalten werden können.
Chirurgisches Staging
Im Stadium III wird ein prätherapeutisches chirurgisches Staging beim Zervixkarzinom diskutiert, um die weitere therapeutische Vorgehensweise in Abhängigkeit von der Tumorausbreitung individualisieren zu können. Durch eine pelvine
und paraaortale Lymphadenektomie wird die Lokalisation bzw. Existenz von
Lymphknotenmetastasen festgestellt bzw. werden die befallenen Lymphknoten
265
entfernt. Der Primärtumor wird einer kombinierten Strahlen- (Chemo-) therapie
zugeführt.
Exenteration
Beim zentralen Rezidiv und fehlendem Hinweis auf Fernmetastasen ist die Exenteration nach vorausgegangener Radikaloperation eine Behandlungsmöglichkeit, die ein 50%iges Langzeitüberleben ermöglicht.
In Abhängigkeit von der Lokalisation kann bei Befall der Blase eine vordere bzw.
bei Befall des Rektums eine hintere Exenteration erforderlich sein. Bei Befall beider Organe müssen Blase und Rektum im Sinne einer vollständigen Exenteration
entfernt werden.
E 2.4 Stadienabhängige Therapie
Therapie der zervikalen intraepithelialen Neoplasie (CIN)
CIN I oder CIN II:
Wenn Befund auf die Ektozervix (gesichert durch Kolposkopie) beschränkt,
Kontrolle im Abstand von drei Monaten
Bei Persistenz und ektozervikalem Sitz Biopsie, CO2-Laservaporisation
Bei endozervikaler Ausdehnung Konisation
CIN III:
Wenn nach Kolposkopie eindeutig Prozess nur ektozervikal (Zervixabrasio negativ): CO2-Laservaporisation als Therapie ausreichend, wenn alle Herde in der
Tiefe der Drüsen koaguliert werden
In allen Zweifelsfällen und bei endozervikaler Ausdehnung Konisation erforderlich
Therapie des invasiven Karzinoms Stadium Ia (frühe Stromainvasion, frühinvasives Karzinom, Mikrokarzinom)
Stadium Ia1 (Invasion maximal 3 mm) und keine ungünstigen Prognosekriterien
(dissoziiertes, netzförmiges Wachstum, Tumorvolumen > 400 mm2, Einbruch in
Kapillaren/Lymphbahnen, schmaler oder nicht beurteilbarer Absetzungsrand,
Messung der Ausdehung unsicher):
Konisation mit Zervixkürettage (in sano) (3)
Nach abgeschlossener Familienplanung bzw. bei besonderem Sicherheitsbedürfnis der Patientin auch (einfache) Hysterektomie
Stadium Ia2 (Invasion > 3–5 mm, Oberflächenausbreitung bis 7 mm) und Stadium Ia1 mit ungünstigen Prognosekriterien (s. oben):
Hysterektomie ohne Resektion der Parametrien, aber mit Entfernung der pelvinen Lymphknoten
266
Therapie des invasiven Zervixkarzinoms Stadium Ib
Radikaloperation nach Wertheim-Meigs (s. Abschnitt „Übersicht über die verschiedenen Operationsverfahren), bei prämenopausalen Frauen unter Belassung
der Ovarien. Bei Patientinnen mit Adenokarzinom sollte die Indikation zur Ovarektomie unabhängig vom Alter großzügig gestellt werden.
Stadium IIa
Wertheim-Meigs´sche Radikaloperation; Mitnahme eines größeren Scheidenabschnittes (Sicherheitsabstand vom Tumor >2 cm)
Stadium IIb
In den USA (3) werden Patientinnen im Stadium IIb primär bestrahlt, in Europa
und Japan insbesondere in operativ ausgerichteten Zentren primär operiert. Die
Operation muss im parametranen Bereich sehr sorgfältig bis zur Beckenwand
ausgedehnt werden (Piver Typ III (7)). Zusätzlich ist eine paraaortale Lymphadenektomie indiziert, insbesondere dann, wenn die pelvinen Lymphknoten (im
Schnellschnitt) befallen sind. Bei großen Lymphknotenmetastasen scheint deren
Entfernung einer Strahlentherapie überlegen (9)
Stadium III
Die Strahlentherapie ist im Stadium III die Behandlung der Wahl
Stadium IV
Bei großem Tumorprozess im kleinen Becken sind durch die perkutane Strahlentherapie oft noch gute palliative, gelegentlich auch kurative Erfolge möglich
Strahlentherapie
Primäre Strahlentherapie des Zervixkarzinoms
Die primäre Strahlentherapie besteht in der Regel aus der Kombination einer lokalen Kontakt- mit einer perkutanen Hochvoltbestrahlung. Neuere Ergebnisse
belegen eindrücklich die deutliche Verbesserung der Heilungsergebnisse, wenn
die Strahlentherapie beim Zervixkarzinom mit einer gleichzeitigen Cisplatin-haltigen Chemotherapie kombiniert wird (10).
Die lokale Kontakttherapie ist beim Zervixkarzinom von besonderer Bedeutung.
Durch die anatomischen Verhältnisse bedingt, lässt sich durch die Kontakttherapie eine hohe Strahlendosis am Tumor erzielen, während die Blase, das Rektum
und die Ureteren relativ gering belastet werden.
Die Kontaktbestrahlung wird heute in Deutschland aus Gründen des Strahlenschutzes überwiegend mit dem HDR („high dose rate”)-Afterloading (Nachlade)-Verfahren durchgeführt. Die Kontaktbestrahlung muss in der Regel mit einer
vorangehenden bzw. parallel laufenden perkutanen Bestrahlung kombiniert
werden. Das Schema sollte so gewählt werden, dass die gesamte planmäßige
Bestrahlungszeit acht Wochen nicht überschreitet.
Aufgrund der oben erwähnten Ergebnisse zur kombinierten Radiochemotherapie sollte die gleichzeitige Chemotherapie mit Cisplatin bei kurativer Intention
der Bestrahlung immer angewendet werden, wenn keine Kontraindikationen
gegen Cisplatin bestehen (wie z.B. Niereninsuffizienz oder hohes Alter bzw. erheblich beeinträchtigter Allgemeinzustand).
267
Postoperative Strahlentherapie
Anhand retrospektiver Studien konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dass
durch postoperative Strahlentherapie nach radikaler Hysterektomie eine Verbesserung der Überlebensraten erreicht werden kann. Wegen der Senkung des Risikos für ein Lokalrezidiv wurde sie bei Risikofaktoren dennoch häufig eingesetzt.
Kürzlich konnte gezeigt werden, dass in dieser Situation die kombinierte Radiochemotherapie mit Cisplatin eine ebenso deutliche Verbesserung der Überlebensraten gegenüber der alleinigen Nachbestrahlung erreicht wie bei der primären Strahlentherapie (11). Deshalb sollte die kombinierte Radiochemotherapie
mit Cisplatin bei Vorliegen von Risikofaktoren (parametraner Befall, ungünstiger
Tumor-Zervix-Quotient, Lymphknotenbefall, Lymphangiosis carcinomatosa oder
R1- bzw. R2-Resektion) immer angewendet werden, wenn keine Kontraindikation gegen die Gabe von Cisplatin besteht.
Durchführung der kombinierten Radiochemotherapie
Die Kombination der Strahlentherapie mit einer gleichzeitigen Cisplatin-haltigen
Chemotherapie erzielt sowohl bei der primären als auch in der adjuvanten Situation eine deutliche Verbesserung gegenüber der alleinigen Strahlentherapie. Eine Kombinations-Chemotherapie bringt in dieser Situation keine besseren
Ergebnisse als die Monotherapie mit Cisplatin. Wegen der höheren Myelotoxizität von Carboplatin ist Cisplatin bei der simultanen Radiochemotherapie dem
Carboplatin vorzuziehen.
Chemotherapie
Die Chemotherapie ist bei Plattenepithel- und bei Adenokarzinomen der Cervix
uteri wirksam. Als effektiv erwiesen sich Cisplatin, Carboplatin und Ifosfamid.
Sie können mit Anthrazyklinen, Bleomycin oder Taxanen kombiniert werden. Eine kurative Wirkung der Chemotherapie ist bisher nur in der Kombination mit
einer gleichzeitigen Radiatio nachgewiesen.
Beim Rezidiv oder bei Fernmetastasen beobachtet man unter einer zytostatischen Kombinationstherapie in 36%–50% Remissionen. Auch komplette Remissionen sind möglich. Die mediane progressionsfreie Zeit beträgt nur vier bis
sechs, die mittlere Überlebenszeit sieben bis zehn Monate. Im vorbestrahlten Bereich ist die Wirkung geringer. Eine palliative Chemotherapie ist deshalb nur
dann indiziert, wenn außerhalb des bestrahlten Gebietes Fernmetastasen auftreten, die zu Beschwerden führen und weder entfernt noch bestrahlt werden
können.
Bis heute gibt es keinen Hinweis dafür, dass eine adjuvante Chemotherapie ohne
gleichzeitige Bestrahlung einen Überlebensvorteil bringt.
268
E 2.5 Nachsorge
Ziele der Nachsorgeuntersuchung
Früherkennung eines loko-regionären Rezidvs
Diagnose und Therapie postoperativer und radiogener Nebenwirkungen
Hormonsubstitutionstherapie
Psychosoziale Betreuung und Beratung einschließlich der Sexual- bzw. Partnerbetreuung
Der Nutzen einer strukturierten Nachsorge ist bisher nicht erwiesen. Ein mögliches Schema sieht Nachsorgeuntersuchungen während der ersten drei Jahre
vierteljährlich, im vierten und fünften Jahr halbjährlich und danach jährlich vor.
Rezidivdiagnostik
Rezidivdiagnostik ohne Rezidivverdacht
Die gynäkologische Spiegel- und Tastuntersuchung ist die wichtigste Form der
Suche nach einem Rezidiv. Lokoregionäre Rezidive in der Vagina und im kleinen Becken nach Operation ohne postoperative adjuvante Strahlentherapie
können mit guter Aussicht auf Erfolg therapiert werden. Sie sind durch Inspektion, durch Kolposkopie, Zytologie und die Palpation bei der gynäkologischen Untersuchung wesentlich früher zu diagnostzieren als mit allen bildgebenden Verfahren
Sonographie, CT und MRT sind nicht angezeigt
Die Bestimmung von Markern bringt für die betroffene Patientin keinen Vorteil
Diagnostik bei Rezidivverdacht
Besteht Verdacht auf ein loko-regionäres Rezidiv, müssen
die histologische Sicherung erfolgen und
die Frage der Entfernbarkeit geprüft werden.
Dazu ist eine umfangreiche Diagnostik nötig:
Lokalbefund: Gynäkologische Untersuchung, Vaginalsonographie, MRT des
Beckens (Beurteilung der Beziehung des Tumors zu anderen Organen), Zystound Rektoskopie
Ausschluss von Fernmetastasen: Lunge, Leber, Computertomogramm der iliakalen und paraaortalen Lymphknoten. Ausschluss supraclaviculärer Lymphknotenmetastasen
Postoperative und radiogene Nebenwirkungen
Postoperative Blasenentleerungsstörungen, nicht selten kombiniert mit Inkontinenz, sind eine typische Folge einer Radikaloperation („Wertheim-Blase”). Sie
bessern sich meist spontan, können aber auch über Monate andauern und dazu
zwingen, das Selbstkatheterisieren zu erlernen.
Radiogene Darmblutungen (chronische Proktitis, Sigmoiditis, Enteritis, Ulzera in
Rektum und Sigma) kommen auch bei kunstgerecht durchgeführter Strahlentherapie vor. Sie werden konservativ behandelt. Eine Biopsie aus einem Ulkus im
Rektum (Ausschluss eines Karzinoms) begünstigt bei der Strahleninduration eine
Fistelbildung.
269
Bei einer Ureterstenose (1–2%), die häufiger durch ein Rezidiv als durch eine
Narbenbildung (OP, Bestrahlung) bedingt ist, ist eine Ureterschienung oder
Harnableitung indiziert.
Während die heute selten gewordene Ureterscheidenfistel (<1%) fast immer
Operationsfolge ist und baldmöglichst operiert werden sollte, sind eine Blasenscheidenfistel (1%) oder eine Rektumscheidenfistel (2%) heute häufiger durch
die Tumorprogression als durch die Strahlentherapie oder die Operation bedingt.
Im Falle einer radiogenen Blasenscheidenfistel ist nach sorgfältiger Vorbereitung
der operative Fistelverschluss, wenn möglich von vaginal, im Falle einer tumorbedingten Blasenscheidenfistel die externe Harnableitung notwendig. Bei einer
Rektumscheidenfistel ist baldmöglichst unabhängig von ihrer Ätiologie ein Anus
praeter anzulegen.
Die Heilung von Lymphödemen des Beines in Folge einer Kombination von Operation und Strahlentherapie ist nahezu unmöglich. Durch sachgerechte Lymphdrainagen lässt sich eine subjektive Linderung erzielen.
Rezidivbehandlung
Rezidiv nach (ausschließlich) operativer Behandlung erfordert eine kombinierte Radiochemotherapie (40% Heilung).
Tiefsitzendes Scheidenrezidiv nach Strahlentherapie wird mittels Kolpektomie
oder zweitem Strahlenfeld kaudal therapiert.
Zentrales Rezidiv (im kleinen Becken) kann mit radikaler Operation des Tumors
in sano behandelt werden. In der Regel ist eine Exenteration (30–60% Heilung (3)) erforderlich.
Beckenwandrezidive im vorbestrahlten Gebiet lassen sich in Einzelfällen durch
spezielle Operationsverfahren in Kombination mit einer interstitiellen Strahlentherapie heilen. Verfahren in Form einer operativen Entfernung in Kombination mit intraoperativer Strahlentherapie (IORT) sind in Erprobung.
Paraaortale Metastasen können gelegentlich selektiv operativ entfernt
werden (20–30% Dreijahresheilung). Die beste Möglichkeit, hoch sitzende
Lymphknotenrezidive zu diagnostizieren, ist das Computertomogramm bzw.
die Sonographie der ableitenden Harnwege.
Ist eine Operation oder eine Strahlentherapie eines Rezidivs bzw. von Lymphknotenmetastasen nicht möglich, insbesondere dann, wenn auch zusätzlich
weitere Fernmetastasen bestehen, so muss eine palliative Chemotherapie diskutiert werden. Sie sollte jedoch erst dann eingesetzt werden, wenn die Patientin über Beschwerden klagt und diese durch die Chemotherapie vermutlich
gelindert werden können (3).
E 2.6 Rehabilitation
270
Je nach Rehabilitationsbedürftigkeit sollten stationäre oder teilstationäre (ambulante) Rehabilitationsmaßnahmen eingeleitet werden. Wesentliche berufliche
Einschränkungen bestehen nicht. Bei zögerlicher Erholung sollte eine stufenweise Wiedereingliederung in Erwägung gezogen werden. Zwar wird vom Versor-
gungsamt den Patientinnen allgemein ein GdB von mindestens 50% gewährt,
dennoch sollte auch an die Nachteile des Schwerbehindertenausweises gedacht
werden. So können sich gerade bei jungen Patientinnen Schwierigkeiten bei der
Berufswahl, beim Berufswechsel und beim beruflichen Fortkommen ergeben.
Die Vorteile müssen bei jeder Antragstellerin individuell abgewogen werden.
Literatur
1 Pecorelli S (Hrsg) (1998) FIGO Annual Report on the results of treatment in
gynecological cancer. 23rd ed. J Epidemiol Biostat 3: 1-168
2 Wittekind Ch, Wagner G (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren. 5.
Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York
3 National Institutes of Health consensus development conference (1997) Consensus statement. Statement on cervical cancer. Gynecol Oncol 66: 351–361
4 Soost HJ (1990) Befundwiedergabe in der gynäkologischen Zytodiagnostik –
Münchener Normenklatur II. Gynäkol Prax 14: 433–438
5 Scully RE, Bonfiglio TA, Kurman RJ, Silverberg SG, Wilkinson EJ (1994) WHO
International Histological Classification of Tumours: Histological typing of
female genital tract tumours. 2nd ed. Springer, Berlin Heidelberg New York
6 Horn LC, Riethdorf L, Löning T (1999) Leitfaden für die Präparation uteriner
Operationspräparate. Pathologe 20: 9–14
7 Piver MS, Rutledge F, Smith JP (1974) Five classes of extended hysterectomy
for woman with cervical cancer. Obstet Gynecol 44: 265–272
8 Friedberg V (1998) Operative therapy for stage IIb cervical cancer. In: Burghardt E, Monaghan JM (eds) Operative treatment of cervical cancer. Bailliere´s
Clinical Obstetrics and Gynaecology, Vol. 2. Bailliere Tindall, London, pp
973–980
9 Hacker NF, Wain GV, Nicklin JL (1995) Resection of bulky positive lymph
nodes in patients with cervical carcinoma. Int J Gynecol Cancer 5: 250–256
10 NCI Clinical Anouncement (1999) Concurrent chemoradiation for cervical
cancer.
http://cancertrials.nci.nih.gov/NCI_CANCER_TRIALS/zones/TrialInfo/News/cervcan/clinann.html
11 Keys HM, Bundy BN, Stehman FB, Muderspach LI, Chafe WE, Suggs ChL III,
Walker JL, Gersell D (1999) Cisplatin, radiation, and adjuvant hysterectomy
compared with radiation and adjuvant hysterectomy for bulky stage Ib cervical carcinoma. N Engl J Med 340: 1154–1161
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. med. G. Bastert, Heidelberg; Prof. Dr. med. M.W. Beckmann, Erlangen;
Dr. med. J.U. Blohmer, Berlin; Prof. Dr. med. G. Dallenbach-Hellwig, Mannheim;
Prof. Dr. med. J. Dunst, Halle; Prof. Dr. med. G. Emons, Göttingen; Prof. Dr. med.
271
K. Friese, Rostock; Prof. Dr. med. E.-M. Grischke, Heidelberg; Dr. med. L.-C.
Horn, Leipzig; Prof. Dr. med. W. Kleine, Freiburg; Dr. med. Ch. Kurbacher, Köln;
Dr. med. H. Junkermann, Heidelberg; Dr. med. M. Mahlke, Mainz; Dr. med. P.
Melsheimer, Heidelberg; Dr. med. H. Pilch, Mainz; Prof. Dr. med. A. Schneider,
Jena; Prof. Dr. med. K.-D. Schulz, Marburg; PD Dr. med. U. Wagner, Tübingen;
Prof. Dr. med. D. Wallwiener, Tübingen
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. med. H.-H. Abholz, Düsseldorf (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinund Familienmedizin); Prof. Dr. med. R. Andreesen, Regensburg (DGHO); Prof.
Dr. med. H. Delbrück, Wuppertal (ARNS); Prof. Dr. med. P. Hermanek, Erlangen
(ISTO); Prof. Dr. med. K. Höffken, Jena (AIO); Prof. Dr. med. H. Sauer, München
(ADT); Prof. Dr. med. H.-E. Stegner, Hamburg (Deutsche Gesellschaft für Pathologie)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. M.W. Beckmann
Universitäts-Frauenklinik
Universitätsstraße 21-23
D-91023 Erlangen
Prof. Dr. Dr. h.c. G. Bastert (AGO)
Universitäts-Frauenklinik
Vossstraße 9
D-69115 Heidelberg
Fassung vom: Dezember 1999
Gültigkeit der Leitlinie bis: Sommer 2002
Aufgrund der aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse erfolgt zur Zeit eine weitere Überarbeitung der Leitlinie. Mit den Ergebnissen kann im Juni 2002 gerechnet werden.
Die dann aktualisierte Leitlinie wird im Internet unter www.krebsgesellschaft.de
bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer
Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind,
wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
272
E3
Endometriumkarzinom
E 3.1 Einleitung
Das Endometriumkarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung des Genitaltraktes der Frau. Die Inzidenz beträgt 24,7/105 Frauen pro Jahr mit einer altersstandardisierten Mortalität von 3,4/105. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei
68 Jahren, der Altersgipfel zwischen 65 und 70 Jahren, das mediane Sterbealter
bei 73 Jahren. Als endogene Risikofaktoren gelten Fettleibigkeit, frühe Menarche, späte Menopause, niedrige Parität, das polyzystische Ovarialsyndrom (PCO)
und östrogensezernierende Tumoren. Exogene Risikofaktoren sind die nicht-zyklische, alleinige Östrogen-Ersatztherapie, die Tamoxifen-Therapie und die vorhergehende Bestrahlungstherapie. Es gibt zwei Grundformen des Endometriumkarzinoms – ein östrogenabhängiges und ein östrogenunabhängiges Karzinom. Wichtiges Symptom des Endometriumkarzinoms ist die uterine Blutung
bei postmenopausalen Frauen. Eine Variation der Intensität und Frequenz der
Blutungen bei perimenopausalen Frauen ist ebenfalls verdächtig.
E 3.2 Diagnostik
Diagnostik bei symptomatischen Patientinnen
Zur weiteren Abklärung der Postmenopausenblutung sind folgende Untersuchungen notwendig
Gynäkologische Untersuchung zur Abklärung, ob die Blutung aus dem Uterus
kommt und ob evtl. das Karzinom über den Uterus hinaus ausgedehnt ist.
Transvaginale Sonographie zur Beurteilung des Endometriums und zum Abschluss weiterer pathologischer Prozesse im Bereich des kleinen Beckens.
Fraktionierte Abrasio. Zur Abklärung der postmenopausalen Blutung ist eine
fraktionierte Abrasio in jedem Falle notwendig.
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Hysteroskopie. Bei sonographischem Verdacht auf ein Endometriumkarzinom
sollte eine Hysteroskopie zur definierten Gewebegewinnung der fraktionierten Abrasio vorangestellt werden. Bei Blutungen und fraktionierter Abrasio
mit Gewinnung von wenig Material oder bei negativer Histologie sollte durch
die Hysteroskopie eine Klärung herbeigeführt werden.
Ausschluss von Ovarialtumoren bzw. Tubenkarzinomen ist erforderlich bei pathologischem Abstrich und unauffälliger fraktionierter Abrasio oder Hysteroskopie
273
Prätherapeutisches Staging
Grundprinzipien des Staging
Seit 1988 gilt in der FIGO-Klassifikation die chirurgische, d.h. postoperative Klassifizierung (1). Die klinische Klassifizierung findet nur noch bei primär zu bestrahlenden Patientinnen Anwendung. Die chirurgische Stadieneinteilung setzt
eine Hysterektomie und bilaterale Adnektomie sowie eine Lymphadenektomie
voraus. Die Ausdehnung der Operation ist abhängig von den Prognosefaktoren
(histologischer Typ, Myometrium-Infiltration, Grading) und dem individuellen Risikoprofil der Patientin.
Untersuchungen
Notwendige Untersuchungen
Gynäkologische Untersuchung zur Beurteilung der Ausdehnung im kleinen
Becken
Das histologische Ergebnis der fraktionierten Abrasio bzw. des hysteroskopischen Befundes
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen zur Bemessung der Tumorausdehnung
im kleinen Becken bzw. Metastasierung sind
Computertomographie oder Kernspinuntersuchung des Abdomens
Sonographie der Nieren und der Leber
Zystoskopie und Rektoskopie
Röntgenaufnahme des Thorax (in zwei Ebenen bei erhöhtem OP- und Narkoserisiko)
i.v.-Pyelogramm bei klinischem Verdacht auf parametrane Infiltration
Laboruntersuchungen
Notwendige präoperative Laboruntersuchungen
Blutbild
BSG
Elektrolytstatus
Gerinnungsstatus
Harnstoff und Kreatinin
Transaminasen, alkalische Phosphatase, Gamma-GT
Urinstatus
Markerbestimmung bei Adenokarzinom: CA 12-5 (als möglicher Verlaufsparameter bei der Erstuntersuchung).
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Blutzuckerbestimmung
Kreatininclearance
Markerbestimmung CEA
274
Früherkennung, Screening
Screeningverfahren wie Zytologie, endouterines Sampling oder die transvaginale
Ultraschalluntersuchung, sind für asymptomatische Frauen ohne Progenoseverbesserung.
Ein Screening in genannter Form erscheint jedoch sinnvoll für Hochrisikogruppen, wie Frauen mit Adipositas, Diabetes mellitus, Tamoxifen-Medikation oder
Hyperplasien in früheren fraktionierten Abrasiones.
Pathologisch-anatomische Diagnostik
Histopathologische Klassifikation
Die Mehrzahl der Endometriumkarzinome wird vom endometrioiden Adenokarzinom des Endometriums gestellt. Weitere Tumortypen sind seröses Adenokarzinom (serös-papilläres Karzinom), klarzelliges Adenokarzinom, muzinöses Adenokarzinom, Plattenepithelkarzinom, gemischte Typen sowie das undifferenzierte Karzinom (WHO-Klassifikation (2)).
Als Präkanzerose (präkanzeröse Läsion) ist die atypische Endometriumhyperplasie (Endometriumhyperplasie mit Atypie) unumstritten (3). Nach der WHO-Klassifikation wird hierbei zwischen einfacher atypischer Endometriumhyperplasie
(Karzinomrisiko zwischen 5% und 10%) und komplexer atypischer Endometriumhyperplasie (Karzinomrisiko etwa 30%) unterschieden.
Hiervon abzutrennen sind die Hyperplasien ohne Atypie:
Einfache Hyperplasie (simple hyperplasia, glandulärzystische Hyperplasie)
Komplexe Hyperplasie (adenomatöse Hyperplasie Grad I und II, gering- bis
mittelgradige adenomatöse Hyperplasie)
Aufarbeitung des Gewebes
Abrasiomaterial
Das getrennt nach Zervix- und Korpusabradat übersandte Material sollte in Stufen
geschnitten werden (zwei bis drei Stufen). Der Befund muss zur Art der endometrialen Hyperplasie bzw. beim Nachweis eines Karzinoms zum Tumortyp und
Tumorgrading Stellung nehmen. Die Tumortypisierung sowie das Grading erfolgten
nach der WHO-Klassifikation (2). Lässt sich am Abradat nicht sicher entscheiden, ob
es sich um eine atypische Hyperplasie oder bereits um ein gut differenziertes
endometrioides Adenokarzinom (G1-Tumor) handelt, sollte dies erwähnt werden.
Das Grading erfolgt nach den Richtlinien der WHO und ist derzeit dreistufig. Inwieweit ein lediglich zweistufiges Grading mit Unterteilung in eine Low- und
High-grade-Gruppe bedeutsam ist, ist derzeit noch unklar.
Da das seröse (serös-papilläre) Adenokarzinom eine schlechte Prognose, auch in
niedrigem Tumorstadium, aufweist, ist auf ein solches dezidiert hinzuweisen,
selbst bei lediglich fokalem Befall, z.B. eines Korpuspolypen.
Lassen sich histologisch im Zervixabradat Karzinomanteile mit eindeutiger Infiltration endozervikaler Drüsen nachweisen, liegt die Kategorie pT2a vor. Bei Infiltration des endozervikalen Stromas (Myometrium) ist die Kategorie pT2b zu diagnostizieren.
Fehlt eine eindeutige, morphologisch nachweisbare Beziehung zwischen dem
Karzinom und zervikalen Strukturen, handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle
275
um Tumorgewebe, das während der Kürettage disloziert wurde.
Anforderungen an den histologischen Befund beim Abradat:
Art der Läsion (Hyperplasie, Karzinom)
Beim Nachweis eines Karzinoms:
Grading
Ggf. Lymphgefäßeinbrüche
Befall der endozervikalen Drüsen bzw. Infiltration des endozervikalen Stromas
Tumortyp (WHO)
Hormonrezeptorstatus
Hysterektomiepräparat
Während der intraoperativen Schnellschnittuntersuchung sollte der Pathologe
zur Invasionstiefe des Karzinoms in das Myometrium Stellung nehmen. Dies
kann in Einzelfällen aufgrund der morphologischen Aufarbeitung erfolgen, damit alle in der nachfolgenden Liste erforderlichen Angaben erhoben werden
können (4). Der Befunderstellung ist die WHO-Klassifikation zur Tumortypisierung (2) und die pTNM-Klassifikation zur Stadieneinteilung (5) zugrunde zu legen.
Anforderungen an den histologischen Befundbericht bei Hysterektomiepräparat:
Tumortyp (WHO)
Grading (WHO)
Lymph- od. Blutgefäßeinbrüche
Staging (pTNM und FIGO)
Infiltrationstiefe mit Dicke des Restmyometriums
Tumorgröße
R-Klassifikation (UICC)
Bei erfolgter Lymphadenektomie:
Zahl histologisch untersuchter Lymphknoten
Zahl befallener Lymphknoten
Lokalisation der befallenen Lymphknoten
Größter Durchmesser der größten Lymphknotenmetastase
Hormonrezeptorstatus. Dieser kann sowohl biochemisch als auch immunhistologisch bestimmt werden.
E 3.3 Therapie
276
Operation
Behandlung der Endometriumhyperplasie
Einfache (glandulärzystische) Hyperplasie (ohne Atypie): Keine Präkanzerose.
Bei Follikelpersistenz Transformation des Endometriums und Auslösung einer
Abbruchblutung durch Gestagenbehandlung für zehn bis 14 Tage (in der Regel 12.–25. Zyklustag, Einsatz von Medroxyprogesteronacetat 10–20 mg/die
oder äquivalent). In unklaren Situationen, speziell bei uterinen Blutungsstörungen, unbedingt Diagnostik durch Hysteroskopie und Abrasio. Ausschluss
hormonbildender Ovarialtumoren (sonographische Kontrolle, FSH- und
Östradiolbestimmung)
Komplexe (adenomatöse) Hyperplasie (ohne Atypie): Höher dosierte
Gestagentherapie (Medroxyprogesteronacetat 100 mg/d, Megestrolacetat
4 × 20 mg/d p.o.), nach drei Monaten Kontrollkürettage. Bei Persistenz der
Hyperplasie prämenopausaler Patientin mit Kinderwunsch: Wiederholung der
Gestagenthera-pie. Bei peri- und postmenopausaler Patientin: Hysterektomie
Einfache atypische Hyperplasie (Karzinomrisiko bei 5–10%): ähnliches Vorgehen wie bei komplexen Hyperplasie ohne Atypie. Bei noch bestehendem Kinderwunsch: Versuch der konservativen Therapie mit Gestagenen und Wiederholung der Diagnostik mit Abrasio und Hysteroskopie nach drei Monaten. Ist
die Familienplanung abgeschlossen, Rat zur Hysterektomie
Komplexe atypische Hyperplasie (Karzinomrisiko 30%): Vaginale oder abdominale Hysterektomie mit oder ohne Adnexe. Die Entscheidung zur Adnektomie sollte berücksichtigen, dass die endgültige Untersuchung des Hysterektomiepräparates evtl. ein invasives Karzinom zeigen kann. Bei Frauen mit Kinderwunsch (viele falsch positive Befunde!!): Hysteroskopie; konservativ: wie
bei komplexer Hyperplasie ohne Atypien. Ergibt sich eine Persistenz der morphologischen Veränderungen, ist eine Hysterektomie zu empfehlen.
Operative Behandlung des Endometriumkarzinoms
Die operative Behandlung des Endometriumkarzinoms ist in den Stadien I–III
Methode der Wahl. In den Stadien IIIb (Vagina) und IVa ist die Operation allein
meist nicht kurativ. Operative Maßnahmen müssen mit dem kooperierenden
Strahlentherapeuten abgestimmt werden.
Ist histologisch im Rahmen der vorangegangenen Abrasio ein serös-papilläres
Karzinom diagnostiziert worden, sollte, auch bei geringer Infiltrationstiefe, eine
pelvine Lymphadenektomie erfolgen. Ergibt die intraoperative Schnellschnittuntersuchung einen metastatischen Befall, sollte eine paraaortale Lymphadenektomie angeschlossen werden. Der Wert einer radikalen Hysterektomie ohne histologisch verifizierten Befall des endozervikalen Myometriums aufgrund der Histologie eines serös-papillären Karzinoms ist zweifelhaft.
Grundprinzipien der Operation
Fakultativ: präoperativ Einlage eines alkoholfreien Tupfers in den Zervikalkanal
Zugang über untere mediane Laparotomie. Bei sehr alten Frauen, sehr
schlechtem Allgemeinzustand, bei extremer Adipositas oder anderen internistischen Risiken kann ausnahmsweise der vaginale Zugang gewählt werden.
Spülzytologie aus dem Douglas´schen Raum, aus den parakolischen Rinnen
und aus dem subdiaphragmatischen Raum, bzw. zytologische Untersuchung
des Aszites
Inspektion der Bauchhöhle: Beckenorgane, Adnexe, Nachbarorgane des Uterus, pelvine und paraaortale Lymphknoten, Netz, Leber, Zwerchfell und Peritoneum
277
Führung des Corpus uteri mit geraden stumpfen Klemmen, die die Tubenabgänge zusammen mit den Ligamenta rotunda erfassen.
Der exstirpierte Uterus wird sofort dem Pathologen zur Beurteilung der Invasionstiefe des Karzinoms und gegebenenfalls zur Schnellschnittuntersuchung
übergeben.
Die Beurteilung der pelvinen und paraaortalen Lymphknoten ist Bestandteil
des intraoperativen Stagings. Obwohl bis heute der therapeutische Gewinn
einer Lymphadenektomie genau so wenig gesichert ist wie der einer Nachbestrahlung, so ist doch die operative Entfernung einer Lymphknotenmetastase
jeder anderen Therapie überlegen. Gegen eine routinemäßige Lymphadenektomie spricht am meisten die gute Prognose ohne diesen zusätzlichen Eingriff.
Die Entscheidung zur Lymphadenektomie (im Allgemeinen pelvin, ggf. auch
paraaortal) erfolgt deshalb nach Prognosefaktoren. Als Indikation zur Lymphadenektomie gelten:
– Stadium Ic bis IIIb,
– schlecht differenzierte Adenokarzinome (G3-) sowie G2-Karzinome,
– klarzellige und seröse Adenokarzinome sowie Adenokarzinome mit
plattenepithelialer Differenzierung (Adenoakanthome, adenosquamöse
Karzinome) und maligne epithelial-mesenchymale Tumoren (maligne Müller-Mischtumoren).
Die Gewichtung der Faktoren ist ungeklärt. Im Einzelfall richtet sich die Entscheidung zur Lymphadenektomie nach dem Allgemeinzustand der Patientin.
Stadienabhängige Operation
Stadium Ia, Ib
Abdominelle Hysterektomie mit Adnexektomie beiderseits, Lymphadenektomie
abhängig von Risikofaktoren
Stadium Ic
Abdominelle Hysterektomie mit Adnexektomie beiderseits; pelvine und ggf. paraaortale Lymphadenektomie
Laparoskopische Adnexektomie und Lymphadenektomie mit laparoskopisch assistierter vaginaler Hysterektomie in der Erprobung. Ihre therapeutische Sicherheit muss noch bewiesen werden
Stadium IIa, IIb
Erweiterte, radikale Hysterektomie mit Adnexektomie beiderseits; pelvine und
ggf. paraaortale Lymphadenektomie
Ob im Stadium IIa die einfache Hysterektomie die gleichen Heilungsresultate ergibt, wird diskutiert; pelvine und ggf. paraaortale Lymphadenektomie
Stadium IIIa (extrauterine, intraabdominelle Ausdehnung)
Abdominelle Hysterektomie mit Adnexektomie beiderseits; Omentektomie; pelvine und ggf. paraaortale Lymphadenektomie
278
Stadium IIIb (vaginale Ausdehnung)
Je nach Befund, lokaler Operabilität und Allgemeinzustand:
(Erweiterte, radikale) abdominale Hysterektomie mit Adnexektomie, partieller/kompletter Kolpektomie, pelviner und ggf. paraaortaler Lymphadenektomie oder
Hysterektomie, Tumorexzision aus der Scheide und Kontaktbestrahlung der
Vagina oder
Primäre Strahlentherapie: Kontakt- und Perkutanbestrahlung
Stadium IIIc (regionale Lymphknotenmetastasierung)
Abdominelle Hysterektomie mit Adnexektomie beiderseits; pelvine und ggf. paraaortale Lymphadenektomie
Stadium IVa (Tumorausbreitung mit Infiltration von Harnblasenund/oder Rektumschleimhaut)
Homogene, perkutane Bestrahlung des kleinen Beckens
Bei isoliertem Befall von Blase und/oder Rektum ohne paraaortale Lymphknotenmetastasen oder parametrane Ausbreitung: Vordere und/oder hintere Exenteration
Stadium IVb (Fernmetastasen)
Wenn überhaupt, nur kombinierter Einsatz unterschiedlicher Behandlungsmodalitäten (Operation, Bestrahlung, Gestagene, Zytostatika). Zur Blutstillung bei
guter, lokaler Operabilität Hysterektomie. Bei isolierten inguinalen und/oder
operablen intraperitonealen Metastasen Operation wie im Stadium III
Strahlentherapie des Endometriumkarzinoms
Primäre Strahlentherapie
Mit der ausschließlichen Strahlentherapie steht auch bei allgemeiner Inoperabilität eine kurative Behandlungsmethode zur Verfügung.
Im klinischen Stadium I–III: Kombination aus Brachy- und Perkutantherapie.
Eine alleinige Brachytherapie kommt nur bei schwer wiegenden Zweiterkrankungen oder im hohen Alter in Frage.
Im Stadium IVa ist die primäre perkutane Bestrahlung des kleinen Beckens die
Therapie der Wahl.
Postoperative Bestrahlung
Perkutane Hochvoltbestrahlung des kleinen Beckens nur bei Karzinomen mit
hohem Rezidivrisiko. Die Nebenwirkungen einer perkutanen Nachbestrahlung steigen mit der Ausdehnung der Lymphadenektomie.
Intravaginale Brachytherapie
Stadium Ia, Ib:
Keine externe Nachbestrahlung. Intravaginale Brachytherapie bei ungünstigen Prognosefaktoren (gemäß Definition unter „Indikation zur Lymphadenektomie”, siehe Grundprinzipien der Operation letzter Absatz)
279
Stadium Ic:
Intravaginale Brachytherapie. Wurden die Lymphknoten nicht entfernt, so ist
zusätzlich eine perkutane Bestrahlung zu empfehlen. Bei Befall der Lymphknoten erfolgt die Entscheidung zur perkutanen Nachbestrahlung in Abhängigkeit von der Radikalität der Operation und dem Ausmaß des Lymphknotenbefalls. Der Effekt einer perkutanen Strahlentherapie nach vollständiger
Lymphadenektomie mit Lymphknotenbefall ist nicht bewiesen. Radiogene
Komplikationen am Darm und Lymphödeme der Beine sind gehäuft.
Stadien IIa, IIb, III:
Die Entscheidung zur Nachbestrahlung erfolgt in Abhängigkeit von der Radikalität der Operation und dem Ausmaß des histologisch nachgewiesenen Befalls.
Stadium IVa:
Intravaginale Brachytherapie (nur wenn Karzinom in sano entfernt). In allen
anderen Fällen wird eine perkutane Bestrahlung oder eine kombinierte Brachy- und Perkutanbestrahlung vorgenommen.
E 3.4 Systemische Therapie
Die Ergebnisse einer adjuvanten, systemischen Hormontherapie beim Endometriumkarzinom sind enttäuschend (6).Eine adjuvante Chemotherapie ist bis heute nicht indiziert. Eine Ausnahme bildet möglicherweise das seröse Adenokarzinom, bei dem eine Platin-haltige adjuvante Therapie zur Diskussion steht.
E 3.5 Prognosefaktoren
Überlebens- und Heilungsraten hängen im Wesentlichen von der Invasionstiefe
in das Myometrium sowie vom Lymphknotenstatus ab. Weitere morphologische
Faktoren sind das Stadium, der histologische Tumortyp und der Differenzierungsgrad (Grading). Der Wert einer positiven Peritonealzytologie als unabhängiger Prognosefaktor wird unterschiedlich beurteilt. Im Stadium I sind neben Infiltrationstiefe des Endometriums die Gefäßinvasion, die Mitosezahl und ein negativer Progesteronrezeptor statistisch signifikante Prognosefaktoren. Keine
statistische Signifikanz weisen Aneuploidie und eine hohe Proliferationsaktivität
auf. Eine Überexpression von p53 wird in 20% aller endometrioiden Adenokarzinome beobachtet, jedoch in etwa 90% aller serösen Karzinome. Eine Überexpression des Onkogens Her2/neu wird signifikant häufiger bei fortgeschrittenen
im Vergleich zu frühen Tumorstadien beobachtet.
280
E 3.6 Nachsorge
Psychische und soziale Betreuung. Bei der meist günstigen Prognose selten
Einstufung als Schwerbehinderte mit mehr als 50% Behinderungsgrad
Viele behandlungsbedürftige Begleiterkrankungen, 6–10% haben Zweitmalignom (insbesondere Mammakarzinom und Malignome des Magen-DarmTraktes)
Kein striktes Nachsorgeprogramm. Die gynäkologische Untersuchung ist der
wichtigste Teil der Nachsorgeuntersuchung
Sie sollte in den ersten drei postoperativen Jahren in vierteljährlichen Abstand
erfolgen. Eine Früherkennung von Metastasen durch Blutuntersuchung bzw.
bildgebende Verfahren ergibt dagegen keinen therapeutischen Vorteil hinsichtlich des Überlebens
Systemische Östrogen-Gestagen-Substitution im Stadium I bei Tumorfreiheit
möglich
E 3.7 Rezidiv
Im Stadium Ia G1, Ia G2 und Ib G1 nur in 3–4%. 70% aller Rezidive in den ersten
drei Jahren und etwa 80% aller Scheidenrezidive in den ersten zwei Jahren.
Vaginale Rezidive sind einer Therapie zugänglich. Bei Früherkennung liegt die
Fünfjahres-Überlebensrate bei 40–50%. Sie werden durch erneute Operation,
Strahlentherapie oder eine Kombination aus beidem behandelt.
Ist bei einem Rezidiv keine Operation möglich, ist die erste Wahl die Hormontherapie. Das Ansprechen auf eine palliative Gestagentherapie (100–300 mg Medroxyprogesteronacetat/die p.o. oder 80–160 mg Megestrolacetat/die p.o.) ist
vom Rezeptorstatus abhängig.
Wirkungsvolle Zytostatika beim Endometriumkarzinom sind Adriamycin, Cisplatin und Ifosfamid. Die Remissionsdauer beträgt aber nur drei bis vier Monate und
die mediane Überlebenszeit sechs bis acht Monate. Eine Chemotherapie ist deshalb nur indiziert, wenn ein Rezidiv nicht anders behandelt werden kann und
insbesondere dann, wenn erhebliche Beschwerden bestehen.
E 3.8 Rehabilitation
Beim Vorliegen somatischer, seelischer, sozialer oder beruflicher Störungen sollten Rehabilitationsmaßnahmen eingeleitet werden. Hierfür bieten sich sowohl
stationäre als auch teilstationäre (ambulante) Rehabilitationsmaßnahmen an.
Der Organverlust wird vor allem bei jüngeren Frauen als besonders schwer wiegend empfunden und kann zu beträchtlichen psychischen Folgestörungen führen. Neben „roborierenden Maßnahmen” muss den psychischen Problemen eine besondere Beachtung geschenkt werden. Gerade hier hat sich die Mitarbeit
in Selbsthilfegruppen vorteilhaft ausgewirkt.
281
Literatur
1 Pecorelli S (Hrsg) (1998) FIGO Annual report on the results of treatment in
gynaecological cancer, 23rd ed. J Epidemiol Biostat 3: 1–168
2 Scully RE, Bonfiglio TA, Kurman RJ, Silverberg SG, Wilkinson EJ (1994) Histological typing of female genital tract tumours. 2nd ed. WHO International
Histological Classification of Tumours. Springer, Berlin Heidelberg New York
3 Horn LC, Bilek K, Schnurrbusch U (1997) Endometriale Hyperplasien: Histologie, Klassifikation, prognostische Bedeutung und Therapie. Zentralbl Gynäkol 119: 251–259
4 Horn LC, Riethdorf L, Löning T (1999) Leitfaden für die Präparation uteriner
Operationspräparate. Pathologe 20: 9–14
5 Wittekind C, Wagner G (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren, 5.
Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York
6 Vergote I, Kjörstad K, Abeler V, Kolstad P (1989) A randomized trial of adjuvant progestagen in early endometrial cancer. Cancer 64: 1011–1016
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO)
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Prof. Dr. med. G. Bastert, Heidelberg; Prof. Dr. med. M.W. Beckmann, Erlangen;
Dr. med. J.U. Blohmer, Berlin; Prof. Dr. med. G. Dallenbach-Hellwig, Mannheim;
Prof. Dr. med. J. Dunst, Halle; Prof. Dr. med. G. Emons, Göttingen; Prof. Dr. med.
K. Friese, Rostock; Prof. Dr. med. E.-M. Grischke, Heidelberg; Dr. med. L.-C.
Horn, Leipzig; Prof. Dr. med. W. Kleine, Freiburg; Dr. med. Ch. Kurbacher, Köln;
Dr. med. H. Junkermann, Heidelberg; Dr. med. M. Mahlke, Mainz; Dr. med. P.
Melsheimer, Heidelberg; Dr. med. H. Pilch, Mainz; Prof. Dr. med. A. Schneider,
Jena; Prof. Dr. med. K.-D. Schulz, Marburg; PD Dr. med. U. Wagner, Tübingen;
Prof. Dr. med. D. Wallwiener, Tübingen
Beratend haben mitgewirkt
Prof. Dr. med. R. Andreesen, Regensburg (DGHO); Prof. Dr. med. H. Delbrück,
Wuppertal (ARNS); Prof. Dr. med. P. Hermanek, Erlangen (ISTO); Prof. Dr. med. K.
Höffken, Jena (AIO); Prof. Dr. med. H. Sauer, München (ADT); Prof. Dr. med. H.E. Stegner, Hamburg (Deutsche Gesellschaft für Pathologie)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. M.W. Beckmann
Universitäts-Frauenklinik
Universitätsstraße 21–23
D-91023 Erlangen
282
Prof. Dr. Dr. h.c. G. Bastert
Universitäts-Frauenklinik
Vossstraße 9
D-69115 Heidelberg
Fassung vom: Dezember 1999
Gültigkeit der Leitlinie bis: Sommer 2002
Aufgrund der aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse erfolgt zur Zeit eine weitere Überarbeitung der Leitlinie. Mit den Ergebnissen kann im Juni 2002 gerechnet werden.
Die dann aktualisierte Leitlinie wird im Internet unter www.krebsgesellschaft.de
bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
283
E4
Maligne Ovarialtumoren
E 4.1 Klinische Diagnostik
Unter den bildgebenden Verfahren hat die obligat anzuwendende transvaginale
Sonographie gegenüber CT und MRT zur Erkennung des Ovarialkarzinoms den
höchsten Stellenwert. Neben der Beurteilung der Ausdehnung von Tumoren im
kleinen Becken sind mit der MRT darüber hinaus auch nähere Aussagen zur Tumordifferenzierung anhand der Signalunterschiede möglich. Tumormanifestation im Bereich des Diaphragmas und der Leberoberfläche sind im MRT als auch
mit den modernen Mehrzeilendetektor-CTs deutlich darstellbar. Bei unklaren Befunden in der Röntgenuntersuchung der Lunge sollte eine CT zum Staging erfolgen.
Eine genauere Dignitätsbeurteilung nachgewiesener Adnextumore gelingt mit
Hilfe etablierter Kriterien, die eine Einteilung in zystische und solide Tumorkomplexe ermöglichen, aber auch mit so genannten morphologischen Scores, die
auf unterschiedlichen sonographisch erfassbaren Parametern beruhen (u.a.
Struktur des Tumors, Wanddicke, Binnenechos im zystischen Anteil, Septen,
Aszites). Eine definitive Dignitätsbestimmung ist jedoch angesichts der Typenvielfalt der Ovarialtumoren nur mit histologischen Methoden möglich.
Eine sonographische Darstellung der Vaskularisation mit Farbtechnologie
erleichtert die Darstellung von vaskularisierten Tumoranteilen, scheint allerdings
bei großen Raumforderungen keine wesentliche weitere Information zur
Dignitätsbeurteilung zu liefern.
E 4.2 Früherkennung, Screening
Ein Screening mit transvaginalem Ultraschall zur Früherkennung des Ovarialkarzinoms ist möglicherweise in Risikogruppen zu empfehlen.
In der Routine scheint eine im Rahmen einer Früherkennungsuntersuchung erfolgende transvaginale Sonographie zum Nachweis des Ovarialkarzinoms sinnvoll zu sein, insbesondere bei postmenopausalen Patientinnen.
Während bei prämenopausalen Patientinnen, bedingt durch funktionelle Veränderungen am Ovar und gutartige Veränderungen (u.a. Endometriose), eine Aussage zur Dignität erschwert sein kann, erweist sich bei postmenopausalen Patientinnen eine pathologische Veränderung am Ovar in einem höheren Prozentsatz als maligne.
Eine Erweiterung der transvaginalen B-Bild-Diagnostik durch Vaskularisationsnachweis mit Farbtechnologie erhöht die Detektionsrate nicht.
284
E 4.3 Pathologische Diagnostik
Die histologische Klassifikation der Ovarialkarzinome und anderer Ovarialtumoren erfolgt gemäß der aktualisierten WHO Klassifikation (1999).
Die Schnellschnittuntersuchung von Ovarialtumoren kann in eindeutigen Fällen
eine intraoperative Diagnosesicherung und damit ein einzeitiges Vorgehen ermöglichen.
Bei unklarer Befundlage und/oder angestrebter Fertilitätserhaltung ist eine differenzierte morphologische Aufarbeitung des fixierten Operationsmaterials, ggf.
mit zweizeitigem Eingriff vorzuziehen.
Die feingewebliche und damit biologische Heterogenität vieler Ovarialtumoren
macht eine sorgfältige morphologische Begutachtung des gesamten Resektates
mit oft hohem Aufwand erforderlich.
Für die Feststellung des Tumorstadiums gemäß der FIGO-/TNM-Klassifikation ist
eine exakte Erfassung zahlreicher Daten, insbesondere detaillierte Dokumentation des intraabdominellen Befundes, erforderlich, ggf. unter Anwendung einer
entsprechenden Checkliste.
Unter den malignen Tumoren des Ovars stehen die epithelialen in westlichen
Ländern mit über 90% weit im Vordergrund. Dabei wird zwischen BorderlineTumoren (Tumor mit niedrigem Malignitätspotenzial) und invasivem Ovarialkarzinom (maligne Oberflächenstromatumoren nach WHO 1999, Malignant
Common Epithelial Tumors nach FIGO) unterschieden. Klinisch und biologisch
weitgehend ähnlich ist das sog. extraovarielle Peritonealkarzinom (extraovarielles serös-papilläres Karzinom des Peritoneums).
Die Borderline-Tumoren und die Ovarialkarzinome werden nach der WHO-Klassifikation entsprechend dem Zelltyp in seröse, muzinöse (endozervix-ähnlich und
intestinal), endometroide, klarzellige, übergangszellige sowie gemischte Typen
eingeteilt. Den endometroiden Formen werden auch die Adenosarkome, die
mesodermalen (Müller)-Mischtumoren und die Stromasarkome zugeordnet.
Bei den seltenen nicht epithelialen malignen Ovarialtumoren sind die Granulosazelltumoren und die malignen Keimzelltumoren noch am häufigsten.
E 4.4 Prognosefaktoren
Borderline-Tumoren (Low Malignant Potential (LMP-)Tumoren)
Eine unabhängige prognostische Bedeutung weisen auf: Tumorstadium, Lebensalter.
Intestinal-muzinöse Borderline-Tumoren mit Pseudomyxoma peritonei sowie die
seltenen weder serös noch muzinösen Typen (z.B. endometroide oder klarzellige) weisen eine vergleichsweise ungünstigere Prognose auf.
Eine hochsignifikante unabhängige prognostische Bedeutung von DNA-Gehalt/Ploidie wurde retrospektiv von einer Autorengruppe gezeigt, wird jedoch
kontrovers diskutiert.
Ein postoperativ zurückbleibender Tumorrest zeigt bei fortgeschrittenen Borderline-Tumoren (univariat analysiert) eine ungünstigere Prognose an.
285
Eine mögliche, noch nicht abschließend beurteilbare prognostische Bedeutung
weisen auf: Vorhandensein und Art extraovarieller Implantate, zelluläre Atypie
und ihre morphometrische Erfassung, Nachweis von p53, spezielle Subtypen
(z.B. mikropapillärer Typ).
Seröse und muzinöse Borderline-Tumoren mit und ohne Mikroinvasion weisen
nach den bisher vorliegenden Informationen eine gleichermaßen günstige Prognose auf.
Weitere Prognosefaktoren sind in Erprobung. Eine routinemäßige Bestimmung
außerhalb klinischer Studien ist nicht erforderlich.
Ovarialkarzinome
Eine wesentliche unabhängige prognostische Bedeutung weisen auf: Tumorstadium, Differenzierungsgrad, postoperativer Tumorrest, Lymphknotenstatus, Aszitesbildung.
Weitere unabhängige Prognosefaktoren sind: Alter, klinischer Allgemeinzustand
(z.B. Karnofsky-Index), histologischer Typ (eher ungünstig: klarzellige, undifferenzierte Karzinome; eher günstig, da vermutlich chemosensibler: transitionalzellige Karzinome).
Von geringerer, teils kontrovers diskutierter prognostischer Bedeutung sind:
Östrogen- und Progesteronrezeptorstatus, DNA-Gehalt/Ploidie, postoperativer
CA 125-Verlauf.
Zahlreiche weitere Prognosefaktoren sind in Erprobung. Eine routinemäßige Bestimmung außerhalb klinischer Studien ist nicht erforderlich.
E 4.5 Operative Therapie bei Borderline-Tumoren
Prospektive Untersuchungen zum therapeutischen Nutzen unterschiedlich radikaler chirurgischer Strategien liegen bislang nicht vor.
Ein sorgfältiges chirurgisches Staging ist erforderlich und sollte neben der unterschiedlich radikalen Tumorentfernung stets die sorgfältige Inspektion des Abdomens mit Gewinnung einer abdominellen Spülzytologie und peritonealer Biopsien sowie die Omentektomie umfassen.
Eine pelvine und/oder paraaortale Lymphonodektomie fällt bei (scheinbar) auf
das Ovar begrenzten serösen Borderline-Tumoren zwar in 20–30% positiv aus,
ist wegen fehlender prognostischer Relevanz und möglicher Morbidität jedoch
nicht empfehlenswert.
Bei vergleichbaren reinen muzinösen Borderline-Tumoren war eine Lymphonodektomie bislang stets negativ und ist daher nicht angezeigt.
Bei muzinösen Borderline-Tumoren ist wegen der Möglichkeit eines simultanen
muzinösen Tumors des Appendix stets eine Appendektomie im Rahmen der Staging-Laparotomie anzustreben.
Bei postmenopausalen Patientinnen, abgeschlossener Familienplanung oder
ausgedehntem extraovariellem Befall sollte zusätzlich zu den o.g. Maßnahmen
die bilaterale Adnektomie mit abdomineller Hysterektomie erfolgen.
286
Bei prämenopausalen Patientinnen mit Kinderwunsch ist ein fertililtätserhaltendes Vorgehen möglich, sofern eine suffiziente engmaschige Nachsorge gewährleistet ist und die Bereitschaft zu einem ggf. später erforderlichen erneuten chirurgischen Eingriff besteht. Bei unilateralem Borderline-Tumor wird hierbei die
unilaterale Ovarektomie empfohlen, sofern das sonstige sorgfältige Staging negativ ist. Bei beidseitiger Tumorausbreitung scheint die ovarerhaltende Tumor(zysten)exstirpation möglich zu sein.
Die sekundäre prophylaktische operative Entfernung des Restgenitale nach Abschluss der Familienplanung ist vertretbar.
Bei manifestem Rezidiv oder Progress eines Borderline-Tumors ist eine erneute
möglichst vollständige chirurgische Tumorentfernung indiziert.
E 4.6 Operative Primär- und Rezidivtherapie bei Ovarialkarzinomen
Der postoperativ verbliebene Tumorrest ist für Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom der entscheidende Prognosefaktor. Ziel des operativen
Vorgehens ist daher die komplette Tumorresektion, falls diese nicht erreichbar
ist, zumindest eine Reduktion des Tumors auf einen Durchmesser von deutlich
< 1 cm. Hierbei ist für die Größenangabe bei mehreren verbliebenen Tumorherden der größte Durchmesser des Residualtumors maßgeblich.
Die operative Therapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms sollte in spezialisierten Zentren erfolgen, die Therapieergebnisse und damit die Prognose der Patientinnen lassen sich hierdurch verbessern.
Die Primäroperation sollte als „Staging-Laparotomie“ vorgenommen werden
und umfasst: Abdominallängsschnitt, Hysterektomie, Adnexektomie beidseits
mit hoher Resektion der Ovarialgefäßbündel, infragastrische Omentektomie,
Appendektomie, Entnahme von Peritonealbiopsien ggf. mit Resektion von Douglas- und Blasenperitoneum, Entnahme von zytologischen subdiaphragmatischen Abstrichproben und peritonealer Spülzytologie, Entfernung allen suspekten Tumorgewebes. Hierdurch erfolgt die Stadieneinteilung der Tumorerkrankung, von der die weitere postoperative systemische Therapie abhängig ist.
Beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom mit Befall des Mittel- und Oberbauchs
können die zusätzliche Darmresektion (Dünn- und/oder Dickdarm) sowie oberbauchchirurgische Eingriffe (Zwerchfelldeperitonisierung, Splenektomie, Pankreasteilresektion u.a.) die Rate der postoperativen Tumorfreiheit und somit die
Prognose der Patientinnen verbessern. Aufgrund erhöhter perioperativer Morbidität und Mortalität sind oberbauchchirurgische Eingriffe individualisiert zu indizieren.
Der retroperitoneale Lymphknotenstatus beim Ovarialkarzinom ermöglicht eine
prognostische Aussage, der therapeutische Nutzen einer systematischen pelvinen und paraaortalen Lymphadenektomie ist bisher nicht gesichert. Bei intraabdominal erreichbarer Tumorfreiheit wird jedoch beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom aufgrund der hohen Rate des positiven Nodalbefalls die pelvine und
paraaortale Lymphadenektomie empfohlen.
287
Bei jungen Patientinnen, frühem Tumorstadium und gutem Differenzierungsgrad (Stadium FIGO Ia G1) ist bei entsprechend vollständig erfolgter Staging-Laparotomie ein fertilitätserhaltendes operatives Vorgehen vertretbar (Erhaltung
des Uterus und der kontralateralen Adnexe).
Die „Second-look-Operation“ (SLO) ist eine nach Beendigung der Chemotherapie aus diagnostischen Gründen durchgeführte Zweitlaparotomie beim Ovarialkarzinom zur Überprüfung des Therapieerfolges. Diese Operation sollte außerhalb von Studien nicht mehr standardmäßig vorgenommen werden, da die Prognose der Patientinnen hierdurch nicht beeinflusst wird.
Die Intervall- oder Interventionslaparotomie wird nach Primäroperation mit verbliebenem Tumorrest und deutlichem Ansprechen des Tumorrestes auf die postoperative Chemotherapie vorgenommen. Bei erreichbarer Tumorreduktion lässt
sich die Prognose der Patientinnen hierdurch verbessern.
Die Rezidivoperation erfolgt bei Auftreten eines klinisch fassbaren Rezidivtumors, bei erreichbarer Tumorreduktion kann die Überlebenszeit der Patientinnen
verlängert werden. Die Rezidivoperation sollte lediglich beim Spätrezidiv (rezidivfreies Intervall nach Beendigung der Primärtherapie > 12 Monate) vorgenommen werden, bei Patientinnen mit Frührezidiv (rezidivfreies Intervall nach Beendigung der Primärtherapie < 12 Monate) ist die Aussicht auf erreichbare operative Tumorreduktion gering.
E 4.7 Chemotherapie
Ovarialkarzinome vom Borderline-Typ
Ein Nutzen der postoperativen Chemotherapie, intraperitonealen Radionuklidtherapie oder perkutanen Strahlentherapie wurde bei Borderline-Tumoren bislang nicht gezeigt.
Im Stadium I/II ist eine adjuvante Therapie ohne prognostischen Vorteil, mit therapieassoziierter Morbidität/Mortalität belastet und daher nicht indiziert.
Im Stadium III mit postoperativem Tumorrest wurde von manchen Autoren eine
Platin-haltige Chemotherapie mit unterschiedlichem Ansprechen eingesetzt. Ein
therapeutischer Benefit wurde bislang nicht gezeigt.
Im Stadium III mit Vorliegen invasiver extraovarieller Implantate wird von manchen Autoren eine adjuvante Chemotherapie empfohlen. Ein prognostischer
Vorteil wurde bislang nicht gezeigt.
288
Adjuvante Chemotherapie beim Ovarialkarzinom im Stadium I
Low Risk (Stadium Ia/Ib G1): Patientinnen mit einem hochdifferenzierten Ovarialkarzinom der Stadien Ia und Ib (FIGO) profitieren nicht von einer adjuvanten
Chemotherapie. Die Fünfjahres-Überlebensrate liegt nach adäquatem Staging
und chirurgischer Primärtherapie bei > 90%.
High Risk (Stadium Ia/Ib, G3 und Ic): Patientinnen im Stadium Ia und Ib, sofern
der Tumor schlecht differenziert (G3) ist (teilweise werden auch mäßig differenzierte Tumoren, G2 mit eingeschlossen), Patientinnen im Stadium Ic (ohne Berücksichtigung des Differenzierungsgrades), Patientinnen mit ausgeprägtem As-
zites oder mit einem klarzelligen Subtyp profitieren möglicherweise von einer
adjuvanten Therapie. Eine Absenkung des Rezidivrisikos ist wahrscheinlich, eine
Verlängerung der Überlebenszeit möglich.
Primärtherapie der Stadien II–IV
Die primäre Chemotherapie bei Patientinnen mit einem fortgeschrittenen Ovarialkarzinom der Stadien II–IV (FIGO) sollte Platin enthalten.
Cisplatin und Carboplatin sind als Monotherapie oder in Kombination mit Cyclophosphamid ± Anthrazyklinen in der Primärbehandlung des fortgeschrittenen
Ovarialkarzinoms äquieffektiv. Carboplatin besitzt ein günstigeres Toxizitätsprofil.
Die Steigerung des Dosisintensität von Platin bis zum Faktor 2 hat keinen erkennbaren Vorteil gegenüber der Standarddosis von Cisplatin 50–75mg/m2 oder
Carboplatin AUC 4–5, jeweils im Abstand von drei Wochen appliziert.
Insbesondere Patientinnen mit einem ungünstigen Ausgangsbefund (u.a. großer
postoperativer Tumorrest) profitieren wahrscheinlich nicht von einer dosisintensivierten primären Chemotherapie.
Vorteile einer weitergehenden Dosissteigerung (> Faktor2 = Hochdosistherapie)
im Rahmen der Primärtherapie konnten bisher nicht nachgewiesen werden.
Die Behandlungsdauer bei fortgeschrittener Erkrankung sollte fünf bis sechs
Zyklen im Rahmen der Primärtherapie nicht unterschreiten. Eine längere
Behandlungsdauer zeigte bisher keinen Vorteil.
Die Kombination von Platin und Paclitaxel ist der Kombination von Platin und
Cyclophosphamid überlegen und stellt den derzeitigen Standard der Primärtherapie dar. Therapiebegleitend ist eine ausreichende Antiemetikaprophylaxe
erforderlich.
Cisplatin und Carboplatin sind in der Kombination mit Paclitaxel äquieffektiv, die
Kombination Carboplatin/Paclitaxel hat das günstigere Toxizitätsprofil.
Platinkombinationen (ohne Paclitaxel) sind einer Platin-Monotherapie überlegen, wobei für Cisplatin und Carboplatin unterschiedliche Daten vorliegen: eine
Cisplatin-haltige Kombinationstherapie ist einer Cisplatin-Mono- oder Sequenztherapie überlegen, für Carboplatin konnte dieser Effekt bisher nicht nachgewiesen werden.
Die Integration von Anthrazyklinen neben Platin in das primäre Therapieregime
bringt möglicherweise Behandlungsvorteile. Aktuell laufende Therapiestudien
sollen diese Fragestellung definitiv beantworten.
Die Sequenz Primäroperation gefolgt von Chemotherapie kann derzeit als die
Standardbehandlung bei Patientinnen mit fortgeschrittener Tumorerkrankung
angesehen werden. Bei Patientinnen mit großem Tumorrest nach der Primäroperation und dokumentiertem Ansprechen auf die Chemotherapie kann eine Intervalloperation als weitere Therapieoption erwogen werden.
Konsolidierungstherapie/Erhaltungstherapie
Es ist unklar, ob eine Konsolidierungstherapie bei Patientinnen ohne nachweisbaren Tumor nach Abschluss der Primärtherapie (CR, pCR, NED) das Rezidivrisiko
vermindert und/oder das rezidivfreie Intervall und die Gesamtüberlebenszeit verlängert.
289
Intraperitoneale Chemotherapie: Daten aus Phase II-Studien lassen ein mögliches Absenken der Rezidivraten nach i.p Therapie um 10–20% gegenüber nicht
behandelten Kontrollgruppen erkennen.
Die Angaben zur krankheitsfreien Überlebenszeit sind widersprüchlich und lassen zur Zeit keine Vorteile durch eine Konsolidierungstherapie erkennen.
Hochdosis-Chemotherapie („late intensification concept”): In Phase II-Studien
werden bei selektierten Patientenpopulationen mit pCR und PR folgende Angaben zum weiteren Verlauf gemacht: für das krankheitsfreie Überleben werden
Raten von 25–35% und für das Gesamtüberleben Raten von etwa 60% nach
fünf Jahren beobachtet.
Außerhalb klinischer Studien kann eine HD-CT nach abgeschlossener Primärbehandlung für pCR und pPR Patientinnen (chemosensibler Tumor) nicht empfohlen werden.
Bei progredientem oder residuellem Tumor ohne Anzeichen für eine Chemosensitivität nach Abschluss der Primärtherapie ist eine HD-CT nicht indiziert.
E 4.8 Chemotherapie bei Progression oder Rezidiv
290
Zum Nutzen einer medikamentösen Behandlung bei progredienten oder rezidivierenden Borderline-Tumoren liegen bislang keine systematischen Daten vor.
Die therapeutische Entscheidung sollte unter Berücksichtigung der individuellen
Situation fallen.
Trotz deutlich verbesserter Therapieergebnisse bei der Primärbehandlung des
Ovarialkarzinoms wird dennoch die Mehrzahl der Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom ein Rezidiv erleiden. In der Rezidivsituation gibt es derzeit keine kurative Therapie, die Behandlung sollte sich daher neben der Induktion einer Remission insbesondere an der Lebensqualität orientieren.
Patientinnen mit Platin-sensiblen Tumoren (Therapieansprechen auf Platin-haltige Substanzen in der Primärbehandlung) werden auch in der Rezidivsituation
mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Platin-haltige Reinduktionstherapie ansprechen. Mit zunehmendem rezidivfreien (therapiefreien) Intervall steigt die Rate des Therapieansprechens auf die Platin-haltige Chemotherapie.
Patientinnen mit Platin-resistenten Tumoren (kein Therapieansprechen auf die
Platin-haltige Primärbehandlung, kurzes rezidivfreies Intervall < 6 Monate nach
Abschluss der Primärbehandlung oder primäre Tumorprogression unter der
Primärtherapie) werden von einer erneuten Platin-haltigen Therapie nicht profitieren. Monotherapieergebnisse mit unterschiedlichen Substanzen (Etoposid,
Paclitaxel, Topotecan, liposomales Doxorubicin und andere) führen zu Ansprechraten von etwa 20%, hierbei steht mit Treosulfan zusätzlich eine äquieffektive
Substanz mit günstigem Toxizitätsprofil zur Verfügung. Kombinationstherapien
erreichen keine besseren Ergebnisse.
Patientinnen mit Platin- und Paclitaxel-resistenten Tumoren (kein Therapieansprechen auf die Primärbehandlung, rezidivfreies Intervall < 6 Monate nach Beendigung der Primätherapie oder primäre Tumorprogression unter der Primärtherapie) sind analog den Platin-resistenen Patientinnen zu behandeln.
Mit den oben aufgeführten Chemotherapiesubstanzen lassen sich Remissionsraten von etwa 20% induzieren, aufgrund der begrenzten Prognose sollte sich die
Behandlung insbesondere unter Berücksichtigung der Toxizität an der Lebensqualität der Patientinnen orientieren.
E 4.9 Endokrine Therapie
Bei Platin-resistenten Ovarialkarzinomen sind weitere Chemotherapiemöglichkeiten sehr limitiert. Mit den bisher verfügbaren Zytostatika liegen die Ansprechraten bei weniger als 25%. Effekte von diesen Dritt- und Viertlinien-Chemotherapien auf das Überleben sind bisher nicht nachgewiesen. In dieser Situation
stellen nebenwirkungsarme endokrine Therapien eine wichtige therapeutische
Option dar. Auch wenn die objektiven Ansprechraten ebenfalls in einem Bereich
unter 20% liegen und wahrscheinlich sogar etwas geringer sind als die von Chemotherapien, so ist deren Toxizität deutlich geringer. Zumindest bei Patientinnen, die eine weitere Chemotherapie ablehnen oder denen diese wegen der Toxizität nicht mehr zumutbar ist, sollte an eine endokrine Therapie gedacht werden.
Gestagene
Die Analyse der vorliegenden Studien zur Gestagentherapie bei Patientinnen
mit Ovarialkarzinom ergibt eine mittlere Ansprechrate von 7%. Die Rate an
Krankheitsstabilisierungen liegt im Mittel bei 10%. Klinisch relevant sind die
allgemeinen roborierenden Effekte von hoch dosierten Gestagenen, insbesondere die statistisch signifikante Wirkung auf das tumorinduzierte
Anorexie/Kachexie-Syndrom. Die zusätzliche Behandlung mit Östrogenen
erbrachte keine überzeugende Steigerung der Ansprechraten.
Tamoxifen
In der Rezidivsituation führte eine Tamoxifen-Therapie bei 11% der Patientinnen zu einer objektiven Tumorrückbildung. Darüber hinaus ist bei 24% der
Patientinnen mit einem Stillstand der Erkrankung zu rechnen.
Androgene und Anti-Androgene
Androgene haben sich in der Rezidivsituation als unwirksam erwiesen. Die
Ansprechraten von Anti-Androgenen liegen bei weniger als 10%.
GnRH-Analoga
Im Mittel werden etwa 10% objektiver Remissionen und 20% Krankheitsstabilisierungen angegeben. In den einzelnen Studien variieren die Ansprechraten zwischen 0 und 20%.
E 4.10 Strahlentherapie
Die klassische Strahlentherapie des Ovarialkarzinoms ist die Ganzabdomenbestrahlung.
291
Die postoperative Strahlentherapie ist einer systemischen Chemotherapie sowohl hinsichtlich DFS (krankheitsfreies Überleben) als auch OAS (Gesamtüberleben) unterlegen. Die Nebenwirkungen der Strahlentherapie sind vergleichsweise
höher.
Die Gesamtabdomenbestrahlung als Konsolidierungsmaßnahme bei pCR nach
Cisplatin-Chemotherapie (Second look geprüft) ist unwirksam.
Die intraperitoneale Applikation von Phosphor-32(32P) erbringt keinen Vorteil
gegenüber einer systemischen Chemotherapie (Cisplatin, Melphalan).
Durch die Erfolge der Chemotherapie (Platin, Paclitaxel) besteht heute keine Indikation für eine Strahlentherapie beim Ovarialkarzinom.
E 4.11 Neue Therapieansätze
Gentherapie
Gentherapie umschreibt das Einbringen eines Fremdgens in somatische oder
Keimbahnzellen, um die Funktion eines mutierten oder fehlenden Gens zu rekonstruieren oder neue genetische Eigenschaften hervorzurufen.
Die derzeitig in der klinischen Erprobung befindlichen Gentherapie-Konzepte im
onkologischen Bereich konzentrieren sich auf den Versuch, die Zellempfindlichkeit gegenüber Zytostatika durch Integration von Fremdgenen (u.a. p53) zu modulieren, die Toleranz von hämatopoetischen Stammzellen gegenüber Zytostatika durch Transfer von Multi-Drug-Resistance-Genen zu erhöhen oder auf die
Prodrug-Aktivierung.
Die Effektivität solcher Verfahren wird derzeit in weiterführenden klinischen Studien überprüft.
Immuntherapie
Das Prinzip einer Immuntherapie umfasst die Erzeugung einer Interaktion zwischen Tumorzellen und Abwehrsystem.
Derzeit steht der Einsatz monoklonaler Antikörper aufgrund ihrer Effektivität
und der weniger komplizierten Applikationsweise (CA 125, Her2-neu, HMFG-1,
Anti-Idiotypen-Antikörper) im Vordergrund.
Obgleich die beschriebenen immunologischen Ansätze Erfolg versprechend erscheinen, stehen zur Zeit Ergebnisse größerer randomisierter Studien zur Überführung in die klinische Routine noch aus.
E 4.12 Maligne Keimzelltumoren
292
Unter der Voraussetzung eines sorgfältigen chirurgischen Stagings ist im Stadium I die einseitige Adnexektomie und Erhaltung der Fertilität möglich.
Bei sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung gilt dies auch für Tumoren in fortgeschrittenen Stadien.
Mit Ausnahme von reinen Dysgerminomen Stadium Ia sowie malignen Teratomen Stadium Ia und Differenzierungsgrad 1 ist eine postoperative Chemotherapie indiziert.
Die Chemotherapie muss in jedem Fall eine Platin-haltige Substanz enthalten.
Die Kombination von Bleomycin, Etoposid und Cisplatin (BEP-Schema) ist derzeit
als die Therapie der Wahl anzusehen.
Obgleich die ausreichende Anzahl der Therapiezyklen nicht eindeutig definiert
ist, erscheinen in der adjuvanten Situation im Stadium I oder nach makroskopisch kompletter Tumorentfernung drei Zyklen ausreichend.
Bei Tumorpersistenz oder Rezidiv nach primärer Platin-haltiger Chemotherapie
ist bei 40% der Patientinnen durch die VAC-Therapie (Vincristin, Actinomycin,
Cyclophosphamid) noch eine Heilung möglich.
E 4.13 Sonderfälle
Klarzelliges Karzinom
Klarzellige Karzinome treten gehäuft als lokal im kleinen Becken wachsende Tumoren auf, seltener sind sie diffus peritoneal ausgedehnt. Die klarzelligen Tumoren sind nicht selten mit einer Endometriose vergesellschaftet und nur in 1%
doppelseitig. Rupturen während der Operation sind häufig, wobei es in diesen
Fällen im weiteren Krankheitsverlauf oft zu einem ausgedehnten peritonealen
Rezidiv kommt. Die klarzelligen Karzinome sind im Allgemeinen refraktär gegenüber einer Platin-haltigen Chemotherapie.
Granulosazelltumor
Allgemeines
Granulosazelltumoren sind prognostisch günstige Geschwülste mit malignem
Potenzial. Sie stellen etwa 5% der malignen Ovarialtumoren mit einer Inzidenz
von 0,7/100 000. Im Unterschied zu den typischen invasiven Ovarialkarzinomen
sind sie bei Diagnose häufiger im Stadium I. Man unterscheidet adulte Granulosazelltumoren, die ab dem dritten bis vierten Lebensjahrzehnt auftreten, von
den sehr viel selteneren juvenilen Formen in den ersten zwei Dekaden. Für beide
Subtypen betragen die Zehnjahres-Überlebensraten mehr als 90%. Spätrezidive
sind beim adulten Typ allerdings nicht selten.
Diagnostik
In etwa 80% der Fälle sind endokrine Symptome zu beobachten, meist Zeichen
einer Östrogenwirkung. Sie sind in 95% einseitig, wachsen in großen Tumoren
und zeigen im Allgemeinen keine miliare peritoneale Metastasierung. Neben
den konventionellen Hormonparametern ist Inhibin ein sensitiver Serummarker.
Aufgrund der aufwändigen Bestimmungsmethode ist jedoch der Labortest nur
selten verfügbar.
Prognosefaktoren
Als prognostisch bedeutsam gelten das Stadium, die Ruptur, der Differenzierungsgrad, die Mitosefrequenz, das Alter über 40 Jahren und die Tumorgröße
von über 15 cm. Von besonderer prognostischer Bedeutung ist der Lymphknotenstatus.
293
Therapie
Operativ vollständige Tumorentfernung. Während bei jungen Frauen fertilitätserhaltend operiert werden kann (Abrasio indiziert s.u.), sollte bei älteren Patientinnen neben der notwendigen pelvinen und paraaortalen Lymphonodektomie
wegen des häufig simultan auftretenden Endometriumkarzinoms der Uterus
entfernt werden.
Die Indikation zur Chemotherapie erfolgt bei ovarübergreifender Ausbreitung in
Anlehnung an das Vorgehen bei Ovarialkarzinomen. Neben den Standardsubstanzen können Kombinationen gewählt werden, wie sie auch bei der Behandlung der Keimzelltumoren zum Einsatz kommen (Cisplatin, Vinblastin, Etoposid,
Bleomycin).
Da Granulosazelltumoren strahlensensibel sind, kann in Einzelfällen auch die
Strahlentherapie erwogen werden.
Maligner mesodermaler (Müller-)Mischtumor
Dieser Tumortyp wird nach der WHO-Klassifikation als Sondertyp des endometroiden Ovarialkarzinoms eingeordnet. Die Tumoren treten vorwiegend postmenopausal auf und werden meist erst in weit fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert. Zur Behandlung dieser prognostisch ungünstigen Malignome werden
nach der Operation Ifosfamid und Platinkombinationen (ggf. in Verbindung mit
einem Anthrazyklin) empfohlen.
Wie im Endometrium kennt man auch im Ovar Adenosarkome und primäre, reine Sarkome.
E 4.14 Nachsorge
294
Inhalt der Nachsorge ist die Erkennung der Rezidiverkrankung, die Erkennung
und Behandlung therapieassoziierter Nebenwirkungen (gastrointestinale Morbidität, Parästhesien, sekundäre Malignome, Hormonausfallserscheinungen), die
psychosoziale Betreuung sowie die Lebensqualität der Patientinnen.
Art und Intervalle der Nachsorgeuntersuchungen müssen sich in erster Linie
nach der Modalität der Primärtherapie, deren Sekundärfolgen sowie nach den
Prognosefaktoren (Tumorstadium, Differenzierungsgrad des Tumors u.a.) ausrichten. Während einer Langzeitchemotherapie ergeben sich zwangsläufig kurze Intervalle von einer bis vier Wochen, während nach dem Abschluss therapeutischer Maßnahmen und bei klinischer Vollremission dreimonatige Intervalle
während der ersten beiden Jahre nach der Primärtherapie sinnvoll sind. Ab dem
dritten Jahr nach Primärtherapie scheinen sechsmonatige Untersuchungsintervalle ausreichend zu sein. Für palliativ zu behandelnde Patientinnen sind die
Untersuchungsintervalle oder die Art der Untersuchungen den individuellen
Gegebenheiten entsprechend zu wählen.
Eine Hormonsubstitution scheint ohne erhöhtes Rezidivrisiko möglich zu sein,
bei endometroider Histologie sollte die Östrogengabe mit einem Gestagen kombiniert werden.
Eine Erhöhung des Tumormarkers CA 12.5 weist mit hoher Sensitivität und Spezifität auf das Vorliegen eines Rezidivs hin. Eine routinemäßige aufwändige apparative Diagnostik (Computertomographie, NMR, PET u.a.) ist somit bei unauffälligem klinischem und laborchemischem Befund verzichtbar.
Bei klinischem oder laborchemischem Verdacht auf das Vorliegen einer Rezidiverkrankung ist die apparative Diagnostik (Sonographie, Computertomographie,
NMR, PET u.a.) indiziert.
Bei alleiniger Erhöhung des Tumormarkers ohne klinisch oder apparativ fassbares Rezidiv kann eine Laparoskopie oder Laparotomie erwogen werden, die Einleitung einer Chemotherapie ohne vorherige Sicherung des Rezidivs ist nicht gerechtfertigt.
Patientinnen mit kurzem rezidivfreiem Intervall (< 12 Monate nach Beendigung
der Primärbehandlung) sind insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Palliation zu behandeln.
Patientinnen mit längerem rezidivfreiem Intervall (>12 Monaten nach Beendigung der Primärtherapie) können von einer operativen und chemotherapeutischen Behandlung profitieren.
E 4.15 Rehabilitation bei Ovarialkarzinom
Die Operation, Chemotherapie und/oder Strahlentherapie können mit erheblichen somatischen Folgestörungen einhergehen. Diese, ebenso wie die Auswirkungen des Tumorleidens, können Grund für eine Rehabilitationsmaßnahme
sein. Stehen onkologische und soziale Rehabilitationsziele im Vordergrund, so
sollten die Möglichkeiten einer wohnortnahen Rehabilitation bevorzugt werden.
Angehörige müssen mit in die Rehabilitation einbezogen werden.
Verfahren der Konsensbildung
Erstellung durch Mitglieder der Organkommission Ovar der Arbeitsgemeinschaft
für Gynäkologische Onkologie (AGO):
Prof. Dr. T. Bauknecht, Köln; Dr. G. P. Breitbach, Neunkirchen; PD Dr. A. duBois,
Wiesbaden; Prof. Dr. G. Emons, Göttingen; Prof. Dr. E.-M. Grischke, München;
Prof. Dr. W. Jäger, Erlangen; PD Dr. F. Kommoss, Mannheim; Prof. Dr. R. Kreienberg, Ulm; Prof. Dr. W. Kuhn, Bonn; PD Dr. H. J. Lück, Hannover; Prof. Dr. H.
Meden, Rothenburg/Wümme; Prof. Dr. H. G. Meerpohl, Karlsruhe; Prof. Dr. W.
Meier, Düsseldorf; Prof. Dr. J. Pfisterer, Kiel; Prof. Dr. W. Schröder, Bremen; PD
Dr. U. Wagner, Tübingen.
Beratend haben mitgewirkt
Arbeitsgemeinschaften der Deutschen Krebsgesellschaft:
Abteilung Experimentelle Krebsforschung – Pathologie und Diagnostik (AEK-P)
Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO)
Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
Arbeitsgemeinschaft für Radiologische Onkologie (ARO)
295
Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Nachsorge (ARNS)
Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Onkologie (CAO)
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaften:
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
Deutsche Gesellschaft für Pharmakologie
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie
Deutsche Röntgengesellschaft
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)
296
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordinator:
Prof. Dr. W. Kuhn
Universitäts-Frauenklinik
Rhein. Friedrich-Wilhelms Universität in Bonn
D-53105 Bonn
Erste Fassung: Januar 2000
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
297
E5
Vaginalkarzinom
E 5.1 Definition
Das typische primäre Karzinom der Vagina ist ein Plattenepithelkarzinom. Die Inzidenz liegt bei 0,4/105 Frauen pro Jahr, die eines Carcinoma in situ der Vagina
bei 0,2/105. In ca. 30% geht ein intraepitheliales oder invasives Zervixkarzinom
voraus. Die meisten malignen Tumoren in der Vagina sind per continuitatem aus
der Zervix, der Vulva, der Urethra oder der Harnblase in die Vagina eingewachsen. Ist die Portio befallen und die Region des Muttermundes erreicht, gilt der
Tumor als Zervixkarzinom, ist die Vulva gleichzeitig befallen, gilt der Tumor als
Vulvakarzinom. Daneben ist die Vagina häufig Lokalisation von Metastasen genitaler Tumoren. Diese in der Vagina wachsenden sekundären Malignome werden nicht berücksichtigt. Das mittlere Alter der Patientinnen mit primärem Vaginalkarzinom liegt zwischen 60 und 65 Jahren. Ätiologisch wichtig ist eine Infektion mit HPV 16.
E 5.2 Diagnostik
Asymptomatische Patientinnen
Bei auffälliger Abstrichzytologie und kolposkopisch unauffälliger Zervix uteri ist
die Vagina mittels Kolposkopie, gezielter Abstrichzytologie und ggf. Biopsie abzuklären.
Diagnostik bei symptomatischen Patientinnen
Die Symptomatik unterscheidet sich nicht von der des Zervixkarzinoms: Blutiger
Fluor und irreguläre Blutungen.
Gynäkologische Untersuchung
52% aller primären Vaginalkarzinome sind im oberen Scheidendrittel und 58%
an der Hinterwand lokalisiert. Man findet eine flächenhafte Infiltration der
Scheidenhaut, einen exophytisch papillären Tumor oder ein kraterförmiges Ulkus. Vor dem Einführen der Spekula muss durch Abtasten des Introitus vaginae
ein im äußeren Drittel gelegenes Vaginalkarzinom ausgeschlossen werden.
Diagnostische Biopsie
Die Diagnose erfolgt ggf. durch kolposkopisch gezielte Biopsie.
298
Prätherapeutisches Staging bei Karzinom
Grundprinzipien des Stagings
Die Stadieneinteilung erfolgt klinisch unter Beachtung der für die Einteilung des
Zervixkarzinoms geltenden Richtlinien nach den Empfehlungen der FIGO (FIGO
2001). Als Vaginalkarzinom sollte nur ein Tumor bezeichnet werden, dessen primärer Sitz die Vagina ist. Bei Endometriumkarzinom, Zervixkarzinom oder Vulvakarzinom oder Vulvakarzinom in der Anamnese sollte eine vaginale Metastasierung durch Vergleich der histologischen Befunde ausgeschlossen werden.
Gynäkologische Untersuchung (obligat)
Kolposkopie zur Untersuchung der Ausdehnung in der Vagina. Beachtenswert ist eine mögliche Multizentrizität
Palpation des Introitus vaginae, der Parakolpien, der Beckenwände, der Parametrien und des inneren Genitale
Ausschluss eines anderen Genitalkarzinoms (fakultativ)
Kolposkopische Beurteilung von Zervix und Vulva, ggf. gezielte Biopsie zum
Ausschluss eines primären Zervix- und eines primären Vulvakarzinoms
Fraktionierte Abrasio zum Ausschluss eines primär stummen Zervix- oder eines Endometriumkarzinoms bei Adenokarzinom in der Vagina
Endoskopische Untersuchungen (obligat)
In Abhängigkeit vom Sitz und der Histologie:
Ggf. Urethrozystoskopie zum Ausschluss eines primären Urethra- oder Blasenkarzinoms, bzw. zur Abklärung der Ausdehnung auf Urethra oder Blase
besonders bei Befall der vorderen Scheidenwand
Ggf. Prokto-Rektoskopie zum Ausschluss eines primären Rektumkarzinoms
bzw. zur Abklärung der Ausdehnung auf das Rektum besonders bei Befall der
hinteren Scheidenwand
Untersuchung mit bildgebenden Verfahren (fakultativ)
Röntgen-Thorax, Lebersonographie
Sonographie der ableitenden Harnwege
Sonographie des inneren Genitale
MRT des Beckens resp. CT der Iliakal-und Paraaortalregion sind individuell zu
indizieren; die lokale Ausdehnung auf Nachbarorgane und eine pathologisch
veränderte Lymphknotendarstellung können die Therapieplanung beeinflussen.
Früherkennung, Screening
Eine Früherkennung auch kleiner präinvasiver Epithelatypien ist prinzipiell durch
Kolposkopie und Zytologie möglich. Die Fehlerrate ist jedoch wegen der schlechten Überschaubarkeit der Vagina höher als beim Zervixkarzinom. Wegen der Seltenheit der Erkrankung ist ein allgemeines Screening nicht angezeigt.
299
Pathologische Diagnostik
Histomorphologische Diagnostik
Intraepitheliale Neoplasie (VAIN)
Eine herdförmige Dysplasie resp. ein Carcinoma in situ der Scheide unterscheiden sich in ihrem Aufbau nicht von einem solchen der Zervix und werden heute
dementsprechend als Vaginale Intraepitheliale Neoplasie bezeichnet.
Invasives Karzinom
90–95% aller malignen Tumoren der Vagina sind epithelialen Ursprungs und
90% Plattenepithelkarzinome.
Aufarbeitung des Operationspräparates
Das Kolpektomie-Präparat wird topographisch orientiert aufgespannt und aufgearbeitet. Evtl. anhängende Organe wie Uterus sowie die regionalen Lymphknoten werden wie bei Zervixkarzinomen aufbereitet: Üblicherweise werden
nach genauer Vermessung des Tumors radiär vier, je nach Größe der Zervix auch
mehr, möglichst großflächige Gewebsstücke entnommen und eingebettet. Die
Parametrien werden sagittal, die Scheide horizontal in Stufen geschnitten.
Lymphknoten werden gezählt, in regional gegliederten Gruppen eingebettet
und in Stufen geschnitten.
Angaben für den Kliniker
Der Kliniker benötigt exakte Angaben über die Größe und Ausdehnung des
Primärtumors, die Abtragungsränder, den Befall von Lymphknoten, die histologischen Typ des Karzinoms und Angaben über den Differenzierungsgrad.
E 5.3 Therapie
Therapie bei intraepithelialer Neoplasie
Das Vorgehen hängt wesentlich von der Verteilung und vom Schweregrad der
Läsion ab. Die Sicherung der Diagnose kann nur über Biopsien – bei ausgedehnten oder multizentrischen Fällen an multiplen Stellen – und histologische Diagnose erfolgen.
Verteilung
Umschrieben
VAIN 1
Beobachtung oder
Exzision
Multizentrisch, Beobachtung
ausgedehnt
a
300
b
VAIN 2
VAIN 3
Exzision
Exzision
Komplette Exzision Komplette Exzision
(ggf. Kolpektomiea) (ggf. Kolpektomiea)
oder Destruktion,
oder Destruktionb
b
oder Beobachtung
Bei resektiven Verfahren ist die Erkennung einer Frühinvasion am Op-Präparat
möglich
Bei inoperablen Patientinnen alternativ Kontaktbestrahlung
Therapie bei invasivem Karzinom
Hinweise zu Auswahl des Therapieverfahrens
Beim Vaginalkarzinom wird häufig die primäre Strahlentherapie der Operation
vorgezogen. In den Jahren 1987–89 wurden international von 209 primären Vaginalkarzinomfällen 30,1% primär operiert. Im Stadium I waren es 53,7%, im Stadium II 29% (FIGO 2001). Die Entscheidung, ob Operation oder (primäre) Strahlentherapie richtet sich nach der primären Ausdehnung und der Lokalisation des
Tumors, dem Können des Operateurs, dem Allgemeinzustand der Patientin und
den impliziten Folgen (Strahlentherapie: Spätfolgen an Darm und Blase, trockene, verklebte Vagina, selten Fistelbildungen. Operation: Verlust der Vagina, Neovagina nötig, sehr großer Eingriff, häufig loko-regionäre Rezidive). Da die Kombination der beiden Methoden von wesentlich mehr Komplikationen belastet ist,
ohne gesicherte Vorteile zu bringen, ist die primäre Entscheidung sehr schwierig
und muss sich auf besondere Erfahrung stützen. Bildgebende Verfahren können
nur wenig zur Entscheidung beitragen. Bei jüngeren Frauen in der Prämenopause kann eine explorative Laparotomie zur Lymphknotendiagnostik bzw. zur Verlagerung der Ovarien vorgeschaltet werden.
Vorgehen im Stadium I
Umschrieben kleine Läsionen werden lokal im Gesunden exzidiert.
Alle anderen Tumoren werden mit Modifikationen in Abhängigkeit von der Lokalisation operiert:
Oberes und mittleres Scheidendrittel: Kolpektomie mit Parakolpien bis 2 cm
im Gesunden, ggf. mit radikaler Hysterektomie, iliakaler und evtl. paraaortaler
Lymphonodektomie (bei Befall der hinteren Scheidenwand sind die tiefen iliakalen und pararektalen Lymphknoten die ersten Metastasierungsorte)
Unteres Scheidendrittel: Kolpektomie mit Parakolpien bis 2 cm im Gesunden,
ggf. Hysterektomie, inguino-femorale Lymphonodektomie
Nach Kolpektomie ist ein Scheidenersatz mit der Patientin zu diskutieren.
Vorgehen im Stadium II und III
Die operative Therapie ist auch bei ausgedehntem Tumorbefall indiziert bei:
Erwartungsgemäß strahlenresistenten Malignomen (z.B. bei Melanomen, Sarkomen)
Ausgedehntem vulvo-vaginalem Karzinom als Teil eines kombinierten Vorgehens: Radiotherapie der inneren Tumormanifestationen (pelvine Perkutanbestrahlung, adaptierte intravaginale Brachytherapie) und Vulvektomie mit inguino-femoraler Lymphonodektomie
Die Therapie der Wahl bei den anderen Fällen dieses Stadiums ist die primäre Radiotherapie als Kombination aus Brachytherapie und perkutaner Teletherapie.
Bei Tumorsitz im distalen Vaginaldrittel ist eine Bestrahlung der Leisten indiziert.
Die Kombination mit einer Chemotherapie verspricht nach ersten Untersuchungen höhere Ansprechraten, sodass die Radiochemotherapie bei gutem Allgemeinzustand vorzuziehen ist.
301
Zur Brachytherapie
Verwendung eines Kolpostaten aus Plexiglas, Plastik oder Hartgummi, der einen
definierten Abstand zwischen Strahlenquelle und Scheidenwand garantiert. Die
meiste Erfahrung besteht mit 226Radium, das aber aus Strahlenschutzgründen
heute durch 137Cäsium oder 192Iridium unter Afterloading-Technik eingesetzt
wird. Die zur Vulva hin abnehmende Strahlentolerenz zwingt dazu, introitusnahe Karzinome geringer zu bestrahlen.
Zur perkutanen Strahlentherapie
Mit wenigen Ausnahmen (inoperable Patientin im Stadium I) muss die Kontaktbestrahlung durch eine perkutane Teletherapie ergänzt werden. Dabei muss das
Beckenzentrum ausgespart werden. Die Bestrahlung der Parakolpien, der Parametrien und der Lymphabflussgebiete an den Beckenwänden erfolgt mit Photonen oder Telekobalt bis zu einer Gesamtdosis von 50–60 Gy an der Beckenwand.
Interstitielle Spickung
Die transperineale Spickung mit 192Iridium- oder 137Cäsium-Nadeln ist besonders
bei introitusnahen ausgedehnten Tumormassen eine sehr gute Ergänzung – allerdings nicht ohne erhebliche Spätmorbidität.
Vorgehen im Stadium IV
Bei bereits existenter oder drohender Blasen- oder Rektumscheidenfistel ist eine
organübergreifende Operation i.S.e. Exenteration mit Rekonstruktion des Reservoirorgans angezeigt.
Primäre (neoadjuvante) Radiochemotherapie
Im Rahmen eines multimodalen Vorgehens kann bei ungünstigen T3- oder T4Tumoren eine vorgeschaltete Radiochemotherapie mit einer nachfolgenden
radikalen Operation sinnvoll sein.
Indikationen für eine adjuvante Radiotherapie
Plattenepithelkarzinome sind überwiegend strahlensensibel. Die Nachbestrahlung kann ungeeignetes Operieren an der Vagina und in den Lymphabflussgebieten nicht vollständig ausgleichen, sodass eine sorgfältige Abwägung der Modalitäten im Vorfeld erfolgen muss.
Die postoperative Radiotherapie kann in Analogie zum Vulvakarzinom angezeigt
sein bei:
Zwei oder mehr befallenen Lymphknoten
Kapseldurchbruch und/oder Ausdehnung des Tumorwachstums in das umliegende Gewebe
Verzicht auf operative Lymphonodektomie wegen eingeschränkter allgemeiner Operabilität
Tumorresektion zu knapp im Gesunden oder R1- bzw. R2-Resektion
302
Zur Chemotherapie
Erfahrungen mit der Anwendung von Zytostatika bei primären Plattenepithelkarzinomen der Vagina fehlen. Im Einzelfall bzw. bei entsprechender Indikation
(Beschwerden durch Tumorprogression, die weder durch Strahlentherapie noch
durch Operation beeinflusst werden können), besteht die Möglichkeit eines Therapieversuchs mit einer Kombinations-Chemotherapie mit Cisplatin und ggf. Taxanen.
E 5.4 Nachsorge
Die Nachsorge (drei Jahre alle drei Monate, zwei Jahre alle sechs Monate, dann
jährlich) entspricht der bei allen anderen gynäkologischen Karzinomen. Essenziell ist dabei die präzise lokale Untersuchung mit Vulvoskopie und Zytologie. In
Abhängigkeit vom Stadium und Umfang der Primärtherapie ist auch auf CT bzw.
MRT zurückzugreifen.
E 5.5 Rezidiv
Lokales/Loko-regionäres Rezidiv: Operative Entfernung im Gesunden. Wenn
keine Vorbestrahlung, alternativ Strahlentherapie
Inoperables Rezidiv im bestrahlten Bereich: Palliation, Schmerztherapie
Fernmetastasen: Bei Beschwerden Operation oder Chemotherapie, ggf. Radiatio
Literatur
1 FIGO (2001) Annual Report on the Results of Treatment in Gynaecological
Cancer. 24th vol. J Epidem Biostat 6: 141–152
2 Fournier von D, Leppien G, Junkermann H (1991) Präneoplasien oder Neoplasien der Vagina. In: H Schmidt-Matthiesen (ed) Klinik der Frauenheilkunde
und Geburtshilfe, Band 11, 3. Aufl. Urban & Schwarzenberg, München,
pp 105–127
3 Fu YS, Reagan JW (1989) Epithelial neoplasms of the vagina. In: Pathology of
the uterine cervix, vagina and vulva. Saunders, Philadelphia, pp 193–224,
4 Henson D, Tarone R (1977) An epidemiologic study of cancer of the cervix,
vagina and vulva based on the Third National Cancer Survey in the United
States. Am J Obstet Gynecol 129: 525–532
5 Hughes-Davies L, Silver B, Kapp DS (1995) Parametrial interstetial brachytherapy for advanced or recurrent pelvic malignancy: the Harvard/Stanford
experience. Gynecol Oncol 58: 24–27
6 Kirkbride P, Fyles A, Rawlings A, Macnhul L, Levin W, Murphy KJ, Simm J
(1995) Carcinoma of the vagina – experience at the Princess Margret-Hospital (1974–1989). Gynecol Oncol 56: 435–443
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7 Perez CA, Gersell DJ, Hoskins WJ, McGuire III WP (1992) Vagina. In: Hoskins,
WJ, Perez CA, Young RC (eds) Principles and practice of gynecologic oncology. Lippincott Philadelphia, pp 567–590
8 Urbanski K, Kojs Z, Reinfuss M, Fabisiak W (1996) Primary invasive vaginal
carcinoma treated with radiotherapy: analysis of prognostic factors. Gynecol
Oncol 60: 16–21
Verfahren der Konsensbildung
Erstellung durch eine Expertengruppe der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische
Onkologie (AGO) der Deutschen Krebsgesellschaft:
Mitglieder der Arbeitsgruppe waren
Dr. S. Ackermann, Erlangen; Dr. P. Hantschmann, München; PD Dr. V. Küppers,
Düsseldorf; Prof. Dr. R. Kürzl, München; Prof. Dr. A. Pfleiderer, Freiburg; Prof. Dr.
H.-G. Schnürch, Neuss (Federführung); Prof. Dr. W. Schröder, Bremen; PD Dr. D.
W. Weikel, Ludwigshafen; Prof. Dr. H. H. Zippel, Hanau
Die Leitlinie wurde folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
304
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. H.-G. Schnürch
Frauenklinik
Lukaskrankenhaus
Preussenstraße 84
D-41464 Neuss
Prof. Dr. Dr. h.c. G. Bastert (AGO)
Universitäts-Frauenklinik
Vossstraße 9
D-69115 Heidelberg
Aktuelle Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
305
306
Urologie
F
307
308
F1
Nierenzellkarzinom
F 1.1 Grundlagen
Epidemiologie
Das Nierenzellkarzinom ist mit einem Anteil von 1% bis 2% an allen soliden Tumoren eher selten, jedoch nach dem Prostata- und Blasenkarzinom das dritthäufigste urologische Malignom. Pro Jahr ist in Deutschland mit etwa 11000 Neuerkrankungen zu rechnen; die Inzidenz nimmt weltweit zu. Männer sind etwa 1,5mal häufiger betroffen als Frauen; das durchschnittliche Prädilektionsalter liegt
bei 61 Jahren. Epidemiologisch scheinen Rauchen, Übergewicht und hormonelle
Faktoren eine gewisse Rolle zu spielen. Gesicherte Faktoren sind eine chronische
Niereninsuffizienz, die von Hippel-Lindau`sche Krankheit, eine positive Familienanamnese und die Tuberöse Sklerose (sekundäre Entartung primär benigner Angiomyolipome).
Pathologie
Solide Tumoren der Niere sind überwiegend (95%) Nierenzellkarzinome. Differenzialdiagnostisch kommen selten Onkozytome, Urothelkarzinome, Sarkome,
Lymphome oder Metastasen anderer Malignome in Betracht; der häufigste benigne Tumor ist das Angiomyolipom. Die pathologische Typisierung unterscheidet die häufigen hellzelligen Karzinome (80%) von den chromophilen (10–15%)
und den chromophoben Karzinomen (5%). Das hellzellige und das chromophile
Karzinom nehmen ihren Ursprung vom proximalen Tubulus; das chromophile
Karzinom entwickelt sich vom distalen Tubulus. Molekulargenetisch entspricht
das hellzellige Karzinom dem nichtpapillären Tumor mit typischen Veränderungen vor allem auf dem kurzen Arm von Chromosom 3. Eine Sonderstellung
nimmt das Onkozytom ein (bis 4% der Tumoren). Es metastasiert nicht und hat
eine gute Prognose.
Staging
Die pathologische Beschreibung umfasst neben der Typisierung und dem Grading die Stadienerfassung (Staging) nach dem TNM-System.
Prognose
Der entscheidende Faktor für die Prognose des Nierenzellkarzinoms ist die Metastasierung; die mittlere Überlebenswahrscheinlichkeit beträgt ein Jahr nach
der Diagnose einer Metastasierung nur noch etwa 50%. Durch den ubiquitären
Einsatz der Sonographie werden die meisten Tumoren heute allerdings in einem
frühen Stadium entdeckt; die Prognose hängt dann hauptsächlich vom Lymphknotenstatus ab, weniger von der Tumorkategorie bzw. der Tumorgröße (Tabelle 1).
309
Tabelle 1. Prognose des Nierenzellkarzinoms.
Stadium der Erkrankung
Metastasierung/Prognose
Primärtumor < 3 cm
Primärtumor begrenzt auf die Niere
Positive regionäre Lymphknoten
Metastasierung
Metastasierung < 5%
Metastasierung < 20%
Metastasierung bei 90%
Mittlere Überlebenszeit <12 Monate
F 1.2 Klinik
Die früher als typisch herausgestellte Symptomentrias Flankenschmerz, tastbarer
Tumor und Hämaturie wird heute nur noch selten und bei lokal weit fortgeschrittenen Tumoren angetroffen. Solche Tumoren können wegen ihrer Größe
schmerzhaft und gelegentlich tastbar sein. Eine Hämaturie ist eher Spätsymptom (Infiltration des Tumors in das Nierenhohlsystem). Dies gilt auch für
subfebrile Temperaturen bzw. allgemeine Tumorsymptome (Leistungsminderung, Gewichtsverlust, paraneoplastische Syndrome), die meist Folge einer
bereits eingetretenen Metastasierung sind.
F 1.3 Diagnostik
Sonographie
Die meisten Nierentumoren werden heute primär sonographisch diagnostiziert,
oft als Zufallsbefund bei abdominalen, orientierenden Sonographien. Typische
Zeichen sind die vermehrte, unregelmäßige Echogenität des suspekten Areals
und die Aufhebung der glatten Nierenkontur. Die Darstellung von atypischen
Nierenzysten (keine glatte Zystenwand, teilweise echoreiche Binnenstruktur)
muss den Verdacht auf eine sog. komplizierte Zyste mit der Möglichkeit eines
Zystenwandkarzinoms lenken.
Computertomographie
Der sonographische Nachweis einer soliden Raumforderung an der Niere
bedingt die Durchführung einer abdominalen Computertomographie in Nativtechnik mit anschließender Kontrastmittelserie. Bestätigt sich dabei der Verdacht
auf einen Nierentumor, so kann zu diesem Zeitpunkt schon die Indikation zur
operativen Therapie gestellt werden. Zur Darstellung von vergrößerten Lymphknoten ist die Computertomographie gut geignet, ebenso zum Nachweis eines
venösen Tumorthrombus.
310
Ausscheidungsurographie
Die Ausscheidungsurographie mit Kontrastmittel ist zwar weiterhin urologisches
Basisdiagnostikum bei Verdacht auf einen Tumor des Harntrakts, hat aber ihre
Bedeutung für die Indikation zur Operation eines Nierentumors eingebüßt. Prinzipiell gelingt mit der Ausscheidungsurographie die Darstellung von Verdrän-
gungen des Nierenhohlsystems bzw. von Aufhebungen der Nierenkontur. Die
Ausscheidungsurographie ist jedoch bei einer Hämaturie (in Kombination mit
der Zystoskopie) weiterhin zwingend indiziert, um differenzialdiagnostisch ein
Urothelkarzinom der ableitenden Harnwege bzw. der Blase auszuschließen.
Magnetresonanztomographie
Die Magnetresonanztomographie (mit paramagnetischem Kontrastmittel) ist
nach der Computertomographie Methode der zweiten Wahl bei gesicherter,
schwerer Allergie (auf jodhaltige Kontrastmittel) oder bei Niereninsuffizienz. Sie
ist bezüglich Sensitivität und Spezifität der Computertomographie nicht überlegen, bietet jedoch den Vorteil der frontalen Abbildungsebene, was im Einzelfall
bei Vorliegen eines Tumorzapfens in der Vena cava für die Operationsplanung
hilfreich sein kann.
Labordiagnostik
Für das Nierenzellkarzinom existiert bis heute kein Tumormarker. Laborbefunde
sind eher untypisch (BSG-Erhöhung) und oft Ausdruck einer bereits vorliegenden Fernmetastasierung und damit der fortgeschrittenen Erkrankung (Anämie,
Hyperkalzämie, Erhöhung der alkalischen Phosphatase bei Vorliegen von Knochenmetastasen).
Sonstige
Zur Beurteilung einer Tumorinvasion in die Nierenvene bzw. Vena cava eignet
sich auch die farbkodierte Duplexsonographie. Liegt der Verdacht auf eine atriale Tumorthrombusbildung vor, bieten sich zusätzlich die transoesophageale
Sonographie oder die Echokardiographie zur Diagnostik an. Die weitere bildgebende Diagnostik dient dem Ausschluss von Fernmetastasen. Routinemäßig
wird dazu eine Röntgenuntersuchung des Thorax durchgeführt werden; eine
Skelettszintigraphie sollte nur symptomorientiert zur Anwendung kommen.
Die selektive bzw. superselektive Arteriographie (digitale Substraktionsangiographie) ist kein Routineverfahren und nur noch bei speziellen Fragestellungen indiziert. Hierzu gehört im Einzelfall die Abgrenzung zu benignen Nierentumoren
(Angiomyolipom) oder die präoperative Gefäßdarstellung bei besonders aufwändigen Operationstechniken zur organerhaltenden Nierentumoroperation.
Die Kontrastmitteldarstellung der Hohlvene (Cavographie) bei sonographischem
oder computertomographischem Verdacht auf einen intravasalen Tumorzapfen
ist der Magnetresonanztomographie nicht überlegen und sollte wegen ihrer Invasivität (Gefahr der iatrogenen Tumormobilisierung bei unterer Cavographie)
nur durchgeführt werden, wenn sich präoperativ die (umstrittene) Indikation zur
Einlage eines Cavaschirms stellt (obere Cavographie).
Bei Vorliegen typischer bildgebender Befunde ist die Feinnadelbiopsie nicht indiziert (Möglichkeit der Tumorzellverschleppung). Im Einzelfall (z.B. zur Differenzialdiagnose primäres Nierenzellkarzinom – Metastase eines anderen bekannten
Tumors) kann sie jedoch hilfreich sein. Die offene Biopsie (Schnellschnittuntersuchung) im Rahmen der operativen Freilegung kann bei komplizierten Zysten mit
Verdacht auf ein Zystenkarzinom indiziert sein.
311
F 1.4 Therapie
Einleitung
Von entscheidender Bedeutung für die Prognose ist die Frage, ob es sich um ein
lokal begrenztes oder ein metastasierendes Nierenzellkarzinom handelt. Beim
Nierenzellkarzinom ist die operative Therapie die einzige kurative Behandlungsoption. Chemo-, Strahlen- und Hormontherapien müssen als weitgehend wirkungslos angesehen werden.
Beim metastasierten Tumor kann die Entfernung des Primärtumors einen rein
palliativen Charakter haben oder in einem kombiniert chirurgisch-systemischen
Behandlungskonzept gesehen werden. Die Reduzierung der Tumorlast durch die
Tumornephrektomie erfolgt dann sinnvollerweise als erster Schritt, um anschließend eine Immuntherapie durchzuführen. Durch Studien belegt, können durch
ein Interleukin-2- und Interferon-alpha-gestütztes Behandlungsregime bei bis zu
30% der metastasierten Patienten objektive Remissionen erzielt werden. In diesen Fällen kann es auch zu einer Überlebensverlängerung kommen.
Operative Therapie
Primärtumor
Radikale Tumornephrektomie: Die radikale Tumornephrektomie mit regionaler
Lymphadenektomie stellt die Therapie der Wahl des nicht metastasierten Nierenzellkarzinoms dar. Dabei erscheint der transperitoneale Zugang bezüglich der
onkologischen Ergebnisse einem retroperitonealen bzw. thorakoabdominalen
Zugang gleichwertig zu sein. Bei unklaren Befunden erfolgt zunächst die Freilegung der befallenen Niere. Steht präoperativ eindeutig ein maligner Nierentumor fest, werden nach primärer Versorgung der Nierengefäße die Niere mit Fettkapsel und Gerotascher Faszie inklusive der regionären Lymphknoten entfernt.
Nierenerhaltende Operationen: Die imperative Indikation für ein organerhaltendes Verfahren ist beim Nierenzellkarzinom nur bei Einzelnieren, bilateralen Tumoren und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion gegeben. Je nach Lage und Größe des Tumors werden lokale Tumorexzision, Polamputation, Heminephrektomie und selten Exzisionen unter In-situ-Perfusion mit organprotektiven Lösungen durchgeführt. Dadurch kann eine Work-bench-Chirurgie
fast immer vermieden werden.
Unter elektiver Indikation (gesunde Gegenniere) führt ein organerhaltendes Vorgehen bei Tumoren bis 4 cm Durchmesser zu onkologisch vergleichbaren Ergebnisse wie eine konventionelle Tumornephrektomie. Obwohl in Sektionsstatistiken relativ häufig (bis zu 20%) ein multifokaler Tumor gefunden wird, ist die Lokalrezidivrate in klinischen Studien deutlich geringer (< 1–3%). Dies kann mit
einer unterschiedlichen biologischen Aggressivität der Satellitentumoren erklärt
werden.
Organerhaltende wie auch radikale Nierentumorresektionen können auch laparoskopisch durchgeführt werden. Hier fehlen allerdings noch onkologische
Langzeitergebnisse, um diese operative Technik endgültig beurteilen zu können.
312
Adrenalektomie
Die Notwendigkeit einer im Rahmen der radikalen Tumornephrektomie routinemäßigen Adrenalektomie wird heute kaum noch gesehen. Der Befall der Nebenniere (bei 1–3%) ist praktisch nie Ausdruck eines Tumorwachstums per continuitatem, sondern Zeichen der Metastasierung. Zudem liegt die Wahrscheinlichkeit
der bildgebende Erfassung mittels CT bei 97%; bei Nachweis eines Nebennierenbefalls wird bei indizierter Operation des Primärtumors auch adrenalektomiert werden.
Lymphadenektomie
Mindeststandard bei palpatorisch unauffälligen Lymphknoten ist die ipsilaterale
hiläre und paraaortale (linksseitiger Tumor) bzw. paracavale (rechtsseitiger Tumor) Lymphadenektomie. Die Zehnjahres-Überlebensrate nach erfolgreicher Resektion befallener Lymphknoten liegt zwischen 17 und 30%, wenn keine weiteren Metastasen nachweisbar sind. Bei nichtresektablen Lymphknotenmetastasen liegt diese bei 0%. Die Indikation zur einer extensiven Lymphadenektomie
besteht nicht.
Venöser Tumorthrombus
Das Vorgehen richtet sich nach dem Ausmaß des Venenbefalls. Überschreitet ein
venöser Thrombus die Leberpforte, so ist in der Regel der operative Aufwand
hoch und erfordert zumindest die Bereitstellung der Herzlungenmaschine. Erstreckt sich der Thrombus in der V. cava bis in den Vorhof, ist ein extrakorporaler
Kreislauf erforderlich.
Die Überlebenszeit der so operierten Patienten korreliert nicht mit der Größe des
Cavathrombus (bei negativen Lymphknoten). Auch bei Tumorthromben mit
Ausdehnung bis in den rechten Vorhof ist die Heilungschance mit ca. 30% nicht
geringer als bei solchen unterhalb der Lebervenen. Die chirurgische Therapie von
ausgedehnten Cavathromben sollte nur interdisziplinär in Zentren erfolgen.
Lokalrezidiv
Das Lokalrezidiv des Nierenzellkarzinoms sollte nach Möglichkeit immer chirurgisch reseziert werden.
Metastasenresektion
1. Bei primär metastasierten Nierenzellkarzinomen ergibt sich die Indikation zur
palliativen Tumornephrektomie aufgrund einer anders nicht beherrschbaren
Symptomatik (z.B. Hämaturie, Schmerzen). Ein Überlebensvorteil für palliativ
nephrektomierte Patienten besteht aber nicht. Werden in einem chirurgischen Therapiekonzept zusätzlich Fernmetastasen reseziert (vor allem pulmonal), kann dies zu einem Überlebensvorteil führen.
2. Unter rein palliativer Indikation sind auch aufwändige Metastasenresektionen
sinnvoll (z.B. Gefahr der pathologischen Fraktur oder Querschnittlähmung).
Bei Wirbel- und intraspinalen Metastasen mit beginnender Querschnittsymptomatik ist primär eine operative Dekompression vorzunehmen.
313
Tumorembolisation
Die Tumorembolisation kann bei symptomatischen Primärtumoren (Hämaturie)
indiziert sein, wenn die palliative Tumornephrektomie wegen eines schlechten
Allgemeinzustandes nicht möglich ist (sehr selten). Tumorremissionen oder eine
Verlängerung der Überlebenszeiten sind nicht zu erwarten.
Strahlentherapie
Nierenzellkarzinome gehören zu den wenig strahlenempfindlichen Tumoren.
Prä-, perioperative und postoperative Bestrahlung des Nierentumors bzw. -bettes führen zu keiner Verbesserung des Überlebens.
Die symptomorientierte Bestrahlung von Weichteil- oder Knochenmetastasen
führt häufig schnell zu einer Schmerzreduktion; gelegentlich auch zu einer Rekalzifizierung osteolytischer Herde. Hirnmetastasen können, sofern keine Operabilität besteht stereotaktisch (Gamma-knife oder Linearbeschleuniger) bestrahlt werden; in besonderen Fällen ist eine Ganzschädelbestrahlung in Erwägung zu ziehen.
Systemische Therapie
Hormontherapie
Gestagene, Androgene, Antiandrogene und Tamoxifen führen beim metastasierten Nierenzellkarzinom nur zu Remissionsraten von < 5%, ein Überlebensvorteil ist nicht zu erwarten.
Zytostatische Chemotherapie
Die Nierenzellkarzinome weisen gegenüber den meisten zytostatischen Chemotherapien eine primäre Multi-drug-Resistenz auf. Marginale Remissionsraten
wurden mit Vinblastin oder 5-Fluorouracil erzielt. Eine Verbesserung der Prognose durch Chemotherapie ist mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Substanzen nicht zu erwarten.
Immuntherapie
Unter dem Begriff Immuntherapie werden ganz unterschiedliche Therapiekonzepte zusammengefasst. Prinzipiell soll durch die Stimulation des Immunsystems
bzw. durch die Veränderung der biologischen Eigenschaften der Tumorzellen
eine Zerstörung der Tumorläsionen erreicht oder adjuvant das Auftreten von
Rezidiven verhindert werden.
314
1. Zytokintherapien: IL-2 und/oder alpha-IFN, häufig in Kombination mit 5-FU,
Vinblastin oder Retinoiden
2. Adoptiv-zelluläre Therapien: Tumorinfiltrierende Lymphozyten (TIL) oder lymphokinaktivierte Killerzellen (LAK)
3. Zelluläre Vakzinierungen: autologe Tumorzellen, meist mit unspezifischen Adjuvantien und Zytokinen
4. Peptidvakzinierungen Vakzinierungen mit dendritischen Zellen
5. Antikörpertherapien
6. Gentherapien: genmodifizierte Tumorzellvakzine, genmodifizierte TIL u.a.
Primärtumor
nicht
operabel
operabel
ohne Fernmetastasen
radikale
Tumornephrektomie
Primärtumor operabel mit
synchronen Fernmetastasen
organerhaltende
Operation
fakultativ palliative
Tumornephrektomie
Rezidiv
metachrone Fernmetastasen
(mit oder ohne Lokalrezidiv)
Lokalrezidiv
ohne Fernmetastasen
nicht
operabel
operabel
nicht operabel
(Lokalrezidiv oder
Fernmetastasen)
Resektion
alle Läsionen
resektabel
nicht alle
Läsionen
resektabel
Tumornephrektomie
bzw. Rezidiv- und
Fernmetastasenchirurgie
(maximal 2 Organe)
palliative Therapie
symptomatische lokale Therapie:
Chirurgie, Radatio, Embolisation,
Chemoembolisation
systemische Therapie:
Zytokin(chemo)therapie, Schmerztherapie,
Bisphosphonate (bei Schmerzen durch
Knochenmetastasen)
Abbildung 1. Therapiealgorithmus für das Nierenzellkarzinom.
315
ad 1. Die am besten untersuchte und in Europa am häufigsten akzeptierte Therapie beinhaltet die Gabe von Interleukin-2 (subkutan), alpha-Interferon (subkutan) und 5-Fluorouracil (i.v.). Die Remissionsraten liegen zwischen 20 und 40%;
signifikante Verlängerungen der Überlebenszeiten sind beschrieben und insbesondere bei den Patienten möglich, die bei gutem Allgemeinzustand und metachroner, insbesondere pulmonaler Metastasierung auf die Therapie primär angesprochen haben.
ad 2.–6. Adoptiv-zelluläre Therapien haben bei vergleichbarer Wirksamkeit aufgrund des wesentlich größeren Aufwandes an Attraktivität verloren. Autologe
Tumorzellvakzine sind trotz vereinzelt beschriebener Remissionen beim metastasierten Nierenzellkarzinom weitgehend wirkungslos. Die Behandlung mit neueren Vakzinearten (Peptidvakzine, DC-Vakzine) sowie mit Antikörperpräparation
und spezielle Gentherapien haben experimentellen Charakter. Eine effektive adjuvante oder neoadjuvante systemische Therapie steht derzeit nicht zur Verfügung.
Alternative Therapien (bsw. mit Thymus- oder Mistelextrakt) zeigen keine nachweisbare zytostatische Wirksamkeit auf das Nierenzellkarzinom.
F 1.5 Nachsorge
Der Nutzen einer systematischen (strukturierten) Nachsorge ist bisher nicht erwiesen. Ein mögliches Schema zeigt Tabelle 2:
Tabelle 2. Nachsorge nach operativer Tumorentfernung (Nephrektomie,
Nierenerhaltende Operation).
Untersuchungsart:
Anamnese und klinischer Befund
Röntgen Thorax, Sonographie Abdomen
bei unklarem Befund: CT Abdomen (alternativ MRT)
Labor: BSG; AP, Hb
Untersuchungsfrequenz:
im 1. und 2. Jahr alle 3 Monate
im 3. und 4. Jahr alle 6 Monate
ab 5. Jahr einmal jährlich
Dauer der Nachsorge:
10 Jahre
F 1.6 Rehabilitation
316
Die Rehabilitationsproblematik ist bei diesen Patienten relativ gering. Die meisten Patienten können vier bis sechs Wochen nach der Nephrektomie ihre gewohnte berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen. Über die Notwendigkeit stationärer Anschlussheilbehandlungen sollte individuell entschieden werden.
Literatur
1 Weißbach L, Miller K (1998) Diagnostische und therapeutische Standards in
der Urologischen Onkologie. Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
2 Leitlinien der DGU (1998) Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des Nierenparenchymkarzinoms. Urologe (A) 37: 327–341
3 European Association of Urology (2001) Guidelines on renal cell cancer
Verfahren der Konsensbildung
Aktualisierte Kurzfassung Nierenparenchymkarzinom, erstellt im Auftrag der
Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Urologie,
basierend auf den „Diagnostischen und therapeutischen Standards in der Urologischen Onkologie“ (Hrsg. L. Weißbach und K. Miller), Kapitel Nierenparenchymkarzinom von S. Pomer, Heidelberg; B. Schmitz-Dräger, Fürth und J. Schubert, Jena.
Redaktion
PD Dr. C. Fischer, Bayreuth (Diagnostik)
Dr. R. Oberneder, München (Therapie)
Beratend haben bei der Erstellung der Kurzfassung mitgewirkt
Prof. Dr. R. Andreesen, Regensburg (DGHO); Prof. Dr. H. Delbrück, Wuppertal
(ARNS); Prof. Dr. P. Drings, Heidelberg; PD Dr. C. Fischer, Bayreuth;
Prof. Dr. H. Gabbert, Düsseldorf (Deutsche Gesellschaft Pathologie); Prof. Dr. G.
Klöppel, Kiel (Deutsche Gesellschaft Pathologie); Prof. Dr. H.J. Sauer, München
(ADT); Prof. Dr. J. Schubert, Jena; Prof. Dr. B. Schmitz-Dräger, Fürth
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt und mit Prof. Dr. K. Miller, Berlin, Arbeitsgemeinschaft Urologische Onkologie (AUO) sowie Prof. Dr. M. Wirth, Dresden, Arbeitskreis Onkologie (AKO) der Deutschen Urologen (DGU) beraten. Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren
eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach Rücksprache mit den
Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
AUO
CAO
317
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Verfasser und Leitlinienkoordinatoren
PD Dr. C. Fischer
Urologische Klinik, KHW
Hohe Warte 8
D-95445 Bayreuth
Dr. R. Oberneder
Urologische Klinik, LMU
Marchioninistraße 15
D-81377 München
Erste Fassung: November 1999
Überarbeitete Fassung: Oktober 2001
Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
318
F2
Harnblasenkarzinom
F 2.1 Diagnostik
Einleitung
3% aller bösartiger Tumoren sind Harnblasenkarzinome. 70% der Patienten
kommen initial mit einem papillären oder flachen (in situ) Tumor (Ta, Tis, T1) zur
Untersuchung, während 30% primär einen bereits in die Muskulatur vorgewachsenen (T2–T4) Tumor haben.
Bei oberflächlichen Blasenkarzinomen steht die Diagnostik des lokalen Tumors
im Vordergrund. Anders verhält es sich bei muskelinvasiven Tumoren: hier ist die
Frage der Organüberschreitung und Metastasierung für den Behandlungsplan
von Bedeutung.
Die typischen Symptome für das Harnblasenkarzinom sind die schmerzlose Makrohämaturie oder, wenn auch seltener, eine irritative Miktion.
Diagnostik bei symptomatischen Patienten (Abbildung 1)
Klinische Untersuchung
Palpation des Nierenlagers, des Unterbauchs und des inneren Genitales
Harnanalyse und Harnkultur
Analyse durch Sedimentuntersuchung oder Teststreifen
Urinkultur
Laboruntersuchungen
Serumkreatinin
Blutbild und Gerinnung im Rahmen der Operationsvorbereitung
Sonographie des Abdomens
Nieren
Blase
Urethrozystoskopie
Die Diagnose eines Harnblasenkarzinoms wird zystoskopisch gestellt.
Nicht immer ist das zystoskopische Bild beweisend für das Vorliegen eines Harnblasenkarzinoms. In allen Zweifelsfällen ist die weitere zytologische und histologische Abklärung durch transurethrale Resektion oder Biopsie angezeigt.
Urographie
Urinzytologie
Bei zystoskopischem Verdacht auf ein Tis ist die Urinzytologie erforderlich. In allen anderen Situationen wird die Urinzytologie fakultativ durchgeführt.
319
Untersuchungsverfahren zum prätherapeutischen Staging bzw. zur Therapiewahl
(Abbildung 1)
Primärtumordiagnose
Notwendige Verfahren
Transurethrale Elektroresektion (TUR)
Die TUR hat bei oberflächlichen Tumoren diagnostische und therapeutische Bedeutung.
Es werden getrennte Biopsien aus dem Tumorgrund und aus den Tumorrändern
genommen. Die Resektion des Tumorgrundes muss die Blasenmuskulatur mit
einschließen.
Fallweise nützliche Verfahren
Biopsie der prostatischen Harnröhre
– Verdacht auf Carcinoma in situ der Harnblase
– Verdacht auf muskelinfiltrierendes Karzinom
Systematische Blasenschleimhautbiopsie
Bei zystoskopisch papillärem Tumor und bei ansonsten unauffälliger Schleimhaut ist die systematische Biopsie unnötig.
Bei zystoskopisch verdächtigen Schleimhautarealen und bei hinsichtlich der Infiltrationstiefe nicht einschätzbaren Tumoren ist das Mapping obligat.
Ausbreitungsdiagnostik
Die weitere Diagnostik richtet sich nach dem histologischen Ergebnis (T-Kategorie und Tumorgrad) der TUR.
Oberflächliches Harnblasenkarzinom (papilläres Karzinom, Ta, T1 und Carcinoma in situ, Tis)
Eine Ausbreitungsdiagnostik ist nicht erforderlich.
Eine Nachresektion erfolgt eine bis sechs Wochen nach dem Ersteingriff; sie ist
zumindest bei T1-Tumoren obligat.
Muskelinvasives Harnblasenkarzinom (> = T2)
T-Kategorie
Bei klinischem Verdacht auf einen lokal fortgeschrittenen Tumor können MRT
und CT als Entscheidungshilfen dienen.
N-Kategorie
Die CT und die MRT in üblicher Technik sind für diese Indikation ungeeignet. Die
MRT mit lymphknotenspezifischen Kontrastmitteln wird derzeit evaluiert.
320
M-Kategorie
Obligate Untersuchung ist die Röntgenübersichtsaufnahme des Thorax in zwei
Ebenen.
Eine Abklärung von Lebermetastasen mit Sonographie ist obligat.
Fallweise nützliche Laboruntersuchungen: alkalische Phosphatase, LDH, Leberwerte.
Eine Knochenszintigraphie ist bei symptomatischen Patienten und bei einer Erhöhung der alkalischen Phosphatase angezeigt.
Symptomatischer Patient
– Hämaturie
– Pollakisurie
Klinische Untersuchung
Sonographie Abdomen/Becken
Urethro-Zystoskopie
Urographie
Urinlabor
Serumkreatinin
Zytologie (bei V. a. Tis)
Urographie
Primärtumordiagnostik
Notwendig:
Transurethrale Resektion
Fallweise nützlich:
– Mapping
– Bimanuelle Untersuchung
– Biopsie prostatische Harnröhre
Ausbreitungsdiagnostik
Oberflächlicher Tumor
(Ta, T1, Tis)
Muskelinvasiver Tumor
(>T1)
Notwendig:
Nachresektion
Notwendig:
– Röntgen-Thorax
– Leber-Sono
Fallweise nützlich:
Abklärung oberer Harntrakt
bei Tis
Nachresektion (Ta)
Fallweise nützlich:
– Becken CT/MRT bei lokal
fortgeschrittenem Tumor
– Labor: Alk. Phosphatase, LDH,
Leberwerte
– Knochenszintigaphie bei
Symptomatik und erhöhter alk.
Phosphatase
Abbildung 1. Diagnostischer Algorithmus beim Harnblasenkarzinom.
321
Pathologische Diagnostik
Histopathologische Klassifikation von Harnblasenkarzinomen
Grading der Urothelkarzinome
Für Übergangszellkarzinome sind die Differenzierungsgrade von der WHO
(1999) festgelegt:
– Urotheliales Carcinoma in situ
– Papilläre urotheliale Neoplasie mit geringem malignem Potenzial
(früher GI pTa)
– Papilläres urotheliales Karzinom
– Infiltrierendes urotheliales Karzinom
Staging
Es wird nach den Regeln der UICC (1997) mittels TNM/pTNM-Klassifikation klassifiziert :
pTa
pTis
Nicht invasives Karzinom
Carcinoma in situ (flach)
pT1
pT1a
pT1b
pT1c
Infiltration des subepithelialen Bindegewebes
Infiltration der Lamina propria oberhalb der Muscularis mucosae
Infiltration der Lamina muscularis mucosae
Infiltration über die Lamina muscularis mucosae hinaus
pT2
pT2a
pT2b
Infiltration der Muscularis propria
Innere Hälfte
Äußere Hälfte
pT3
pT3a
pT3b
Infiltration über die Muscularis hinaus
Mikroskopisch
Makroskopisch
pT4a
pT4b
Infiltration von Prostata, Uterus, Vagina
Infiltration von Beckenwand, Abdominalwand
pN1
pN2
pN3
Einzelner Lymphknoten ≥ 2cm
Einzelne oder multiple bis 5 cm große Lymphknoten
Lymphknoten größer als 5 cm
F 2.2 Therapie oberflächlicher Harnblasenkarzinome (Ta/T1/Tis)
322
Transurethrale Elektroresektion (TUR)
Die transurethrale Elektroresektion (siehe Diagnostik) hat bei papillären Tumoren
diagnostische und therapeutische Bedeutung. Nach kompletter Resektion eines
Ta G1 Tumors ist keine weitere Therapie erforderlich. Zumindest bei T1, fakulta-
tiv auch bei Ta Tumoren wird eine bis sechs Wochen nach dem Ersteingriff
nachreseziert. Beim Tis und Persistenz der positiven Zytologie ist durch ureterale
Spülzytologie und in seltenen Fällen durch Ureteroskopie ein Befall des oberen
Harntrakts auszuschließen.
Die einmalige intravesikale Instillation eines Zytostatikums unmittelbar (innerhalb von 24 h) nach der TUR verhindert die Implantation flottierender Tumorzellen und reduziert das Auftreten von Rezidiven.
Adjuvante Instillationstherapie
Ziel der weiteren intravesikalen Rezidivprophylaxe ist es, das Rezidiv und die
Progression zu verhindern.
Rezidiv-, Progressionshäufigkeit und Metastasierung korrelieren mit der
– T-Kategorie und der
– Tumordifferenzierung
Weitere prognostisch relevante Faktoren sind:
– Multifokales Tumorwachstum
– Tumorgröße über 5 cm
– Begleitende Urotheldysplasien
– Begleitendes Tis
In Abhängigkeit von den prognostischen Kriterien wird nach TUR die Indikation
zur adjuvanten Therapie oberflächlicher Harnblasenkarzinome (intravesikale Rezidivprophylaxe) gestellt. Als Anhalt können die Indikatoren der Tabelle 1 gelten:
Tabelle 1. Indikationen zur Instillationstherapie.
Stadium
Diff.-Grad
Primärtumor/
Rezidivtumor
Adj. intravesikale
Therapie
pTa
G1
G1
G2
G3
Primärtumor
Rezidiv
Primärtumor/Rezidiv
Primärtumor/Rezidiv
nein
ja
ja
ja
Tis
G3
Primärtumor
ja
pT1
G1, G2
G3
Primärtumor/Rezidiv
Primärtumor
ja
ja
Zur intravesikalen Rezidivprophylaxe stehen Zytostatika (Doxorubicin, Mitomycin
C) und der Immunmodulator BCG (Bacillus Calmette-Guérin) zur Verfügung.
Während bei Patienten mit niedrigem Progressionsrisiko die Chemo- oder Immuntherapie als gleichwertig anzusehen ist, wird bei hohem Progressionsrisiko
(G 3-Tumoren, Rezidivtumoren) die intravesikale Behandlung mit BCG vorgezogen.
323
Die Therapieschemata für die intravesikale Chemo- und Immunprophylaxe
(Tabelle 2) sind nicht standardisiert. Gemeinsamer Nenner sind eine „Induktionsphase“ über sechs bis acht Wochen und eine „Erhaltungsphase“ im Sinne einer
Langzeittherapie. Die Zeiträume hierfür gehen von Monaten bis mehreren Jahren. Auch der Therapiebeginn nach TUR ist nicht standardisiert: für die Chemoprophylaxe ist ein früher Beginn (unmittelbar bis wenige Tage nach TUR) vorteilhaft und ohne Gefahr möglich. Der Therapiebeginn mit BCG sollte frühestens
zwei Wochen nach TUR erfolgen um systemische Nebenwirkungen zu vermeiden.
Tabelle 2. Dosierungsschemata zur Instillationstherapie.
Substanz
Dosierung
Induktionstherapie
Langzeittherapie
Zytostatika
Doxorubicin
20–40 mg
40 mg wöchentlich
innerh. 6 h postop.
6–8 Wochen
Mitomycin
20 mg wöchentlich
6–8 Wochen
BCG
1–5 × 108 Keime
wöchentlich
6 Wochen
–
monatlich
6–12 Monate
monatlich
6–12 Monate
3 Wochen
n. 3 und 6 Monaten
dann 1/2 jährlich
bis 3 Jahre
Patienten mit pT1G3-Tumoren sind eine besondere Risikogruppe, da der Tumor
häufig progredient wird. Hier ist nach vollständiger TUR der Versuch der organerhaltenden Therapie mittels intravesikaler BCG-Instillationsprophylaxe gerechtfertigt. Bei dem Rezidiv eines pT1G3-Tumors innerhalb von drei bis sechs
Monaten ist die radikale Zystektomie indiziert, da das Progressionsrisiko in diesem Fall hoch ist.
Einen Sonderfall stellt das Carcinoma in situ (Tis) dar: Das Rezidiv- und Progressionsrisiko ist hoch und beträgt nach alleiniger TUR bis 80%. Hier ist die anschließende intravesikale medikamentöse Therapie mit BCG nach der TUR als Teil der
obligaten Primärbehandlung anzusehen. Bei etwa 70% der Patienten wird damit eine Vollremission über die Dauer von fünf Jahren erreicht. Versagt diese
Therapie, ist die radikale Zystektomie indiziert.
324
Urothelkarzinom der prostatischen Harnröhre
Ein Befall der Prostata bei Vorliegen eines Blasenkarzinoms wird in 8–42% der
Fälle beobachtet und ist meist mit einem Tis assoziiert. Da sich ein prognostischer Unterschied zwischen einem mukösen, duktalen und stromalem Befall der
Prostata findet, ist in jedem Fall zunächst die TUR durchzuführen. Eine anschließende intravesikale Rezidivprophylaxe ist nur bei einem auf die Mukosa be-
schränktem oder bei einem duktalen In-situ-Karzinom indiziert. Durch die Resektion des Blasenhalses herrscht eine Kommunikation zwischen Blase und prostatischer Harnröhre, sodass das Agens auch hier seine Wirkung entfalten kann. Die
stromale Invasion des Urothelkarzinoms der Prostata ist mit hohem Progressionsrisiko verbunden, sodass die radikale Zystektomie mit Urethrektomie indiziert ist.
Urothelkarzinom im oberen Harntrakt
Das Urothelkarzinom im oberen Harntrakt tritt bei etwa 5% der Patienten mit
Blasenkarzinom auf, während die Patienten mit einem Urothelkarzinom im oberen Harntrakt weitere Tumoren in der Blase in etwa 50–75% der Fälle aufweisen.
Bei monofokalen Tumoren im distalen Harnleiterdrittel ist die Ureterteilresektion
mit Ureterozystoneostomie indiziert. Bei höher gelegenen oder multifokalen Tumoren ist die Therapie der Wahl bei intakter kontralateraler Nierenfunktion die
Nephroureterektomie mit Entnahme einer Blasenmanschette und diagnostischer
regionaler Lymphadenektomie. Nur in Ausnahmefällen kann die endoskopische
organerhaltende Therapie mittels perkutaner oder ureteroskopischer Elektroresektion und/oder Laserkoagulation durchgeführt werden.
F 2.3 Therapie des invasiven Harnblasenkarzinoms (≥ pT2a)
Die Prognose muskelinvasiver Harnblasenkarzinome korreliert mit der T-Kategorie (Infiltrationstiefe) und dem Behandlungsverfahren. Standardbehandlung organbegrenzter, muskelinvasiver Harnblasenkarzinome ist die radikale Zystektomie; Sonderformen sind transurethrale Tumorresektion, Radiotherapie und Chemotherapie.
Radikale Zystektomie
Die pelvine Lymphadenektomie ist obligater Bestandteil der radikalen Zystektomie. Die Lymphknotendissektion erstreckt sich auf die Fossa obturatoria und die
externen iliakalen Gefäße. Das operative Vorgehen der radikalen Zystektomie
beim Mann beinhaltet die Entfernung von Harnblase, Prostata und Samenblasen. Die Indikation zur Urethrektomie ist bei positivem Harnröhrenabsetzungsrand oder Tumorbefall der (prostatischen) Harnröhre gegeben. Die radikale Zystektomie bei der Frau beinhaltet die Entfernung von Harnblase, Uterus,
Adnex(en) und vorderer Vaginalwand.
Harnableitung nach Zystektomie
Inkontinente Harnableitungen
Die einfachste Form der inkontinenten Harnableitung ist das Harnleiterhautstoma. Häufigste angewandte Form der inkontinenten Harnableitung ist das intestinale Conduit. Als Darmabschnitte werden Ileum oder Dickdarm verwandt.
Ausschlaggebend für die Wahl des Darmsegmentes sind die Darmbeschaffenheit und ggf. Darmschädigung durch Voroperation oder Vorbestrahlung.
325
Kontinente Harnableitungen
– Orthotoper Harnblasenersatz
Das detubularisierte Darmreservoir wird an die Harnröhre bei belassenem intakten äußeren Sphinkter anastomosiert. Die Neoblase ist bei beiden Geschlechtern
möglich.
– Harnreservoir mit kontinentem Stoma
Hierbei handelt es sich um eine kontinente, supravesikale Harnableitung. Das
Darmreservoir besteht in der Regel aus Ileozoekalanteilen und wird über ein kontinentes Stoma an die Bauchdecke angeschlossen. Die Entleerung erfolgt über
Einmalkatheterismus.
– Ureterosigmoideostomie
Bei der Harnleiterdarmimplantation wird als Kontinenzapparat der anale
Schließmuskel genutzt. Die Ureterosigmoideostomie ist modifiziert worden
durch Implantation der Harnleiter in ein autoaugmentiertes Sigma.
Sonderformen der operativen Therapie
Hierzu zählen die transurethrale Blasentumorresektion oder eine Blasenteilresektion. Beide Verfahren sollten nur an einem selektionierten Patientengut Anwendung finden und stellen kein Standardverfahren zur Therapie dieser Tumorentität dar.
Radiotherapie
Die Indikation zur definitiven Strahlentherapie besteht bei Patienten, die für eine
radikale Zystektomie nicht geeignet sind bzw. diese ablehnen oder einen Organerhalt wünschen. Günstige Voraussetzung für eine Strahlentherapie oder Radiochemotherapie ist die vorausgegangene komplette transurethale Tumorresektion (R0-Resektion). Ein Vorteil der Kombination von Strahlentherapie und simultaner Chemotherapie (Radiochemotherapie) besteht vermutlich bei
Patienten mit makroskopischen Tumorresten zu Beginn der Radiotherapie.
Die Kombination von radikaler Zystektomie mit geplanter präoperativer oder
postoperativer Strahlentherapie stellt kein Standardverfahren dar.
Empfehlungen zur systemischen Chemotherapie des fortgeschrittenen
Harnblasenkarzinoms
Im Vergleich zur alleinigen Zystektomie besteht kein sicherer Vorteil zugunsten
einer neoadjuvanten systemischen Chemotherapie vor geplanter radikaler Zystektomie, sie kann in Einzelfällen jedoch durchaus empfohlen werden. Die adjuvante Chemotherapie nach radikaler Zystektomie soll den Erfolg der lokalen
Maßnahme konsolidieren. Randomisierte Phase III-Prüfungen zeigen für bestimmte Subgruppen (N1) einen Vorteil der adjuvanten Chemotherapie. Aufgrund kleiner Fallzahlen wird der Stellenwert der adjuvanten Chemotherapie jedoch kontrovers bewertet und sie sollte nur im Rahmen klinischer Studien
durchgeführt werden.
326
Chemotherapie bei Patienten mit Fernmetastasen und/oder
Lymphknotenmetastasen
Am häufigsten wird eine Polychemotherapie mit Methotrexat, Vinblastin, Adriamycin und Cisplatin (M-VAC) eingesetzt. Im Rahmen einer Phase III-Prüfung von
Cisplatin-Monotherapie mit M-VAC fand sich eine signifikant höhere
Remissionsrate für M-VAC-behandelte Patienten. Die mediane Überlebenszeit
war für M-VAC-behandelte Patienten mit 12,6 Monaten signifikant höher als für
Patienten nach Monochemotherapie mit Cisplatin (8,7 Monate). Die erzielten
Remissionen nach M-VAC sind von einer beträchtlichen Toxizität begleitet. In
einer vergleichenden Studie war die Therapie mit Gemcitabin und Cisplatin von
deutlich mehr Myelotoxizität gekennzeichnet, jedoch mit subjektiv signifikant
besserer Verträglichkeit, sodass faktisch derzeit von zwei Standardtherapien
beim metastasierten Blasenkarzinom ausgegangen werden kann. Für Cisplatin/Taxol liegen vergleichbare Daten derzeit nicht vor. Eine Alternative für Patienten mit eingeschränkter Nierefunktion ist Carboplatin/Taxol.
F 2.4 Nachsorge
Der Nutzen einer systematischen (strukturierten) Nachsorge ist bisher nicht
durch Studien erwiesen. Ein mögliches Schema zeigt Tabelle 3.
Tabelle 3. Nachsorge bei Harnblasenkarzinom.
Untersuchungsart:
Nach transurethraler
Resektion in kurativer
Zielsetzung
Nach Zystektomie
Untersuchungsfrequenz:
– Anamnese und klinische Befund
– Zystoskopie
– Sonographie Niere/ Harnblase/ Restharn
– bei Carcinoma in situ: Urinzytologie
– Anamnese und klinischer Befund
– Röntgenaufnahmen Thorax
– Labor: Kreatinin, Blutbild, Blutgasanalyse,
Elektrolyte
– Sonographie Niere/ Harnblase/ Restharn
– Urogramm
– weitere Untersuchungen (CT Becken) bei
Symptomen
– im 1. und 2. Jahr alle 3 Monate
– im 3. und 4. Jahr alle 6 Monate
– ab 5. Jahr einmal jährlich
Urogramm nach Zystektomie stets nur jährlich!
Dauer der Nachsorge: Wegen möglicher Komplikationen der Harnableitung lebenslänglich.
327
F 2.5 Rehabilitation
Die Einleitung einer stationären Anschlussheilbehandlung ist bei den Zystektomierten mit oder ohne Ersatzblase möglich. Hierfür kommen Rehabilitationskliniken in Frage, die mit somatischen und psychischen Problemen dieser Patienten vertraut sind. Eine berufliche und soziale Aktivität ist trotz Zystektomie
und/oder Stoma möglich.
Verfahren der Konsensbildung
Aktualisierte Kurzfassung Harnblasenkarzinom, erstellt im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Urologie, basierend
auf den „Diagnostischen und therapeutischen Standards in der Urologischen
Onkologie“ (Hrsg. L. Weißbach und K. Miller), Kapitel Harnblasenkarzinom von
A. Böhle, Lübeck; Th. Block, Baldham; G. Jakse, Aachen; T. Otto, Essen und
F. Hofstädter, Regensburg.
Redaktion
Prof. Dr. A. Böhle, Lübeck; PD Dr. M. Müller, Berlin; Prof. Dr. Th. Otto, Essen
Beratend haben bei der Erstellung der Kurzfassung mitgewirkt:
Organkommission Harnblasenkarzinom der Arbeitsgemeinschaft Urologische
Onkologie (AUO) der Deutschen Krebsgesellschaft;
Prof. Dr. R. Andreesen, Regensburg (DGHO); Prof. Dr. C. Bokemeyer, Tübingen
(AIO); Prof. Dr. H. Delbrück, Wuppertal (ARNS); Prof. Dr. J. Dunst, Halle (ARO);
Prof. Dr. H.J. Sauer, München (ADT)
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
AUO
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
328
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordinator
Prof. Dr. A. Böhle
Klinik und Poliklinik für Urologie
Universitätsklinik Lübeck
Ratzeburger Allee 160
D-23538 Lübeck
Erste Fassung: November 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
329
330
Dermatologie
G
331
332
G1
Basalzellkarzinom der Haut
Das Basalzellkarzinom (Basaliom, Basalzellepitheliom) ist ein lokal destruierender
Tumor, tritt zu 80% im Kopf-Hals-Bereich auf und metastasiert extrem selten
(0,003–0,1%). In Mitteleuropa ist er einer der häufigsten malignen Tumoren.
Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei 60 Jahren. In seltenen Einzelfällen
führt das Basalzellkarzinom durch ein destruierendes Wachstum per continuitatem in lebenswichtige Strukturen des Kopf-Hals-Bereiches zum Tode.
G 1.1 Diagnostik
Die Diagnose wird in der Regel klinisch gestellt. Notwendig ist die histologische
Sicherung je nach Größe des Tumors und therapeutischem Ansatz durch Inzisionsbiopsie, Exzisionsbiopsie oder therapeutische Exzision. Die echte subklinische
Ausbreitung entzieht sich der Nachweisbarkeit auch durch modernste nicht-invasive Diagnoseverfahren und kann nur mikroskopisch festgestellt werden. Lediglich bei destruierenden Basalzellkarzinomen ist eine weitere Ausbreitungsdiagnostik mittels CT oder MRT notwendig. Bei destruierenden Basalzellkarzinomen, Tumoren mit einer Größe von mehr als 20 mm und klinischem Anhalt für
eine Infiltration in tiefe Strukturen ist eine weitere Ausbreitungsdiagnostik mittels CT oder MRT notwendig.
G 1.2 Therapie
Die operative Therapie mit histologischer Absicherung stellt das Standardvorgehen in der Behandlung von Basalzellkarzinomen dar. Im Gesicht und insbesondere beim infiltrativen Typ müssen immer Nachoperationen bis zum Nachweis tumorfreier Schnittränder erfolgen. Die Palette der so genannten blinden Therapiemodalitäten (Strahlen-, Kryotherapie, Shave-Exzision, CO2-Laserablation,
photodynamische Therapie, lokale Chemotherapie) ist groß, die Ergebnisse dieser Verfahren sind schlechter, je nach behandeltem Krankengut sehr unterschiedlich.
Mikrographische Chirurgie
Die mikrographische Chirurgie bedeutet die sparsame chirurgische Exzision des
Tumors (2–4 mm Sicherheitsabstand) mit einer nachvollziehbaren Markierung
und anschließender lückenloser Histologie der Exzisatschnittränder. Damit ist eine topographische Zuordnung von subklinischen Ausläufern möglich, gegebenenfalls mit der Durchführung von gezielten Nachexzisionen, bis die Exzisataußenfläche tumorfrei ist. Auch bei kleinen unproblematischen Tumoren kann
333
das Verfahren von Vorteil sein, da wegen der hohen diagnostischen Sicherheit
gesunde Haut geschont werden kann und nur entsprechend der histologisch
festgestellten Tumorinfiltration exzidiert wird. Die Aufarbeitung ist sowohl im
Kryostat- als auch im Paraffinschnittverfahren möglich.
Andere Behandlungsverfahren
Die konventionelle Chirurgie mit stichprobenartiger histologischer Kontrolle
muss infolge der lokalen Infiltration der Basalzellkarzinome mit einem höheren
Rezidivrisiko rechnen, das in der Regel 2–5% beträgt. Um bei konventioneller
Chirurgie eine ausreichende Sicherheit in der Rezidivverhütung zu erreichen,
müssen auch bei kleinen Tumoren zu Lasten des Patienten größere Sicherheitsabstände (0,3–1 cm) eingeplant werden.
Tabelle 1. Therapie des Basalzellkarzinoms.
Mikrographische Chirurgie
(mit lückenloser Randschnitthistologie)(geringste Rezidivrate!)
Erforderlich:
a) infiltrativer Typ des Basalzellkarzinoms am Kopf und an
den distalen Extremitäten
b) größere Basalzellkarzinome (über 5 mm Durchmesser)
in Problemlokalisationen: Nasen, Orbital- und Aurikularbereich und große Tumoren (über 20 mm Durchmesser)
an den übrigen Gesichtslokalisationen
c) Rezidivtumoren
Zu empfehlen:
andere Typen des Basalzellkarzinoms als infiltrativer Typ
unter 20 mm in unproblematischer Gesichtsregion, wegen
der Möglichkeit einer minimal invasiven Chirurgie
Konventionelle Chirurgie mit Sicherheitsabstand von 3–10 mm
In allen anderen Fällen.
Alternativen:
334
a) Strahlentherapie als Alternative zur konventionellen
Chirurgie oder bei primärer Inoperabilität, sowie nach
inkompletter chirurgischer Entfernung (R1, R2)
b Kryotherapie: Kleinere oberflächliche Tumoren bei Patienten höheren Alters, wenn eine Operation einen
unverhältnismäßig großen Aufwand bedeutet
c) bei superfiziellen Basalzellkarzinomen: Shave-Exzision,
CO2-Laserablation, photodynamische Therapie, lokale
Chemotherapie (5-FU)
Die Kryotherapie mit flüssigem Stickstoff nach dem Kontakt- oder offenen
Sprayverfahren bei -196 °C wird ohne histologische Kontrolle durchgeführt,
kann jedoch bei kleinen oder oberflächlichen Tumoren insbesondere bei Patienten höheren Alters eine Alternative zur Operation darstellen.
In bestimmten Fällen, insbesondere bei multiplen superfiziellen Basalzellkarzinomen, können die Kürettage mit Elektrodesikkation oder das tangentiale Abtragen (Shave-Exzision) besonders im Rumpf- und Extremitätenbereich angewendet werden, ggf. auch die photodynamische Therapie und ablative Lasertherapie. Weiterhin kann das Zytostatikum 5-Fluorouracil topisch täglich für vier bis
sechs Wochen angewendet werden (1–5% in Creme oder Salbe). Basalzellkarzinome sprechen auch auf eine intraläsionale Behandlung mit Typ-I-Interferonen
(α, β) zu einem Prozentsatz von 50–90% bei Injektion von dreimal wöchentlich
1–3 Mio. IE. über drei Wochen mit klinischer Rückbildung an.
Strahlentherapie
Die Heilungsergebnisse alleiniger Strahlentherapie sind denen der konventionellen chirurgischen Verfahren vergleichbar, die adjuvante Radiotherapie bewirkt
bei R1- und R2-Resektionen eine beträchtliche Herabsetzung der lokalen Rezidivrate.
Indikationen ergeben sich aus fehlender Operationswilligkeit, aus allgemeiner
oder lokaler Inoperabilität, im Falle von R1- oder R2-Situationen und Rezidiven.
Bei einem zu erwartenden schlechten kosmetischen Ergebnis nach Operation
sowie bei geplanten ausgedehnten plastischen Eingriffen ist die primäre Strahlentherapie als Alternative vorzuziehen.
In Abhängigkeit von der Lokalisation und Ausdehnung werden Einzeldosen zwischen 2,0 und 5,0 Gy eingesetzt. Postoperativ kommen Gesamtdosen zwischen
40,0 Gy (R1) und 60,0 Gy (R1, R2) zur Anwendung. Für definitive Bestrahlungen
ist eine Gesamtdosis von 70,0 Gy mit ausreichendem Sicherheitsabstand notwendig. Der Einsatz der unterschiedlichen Strahlenqualitäten und ggf. des Afterloading richtet sich nach der jeweiligen Bestrahlungsregion, der Größe des
Tumors und dem Zustand des Patienten.
Bei großen Tumoren (> 2 cm) sollte die Elektronentherapie bevorzugt eingesetzt
werden.
G 1.3 Nachsorge
Nach mikrographischer Chirurgie ist trotz der geringen Rezidivrate bei Primärtumoren eine Nachsorge nötig, da neue Tumoren in ca. 30% auftreten können.
Bei anderen Verfahren sind Rezidive nach nicht erkannter subtotaler Exzision
meist in einem Zeitraum von drei Jahren (ca. 70%) klinisch erfassbar, können
aber auch noch nach über zehn Jahren auftreten. Eine klinische Nachkontrolle ist
zumindest drei Jahre lang jährlich empfehlenswert. Patienten mit lokal rezidivierenden oder nicht in toto exzidierten Tumoren oder solche mit höherem Risiko
für weitere neue Tumoren (Immunsuppression, genetische Disposition) werden
individuell engmaschiger nachkontrolliert.
335
Von großer Bedeutung ist die Aufklärung des Patienten verbunden mit einer genauen Anweisung zur Selbstuntersuchung.
Literatur
1 Fleming ID, Amonette R, Monaghan T, Fleming MD (1995) Principles of
management of basal and squamous cell carcinoma of the skin. Cancer 75:
699–704
2 Garbe C (Hrsg) (1998) Diagnostische und therapeutische Standards in der
Dermatologischen Onkologie. Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
3 Garbe C (1999) Basalzellkarzinom. In: Schmoll HJ, Höffken K, Possinger K
(Hrsg) Kompendium Internistische Onkologie, 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York, pp 1981–1991
4 Holzschuh J, Breuninger H (1996) Eine histologische Aufarbeitungstechnik
von Hauttumorexzisaten zur lückenlosen Schnittrandkontrolle. Pathologe
17: 127–129
5 Randle HW (1996) Basal cell carcinoma. Identification and treatment of the
high-risk patient. Dermatol Surg 22: 255–261
6 Reisner K, Haase W (1996) Strahlentherapie der Haut. In: Scherer E, Sack H
(Hrsg) Strahlentherapie, 4. Aufl. Springer, Heidelberg, pp 719–730
7 Seegenschmiedt MH, Oberste-Beulmann S, Lang E, Lang B, Guntrum F,
Olschewski T (2001) Strahlentherapie des Basalzellkarzinoms – lokale Kontrolle und kosmetische Ergebnisse. Strahlenth Onkol 177: 240–246
Verfahren zur Konsensbildung
Aktualisierte Kurzfassung erstellt im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft
und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, basierend auf den „Diagnostischen und therapeutischen Standards der Dermatologischen Onkologie”
(C.Garbe, ed.), Kapitel Basalkarzinom von H. Breuninger und C. Garbe, Tübingen.
Beratend haben bei der Erstellung der Kurzfassung von 1999 mitgewirkt:
Prof. Dr. med. P. Hermanek, Erlangen (ISTO), Prof. Dr. med. K. Höffken, Jena
(AIO)
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
336
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG)
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. H. Breuninger, Prof. Dr. C. Garbe
Universitäts-Hautklinik Tübingen
Liebermeisterstraße 25
D-72076 Tübingen
Erste Fassung: Dezember 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
337
G2
Dermatofibrosarcoma
protuberans
Das Dermatofibrosarkom ist ein eher selten vorkommender, fibrohistiozytärer,
ausschließlich an der Haut vorkommender Tumor von intermediärer Malignität.
Das lokale infiltrative Wachstum des Dermatofibrosarcoma protuberans ist gekennzeichnet durch asymmetrische, subklinische Ausläufer, besonders häufig
langstreckig (teils viele cm) in horizontaler Richtung, und auch eine Infiltration
tief liegender Strukturen. Er neigt zu lokalen Rezidiven und metastasiert nur selten.
G 2.1 Diagnostik
Das Dermatofibrosarkom ist ein meist hautfarbener manchmal braun-gelb tingierter, manchmal auch rötlicher, uncharakteristischer, flach erhabener, derber,
unregelmäßig konturierter manchmal auch multinodulärer Tumor, mit teilweise
jahrelanger Bestandsdauer. Eine sichere klinische Diagnose ist nicht möglich, die
Ausbreitung des Tumors erfolgt meist intra- und subkutan.
Die Diagnose wird in der Regel durch eine Inzisionsbiopsie, seltener durch Exzisionsbiopsie gestellt. Histologisch finden sich dicht gelagerte atypische spindelförmige und wenig pleomorphe Zellen mit einer oftmals charakteristischen sog.
Radspeichenstruktur. Das Dermatofibrosarkom muss histopathologisch einerseits von benignen atypischen Dermatofibromvarianten und Dermatomyofibrom
abgegrenzt werden und andererseits von dem prognostisch meist viel ungünstigeren malignen fibrösen Histiozytom.
Ultraschalluntersuchungen (7,5–10 MHz bzw. 20 MHz für kleinere Tumoren),
CT- und MRT-Aufnahmen lassen nur bedingt Aussagen über die wirkliche Infiltration zu, im Einzelfall können diese Untersuchungen präoperativ nützlich sein.
Bei Rezidiven sind zur Ausbreitungsdiagnostik eine Lymphknotensonographie
und ein Röntgen-Thorax notwendig.
Prognose und Stadieneinteilung
Das Dermatofibrosarcoma protuberans wächst lokal destruierend und Lokalrezidive sind vergleichsweise häufig in Abhängigkeit von der Behandlungsstrategie.
In der Literatur werden Lokalrezidive bei bis zu 80% der Patienten berichtet.
Lymphknotenmetastasierungen können auftreten. Fernmetastasierungen sind
vergleichsweise selten, in der Literatur finden sich Größenordnungen von ca.
5% nach zuvor aufgetretenen Lokalrezidiven. Eine verbindliche Stadieneinteilung existiert nicht.
338
G 2.2 Therapie
Mikrographische Chirurgie
Mikrographische Chirurgie bedeutet die chirurgische Exzision des Tumors mit einer nachvollziehbaren Markierung und anschließender lückenloser Histologie
der Exzisatschnittränder.
Die histologische Aufarbeitung sollte nur im Paraffinschnittverfahren erfolgen,
da Kryostatschnitte nicht sensitiv genug sind. Durch diese Aufarbeitungstechnik
ist eine topographische Zuordnung von subklinischen Ausläufern möglich mit
entsprechenden Nachexzisionen, bis die Exzisataußenfläche tumorfrei ist. Auch
die Verwendung immunhistologischer Färbungen mit anti-CD34 kann hilfreich
sein.
Die Sicherheitsabstände der einzelnen Schritte sollten in der Regel ca. 1 cm betragen. Bei diesem Vorgehen kann gleichzeitig gesunde Haut geschont werden,
da nur in Arealen der histologisch festgestellten Tumorinfiltration exzidiert wird.
Dieses Verfahren bietet also sowohl Vorteile hinsichtlich der Sicherheit als auch
des kosmetischen und funktionellen Ergebnisses.
Andere Behandlungsverfahren
Alle nicht kontrollierten Verfahren müssen infolge dieser spezifischen lokalen Infiltration des Dermatofibrosarcoma protuberans mit einem höheren Rezidivrisiko
rechnen, auch wenn unverhältnismäßig große Sicherheitsabstände (3 bis 5 cm
und mehr) eingeplant werden.
Die Indikation einer Strahlenbehandlung ergibt sich bei primärer Inoperabilität,
R1- oder R2-Resektion sowie bei Z. n. mehrfachen Rezidiven. Das Zielvolumen
umfasst die Primärtumormanifestation, postoperative Narben sowie einen Sicherheitsabstand von 3–5 cm. Einzeldosis 2 Gy, 5 × pro Woche, mit einer Gesamtdosis von 60 Gy (mikroskopischer Tumor) bis 70 Gy (makroskopischer Tumor) bei kurativer Zielsetzung. In der Palliation und abhängig von der Lokalisation mit entsprechenden umgebenden Risikostrukturen sind 50 Gy Gesamtdosis
anzustreben.
Eine wirksame Chemotherapie ist nicht bekannt.
G 2.3 Nachsorge
Über die Nachsorge gibt es keine Literaturbelege. Sie richtet sich vor allem auf
die frühzeitige Erfassung von Lokalrezidiven oder Lymphknotenmetastasierungen. Hierzu sind klinische Untersuchungen in halbjährlichen Abständen für mindestens fünf Jahre empfehlenswert. Technische Untersuchungen sind nur bei
Bedarf notwendig.
339
Literatur
1 Abenoza P, Lillemoe T (1993) CD34 and factor XIIIa in the differential diagnosis of dermatofibroma and dermatofibrosarcoma protuberans. Am J Dermatopathol 15: 429–434
2 Breuninger H, Thaller A, Schippert W (1994) Die subklinische Ausbreitung
des Dermatofibrosarcoma protuberans (DFSP) und daraus resultierende
Behandlungsmodalitäten. Hautarzt 45: 541–545
3 Breuninger H (1998) Dermatofibrosarcoma protuberans. Hautarzt 48 (suppl
1): S46–S48
4 Koh CK, Ko CB, Bury HP, Wyatt EH (1995) Dermatofibrosarcoma protuberans. Int J Dermatol 34: 256–260
5 Parker TL, Zitelli JA (1995) Surgical margins for excision of dermatofibrosarcoma protuberans. J Am Acad Dermatol 32: 233–236
Verfahren der Konsensbildung
Aktualisierte Kurzfassung, erstellt im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft
und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, basierend auf dem Kapital
Dermatofibrosarcoma protuberans von H. Breuninger in „Diagnostische und
therapeutische Standards der Dermatologischen Onkologie” (C. Garbe, Hrsg.,
Zuckschwerdt, München, Bern, Wien, New York, 1998).
Beratend haben bei der Erstellung der aktualisierten Kurzfassung mitgewirkt:
Prof. Dr. R. Andreesen, Regensburg (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und
Onkologie), Prof. Dr. K. Höffken, Jena (Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie), Prof. Dr. R. Moll, Marburg (Arbeitgemeinschaft Experimentelle Krebsforschung, Abteilung Pathologie und Diagnostik), Prof. Dr. H. Sauer, München
(Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren).
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
ADO
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
340
Fachgesellschaften
Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG)
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Dermatologie (DDG)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. H. Breuninger
Universitäts-Hautklinik Tübingen
Liebermeisterstraße 25
D-72076 Tübingen
Erste Fassung: März 2000
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
341
G3
Kutane Lymphome
Kutane Lymphome (CL) bestehen aus einer Akkumulation von Lymphozyten in
der Haut. Sie sind zytomorphologisch vergleichbar zu Lymphomen an anderen
Lokalisationen, wie z.B. gastrointestinal oder nodal. Auf Grund des spezifischen
Mikroenvironmentes der Haut, präsentieren sie sich klinisch und histologisch in
besonderen Varianten. Entscheidend ist es, ein primäres CL abzugrenzen von
Hautmanifestationen nodaler Lymphome. Dies ist insbesondere für kutane BZell-Lymphome (CBCL) schwierig, sodass erst nach zweimaligem Ausschluss
einer internen Manifestation innerhalb von sechs Monaten von einem primär
kutanen CBCL gesprochen werden darf.
G 3.1 Diagnostik (Tabelle 1)
Die Mehrheit der Lymphome der Haut kann bereits klinisch vermutet werden,
dennoch ist eine histologische und immunhistologische Untersuchung unerlässlich. Molekularbiologische Verfahren gewinnen in jüngster Zeit zunehmend
mehr Einfluss auf Diagnostik und Klassifikation maligner Lymphome der Haut
sowie deren Abgrenzung zu reaktiven lymphozytären Infiltraten
Tabelle 1. Diagnostik bei CL.
Klinische Untersuchung
Apparative Diagnostik
Laboruntersuchungen:
Bei B-Zell-Lymphomen:
Bei T-Zell-Lymphomen:
342
Erhebungen eines genauen Hautbefundes auf
einem Erhebungsbogen
Exakter Status aller Lymphknotenstationen
(Palpation; ggf. Lk-Sono)
Palpation von Leber und Milz
Biopsie von befallenen Hautarealen
(einschl. Immunhistologie, evtl. molekularbiologischer Klonalitätsnachweis)
Fallweise nützlich: Fotodokumentation
Abdomen-Sonographie
Röntgen-Thorax-Untersuchung in zwei Ebenen
Fallweise nützlich: CT-Thorax, CT Abdomen und
andere gezielte bildgebende Untersuchungen
Komplettes Routinelabor (BSG, Blutbild,
Differenzialblutbild, Leberenzyme, Nierenwerte,
LDH, Elektrolyte, Elektrophorese)
Immunelektrophorese aus Serum und Urin
Beckenkammbiopsie
Blutausstrich auf Sézary-Zellen
Fallweise nützlich: Biopsien von vergrößerten
Lymphknoten und Organen
Klassifikation
Die EORTC-Gruppe „Kutane Lymphome“ hat aufgrund der Besonderheiten dieser Erkrankungen 1997 den folgenden Klassifikationsvorschlag publiziert, der
neben der Morphologie auch das klinische Verhalten berücksichtigt (Tabelle 2).
Etwa 85% der CL lassen sich damit erfassen. Dieser Vorschlag wurde weitgehend auch in der jüngsten WHO-Klassifikation berücksichtigt. Daneben gibt es
zahlreiche Sonderformen.
Tabelle 2. EORTC-Klassifikation der kutanen Lymphome.
Prognostische
Einordnung
T-Zell-Lymphome (CTCL)
der Haut
Indolent
(Überlebenszeit Mycosis fungoides
> 10 Jahre)
(MF) + follikuläre
Muzinose
B-Zell-Lymphome (CBCL)
der Haut
Keimzentrumlymphom
Immunozytom (einschl.
Marginalzonen B-ZellLymphom)
Pagetoide Retikulose
großzelliges CTCL,
CD30 + (anaplastisch,
immunoblastisch,
pleomorph)
lymphomatoide
Papulose
großzelliges B-Zell-Lymphom
des Beins
Intermediär
(Überlebenszeit
> 5 Jahre)
Aggressiv
großzelliges CTCL,
(Überlebenszeit
CD30- (immunoblastisch,
< 5 Jahre)
pleomorph)
Sézary-Syndrom (SS)
Provisorisch
Granulomatous slack skin
CTCL pleomorph,
klein-/mittelgroßzellig
subkutanes pannikulitisähnliches CTCL
intravaskuläres CBCL
Plasmozytom
Stadieneinteilung
Zur Stadieneinteilung der kutanen T-Zell-Lymphome wird die TNM-Klassifikation
verwendet, die auch gewisse prognostische Bedeutung hat (Tabelle 3). Insbesondere für die T-Zell-Lymphome gilt, dass die frühen Stadien (IA–IIA) in der Regel
eine sehr gute Prognose aufweisen mit mittleren Überlebenszeiten von ca. zehn
bis 20 Jahren.
343
In höheren Stadien (Stadium III, Sézary-Syndrom) ist die Prognose wesentlich ungünstiger. Die zu erwartende mittlere Überlebenszeit liegt dann nur bei ca.
drei Jahren.
Tabelle 3. TNM-Stadieneinteilung für CL (UICC 1993).
Kategorie
Definition
T: Primärtumor
TX
T0
T1
T3
T4
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
Kein Anhalt für Primärtumor
Begrenzte Plaques, Papeln oder ekzematöse Herde,
weniger als 10% der Körperoberfläche einnehmend
Disseminierte Plaques, Papeln oder erythematöse Herde,
10% oder mehr der Körperoberfläche einnehmend
Tumoren (einer oder mehrere)
Generalisierte Erythrodermie
N: Lymphknoten
NX
N0
N1
Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden
Regionäre Lymphknoten nicht befallen
Regionäre Lymphknoten befallen
T2
M: Nicht regionärer extrakutaner Befall („Fernmetastasen”)
MX
Nichtregionärer extrakutaner Befall kann nicht beurteilt
werden
M0
Kein Nichtregionärer extrakutaner Befall
M1
Nichtregionärer extrakutaner Befall
Stadiengruppierung der TNM-Einteilung (UICC 1993)
344
Stadium
T
N
pN
M
IA
IB
IIA
IIB
III
IVA
IVB
1
2
1/2
3
4
jedes
jedes
0
0
1
jedes
jedes
jedes
jedes
0,X
0,X
0,X
0,X
0,X
1
jedes
0
0
0
0
0
0
1
G 3.2 Therapie
Da die kutanen malignen Lymphome eine heterogene Gruppe von Erkrankungen darstellen, sind allgemein gültige Leitlinien für ihre Behandlung nicht verfügbar. Die Situation ist auch dadurch erschwert, dass fast keine kontrollierten
prospektiven Studien vorliegen, die sichere Aussagen über Dosis, Dauer oder effektive Kombinationen erlauben. Auf jeden Fall muss die Therapie der CTCL abgegrenzt werden von der Therapie der CBCL.
Für CTCL wird eine stadiengerechte, eher zurückhaltende Therapie empfohlen.
In frühen Stadien stehen lokale Therapieverfahren im Vordergrund wie topische
Steroide, PUVA (Psoralen plus UVA), lokal applizierte Zytostatika wie BCNU oder
eine Radiotherapie mit schnellen Elektronen bzw. eine Röntgenweichstrahltherapie. In fortgeschrittenen Stadien bieten sich systemische Therapien an, z. B. eine Kombination aus PUVA mit Retinoiden oder rekombinantem Interferon-alpha. Bei leukämischen Patienten (SS) ist die nebenwirkungsarme extrakorporale
Photopherese in Kombination mit Interferon-alpha oder Retinoiden oft wirksam.
In Spätstadien kann auch eine palliative Chemotherapie versucht werden. Dabei
ist allerdings immer zu bedenken, dass sichere Effekte auf die Überlebenszeit
nicht nachgewiesen sind, und dass diese Behandlungsverfahren zu einer weiteren Immunsuppression führen und damit infektiöse Komplikation gehäuft auftreten.
Primär kutane B-Zell-Lymphome ohne sonstige Manifestation weisen eine wesentlich günstigere Prognose auf als die nodalen B-Zell-Lymphome, auch wenn
sie histologisch als „hochmaligne“ klassifiziert werden. Deshalb reicht in vielen
Fällen eine Lokaltherapie aus. Möglich ist eine operative Entfernung oder eine
Radiotherapie (Röntgenweichstrahltherapie 6–10 × 2 Gy; 30–50 kV, 2 ×/Woche,
schnelle Elektronen 40 Gy). In einzelnen Fällen kann eine Interferon-Therapie zur
kompletten Remission führen. Nur bei extrakutaner Manifestation ist primär eine Polychemotherapie indiziert.
Phototherapie
Die Phototherapie mit PUVA (Psoralen und UVA) ist eine bedeutende Therapiemaßnahme bei der Behandlung der indolenten T-Zell-Lymphome der Haut. Für
die Behandlung von leukämischen CTCL-Patienten im Stadium III (beinhaltet das
Sézary-Syndrom) hat sich die extrakorporale Photopherese etabliert.
Andere Behandlungen
Im Rahmen von Hautlymphomen ist eine operative Therapie indiziert bei kleinen
solitären Läsionen von pleomorphen CTCL (oft CD30+) oder CBCL. In beiden
Fällen kann die Operation gelegentlich kurativ sein. Es empfiehlt sich ein Sicherheitsabstand von 0,5–1,0 cm bei der Entfernung.
Für lokalisierte Läsionen kutaner Lymphome (z.B. Tumoren bei der MF oder BZell-Lymphome) ist die Röntgenweichstrahltherapie (Dermopan, 6–10 × 2 Gy,
2 ×/Woche) mit 20–50 kV eine sehr nebenwirkungsarme und effiziente Methode. Diese Behandlungsform lässt sich gut kombinieren mit einer systemischen
Gabe von Interferon, Retinoiden, Methotrexat oder Polychemotherapie.
345
Für multiläsionale großzellige CD30+ CTCL ist Methotrexat (7–20 mg/m2 KO,
1 ×/Woche) die Behandlung der ersten Wahl.
Bei ausgedehnten sehr oberflächlichen Formen kutaner Lymphome wie z.B.
Frühstadium der MF, kann durch eine Bestrahlung mit schnellen Elektronen oftmals eine lang anhaltende komplette Remission erzielt werden. So erzielte eine
Therapie mit schnellen Elektronen (ca. 30–40 Gy) eine komplette Remission in
etwa 85% der Patienten. Bei fortgeschrittenen Stadien können auch Behandlungen mit einer Dosierung von 15–30 Gy eingesetzt werden, um einen palliativen Effekt zu erzielen. Allerdings ist diese Technik sehr aufwändig und benötigt
einen Linearbeschleuniger, der schnelle Elektronen mit einer Energie von 4–18
MeV erzeugt. Als Folge der Bestrahlung kommt es immer wieder zu einer permanenten Schädigung der Hautanhangsgebilde mit stark reduzierter oder fehlender Schweiß- und Talgsekretion (chronisches Radioderm).
Zur Behandlung von CTCL werden häufig Retinoide oder Interferon eingesetzt.
Als Richtwert kann eine Dosierung von 9 Mill.I.E. Interferon-α 3 ×/Woche und
0,5 mg–1,0 mg/kg Körpergewicht Acitretin gelten. Wahrscheinlich sind bei einer
Kombinationsbehandlung mit PUVA oder ECP (extrakorporale Photochemotherapie) niedrigere Dosierungen notwendig.
Für Interleukin-2-Rezeptor-positive CTCL stellt die Behandlung mit Fusionsproteinen aus IL-2 und Diphtherietoxinen eine interessante noch experimentelle
Therapie dar. Bei CBCL wurde über gute Erfolge einer experimentellen Therapie
mit intraläsionaler oder systemischer Anwendung von Rituximab (chimärer antiCD20-Antikörper) berichtet.
Chemotherapie
Nach den vorliegenden Erfahrungen kann durch die Polychemotherapie auch
einschließlich Knochenmarktransplantation keine Heilung erzielt werden. Deshalb bleibt diese Behandlung als palliative Maßnahme den fortgeschrittenen
Stadien vorbehalten, wobei immer zuerst weniger aggressive Behandlungen,
wie das Knospe-Schema empfohlen werden. Erst in späteren Stadien kann auch
CHOP oder COPBLAM zum Einsatz kommen. Therapiealternativen mit guter
Wirksamkeit bei fortgeschrittener CTCL stellen nach jüngeren Berichten liposomales Doxorubicin (Caelyx®) und Gemcitabin dar.
Tabelle 4. Empfehlungen zur stadiengerechten Therapie von CTCL.
346
Stadium
Therapie
Stadien Ia, Ib
PUVA (Psoralen (5-Methoxypsoralen 1,2 mg/kg oder
8-Methoxypsoralen 0,8–1,2 mg/kg Körpergewicht)) zwei
Stunden vor UVA 0,5–6,0 J/ cm2/3 × wöchentlich) eventuell
in Kombination mit 0,5–1mg Acitretin /kg (Re-PUVA)
Ganzkörperapplikation von Carmustin (BCNU), 5 mg in
Unguentum cordis für drei Tage alle zwei Wochen (cave
Thrombozytopenie)
Tabelle 4. Fortsetzung.
Stadium
Therapie
Bei Progress:
PUVA mit IFN-α (3–9 Mill. I.E. s. c. 3 ×/Woche) 0,5–1 mg
Acitretin/kg Körpergewicht mit IFN-α (3–9 Mill. I.E. s. c.
3 ×/Woche)
Ganzhaut „schnelle Elektronen“
Methotrexat 7–20mg/ m2 Körperoberfläche, 1 ×/Woche.
Stadium IIb
PUVA mit IFN-α oder Acitretin mit IFN-α wie oben
kombiniert mit Röntgenweichstrahltherapie (6–10 × 2 Gy;
30–50 kV, 2 ×/Woche).
Ganzhaut „schnelle Elektronen“
Chemotherapie mit
Knospe-Schema (Chlorambucil 0,4 bis 0,7 mg/kg Körpergewicht verteilt über Tag 1 bis 3 p. o., Prednisolon 75 mg
Tag 1, 50 mg Tag 2, 25 mg Tag 3 p. o.) Wiederholung
ab Tag 15
COP (Vincristin 1,4 mg/m2 Körperoberfläche max. 2 mg i.
v. Tag 1, Cyclophosphamid 400 mg/m2 Körperoberfläche
i.v. Tag 1–5, Prednisolon 100 mg/m2 Körperoberfläche
Tag 1–5 p.o.) Wiederholung ab Tag 29
CHOP (Cyclophosphamid 750 mg/m2 Körperoberfläche i.v.
Tag 1, Adriamycin 50mg/m2 i.v. Tag 1, Vincristin 1,4 mg/m2
Körperoberfläche max. 2 mg i. v. Tag 1, Prednisolon
100 mg/m2 Tag 1–5 p.o., Wiederholung ab Tag 29
bei High-grade-Histologie evtl. auch
COPBLAM (Cyclophosphamid 400 mg/m2 i. v. Tag 1,
Vincristin 1,0 mg/m2 Tag 1, Prednisolon 40 mg/m2 Tag 1–10
p.o., Bleomycin 15 mg i. v. Tag 14, Adriamycin 50 mg/m2
i.v. Tag 1, Procarbazin 100 mg/m2 Tag 1–10 p.o.;
Wiederholung ab Tag 22)
Bei Progress:
Stadium III
Photopherese (Tag 1 und 2 alle 4 Wochen). Falls keine
(beinhaltet
Remission: zusätzlich IFN-α (3–9 Mill. I.E. s. c. 3 ×/Woche)
Sézary-Syndrom)
oder 0,5–1 mg Acitretin/kg
Methotrexat 7–20mg/m2, 1 ×/Woche
PUVA mit IFN-α wie oben
Bei Progress
palliative PUVA
Ganzhaut „schnelle Elektronen“
Röntgenfernbestrahlung
Chemotherapie wie oben
experimentelle Therapien (Interleukin-2-Fusionstoxine)
Stadium IVa, IVb
palliative Therapie mit Chemotherapie (siehe oben)
eventuell kombiniert mit IFN-α oder Retinoiden (vgl. oben)
Photopherese bei leukämischen Patienten
oder experimentelle Therapien
347
G 3.3 Nachsorge
Die Nachsorgeintervalle bei Patienten mit kutanen Lymphomen sind dem klinischen Bild anzupassen.
Während in früheren Stadien (IA, IB) Nachsorgeintervalle von sechs bis 12 Monaten sinnvoll sind, werden in fortgeschrittenen Stadien (III–IV) die Vorstellungsintervalle in Abhängigkeit von den jeweiligen Therapieschemata gewählt.
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Verfahren zur Konsensbildung
Aktualisierte Kurzfassung, erstellt im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft
und der Deutschen Gesellschaft für Dermatologie, basierend auf dem Kapitel
„Kutane Lymphome” von R. Dummer in „Diagnostische und therapeutische
Standards in der Dermatologischen Onkologie” (C. Garbe, Hrsg., Zuckschwerdt,
München Bern Wien New York, 1998).
Beratend haben bei der Erstellung der aktualisierten Kurzfassung mitgewirkt:
Prof. Dr. R. Andreesen, Regensburg (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und
Onkologie), Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO), Prof. Dr. K. Höffken, Jena
(Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie), Prof. Dr. R. Moll, Marburg
(Abteilung Experimentelle Krebsforschung, Arbeitsgemeinschaft Pathologie und
Diagnostik), Prof. Dr. H. Sauer, München (Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Tumorzentren), Prof. Dr. U. Wollina, Jena (Arbeitsgemeinschaft Dermatologische
Onkologie)
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurde nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
349
Arbeitsgemeinschaften
ADO
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG)
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordinator
Prof. Dr. R. Dummer
Universitäts-Spital Zürich
Dermatologische Klinik
Gloriastraße 31
CH-8091 Zürich
Schweiz
Erste Fassung: März 2000
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
350
G4
Kutanes neuroendokrines
Karzinom (Merkelzell-Karzinom)
Das kutane neuroendokrine Karzinom wurde zuerst unter dem Begriff des „trabekulären Karzinoms“ beschrieben und wird häufig auch als „Merkelzell-Karzinom“ bezeichnet. Die meisten Autoren nehmen an, dass es aus der Merkelzelle
der Haut, die die Tastempfindung an dermale Nervenendigungen weiterleitet,
hervorgeht. Die Merkelzelle wird dem diffusen (oder verstreuten oder disseminierten) neuroendokrinen System zugeordnet und dürfte an der Mechanorezeption beteiligt sein. Es erkranken vorwiegend Personen höheren Alters.
G 4.1 Diagnostik
Das Merkelzell-Karzinom stellt sich meist als solider, rötlich-violetter, halbkugeliger oder kugeliger, manchmal auch plaqueförmiger Tumor dar. Es ist klinisch
nicht sehr charakteristisch, die Diagnose wird meist erst anhand des feingeweblichen Befundes gestellt. Die Diagnosesicherung erfolgt durch Histologie und
Immunhistologie.
Histologisch ist das Merkelzell-Karzinom ein dermal gelegener Tumor. Es besteht
aus kleinen epitheloiden Zellen, die unterschiedlich große Stränge und solide
Zellkomplexe bilden. Ein typisches Merkmal des Merkelzell-Karzinoms ist das
nukleäre Chromatinmuster. Die Diagnose muss immer immunhistologisch gesichert werden. Wie auch normale, nicht maligne veränderte Merkelzellen exprimieren Merkelzell-Karzinome sowohl epitheliale als auch neuroendokrine Antigene. In der immunhistologischen Diagnostik wertvoll sind die Antikörper gegen
Zytokeratin 8/18 und besonders 20 sowie Antikörper gegen die neuronenspezifische Enolase und gegen Chromogranin A.
Nach Diagnose des Primärtumors sollte eine Ausbreitungsdiagnostik mittels
Lymphknotensonographie der drainierenden Lymphknotenstation erfolgen.
Auch eine Abdomen-Sonographie ist ebenso wie eine Röntgen-Thorax-Untersuchung zu fordern. Bei klinischem Verdacht auf eine Fernmetastasierung in innere
Organe werden die üblichen organspezifischen Untersuchungen wie z. B. die
Magnetresonanztomographie des Hirns oder Computertomographie des Thorax
bzw. des Abdomens zur weiterführenden Diagnostik durchgeführt.
Als experimentell ist derzeit die so genannte „Somatostatinrezeptor-Szintigraphie“ bei Verdacht auf Metastasierung anzusehen. Ein serologischer Tumormarker existiert derzeit nicht.
Prognose und Stadieneinteilung
Bei etwa 30% der Patienten mit einem Merkelzell-Karzinom ist mit einem letalen Ausgang zu rechnen. Etwa die Hälfte aller Patienten wird meist innerhalb des
ersten Jahres nach Entfernung des Primärtumors an einem Lokalrezidiv und/oder
351
einer Lymphknotenmetastasierung erkranken. Retrospektive Studien an mehr
als 400 in der Literatur publizierten Patienten zeigten folgende ungünstige prognostische Faktoren auf: fortgeschrittenes Tumorstadium (lokoregionäre Metastasen oder Fernmetastasen), männliches Geschlecht, Lokalisation des Primärtumors in der Kopf-Hals-Region oder am Rumpf, jüngeres Lebensalter (< 60 Jahre).
Prognostische Bedeutung hat auch die Unterscheidung von drei histologischen
Typen: dem trabekulären Typ, dem (weitaus häufigsten) intermediären Zelltyp
und dem kleinzelligen Typ. Der trabekuläre Typ ist der bestdifferenzierte, während der kleinzellige Typ am wenigsten differenziert ist.
Tabelle 1. Prognostische Bedeutung histologischer Subtypen.
Subtyp
Prognose
Trabekulärer Typ
Intermediärer Zelltyp
Kleinzelliger Typ
günstig
mittel
schlecht
Eine allgemein eingeführte Stadieneinteilung für Merkelzell-Karzinome existiert
nicht. Aufgrund des differenten biologischen Verhaltens im Vergleich zum Plattenepithelkarzinom der Haut erscheint eine Übernahme der Stadieneinteilung
für epitheliale Hauttumoren nicht sinnvoll. In der Literatur wird zumeist die Einteilung in Tabelle 2 verwendet.
Tabelle 2. Stadieneinteilung von Merkelzell-Karzinomen.
Stadium I
Stadium II
Stadium III
Primärtumor allein
lokoregionäre Metastasen
Fernmetastasen
G 4.2 Therapie
Operative Therapie
Bei Merkelzell-Primärtumoren ist die chirurgische Exzision als Basistherapie anzusehen. Wegen der hohen Rate von Lokalrezidiven in der Umgebung des Primärtumors sollte ein Sicherheitsabstand von etwa 3 cm eingehalten werden.
Natürlich ist der besonderen Lokalisation im Bereich des Gesichtes mit einem
geringeren Sicherheitsabstand ggf. Rechnung zu tragen. In diesen Fällen sollte
die mikrographische Chirurgie eingesetzt werden.
Eine elektive Lymphadenektomie der regionären Lymphknotenstationen im
Lymphabstromgebiet des Primärtumors wird von der Mehrzahl der Autoren
beim Merkelzell-Karzinom abgelehnt. Daten systematischer Auswertungen z. B.
im Rahmen prospektiv-randomisierter Studien liegen derzeit nicht vor.
352
In den letzten Jahren wurde verschiedentlich über den Nutzen der so genannten
„Sentinel-node-Biopsie“ (SNB) auch beim Merkelzell-Karzinom an allerdings
noch kleineren Fallzahlen berichtet. Auf jeden Fall wird die individuelle Prognoseabschätzung durch die SNB verbessert; ob die Heilungsraten beeinflusst werden, bleibt unklar.
Bei Lokalrezidiven oder Lymphknotenmetastasen ist die chirurgische Sanierung
nach wie vor die Therapie der Wahl. Diese sollte mit kurativer Intention vorgenommen werden. Bei Lymphknotenbefall ist eine radikale Lymphadenektomie
vorzunehmen.
Strahlentherapie
Merkelzell-Karzinome sind radiosensitiv und selbst größere Tumormassen können durch eine Bestrahlung vollständig zurückgebildet werden. Retrospektive
Analysen zeigen, dass die hohe lokale Rezidivrate nach alleiniger Operation
durch eine kombinierte lokoregionäre Strahlenbehandlung deutlich gesenkt
wird (in Literaturübersichten p < 0,00001), offenbar aber ohne Einfluss auf das
Überleben. Lokale Kontrollen werden in bis zu 96% der Fälle erreicht. Als Methode der Wahl gilt die Exzision mit 3 cm Sicherheitsabstand und anschließende
Strahlentherapie lokal sowie des regionalen Lymphabflusses. Regionale Lymphknotenmetastasen sollten durch radikale Lymphknotenexzisionen und nachfolgende Strahlentherapie behandelt werden. Als erforderliche Gesamtdosis werden in der adjuvanten Situation 50–55 Gy, bei positiven Schnitträndern (R1)
60 –66 Gy, bei definitiver Bestrahlung inoperabler Tumoren oder makroskopischen Tumorresten (R2) 70 Gy bei einer Fraktionierung von 5 × 2,0 Gy/Woche
empfohlen.
Im Falle ungünstiger Lokalisation sind Kombinationen eines größeren Bestrahlungsgebietes mit 50 Gy Gesamtdosis und eine Boostbestrahlung der Tumorregion mit summativ 70 Gy möglich. Bei metastasierendem Merkelzell-Karzinomen
wird die Bestrahlung häufig im Rahmen multimodaler Therapiekonzepte neben
chirurgischen Exzisionen und/oder einer systemischen Chemotherapie eingesetzt.
Chemotherapie
Das Merkelzell-Karzinom ist als chemosensibler Tumor zu betrachten, bei dem
im Stadium der Fernmetastasierung zum Teil komplette Remissionen erzielt werden können. Deshalb ist eine systemische Chemotherapie als Palliativmaßnahme
bei Vorliegen von Fernmetastasen indiziert. Die verwendeten Therapieschemata
lehnen sich im Allgemeinen an Behandlungskonzepte des kleinzelligen Bronchialkarzinoms an. Kombinierte Behandlungen wurden mit Cyclophosphamid/ Methotrexat/5-Fluorouracil (3) und mit Vp-16/Cisplatin/Doxorubicin/ Bleomycin (1)
beschrieben.
Im Stadium der Fernmetastasierung hat die Chemotherapie bei einer ohnehin
nur sehr kurzen Überlebenszeit von wenigen Monaten nur einen palliativen
Charakter und die wenigen erzielten Remissionen halten im Allgemeinen nur
kurz an.
353
Immuntherapie
Der genaue Stellenwert der Immuntherapeutika kann aufgrund der geringen
Fallzahlen derzeit noch nicht beurteilt werden.
G 4.3 Nachsorge
Bis heute existieren keine wissenschaftlich gesicherten Studien zur Nachsorge des
Merkelzell-Karzinoms. An den meisten deutschen dermatologischen Kliniken erfolgt wegen der bekannten Gefahr von Lokalrezidiven oder regionären Lymphknotenmetastasen innerhalb des ersten Jahres nach Entfernung des Primärtumors
eine engmaschige Nachsorge in etwa vier- bis sechswöchigen Abständen. Danach
wird auf eine Nachsorge in vierteljährlichen Abständen und später in halbjährlichen Abständen übergegangen. Im Rahmen dieser Nachsorgeuntersuchung
erfolgt neben der klinischen Untersuchung mit Lymphknotenpalpation eine
Lymphknotensonographie vor allem der regionären Lymphknotenstationen. Einmal jährlich wird eine Oberbauchsonographie und eine Röntgen-Thorax-Untersuchung vorgenommen. Der Nachsorgezeitraum umfasst mindestens 5 Jahre.
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107–110
Verfahren zur Konsensbildung
Aktualisierte Kurzfassung, erstellt im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft
und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, basierend auf dem Kapitel
Kutanes neuroendokrines Karzinom (Merkelzellkarzinom) von A. Hauschild u. C.
Garbe in „Diagnostische und therapeutische Standards in der Dermatologischen
Onkologie” (C. Garbe, Hrsg., Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
1998).
Beratend haben bei der Erstellung der Kurzfassung von 2000 mitgewirkt:
Prof. Dr. R. Andreesen, Regensburg (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und
Onkologie) Prof. Dr. P. Hermanek, Erlangen (ISTO), Prof. Dr. K. Höffken, Jena
(Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie), Prof. Dr. R. Moll, Marburg
(Arbeitsgemeinschaft Experimentelle Krebsforschung, Abteilung Pathologie und
Diagnostik), Prof. Dr. H. Sauer, München (Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Tumorzentren).
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
355
Fachgesellschaften
Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG)
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. A. Hauschild
Universitäts-Hautklinik Kiel
Schittenhelmstraße 7
D-24105 Kiel
Prof. Dr. C. Garbe
Universitäts-Hautklinik Tübingen
Liebermeisterstraße 25
D-72076 Tübingen
Erste Fassung: März 2000
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
356
G5
Kaposi-Sarkom
Beim Kaposi-Sarkom (KS) handelt es sich um eine maligne, von den Gefäßendothelien ausgehende multilokuläre Systemerkrankung. Es werden vier klinische
Formen unterschieden: das so genannte klassische Kaposi-Sarkom, wie es meist
bei älteren Männern vorkommt, Kaposi-Sarkome bei Immunsuppression, das
afrikanische endemische Kaposi-Sarkom und das epidemische HIV-assoziierte
Kaposi-Sarkom. Das sexuell und über Blut übertragbare humane Herpesvirus 8
(HHV-8) wurde in allen Formen des KS nachgewiesen, eine HHV-8-Virämie und
die Bildung spezifischer Antikörper gehen der Manifestation des Tumors voraus.
G 5.1 Diagnostik
Initial entwickeln sich asymptomatische, lividrote Flecken oder Knoten, die sich
in Richtung der Hautspaltlinien anordnen. Einzelne oder wenige Tumoren können über Jahre unverändert bleiben oder sich in wenigen Wochen rasch ausbreiten. Konfluierende Plaques und infiltrierend wachsende Knoten, oft von massiven Ödemen begleitet, sind die Folge. Monströse Schwellungen ganzer Extremitäten oder des Gesichts kommen vor. Typisch sind kontusiforme Einblutungen in
die Tumorumgebung, die als gelb-grüne Verfärbungen imponieren. Weit fortgeschrittene Einzeltumoren können zentral nekrotisieren, exulzerieren und bluten.
Oral ist besonders die Schleimhaut des harten Gaumens betroffen. Hier entwickeln sich livide Erytheme, Plaques und Knoten mit Neigung zur Ulzeration.
Die auffälligen Merkmale, wie lividrote Färbung, Anordnung in den Hautspaltlinien, begleitende Ödeme, disseminiertes Auftreten (mit Schleimhautbeteiligung), erlauben häufig, die Diagnose bereits klinisch zu stellen. Dies gilt besonders für Patienten, bei denen eine HIV-Infektion oder sonstige Form der Immundefizienz bekannt ist. Bei Einzeltumoren oder in Zweifelsfällen sowie im Rahmen
von prätherapeutischen Staging-Untersuchungen erfolgt je nach Größe der Tumoren eine Exzisions- oder Inzisionsbiopsie zur histologischen Sicherung der Diagnose. In der Routine-Histologie (HE-Färbung) zeigen sich unter einer zunächst
unveränderten Epidermis im mittleren und oberen Korium schlitzförmige, sich
an regulären dermalen Gefäßen und Adnexen ausrichtende, neue, dünnwandige Blutgefäße mit herdförmigen Erythrozytenextravasaten, Hämosiderinablagerungen und einem lymphozytären Entzündungsinfiltrat. Auch der Nachweis von
HHV-8 im Tumorgewebe mittels PCR kann als weiterer diagnostischer Parameter
herangezogen werden.
Zur Ausbreitungsdiagnostik sind eine komplette Inspektion des Patienten
(inklusive der Schleimhäute), eine Lymphknotensonographie, eine Gastroduodeno- und Rektoskopie, eine Röntgen-Thorax-Untersuchung und eine abdominelle
Sonographie erforderlich.
357
Ein serologischer Tumormarker steht nicht zur Verfügung, jedoch lässt sich oft
schon im Vorfeld der Tumormanifestation mittels PCR das HHV-8 im Blut der
HIV-Infizierten nachweisen.
G 5.2 Prognose und Stadieneinteilung
Das klassische Kaposi-Sarkom gilt als wenig maligner, langsam progredienter Tumor, dessen Träger aufgrund des hohen Erkrankungsalters meist an anderen Erkrankungen versterben, bevor das Kaposi-Sarkom ein bedrohliches Ausmaß erreicht hat.
Vom Kaposi-Sarkom bei iatrogener Immunsuppression ist bekannt, dass bei Aufhebung der Immunsuppression eine spontane Rückbildung eintreten kann. Aggressive Verläufe sind auch bei dieser Patientengruppe selten. Die Möglichkeit
einer spontanen Tumorrückbildung wirft die Frage auf, ob es sich in solchen Fällen tatsächlich um einen malignen Tumor oder um eine durch Viren, Zytokine/Angiogenesefaktoren, Immunsuppression hervorgerufene, benigne Gefäßhyperproliferation handelt.
Tabelle 1. Stadieneinteilung des HIV-assoziierten epidemischen KaposiSarkoms (nach ACTGa (5)).
Frühstadium (gute Prognose):
Spätstadium (schlechte Prognose):
Wenn alle folgenden
Bedingungen erfüllt sind:
wenn eine einzige der folgenden
Bedingungen zutrifft:
1. Tumor (T): 0
Kaposi-Sarkom auf Haut und/oder
Lymphknoten beschränkt; allenfalls
minimale orale Beteiligung (nicht
erhabene Läsionen am harten
Gaumen)
1.Tumor (T): 1
pulmonales oder gastrointestinales
Kaposi-Sarkom; ausgedehnter
oraler Befall; tumorbedingte
Ödeme oder Ulzerationen
2. Immunstatus (I): 0
CD4-Zellen ≥ 200/µl
2. Immunstatus (I): 1
CD4-Zellen < 200/µl
3. Symptome (S): 0
Keine opportunistischen Infektionen,
kein Mundsoor, keine BSymptomatikb der HIV-Infektion
3. Symptome (S): 1
In der Anamnese opportunistische
Infektionen, Mundsoor, malignes
Lymphom oder HIV-assoziierte
neurologische Erkrankungen,
B-Symptomatik der HIV-Infektionb
a
b
358
AIDS Clinical Trial Group
B-Symptomatik = unklares Fieber, Nachtschweiß oder Diarrhö, die länger als
2 Wochen anhalten, Gewichtsverlust ≥10%
Das afrikanische, endemische Kaposi-Sarkom zeigt sowohl wenig maligne Verläufe (dem klassischen Kaposi-Sarkom vergleichbar) als auch aggressive (besonders als lymphadenopathische Form bei Kindern) rasch zum Tode führende Verläufe.
Das HIV-assoziierte Kaposi-Sarkom besitzt eine außerordentlich variable Dignität. Neben einzelnen Knoten und Flecken, die über mehrere Jahre chronisch stationär bleiben können, finden sich rasch progrediente Verläufe mit Dissemination unter Beteiligung von Lymphknoten und inneren Organen. Aggressives und
infiltratives Tumorwachstum kann binnen weniger Wochen zum Tod der Patienten führen. Bei Kaposi-Sarkomen der Lunge konnte ein malignes klonales Tumorwachstum nachgewiesen werden. Es finden sich jedoch auch unter antiretroviraler Therapie Vollremissionen des KS.
G 5.3 Therapie
Ein allgemein anerkanntes „Standardtherapieschema“ zur Behandlung des Kaposi-Sarkoms steht bisher noch nicht zur Verfügung. Bei HIV-infizierten Patienten, die bei der Diagnose eines Kaposi-Sarkoms noch nicht unter einer antiretroviralen Kombinationstherapie stehen, sollte diese auf jeden Fall eingeleitet werden (s. Leitlinien der deutsch-österreichischen Konsensuskonferenz zur
antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion 1999 (2, 3)). Eine suffiziente antiretrovirale Kombinationstherapie (Verminderung der Viruslast im Serum unter
die Nachweisgrenze, Wiederanstieg der absoluten CD4-Zellzahl/µl) ist bei vielen
Patienten in der Lage das KS zu stabilisieren oder ganz zur Abheilung zu bringen.
Darüber hinaus kommt am ehesten folgendes Vorgehen in Frage:
1. Im Frühstadium (nach ACTG, Tabelle 1): Lokaltherapeutische Maßnahmen
oder keine zusätzliche Therapie. Bei einsetzender Progredienz: primär Interferon-α kombiniert mit antiretroviraler Kombinationstherapie, liposomale Anthrazykline.
2. lm Spätstadium (nach ACTG, Tabelle 1): Primär im Stadium T 0, I 0, S 1 Interferon-α kombiniert mit antiretroviraler Kombinationstherapie. Sonst als Mittel
der ersten Wahl liposomale Anthrazykline; bei Versagen Paclitaxel oder Polychemotherapie (ABV-Schema).
Operative Therapie
Da es sich beim Kaposi-Sarkom um eine multilokuläre Systemerkrankung handelt, beschränkt sich die operative Therapie auf initiale Exzisionsbiopsien zur Diagnosesicherung und die palliative Beseitigung kleiner Tumoren in kosmetisch
auffälliger Lokalisation. Da die Tumoren oft weiter in die Umgebung reichen als
klinisch sichtbar wird und lokale Traumatisierungen zu neuen Tumoren führen
können (Köbner-Phänomen), ist mit Rezidiven in loco zu rechnen.
Strahlentherapie
Das Kaposi-Sarkom gilt als auffallend strahlensensibler Tumor. Oberflächliche
makulöse und plaqueförmige Kaposi-Sarkome werden mit Röntgenweichstrah-
359
len in Einzeldosen von 4–5 Gy, Gesamtdosis 20–30 Gy fraktioniert (3 ×/Woche)
bestrahlt. Das zu bestrahlende Feld sollte 0,5–1,0 cm über den sichtbaren Tumorrand hinausreichen, um Randrezidive durch die sich entlang der Gefäßlogen
ausbreitenden Tumorzellen zu verhindern.
Großflächige Kaposi-Sarkome mit ödematöser Schwellung und/oder Lymphknotenbeteiligung sollten nach Möglichkeit mit einer konventionellen Fraktionierung (5 × 2 Gy pro Woche) bis zu einer Gesamtzielvolumendosis von 40 Gy behandelt werden.
Chemotherapie
Für das klassische Kaposi-Sarkom kommt eine systemische Chemotherapie nur
in Einzelfällen mit viszeraler Beteiligung in Frage. Lokale Maßnahmen stehen im
Vordergrund. Die als Monotherapie oder in Kombination eingesetzten Therapieschemata mit liposomalen Anthrazyklinen entsprechen der Behandlung des epidemischen (HIV-assoziierten) Kaposi-Sarkoms (s.u.).
Eine kurative Therapie des epidemischen HIV-assoziierten Kaposi-Sarkoms steht
derzeit nicht zur Verfügung. Chemotherapiebedingte Knochenmarksuppression
mit der daraus resultierenden zusätzlichen Immunsuppression und der Gefahr
lebensbedrohlicher opportunistischer Infektionen sind für HIV-Patienten erhebliche Risikofaktoren. Um die Lebensqualität der Patienten möglichst lange zu erhalten, wird beim HIV-assoziierten Kaposi-Sarkom eine Chemotherapie erst bei
klinischer Symptomatik (z. B. Schmerzen), rascher Tumorprogression und/oder
Beteiligung innerer Organe eingeleitet und opportunistischen Infektionen durch
eine Komedikation mit Cotrimoxazol (1 × 480 mg/Tag oder 3 × 960 mg/ Woche)
vorgebeugt. Aufgrund myelotoxischer Wirkungen der Chemotherapeutika auf
das durch die HIV-Erkrankung bereits vorgeschädigte hämatopoetische System
werden ggf. begleitende Behandlungen mit G(M)-CSF, Erythropoietin oder Bluttransfusionen erforderlich.
Liposomale Anthrazykline zeigen die höchsten Remissionsraten bei der Behandlung von Kaposi-Sarkomen. Durch eine Behandlung mit dem pegylierten liposomalen Doxorubicin (Caelyx®) in einer Dosis von 20 mg/m2 Körperoberfläche (KO)
i.v. alle zwei bis drei Wochen, kann eine partielle Remission bei bis zu 80% der
behandelten Patienten erzielt werden. Das liposomale Daunorubicin (DaunoXome®) ist mit geringeren Remissionsraten bei einer Dosis von 40 mg/m2 KO i.v.
alle zwei Wochen assoziiert.
Die Nebenwirkungen dieser Medikamente beinhalten, meistens nach acht bis
zehn Zyklen auftretend, Neutropenien und Anämien. Die durchgeführten Studien haben gezeigt, dass Daunorubicin genauso wirkungsvoll ist und Doxorubicin
wirkungsvoller als der frühere Goldstandard der Kaposi-Sarkom-Behandlung
Adriamycin, Bleomycin und Vincristin (ABV-Schema) in Kombination eingesetzt.
360
Paclitaxel (Taxol®) ist ein sehr effektives Medikament zur Behandlung des KaposiSarkoms. Die Dosis ist 100 mg/m2 KO i.v. über drei bis vier Stunden alle zwei
Wochen. Bis 60% der Patienten zeigten partielle Remissionen. Die Toxizität des
Medikamentes betrifft Knochenmark und das Haarwachstum (Alopezie). Die
Wirkung besteht in einer Störung der strukturellen Reorganisation der intrazel-
lulären Mikrotubuli. Dies führt zu Mitosestörungen und zur Apoptose der Zelle.
Von der Paclitaxel-Therapie profitieren auch Patienten, die unter einem Anthrazyklin-haltigen Studienprotokoll progredient waren. Eine randomisierende Studie, die liposomales Doxorubicin mit Paclitaxel vergleicht,wird z.Z. erarbeitet.
Tabelle 2. Chemotherapie (Basisdaten der bisher veröffentlichten Studien).
Therapie
Dosierung
Ansprechratena
2
Vincristin
1,4 mg/m (max.2 mg) 1×/Woche i.v. CR/PR in10–85%
Vinblastin
4–6 mg/m2 (max. 18,5 mg/m2)
1×/Woche i.v.
Bleomycin
15 mg-Einzeldosen alle 2–3 Wochen CR/PR in 10–75%
i.m. oder 6 mg/m2/Tag über 4 Tage i.v.
alle 4 Wochen
Doxorubicin
20 mg/m2 alle 2 Wochen i.v.
mg/m2
CR/PR in 25–85%
CR/PR in 10–75%
Etoposid
50–150
Tage 1, 2, 3
alle 4 Wochen p.o. oder i.v.
CR/PR in 35–85%
Liposomales
Doxorubicin
20 mg/m2 alle 2 Wochen i.v
CR/PR in 50–95%
Liposomales
Daunorubicin
40 mg/m2 alle 2 Wochen i.v.
CR/PR in ca. 60%
ABV-Schema
Adriamycin 20 mg/m2,
Bleomycin 10 mg/m2,
Vincristin 1,4 mg/m2
(2,0 mg max.) alle 2 Wochen
CR/PR in 70–90%
Vincristin/
Bleomycin
Vincristin 2 mg Tage 1, 8, 15
und Bleomycin 0,3 mg/kg
Tage 1, 8, alle 4 Wochen oder
Vincristin 2 mg und Bleomycin
10 mg/m2 alle 2 Wochen
CR/PR in 60–75%
Vinblastin/
Bleomycin
Vinblastin 0,1 mg/kg, Bleomycin
15 mg im wöchentl. Wechsel
CR/PR bis 60%
Vincristin/
Vinblastin
Vincristin 2 mg i.v.,
Vinblastin 0,1 mg/kg
i.v. im wöchentl. Wechsel
CR/PR bis 43%
Vincaalkaloide
Klinische Studien
oder Bleomycin
und antiretrovirale
Therapien
CR/PR bis 80%
a
Ansprechraten sind als Summe von partiellen (PR) und kompletten Remissionsraten (CR) angegeben.
361
Neutropenie, Anämie
Selten: Hitzegefühl,
Atemnot, Rückenschmerzen
Palmo-plantare
Erythrodysaesthesie
Neutropenie
Thrombozytopenie
Anämie, Alopezie
selten: Hypotonie
EKG-Veränderungen
60%
60%
40 mg/m2 i.v. in
T1 I1 S0-1
zweiwöchigen Intervallen
100 mg/m2 i.v.
in zweiwöchigen
Intervallen
Liposomales
Daunorubicin
(DaunoXome®)
Paclitaxel
(Taxol®)
T1 I1 S0-1
Neutropenie, Anämie
selten: Hitzegefühl,
Atemnot, Rückenschmerzen
palmo-plantare
Erythrodysästhesie
80%
Nebenwirkungen
T1 I1 S0-1
20 mg/m2 i.v. in zweiwöchigen Intervallen
Liposomales
Doxorubicin
(Caelyx®)
Remissionsrate
Fieber
selten: Muskelschmerzen
depressive Verstimmungen
>200 CD4-T-Lymphozyten
endogenes IFN-α < 3 U/ml,
antiretrovirale Komb.-Therapie
3 × 106 I.E. s.c.
3 × wöchentlich
IFN-α (2a,b)
40%
Voraussetzung
Dosierung
Therapeutikum
Tabelle 3. Aktualisierte Therapieempfehlung zur systemischen Behandlung des Kaposi-Sarkoms (Bewertung siehe Text).
362
Tabelle 4. Interferon-Therapie (Basisdaten der bisher veröffentlichten
Studien).
Therapie
Dosierung
Erfolgsraten
rIFN-α 2a
18–36 Mio IE/Tag s.c.
CR/PR in 29–43%
rIFN-α 2b
18–35 Mio IE/m2 /Tag oder
3 × Woche s.c.
CR/PR in 38–60%
rIFN-β
(Beta-ser-IFN)
90–180 IE/Tag s.c.
CR/PR in 16%
(bei CD4 < 200/µl)
rIFN-α 2b
+Zidovudin
IFN-α 3–18 IE/Tag s.c.;
Zidovudin 2 × 250mg/ Tag p.o.
CR/PR 40–50%
rIFN-α + Zidovudin IFN-α 10 Mio IE/Tag s.c;
+ GM-CSF
Zidovudin 500–600 mg/Tag
p.o.; GM-CSF
125 mcg/kg/Tag s.c.
CR/PR > 50%
Immuntherapie
Das klassische sporadische Kaposi-Sarkom zeigt auf Klasse I-Interferone (IFN-α
2a, 2b; IFN-β) Remissionsraten von 60–70%. Ein standardisiertes Behandlungsschema existiert derzeit nicht. Da Inzidenz und Prävalenz der hierzulande häufigsten Form des Kaposi-Sarkoms, des epidemischen, HIV-assoziierten KS, in den
letzten fünf Jahren durch die Erfolge der antiretroviralen Kombinationstherapie
stark zurückgegangen sind, konnten aussagekräftige Studien mit den neuen
pegylierten Interferonen noch nicht durchgeführt werden. Prinzipiell ist durch
diese neuartige Applikationsform jedoch mit einer weiteren Verbesserung der
Interferon-Wirksamkeit bei geringeren Nebenwirkungen zu rechnen. Das IFN-γ
führt zur Tumorprogression und gilt als kontraindiziert.
Klinische Erfahrungen bei der Therapie des HIV-assoziierten KS sind vor allem mit
der systemischen Applikation des Interferon (IFN)-α gewonnen worden. Allerdings wurden alle Studien mit relevanten Patientenzahlen vor der Einführung
von HAART durchgeführt. Studien zur gemeinsamen Applikation von Interferonen und HAART liegen bisher nicht vor. Nach Expertenmeinung ist diese Kombination jedoch besonders effektiv, es werden nur niedrige Interferon-Dosen (z.B.
3 Mio IE 3 ×/Woche benötigt). Limitierende Nebenwirkungen entsprechen
denen der HAART-Behandlung. Bemerkenswert ist die klare Abhängigkeit des
Therapieerfolgs der Interferon-Behandlung vom Immunstatus des Patienten. Bei
mehr als 400 CD4-T-Lymphozyten/µl werden Remissionsraten von rund 45%
beobachtet, die bei weniger als 200 CD4-T-Lymphozyten/µl im peripheren Blut
auf 7% abfallen. Prognostisch bedeutsam sind zudem die endogenen IFN-αSpiegel, die im fortgeschrittenen Stadium des HIV-Infektes deutlich erhöht sind
und mit einer geringeren Ansprechrate von exogen applizierten IFN-α korrelieren. Die Indikation für eine Interferon-Therapie besteht in der Frühphase der HIVInfektion, d.h. bei CD4-T-Lymphozyten > 200/µl, endogenem Interferon-α-Spie-
363
gel unter 3 U/ml oder in späteren Stadien unter einer suffizienten HAART. Neben
der bekannten immunmodulierenden Wirkung der Interferone induzieren sie in
Tumorzellen die Apoptose und haben über eine Hemmung der Angiogenese
durch die Hemmung der β-FGF-Expression weitere antiproliferative Eigenschaften. Hat sich trotz einer effizienten antiretroviralen Therapie (HAART) ein KaposiSarkom neu etabliert oder zeigt ein bestehendes Kaposi-Sarkom keine Rückbildung unter HAART, reichen oft niedrige IFN-α Dosen zur Behandlung des Kaposi-Sarkoms aus. Initial werden in Kombination mit HAART 3–9 Mio. IE IFN-α
täglich, später 3–5 ×/Woche subkutan appliziert. Nach mindestens sechs bis acht
Behandlungswochen (oft deutlich später) können komplette Remissionen
erreicht werden.
Lokale Chemo- und Immuntherapie
Die lokale Chemo- und Immuntherapie hat gegenüber systemischen Anwendungen den Vorteil geringer bis fehlender systemischer Nebenwirkungen. Im Tumor können hohe, direkt antiproliferativ wirksame Wirkstoffkonzentrationen
von Interferonen und Chemotherapeutika erzielt werden. Lokale Therapien sind
ambulant durchführbar und verursachen deutlich geringere Kosten. Eingesetzt
werden je nach Größe und Lokalisation der Tumoren: Kryochirurgie, Vincaalkaloide, Bleomycin oder Interferone intraläsional, Röntgenweichstrahltherapie,
schnelle Elektronen, Kobalt-Bestrahlung (fraktioniert), Retinoide (9-cis-Retinsäure), Camouflage.
G 5.4 Nachsorge
Aufgrund der Seltenheit des klassischen Kaposi-Sarkoms älterer Menschen stehen valide Daten über den Nutzen regelmäßiger Nachsorgeuntersuchungen bisher nicht zur Verfügung. Die langsame Tumorprogression lässt klinische Kontrollen in sechsmonatigen Abständen als sinnvoll erscheinen.
Beim HIV-assoziierten epidemischen Kaposi-Sarkom bestimmt meist die zugrunde liegende HIV-Erkrankung mit ihren opportunistischen Infektionen und der
Notwendigkeit der regelmäßigen Therapiekontrollen (HAART) die Nachsorgeintervalle. Da jedoch in Einzelfällen auch bei noch gutem Immunsystem (CD4
> 400/µl) mit einer raschen Tumorprogression und Organbeteiligung gerechnet
werden muss, empfehlen sich dreimonatliche Kontrollen des klinischen Ausbreitungsgrades (Haut, Schleimhäute, Lymphknoten) sowie sechs- bis 12-monatliche Kontrollen der Lunge (Röntgen-Thorax) und des Gastrointestinaltraktes
(okkultes Blut, Sonographie, Endoskopie). Harte Daten zur Tumornachsorge, die
eine Verbesserung der Heilungsrate durch engmaschige Kontrollen belegen, liegen auch für das Kaposi-Sarkom bei iatrogener Immundefizienz, das afrikanische und das HIV-assoziierte Kaposi-Sarkom bisher nicht vor.
364
G 5.5 Rehabilitation
Nicht in allen Fällen beeinträchtigt das Auftreten einzelner stabiler oder langsam
progredienter Kaposi-Sarkome die Lebensqualität der Betroffenen erheblich. Befinden sich jedoch die auch dem medizinischen Laien stark auffallenden blauroten Tumoren im Gesicht, am Kopf oder anderen gut sichtbaren Körperstellen,
kann ein erheblicher Leidensdruck entstehen. In solchen Fällen, aber auch wenn
die Patienten befürchten, dass mit der Manifestation der Tumoren unausweichlich das Finalstadium ihrer HIV-Erkrankung eingetreten sei, ist eine psychosoziale
Beratung und Betreuung erforderlich. Diese kann bereits therapiebegleitend
ambulant eingeleitet werden, um die Lebensqualität der Betroffenen zu sichern.
Auch durch den Kontakt mit Selbsthilfeorganisationen, die die ja meist gleichzeitig bestehende HIV-Erkrankung mit abdecken (z.B. AIDS-Hilfe) kann den Patienten zusätzlich geholfen werden. Mit den Erfolgen der antiretroviralen Kombinationstherapien kommt für viele junge HIV-Patienten, die zusätzlich an einem Kaposi-Sarkom erkrankten, eine berufliche Wiedereingliederung in Frage. Auch
hierzu sind, eventuell sogar stationäre, Rehabilitationsmaßnahmen in Erwägung
zu ziehen.
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Verfahren der Konsensbildung
Aktualisierte Kurzfassung, erstellt im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft
und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, basierend auf dem Kapitel
Kaposi-Sarkom von H. Schöfer in Dermatologische Qualitätssicherung, Leitlinien
und Empfehlungen. H.C. Korting, R. Callies, M. Reusch, M. Schlaeger, E. Schöpf,
W. Sterry (Hrsg.), 2. Auflage 2001, Stand März 2000, Zuckschwerdt, München
Bern Wien New York)
Beratend haben bei der Erstellung der Kurzfassung mitgewirkt:
Prof. Dr. R. Andreesen, Regensburg (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und
Onkologie), Prof. Dr. N. Brockmeyer (Deutsche AIDS Gesellschaft, Bochum),
Prof. Dr. K. Höffken, Jena (Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie), Prof.
Dr. R. Moll, Marburg (Arbeitsgemeinschaft Experimentelle Krebsforschung,
Abteilung Pathologie und Diagnostik), Prof. Dr. H. Sauer, München (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren), Prof. Dr M. Volkenandt (Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie, München).
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt:
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
366
Fachgesellschaften
Deutsche AIDS-Gesellschaft
Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG)
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. H. Schöfer
Zentrum der Dermatologie und Venerologie
Theodor-Stern-Kai 7
D-60590 Frankfurt
Erste Fassung: Dezember 1997
Zweite Fassung: März 2000
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
367
G6
Plattenepithelkarzinom der Haut
einschließlich des Unterlippenrotes und der Augenlider
Das Plattenepithelkarzinom der Haut (Spinaliom, Stachelzellkarzinom) und des
Unterlippenrotes ist ein maligner Tumor, der lokal destruierend wächst, aber
nicht häufig metastasiert (etwa 5%). Er tritt zu 90% im Gesicht auf. Das Durchschnittsalter liegt bei 70 Jahren. Bei Immunsupprimierten ist die Inzidenz stark
erhöht und die Krankheitsverläufe sind ungünstiger. Eine Metastasierung entwickelt sich zuerst immer lymphogen lokoregionär. Die Letalität ist insgesamt gering. Das Tumorwachstum beginnt meist mit einer Präkanzerose (solare/aktinische Keratose) oder auf vorgeschädigter Haut (Strahlennarbe, Lupus vulgaris,
Condylomata acuminata durch onkogene HPV).
G 6.1 Diagnostik
Die Diagnose wird in der Regel klinisch gestellt. Notwendig ist die histologische
Sicherung je nach Größe des Tumors und therapeutischem Ansatz durch Inzisionsbiopsie, Exzisionsbiopsie oder therapeutische Exzision. Die Entwicklung von
Plattenepithelkarzinomen in situ beginnt mit der Aufhebung der normal geschichteten Architektur der Epidermis und der Entwicklung zellulärer Atypien
als aktinische Keratose. Morbus Bowen (intraepidermales Karzinom) oder
Erythroplasie Queyrat (Übergangsschleimhäute) sind In-situ-Karzinome. Invasive
Plattenepithelkarzinome bestehen aus atypischen epithelialen Tumorzellformationen, die über die Epidermis hinaus in die unterliegende Dermis reichen. Die
Zellen neigen wie die Zellen des Stratum spinosum der Epidermis zur Verhornung und Bildung sog. Hornperlen.
G 6.2 Stadieneinteilung und Prognose
368
Neben der klinischen Untersuchung des Lymphabstromgebietes ist bei Plattenepithelkarzinomen ab einer Tumordicke von > 2 mm eine Ausbreitungsdiagnostik in Form einer Lymphknotensonographie zur Abklärung einer Lymphknotenmetastasierung ratsam. Bei infiltrierend und destruierend wachsenden
Karzinomen ist eine weitere Diagnostik mittels CT bzw. MRT notwendig. Bei klinischem Verdacht auf eine Fernmetastasierung werden individuell die üblichen
organspezifischen Untersuchungen wie z. B. Röntgen-Thorax, Computertomographie sowie MRT etc. zur weiterführenden Diagnostik durchgeführt.
Die Metastsierungsrate liegt beim Plattenepithelkarzinom um 6%. Im derzeit
gültigen TNM-System der UICC ist eine TNM-Klassifikation für Hautkarzinome
angegeben. Diese Einteilung erscheint allerdings nach heutigen Maßstäben als
vereinfacht und sie schöpft die Möglichkeiten für die Prognoseschätzung nicht
Tabelle 1. Histopathologische Prognoseklassifizierung nach Tumordicke
(aus (2)).
pTKategorie
Definition der
Prognosegruppe
Metastasierungsrate
pT1–3a
begrenzt auf Dermis und
Tumordicke bis 2 mm
begrenzt auf Dermis und
Tumordicke von mehr als 2 mm
aber nicht mehr als 6 mm
Invasion der Subkutis und/
oder Tumordicke mehr als 6 mm
bei Infiltration tiefer extradermaler
Strukturen (T4): 6 mm oder weniger
bei Infiltration tiefer extradermaler
Strukturen (T4): mehr als 6 mm
0%
pT1–3b
pT1–3c
pT4a
pT4b
ca. 6%
ca. 20%
ca. 25%
bis ca. 40%
Anmerkung: pT1–3 sind entsprechend der TNM-Klassifikation durch die Tumorgröße bestimmt: pT1: 2 cm oder weniger, pT2: mehr als 2 bis 5 cm, pT3: mehr
als 5 cm in größter Ausdehnung.
aus. Die rein klinische Klassifizierung wird durch histopathologische Parameter
wie das Grading (Bestimmung des Differenzierungsgrades), die histologisch
messbare Tumordicke und den histologischen Tumortyp (z.B. desmoplastisches
Plattenepithelkarzinom) ergänzt.
Eine Verschlechterung der Prognose wird bei immunsupprimierten Patienten
nach Organtransplantation oder nach hoch-dosierter Chemotherapie beobachtet. Auch Lokalrezidive werden als prognostisch schlechtes Zeichen eingestuft.
Dabei bleibt offen, ob das Lokalrezidiv selbst zu dieser Verschlechterung beiträgt
oder ein Zeichen des aggressiven Wachstumsverhaltens des Tumors darstellt.
Als weiterer histopathologisch erfassbarer Parameter zur Festlegung der T-Klasse
wurde die Tumordicke vorgeschlagen. Durch sie ist eine bessere Schätzung des
Metastasierungsrisikos möglich (Tabelle 1).
G 6.3 Therapie
Die operative Therapie mit histologischer Absicherung stellt das Standardvorgehen in der lokalen Behandlung von Plattenepithelkarzinomen dar. Im Gesicht
und insbesondere beim infiltrativen desmoplastischen Typ muss immer eine
Nachoperation bis zum Nachweis tumorfreier Schnittränder durchgeführt werden. Die Behandlungsergebnisse der so genannten blinden Therapiemodalitäten
(Strahlen-, Kryotherapie etc.) sind schlechter und je nach behandeltem Krankengut sehr unterschiedlich. Da das Plattenepithelkarzinom der Haut eher selten
369
metastasiert und das Durchschnittsalter der Patienten hoch ist, wird, von bestimmten High-risk-Fällen abgesehen keine prophylaktische Lymphnotendissektion empfohlen. Als Alternative kann die Sentinel-Lymphknoten-Biopsie
zur Anwendung kommen.
Mikrographische Chirurgie
Eine dauerhafte lokale Heilung wird mit relativ hoher Sicherheit (88–96%) durch
die mikrographische Chirurgie erreicht, d.h. die sparsame chirurgische Exzision
(3–5 mm Sicherheitsabstand) des Tumors mit einer nachvollziehbaren Markierung und anschließender lückenloser Histologie der Exzisatschnittränder. Damit
ist eine topographische Zuordnung subklinischer Ausläufer möglich, mit Durchführung entsprechender Nachexzisionen, bis die Exzisataußenfläche tumorfrei
ist. Dieses Verfahren bietet also sowohl Vorteile hinsichtlich der Sicherheit als
auch des kosmetischen Ergebnisses. Beim desmoplastischen Typ bedarf es, über
die festgestellten tumorfreien Schnittränder hinaus, noch einer zusätzlichen Sicherheitsnachresektion von ca. 5mm.
Andere lokale Therapieverfahren
Die konventionelle Chirurgie mit stichprobenartiger histologischer Kontrolle
muss wegen der lokalen Infiltration der Plattenepithelkarzinome der Haut mit einem etwas höheren Rezidivrisiko rechnen (5–53%), auch wenn große Sicherheitsabstände (1 cm und mehr) zu Lasten des Patienten eingeplant werden.
Die klinischen Ergebnisse der definitiven Radiotherapie des Plattenepithelkarzinoms der Haut sind den konventionellen operativen Resultaten gleichwertig. Im
Falle von allgemeiner oder lokaler Inoperabilität, zu erwartendem ungünstigem
kosmetischen Ergebnis, des Befalls großer Hautareale oder der Operationsverweigerung bietet die definitive Radiotherapie eine Erfolg versprechende Alternative zur Operation. Postoperativ verbessert die Strahlentherapie die lokale Rezidivfreiheit nach R1- und R2-Resektionen sowie regionär bei positivem Lymphknotenstatus. Die Auswahl der geeigneten Strahlenqualität richtet sich nach den
topographischen Erfordernissen, ggf. kann auch das Afterloading-Verfahren
eingesetzt werden. Bei konventioneller Fraktionierung mit 5 × 2,0 Gy sind Gesamtdosen zwischen 50 Gy (R1), 60–65 Gy (R2) und 70 –74 Gy (definitiv) zur Tumorkontrolle notwendig.
Die Kryotherapie mit flüssigem Stickstoff nach dem Kontakt- oder offenen
Sprayverfahren bei -196° C ist ohne histologische Kontrolle keine echte Alternative, ist jedoch insbesondere bei Präkanzerosen und Carcinoma in situ, kleinen
und auch oberflächlichen Tumoren insbesondere bei Patienten höheren Alters
anwendbar.
Die lokale Therapie mit 5-Fluorouracil in Creme (Efudix®), die photodynamische
Therapie und die ablativen Methoden mittels Shave-Exzsion oder Laser sollten
nach histologischer Sicherung auf Präkanzerosen oder In-situ-Tumoren beschränkt bleiben.
370
Chemotherapie
Die Mehrzahl der Patienten, bei denen Karzinome der Haut im Stadium III oder
IV auftreten, sind bereits älter als 70 Jahre, und je nach Allgemeinzustand kann
nicht bei allen Patienten eine Chemotherapie durchgeführt werden.
Die Ansprechraten von Plattenepithelkarzinomen der Haut in den klinischen Stadien III und IV auf chemotherapeutische Behandlungen sind hoch und liegen bei
bis zu 80%. Die Behandlung ist aber nicht kurativ und die Patienten erleiden in
aller Regel ein Rezidiv. Die Remissionsraten betragen bei Monotherapie mit Methotrexat ca. 20–40% und sind bei der Verwendung von Polychemotherapieschemata deutlich höher (50–80%). Hinsichtlich der Überlebenszeit scheint die
Anwendung der kombinierten Schemata gegenüber der Monotherapie mit Methotrexat keine Vorteile zu bieten. Auch die Anwendung der Immuntherapie mit
Interferonen, insbesondere in Kombination mit Retinoiden, ist zu erwägen. Da
kein Standardschema existiert, sollte eine Chemo- bzw. Immuntherapie möglichst im Rahmen von Studien erfolgen.
G 6.4 Nachsorge
Rezidive und Metastasen treten in der Regel innerhalb von fünf Jahren, in der
Mehrzahl innerhalb der ersten zwei Jahre auf. Die Metastasierung ist immer primär lymphogen lokoregionär. Deshalb richtet sich die Nachsorge vorwiegend
auf das Gebiet des früheren Primärtumors und sein Lymphabflussgebiet. Eine risikogeschichtete fünfjährige Nachsorge kann mit nachfolgenden Intervallen
empfohlen werden (Tabelle 2).
Tabelle 2. Nachsorgeintervalle beim primären Plattenepithelkarzinom
der Haut.
Risikogruppe
1. Jahr
2. Jahr
3. Jahr
4. Jahr
5. Jahr
No risk (< = 2 mm TD)
Low risk (2,1–5 mm TD)
High risk (> 5 mm TD)
oder desmoplastischer
Typ > 2mm TD
1×
2×
4×
1×
2×
4×
1×
2×
2×
1×
2×
2×
1×
1×
(TD = Tumordicke)
Die Nachsorgeuntersuchungen bestehen vorwiegend aus der klinischen Untersuchung. Eine Sonographie der regionären Lymphknoten ist nur bei unklarem
oder schwierig zu erhebendem Palpationsbefund erforderlich. Wichtig ist die
Aufklärung des Patienten und eine ausführliche Anleitung zur Selbstuntersuchung, soweit dies vom Alter des Patienten her möglich ist.
371
Literatur
1 Breuninger H, Holzschuh J, Schaumburg-Lever G, Horny HP (1997) Desmoplastic squamous cell carcinoma of skin und vermillion surface: A highly malignant subtype of skin cancer. Cancer 79: 915–919
2 Garbe C (1998) Diagnostische und therapeutische Standards in der Dermatologischen Onkologie. Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
3 Garbe C (1999) Plattenepithelkarzinom. In: Schmoll HJ, Höffken K, Possinger
K (Hrsg) Kompendium Internistische Onkologie. 3. Aufl. Springer Berlin, Heidelberg New York Tokyo, pp 1961–1980
4 Guix B, Finestres E, Tello JI, Palma C, Martinez A, Guix J-R, Guix R (2000) Treatment of skin carcinomas of the face by high-dose rate brachytherapie and
custom-made surface molds. Int J Radiation Oncology Biol Phys (47): 95–102
5 Marks R, Motley RJ (1995) Skin cancer. Recognition and treatment. Drugs 50:
48–61
6 Reisner K, Haase W (1996) Strahlentherapie der Haut. In: Scherer E, Sack H
(Hrsg) Strahlentherapie. 4.Aufl. Springer, Heidelberg, pp 719–730
7 Rowe DE, Carroll RJ, Day CL, Jr (1992) Prognostic factors for local recurrence,
metastasis, and survival rates in squamous cell carcinoma of the skin, ear, and
lip. Implications for treatment modality selection. J Am Acad Dermatol 26:
976–990
Verfahren zur Konsensbildung
Aktualisierte Kurzfassung erstellt im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft
und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, basierend auf den „Diagnostischen und therapeutischen Standards der Dermatologischen Onkologie”
(Hrsg. C. Garbe), Kapitel Plattenepithelkarzinom von H. Breuninger und C. Garbe, Tübingen.
Beratend haben bei der Erstellung der Kurzfassung von 1999 mitgewirkt:
Prof. Dr. med. P. Drings, Heidelberg (Deutsche Krebsgesellschaft), Prof. Dr. med.
P. Hermanek, Erlangen (ISTO), Prof. Dr. med. K. Höffken, Jena (AIO), Prof. Dr.
med. H.J. Sauer, München (ADT).
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
372
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG)
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. H. Breuninger
Prof. Dr. C. Garbe
Universitäts-Hautklinik Tübingen
Liebermeisterstraße 25
D-72076 Tübingen
Erste Fassung: Dezember 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
373
G7
Malignes Melanom der Haut
Das insbesondere bei hellhäutigen Bevölkerungsgruppen weltweit in Zunahme
begriffene Melanom entsteht als maligne melanozytäre Geschwulst ganz überwiegend an der Haut und ist für etwa 90% der Mortalität an malignen Hauttumoren verantwortlich. Klinisch und histologisch lassen sich vier Haupttypen
unterscheiden: superfiziell spreitendes Melanom (SSM), noduläres Melanom
(NM), akrolentiginöses Melanom (ALM), Lentigo-maligna-Melanom (LMM). Einige Typen sind nicht klassifizierbar oder stellen seltenere Sonderformen dar (z.B.
amelanotische Melanome oder Melanome in einem Riesennävus).
G 7.1 Präoperative Diagnostik und Tumorstaging
Notwendige Untersuchungen
Präoperativ:
Klinische Untersuchung
Auflichtmikroskopie
Diagnosesicherung im Rahmen einer großzügigen Exzisionsbiopsie (wenn
möglich)
Nach Diagnosesicherung:
Histologie (Angaben zu Melanomtyp, Tumordicke nach Breslow, Clark-Level,
Ulzeration)
Klinische Untersuchung: Ausschluss unabhängiger Zweitmelanome oder weiterer potenzieller Melanomvorläuferläsionen im Haut-, Anogenital-, HNOund Augenbereich
Labor (BSG, Blutbild, LDH, alkalische Phosphatase, und Leberenzyme)
Lymphknotensonographie
Röntgen-Thoraxaufnahme (zwei Ebenen)
Sonographie des Abdomens einschließlich Becken und Retroperitoneum
Bei dickeren Melanomen (> 1,5 mm Tumordicke) zusätzlich:
Schädel-MRT, Skelettszintigraphie
374
Im Einzelfall nützliche Untersuchungen
Präoperativ:
Hochauflösender Ultraschall zur Dickenabschätzung
Nach Diagnosesicherung:
PET-Diagnostik als Alternative zu den konventionellen Staginguntersuchungen
Labor: S100-Protein im Serum
Biopsie des Wächterlymphknotens als Routinestaging zur Prognoseeinschätzung bei Melanomen mit einer Dicke von > 1mm, vorzugsweise im Rahmen
laufender Studien
G 7.2 Therapie
Operative Therapie in kurativer Zielsetzung
Bei gesicherter Melanomdiagnose ist die Therapie im klinischen Stadium I primär
operativ. Die Wahl des Sicherheitsabstandes der Exzision gestaltet sich variabel in
Abhängigkeit vom Metastasierungsrisiko. Bei Patienten mit dünnen Melanomen
sind ausgedehnte Eingriffe nicht notwendig, und bei Patienten mit dicken Primärtumoren bleibt ein radikales operatives Vorgehen ebenfalls ohne Einfluss auf
das Risiko der Fernmetastasierung. Allerdings ist ein zu kleiner Abstand möglicherweise mit dem Risiko von vermehrten Lokalrezidiven verbunden. Diesem
Umstand trägt eine abgestufte Exzisionsstrategie Rechnung: Hierbei werden
dünne Melanome (bis 1mm Tumordicke nach Breslow) mit 1 cm, mitteldicke Melanome mit 2 cm und dicke Melanome (> 4 mm Tumordicke) mit 3 cm Sicherheitsabstand reseziert. In der Regel sind die Eingriffe in Lokalanästhesie mit Defektversorgung möglich. Beim Lentigo-maligna-Melanom kann die mikrographische Chirurgie im Paraffinschnitt-Verfahren mit reduziertem Sicherheitsabstand
angewandt werden.
Der therapeutische Nutzen adjuvanter operativer Maßnahmen (elektive Lymphadenektomie, hypertherme Extremitätenperfusion, lymphabfluss-szintigraphisch kontrollierte Kontinuitätsdissektionen) ist nicht erwiesen. Der diagnostische und/oder therapeutische Stellenwert der Entfernung des Wächterlymphknotens nach vorheriger Lymphabfluss-Szintigraphie („Sentinel node biopsy”)
wird gegenwärtig geprüft.
Operative Therapie in metastasierten Stadien
Bei Satelliten- und/oder In-transit-Metastasen erfolgt möglichst die operative
Entfernung aller Filiae im Gesunden, bei lymphknotenbenachbarter Lage zusätzlich eine Kontinuitätsdissektion, bei lymphknotenferner Lage wird die diskontinuierliche Lymphadenektomie empfohlen. Im Extremitätenbereich ist die hypertherme Zytostatikaperfusion in therapeutischer Indikation zu erwägen.
Bei regionären Lymphknotenmetastasen erfolgt die radikale Lymphadenektomie, ggf. en bloc zusammen mit noch vorhandenem Primärtumor und dem regionalen Lymphknotenabflussgebiet. Kann damit eine lokoregionäre Tumorfreiheit nicht erreicht werden oder ist der Eingriff nicht zumutbar, wird zusätzlich eine fraktionierte Radiatio empfohlen. Im klinischen Stadium IV (Fernmetastasen)
sollten bei Vorliegen einer Metastasierung in einem Organ und der Möglichkeit
einer R0-Resektion die Metastasen operativ entfernt werden.
Adjuvante Therapie
Bei Melanomen mit hohem Metastasierungsrisiko (Tumordicke mehr als 1,5 mm)
und bei Zustand nach Resektion einer Lymphknotenmetastasierung in kurativer
Intention ist die Behandlung mit IFN-α weiterhin vorzugsweise im Rahmen von
Studien in Erwägung zu ziehen. Eine Verlängerung des Gesamtüberlebens konnte bisher nicht eindeutig belegt werden. Therapieoptimierungsprotokolle prüfen
gegenwärtig die bessere Verträglichkeit und Wirksamkeit unterschiedlicher Dosierungen und Präparationen von IFN-α (z.B. pegyliertes Interferon-alpha).
375
Strahlentherapie
Die Radiosensibilität der malignen Melanome unterliegt erheblichen Schwankungen. Der Einsatz erhöhter Einzeldosen wird durch die strahlenbiologischen
Eigenschaften des MM unterstützt, klinische Resultate sind widersprüchlich. Eine randomisierte Studie (RTOG 83-05) mit 4 × 8,0 Gy, 1 × pro Woche, gegen
20 × 2,5 Gy, 5 × pro Woche, zeigte bezüglich der kompletten und partiellen
Remissionen keinen Unterschied.
Im Falle von Inoperabilität, R2-Situation oder unzureichendem Sicherheitsabstand ist eine lokale adjuvante Radiotherapie zu erwägen. Regionär ist eine adjuvante Radiotherapie bei Inoperabilität zu empfehlen. Mit Einzeldosen von 4,0 Gy
sind 48,0 Gy Gesamtdosis, mit Einzeldosis 2,0 Gy sind 66,0 Gy erforderlich.
Die Dosierung der Palliativbestrahlung erfolgt analog den adjuvanten Vorgaben,
lediglich bei ZNS-Metastasen wird mit ED von 3,0 Gy bis GD 30,0 Gy bestrahlt.
Alternativ kommt am ZNS eine stereotaktische Einzeitbestrahlung in Betracht.
Palliative Chemotherapie
Therapeutische Bemühungen sind im Hinblick auf die Erhaltung der Lebensqualität kritisch zu würdigen. Generell sprechen Metastasen der Haut, Weichteile,
Lymphknoten und Lunge („Limited Disease”) besser auf eine Chemotherapie an
als viszerale, Skelett- oder Hirnmetastasen („Extensive Disease“). Als Standard
gilt nach wie vor, insbesondere bei Patienten in bereits reduziertem Allgemeinzustand, die Mono-Chemotherapie mit Dacarbazin (DTIC). Die Ansprechrate liegt
etwa zwischen 14 und 25%. Fotemustin wird bei Hirnmetastasen eingesetzt. Als
oral verabreichbare und ebenfalls liquorgängige DTIC-Vorstufe (MTIC) steht
Temozolomid zur Verfügung.
Alternativ stehen Kombinations-Chemotherapien mit höherer Remissionsrate
zwischen 25 und 55% und allerdings nicht sicher verlängerter Überlebensdauer
gegenüber, z.B. das BHD-Protokoll (BCNU, Hydroxyurea, DTIC), das BOLD-Protokoll (Bleomycin, Vincristin, CCNU, DTIC), das DVP-Protokoll (DTIC, Vindesin, Cisplatin) oder das DBCT-Protokoll (DTIC, BCNU, Cisplatin, Tamoxifen).
Immuntherapie und Immunochemotherapie
Die Zytokinmonotherapie (IL-2, Interferon-alpha) hat enttäuscht. Nach Hinweisen für eine Verlängerung des Gesamtüberlebens nach Zugabe von Zytokinen zu
klassischen Chemotherapien wird der mögliche Nutzen der Chemoimmuntherapie weiterhin im Rahmen von Studien überprüft. Erste positive Ergebnisse von
Vakzinierungsstudien mit melanomassoziierten Tumorpeptiden bzw. peptidbeladenen dendritischen Zellen sprechen für eine klinische Wirksamkeit dieser
Strategie bei Melanom-Patienten.
G 7.3 Nachsorge
376
Der Umfang und die Frequenz der Nachsorgeuntersuchungen orientieren sich
analog dem therapeutischen Vorgehen an den initialen Tumorparametern bzw.
dem Tumorstadium. Die Nachsorge ist in den ersten drei postoperativen Jahren
intensiver zu gestalten, da hier 70–80% der Metastasen auftreten. Spätmetastasen auch nach über zehn bis 20 Jahren sind jedoch beim Melanom nicht ungewöhnlich, sodass generell eine weitere Nachsorge empfohlen wird. Dies trägt
auch dem erhöhten Risiko des Auftretens von unabhängigen Zweitmelanomen
Rechnung. Als Basis beinhaltet die Nachsorge die klinische Untersuchung, die Inspektion des Hautorgans, die Lymphknotenpalpation und -sonographie. Thoraxröntgen und Oberbauchsonographie werden ab den Stadien der lokoregionären Metastasierung in halbjährlichen Abständen empfohlen. In den Stadien
des Primärtumors ist der Wert dieser Untersuchung ungeklärt. Weitere Untersuchungen erfolgen nur nach klinischer Fragestellung.
Einen weiteren Aspekt der Nachsorge betrifft die genetisch-epidemiologische
Beratung der Angehörigen, verbunden mit einer sorgsamen Primär- und Sekundärprävention.
Literatur
1 Garbe C (1996) Primäre Diagnostik, Ausbreitungsdiagnostik und Prognoseeinschätzung des malignen Melanoms. Onkologie 2: 441–448
2 Garbe C (1998) Diagnostische und therapeutische Standards in der Dermatologischen Onkologie. Zuckschwerdt, München Bern Wien New York
3 Jenrette JM (1996) Malignant melanoma: The role of radiation therapy
revisited. Semin Oncol 23: 759–762
4 Kaufmann R, Tilgen W, Garbe C (1998) Malignes Melanom. Hautarzt 48
(suppl 1): S 30–38
5 Kleeberg UR, Schmoll HJ (1999) Das Melanom. In: Schmoll HJ, Höffken K,
Possinger K (Hrsg) Kompendium Internistische Onkologie. Kapitel 34.72.
Springer, Berlin, pp 1415–1460
6 Seegenschmiedt MH, Keilholz L, Altendorf-Hofmann A, Urban A, Schell H,
Hohenberger W, Sauer R (1999) Palliative radiotherapy for recurrent and
metatatic malignant melanoma: Prognostic factors for tumor response and
long-term outcome. A 20 year experience. Int J Radiat Oncol Biol Phys 44:
607–618
Verfahren zur Konsensbildung
Aktualisierte Kurzfassung erstellt im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft
und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, basierend auf den „Diagnostischen und therapeutischen Standards der Dermatologischen Onkologie” (C.
Garbe, ed.), Kapitel Malignes Melanom von R. Kaufmann, Frankfurt (Main), W.
Tilgen, Homburg/Saar und C. Garbe, Tübingen, sowie der AIO (Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie) in Kooperation mit der EORTC-Melanoma
Group; U. R. Kleeberg, Hamburg, H. J. Schmoll, Halle.
377
Redaktion
C. Garbe, Tübingen, R. Kaufmann, Frankfurt (Main), W. Tilgen, Homburg/Saar
und U.R. Kleeberg, Hamburg
Beratend haben bei der Erstellung der Kurzfassung von 1999 mitgewirkt:
Prof. Dr. med. R. Andreesen, Regensburg (DGHO), Prof. Dr. med. P. Hermanek,
Erlangen (ISTO), Prof. Dr. med. K. Höffken, Jena (AIO), Prof. Dr. H.J. Sauer, München (ADT).
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde vom Leitlinienkoordinator den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache mit
dem Leitlinienkoordinator eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit dem Leitlinienkoordinator berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG)
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
378
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. C. Garbe
Universitäts-Hautklinik Tübingen
Liebermeisterstraße 25
D-72076 Tübingen
Erste Fassung: Dezember 1999
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Der Leitlinienkoordinator wird außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw.
unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
379
380
Pädiatrie
Leukämien und Lymphome
H
381
382
H1
Akute lymphoblastische (ALL)
und akute myeloische (AML)
Leukämie im Kindesalter
H 1.1 Definition und Basisinformation
Häufigkeit: Die ALL ist mit 3,3 Erkrankungen/100 000 Einwohner < 15 Jahre und
einem Anteil von ca. 30% die häufigste Krebserkrankung im Kindesalter. Die Inzidenz ist etwa fünfmal höher als bei der AML (0,7/100 000). Das Erkrankungsalter beträgt bei der ALL im Median 4,7 Jahre, bei der AML 7,9 Jahre. Die Altersverteilung zeigt bei der ALL einen Häufigkeitsgipfel zwischen dem zweiten und
fünften Lebensjahr, bei der AML einen geringen Häufigkeitsgipfel in den ersten
zwei Lebensjahren und anschließend einen leichten Anstieg in der Inzidenz vom
13. Lebensjahr an. Das Verhältnis von Jungen zu Mädchen beträgt 1,2 : 1 bei der
ALL und 1,1 : 1 bei der AML.
Die Initialdiagnostik dient neben der Diagnosesicherung der möglichst präzisen
Abschätzung des Rezidivrisikos.
Die Therapie wird risikoadaptiert mit geprüften Polychemotherapieelementen
durchgeführt. Sie hat das Ziel, durch frühe Therapieintensivierung einer Resistenzentwicklung vorzubeugen. Die Indikation zur allogenen Knochenmarktransplantation (KMT) in erster Remission wird bei der AML bei vorhandenem HLAidentischem Verwandtenspender bei den meisten Patienten gestellt, während
bei der ALL nur kleine, vor allem molekulargenetisch definierte Sondergruppen
dafür qualifiziert sind. Die Überlebensraten betragen in Abhängigkeit von den
initialen Risikofaktoren bei der ALL im Durchschnitt 70%, bei der AML liegen sie
bei etwa 50%.
H 1.2 Stadieneinteilung/Klassifikation
Für disseminierte Systemerkrankungen wie ALL und AML ist eine Stadieneinteilung nicht praktikabel, trotzdem sind Aussagen über den Umfang der Manifestation möglich. Vor allem die initiale Leukämiezellmasse kann als Maßstab für
eine stratifizierte, risikoadaptierte Behandlung herangezogen werden. Die klinische Information über die Manifestation der Leukämie in Organsystemen, z.B.
im ZNS, ist für die Planung der Therapie wichtig.
Die Klassifikation erfolgt auf der Basis der Morphologie (FAB-Klassifikation: L1,
L2, L3 und M0–M7), der Zytochemie, des Immunphänotyps und der zyto- und
molekulargenetischen Befunde (siehe spezielle initiale Leukämiediagnostik). Bei
der ALL ist besonders der FAB-Subtyp L3 von den FAB-L1 und -L2 Subtypen abzugrenzen, da FAB-L3 (ALL vom Burkitt-Typ, mit B-Markern) eine von den B-Vorläuferzell- und T-Zell-Leukämien differierende Biologie aufweist und anders behandelt wird.
383
Die morphologische Einteilung der AML erfolgt nach den FAB-Kriterien:
FAB M0
FAB M1
FAB M2
FAB M3
FAB M3 variant
FAB M4
FAB M4Eo
FAB M5
FAB M5a
FAB M5b
FAB M6
FAB M7
akute undifferenzierte myeloische Leukämie
akute myeloische Leukämie ohne Ausreifung
akute myeloische Leukämie mit Ausreifung
akute Promyelozytenleukämie
akute Promyelozytenleukämie, hypogranuläre Variante
akute myelomonozytäre Leukämie
akute myelomonozytäre Leukämie mit Eosinophilie
akute Monozytenleukämie
akute Monoblastenleukämie
akute promonozytäre-monozytäre Leukämie
akute Erythroblastenleukämie
akute Megakaryoblastenleukämie
H 1.3 Leitsymptome
Die ersten Symptome lassen sich vorwiegend durch die Knochenmarkinsuffizienz erklären: Blässe, Abgeschlagenheit, Blutungsneigung (Petechien) und Infektzeichen (Fieber). Die Hepato-/Splenomegalie kann als Bauchtumor auffallen,
vergrößerte Lymphknoten sind verdächtig. Etwa 20% der Patienten klagen über
Knochen- oder Gelenkschmerzen, bei Kleinkindern ist sogar gelegentlich eine
Gehunfähigkeit zu beobachten. Die zuletzt genannten Symptome können zu
Fehldiagnosen (Verstauchung, rheumatische Arthritis) führen. Weitere Zeichen
der lokalen Manifestation können eine indolente, meist einseitige Hodenschwellung sein, oder Hautinfiltrate und Gingivahyperplasie (z. B. bei den monozytären
Leukämien). Kopfschmerzen oder Hirnnervenausfälle können Hinweise auf eine
Beteiligung des zentralen Nervensystems geben.
Bei der T-Zell-ALL kann eine obere Einfluss-Stauung und/oder Atemwegsobstruktion durch einen großen Thymustumor imponieren; diese kritische Situation erzwingt eine rasche Diagnose und sofortige Therapieeinleitung. Bei der seltenen B-Zell-Leukämie können intraperitoneale Lymphome eine Ileussymptomatik auslösen; durch große retroperitoneale Tumoren und Niereninfiltrate wird
gelegentlich eine Niereninsuffizienz verursacht.
H 1.4 Diagnostik
Spezielle initiale Leukämiediagnostik (für ALL und AML)
Folgende Untersuchungsverfahren sind im Rahmen der Primärdiagnostik einer
akuten Leukämie notwendig und in besonders qualifizierten Referenzzentren
durchzuführen: Zytologie und Zytochemie, Immunphänotypisierung, Zytogenetik und Molekulargenetik.
384
Material
Essenziell sind für die morphologische Diagnose Nativ-Ausstriche des Blutes und
des Knochenmarks (KM) sowie für die übrige Diagnostik (EDTA- oder) heparinisiertes Blut bzw. KM. Mit der Ausnahme von z.B. blutungsgefährdeten Patienten
oder Patienten mit ausgeprägter Hyperleukozytose ist eine initiale Liquorpunktion zum Ausschluss eines ZNS-Befalls notwendig.
Zytologie
Die Diagnose wird durch die KM-Punktion in Verbindung mit dem Blutbild gestellt. Definitionsgemäß muss der Anteil der Blasten im KM an den kernhaltigen
Zellen zur Diagnose der ALL ≥ 25% und der AML ≥ 30% sein. Im Einzelfall genügt zur Diagnose der ALL auch der Nachweis von Lymphoblasten im Blut.
Zytochemie
Die Zytochemie hat durch die Einführung der immunologischen Nachweismethoden bei der ALL an Bedeutung verloren, ist aber gerade in zweifelhaften Fällen hilfreich. Bei einem Anteil von ≥ 3% Myeloperoxidase-positiven Blasten ist eine AML zu diagnostizieren. Eine positive Esterasereaktion schließt eine ALL aus
und ist typisch für eine monozytäre Leukämie. Die Lymphoblasten sind in ca.
50% der Fälle PAS-positiv. Der Nachweis der sauren Phosphatase in > 50% der
Blasten kann ein Hinweis auf eine T-ALL sein.
Immunphänotypisierung
Der Immunphänotyp ist für die Abgrenzung verschiedener ALL- bzw. AML-Subtypen relevant. Ein positiver Nachweis von lymphatischen Antigenen gilt nur bei
Expression auf ≥ 20% (bei Oberflächenmarkern) bzw. bei ≥10% der Blasten (bei
zytoplasmatischen Markern).
Bei der ALL werden die folgenden Immunphänotypen definiert:
1. B-Vorläuferzell-ALL: Prä-prä-B-ALL (pro-B-ALL), Common ALL, Prä-B-ALL
2. B-ALL
3.T-ALL: Frühe T-ALL (pro- und prä-T), intermediäre (kortikal T-ALL), reife T-ALL.
Bei der Diagnose einer AML ist die Immunphänotypisierung für die Diagnose eines M0- und M7-Subtyps essenziell.
Abgrenzung der ALL zur AML
Leukämiezellen können sowohl lymphatische wie auch myeloische Differenzierungsmerkmale aufweisen. Folgende Konstellationen werden derzeit definiert:
Für die ALL:
ALL mit Koexpression myeloischer Marker:
– Immunologischer Phänotyp wie bei Common ALL oder T-ALL mit Koexpression eines oder zweier zusätzlicher myeloischer Marker (auf ≥ 20% der
Leukämiezellen)
– Immunologischer Phänotyp wie prä-prä-B-ALL und Koexpression eines myeloischen Markers
385
Für die AML:
AML mit Koexpression lymphatischer Antigene:
Phänotyp wie AML, zusätzlich Expression von CD2 und/oder CD4 und/oder CD7
und/oder CD10 und/oder CD19 auf ≥ 20% der myeloischen Blasten
Sonderfall:
Akute biphänotypische Leukämie: Akute Leukämie mit zwei differenten Blastenpopulationen, die jede für sich durch einen eindeutig myeloischen bzw. lymphatischen Phänotyp charakterisiert ist.
Abgrenzung der ALL zum Non-Hodgkin-Lymphom
Der Nachweis von Lymphoblasten im Blut oder von >25% Blasten im KM
schließt ein Lymphom aus. Patienten mit <25% Blasten im KM werden als NHL
entsprechend dem gültigen Therapieplan behandelt.
Ausnahme: Patienten mit B-ALL werden nicht nach dem Therapieplan der „NonB“-ALL, sondern nach der grundsätzlich anders konzipierten Strategie für BNeoplasien behandelt (s. Kapitel H 2).
Zytogenetik und Molekulargenetik
Der Zytogenetische Befund ist für die rasche Artdiagnose in der Regel nicht verfügbar, aber für die weitere Therapie und prognostische Beurteilung im Einzelfall
notwendig.
Bei der ALL ist besonders die Philadelphia-Chromosom-positive ALL mit der
t(9;22)-Translokation zu erwähnen, deren molekulargenetisches Äquivalent, die
BCR-ABL-Rekombination, dem raschen Nachweis durch die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) zugänglich ist.
Bei der Diagnose einer AML ist die zytogenetische Diagnostik ebenso relevant:
Der Nachweis der Translokationen t(8;21) oder t(15;17), oder der Inversion 16
gilt als ein prognostisch günstiger Faktor, während die Monosomie 7 oder komplexe Karyotypen eher auf eine schlechte Prognose hinweisen.
Die Molekulargenetik übernimmt zunehmend Aufgaben in der Remissionsüberwachung: T-Zell-Rezeptor-Rearrangements, die zum Zeitpunkt der Diagnose individuell identifiziert werden, können mithilfe der PCR-Technik mit entsprechenden Genproben auch bei subklinischer Persistenz oder Wiederauftreten des malignen Klones entdeckt werden.
Bei der AML sind spezifische Bruchpunkte von Interesse. Zu den häufigsten gehören das molekulargenetische Äquivalent der t(8;21) = AML1/ETO, der inv(16)
= MYH 11/CBFβ, sowie der 11q23-Aberrationen mit Beteiligung des MLL-Gens,
die bei verschiedenen Subtypen der AML, aber auch bei der ALL vorkommen.
Die Bedeutung des Nachweises dieser Marker in Remission wird derzeit untersucht. Beim AML-Subtyp M3 ist die Persistenz oder das Wiederauftreten des
RARα-Gens mit einem Rezidiv assoziiert (1).
386
Impulszytophotometrie (ICP)
Diese Methode dient der Bestimmung des DNA-Gehalts der Blastenpopulation
aus dem Blut oder KM bei der ALL. In verschiedenen Studien einschließlich der
ALL-BFM-Studien hat sich ein erhöhter DNA-Index (≥ 1,16) als ein prognostisch
besonders günstiger Parameter identifizieren lassen. Diese Methode hilft nicht
bei der Artdiagnose, sie liefert aber rasch Ergebnisse, die zur individuellen Prognoseeinschätzung beitragen.
Klinische Diagnostik
Untersuchung
Die körperliche Untersuchung erlaubt eine Aussage zur Dissemination der Erkrankung und zur Einschätzung der akuten Gefährdung des Patienten. Folgende
Befunde sollten erhoben werden: Blutungszeichen (Haut, Schleimhaut, evtl. zusätzlich Retina); Organgrößen (Leber, Milz, evtl. Nieren, Hoden); pulmonaler
Auskultationsbefund (Obstruktion?); Lymphknoten, Hautinfiltrate; neurologischer Status (Hirnnerven?); Knochen und Gelenke (Schwellungen, Bewegungseinschränkungen).
Apparative Untersuchungen
Die initiale Diagnostik orientiert sich am klinischen Befund und am Zustand des
Patienten. Einzelne Untersuchungen können im Einzelfall, z.B. bei sehr kleinen
Kindern oder initialer Blutungsgefahr, entfallen. Die Kombination der Ergebnisse
sollte eine eindeutige Aussage über die Manifestationsorte der Leukämie erlauben, zugleich aber auch prätherapeutisch Organfunktionen dokumentieren, die
hinsichtlich der möglichen Toxizität der nachfolgenden Therapie besonders relevant sein können, wie z.B. Herz, Gehirn und Nieren.
Sonographie: Abdomen, Mediastinum, Thorax: Organomegalie, Niereninfiltrate, Darminfiltrate, Thymusbefall, Pleura-/ Perikarderguss, Lymphknoten,
Hoden
Röntgen: Thorax in zwei Ebenen, Skelett
EKG, Echokardiographie; EEG
CCT/kranielles MRT: Ausschluss einer zerebralen Blutung und leukämischer
Infiltrate
CT/MRT Thorax und Abdomen: Organinfiltrate, Raumforderungen
Skelettszintigraphie und MRT zum Ausschluss von Skelettinfiltraten (Osteolysen)
Labor
Differenzialblutbild, Hb, Leukozyten- und Thrombozytenzahl, Nierenfunktionswerte und Leberenzyme, Bilirubin, CHE; Harnsäure; LDH; Gerinnung; Infektionsstatus (Bakteriologie, Mykologie, Virologie); Blutgruppe; ggf. HLA-Typisierung
H 1.5 Therapie der ALL
Stratifizierung anhand prognostischer Faktoren
Die Stratifizierung der Therapie erfolgt anhand einer Kombination prognostischer Faktoren, die bei Diagnose erfasst werden (siehe jeweils gültiges Therapie-
387
protokoll). International werden neben seltenen molekulargenetischen Veränderungen vor allem die initiale Leukozytenzahl, das Alter und das Ansprechen auf
die Therapie, daneben von einigen Gruppen der Immunphänotyp und die Ploidie
als wichtigste Risikofaktoren angesehen. Die Translokationen t(9;22) und t(4;11)
sind derzeit Qualifikationsmerkmale für eine Hochrisikotherapie einschließlich
allogener KMT. Der Nachweis von Hyperdiploidie (> 50 Chromosomen) gilt als
prognostisch günstiger Parameter. Die Therapiequalität ist für die Prognose entscheidend; daher sind die in Tabelle 1 dargestellten Faktoren nur bei Anwendung adäquater, intensiver Therapiemodalitäten gültig (6, 7).
Tabelle 1. Prognostische Faktoren bei der Therapie der ALL..
Faktor
Günstige Prognose
Ungünstige Prognose
Leukozyten
< 20 000/µl
> 100 000/µl
Alter
> 1, < 6 (10) J.
< 1 J., >14 J.
Ansprechen nach 7 Tagen
Prednison Monotherapie
< 1000 Blasten/µl
≥1000 Blasten/µl
Ansprechen auf initiale
Induktionstherapie
(Dauer: 4–5 Wochen)
M1-Marka
M2-, M3-Marka
Chromosomenzahl
>50
<45
DNA-Index
≥1.16
<1.16
Translokationen
Wahrscheinlichkeit des
ereignisfreien Überlebens
nach 5 Jahren
a
t(9;22), t(4;11)
0,80
abhängig von
Konstellation zw.
0,10–0,60
M1-Mark: < 5% Blasten und vollständig regenerierte Hämatopoese;
M2-Mark: ≥ 5% – < 25% Blasten und/oder keine vollständig regenerierte
Hämatopoese; M3-Mark: ≥ 25% Blasten im KM.
Chemotherapie
Die Chemotherapie besteht im wesentlichen aus vier tragenden Elementen, in
denen die Abfolge und die Dosierung der Zytostatika exakt festgelegt sind
(Tabelle 2), wobei die Steuerung sich an bestimmten Richtwerten orientiert. Einzelne Substanzen werden sowohl als niedrig dosierte i.v.-Injektion als auch als
hoch dosierte Dauerinfusion verabreicht, was besondere Anforderungen an die
Überwachung stellt. Die Durchführung orientiert sich an den Empfehlungen des
jeweils gültigen Therapieprotokolls.
388
Tabelle 2. Wichtigste Zytostatika der ALL-Therapie.
Grundsätzlich kommt nur eine Auswahl der genannten Substanzen in festgelegter Abfolge zum Einsatz.
Behandlungsteila
Zytostatika
I. Induktionstherapie
Prednison, Vincristin (VCR), Daunorubicin (DNR),
Asparaginase (L-ASP), Methotrexat (MTX),
Cyclophosphamid (CPM), Cytarabin (ARA-C),
6-Mercaptopurin (MP), VM26
II. Konsolidierungstherapie
MP, MTX
III. Reinduktionstherapie
Dexamethason (DEXA), L-ASP, Doxorubicin
(DOX), VCR, ARA-C, CPM, Thioguanin (TG)
IV. Erhaltungstherapie
MP (oder TG), MTX
a
Die Terminologie wird in den Behandlungsprogrammen unterschiedlich
verwendet.
Supportivtherapie, Überwachung und psychosoziale Betreuung
Supportivtherapie
Eine Intensivchemotherapie erfordert die ständige Verfügbarkeit von folgenden
Supportivmaßnahmen:
Ersatz von Blut- und Plasmabestandteilen
Infektionsprophylaxe
Kurzfristige intensive Sepsistherapie bei Verdacht oder Vorliegen einer
Infektion
Parenterale Ernährung
Überwachung
Die klinische Überwachung und Pflege muss folgende Bereiche erfassen:
Permanente Kontrolle der Chemotherapieapplikation
Sorgfältige Bilanzierung
Prävention des Zell-Lyse-Syndroms insbesondere bei initialer Hyperleukozytose und/oder Hepatosplenomegalie
antiemetische Prophylaxe und Therapie
Kontrolle und Pflege zentralvenöser Kathetersysteme
Haut- und Schleimhautpflege
Psychosoziale Betreuung (s. Leitlinie Psychosoziale Standards in der pädiatrischen Onkologie)
Allogene Knochenmarktransplantation
Nur bei eindeutig erhöhtem Rezidivrisiko ist die allogene KMT in erster Remission bei vorhandenem HLA-identischem Familienspender indiziert. Die KMT sollte
389
früh nach dem Erreichen der Remission durchgeführt werden. Derzeit gelten alle
oder einige der folgenden Qualifikationskriterien:
Translokation t(9;22) und/oder BCR-ABL-Rekombination,
Translokation t(4;11) und/oder MLL/AF4-Rekombination,
Eindeutig ≥ 5% Blasten im KM nach vier- bis fünfwöchiger Induktionstherapie,
Schlechtes frühes Ansprechen (>1000 Blasten im Blut an Tag 8) mit zusätzlichen Faktoren:
– Leukozyten >100 000/mm3
– immunologisch T-ALL oder pro-B-ALL
Therapie des subklinischen und manifesten leukämischen ZNS-Befalls
Zur Behandlung des subklinischen ZNS-Befalls (< 5 Zellen/mm3 Liquor mit oder
ohne Blasten) ist nur bei Patienten mit erhöhtem Rezidivrisiko eine Schädelbestrahlung indiziert. Hierzu gehören derzeit Patienten mit immunologischer T-ALL
und mit inadäquatem Therapieansprechen. Kinder im ersten Lebensjahr sollten
grundsätzlich keine Schädelbestrahlung erhalten. Bei allen Patienten ist durch
geeignete intrathekale und systemische Therapie die Rezidivwahrscheinlichkeit
im ZNS zu minimieren. Hier erscheint besonders die Therapie mit hoch dosiertem
Methotrexat und die intrathekale Applikation von MTX, ggf. von ARA-C und
PRED wirksam. Bei manifestem initialem ZNS-Befall („Meningeosis leukaemica“:
> 5 Zellen/mm3 und eindeutig Blasten im Liquor) ist bei allen Patienten (nach Erreichen des ersten Lebensjahres) eine Schädelbestrahlung notwendig.
Erhaltungstherapie
Die Erhaltungs- oder Dauertherapie wird mit 6-Mercaptopurin (50mg/m2/die)
und Methotrexat (20mg/m2 1 × pro Woche) p.o. bis zu einer Gesamttherapiedauer von 24 Monaten einheitlich für alle Therapiezweige durchgeführt. Die
Therapie wird anhand der Leukozyten- bzw. Lymphozytenzahl gesteuert: Angestrebt werden eine Leukozytenzahl von 2000–3000/mm2 und eine Lymphozytenzahl von > 300/mm2.
H 1.6 Therapie der AML
390
Rationale
Eine intensive Polychemotherapie mit mehreren Zytostatika ist heute Standard. Sie
besteht aus einer intensiven Induktionstherapie, anschließenden Konsolidierung
und Intensivierung über einen Zeitraum von vier bis sechs Monaten. Die Durchführung einer Schädelbestrahlung nach Erreichen der Remission ist umstritten.
Ebenso ist die Notwendigkeit und Dauer der Erhaltungstherapie unklar. Die Indikation zur allogenen HLA-identischen KMT vom HLA-identischen Spender in erster
Remission wird international mit Ausnahme des FAB-Typs M3 gestellt. Es zeichnet
sich jedoch ab, dass, wie in der Bundesrepublik bereits üblich, Patienten mit Standardrisiko nicht in erster Remission transplantiert werden müssen (siehe Tabelle 3).
Die Durchführung der autologen KMT in erster CR ist umstritten. Weltweit betragen die Überlebensraten für Kinder mit AML nach fünf Jahren 30% bis 50%.
Tabelle 3. Prognostische Faktoren bei der Behandlung der AML (3).
Faktor
Gute Prognose
Schlechte Prognose
International anerkannt
Zytogenetik
FAB M3
t(8;21), t(15;17),
inv16,
del5, -7,
komplexe Aberrationen
In Deutschland
übliche Einteilung
Standardrisiko
FAB M1/M2 Auer
FAB M3
FAB M4Eo
Hochrisiko
andere
Zusätzliche Bedingung für Standardrisiko:
Blastenreduktion Tag 15 < 5%
(Ausnahme FAB M3)
Chemotherapie
Induktionstherapie
Ziel ist die möglichst weitgehende Vernichtung aller Leukämiezellen und die
Wiederherstellung der normalen Hämatopoese. Dies kann nur durch eine intensive Zytostatikabehandlung mit mehreren Substanzen erreicht werden, die zur
lang anhaltenden Knochenmarkaplasie führen. Die Induktion besteht aus den
Medikamenten Cytosin-Arabinosid (Ara-C) in Kombination mit einem Anthrazyklin, ggf. kombiniert mit einem dritten Medikament, z.B. Etoposid, wie in der
deutschen AML-BFM-Studie. Die Einführung der ADE (Ara-C, Daunorubicin,
Etoposid)-Induktion in der Studie AML-BFM-83 ergab eine signifikante Verringerung der Rezidivraten im Vergleich zur Vorgängerstudie. Inzwischen wird an
Stelle des Daunorubicins das Idarubicin eingesetzt.
Sonderfall: Beim FAB-Typ M3 ist die Kombination von Chemotherapie und Alltrans-Retininsäure heute anerkannt.
Postremissions-Chemotherapie
Die Remission wird bei etwa 2/3 aller Patienten vier bis sechs Wochen nach der
Induktion erreicht. Es ist üblich, die Therapie auch bei nicht erreichten Remissionskriterien (s. S. 393) so bald wie möglich fortzusetzen. Der zweite Therapieblock ist von ähnlicher antileukämischer Wirkung wie die Induktion, häufig
werden die gleichen Zytostatika eingesetzt oder hoch dosiertes Ara-C oder auch
mehrere nicht kreuzresistente Medikamente. In der darauf folgenden Konsolidierungstherapie über sechs Wochen werden in den AML-BFM-Studien bisher
die Medikamente Prednison, Thioguanin, ein Anthrazyklin, Ara-C, Vincristin,
Cyclophosphamid und Ara-C i.th. eingesetzt.
Eine Intensivierung mit hoch dosiertem Ara-C zur Überwindung der Zytostatikaresistenz ist heute anerkannt. Sie besteht in der AML-BFM-98 Studie aus einem
Block mit hoch dosiertem Ara-C in Kombination mit Etoposid. Die Durchführung
391
einer anschließenden Erhaltungstherapie erscheint uns notwendig, jedoch ist ihr
Wert besonders in den USA umstritten. In der AML-BFM-93- und -98-Studie erfolgt eine Erhaltungstherapie bis zu einer Gesamtdauer von 1,5 Jahren mit den
Medikamenten 6-Thioguanin täglich und Ara-C vierwöchentlich.
Therapie des subklinischen und manifesten leukämischen ZNS-Befalls
Eine Behandlung des Zentralnervensystems (ZNS) bei manifestem Befall oder
präventiv besteht generell aus der Gabe von i.th. Ara-C, Methotrexat oder einer
Kombination dieser Substanzen mit Hydrokortison in Kombination mit der Schädelbestrahlung. Die Durchführung einer Schädelbestrahlung bei manifestem
ZNS-Befall wird generell akzeptiert, während die präventive Behandlung umstritten ist. Die Ergebnisse der Studie AML-BFM-87 zeigten, dass Patienten, die eine
präventive Schädelbestrahlung erhalten hatten, nicht nur weniger Rezidive im
ZNS, sondern auch eine Verringerung der systemischen Rezidive aufwiesen (2).
Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass residuelle Leukämiezellen nach intensiver systemischer Chemotherapie im ZNS zurückbleiben und später durch Verbreitung über den Blutweg das Knochenmark erreichen und dort zum Rezidiv
führen.
In der AML-BFM-98-Studie wird eine Schädelbestrahlung bei Kindern über drei
Jahren mit einer Dosis von 18 Gy durchgeführt und randomisiert mit einer reduzierten Dosis von 12Gy verglichen. Bei manifestem initialem ZNS-Befall wird mit
18 Gy bestrahlt. Kinder unter drei Jahren erhalten reduzierte Dosen.
Supportivtherapie, Überwachung und psychosoziale Betreuung
Die unter „Therapie der ALL“ genannten Maßnahmen gelten im verstärkten
Maße für die AML.
Knochenmarktransplantation
Der Stellenwert der KMT in erster Remission bei Kindern mit AML ist international Gegenstand der Diskussion. Die KMT stellt eine besondere Form der Therapieintensivierung dar. Der antileukämische Effekt der allogenen KMT entsteht
durch die intensive myeloablative Konditionierung und durch den Graft-versusLeukemia-Effekt der transplantierten Zellen. Die Konditionierung erfolgt mit Cyclophosphamid und Ganzkörperbestrahlung oder Cyclophosphamid und Busulfan. Generell sind die Rezidivraten nach Knochenmarktransplantation etwas geringer als bei alleiniger Chemotherapie. Es müssen jedoch die transplantationsassozierten Todesfälle und schweren Langzeitnebenwirkungen, wie endokrine
Störungen, chronische Graft-versus-Host-Reaktion, Kardiotoxizität und Zweittumorrisiko bedacht werden. In den AML-BFM-Studien ergibt sich bisher im
Matched-pair-Vergleich kein Unterschied in der Prognose.
Im Rahmen der AML-BFM-98-Studie werden die Patienten der Hochrisikogruppe
in erster Remission transplantiert, wenn ein HLA-identischer Spender zur Verfügung steht. Die Fremdspender-KMT in erster Remission ist generell nicht indiziert. Der Wert der autologen KMT in erster Remission ist bei der AML nicht bewiesen. Sie bleibt derzeit eine Option für Patienten in zweiter Remission.
392
H 1.7 Diagnostik im Verlauf
Bewertung des frühen Therapieansprechens
Aufgrund der großen prognostischen Bedeutung ist eine frühe Evaluierung des
Therapieansprechens bei der ALL und AML erforderlich: Diese kann bei der ALL
mit Differenzialblutbildern oder anhand von KM-Ausstrichen erfolgen. Üblich ist
die Bewertung am 8.Tag der Therapie im Blut und/oder Knochenmark und am
14. oder 15. Tag im Knochenmark.
Bei der AML ist das Ansprechen am Tag 15 (Beurteilung der Knochenmarkpunktion) ein entscheidenes Prognosekriterium.
Remissionsbeurteilung
Remission = normozelluläres Knochenmark mit < 5% Blasten, (bei der AML im
Blutbild normale Hämatopoese mit ausreichender Regeneration, >1500/mm2
Neutrophile), kein extramedullärer Leukämiebefall.
Vier bis sechs Wochen nach Beginn der Induktionstherapie ist das Erreichen der
Remission durch eine Knochenmarkpunktion zu dokumentieren. Bei der AML
sind häufig erneute Knochenmarkpunktionen nach dem zweiten und dritten
Therapieblock notwendig, wenn die Remissionskriterien noch nicht erreicht
waren. Später sind Knochenmarkpunktionen bei Rezidivverdacht, jeweils in
Kombination mit Lumbalpunktion indiziert.
Die molekulargenetische Remissionsbeurteilung spielt bei der ALL und AML
eine zunehmende Rolle bei der Erkennung von minimalen Resterkrankungen
(s. S. 386).
Klinische Verlaufsuntersuchungen und Komplikationen
Der Remissionsstatus ist durch regelmäßige klinische und hämatologische Untersuchung zu überwachen. Die Untersuchungsintervalle richten sich nach der Rezidivkaskade und werden in der Regel nach Abschluss der Erhaltungstherapie
schrittweise verlängert. Nach Ablauf von fünf Jahren ab Diagnose sind normalerweise nur noch jährliche Untersuchungen erforderlich.
Im gesamten Therapieverlauf sind regelmäßige Laboruntersuchungen zur Überwachung der Organfunktionen besonders zur Früherkennung von Organtoxizitäten unerlässlich. Diese sind entsprechend durch apparative Untersuchungen
zu ergänzen. Daneben ist im Rahmen von Komplikationen oft eine umfangreiche Diagnostik einzuleiten, die sich an der jeweiligen klinischen Situation zu orientieren hat. Hier kann es kurzfristig zu akuten Notfallsituationen kommen, die
eine sofortige diagnostische und therapeutische Intervention erfordern können.
Die häufigsten Komplikationen sind Infektion, Sepsis (u. U. mit septischem
Schock), Kardiomyopathie, Nierenversagen, Thrombosen, Blutungen, Anämie,
Thrombozytopenie.
393
Nachsorge
In der Spätfolgendiagnostik sind Untersuchungen zur Erkennung von kardiologischen (Anthrazyklin-Kardiomyopathie), endokrinologischen (durch Alkylanzien
und Strahlentherapie), hepatischen (durch Ara-C oder infektiös bedingt) und
zentralnervösen (nach Schädelbestrahlung) Spätfolgen im Einzelfall notwendig.
Diagnose des Rezidivs
Isoliertes KM-Rezidiv:
Isoliertes ZNS-Rezidiv:
ALL: ≥ 25% Lymphoblasten im KM
AML: ≥ 5% eindeutige Myeloblasten im KM
(Kontrolle bei niedrigem Blastenanteil notwendig)
> 5/mm2 Zellen im Liquor und morphologisch eindeutig identifizierbare Lympho- resp. Myeloblasten;
bei einer intrakraniellen Raumforderung im CCT/MRT
oder NMR ohne Blasten in Liquor;
die Blut- oder KM-Beurteilung ist zur Klärung der
Diagnose eines isolierten ZNS-Rezidivs notwendig, bei
Hirntumor die bioptische Sicherung
Isoliertes Hodenrezidiv: uni- oder bilaterale schmerzlose harte Hodenschwellung
(Hodenvolumen um > 2 Standardabweichunge größer
als Norm, gemessen mit Prader Orchidometer).
Diagnose des isolierten Hodenrezidivs durch Biopsie
Isolierte Infiltrate an anderen Lokalisationen:
Beweis durch Biopsie erforderlich
Kombinierte Rezidive:
simultaner Befall von zwei oder mehr Kompartimenten/
Lokalisationen. Bei kombinierten Rezidiven gilt das KM
als mitbefallen, wenn es > 5% leukämische Blaste aufweist.
H 1.8 Therapie des Rezidivs
394
Therapie des Rezidivs bei der ALL
Die Erfolgsaussichten einer Rezidivtherapie hängen vor allem vom Zeitpunkt des
Rezidivs ab, in zweiter Linie aber auch vom Manifestationsort (5). Die Patienten
mit sehr frühem Knochenmark-Rezidiv profitieren angesichts ihrer schlechten
Prognose am meisten von der allogenen Knochenmarktransplantation, während
Patienten mit späten Rezidiven, insbesondere solche mit isoliert extramedullären
Rezidiven, mit alleiniger Chemotherapie noch eine relativ gute Heilungschance
besitzen. Eine erneute Bestrahlung kann unter Berücksichtigung der Vorbelastung in Erwägung gezogen werden, z.B. in Form einer Schädel- oder Hodenbestrahlung beziehungsweise Ganzkörperbestrahlung.
Die Erfolgsaussichten einer Rezidivtherapie sind auch abhängig von der Qualität
bzw. Intensität der Erstbehandlung. Die hier gemachten Aussagen berücksichtigen vorrangig Erfahrungen mit Rezidivpatienten, die einer intensiven Ersttherapie unterzogen wurden.
Grundsätzlich erfordert die Rezidivtherapie einen erheblich größeren personellen und materiellen Aufwand, um die intensiveren Therapieelemente sicher
durchführen zu können.
Therapie des Rezidivs bei der AML
Die Rezidivbehandlung ist bei der AML grundsätzlich experimentell. Bei Spätrezidiven bestehen noch Heilungschancen insbesondere durch die allogenen KMT in
zweiter Remission.
Literatur
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7 Schrappe M, Reiter A, Sauter S, Ludwig W-D, Wörmann B, Harbott J, BenderGötze C,Dörffel W, Dopfer R, Frey E, Havers W, Henze G, Kühl J, Richter R,
Ritter J, Treuner J, Zintl F, Odenwald E, Welte K, Riehm H (1994) Konzeption
und Zwischenergebnis der Therapiestudie ALL-BFM 90 zur Behandlung der
akuten lymphoblastischen Leukämie bei Kindern und Jugendlichen: Die
Bedeutung des initialen Therapieansprechens in Blut und Knochenmark. Klin
Pädiatr 206: 208–221
395
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
M. Schrappe, Hannover; U. Creutzig, Münster; J. Ritter, Münster; G. JankaSchaub, Hamburg; G. Henze, Berlin; J. Hermann, Jena; H. Gadner, Wien
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
396
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
M. Schrappe und U. Creutzig
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
Überarbeitete Fassung: Oktober 2001
Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
397
H2
Non-Hodgkin-Lymphome
im Kindesalter
H 2.1 Definition und Basisinformation
Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) sind primär lokalisierte maligne Erkrankungen
des lymphatischen Systems. Ihr Anteil an den malignen Erkrankungen bei Kindern unter 15 Jahren beträgt etwa 6,9%. Jährlich ist mit neun Neuerkrankungen
auf 1 Million Kinder < 15 Jahren zu rechnen. Vor dem dritten Lebensjahr ist die
Erkrankung selten. Ab dem vierten Lebensjahr ist die Inzidenz gleichbleibend
ohne ausgeprägten Altersgipfel. Das Geschlechtsverhältnis weiblich:männlich ist
1:2,8, variiert jedoch stark, je nach Subentität.
H 2.2 Klassifikation
Das am weitesten verbreitete Klassifizierungssystem ist die aktualisierte KielKlassifikation (1). Die Ordnungsprinzipien sind:
Die immunphänotypische Zugehörigkeit zur T- oder B-Zell-Reihe
Die Bezugnahme auf die vermutete „normale“ Zellkategorie des Immunsystems
Das „grading“ in niedrig- und hochmaligne Lymphome
Fast alle im Kindesalter vorkommenden NHL-Formen sind nach der Kiel-Klassifikation hochmaligne Lymphome. Die „Revised European American Lymphoma
(REAL) Classification“(2) weicht bei den im Kindesalter typischen NHL-Formen
wenig von der Kiel-Klassifikation ab. Tabelle 1 zeigt die häufigsten im Kindesund Jugendalter vorkommenden Entitäten nach der Kiel-Klassifikation. Die korrespondierenden Synonyme der REAL-Klassifikation sind kursiv dahinter, bzw.
darunter aufgeführt. Die künftige WHO Klassifikation weist für die Klassifizierung der NHL des Kindesalters gegenüber der REAL-Klassifikation keine wesentlichen Änderungen auf.
Tabelle 1. Klassifikation der Non-Hodgkin-Lymphome des Kindes- und
Jugendalters nach der aktualisierten Kiel-Klassifikation (kursiv: Synonym der REAL-Klassifikation).
398
T-Zell-Reihe
B-Zell-Reihe
Lymphoblastische Lymphome
T-lymphoblastisch
(lymphoblastisch,Vorläufer-T-Zell)
B-lymphoblastisch
(lymphoblastisch,Vorläufer-B-Zell)
Tabelle 1. Fortsetzung.
T-Zell-Reihe
B-Zell-Reihe
Nicht-lymphoblastische Lymphome
Pleomorph, kleinzellig, mittel-großzellig Burkitt-Typ
(periphere T-Zell-Lymphome, nicht
(Burkitt- und Burkitt-ähnliche
weiter spezifiziert)
Lymphome)
Immunoblastisch
(periphere T-Zell-Lymphome,
nicht weiter spezifiziert)
zentroblastisch
(diffus großzellige B-Zell-Lymphome
zentroblastisch-zentrozytisch
(Follikelzentrums-Lymphome)
Lymphohistiozytisches Lymphom
(anaplastisch, großzellig, T-Zell-Typ,
Variante: lymphohistiozytisch)
immunoblastisch
(diffus großzellige B-Zell-Lymphome,
primäres mediastinales großzelliges BZell-Lymphom (des Thymus) a
Großzellig anaplastisch
(anaplastisch, großzellig, T-Zell-Typ)
Nicht klassifizierbar
großzellig anaplastisch
(diffuse großzell. B-Zell-Lymphome
nicht klassifizierbar
Keine linienspezifischen Merkmale
Großzellig anaplastisch (anaplastisch, großzellig, Null-Zell-Typ)
a
keine korrespondierende Entität in der Kiel-Klassifikation
Stadieneinteilung
Die am weitesten verbreitete Stadieneinteilung für NHL des Kindesalters ist die
St. Jude Stadieneinteilung (Tabelle 2).
Tabelle 2. St. Jude Stadieneinteilung.
Stadium I:
Eine einzelne nodale oder extranodale Tumormanifestation
ohne lokale Ausbreitung, mit Ausnahme von mediastinalen,
abdominalen und epiduralen Lokalisationen
Stadium II:
Mehrere nodale u./o. extranodale Manifestationen auf
derselben Seite des Zwerchfells mit oder ohne lokale
Ausbreitung
Nicht: mediastinale, epidurale oder ausgedehnte nicht
resektable abdominale Lokalisationen
Stadium III:
Lokalisationen auf beiden Seiten des Zwerchfells,
alle thorakalen Manifestationen (Mediastinum, Thymus,
Pleura), alle ausgedehnten nichtresektablen abdominalen
Manifestationen, Epiduralbefall
Stadium IV:
Befall des Knochenmarks (< 25%) und/oder des ZNS
399
H 2.3 Leitsymptome
Häufigstes Leitsymptom sind schmerzlose Lymphknotenschwellungen. Bei abdominalem Befall remittierende Bauchschmerzen, Invagination, Ileus. Bei mediastinalem Befall chronischer Husten, im fortgeschrittenen Stadium Stridor,
Halsvenenstauung. Bei ZNS-Befall Hirnnervenlähmungen, Kopfschmerzen. Bei
epiduralem Befall Querschnittsymptome. Häufigstes Allgemeinsymptom ist Fieber unklarer Ursache. Hepato- und Splenomegalie kommen vorwiegend bei
fortgeschrittenem Krankheitsstadium vor, bei einigen Lymphomformen, wie z.B.
peripheren T-Zell-Lymphomen, aber auch im frühen Krankheitsstadium. Notfallsituationen sind obere Einfluss-Stauung, Tracheakompression und tamponierende Perikardergüsse bei mediastinalen Lymphomen, Oligo-Anurie mit der Gefahr
der Hyperkaliämie bei Niereninfiltrationen, Querschnittlähmung bei epiduralen
Lymphomen und Amaurose bei Lymphomen der Keilbeinhöhle.
H 2.4 Diagnostik
Diagnosestellung und Charakterisierung der Subentität
Die Diagnose NHL wird durch die Untersuchung eines befallenen Lymphknotens
oder eines anderen befallenen Gewebes gesichert. Liegen Körperhöhlenergüsse
oder ein signifikanter Knochenmarkbefall (>20% Lymphomzellen) vor, kann die
Diagnose durch die Untersuchung von zytologischen Präparaten, ergänzt durch
die Immunphänotypisierung vitaler Lymphomzellen, gesichert und auf die Histologie verzichtet werden, sofern die zytomorphologische Klassifizierung nach der
FAB-Klassifikation eindeutig möglich ist. Dies ist der Fall bei lymphoblastischen
Lymphomen (FAB-L1- oder L2-Morphologie) und bei Burkitt- oder Burkitt-ähnlichen Lymphomen (FAB-L3-Morphologie). Eine Nadelbiopsie reicht als Diagnosesicherung nicht aus, da das so gewonnene Material die vollständige Klassifizierung einschließlich Immunhistochemie in der Regel nicht ermöglicht. Cave: Vorsicht mit invasiver Diagnostik bei Patienten mit kritisch großem Mediastinaltumor mit respiratorischer Beeinträchtigung und/oder oberer Einfluss-Stauung.
Vorbehandlung mit Prednison, nötigenfalls zusätzlich Cyclophosphamid. Invasive Diagnostik erst nach Stabilisierung.
Die vollständige Klassifizierung ist Voraussetzung für die Wahl der geeigneten
Therapieform. Die Minimalanforderung umfasst: Histopathologie, Zytomorphologie, Immunphänotypisierung. Die Immunphänotypisierung erfolgt immunhistochemisch oder durch Typisierung vitaler Zellen. Zytogenetik und Molekulargenetik sind ergänzende Methoden zur umfassenden biologischen Charakterisierung der Erkrankung. Aufgrund der Bedeutung der genauen Subklassifikation
der Erkrankung für die Wahl der adäquaten Therapieform ist stets die Referenzbegutachtung durch einen zweiten Pathologen erforderlich.
400
Tabelle 3. Aufbereitung des Untersuchungsmaterials zur Diagnosesicherung.
Untersuchung
Biopsiematerial
Knochenmark
Ergüsse
Zytomorphologie
Tupfpräparate
Ausstrichpäparate
Zytozentrifugenpräparate
Histologie und
Immunhistochemie
Fixierung in
Formalin 10%
Immunphänotypisierung
vitaler Zellen
in Kulturmedium
oder Eigenserum:
NaCl 0,9% 1:1
KM-Blut mit
Heparinzusatz
Ergussflüss. mit
Heparinzusatz
Molekulargenetik
in Kulturmedium
oder Eigenserum:
NaCl 0,9% 1:1
oder schockgefroren in
flüssigem Stickstoff
KM-Blut mit
Heparinzusatz
Ergussflüss. mit
Heparinzusatz
Zytogenetik
in Kulturmedium
oder Eigenserum:
NaCl 0,9% 1:1
KM-Blut mit
Heparinzusatz
Ergussflüss. mit
Heparinzusatz
Prätherapeutisches Staging
Gründliche körperliche Untersuchung, insbesondere alle Lymphknotenstationen, Haut, Nasen-Rachen-Raum, Leber und Milz, neurologischer Status, insbesondere Hirnnerven, Hoden.
Blutbild mit Differenzialblutbild, Retikulozytenzahl und Ausstrichen.
Knochenmarkuntersuchung: Zytomorphologie, Immunologie, Zytogenetik, Molekulargenetik.
Liquoruntersuchung: Zellzahl und Zytomorphologie. Unabhängig von der Zellzahl sollen in jedem Fall Zytozentrifugenpräparate angefertigt und die Liquorzellen morphologisch beurteilt werden.
Bildgebende Diagnostik
Erforderliches Basis-Programm für alle Patienten:
Sonographie: Abdomen, Hals, Axillen, Supraclavikularregion, vorderes Mediastinum, Thorax (Pleuraerguss?, Perikarderguß), Hoden
Röntgen-Thoraxaufnahme in zwei Ebenen;
Kraniale Magnetresonanztomographie (MRT), ersatzweise kraniale Computertomographie (CCT) ohne und mit Kontrastmittel, im Falle zervikaler Lymphome erweitert um Nasennebenhöhlen und Epi-, Meso-, Hypopharynx
401
Bei speziellen Lokalisationen erforderliche Untersuchungen
Mediastinalverbreiterung: Thorax-MRT, ersatzweise Thorax-CT mit Kontrastmittel zur Differenzierung von Thymusbefall versus mediastinalem LK-Befall,
Pleurabefall, Perikardbefall
Bei Verdacht auf Lungenbefall: Thorax-CT
Abdominaler Befall: MRT, ersatzweise CT mit Kontrastmittel
HNO-Bereich: MRT, ersatzweise CT mit Kontrastmittel
Bei lokalisierten Knochenschmerzen: Röntgen, MRT
Prätherapeutische Parameter der Tumormasse: Serumkonzentration der Laktatdehydrogenase (LDH)
Prätherapeutische Diagnostik zu Erkennung von Therapierisiken und als
Ausgangsbefunde zur Überwachung von potenziellen Therapiespätfolgen
Blutgruppe. Serum-Elektrolytkonzentrationen, Kreatinin, Harnsäure, Harnstoff,
Leberenzyme und -funktionsparameter (GOT, GPT, GLDH, gamma-GT, Cholinesterase, Bilirubin Protein und Proteinelektrophorese), Blutgerinnung, Immunglobuline, Infektionsparameter, serologischer Status für zytopathogene Viren, Hepatitis A,B,C. Nach Einverständnis des Patienten/seines Erziehungsberechtigten
– HIV. Bei postpubertären Jugendlichen, Basalkonzentrationen der Gonadotropine FSH und LH im Serum.
Elektrokardiogramm, Echokardiogramm mit Bestimmung der Ventrikelfunktion,
EEG.
H 2.5 Therapie
Rationale
Mit modernen Kombinations-Chemotherapieprotokollen werden heute Überlebensraten von über 80% erzielt. Je nach Subentität sind unterschiedliche Chemotherapiestrategien erforderlich. Die wichtigste Unterteilung ist die zwischen
lymphoblastischen Lymphomen der unreifen Vorläuferzellen der T- und B-ZellReihe und den nicht-lymphoblastischen Lymphomen, die ihren Ausgang von reifen Zellen des peripheren lymphatischen Systems nehmen. International hat sich
eine Gruppierung in 3 strategische Gruppen durchgesetzt:
Lymphoblastische Lymphome, ausgehend von den unreifen Vorläuferzellen-Tund-B-Zellen
B-Zell-Lymphome (Lymphome reifer peripherer B-Zellen), ausgenommen
großzellig anaplastische Lymphome vom B-Zell-Typ
Großzellig anaplastische Lymphome (unabhängig vom Immunphänotyp)
Für einige zahlenmäßig kleine Subentitäten, z.B. periphere T-Zell-Lymphome, ist
die geeignetste Therapieform noch unklar.
402
Chemotherapie
Lymphoblastische Lymphome
Für Patienten mit lymphoblastischen Lymphomen ist die ALL-Therapiestrategie,
bestehend aus Induktion, Re-Intensivierung, Extrakompartmenttherapie und
Dauertherapie, eine erfolgreiche Behandlungsstrategie (5). Die Stratifizierung
der Therapieintensität erfolgt nach Ausbreitungsstadium. Nur Patienten mit Stadium III und Stadium IV erhalten eine Re-Intensivierung. Die Therapie der ALL ist
in der entsprechenden Leitlinie beschrieben.
B-Zell-Lymphome (ausgenommen großzellig anaplastische Lymphome vom
B-Zell-Typ)
Eine Therapiestrategie, bestehend aus wiederholten sehr kurzen Therapiekursen, hat sich in mehreren großen multizentrischen Studien als hocheffizient erwiesen (5). Die eingesetzten Medikamente sind Glukokortikosteroide, Cyclophosphamid, Ifosfamid, Methotrexat, Cytosin-Arabinosid, Doxorubicin, Vincristin, Etoposid. Die Therapiekurse dauern fünf bis sieben Tage und werden in
kurzen Abständen wiederholt, sobald sich die Knochenmarkfunktion erholt hat.
Die Intensität der Kurse ist hoch. Es wird angestrebt, mit jedem Therapiekurs ein
Maximum an Tumorzytolyse zu erzielen und durch kurze Abstände zwischen
den Kursen die Chance für ein Wiederanwachsen der Lymphomzellen auf ein
Minimum zu reduzieren, um das Entstehen von Resistenzen zu verhindern. Eine
beträchtliche postchemotherapeutische Knochenmarksuppression mit Absinken
der Leukozyten unter 500/µL wird dabei in Kauf genommen.
Kriterien zur Stratifizierung der Therapieintensität sind: Ausbreitungsstadium,
Resektabilität und Tumormasse.
Großzellig anaplastische Lymphome
Die Therapiestrategie für B-Zell-Lymphome erwies sich auch als erfolgreich in der
Behandlung der Patienten mit großzellig anaplastischen Lymphomen (3). Klinische Kriterien zur Stratifizierung der Therapieintensität sind Hautbefall, Mediastinalbefall, Lungenbefall, Leberbefall, Milzbefall und ZNS-Befall, die mit einem
erhöhten Rückfallrisiko assoziiert sind.
Lokoregionäre Therapie
Chirurgische Therapie
Primäre Operation
Eine primär vollständige Resektion kleiner lokalisierter Lymphome kann bei
nicht-lymphoblastischen Lymphomen vorteilhaft sein. Diese Patienten haben mit
einer sehr kurzen Chemotherapie eine ausgezeichnete Überlebenschance. Die
Resektabilität ist aber abhängig vom Krankheitsstadium, und das Stadium ist die
übergeordnete prognostische Variable. Ist eine vollständige Resektion nicht risikolos und nicht ohne funktionellen Verlust möglich, soll die OP auf einen minimalen diagnostischen Eingriff beschränkt werden. Teilresektionen sind ohne
therapeutischen Wert (4). Resektionen um den Preis signifikanter funktioneller
Verluste sind nicht gerechtfertigt.
403
Second-look-Operation
Ein therapeutischer Wert der Second-look-Operation bei unvollständiger Tumorrückbildung unter Chemotherapie ist nicht belegbar. Bei Patienten mit BZell-Lymphomen kann die Second-look-Operation aber zur Entscheidungsfindung über eine Intensivierung der Chemotherapie beitragen, in dem sie die histologische Unterscheidung von nekrotischen und vitalen Resttumoren
ermöglicht.
Strahlentherapie
Die Strahlentherapie ist eine wirksame Therapiemaßnahme. Bei effektiver Chemotherapie bewirkte eine zusätzliche Involved-field-Bestrahlung in kontrollierten prospektiven Therapiestudien jedoch keine Verbesserung der krankheitsfreien Überlebensraten im Vergleich zu alleiniger Chemotherapie, wohl aber eine
Erhöhung der Therapietoxizität, sowohl bei Patienten mit lokalisierten Lymphomen (Stadium I und II) wie auch bei Patienten mit fortgeschrittenen Stadien (Stadium III und IV). Die Lokalbestrahlung ist deshalb in den meisten modernen
Therapieprotokollen kein obligater Therapiebestandteil. Bei Patienten mit
lymphoblastischen Lymphomen kann die Strahlentherapie in Sonderfällen eines
Lymphomprogresses unter Chemotherapie oder bei nicht ausreichender
Tumorrückbildung eine lokale Therapieoption darstellen. Eine nicht vollständige
Rückbildung lokaler Lymphommanifestationen ist jedoch nicht selten und nicht
in jedem Fall von ungünstiger prognostischer Bedeutung. Die meisten Therapieprotokolle enthalten Definitionen einer ausreichenden und einer nicht ausreichenden Tumorrückbildung unter Chemotherapie. Auch in der Rezidivsituation
kann die Strahlentherapie, z.B. als Palliativmaßnahme, in Erwägung gezogen
werden.
Therapie des Zentralnervensystems
Lymphoblastische Lymphome
Patienten ohne manifesten ZNS-Befall
Bei Patienten mit Stadium I und II wird mit intrathekaler Chemotherapie eine
ausreichende ZNS-Protektion erzielt. Eine Schädelbestrahlung ist nicht erforderlich (5). Die Frage, ob auch bei Patienten mit Stadium III und IV auf die präventive
Schädelbestrahlung verzichtet werden kann, ist derzeit Gegenstand prospektiver kontrollierter Studien.
Patienten mit ZNS-Befall: Intrathekale Chemotherapie und Schädelbestrahlung
sind derzeit Standard. Die Standarddosis der therapeutischen Schädelbestrahlung ist 24 Gy für Kinder > 2 Jahre (im zweiten Lebensjahr 18 Gy). Im ersten
Lebensjahr wird keine Schädelbestrahlung durchgeführt.
B-Zell-Lymphome (ausgenommen großzellig anaplastische Lymphome vom
B-Zell-Typ)
Patienten ohne manifesten ZNS-Befall
Intrathekale Chemotherapie und systemische Methotrexattherapie sind eine
ausreichende ZNS-Protektion. Eine Schädelbestrahlung ist nicht erforderlich (5).
404
Patienten mit ZNS-Befall: Eine Standardtherapie ist noch nicht etabliert. In kontrollierten Studien werden derzeit verschiedene Strategien prospektiv geprüft:
Therapeutische Schädelbestrahlung zusätzlich zu systemischer und intrathekaler Chemotherapie
Verzicht auf die Schädelbestrahlung und Durchführung einer fraktioniert intraventrikulär verabreichten Chemotherapie in Kombination mit systemischer
Hochdosis-Methotrexat-Therapie.
Verzicht auf die Schädelbestrahlung und systemische Hochdosis-Methotrexatund -Cytarabin-Therapie kombiniert mit intrathekaler, via Lumbalpunktion
verabreichter Chemotherapie.
Großzellig anaplastische Lymphome
Diese Entität hat eine sehr geringe Tendenz zur Besiedelung des ZNS. Die prophylaktische ZNS-Therapie besteht derzeit aus intrathekaler Chemotherapie. Eine prophylaktische Schädelbestrahlung ist nicht erforderlich. Ob auch auf die intrathekale Chemotherapie verzichtet werden kann, ist in kontrollierten Studien
zu evaluieren.
Knochenmarktransplantation
Die allogene Knochenmarktransplantation ist ein Option für:
Patienten mit lymphoblastischem Lymphom und ungenügendem Ansprechen
auf die konventionelle Chemotherapie, Rezidivpatienten mit lymphoblastischem
T-Zell-Lymphom in zweiter Remission, Rezidivpatienten mit B-Zell-Lymphom in
zweiter vollständiger oder partieller Remission.
Autologe Knochenmarktransplantation bzw. Konditionierungstherapie mit peripherem Blutstammzell-Rescue:
Bei Patienten mit nicht-lymphoblastischen Lymphomen und unvollständigem
Therapieansprechen, Krankheitsprogress oder Rezidiv wird derzeit der Stellenwert in kontrollierten prospektiven Therapiestudien evaluiert.
Besonderheiten der Begleittherapie
Die Therapie ist mit einer beträchtlichen Morbidität belastet. Dies gilt im Besonderen für die Therapieform der B-Zell-Lymphome und der großzellig anaplastischen Lymphome. Am bedeutsamsten sind die orointestinale Mukosatoxizität
und die gravierende Knochenmarksuppression mit der Folge eines hohen Infektionsrisikos. Bei Beginn der Therapie besteht das Risiko des akuten Zellzerfallsyndroms mit Hyperurikämie und bedrohlichen Elektrolytimbalanzen. Diese
Therapie sollte deshalb nur an Institutionen mit entsprechender personeller und
infrastruktureller Ausstattung durchgeführt werden. Der Einsatz von Zytokinen
bzw. hämatopoetischen Wachstumsfaktoren sollte nur im Rahmen kontrollierter
Studien erfolgen.
Aktuelles Therapieprotokoll
In der Bundesrepublik werden wie in den meisten westlichen Ländern Kinder
und Jugendliche mit NHL fast ausschließlich in kontrollierten multizentrischen
405
Therapiestudien behandelt. Ein Beispiel eines aktuellen Therapieprotokolls ist
der Therapieplan der kooperativen multizentrischen Therapiestudie NHL-BFM 95
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Zukünftige Entwicklung
Vorrangige Ziele der Weiterentwicklung der Therapie sind:
Reduzierung der akuten Morbidität der Therapie und des Risikos von Therapiespätfolgen
Optimierung der Anpassung der Therapieintensität an das Rückfallrisiko des
individuellen Patienten
Spezifischere Anpassung der Therapiemodalitäten an biologische Subtypen.
Entwicklung einer Erfolg versprechenden Rezidivtherapie
Erfolg versprechende Therapiestrategien außerhalb der Chemotherapie sind
noch nicht erkennbar.
H 2.6 Nachsorge
Überwachung der Remission nach Therapieende: Blutbild, LDH, klinische und bildgebende Kontrollen des Lokalbefundes. Untersuchungsintervalle sind gestaffelt
nach Entitäten: bei Patienten mit lymphoblastischen Lymphomen alle zwei bis vier
Wochen in den ersten beiden Jahren, alle vier bis acht Wochen im dritten Jahr und
alle drei Monate im vierten Jahr nach Therapiebeginn, danach nur bei Verdacht.
Bei Patienten mit B-Zell-Lymphomen und großzellig anaplastischen Lymphomen
alle zwei bis vier Wochen im ersten Jahr, alle zwei Monate im zweiten Jahr, danach
nur bei Verdacht. Die Hauptrisikoperiode für Rezidive dauert bei Patienten mit BNHL und bei Patienten mit großzellig anaplastischen Lymphomen 1,5 Jahre ab
Therapiebeginn, bei Patienten mit lymphoblastischen Lymphomen etwa drei Jahre. Untersuchungen des Knochenmarks und des Liquors sind nach Therapieende
nur bei Rezidivverdacht angezeigt, nicht als Routinekontrollen.
Überwachung von Spätfolgen: Die Risiken für potenzielle Spätfolgen der Therapie können noch nicht abschließend bewertet werden. Erforderlich sind Nachuntersuchungen hinsichtlich Spermiogenesestörungen bei Jungen, Anthrazyklin-verursachter Kardiomyopathie und sekundärer Neoplasien.
Literatur
406
1 Lennert K, Feller AC (1990) Histopathologie der Non-Hodgkin-Lymphome.
2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York
2 Harris NL, Jaffe ES, Stein H et al (1994) A Revised European-American Classification of Lymphoid Neoplasms: A proposal from the International Lymphoma Study Group. Blood 84: 1361–1392
3 Reiter A, Schrappe M, Tiemann M et al (1994) A successful treatment strategy for Ki-1 anaplastic large cell lymphoma of childhood. A prospective ana-
lysis of 62 patients enrolled in three consecutive BFM group studies.
J Clin Oncol 12: 899–908
4 Reiter A, Zimmermann W, Zimmermann M et al (1994) The role of initial laparotomy and second-look surgery in the treatment of abdominal B-cell NonHodgkin’s lymphoma of childhood. A report of the BFM group. Eur
J Pediatr Surg 4: 74–81
5 Reiter A, Schrappe M, Parwaresch R et al (1995) Non-Hodgkin`s lymphomas
of childhood and adolescence. Results of a treatment stratified for biological
subtypes and stage. A report of the BFM group. J Clin Oncol 13: 359–372
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
A. Reiter, Gießen; W. Dörffel, Berlin; W. Havers, Essen; G. Schellong, Münster;
G. Henze, Berlin; R. Pötter, Wien; U. Rühl, Berlin
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften:
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
407
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
A. Reiter
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
408
H3
Morbus Hodgkin im Kindesalter
H 3.1 Krankheitsbezeichnung, Definition, Epidemiologie
Hodgkin-Krankheit (Lymphogranulomatose), (Synonyma: Morbus Hodgkin,
Hodgkin-Lymphom, engl. Hodgkin’s disease = HD).
Der Morbus Hodgkin ist eine vorwiegend das lymphatische Gewebe betreffende
Krankheit unbekannter Ätiologie, die histologisch durch einkernige Tumorzellen
(Hodgkin-Zellen) und/oder mehrkernige Tumorzellen (Reed-Sternberg-Zellen)
neben entzündlich-granulomatösen Infiltraten charakterisiert ist.
Tritt selten vor dem dritten Lebensjahr auf, dann langsam zunehmende Inzidenz
mit Häufigkeitsgipfel im Erwachsenenalter. Ca. 5% aller malignen Neoplasien im
Kindesalter (0–15 Jahre), in Deutschland mit einer männlichen Prädisposition
von 1,4 : 1.
H 3.2 Klassifikation und Stadieneinteilung
Histologische Klassifikation
Die Ann-Arbor-Klassifikation unterscheidet vier Typen:
1. Lymphozytenprädominanter (lymphozytenreicher) Typ
(LP = lymphocyte predominance), nodulär oder diffus
2. Nodulär sklerosierender Typ (NS = nodular sclerosis); eine zusätzliche Unterteilung nach Bennet in Malignitätsgrade 1 und 2 kann vorgenommen werden
3. Mischtyp (MC = mixed cellularity)
4. Lymphozytenarmer Typ (LD = lymphocyte depletion)
Nach der REAL-Klassifikation wurde vorgeschlagen, vom Typ der „lymphozytären Prädominanz (Paragranulom, nodulär oder diffus)“ eine „lymphozytenreiche
klassische Hodgkin-Krankheit“ abzugrenzen. In der WHO-Klassifikation (1) wird
das Hodgkin-Lymphom unterteilt in das „noduläre lymphozytenprädominante
Hodgkin-Lymphom” einerseits und das „klassische Hodgkin-Lymphom” andererseits mit vier Subtypen entsprechend der Ann-Arbor-Klassifikation, wobei der
lymphozytenreiche Typ als „klassisches Hodgkin-Lymphom, lymphozytenreich”
bezeichnet wird. Das nach der REAL- und auch nach der WHO-Klassifikation als
provisorischer Subtyp definierte „großzellig anaplastische Lymphom vom Hodgkin-Typ“ (= anaplastic large cell lymphoma Hodgkin’s-like (Hodgkin’s related)) ist
vom Morbus Hodgkin abzugrenzen. Die Therapie dieser und anderer Übergangsformen zu den Non-Hodgkin-Lymphomen ist noch nicht standardisiert!
409
Stadieneinteilung
Ausbreitungsstadien des Morbus Hodgkin nach der durch die UICC aktualisierten Ann-Arbor-Klassifikation
I Befall einer einzelnen Lymphknotenregion (I) oder lokalisierter Befall eines einzelnen extralymphatischen Organs oder Bezirks (IE)
II Befall von 2 oder mehr Lymphknotenregionen auf der gleichen Seite des
Zwerchfells (II) oder lokalisierter Befall eines einzelnen extralymphatischen Organs oder Bezirks und seines (seiner) regionären Lymphknoten mit oder ohne
Befall anderer Lymphknotenregionen auf der gleichen Zwerchfellseite (IIE)
III Befall von Lymphknotenregionen auf beiden Seiten des Zwerchfells (III), ggf.
zusätzlich lokalisierter Befall eines extralymphatischen Organs oder Bezirks (IIIE) oder gleichzeitiger Befall der Milz (IIIS) oder gleichzeitiger Befall von beiden
(IIIE+S)
IV Disseminierter (multifokaler) Befall eines oder mehrerer extralymphatischer
Organe mit oder ohne gleichzeitigen Lymphknotenbefall; oder isolierter Befall
eines extralymphatischen Organs mit Befall entfernter (nichtregionärer) Lymphknoten
Jedes Stadium wird in A- und B-Kategorien unterteilt:
A bei Fehlen definierter Allgemeinsymptome
B bei folgenden definierten Allgemeinsymptomen:
a) unerklärlicher Gewichtsverlust von mehr als 10% in
den letzten sechs Monaten und/oder
b) unerklärtes persistierendes oder rekurrierendes Fieber
mit Temperaturen über 38°C und/oder
c) starker Nachtschweiß
H 3.3 Leitsymptome
In der Regel manifestiert sich die Erkrankung nur durch schmerzlose Lymphknotenschwellungen, am häufigsten zervikal und mediastinal, die miteinander verbackene, derbe Pakete bilden und Nachbarstrukturen verdrängen oder komprimieren können wie z.B. die Trachea, Bronchien oder Gefäße. Seltener sind Milz
und Leber vergrößert. Beteiligungen extranodaler Strukturen können zu Tumoren, Ergüssen, Schmerzen oder Funktionseinschränkungen verschiedener Organe und Gewebe führen. Daneben können Allgemeinsymptome wie die bereits
erwähnten der B-Kategorie sowie Mattigkeit, Juckreiz, Blässe sowie paraneoplastische Syndrome, u.a. ein nephrotisches Syndrom oder eine (Immun-)
Thrombozytopenie auftreten.
410
H 3.4 Diagnostik
Verfahren zur Diagnose (initiale histologische Diagnostik)
Biopsie eines repräsentativen Lymphknotens bzw. befallenen Gewebes. Nadelbiopsie reicht im allgemeinen nicht aus. Bei großen Mediastinaltumoren mit Gefahr lebensbedrohlicher Atemstörungen evtl. Lymphknotenbiopsie in Lokalanästhesie oder Vorbehandlung mit Kortikoiden.
Untersuchung des Gewebes zytologisch (Tumortupfpräparate), histologisch, immunhistologisch und in Zweifelsfällen (Abgrenzung von Non-Hodgkin-Lymphomen!) molekulargenetisch.
Die Bestätigung der histologischen Klassifikation durch einen Referenzpathologen ist empfehlenswert.
Verfahren zum prätherapeutischen Staging
Notwendige Verfahren:
Sorgfältige Dokumentation aller tastbaren peripheren Lymphknoten hinsichtlich genauer Lokalisation und Größe in cm, Leber- und Milzgröße, HNO-ärztliche Untersuchung (Waldeyer’scher Rachenring!)
Sonographie aller peripheren Lymphknotenregionen (u. a. Hals, Supraklavikulargruben, Axillae, Leistenregion), des oberen, vorderen Mediastinums und
des Abdomens (Leber und Milz, paraaortale, iliakale Lymphknoten!)
Röntgenuntersuchung des Thorax in zwei Ebenen
Computertomographie (CT) des Thorax mit Lungen- und Weichteil-„Fenster“
CT oder Magnetresonanztomographie (MRT) aller klinisch oder sonographisch erfassten Befallsregionen als Basis für die Strahlentherapieplanung und
eine anzustrebende Responsebeurteilung nach Therapie
Labor: BB, BSG, ALAT (GPT), ASAT (GOT), GGT, AP, LDH, Kreatinin im Serum.
Serologie: Viren (EBV, CMV, HSV, HHV-6, VZV, HIV), Toxoplasmose, Candida,
Aspergillen
EKG, Echokardiographie
Nur im Einzelfall notwendige Verfahren
CT oder MRT des Abdomen und Beckens auch bei zweifelhaften Sonographiebefunden und prinzipiell bei Verzicht auf eine Laparotomie (s.u.) zu empfehlen!
Bei Verdacht auf Skelettbefall: Ganzkörperszintigraphie sowie Röntgen- und
MRT- oder CT-Untersuchung verdächtiger Regionen
Zur Bewertung wenig vergrößerter Lymphknoten hinsichtlich eines Befalls im
Rahmen der Hodgkin-Erkrankung sowie zur Detektion eines Befalls von Milz,
Leber und Knochenmark kann eine Positronen-Emissions-Tomographie mit
2-(F-18)Fluoro-2-desoxy-D-Glukose (FDG-PET) hilfreich sein
Erweiterte histopathologische Diagnostik
Notwendige Verfahren
1 bis 2 Knochenmarkstanzbiopsien ab Stadium II B
411
Nur im Einzelfall notwendige Verfahren
Bei Verdacht auf Skelettbefall Biopsie wenigstens eines Herdes
Selektive Laparotomie ohne Splenektomie nur dann, wenn mittels der bildgebenden Verfahren keine eindeutige Klärung über einen abdominellen bzw. retroperitonealen Befall herbeizuführen ist und/oder bei Mädchen grenzwertige
Lymphome parailiakal ein- oder beidseitig gefunden werden, deren histologische Abklärung darüber entscheidet, ob sie – nach ein- oder doppelseitiger
Ovaropexie hinter dem Uterus – bestrahlt werden müssen. Sorgfältige Exploration aller Lymphknotenstationen, der Milz und der Leber
Evtl. Biopsien weiterer grenzwertig vergrößerter peripherer Lymphknotenstationen, um danach die Chemo- und Strahlentherapiestratifizierung entscheiden zu können
H 3.5 Therapie
Rationale (Prinzipien)
International hat sich bei Kindern eine kombinierte Behandlungsstrategie mit
Chemotherapie und niedrig dosierter Bestrahlung der befallenen Regionen
durchgesetzt. Damit erzielte Heilungsraten von über 90% sind die Basis für Bemühungen um eine weitere Reduktion der Therapieintensität, um die Rate therapiebedingter Komplikationen und Spätfolgen zu vermindern.
Chemotherapie
International sind die Chemotherapiekombinationen MOPP (Mustargen, Oncovin = Vincristin, Procarbazin, Prednison) und ABVD (Adriamycin, Bleomycin, Vinblastin und Dacarbazin) verbreitet, obwohl erstere ein erhöhtes Risiko für sekundäre Leukämien (3–6%) und für Sterilität bei Knaben, letztere ein erhöhtes Risiko für pulmonale Funktionsstörungen und Kardiomyopathien bedingt. In
Deutschland haben sich für die Primärtherapie OPPA (Oncovin, Procarbazin,
Prednison und Adriamycin) oder – bei Knaben zur Reduktion der Sterilitätsrate
infolge von Procarbazin – OEPA (Etoposid anstelle von Procarbazin) und COPP
(Cyclophosphamid, Oncovin, Procarbazin und Prednison) bewährt. Mit diesen
Chemotherapiekombinationen lassen sich – verglichen mit anderen international üblichen Chemotherapiekombinationen – besonders hohe Langzeitüberlebensraten bei geringen Spätfolgen erzielen (2).
Strahlentherapie
Alle initial befallenen nodalen und extranodalen Lokalisationen (Ausnahme:
Knochenmark) sollten im Anschluss an die Chemotherapie bestrahlt werden (involved field irradiation). Nach zwei OPPA- oder OEPA-Zyklen im CT nicht mehr
nachweisbarer Lungenbefall kann von der Bestrahlung ausgenommen werden.
Die Toleranzdosen im Bereich von Risikoorganen (z.B. Lunge, Leber, Nieren) müssen unter Berücksichtigung von Patientenalter, bestrahltem Organvolumen, eingesetzter Chemotherapie und Fraktionierung beachtet werden.
412
Für Regionen mit guter Volumenreduktion unter der Chemotherapie und kleinem Resttumor kann die Strahlendosis 20–25 Gy betragen, für Lokalisationen
mit schlechterem Chemotherapieresponseverhalten und größerem Tumorrestvolumen 30–35 Gy. Die Einzelheiten der wichtigen technischen Voraussetzungen der Strahlentherapieplanung und -durchführung sind in den pädiatrischen
Protokollen nachzulesen und zu berücksichtigen.
Modifikation der Therapie
Im Stadium I kann bei vollständiger Entfernung des oder der befallenen Lymphknoten vom histologischen Subtyp eines nodulären Paragranuloms auf eine
kombinierte Chemoradiotherapie ganz oder zumindestens auf die Strahlentherapie im Anschluss an die Chemotherapie verzichtet werden.
Zur Reduzierung therapiebedingter Spätfolgen wird derzeit in der Studie GPOHHD 95 der Verzicht auf die Strahlentherapie bei den Patienten erprobt, die durch
die Chemotherapie allein eine komplette Remission erreichen (3).
Therapieschema und Prognose
Im Rahmen der deutsch-österreichischen Studien wurden seit 1982 Überlebensraten von über 95% erreicht. In den beiden deutschen Studien DAL-HD-82 und
DAL-HD-85 betrug die Überlebenswahrscheinlichkeit nach 13 resp. zehn Jahren
(zum Stichtag 1.12.94) in den Stadien I und IIA 100 bzw 98%, in den Stadien IIB
und IIIA 96 bzw. 95% und in den Stadien IIIB und IV 84 bzw 100%.
Für Kinder und Jugendliche bis zu 18 Jahren ist daher eine Behandlung im Rahmen der aktuellen Therapiestudie der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie
und Hämatologie (GPOH) zu empfehlen.
Zukünftige Entwicklungen
Internationale Publikationen und Beobachtungen von gravierenden Spätfolgen
der Therapie (u.a. sekundäre Neoplasien, Sterilität, erhöhtes Risiko für Herzinfarkte (4)) lassen eine weitere Therapiereduktion unter Beibehaltung der hohen
Heilungsraten wünschenswert erscheinen. Derartige innovative Therapiestrategien sollten aber ausschließlich im Rahmen von Studien erprobt werden.
Behandlungen mit Immunotoxinen sind für eine Primärtherapie bei Kindern derzeit noch nicht zu empfehlen.
H 3.6 Verlaufsdiagnostik und Nachsorge
Kontrolluntersuchungen während der Behandlung (notwendige Verfahren)
Klinische Untersuchungen, Blutbild, ASAT, ALAT, Kreatinin und Elektrolyte i.S.,
Sonographie und Röntgen, CT oder MRT sowie ggf. Szintigraphie (Verlaufsuntersuchungen anfangs pathologischer Befunde), im Einzelfall evtl. auch
FDG-PET.
413
Untersuchungen nach Therapieende
Zum Rezidivmonitoring notwendige Verfahren: klinische Untersuchung, Blutbild, Blutsenkung, Röntgen-Thorax und Sonographie etwa alle drei Monate in
den ersten zwei Jahren, etwa alle sechs Monate im dritten Jahr und danach bei
Rezidivverdacht
Zum Rezidivmonitoring im Einzelfall notwendige Verfahren: MRT (oder CT) primär befallener Regionen bei Rezidivverdacht; zur Remissionsüberwachung nach
Lungenbefall, CT-Thorax
Zur Diagnostik von negativen oder unerwünschten Therapiefolgen notwendige
Verfahren: klinische Untersuchung auf lokale Wachstumsstörungen in bestrahlten Regionen, nach Behandlung mit Anthrazyklinen und/oder Bestrahlung des
Herzens EKG und Echokardiogramm, nach Halsbestrahlung Schilddrüsensonographie und -hormondiagnostik sowie nach Lungenbestrahlung und nach Bleomycin-Behandlung Lungenfunktionsprüfungen
Im Einzelfall nützliche Verfahren: Gonadotropine und Sexualhormone, bei Männern nach Procarbazin-Behandlung Spermiogramm, bei Frauen ab 25. Lebensjahr nach Bestrahlung der Supra-/Infraklavikularregion, der Axillen, des Mediastinums oder der Lungen Mammakarzinomscreening
Nicht nur die Diagnostik und die Therapie von Kindern und Jugendlichen mit
Morbus Hodgkin, sondern auch die Nachsorge sollte wegen der spezifischen
psychosozialen und medizinischen Probleme in pädiatrisch-onkologischen Abteilungen erfolgen. Auch nach Erreichen des Erwachsenenalters sollten die betreuenden Ärzte und auch die Patienten über mögliche Spätfolgen und Sekundärmalignome informiert sein.
Literatur
1 Pileri S A, Milani M, Fraternali-Orcioni G, Sabattini E (1998) From the R.E.A.L.
Classification to the upcoming WHO scheme: A step toward universal categorisation of lymphoma entities? Ann Oncol 9: 607–612
2 Schellong G, Brämswig J, Ludwig R, Gerein V, Jobke A, Jürgens H, Kabisch H,
Stollmann B, Weinel P, Gadner H, Schwarze E-W, Wannenmacher M (1986)
Kombinierte Behandlungsstrategie bei über 200 Kindern mit Morbus Hodgkin : Abgestufte Chemotherapie, Involved Field-Bestrahlung mit erniedrigten
Dosen und selektive Splenektomie. Ein Bericht der kooperativen Therapiestudie DAL-HD-82. Klin Pädiat198: 137–146
3 Dörffel W, Albrecht M, Lüders H, Marciniak H, Parwaresch R, Schwarze E W,
Trauzeddel R, Havers W, Henze G, Janka-Schaub G, Mann G, Niemeyer Ch,
Pötter R, Schellong G, Selle B, Treuner J, Rühl U (1998) Multinationale Therapiestudie für den Morbus Hodgkin bei Kindern und Jugendlichen GPOH-HD
95. Zwischenbericht nach 21/2 Jahren. Klin Pädiatr 210: 212–219
4 Bhatia S, Robison L L, Oberlin O, Greenberg M, Bumin G, Fossati-Belani F,
Meadows A T (1996) Breast cancer and other second neoplasms after childhood Hodgkin’s disease. N Engl J Med 334: 745–751
414
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
W. Dörffel, Berlin; A. Reiter, Hannover; W. Havers, Essen;
G. Schellong, Münster; G. Henze, Berlin; R. Pötter, Wien; U. Rühl, Berlin
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften:
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
415
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
W. Dörffel
Leitlinienkoordination:
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
416
Pädiatrie
Solide Tumoren
I
417
418
I1
Nephroblastom (Wilms-Tumor)
I 1.1 Definition und Basisinformation
Häufigster Nierentumor bei Kindern und Jugendlichen mit einer Inzidenz von
1:100.000, Häufigkeitsgipfel zwischen ersten und vierten Lebensjahr, keine
Geschlechtsdisposition, niedrigere Inzidenz in Asien im Vergleich zu Europa und
den USA, Assoziation mit Fehlbildungen (Aniridie, Hemihypertrophie, urogenitale Fehlbildungen usw.)
I 1.2 Klassifikation/Stadieneinteilung
Embryonaler Tumor, histologische Differenzierung in drei Subtypen: niedriger,
intermediärer und hoher Malignitätsgrad entsprechend der Stockholm Klassifikation von 1994 (1).
Stadieneinteilung nach SIOP und dem TNM-System in der Fassung von 1992
(UICC 1992).
I 1.3 Leitsymptome
Hauptsymptom: schmerzlose Tumorschwellung, selten: Schmerzen, Hämaturie,
Hypertonus, 10% der Kinder sind symptomlos (Diagnose über Tastbefund bei
Vorsorge), Begleitfehlbildungen
I 1.4 Diagnostik
Verfahren zur Diagnose und zum prätherapeutischen Staging
Laboruntersuchungen
Keine spezifischen Tumormarker bekannt
Differenzialdiagnostisch
Katecholaminmetaboliten im Serum und Urin zur Abgrenzung vom Neuroblastom (im Einzelfall nützlich)
Bildgebende Diagnostik (3)
1. Abdominelle Sonographie mit Darstellung des Tumors in drei Ebenen und Tumorvolumenbestimmung
2. Magnetresonanztomographie (MRT) nativ und mit i.v. Kontrastmittelgabe in
allen drei Ebenen
419
3. Bei nicht ausreichender Sicherheit der Diagnose oder nicht verfügbarem MRT
ist die Computertomographie mit oraler Kontrastierung nativ und nach i.v.
Kontrastmittelgabe als Spirale nötig.
4. Bei Verdacht auf Vena-cava-Thrombus, Leber- und Zwerchfellinfiltration sowie
intrathorakaler Tumorausdehnung per continuitatem ist ein MRT immer notwendig.
5. Röntgenbild des Thorax in zwei Ebenen notwendig.
6. Bei Verdacht auf Lungenmetastasen thorakales CT als Spirale.
7. Bei unsicherer Abgrenzung zum Neuroblastom ist ein MIBG-Szintigramm notwendig
Da ohne histologische Diagnose eine zytostatische Therapie eingeleitet wird, ist
eine referenzradiologische Beurteilung der Bildgebung dringend zu empfehlen.
Notwendige weitere apparative Diagnostik
Nuklearmedizinische Nierenfunktionsdiagnostik
Echokardiographie und Audiogramm bei Patienten indiziert, die mit kardiotoxischen oder audiotoxischen Chemotherapeutika behandelt werden
Histopathologische Diagnostik
Primäre Tumorbiopsie bei eindeutiger bildgebender Diagnose bei Kindern über
sechs Monate und unter 16 Jahren nicht indiziert. Die histopathologische
Diagnose wird nach einer präoperativen Chemotherapie gestellt (konventionelle
Pathomorphologie, Molekulargenetik). Eine referenzhistopathologische Untersuchung ist notwendig.
Zusätzlich notwendige Diagnostik nach histologischer Sicherung eines
Nierentumors
1. Skelettszintigraphie bei Klarzellensarkom
2. MRT des Schädels bei Klarzellensarkom und Rhabdoidtumor
I 1.5 Therapie
420
Rationale
Ohne Behandlung ist die Prognose des Nephroblastoms infaust. Standardtherapieelemente sind Tumornephrektomie, systemische Chemotherapie und Radiotherapie. Durch eine Kombination dieser Therapieelemente sind die höchsten
Heilungsraten zu erzielen. Im Rahmen der SIOP und der GPOH wird das Prinzip
einer vier bis sechswöchigen präoperativen Chemotherapie bei Kindern, die
älter als sechs Monate und jünger als 16 Jahre sind, verfolgt. Eine präoperative
Chemotherapie erhöht den Anteil der Patienten mit einem postoperativen
Tumorstadium I und verringert die Rate der Tumorrupturen. Die Art und Dauer
der postoperativen Therapie orientiert sich immer am histologischen Subtyp und
dem erzielten lokalen postoperativen Tumorstadium. Die Behandlung sollte in
Zentren zu erfolgen, die eine ausreichende Erfahrung in der Therapie maligner
Erkrankungen im Kindesalter besitzen.
Chemotherapie
Es erfolgt grundsätzlich eine Kombinations-Chemotherapie. Die effektivsten
Medikamente sind Actinomycin-D und Vincristin. Diese beiden Medikamente
werden in höheren Stadien um Anthrazykline (Adriamycin) ergänzt. Bei Patienten mit einem hochmalignen Nephroblastom und bei Patienten im Stadium IV,
ohne Erzielung einer kompletten Remission nach konventioneller Therapie, werden derzeit zusätzlich Carboplatin, Etoposid und Ifosfamid angewandt. Wegen
der erhöhten Toxizität dieser Substanzen ist deren Einsatz nur in kontrollierten
Studien indiziert. Die Dauer der Chemotherapie beträgt in Abhängigkeit vom
postoperativen Tumorstadium zwischen 22 und 40 Wochen. Bei Patienten mit
einem Nephroblastom niedriger Malignität erfolgt im Stadium I keine postoperative Chemotherapie.
Lokoregionäre Therapie
Die Tumornephrektomie ist bei einseitigem Nephroblastom Standard. In Abhängigkeit vom Stadium erfolgt zusätzlich eine lokoregionäre Radiotherapie.
Chirurgische Therapie (4)
Bei einseitigem Nephroblastom erfolgt eine Tumornephrektomie ohne vorherige
Tumorbiopsie. Zu beachten sind: frühzeitige Unterbindung der Nierengefäße,
Vermeidung einer Tumorruptur, operatives abdominelles Staging mit Biopsie der
regionären Lymphknoten. Vor Tumornephrektomie muss immer ein bilateraler
Befall ausgeschlossen werden. Bei bilateralem Tumor ist ein individuelles Vorgehen notwendig. In jedem Fall ist die Operation durch einen erfahrenen (Kinder-)
Chirurgen durchzuführen.
Strahlentherapie
Die Strahlentherapie richtet sich nach der Histologie und dem lokalen Stadium
zum Zeitpunkt der Operation. Indikation zur Strahlentherapie bei intermediärer
Malignität erst ab lokalem Stadium II mit Lymphknotenbefall und bei hoher Malignität ab lokalem Stadium II. Die lokale Dosis beträgt 15 Gy bis 30 Gy. Bestrahlt
wird das ursprüngliche prätherapeutische Tumorvolumen. Bei makroskopischem
Resttumor Boost auf den Resttumor. Bei Tumorruptur erfolgt die Bestrahlung
des gesamten Abdomens (abdominelles Bad). Eine Lungenbestrahlung erfolgt
bei chemotherapeutisch und operativ nicht erreichter Remission der Lungenmetastasen.
Modifikation der Therapie
Unter Strahlentherapie und bei Kindern mit einem Körpergewicht unter 12 kg ist
die Dosis der Chemotherapeutika auf 2/3 zu reduzieren.
Besonderheiten der Begleittherapie
Die Begleittherapie orientiert sich an den Empfehlungen zur Supportivtherapie
maligner Erkrankungen im Kindesalter. Als Besonderheit ist die Lebervenenverschlusserkrankung (VOD/venous occlusive disease) (2) zu beachten.
421
Prognose (5)
Die Prognose des Nephroblastoms ist mit einer Therapie, wie sie im Rahmen prospektiver Studien durchgeführt wird, gut. Sie ist abhängig vom Stadium der Erkrankung und der histologischen Subtypisierung:
Tabelle 1.
Stadium
Prognose (event free survival nach 5 Jahren)
I
II N0
II N+, III
85%
79%
74%
Histologie
Prognose (event free survival nach 3 Jahren)
Niedrige Malignität
95%
Intermediäre Malignität
85%
Anaplasie ohne Stadium I
48%
Klarzellensarkom
75%
Ohne Berücksichtigung der Prognosefaktoren werden 90% der Patienten geheilt.
Zukünftige Entwicklungen
Reduktion der Therapiemorbidität, Verbesserung der Prognose bei ungünstiger
Histologie mit Evaluation der Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzell-Rescue.
I 1.6 Verlaufsdiagnostik und Nachsorge
Die Verlaufsdiagnostik und Nachsorge dient der Erkennung von Rezidiven und
Spätfolgen der Erkrankung und Therapie. Sie sollte wie die Therapie des Nephroblastoms immer in Zentren erfolgen, die über ausreichende Erfahrungen in
der Behandlung maligner Erkrankungen im Kindesalter verfügen. Eine psychosoziale Betreuung ist immer notwendig.
Die meisten Rezidive treten innerhalb der ersten beiden Jahre nach Therapieende auf. Während dieser Zeit sind engmaschige bildgebende Untersuchungen
notwendig. Die abdominelle Sonographie ist der Regelfall zur Erkennung eines
Lokalrezidivs oder einer anderen abdominellen Tumormanifestation. Bei unzureichender diagnostischer Sicherheit der abdominellen Sonographie ist ein MRT
notwendig. Zum Ausschluss von Lungenmetastasen sind innerhalb der ersten
beiden Jahre nach Therapieende in Abhängigkeit des Tumorstadiums zwei bis
vier Röntgenuntersuchungen des Thorax pro Jahr notwendig. Nach zwei Jahren
sind die Untersuchungsintervalle in Abhängigkeit des klinischen Befundes zu
verlängern. Nach fünf Jahren ist eine routinemäßige Bildgebung nicht mehr notwendig.
422
Untersuchungen der Nierenfunktion mit Urinanalyse und Bestimmung des Serumkreatinins sind in Abhängigkeit der Ergebnisse und des klinischen Befundes
notwendig.
Die Durchführung der Knochenszintigraphie (Klarzellensarkom), der Echokardiographie (Gabe von Anthrazyklinen), des Audiogramms (Gabe von Carboplatin)
und der Lungenfunktion (Lungenbestrahlung) sind bei entsprechender Indikation notwendig. Die Untersuchungszeiträume orientieren sich an den erhobenen
Befunden und dem klinischen Zustand des Patienten. Folgende Tabelle kann als
Anhalt dienen:
Tabelle 2.
Psychosoziale
Anamnese
Therapie 1. Jahr
ende
2. Jahr
+
alle 12 Mo
alle 12 Mo alle 12 Mo
alle 12 Mo
alle 2 Mo
alle 3 Mo
alle 6 Mo
alle 12 Mo
alle 3 Mo
alle 2 Mo
alle 3 Mo
alle 3 Mo
alle 6 Mo
alle 3 Mo
bei Bedarf
bei Bedarf
alle 4 Wo
alle 4 Wo
alle 2 Mo
alle 3 Mo
alle 2 Mo
alle 2 Mo
alle 4 Mo
alle 4 Mo
alle 6 Mo
alle 6 Mo
alle 6 Mo
alle 6 Mo
alle 12 Mo
alle 12 Mo
alle 12 Mo
alle 12 Mo
Klinische
+
Untersuchung
(RR,..)
Bildgebung
Rö.-Thorax +
Sonographie +
Abdomen
Labor
BB
+
U-Status
+
Nierenwerte +
„Fanconi+
syndrom“a
Impfstatus, +
HBV, HCV, HIV
3.–5. Jahr
Ende 1.Jahr nach
Impfung
ab 6. Jahr
Ende 5.J ahr
Audiogrammb
+
einmalig,
einmalig,
einmalig,
einmalig,
wenn path. wenn path. wenn path. wenn path.
EKG/ECHOc
+
alle 6 Mo
alle 12 Mo alle 12 Mo
Skelettszintigraphied
+
alle 6 Mo
nur bei Rez. nur bei Rez. nur bei Rez.
a
b
c
d
alle 24 Mo
nur nach Gabe von Ifosfamid
nur nach Platin-Therapie
nur nach Anthrazyklin-Therapie
nur bei Klarzellsarkom
423
I 1.7 Prophylaxe
Eine Prophylaxe ist nicht bekannt. Im Einzelfall sind zur genetischen Beratung
von Eltern und des Patienten molekulargenetische (2) Untersuchungen notwendig.
Literatur
1 Delemarre JFM, Sandstedt B, Harms D, Boccon-Gibod L, Vujanic GM (1996)
Letter to the Editor: The New SIOP (Stockholm) Working Classification of
Renal Tumours of Childhood. Med Ped Oncol 26: 145–146
2 Klamt B, Schulze M, Thate C, Mares J, Goetz P, Kodet R, Scheulen W, Weirich
A, Graf N, Gessler M (1998) Allele loss in Wilms tumors of chromosome arms
11q, 16q, and 22q correlate with clinicopathological parameters. Genes
Chromosomes Cancer 4: 287–294
3 Rieden K, Weirich A, Tröger J, Gamroth AH, Raschke K, Ludwig R (1993)
Accuracy of diagnostic imaging in nephroblastoma before preoperative chemotherapy. Eur Radiol 3: 115–122
4 Godzinski J, Tournade MF, deKraker J, Lemerle J, Voute PA, Weirich A, Ludwig
R, Rapala M, Skotnicka G, Gauthier F, Moorman-Voestermans CG, Buerger
D, VanVeen A, Sawicz-Birkowska K (1998) Rarity of surgical complications
after postchemotherapy nephrectomy for nephroblastoma. Experience of
the International Society of Paediatric Oncology-Trial and Study „SIOP-9“.
International Society of Paediatric Oncology Nephroblastoma Trial and Study
Committee. Eur J Pediatr Surg 2: 83–86
5 Graf N, Tournade MF, de Kraker J (1999) The role of preoperative chemotherapy in the management of Wilms tumor – The SIOP Studies. Urol Clin N
Am: in press
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
N. Graf, Homburg/Saar; F. Berthold, Köln;
B. Hero, Köln; J. Tröger, Heidelberg; J. Engert, Herne, C. Rübe, Homburg/Saar,
N. Willich, Münster; A. Weihrich, Heidelberg; B. Kremens, Essen; T. Klingebiel,
Tübingen
424
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
N. Graf
425
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
426
I2
Osteosarkom
I 2.1 Definition
Das Osteosarkom ist ein seltener (2–3/106 Bevölkerung/anno), hochmaligner Tumor, dessen Zellen direkt Knochen oder Osteoid bilden. Sitz des Primärtumors
sind bevorzugt die Metaphysen der langen Röhrenknochen. Prädilektionsalter ist
die zweite Lebensdekade. Führende Symptome sind belastungsabhängige lokale Schmerzen, die oft auf ein Bagatell-Trauma bezogen werden, und später ein
tastbarer Tumor. Primär manifeste (10–20%) bzw. okkulte (ca. 80%) Metastasen
betreffen in erster Linie die Lunge, in zweiter Linie das Skelett.
I 2.2 Basisinformationen
Histopathologische Klassifikation und Graduierung
Zur histologischen Klassifikation der im Knochen vorkommenden Osteosarkome
siehe zweite Auflage der WHO-Klassifikation (4). Obwohl die meisten Osteosarkome anaplastische Tumoren hoher Malignität darstellen („high-grade“), komTabelle 1. Klassifikation (modifiziert nach Unni).
Subtypen
Frequenz
Verhalten
klassisch
90%
hochmaligne
kleinzellig
low grade
1–4%
< 2%
(Histogenese? beste Therapie?)
selten Metastasen
< 5%
geringere Metastasenneigung
3. Kraniofazial:
ca. 7%
geringe Metastasenneigung,
spez. bei Sitz in der Mandibula,
hohes Lokalrezidiv-Risiko,
besonders bei Tumoren der
Maxilla
4. Extraskelettal:
sehr selten
1. Zentral:
(zentroossär)
2. Juxtakortikal:
parossal
periostal
5. Sekundär:
hochmaligne wie zentrales OS
z.B. nach Bestrahlung, nach
Retinoblastom
Klinik wie klassisches zentrales
Osteosarkom
427
men auch höher differenzierte Tumoren mit niedrigerem Metastasierungspotenzial vor („low-grade“). Die sehr seltenen extraskelettalen Osteosarkome nehmen
eine Sonderstellung ein und werden nach der WHO-Klassifikation nicht näher
unterteilt. In Deutschland wird wegen ihrer Korrelation zum biologischen Verhalten häufig die Klassifikation der Osteosarkome nach Unni (6) eingesetzt (s. Tabelle 1).
Stadieneinteilung: Klinisch und nach TNM
Zur TNM-Klassifikation und Stadieneinteilung für Osteosarkome siehe UICC
1997 (5). Als T2 werden hierin solche Tumoren bezeichnet, die sich über das
Kompartiment des Knochens hinaus ausdehnen. Dieser Aspekt der TNM-Klassifikation ist nicht anwendbar bei Oberflächen-Osteosarkomen und bei extraskelettalen Osteosarkomen.
I 2.3 Leitsymptome
Auffällig wird die Erkrankung in der Regel durch zunehmende Schmerzen der
betroffenen Region. Meist wird eine lokale Schwellung nicht sofort, sondern erst
später bemerkt, u.U. auch eine Bewegungseinschränkung im benachbarten Gelenk. Bei einigen Patienten stellt eine pathologische Fraktur das erste Symptom
dar. Allgemeinsymptome fehlen meist und deuten, falls vorhanden, auf eine
fortgeschrittene Metastasierung hin.
I 2.4 Initiale Diagnostik
Beschreibung des Primärtumors
Bildgebende Beschreibung der Tumorausdehnung (s. Tabelle 2)
Konventionelle Röntgenaufnahmen ergänzt durch geeignete Schnittbildverfahren mit Darstellung der knöchernen Veränderungen, des Markraumbefalls und
des Weichteiltumors. Das MRT ist hier oft aussagekräftiger als das CT. Untersuchung des gesamten Markraums des befallenen Knochens und der benachbarten Gelenkregionen zum Nachweis evtl. Skipläsionen. Wenn eine Kernspintomographie durchgeführt wird, empfiehlt sich die Anwendung einer standardisierten Gadolinium-Dynamik als Ausgangsbefund für die Verlaufsbeurteilung
des Tumoransprechens (siehe auch I 2.6 Szintimetrie, Seite 433).
428
Biopsie
Zumeist als offene Inzisionsbiopsie durchgeführt. Bei größerem Weichteiltumor
ist die Eröffnung des Markraumes meist vermeidbar. Neben der morphologischen Untersuchung sind DNA-Zytometrie, Immunhistochemie und molekularbiologische Untersuchungen wünschenswert. Bei der praktischen Durchführung der Biopsie sind die Auswirkungen auf die definitive Resektion des Tumors und die anschließende Rekonstruktion zu bedenken, zum Beispiel
Notwendigkeit der Entfernung der Biopsienarbe, Verzicht auf Kontamination
unbefallener Kompartimente. Wie bei den anderen seltenen Tumorerkrankungen des Kindes- und Jugendalters sollte eine Absicherung der Diagnose durch
einen Referenzpathologen erfolgen.
Tabelle 2. Diagnostische Methoden beim Osteosarkom.
Biopsie
vor
nach
präop.
Chemoth. vor OP
postop.
Chemoth.
Nachsorge
Lokal
Röntgen
MRT
CT
MRT dyn.
Szinti dyn.
Sono
+
+(a1)
+(a1)
+(a2)
+/-
+/+(a2)
-
+
+/-(a1)
+/-(a1)
+/-(a2)
+/-(a2)
+/-
+
+(a1)
+(a1)
+(a2)
+/-(a2)
+/-
+
+/-(a1)
+/-(a1)
+/-(a1)
+
+/-(a1)
+/-(a1)
+/-(a1)
Lunge
Röntgen
CT
+
+
-
+
+/-
+
+/-
+
+/-
+
+/-
Skelett
Szinti
+
-
+/-
+/-
+/-
+/-
+
+
+
-
Apparativ
Echo
Audio
+
+
Röntgen =
MRT
=
MRT dyn. =
CT
=
Sono
=
Szinti dyn. =
ECHO
=
Audio
=
konventionelle Röntgenaufnahmen
Magnetresonanztomographie
dynamische quant. Gadolinium-MRT
Computertomogramm
Sonogramm des Lokalbefundes
Skelettszintigraphie dynamisch und quantitativ
Echokardiographie
Audiogramm
+
+/-
notwendig
im Einzelfall nützlich
nicht vorgesehen
=
=
=
Die Zusätze (a1) und (a2) verweisen auf notwendige Methoden, hiervon muss
jedoch nur eine von beiden angewandt werden.
429
Suche nach Metastasierung
Nativ-Röntgenbilder des Thorax sowie Thorax-CT und Skelettszintigraphie. Letztere ggf. in Form der standardisierten, quantitativen Dreiphasen-Untersuchung
des Primärtumors als Ausgangsbefund für die Verlaufsbeobachtung (siehe auch
I 2.4 Kernspintomographie, Seite 428).
Tumorbezogene Laboruntersuchungen
Osteosarkom-spezifische Marker sind nicht bekannt. Indirekte Tumormarker
können eine Erhöhung der alkalischen Phosphatase (ungünstiges prognostisches Kriterium) oder der LDH sein.
I 2.5 Therapie
Therapierationale
Wie bei den anderen malignen Tumoren des Kindes- und Jugendalters ist die Behandlung im Rahmen einer Therapiestudie zu empfehlen. Chemotherapie ist
wegen der hohen Inzidenz einer (okkulten) Dissemination erforderlich und wegen ihrer nachgewiesenen Wirksamkeit bei klassischem Osteosarkom fraglos indiziert. Dies gilt nicht ohne weiteres für parossale und periossale OberflächenOsteosarkome (juxtakortikale Osteosarkome nach der Unni-Klassifikation) und
andere Low-grade-Tumoren. Sie kann bei präoperativem Einsatz den Tumor verkleinern, extremitätenerhaltende Resektionen erleichtern und die Operation insgesamt sicherer machen (3). Chemotherapie allein ist jedoch nicht ausreichend,
um makroskopisch nachweisbare Tumorreste endgültig zu kontrollieren. Strahlentherapie ist nur begrenzt wirksam. Die weite Resektion/Amputation ist darum
der Standardeingriff zur Beseitigung und Kontrolle des Primärtumors.
Chemotherapie
Die besten publizierten Ergebnisse wurden durch Kombination der Zytostatika
Adriamycin (ADR), Hochdosis-Methotrexat mit Folsäure-Rescue (HD-MTX), Cisplatin (DDP) und Ifosfamid (IFO) erzielt (7). Es erscheint ratsam, alle diese erwiesenermaßen wirksamen Medikamente bereits in der frühen Phase der Therapie
einzusetzen. Aktivität unterschiedlichen Ausmaßes wurde daneben für Carboplatin (möglicherweise verstärkt durch Kombination mit Etoposid), Cyclophosphamid, Gemcitabine, Mitoxantron, Melphalan und hoch dosiertes Thiotepa
beschrieben. Unwirksam in Phase II-Studien waren u.a. Taxol und Topotecan.
430
Die Chemotherapie sollte schon früh ADR beinhalten. Die Tumorwirkung ist vermutlich abhängig von der Dosis und der Dosisrate. Die gefürchtete Myokardtoxizität kann durch Applikation als Dauerinfusion deutlich gemildert werden, und
dies ohne erkennbaren Wirkungsverlust (1).
HD-MTX ist bei korrekter Handhabung (besonders Urin-Alkalisierung, Hydrierung, spiegelgesteuerter Rescue) oft vergleichsweise gut verträglich. Im Einzelfall
kann es jedoch auch ohne Vorwarnung zu lebensbedrohlichen Intoxikationen
kommen. Die Wirksamkeit von HD-MTX ist möglicherweise vom Erreichen eines
bestimmten Konzentration × Zeit-Produktes mit kritischem Grenzwert für beide
Faktoren abhängig.
DDP ist in seiner Wirksamkeit gegen Osteosarkome gut belegt. Die Nephrotoxizität ist bei ausreichender Hydrierung tolerabel, die Ototoxizität lässt sich durch
kontinuierliche anstelle einer Kurzzeitinfusion deutlich mildern.
IFO zeigte in Phase II-Studien hohe Wirksamkeit, die Effektivität scheint dosisabhängig zu sein. Ein Nachteil liegt in seiner kumulativen Tubulustoxizität, die
durch gleichzeitige Gabe von DDP verstärkt wird und besonders bei jungen Kindern gelegentlich zu einem phosphatsubstitutionspflichtigen Fanconi-Syndrom
führt. Nach Hinzufügung zu ADR, HD-MTX und DDP in der Studie COSS-86 kam
es zu einer deutlichen Verbesserung gegenüber den vorherigen Ergebnissen der
COSS-Studien (2).
Lokaltherapie
Operation
Die Operation muss als eine Heilungsvoraussetzung angesehen werden. Es wird
eine sog. weite Resektion gefordert, d.h. die Entfernung des Tumors (einschließlich des Biopsiekanals und der Biopsienarbe) mit tumorfreien Resektionsrändern,
unverletzt und allseitig umhüllt von gesundem Gewebe. Wenn möglich, wird eine extremitätenerhaltende Resektion mit Rekonstruktion des Knochendefektes,
zumeist in Form eines Metallgelenk-Implantates, angestrebt. Wachsende Endoprothesen für Kinder sind verfügbar, erfordern jedoch eine Vielzahl von Folgeoperationen. Abgesehen von einzelnen gegenteiligen Berichten (SLUGA), war in
Untersuchungen verschiedener internationaler Gruppen die Lokalrezidivrate
nach extremitätenerhaltenden Tumorresektionen höher als nach ablativen Operationen (3). Lokalrezidive führen fast regelhaft zu fataler systemischer Tumorausbreitung (3). Die Wahl des Operationsverfahrens muss daher neben den
Möglichkeiten der Rekonstruktion und des Patientenalters vor allem auch Aspekte der Sicherheit, die sowohl die lokale anatomische Ausdehnung, als auch
das Ansprechen des Tumors sowie weitere individuelle Gegebenheiten des Patienten beinhalten, berücksichtigen.
Bestrahlung
Bei resektablen Osteosarkomen sollte die Strahlentherapie derzeit nicht zum Einsatz kommen, da die Lokalkontrolle auch in Verbindung mit der Chemotherapie
nicht mit gleicher Verlässlichkeit wie nach operativer Therapie erreicht wird. Kasuistische Beobachtungen in der Literatur weisen jedoch darauf hin, dass die
Strahlentherapie in Verbindung mit einer effektiven Chemotherapie in Einzelfällen zu einer anhaltenden lokalen Tumorkontrolle führen könnte.
Bei inoperablen Primärtumoren oder auch im Einzelfall als zusätzliche resektionsvorbereitende Maßnahme neben der Chemotherapie mag sich die Strahlentherapie als nützlich erweisen. In diesen Fällen sollte die Indikation zur Strahlentherapie interdisziplinär besprochen und entschieden werden.
431
Modifikationen der Therapie
Modifikationen der Chemotherapie können aufgrund intolerabler Nebenwirkungen erforderlich werden. Bei über 40-jährigen Patienten sollte ggf. vorsichtshalber primär auf HD-MTX verzichtet werden. Bei Patienten mit sekundären Osteosarkomen muss die Behandlung Vorbelastungen, insbesondere mit Anthrazyklinen, berücksichtigen.
Bei Low-grade-Osteosarkomen, wie sie vor allem juxtakortikal entstehen können, ist die Metastasierungsrate geringer als beim klassischen Osteosarkom. Die
Indikation für eine Chemotherapie als adjuvante Maßnahme gegen okkulte
Metastasen ist daher hier nicht regelhaft gegeben. Bei kraniofazialen Osteosarkomen, die zwar als Gruppe ebenfalls seltener metastasieren, die aber sehr häufig lokal rezidivieren, scheint eine zusätzlich zur Operation eingesetzte Chemotherapie zur Lokalkontrolle und zum Überleben beitragen zu können. Vorteile
einer zusätzlichen Bestrahlung sind nicht definitiv erwiesen. Dennoch kann die
Strahlentherapie bei knapper Resektion sinnvoll erscheinen.
Eine primäre Operation ohne vorausgehende Chemotherapie kann im Einzelfall
erwogen werden, beispielsweise bei schmerzhafter Spontanfraktur, wenn durch
diese eine Fixierung mit Immobilisation erforderlich wird. Dies gilt vor allem,
wenn ein Extremitätenerhalt ohnehin nicht in Frage kommt, sondern ein ablatives Verfahren gewählt werden muss.
Ob möglicherweise bei sicherem Nicht-Ansprechen des Primärtumors auf die
präoperative Behandlung ein Wechsel auf andere Mittel vorteilhaft ist, wird derzeit in der Studie COSS-96 erneut untersucht.
Besonderheiten der Begleittherapie
DDP, IFO und HD-MTX erfordern zur Nierenprotektion eine reichliche Hydrierung.
IFO erfordert darüber hinaus die Anwendung des Uroprotektors Uromitexan, HDMTX eine kontrollierte Alkalisierung des Urins sowie eine nach dem MTX-Spiegel
gesteuerte Antidotierung mit aktiver Folsäure. Bei massiven MTX-Ausscheidungsstörungen kann das Enzym Carboxypeptidase lebensrettend wirken.
432
Zukünftige Entwicklungen
Zukünftige Entwicklungen betreffen den Versuch der Etablierung einer risikoadaptierten Therapie, hier insbesondere Therapieerleichterungen für Patienten
mit vergleichsweise niedrigem Metastasenrisiko sowie die Entwicklung einer
„Salvage“-Chemotherapie für Patienten mit großen, schlecht ansprechenden
Tumoren. Berichte über Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzellsupport sind
weiterhin spärlich und wenig Erfolg versprechend. Gering ist auch der Erfahrungshintergrund für so genannte Biologicals. Alpha-Interferon wird als begrenzt wirksam dargestellt. Über den Einsatz einer Immunmodulation durch
Wachstumsfaktoren oder über die Beeinflussung einer para- und autokrinen Tumorwachstumsstimulation liegen, zumindest beim Menschen, nur sehr begrenzte Erfahrungen vor. Sollte sich der im randomisierten Tierversuch und in Phase
I/II-Studien beim Menschen gefundene positive Effekt des liposomalen MuramylTripeptids, einer vermutlich über unspezifische Makrophagen-Stimulation wirkenden Substanz, bei der Auswertung einer derzeit aktiven randomisierten Stu-
die bestätigen, stünde möglicherweise ein zusätzliches systemisches Therapiekonzept zur Verfügung. Da eine Untergruppe der Osteosarkome Her2/neu an
der Zelloberfläche trägt, ist der beim Mammakarzinom bereits erfolgreich getestete Einsatz von dagegen gerichteten monoklonalen Antikörpern auch beim
Osteosarkom denkbar. Bei einigen inoperablen Osteosarkomen könnte eine
hoch dosierte interne Radiotherapie mit Samarium-153-EDTMP, ggf. mit autologem Blutstammzell-Rescue, zur Lokalkontrolle beitragen.
I 2.6 Verlaufsdiagnostik und Nachsorge
Untersuchungen während der Behandlung und während der Nachsorge haben
einerseits das Ziel, die lokale Tumorkontrolle und mögliche systemische Ausbreitungen zu überwachen sowie andererseits akute und chronische Folgen der Behandlung zu erfassen und ggf. geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Untersuchungen auf Metastasen
Nach initialem Ausschluss von Lungenmetastasen auch durch ein CT sind für die
Verlaufskontrolle konventionelle Thorax-Röntgenaufnahmen in ein bis vier Ebenen in risikoadaptierten, zunächst kürzeren, später längeren Abständen ausreichend. Im Rahmen der COSS-Studien traten bisher ca. 95% aller Rezidive innerhalb von fünf Jahren nach Diagnosestellung auf (1). Nach mehr als zehn Jahren
auftretende pulmonale Rezidive sind zwar beschrieben, stellen aber Raritäten
dar. Insofern kann überlegt werden, die Untersuchung auf Lungenmetastasen
im zweiten Jahrzehnt der Nachbeobachtung einzustellen.
Sekundäre Skelettmetastasen signalisieren eine außerordentlich ungünstige
Prognose. Ihr Auftreten ohne gleichzeitige Lungenmetastasen ist ausgesprochen
selten, sodass auch im Hinblick auf die Patientenbelastung und die Kosten Skelettszintigramme in der Nachsorge nicht regelhaft notwendig erscheinen, bei
speziellen Situationen mögen sie indiziert sein.
Untersuchungen des Primärtumors
Die Entwicklung des Primärtumors unter der präoperativen Chemotherapie
muss klinisch und bildgebend überwacht werden, um bei nicht-ansprechenden
Tumoren einen lokalen Progress frühzeitig zu erfassen und ggf. vor dem Überschreiten kritischer Grenzen die operative Versorgung vorzuziehen. Unmittelbar
präoperativ ist eine erneute lokale Bildgebung mit MRT oder CT erforderlich mit
dem Ziel, das Ansprechen des Tumors auf die präoperative Chemotherapie vorherzusagen. Die gewonnenen Informationen sollten in die Entscheidungsfindung über die Art der definitiven Operation einfließen. Da eine Schrumpfung
knochenbildender Tumoren auch bei gutem Ansprechen nur begrenzt möglich
ist, sind dynamische Verfahren wie die Szintimetrie oder die Gadolinium-dynamische MRT-Untersuchung für die Beurteilung des Ansprechens entscheidend.
Die Resektionsränder des Operationspräparates müssen histologisch auf Tumorfreiheit untersucht werden. Das Tumoransprechen sollte ebenfalls histologisch
untersucht werden. Zur Graduierung empfehlen sich die Kriterien nach Salzer-
433
Kuntschik. Dort werden sechs Regressionsgrade unterschieden: Grad I = keine
vitalen Tumorzellen; Grad II = einzelne vitale Tumorzellen oder eine vitale Tumorinsel < 0,5 cm; Grad III = < 10% vitales Tumorgewebe, Grad IV = 10–50% vitales
Tumorgewebe; Grad V = > 50% vitales Tumorgewebe; Grad VI = kein Effekt der
Chemotherapie erkennbar. Wie Biopsiemateral sollte auch das Resektat einem
Referenzpathologen zur Beurteilung zur Verfügung gestellt werden.
Lokalrezidive offenbaren sich oft durch klinische Symptome. Bildgebende lokale
Kontrollen sind mindestens bis zum vierten Jahr nach Diagnosestellung erforderlich. Nach diesem Zeitpunkt auftretende Lokalrezidive sind selten. Neben
konventionellen Röntgenbildern sind sonographische Kontrollen zum Ausschluss
von Weichteilrezidiven wertvoll. Auch diese Untersuchungen sollten risikoadaptiert zunächst in kürzeren, später in längeren Abständen durchgeführt werden.
Nebenwirkungen der Behandlung
Akute Toxizität
Zur Kontrolle der akuten Toxizität werden während der Chemotherapie regelmäßige Blutbildkontrollen durchgeführt sowie die Parameter der Leber- und Nierentoxizität erfasst. An apparativen Untersuchungen sind wiederholte Audiogramme sowie Echokardiogramme erforderlich, um die Behandlung bei einem Hörverlust, der in den Sprachbereich hineinreicht (≥ 30 dB bei ≤ 2 kHz) bzw. bei einer
Verminderung der FS-Ratio im Echokardiogramm auf Werte unter 28% zu modifizieren, um schwer wiegende Spätschäden zu vermeiden.
Chronische Toxizität
Als Anhaltspunkt für erforderliche Untersuchungen können die Empfehlungen
der Arbeitsgruppe Spätfolgen der GPOH gelten.
Bei unauffälliger Untersuchung zum Ende der Chemotherapie sind weitere Audiogramme nicht zwingend erforderlich, da eine toxizitätsbedingte weitere Verschlechterung nicht zu erwarten ist. Echokardiogramme sind jedoch für mehr
oder weniger unbegrenzte Dauer erforderlich und sollten bei unauffälligen Patienten in etwa zweijährigen Abständen wiederholt werden. Bei Patienten mit
grenzwertigen oder pathologischen Echokardiographie-Befunden sind engere
Kontrollen erforderlich, ggf. Ergänzungen durch Radionuklid-Ventrikulographie.
Auch kann eine medikamentöse Behandlung angezeigt sein. ACE-Hemmer zur
Senkung der Nachlast könnten sich hier als sinnvoll erweisen.
Literatur
434
1 Bielack S, Kempf-Bielack B, Schwenzer D et al (1999) Neoadjuvante Therapie
des lokalisierten Osteosarkoms der Extremitäten. Erfahrungen der Cooperativen Osteosarkomstudiengruppe COSS an 925 Patienten. Klin Pädiatr 211:
260–270
2 Fuchs N, Bielack S, Epler D et al (1998) Long-term results of the co-operative
German-Austrian-Swiss osteosarcoma study group’s protocol COSS-86 of
intensive multidrug chemotherapy and surgery for osteosarcoma of the
limbs. Ann Oncol 9: 893–899
3 Picci P, Sangiorgi L, Rougraff BT et al (1994) Relationship of chemotherapyinduced necrosis and surgical margins to local recurrence in osteosarcoma.
J Clin Oncol 12: 2699–2705
4 Schajowicz F (1993) Histological typing of bone tumours. 2nd ed. WHO International Histological Classification of Tumours. Springer, Berlin Heidelberg
New York Tokyo
5 UICC (1997) TNM-Klassifikation maligner Tumoren. 5. Aufl. Wittekind Ch,
Wagner G (eds). Springer, Berlin Heidelberg New York
6 Unni KK (1988) Osteosarcoma of bone. In: Unni KK (ed) Bone tumors.
Churchill Livingstone, New York, pp 107–133
7 Winkler K, Bielack S (1997) Osteosarkom In: Seeber S, Schütte J (Hrsg) Therapiekonzepte Onkologie, 2. Aufl. Springer, pp 703–718
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
S. Bielack, Münster; K. Winkler, Hamburg; H. Jürgens, Münster; M. Paulussen,
Münster; S. Burdach, Halle; W. Winkelmann, Münster; E. Koscielniak, Stuttgart;
J. Treuner, Stuttgart; F. Zintl, Jena; J. Dunst, Halle
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
435
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
S. Bielack
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
436
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
I3
Ewing-Sarkom und PNET
des Kindesalters
I 3.1 Grundlagen
Definition und Basisinformationen
Die Gruppe der Ewing-Tumoren (ET) umfasst morphologisch ähnliche Subtypen,
die als Ewing-Sarkom (ES), atypisches Ewing-Sarkom und maligner peripherer
neuroektodermaler Tumor (PNET oder MPNET) bezeichnet werden. Die Gruppe
dieser Tumoren ist genetisch durch ein gemeinsames Chromosom 22-Rearrangement charakterisiert, das in 90% der Fälle mit einer t(11;22)- und in den übrigen
Fällen mit einer t(21;22)- oder t(7;22)-Translokation einhergeht (1).
Ewing-Tumoren sind die zweithäufigsten malignen Knochentumoren im Kindesund Jugendalter. Der Häufigkeitsgipfel liegt im zweiten Lebensjahrzehnt mit einem Median bei 15 Jahren. Die altersstandardisierte jährliche Inzidenzrate im
Kindesalter liegt bei ca. 3 pro Million Bevölkerung mit männlicher Prädisposition
(1,5:1). Die häufigste Einzellokalisation ist das Becken, gefolgt von den Diaphysen langer Röhrenknochen, Femur, Tibia und Fibula. 20–30% der Patienten weisen bei Diagnosestellung Fernmetastasen in Lunge und/oder Skelettsystem auf.
Klassifikation, Stadieneinteilung
Histologisch gehören die ET in die Gruppe der klein-, blau- und rundzelligen Tumoren, die im Falle des ES keine Expression neuronaler Marker aufweisen, während eine großzellige Morphologie und/oder der Nachweis eines neuronalen
Markers die Variante des atypischen ES charakterisiert. Im PNET müssen per Definition sog. Homer-Wright-Rosetten oder mindestens zwei neuronale Marker
nachweisbar sein (siehe Histopathologische Diagnostik). Der Nachweis einer
Translokation t(11;22)(q24;q12), t(21;22)(q22;q12) oder t(7;22)(p22;q12) im
Tumorgewebe zusätzlich zu entsprechenden morphologischen und immunhistochemischen Befunden ist beweisend für die Diagnose eines ET. Alle Ewing-Tumoren werden histopathologisch als hochmaligne (G3) klassifiziert.
Bezüglich des klinischen Stadiums wird die lokoregionale Erkrankung abgegrenzt von einer primären Metastasierung in Lungen und/oder Knochen/Knochenmark, da Fernmetastasen eine signifikant schlechtere Prognose implizieren.
Die im Prinzip gültige TNM-Klassifikation für Knochentumoren wird in praxi selten angewandt. Üblicherweise wird bei lokoregionärer Erkrankung das Tumorvolumen bei Diagnosestellung als Stratifikationskriterium für Behandlungsintensität berücksichtigt (2).
I 3.2 Leitsymptome
Klinisches Leitsymptom ist der lokale Schmerz, gefolgt von Schwellung und
Funktionsverlust. Besonders Beckentumoren bleiben wegen geringer Beschwer-
437
den oft lange inapparent. Laborchemisch lassen sich inkonstant erhöhte Serumspiegel für LDH, Ferritin und CRP bzw. eine beschleunigte BSG feststellen.
I 3.3 Initiale Diagnostik
Diagnose des Primärtumors
Radiologische Diagnostik der Primärtumorregion nach klinischem Verdacht
Röntgen nativ in einer bzw. zwei Ebenen (notwendig), evtl. Zielaufnahme, je
nach Lokalisation
Darstellung der Primärtumorregion durch mindestens ein, besser zwei
Schnittbildverfahren einschließlich Volumetrie (notwendig)
– (CT besser geeignet zur Beurteilung kortikaler knöcherner Läsionen, Ausspielung in Knochen- und Weichteil-Fenster,
– MRT zur Beurteilung von Knochenmarks- und Weichgewebe sowie Lagebezug zu Gefäßen und Nerven sowie als Basis für Verlaufsbeobachtungen)
Evtl. Sonographie/Dopplersonographie
Immer den gesamten befallenen Knochen mit anschließenden Gelenken abbilden (Cave „Skip Lesions“ als lokoregionale Metastasen!)
Biopsie
Eine Biopsie ist zur definitiven Diagnosestellung unabdingbar und sollte die Gewinnung ausreichender und repräsentativer Gewebeanteile für die histologische
Begutachtung und die molekularbiologische Untersuchung sicherstellen (Histologische Beurteilung siehe Histopathologische Diagnostik). Bei der Planung der
Biopsie muss berücksichtigt werden, dass der Biopsiekanal sowie die Biopsienarbe als kontaminiert gelten und bei der späteren Lokaltherapie reseziert bzw. bestrahlt werden müssen. Aus dem Gewebe sollte durch den lokalen Pathologen
für die Routinemorphologie Material sowohl fixiert als auch für molekularbiologische Untersuchungen in flüssigem Stickstoff schockgefroren und bei -80°C
gelagert werden, eine Mitbeurteilung der Präparate durch einen in der Beurteilung von ET erfahrenen Referenzpathologen ist empfohlen.
Prätherapeutisches Staging
Staging des Primärtumors
Eine Primärtumor-Volumetrie (siehe Diagnose des Primärtumors) ist notwendig,
da das Volumen des Primärtumors sowie dessen Entwicklung unter Therapie
prognostisch relevant sind (siehe Therapie).
Fernmetastasensuche
Die Suche nach Fernmetastasen ist unabdingbar, da Fernmetastasen die Prognose verschlechtern und eine intensivierte Therapie erfordern. Häufigste Fernmetastasierungsorte sind Lunge, Knochen und Knochenmark. Durchzuführen sind
deshalb:
438
Notwendige Untersuchungen
Röntgen-Thorax in zwei Ebenen
CT Thorax
Ganzkörper-Dreiphasen-Skelettszintigraphie mit 99mTc
MRT aller klinisch oder szintigraphisch verdächtigen Körperregionen
Knochenmarkaspirationen und -Stanzbiopsien aus vom Primärtumor
entfernten Regionen (Beurteilung siehe Histopathologische Diagnostik)
Im Einzelfall nützlich sein können
Ganzkörper-MRT (bei Verdacht auf skelettale Primärmetastasen)
Ganzkörper-Positronen-Emissions-Tomographie (PET)
Lumbalpunktion bei Verdacht auf intraspinalen Befall
(Cave: nicht durch den Tumor punktieren!)
Histopathologische Diagnostik (initial und als Verlaufsparameter)
Primäre morphologische Begutachtung
Das Material sollte nativ unter Schnellschnittbedingungen dem Pathologen zur
Begutachtung übermittelt werden. In der Regel sollte eine Schnellschnittuntersuchung durchgeführt werden, um bei nicht ausreichendem bzw. repräsentativem Material die Biopsie erweitern zu können. Die abschließende Diagnose wird
am fixierten und in Paraffin eingebetteten Material am HE-Schnitt und unter Einbeziehung immunhistochemischer Untersuchungen gestellt. Wesentlich ist die
Bestimmung von Glykogen durch die PAS-Reaktion, wesentlich die Bestimmung
neuronaler Marker wie NSE, S-100, Synaptophysin zur Differenzierung in ES,
atypischer ES und PNET (s. Klassifikation, Stadieneinteilung). Das MIC-2 Genprodukt (CD99) ist in nahezu allen Ewing-Tumoren nachzuweisen. Nützlich zur Differenzialdiagnostik ist die Untersuchung auf Chromogranin, Vimentin, Zytokeratin,
Aktin und LCA. Die histologische Bestimmung von Proliferationsmarkern sowie
der Nachweis des mit Chemotherapieresistenz assoziierten p-Glykoproteins sind
wünschenswert. Beweisend für das Vorliegen eines Ewing-Tumors, vor allem
auch in der Abgrenzung zu anderen klein-, blau-, rundzelligen Tumoren, ist der
molekulargenetische Nachweis einer der Translokationen t(11;22)(q24;q12),
t(21;22)(q22:q12) oder t(7;22)(p22;q12) und ihrer spezifischen Genfusionstranskripte (1). Diese genetischen Marker können auch im weiteren Verlauf der Erkrankung als zusätzliche diagnostische Merkmale genutzt werden (siehe Seite
442). Aufgrund der Komplexität der histopathologischen Diagnostik ist die
Mitwirkung eines entsprechenden Referenzinstitutes empfehlenswert.
Histologische Verlaufsdiagnostik
Bei operativen Eingriffen im Therapieverlauf (s. Therapie) sind die Resektionsränder auf Tumor durchzumustern, weiter ist das histopathologische Ansprechen zu
gradieren. Die Beurteilung des Remissionsgrades eines Zytostatika-vorbehandelten Resektionspräparates erfolgt lichtmikroskopisch durch Bestimmung des Anteils vitaler Tumorzellen nach der Methode von Salzer-Kuntschik et al. Die Grade
I bis III (<10% vitale Tumorzellen) gelten als „Good Response“, die Grade IV bis
VI (>10% vitale Tumorzellen) als „Poor Response“.
439
I 3.4 Therapie
Rationale
Ohne systemische Chemotherapie liegen die Fünfjahres-Überlebensraten unter
10%. Eine systemische Chemotherapie in Verbindung mit Lokaltherapie ist als
Standard anzusehen. Heute wird eine initiale Chemotherapie nach bioptischer
Sicherung der Diagnose favorisiert. Die Therapiedauer beträgt insgesamt ca.
zehn Monate, die Lokaltherapie erfolgt nach ca. dreimonatiger Vorbehandlung
des Tumors mit Chemotherapie. Bei primärer (und sekundärer) Dissemination
und schlechtem histologischem Ansprechen auf die konventionelle Chemotherapie ist die myeloablative Hochdosistherapie in Verbindung mit Knochenmarksbzw. Stammzell-Rescue Gegenstand laufender Studien (2,3).
Chemotherapie bei lokoregionärer Erkrankung
Die Chemotherapie kommt als Kombinations-Chemotherapie zum Einsatz. Als
wichtigste Substanzgruppen gelten alkylierende Substanzen (Ifosfamid, Cyclophosphamid) und Anthrazykline (Adriamycin=Doxorubicin), gefolgt von Etoposid (VP16), Actinomycin D und Vincaalkaloiden (Vincristin). Weniger wirksam
sind Methotrexat, Carboplatin oder Cisplatin. Vierer-Kombinations-Chemotherapie-Regime werden derzeit als Standard angesehen: Vincristin, Actinomycin D, Cyclophosphamid und Adriamycin (VACA), oder Ifosfamid an Stelle von
Cyclophosphamid (VAIA). Der Ersatz von Actinomycin D im VAIA-Schema durch
Etoposid (EVAI, VIDE) sowie die Kombination von VAIA mit zusätzlichem Etoposid (EVAIA) sind in Erprobung. Ifosfamid ist stärker nephrotoxisch als Cyclophosphamid, Etoposid ist potenziell malignominduzierend, daher sollte der Einsatz
dieser beiden Substanzen vornehmlich kontrollierten Studien vorbehalten bleiben. Mit der Kombination aus Chemotherapie und Lokalbehandlung werden bei
lokoregionärer Erkrankung Fünfjahres- und Langzeitüberlebensraten von ca.
60% erreicht. Bei schlechtem histologischem Ansprechen auf die konventionell
dosierte Chemotherapie wird zur Zeit der Einsatz der Hochdosistherapie mit z.B.
Busulfan und Melphalan (Bu-Mel) in Verbindung mit Stammzell-Rescue in einer
randomisierten Studie erprobt.
Lokaltherapie
Die Lokaltherapie ist essenziell. Lokaltherapeutisch gibt es chirurgische und radiotherapeutische Alternativen. Die alleinige Radiotherapie beinhaltet ein höheres Risiko des Lokalrezidivs in Abhängigkeit vom primären Tumorvolumen, daher
wird heute meist die Kombination aus Operation und ggf. anschließender Bestrahlung des tumortragenden Kompartiments favorisiert. Alle bei der initialen
Biopsie möglicherweise kontaminierten Gewebe (Narbe, Inzisionskanal) müssen
in die Lokaltherapieplanung einbezogen werden.
440
Chirurgische Lokaltherapie
Bei gutem Ansprechen (s. Histopathologische Diagnostik) auf die präoperative
Chemotherapie können ablative und mutilierende Eingriffe angesichts der rekonstruktiv-chirurgischen Möglichkeiten meist vermieden werden. Möglichst
sollte eine „weite“ Resektion im Gesunden angestrebt werden, d.h. eine „Entfernung des Tumors innerhalb des befallenen Kompartiments, unverletzt und
allseitig umhüllt von gesundem Gewebe“ einschließlich der Biopsienarbe, von
Biopsie- und Drainagekanal. Bei vielen Tumoren (z.B. im Becken) wird jedoch eine Entfernung des tumortragenden Kompartiments nicht möglich sein, hier
muss zumindest eine „Entfernung des Tumors, unverletzt und allseitig umhüllt
von gesundem Gewebe einschließlich der Biopsienarbe, von Biopsie- und Drainagekanal“ angestrebt werden. Intraläsionale Eingriffe in vitalen Tumor sind wegen der Gefahr der Tumordissemination unbedingt zu vermeiden. Daher muss
ein ablativer/mutilierender Eingriff an Stelle einer extremitätenerhaltenden Operation erwogen werden, wenn diese mit hoher Wahrscheinlichkeit intraläsional
ausfallen würde. Bei marginaler/intraläsionaler Resektion ist eine Nachbestrahlung erforderlich, wobei die Dosis in Abhängigkeit vom histologischen Ansprechen 45 bis 55 Gy betragen soll. Die Rolle einer intraoperativen Brachyradiotherapie zur Sanierung kontaminierter Resektionsränder ist derzeit Gegenstand klinischer Studien (s. Zukünftige Entwicklungen). Die Komplexität des lokaltherapeutischen Vorgehens erfordert die Behandlung in einem darauf spezialisierten Zentrum.
Strahlentherapie
Wo immer möglich, ist in Anbetracht geringerer Lokalrezidivraten eine komplette chirurgische Entfernung des Tumors einer Radiotherapie vorzuziehen (s.o). Ist
eine komplette Resektion nicht möglich, gilt eine Tumordosis von 55 Gy in Einzelfraktionen von 1,6 bis 2,0 Gy in Verbindung mit einer Kompartimentdosis von
45 Gy als Standard einer kurativen Strahlentherapie. Die Tumordosis sollte die
Primärtumorausdehnung mit einem Sicherheitsrand von 3 bis 5 cm umfassen.
Bei ausreichender Entfernung von den Tumorrändern können unter Umständen
tumorferne Wachstumsfugen ausgespart werden. Bei Tumoren in Körperhöhlen, z. B. Becken, ist lediglich das aktuelle Tumorvolumen zu bestrahlen.
Die postoperative Strahlendosis beträgt in Abhängigkeit von der Tumorfreiheit
des Resektionsrandes und dem histologischen Ansprechen auf die primäre Chemotherapie zwischen 45 und 55 Gy.
Besonderheiten, spezielle Fälle
Therapie bei Lungenmetastasen
Sind bei primärer Metastasierung in Lunge/Pleura nach systemischer Chemotherapie noch residuelle Metastasen nachweisbar, sollte eine Resektion in Erwägung gezogen werden. Zusätzlich zur sonstigen Therapie ist eine Lungenparenchymbestrahlung auch bei vollständiger Remission unter Chemotherapie
indiziert. Die Strahlendosis sollte 18 Gy bei Patienten über 14 Jahren betragen,
15 Gy bei Patienten ≤ 14 Jahren. Unter der Lungenbestrahlung ist auf die Gabe
von Anthrazyklinen (Adriamycin etc.) und Actinomycin D zu verzichten, um
erhebliche pulmonale und kardiale Toxizitäten zu vermeiden. Der Einsatz von
Anthrazyklinen sollte nach Lungenbestrahlung nur unter echokardiographischer
Kontrolle der linksventrikulären Verkürzungsfraktion vor jedem Kurs erfolgen
(s. Nebenwirkungen und Begleittherapie).
441
Zur Zeit wird im Rahmen kontrollierter klinischer Studien nach verkürzter konventioneller Chemotherapie und ggf. Resektion der Metastasen der Stellenwert
der Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzell-Rescue im Vergleich zur Lungenbestrahlung in Verbindung mit konventioneller Chemotherapie untersucht.
Therapie bei ossärer/Knochenmark-Fernmetastasierung
Primär (und sekundär) ossär bzw. im Knochenmark disseminierte Tumoren zeigen schlechte Therapieergebnisse mit konventioneller Behandlung. Heute wird
nach initialer verkürzter konventioneller Therapie einschließlich lokaler Sanierung aller Herde eine Hochdosistherapie mit Retransfusion von peripheren
Stammzellen oder Knochenmark angestrebt. Angesichts des experimentellen
Charakters ist die Hochdosistherapie derzeit nur im Rahmen kontrollierter klinischer Studien indiziert.
Prognose
Ohne systemische Therapie konnten nur ca. 10% der Patienten geheilt werden,
mit modernen neoadjuvanten Therapieansätzen wird die Fünfjahres-Überlebenswahrscheinlichkeit für Patienten mit lokoregionaler Erkrankung mit 0.55 bis
0.70 angegeben. Patienten mit Fernmetastasen bei Diagnosestellung, d.h. im
Stadium IV der Erkrankung, sowie mit einem Rezidiv der Erkrankung, haben eine
mit ca. 15–20% wesentlich schlechtere Fünfjahresprognose, insbesondere bei
disseminiertem Befall von Knochen und/oder Knochenmark (2, 4).
Nebenwirkungen und Begleittherapie
Die für eine aplasiogene Chemotherapie notwendigen Überwachungs- und
Supportivmöglichkeiten müssen in der behandelnden Klinik zur Verfügung stehen. Infektiologische, hämatologische, kardiologische, nephrologische, endokrinologische und psychosoziale Probleme sind zu erwarten und angemessen zu
behandeln.
Die Behandlung von ET soll in Deutschland vornehmlich im Rahmen kontrollierter Therapieverfahren erfolgen. Eine genaue Dokumentation der Therapie sowie
deren Nebenwirkungen und Spätfolgen ist Bestandteil dieses Vorgehens. Die
Vorgaben in den entsprechenden Therapieanweisungen sind zu beachten.
Zukünftige Entwicklungen
Der mittels RT-PCR am Tumormaterial geführte molekulargenetische Nachweis
einer für die Ewing-Tumoren spezifischen Translokation ist eine wichtige Ergänzung der konventionellen histopathologischen Diagnostik. Der Nachweis gilt als
pathognomonisch und dient neben der Diagnosesicherung am Primärtumor der
Identifizierung von Tumorzellen in Blut- und Knochenmarkproben. Die Methodik ist derzeit jedoch nur in Referenzlaboratorien im Rahmen von Studien verfügbar.
Als Therapie primärer oder sekundärer Fernmetastasierung ist die myeloablative
Hochdosis- (Radio-) Chemotherapie in Erprobung, ebenso wie Zytokintherapien
mit z.B. IL-2.
442
I 3.5 Nachsorge, Spätfolgen
Die psychosoziale und chirurgisch/orthopädische (orthetische, prothetische etc.)
Nachsorge ist an die individuelle Situation des Patienten zu adaptieren. Angesichts der beachtlichen Heilungsraten und des jungen Alters bei Erstmanifestation ist eine gewissenhafte und lang dauernde Nachsorge der Patienten von besonderer Bedeutung.
Rezidivmonitoring
Die Suche nach Rezidiven muss in den ersten zwei bis fünf Jahren am intensivsten durchgeführt werden. Ca. 2/3 der Rezidive werden in den ersten beiden
Jahren nach Therapieende beobachtet. Lokal-, Knochen- und Lungenrezidive
können jedoch noch bis zu fünf Jahren nach Diagnose auftreten und werden danach deutlich seltener. Gemäß der im Laufe der Zeit abnehmenden Rückfallwahrscheinlichkeit können die Nachsorgeintervalle für die Suche nach Lungen(Röntgen, evtl. Schnittbildverfahren) und Knochenmetastasen (Szintigraphie,
evtl. PET) sowie Lokalrezidiven (Szintigraphie, Röntgen, evtl. Sonographie,
Schnittbildverfahren) mit zunehmendem Abstand vom Therapieende verlängert
werden.
Spätfolgenmonitoring
Die kritischen Organe für die Entwicklung von Spätfolgen sind Herz, Nieren und
Gonaden, je nach Therapieumfang auch weitere Organsysteme, z.B. die Lunge
nach Lungenradiatio, eine lokoregionale Funktionsbeeinträchtigung nach Lokaltherapie. Ein weiteres Problem stellen die in 1–2% der Patienten auftretenden Sekundärmalignome (Leukämien, Sarkome, selten Karzinome) dar. Die diagnoseübergreifenden Empfehlungen der pädiatrisch-onkologischen Fachgesellschaft zur organbezogenen Nachsorge sind zu beachten.
I 3.6 Rezidivsituation
Im Rezidiv ist die Heilungschance von Lokalisation und – vor allem – Zeitpunkt
des Rezidivs abhängig: Frühe (< 2 Jahre nach Initialdiagnose) Knochenrezidive
haben die schlechteste Prognose (ca. 10%), späte Lungen- (ca. 40%) und Lokalrezidive (ca. 50%) die beste Heilungschance. Als Therapie kommen außer den
lokaltherapeutischen Verfahren erneute zytostatische Therapie insbesondere mit
Topoisomerase-Inhibitoren (Etoposid) und Alkylanzien (Ifosfamid, Cyclophosphamid) zum Einsatz, u.U. in Kombination mit myeloablativen Ansätzen.
Literatur
1 Delattre O, Zucman J, Melot T, Sastre Garau X, Zucker JM, Lenoir G, Ambros
P, Sheer D, Turc-Carel C, Triche T, Aurias A, Thomas G (1994) The Ewing-family of tumors – a subgroup of small-round-cell tumors defined by specific chimeric transcripts. N Engl J Med 331: 294–299
443
2 Jürgens H, Exner U, Gadner H et al (1988) Multidisciplinary treatment of
Ewing’s sarcoma of bone. A 6-year experience of a European Cooperative Trial. Cancer 61: 23–32
3 Ladenstein R, Lasset C, Pinkerton R, Zucker JM, Peters C, Burdach S et al
(1995) Impact of megatherapy in children with high-risk Ewing’s tumours in
complete remission: a report from the EBMT Solid Tumour Registry. Bone
Marrow Transplant 15: 697–705
4 Miser JS, Kinsella TJ, Tefft M, Triche TJ et al (1988) Preliminary results of treatment of Ewing’s sarcoma of bone in children and young adults: six months of
intensive combined modality therapy without maintenance. J Clin Oncol 6:
484–490
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
M. Paulussen, Münster; H. Jürgens, Münster; K. Winkler, Hamburg; S. Bielack,
Münster; S. Burdach, Halle; W. Winkelmann, Münster; E. Koscielniak, Stuttgart;
J. Treuner, Stuttgart; F. Zintl, Jena; J. Dunst, Halle
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
444
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
M. Paulussen, H. Jürgens
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
445
I4
Weichteilsarkome im Kindesalter
I 4.1 Basisinformationen
Definition
Heterogene Gruppe maligner Tumoren, die primär in den Weichteilen entstehen und überwiegend mesenchymaler Herkunft sind
Vierthäufigste Gruppe solider Tumoren im Kindesalter (nach ZNS-Tumoren,
Lymphomen und Neuroblastomen)
Männliche Prädisposition 1,5:1
Lokalisationsverteilung hängt vom histologischen Typ ab: Rhabdomyosarkome z.B. finden sich vorwiegend im Kopf/Hals- und Urogenital-Bereich, extraossäre Ewing-Sarkome bzw. periphere neuroektodermale Tumoren dagegen in den Extremitäten und im Paravertebralbereich.
Klassifikation und Stadieneinteilung
Häufigste histologische Entitäten im Kindes- und Jugendalter sind: Rhabdomyosarkome (RMS) (61%), extraossäre Ewing-Sarkome (EES) und periphere neuroektodermale Tumoren (PNET) (8%), Synovialsarkome (SS) (7%), Neurofibrosarkome (4%), Fibrosarkome (ca. 3%), und Leiomyosarkome (ca. 2%). Derzeit geltende histologische Subklassifizierung der RMS: embryonal (Varianten: botryoid,
spindelzellig) und alveolär (Variante: solid-alveolär).
Da die Beschreibung der diagnostischen und therapeutischen Strategien für jede
histologische Entität zu komplex wäre (siehe Protokoll CWS-96), wird sich die
weitere Ausführung bezüglich der Therapiemodalitäten nur auf die „RMS-artigen“ Tumoren (RMS, EES, PNET, SS) beschränken. In Bezug auf die selteneren
nur als mäßig oder nicht chemotherapiesensibel geltenden Weichteilsarkome
muss auf das aktuelle Protokoll der Kooperativen Multizentrischen Therapiestudie der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, CWS-96, verwiesen werden (4).
Stadieneinteilung
Es gibt derzeit keine international einheitliche Risikogruppierung. Die postchirurgisch-histopathologische Stadieneinteilung der CWS-81, -86 und -91 erfolgte in
Anlehnung an die Intergroup Rhabdomyosarcoma Study (IRS) I (1, 2, 3), wohingegen die SIOP-UICC Stadieneinteilung auf der TNM-Klassifikation der UICC basiert (5, 13).
In den laufenden europäischen (CWS-96, SIOP MMT-95) wie auch amerikanischen (IRS-IV) Studien werden die folgenden Faktoren als Kriterien für die Risikogruppierung verwendet (1,2,3):
446
Tabelle 1.
Günstig
Ungünstig
Präoperativer
TN-Status
Postchirurgischer
TN-Status
T1
N0
pT1 -pT2 -pT3a
pN0
T2
N1
pT3b –pT3c
pN1
Lokalisation
Kopf/Hals/nicht
parameningeal
urogenital/nicht
Blase/Prostata
Kopf/Hals/parameningeal,
Blase/Prostata,
Extremitäten, andere,
embryonales RMS
alveoläres RMS, EES, PNET, SS
Histologischer Typ
H 4.2 Leitsymptome
Das klinische Erscheinungsbild und die Schwere der Symptome hängen vor allem von der Lokalisation und der Ausdehnung der Tumoren ab und sind daher
sehr variabel.
Patienten mit RMS-artigen Tumoren im Kopf/Hals-Bereich können nahezu unbeeinträchtigt sein (z.B. RMS-artige Tumoren der Orbita mit anfänglich indolentem
Exophthalmus) oder – bei parameningealer Lokalisation mit intrakranieller Ausdehnung – eine vielfältige Symptomatik aufweisen, wie Schmerzen, Schwellung, Obstruktion der Nase und der Nasennebenhöhlen, Parese der Hirnnerven
(III, IV, VI, VII) und Erbrechen. Patienten mit RMS-artigen Tumoren im urogenitalen Bereich können durch Bauchschmerzen, Hämaturie, Dysurie, Obstipation
und Hodenschwellung auffallen, wohingegen sich Tumoren der Extremitäten
durch schmerzhafte oder indolente Schwellung manifestieren.
H 4.3 Diagnostik
Diagnostik des Primärtumors
Verfahren vor der Biopsie
Notwendige Verfahren
Hochauflösende Schnittbilddiagnostik (z.B. MRT) der Primärtumorregion vor
und nach Kontrastmittelapplikation mit dem Ziel folgende Parameter festzustellen:
1. Tumorgröße und -volumen
2. Beziehung zur Gefäßen, Nerven, Nachbarstrukturen und Organen
3. Veränderungen am Skelettsystem
4. Gefäßversorgung des Tumors
5. Multiplanare Darstellung zur Operationsplanung
Im Einzelfall notwendige Untersuchungen
Positronen-Emissions-Tomographie (PET), Liquordiagnostik, andere
447
Biopsie
Eine Biopsie ist immer notwendig. Sie sollte als offene Inzisionsbiopsie mit Gewebegewinnung für die konventionelle Pathomorphologie, Immunhistochemie,
Zyto- und Molekulargenetik erfolgen. Primäre Tumorresektion siehe Lokoregionäre Therapie.
Verfahren zum prätherapeutischen Staging
Notwendige Verfahren
1. Apparative Tumorausbreitungsdiagnostik: konventionelles Thorax-Röntgenbild, thorakale Computertomographie, Schädel-MRT (nach Kontrastmittelgabe T1-gewichtete Schichten mit frequenzselektiver Fettunterdrückung erforderlich), Skelettszintigraphie mit MRT szintigraphisch verdächtiger Skelettregionen
2. Knochenmarkbiopsie und/oder -aspiration
Im Einzelfall notwendige Untersuchungen
PET, Liquordiagnostik, andere
Histopathologische Diagnostik
Die korrekte histologische Diagnose eines Weichteilsarkoms stützt sich auf
eine breite Palette immunhistochemischer Färbungen (z.B. Desmin, Vimentin,
Myoglobin, Aktin, NSE, S-100, MIC2), die obligatorisch durchgeführt werden
müssen (4). Außerdem sollen die für viele Weichteilsarkome in jüngster Zeit charakterisierten spezifischen genetischen Veränderungen zytogenetisch und molekulargenetisch untersucht werden (z.B. alveoläre RMS - t(2;13)(q35;q14)), Synovialsarkome - t(X;18)(p11;q11), EES/PNET - t(11;22)(q24;q12),t(21;22)(q22; q12).
I 4.4 Therapie
Rationale
Ziel jedweder Standardtherapie muss die Gewährleistung einer ausreichenden
systemischen und lokalen Kontrolle sein; hierzu stehen Chemotherapie, Chirurgie und Bestrahlung zur Verfügung. Die Reihenfolge, wie auch die Durchführung der einzelnen Therapiemodalitäten hängt von der Tumorgröße, Tumorausdehnung, Histologie, Lokalisation, Alter und von der damit verbunden Resektabilität ab.
Mit der Kombination aus Chemotherapie und Lokaltherapie werden ereignisfreie Überlebensraten im Fünfjahresbereich von 70% bei Patienten mit primär
lokalisierten RMS erreicht, für EES/PNET circa 50%, Synovialsarkom 70–80%
(1, 2). Im Vergleich dazu hatten Patienten nach alleiniger Resektion eines Rhabdomyosarkoms lediglich eine Überlebenschance von 8–22%.
448
Chemotherapie
Die Chemotherapie wird grundsätzlich als Kombinations-Chemotherapie verabreicht, wobei Zusammensetzung der Medikamente, Intensität und Dauer in den
einzelnen Risikogruppen sehr unterschiedlich sind (siehe Protokoll CWS-96). Die
Chemotherapie wird zur Vernichtung okkulter Metastasen und zur Verbesserung lokaler Tumorkontrolle eingesetzt. Bei den Rhabdomyosarkomen gelten
folgende Medikamente als besonders wirksam: Dactinomycin, Vincristin, Alkylanzien (Cyclophosphamid, Ifosfamid) und Anthrazykline (Doxorubicin, Epi-Doxorubicin). Außerdem werden VP-16 und Platin-Derivate bei ungenügendem
Ansprechen oder in Hochrisikosituationen eingesetzt.
Lokoregionäre Therapie
Die lokale Tumorkontrolle wird zusätzlich durch einen adäquaten Einsatz der
Chirurgie ± Strahlentherapie angestrebt. Die Entscheidung ob eine primäre oder
sekundäre Resektion vorgenommen werden soll, hängt von der Tumorausdehnung, Tumorgröße, Lokalisation (Resektabilität), dem histologischen Typ und Alter des Patienten ab. Es ist hervorzuheben, dass die Reihenfolge der sekundären
lokalen Maßnahmen (Strahlentherapie prä- oder postoperativ) von dem Tumoransprechen (Response), der Tumorgröße/-ausdehnung, dem Alter und der Lokalisation abhängig ist. Die definitive lokale Tumorbehandlung soll nicht später als
zehn bis 12 Wochen nach Beginn einer neoadjuvanten Chemotherapie durchgeführt werden.
Operative Therapie
Eine primäre Tumorresektion sollte nur dann vorgenommen werden, wenn aufgrund der präoperativen apparativen Diagnostik eine onkologisch radikale Tumorresektion ohne Verstümmelung zumindest sehr wahrscheinlich erscheint. Eine intraläsionale Tumorverkleinerung soll vermieden werden. Bei primär nicht resektablen Tumoren soll nach bioptischer Sicherung der Diagnose eines
RMS-artigen Tumors mit der Chemotherapie begonnen werden.
Strahlentherapie (RTX)
Patienten mit embryonalem RMS, die einer primären oder sekundären mikroskopisch vollständigen (R0) Tumorresektion zugänglich waren, bedürfen keiner
Strahlentherapie. Alle anderen Patienten mit RMS-artigen Tumoren (alveoläre
RMS, EES, PNET, SS) sollten bestrahlt werden. Die Dosis der Bestrahlung richtet
sich nach der Radikalität der primären bzw. sekundären Resektion oder nach
dem Ansprechen auf die präoperative Chemotherapie und wird auch an das
Alter des Patienten adaptiert. Bei einer konventionellen Fraktionierung
(1 × 1,8–2 Gy/Tag) liegt die kumulative Dosis zwischen 40–50 Gy. In den CWSStudien wird seit 1986 eine akzelerierte Hyperfraktionierung (2 × 1,6 Gy) mit
einer kumulativen Dosis zwischen 32–54 Gy durchgeführt.
Therapie bei Patienten mit primär fernmetastasierten RMS-artigen Tumoren
Patienten mit primär disseminierten RMS-artigen Tumoren haben mit konventioneller Chemotherapie eine schlechte Prognose (Fünfahres-ereignisfreie-Überlebensrate 20–30%).
Hier steht eine intensivierte Chemotherapie (4–6 Medikamente z.B. CEVAIE im
CWS-96 Protokoll) im Vordergrund des therapeutischen Ansatzes. Bei Patienten,
die gut auf die Chemotherapie ansprechen, ist eine sekundäre lokale Behand-
449
lung (Operation/Bestrahlung) von Primärtumor und evtl. Metastasen indiziert.
Bis jetzt ist der Stellenwert einer Hochdosis-Chemotherapie mit Reinfusion von
hämatopoetischen Stammzellen (HSCT) als Konsolidierung der erreichten klinischen Remission unklar und soll nur im Rahmen kontrollierter Studien angewandt werden.
I 4.5 Verlaufsdiagnostik und Nachsorge
Untersuchung des Tumors bzw. der Tumorregionen
Notwendige Verfahren
Schnittbilddiagnostik der Primärtumorregion und anderer Metastasenregionen
(va. Lunge/ZNS), konventionelle Röntgendiagnostik der Lunge, in der Verdachtssituation ergänzt durch die Computertomographie
Im Einzelfall notwendige Untersuchungen
Skelettszintigraphie (besonders bei alveolärer Histologie)
Die Untersuchungsintervalle sollen abhängig vom zeitlichen Abstand zu Diagnosestellung und Therapieende sein.
Spätfolgendiagnostik
Spätfolgendiagnostik soll die möglichen Folgeerscheinung der Chemotherapie,
Radiotherapie und Chirurgie aufdecken, um möglichst früh eine gezielte Therapie einleiten zu können. Im Einzelnen sind dies nephrologische (Nephropathie:
Alkylanzien, Platin-Derivate, RTX), kardiologische (Kardiomyopathie: Anthrazykline, Alkylanzien, RTX), hepatologische (Lebererkrankung nach Operation, Zytostatika, Infektionen), endokrinologische (Wachstums-/Pubertätsverzögerung:
Alkylanzien, Platin-Derivate, RTX), Fertilität (Alkylanzien, RTX), funktionelle Defizite – neurologisch oder organisch bedingt (Hörvermögen, Lungenfunktion,
Kontinenz, muskoskelettales System: Platin-Derivate, Bleomycin, RTX, Operationen).
I 4.6 Zukünftige Entwicklung
In der CWS-96 Studie wird verglichen, ob durch eine Intensivierung der „Frontline“-Chemotherapie über den Einsatz von VP-16 und Carboplatin in der Hochrisikogruppe die Intensität lokaler Maßnahmen und Metastasierungsrate reduziert werden kann. Darüber hinaus wird derzeit auch eine wiederholte Hochdosis-Chemotherapie mit Retransfusion hämatopoetischer Stammzellen (HSCT)
bereits am Anfang der Behandlung im Rahmen einer Phase II-Studie untersucht.
450
Literatur
1 Crist WM, Gehan EA, Ragab AH, Dickman PS, Donaldson SS, Fryer C, Hammond D, Hays DM, Herrmann J, Heyn R, Morris Jones P, Lawrence W, Newton
W, Ortega J, Raney RB, Ruymann FB, Teft M, Weber B, Wiener E, Wharam M,
Vietti TJ, Maurer HM (1995) The third Intergroup Rhabdomyosarcoma Study.
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2 Enzinger FM, Weiss SW (1995) Soft tissue tumors. Mosby, St.Louis Washington Toronto
3 Treuner J, Flamant F, Carli M (1991) Results of treatment of rhabdomyosarcoma in the European studies. In: Maurer HM, Ruymann FB, Pochedly C (eds)
Rhabdomyosarcoma and related tumors in children and adolescent. CRC
Press, Boca Raton Ann Arbor Boston London
4 Studienprotokoll der Cooperativen Weichteilsarkomstudie der Gesellschaft
für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie CWS-96. Studienleiter: Prof. Dr.
Jörn Treuner, Dr. Ewa Koscielniak CWS-Studienzentrale, Olgahospital Stuttgart, Postfach 10 36 52, 70031 Stuttgart.
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
E. Koscielniak, Stuttgart; J. Treuner, Stuttgart; K. Winkler, Hamburg; H. Jürgens,
Münster; M. Paulussen, Münster; S. Bielack, Münster; S. Burdach, Halle; W. Winkelmann, Münster; F. Zintl, Jena; J. Dunst, Halle
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
451
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
E. Koscielniak, J. Treuner
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
452
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
453
I5
Neuroblastom
I 5.1 Definition und Basisinformation
Das Neuroblastom ist eine maligne Erkrankung des sympathischen Nervensystems und im Kindesalter der häufigste extrakranielle solide Tumor. Neuroblastome sind embryonale Tumoren, weshalb sich ihr Auftreten auf das frühe Kindesalter konzentriert. Etwa 1/3 der Kinder erkranken im ersten Lebensjahr, mit zunehmendem Lebensalter ist die Inzidenz abnehmend. 90% der Patienten sind
jünger als sechs Jahre. Eine Geschlechtsbevorzugung wird nicht beobachtet.
Neuroblastome können überall dort auftreten, wo sich sympathisches Gewebe
findet: Nebennieren, zervikaler, thorakaler und abdomineller Grenzstrang, Paraganglien. Etwa die Hälfte aller Neuroblastome sind bei Diagnosestellung bereits
metastasiert. Metastasen werden in regionalen und entfernten Lymphknoten,
Knochenmark, Knochen, Leber oder Haut beobachtet, seltener im ZNS.
I. 5.2 Stadieneinteilung
Die Stadieneinteilung erfolgt nach INSS-Kriterien (International Neuroblastoma
Staging System) (1).
I 5.3 Leitsymptome
Symptome variieren je nach Ort des Primärtumors bzw. der Metastasen: Intrathorakale Tumoren können Luftnot verursachen, abdominelle Tumoren können
den Harnabfluss behindern, in schweren Fällen bis zur Hydronephrose. Tumoren
des Grenzstrangs zeigen die Tendenz, durch die Foramina intervertebralia nach
intraspinal vorzuwachsen und neurologische Symptome bis zum Querschnitt zu
verursachen. Bei 15–20% aller zervikalen Tumoren wird bei Diagnosestellung
ein Horner-Syndrom beobachtet.
Patienten mit metastasiertem Neuroblastom fallen oft mit Schmerzen, reduziertem Allgemeinzustand, Fieber oder Blässe auf. Retrobulbäre Infiltrationen verursachen typische periorbitale Ekchymosen (Brillenhämatome).
I 5.4 Diagnostik
454
Verfahren zur Diagnose und zum prätherapeutischen Staging
Labordiagnostik
Als Tumormarker beim Neuroblastom werden Katecholamin-Metaboliten in Serum und Urin (Homovanillinmandelsäure, Vanillinmandelsäure, Dopamin) und
die NSE (neuronspezifische Enolase) eingesetzt. LDH oder Ferritin können unspezifisch erhöht sein und sind als Parameter zur Risikoabschätzung wichtig (2).
Knochenmarkdiagnostik
Zum Ausschluss einer Metastasierung ins Knochenmark ist die Knochenmarkpunktion an zwei bis vier Stellen notwendig (Morphologie sowie Immunfluoreszenz oder eine neuroblastomspezifische RT-PCR; bei Befall evtl. Molekulargenetik).
Histopathologische Diagnostik
Die histopathologische Einteilung erfolgt nach dem Grading-System von Hughes
(3). Eine Beurteilung durch ein Referenzpathologen-Panel ist zur Sicherung der
Diagnose und zur Vereinheitlichung des Gradings notwendig.
Zur Prognoseabschätzung sind molekulargenetische Untersuchungen (z.B.
Nmyc, LOH 1p, Ploidie) des Tumormaterials unerlässlich (4).
Bildgebende Diagnostik
Primärtumor und regionaler Lymphknotenbefall sollten mittels Sonographie und
Kernspintomographie (möglichst in drei Ebenen, nativ und mit Kontrastmittel)
dargestellt werden. Falls unzureichend beurteilbar in der Magnetresonanztomographie bzw. falls nicht verfügbar, kann die Darstellung mittels Computertomographie (nativ und nach Kontrastmittel) erfolgen. Bei wirbelsäulennahen
Tumoren sollte ein intraspinales Vorwachsen des Tumors durch eine Kernspintomographie der korrespondierenden Wirbelsäulenabschnitte ausgeschlossen
werden. Eine gezielte Sonographie der Leber ist zum Ausschluss bzw. Nachweis
von Lebermetastasen nötig.
Metajodbenzylguanidin (mIBG) wird zur spezifischen szintigraphischen Markierung von Primärtumor und Fernmetastasen eingesetzt. Im Einzelfall (z.B. bei
mIBG-negativen Tumoren) können zur szintigraphischen Darstellung auch markiertes Somatostatin oder markierte monoklonale Antikörper eingesetzt werden.
Bei Verdacht auf Metastasierung ist ein Technetium-Szintigramm angezeigt. Unklare positive Skelettherde oder Skelettherde in mechanisch gefährlicher Lokalisation müssen weiter bildgebend abgeklärt werden. Bei metastasiertem Neuroblastom sollte bei Diagnosestellung eine Magnetresonanztomographie des
Schädels zum Ausschluss/Nachweis von intrakraniellen Metastasen (bzw. Computertomographie falls unzureichende Aussage oder nicht verfügbar) sowie eine
sonographische Untersuchung der Leber zum Ausschluss/Nachweis von Lebermetastasen durchgeführt werden.
Notwendige weitere apparative Verfahren
Echokardiographie, Audiogramm, Nierenfunktion und Songraphie der Nieren
bei Patienten, bei denen der Einsatz von kardio-, oto- und nephrotoxischen Zytostatika vorgesehen ist.
455
I 5.5 Therapie
Rationale
Die Behandlung des Neuroblastoms unterscheidet sich je nach Stadium: Im Stadium 1 kann die alleinige operative Entfernung des Tumors ausreichend sein, in
den höheren Stadien ist zusätzlich der Einsatz von Chemotherapie notwendig (5).
Bei primär inoperablen Tumoren kann bei eindeutiger klinischer Befundkonstellation (erhöhte Katecholamin-Metaboliten, typischer Befund der Bildgebung,
eindeutige Anreicherung im mIBG-Szintigramm) initial auf die histologische Bestätigung der Diagnose verzichtet werden, allerdings muss die histologische Sicherung der Diagnose und die molekulargenetische Aufarbeitung des Tumormaterials bei Resektion des Tumors nachgeholt werden.
Das Therapiekonzept für Patienten im Stadium 4 sieht eine maximale Therapie
mit Operation, Chemotherapie sowie evtl. Megatherapie und/oder Radiotherapie vor. Üblicherweise werden heute noch konsolidierende Therapien (z.B. Antikörpertherapie, Retinsäure) angeschlossen.
Patienten im Stadium 4S nehmen eine Sonderstellung ein. Meistens regredieren
diese Tumoren spontan, bei Bedrohung durch die Tumormassen bzw. die Lebermetastasierung ist eine milde Chemotherapie oft ausreichend.
Chemotherapie
In den Stadien 2 bis 4 wird eine Kombinations-Chemotherapie angewandt. Zur
Anwendung kommen alkylierende Substanzen (Ifosfamid, Dacarbazin), Anthrazykline (Adriamycin), Etoposid, Melphalan, Cisplatin und Vincaalkaloide (Vincristin, Vindesin) in Kombination. Der Einsatz dieser Substanzen ist nur im Rahmen
von kontrollierten Studien vertretbar. Die Dauer der Therapie kann abhängig
vom Stadium der Erkrankung bis zu zwei Jahre betragen.
Als „Anstoß zur Regression“ bei bedrohlichen Tumoren des Stadium 4S können
Vincristin, Adriamycin oder Cyclophosphamid eingesetzt werden.
Lokoregionäre Therapie
Chirurgische Therapie
Der chirurgische Eingriff strebt die histologische Sicherung der Diagnose einschließlich molekulargenetischer Beurteilung und/oder die Entfernung des Primärtumors an. Außerdem wird zum exakten Staging die Tumorausdehnung
(Mittellinienüberschreitung, Lymphknotenbefall) durch den Chirurgen beurteilt.
Eine komplette Entfernung sollte jedoch nur ohne Risiko für den Patienten
durchgeführt werden, verstümmelnde Operationen (z.B. Resektion von Muskeln
größeren Ausmaßes, Resektion längerer Darmstrecken mit der Gefahr des
Kurzdarmsyndroms) sind zu vermeiden.
456
Strahlentherapie
Das Neuroblastom gilt als strahlensensibler Tumor, wenn auch die Rolle der Radiotherapie noch nicht gut definiert ist. Zur Zeit wird empfohlen, einen nach
Chemotherapie verbliebenen Resttumors bei Patienten des Stadiums 2, 3 oder 4
mit bis zu 40 Gy zu bestrahlen.
Modifikation der Therapie
Bei Nicht-Ansprechen bzw. in der Rezidivsituation können weitere Therapieverfahren (z.B. Behandlungen mit therapeutischen Dosen mIBG in Kombination mit
externer Strahlenbehandlung, antikörpervermittelte Verfahren, gentherapeutische Ansätze) zur Anwendung kommen.
Besonderheiten der Begleittherapie
Der Einsatz onkologischer Supportivtherapie ist während der Phase der intensiven Chemotherapie notwendig, gegebenenfalls kann der Einsatz von Wachstumsfaktoren bei starker Knochenmarktoxizität notwendig werden. Da nephro-, oto- und kardiotoxische Zytostatika zum Einsatz kommen, müssen Nierenfunktion, Hörvermögen und die kardiale Funktion regelmäßig überprüft werden.
Prognose
Die Prognose ist stadienabhängig: die Fünfjahres-Überlebensrate für alle Stadien
liegt bei 55%. Lokalisierte Tumoren zeigen eine Fünfjahres-Überlebensrate von
etwa 90% im Stadium 1 oder 2 und von etwa 70% im Stadium 3, während im
Stadium 4 eine Fünfjahres-Überlebensrate zwischen 20 und 30% beobachtet
wird.
Zukünftige Entwicklungen
Ziel gegenwärtiger Forschung sind Induktion von Regression, Induktion von Reifung zum Ganglioneurom, Immuntherapie (z.B. Fusionsproteine) und Gentherapie.
I 5.6 Verlaufsdiagnostik und Nachsorge
Zur Beurteilung der Tumorresponse müssen die initial aussagekräftigsten bildgebenden Untersuchungen sowie die Tumormarker in Abhängigkeit vom klinischen Befund wiederholt werden. Zur Festlegung des Remissionsgrades sind die
Kriterien der INSS (1) anzuwenden.
Die Nachsorge von Patienten mit Neuroblastom umfasst sowohl die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen zum Ausschluss eines Rezidivs (Kontrolle initial positiver Tumormarker, bildgebende Untersuchungen sowie weiterführende Untersuchungen bei Verdacht auf Rezidiv) als auch die Spätfolgendiagnostik (z.B. nephrologisch, audiologisch, kardiologisch). Wegen der Möglichkeit spät auftretender Rezidive und der Gefahr therapiebedingter Spätschäden ist eine Nachbeobachtung bis zu zehn Jahren mit kürzeren Abständen während den ersten
Jahren sinnvoll.
457
I 5.7 Prophylaxe und Früherkennung
Eine Prophylaxe ist bisher nicht bekannt. Früherkennungsprogramme sind in
mehreren Ländern in Erprobung, ihr Nutzen für Gesellschaft und Individuum ist
aber bisher noch nicht gesichert.
Literatur
1 Brodeur GM, Pritchard J, Berthold F, Carlsen NLT, Castel V, Castleberry RP, de
Bernardi B, Evans AE, Favrot M, Hedborg H, Kaneko M, Kemshead J, Lampert
F, Lee REJ, Look ATh, Pearson AD, Philip T, Roald B, Sawada T, Seeger RC, Tsuchida Y, Voute PA (1993) Revision of the International Criteria for Neuroblastoma Diagnosis, Staging and Response to Treatment. J Clin Oncol 11:
1466–1477
2 Berthold F, Kassenböhmer R, Zieschang J (1994) Multivariate analysis of prognostic factors in localized neuroblastoma. Am J Pediatr Hematol Oncol 16:
107–115
3 Hughes M, Marsden HB, Palmer MK (1974) Histologic patterns of neuroblastoma related to prognosis and clinical staging. Cancer 34: 1706–1711
4 Christiansen H, Sahin K, Berthold F, Hero B, Terpe HJ, Lampert F (1995) Comparison of DNA aneuploidy, chromosome 1 abnormalities, Nmyc amplification and CD 44 expression as prognostic factors in neuroblastoma Europ J Ped
31: 541–544
5 Berthold F, Hero B (2000) Neuroblastoma: Current drug therapy recommendations as Part of the total treatment approach Drugs. Drugs 59(6):
1261–1277
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
B. Hero, Köln; F. Berthold, Köln; N. Graf, Homburg/Saar; J. Tröger, Heidelberg;
J. Engert, Herne, C. Rübe, Münster; N. Willich, Münster; A. Weihrich, Heidelberg; B. Kremens, Essen; T. Klingebiel, Tübingen
458
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (beson-
ders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
B. Hero, F. Berthold
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
459
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
460
I6
Keimzelltumoren
I 6.1 Definition und Basisinformation
Histogenese: Keimzellen sind pluripotente Zellen; von diesen sollen sich die
entsprechenden Keimzelltumoren mit embryonaler und extraembryonaler Determinierung ableiten.
Häufigkeit: Die relative Häufigkeit aller der im Kindertumorregister erfassten
Keimzelltumoren beträgt 2,9%.
Inzidenz: 0,7/100 000/Jahr
Ätiologie: Assoziation zu Einflüssen durch Schwerindustrie vermutet. Bei Hodentumoren ist Kryptorchismus in 5% der auftretenden Neuerkrankungen als
Risikofaktor bekannt.
Genetische Prädisposition: Es besteht eine starke Assoziation zwischen Gonadoblastomen und Dysgerminom (seltener auch anderweitigen Keimzelltumortypen). Vereinzelt werden Dottersacktumor und Osteosarkom beim selben
Patienten beobachtet. Chromosomale Aberrationen am langen und kurzen Arm
von Chromosom 1, dem langen Arm von Chromosom 6 und Veränderungen bei
den Geschlechtschromosomen sind häufig, ohne dass sich bisher eine Korrelation zwischen Zytogenetik, Histologie und Primärlokalisation hat herstellen lassen.
Altersverteilung: Altersgipfel im ersten Lebensjahr (2,5/100 000 Kinder) mit
starker Abnahme bis zum Alter von vier Jahren, zweiter flacher Altersgipfel
zwischen dem achten und 14. Lebensjahr (0,3/100 000 Kinder). Lokalisation
und Alter korrelieren unabhängig voneinander mit der Histologie. Maligne
Tumoren sind am häufigsten zwischen dem ersten und vierten Lebensjahr und
nach dem zehnten Lebensjahr.
Geschlechtsdisposition: Verhältnis von Mädchen zu Jungen beträgt 1 : 0,8.
Deutliche Mädchenwendigkeit (4:1) bei Steißbeintumoren, deutliche Knabenwendigkeit bei Lokalisation im ZNS (2:1).
Lokalisationen: Unabhängig von der Histologie: Ovar 26%, Steißbein 24%,
Hoden 18%, ZNS 18%, andere 13%.
I 6.2 Klassifikation und Stadieneinteilung
Weitgehend durchgesetzt hat sich die histologische Einteilung der Keimzelltumoren entsprechend der WHO-Klassifikation: testikuläre Keimzelltumoren nach
Mostofi und Sobin 1977, ovariale Keimzelltumoren nach Serov et al. 1973 und
für intrakraniale Keimzelltumoren nach Kleihues et al. 1993. Diese Klassifikationen enthalten die homologen Tumorentitäten. Für die übrigen Lokalisationen
gibt es keine gesonderte Klassifikation. Die Teratome werden meist nach dem
Grading von Gonzalez-Crussi eingeteilt.
461
Histopathologisch sind reine Keimzelltumoren unterteilt in absteigender Malignität: 1. Choriokarzinom, 2. embryonales Karzinom, 3. Dottersacktumor, 4. Germinom, 5. Teratom (immatur und matur). 30% aller Keimzelltumoren enthalten
mehr als eine der vorgenannten histologischen Entitäten. Die Therapie richtet
sich immer nach der Einzelkomponente mit der höchsten Malignität. In seltenen
Fällen können Keimzelltumoren (Teratom) maligne Transformationen (z.B. Neuroblastom, Nephroblastom) enthalten.
Die Stadieneinteilung erfolgt nach der TNM-Klassifikation. Parallel wird für die
Hodentumoren die modifizierte Lugano-Klassifikation und für die Ovarialtumoren die FIGO-Einteilung herangezogen. Die Stratifikationskriterien für die Behandlungsintensität berücksichtigen Lokalisation, Stadium und Histologie.
I 6.3 Leitsymptome
Bei Lokalisation im ZNS
Hirndrucksymptomatik mit Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, ParinaudSyndrom, Ausbildung einer Hemiparese, Gangstörung, Visusbeeinträchtigungen, Doppelbilder, Diabetes insipidus, Pubertas praecox.
Ovar
Zunahme des Bauchumfanges, unklare oder akute abdominale Schmerzen, akutes Abdomen.
Hoden
Schmerzlose Schwellung mit und ohne Hydrozele. In 5% anamnestisch Kryptorchismus.
Steiß
Keimzelltumoren der Steißbeinregion können exophytisch (60%) oder endophytisch (40%) wachsen. Große exophytisch wachsende Tumoren prädisponieren
zu Frühgeburtlichkeit bzw. können ein Geburtshindernis darstellen; sie neigen
zur Ruptur.
Endophytisch wachsende Tumoren werden postnatal durch Gesäßschwellung
oder verdrängendes Wachstum symptomatisch.
Tumoren anderer Lokalisation
Sie verursachen Symptome entsprechend ihrer Ursprungslage.
I 6.4 Initiale Diagnostik
462
Verfahren zur Diagnose des malignen Tumors
Labor
Notwendig: spezielle Tumormarker: Alpha 1-Fetoprotein, β-HCG im Serum
Im Einzelfall nützlich: LDH
Spezielle Diagnostik bei Hirntumoren
Notwendig: Liquorzytologie, Alpha 1-Fetoprotein und β-HCG, auch im Liquor
Im Einzelfall nützlich: GNRH, TRH, Synactentest, freies Thyroxin und Prolaktin,
Serum-Östradiol bzw. Testosteron, LH, FSH, Serum-IGF1 und/oder IGF-BP3,
24-Std.-Urin auf GH
Apparative Diagnostik der Primärtumorregion
ZNS
Notwendig: MRT kraniospinal
Im Einzelfall nützlich: ophthalmologische Kontrolle, EEG
Ovar
Notwendig: Sonographie und MRT
Hoden
Notwendig: Sonographie, wenn möglich, mit Farbdoppler
Im Einzelfall nützlich: MRT
Steiß
Notwendig: Sonographie, wenn möglich, mit Endosonographie und MRT,
Blasen- und Mastdarmmanometrie
Andere Lokalisationen
Entsprechend Ursprungsort Sonographie und/oder MRT
Verfahren zum prätherapeutischen Staging bzw. zur Therapiewahl
Kopf
Notwendig: spinales MRT, Tumormarker AFP und β-HCG, Liquorzytologie
Alle extrakranialen Lokalisationen entsprechend Alter und Primärsitz
Notwendig: Sonographie und/oder MRT
Im Einzelfall nützlich: Röntgen-Thorax in zwei Ebenen bei wahrscheinlich fortgeschrittenen Tumoren, z.B. Lokalisation: Steiß, Alter > 6 Monate oder Lokalisation
Hoden. Skelettszintigraphie bei nachgewiesenen distanten Metastasen
Histopathologische Diagnostik
Histopathologische Aufarbeitung von Biopsie- und Operationspräparaten unbedingt erforderlich
Notwendig: Paraffin-Histologie
Im Einzelfall nützlich: Immunhistochemie. Bei reifen Teratomen nicht erforderlich
463
I 6.5 Therapie
Rationale (Prinzip und Entwicklung der Therapiestrategie)
Bei malignen Keimzelltumoren ist die systemische Therapie in Verbindung mit
Lokaltherapie Standard; die Fünfjahres-Überlebensrate ohne Chemotherapie bei
extrakranialer Lokalisation und nicht-organbegrenzter Erkrankung liegt bei etwa
10%, bei Lokalisation im Bereich des zentralen Nervensystems nach rein chirurgischer Intervention unabhängig von der Histologie etwa 2–3%. Heute favorisiert: Klinische Diagnose durch Bildgebung und Tumormarker. Primäre Resektion
bei eindeutiger Begrenzung auf das Ursprungsorgan. Bei organüberschreitenden Tumoren und/oder Entdeckung von Metastasen präoperative Chemotherapie mit dem Ziel, eine vollständigen Resektion zu erleichtern (speziell ZNS und
kleines Becken). Bei ZNS-Lokalisationen beinhaltet die Therapiestratifizierung
auch strahlentherapeutische Maßnahmen (1, 2).
Die ungünstigste Prognose haben intrakraniale tumormarkerproduzierende Tumoren (65%) (2), die günstigste Hodentumoren (99%) (4). Als therapiebedingter Prognosefaktor hat sich die komplette/inkomplette Tumorresektion gezeigt.
Die Rate kompletter Resektionen ist durch präoperative Chemotherapie bei allen
organüberschreitenden Tumoren zu verbessern. Metastasenchirurgie ist nur bei
persistierenden Metastasen nach vorangegangener Chemotherapie erforderlich.
Chemotherapie
Die Chemotherapie wird grundsätzlich als Kombinations-Chemotherapie, bestehend aus drei – seltener aus zwei – Zytostatika, verabreicht und enthält als wichtigste Substanz Cisplatin. Weitere hochwirksame Zytostatika sind Etoposid, Ifosfamid, Vinblastin und Bleomycin sowie Carboplatin als Alternative zu Cisplatin. Als
wirksam haben sich Acto D, Cyclophosphamid, MTX und Adriamycin erwiesen.
Die Begleittherapie entspricht den allgemein anerkannten Standards der supportiven Therapie in der Pädiatrischen Onkologie.
Lokaltherapie
Chirurgische Therapie
Primäre Resektion: bei organbegrenzten tumormarkernegativen Tumoren oder
bei regionaler Ausbreitung tumormarkerpositiver Tumoren nur dann, wenn trotz
onkologischer Radikalität eine Mutilierung vermieden werden kann. Bei fortgeschrittenen tumormarkernegativen Tumoren Klärung der Artdiagnose durch
Biopsie und verzögerte Resektion nach neoadjuvanter Chemotherapie oder
Bestrahlung, so weit noch residualer Tumor nachweisbar. Bei Hodentumoren
primär hohe inguinale Semikastration unverzichtbar, bei Ovarialtumoren Tumorovarektomie (mit Kontrolle des kontralateralen Ovars).
464
Strahlentherapie
Germinome sind unabhängig von der Lokalisation strahlensensibel und erhalten
bei Sitz im Zentralnervensystem eine Radiatio der kraniospinalen Achse. Dosierung: 24 Gy kraniospinale Achse, gefolgt von einer lokalen Tumoraufsättigung
bis 40–45 Gy. Sezernierende Keimzelltumoren, maligne Teratome erhalten nach
Chemotherapie ebenfalls eine Strahlenbehandlung der kraniospinalen Achse
von 35–36 Gy, gefolgt von einer lokalen Tumoraufsättigung bis 50–54 Gy. Mature Teratome erhalten bei unvollständiger Resektion eine Strahlenbehandlung der
erweiterten Tumorregion bis 50 Gy. Die Therapie sollte nach Möglichkeit unter
Studienbedingungen (z.B. im Rahmen der SIOP-Studie zur Behandlung intrakranialer Keimzelltumoren) durchgeführt werden. Bei Kindern mit anderen Lokalisationen wird zum Erhalt der Fertilität und des Wachstums die Chemotherapie
zur Behandlung von organüberschreitenden Tumoren bevorzugt. Bei Residualtumoren ist in Abhängigkeit von der Histologie eine zusätzliche Strahlenbehandlung zu erwägen.
Modifikation der Therapie
Besonderheiten bei der Behandlung von Teratomen
Bei ovarialen Teratomen gilt als Besonderheit die peritoneale Absiedlung von Teratomgewebe (sog. Gliomatosis peritonei). Es handelt sich dabei meist um eine
gliöse Aussaat von Tumorzellen in Form kleiner Gliaknoten. Die Prognose dieser
Veränderungen ist gut, meist zeigen sie eine Ausreifung unter Chemotherapie.
Große Knoten sind operativ zu entfernen und verbleibende kleine Herde sind
engmaschig nachzukontrollieren (3).
Rezidivtherapie
Ein neuer Behandlungsansatz mit kurativen Aspekten besteht bei Rezidivpatienten in einer kombinierten Thermo-/Chemotherapie, die entweder als Rezidivtherapie in Kombination mit Platin-haltigen Regimen angewandt oder bei verzögertem Ansprechen zur Therapieintensivierung benutzt wird in Abhängigkeit von
Vorbehandlung, Tumorausdehnung, Lokalisation und Patientenalter. Da bei Kindern mit rezidivierten Keimzelltumoren die lokale Tumorkontrolle das Hauptproblem darstellt, haben rein chemotherapeutische Behandlungsregime mit
POMP oder ACE, oder gar Hochdosis-Chemotherapie mit Blutstammzell-Komponenten, bisher keine langfristigen Remissionen erbracht. Entsprechend den
vorhandenen Publikationen ist eine Hochdosistherapie nur bei vorher erreichter
kompletter Remission sinnvoll.
Therapieschema in Deutschland der GPOH
Studie MAKEI 96 für extrakraniale Lokalisationen, Teratoma 96 für Teratome und
SIOP ZNS GCT 96 (2, 4) für Lokalisationen im zentralen Nervensystem, für Hodentumoren MAHO 98 (4).
I 6.6 Zukünftige Entwicklungen
Zur Intensivierung der Therapie wie auch in Rezidivsituationen wird zusätzlich eine kombinierte Thermo-Chemotherapie eingesetzt werden. Zusätzliche molekulare Diagnostik durch komparative genomische Hybridisierung zur Eruierung
neuer Prognoseparameter, z.B. die Bewertung des Isochrom 12p, die Bedeutung
465
der Aberrationen am kurzen und langen Arm von Chromosom 1 sowie des langen Arms von Chromosom 6 soll etabliert werden.
Für die malignen Hirntumoren ist ein internationales Protokoll eingeführt worden (SIOP CNS GCT 96), in dem die Frage der Risikostratifizierung auch für diese
Lokalisation geprüft werden soll.
I 6.7 Verlaufsdiagnostik
Während der Therapie empfehlen sich zur Verlaufsdiagnostik vor und nach jedem Chemotherapieblock die Messung der Nierenfunktionsparameter zur Erkennung einer Nierenfunktionsstörung und die Untersuchungen der Hörfunktion. Bei Hirntumoren ist postoperativ die endokrinologische Diagnostik zu wiederholen.
Die Messung des Tumormarkers AFP und/oder β-HCG bei initialer Erhöhung ist
effizient zur Beurteilung des Therapieansprechens. Die zusätzliche bildgebende
Diagnostik richtet sich nach den primär erhobenen Befunden und kann bei gemischten Keimzelltumoren für den Teratomanteil ein diskordantes Tumorverhalten aufzeigen.
I 6.8 Nachsorge
Die Tumornachsorge beinhaltet die Tumormarker- sowie Ultraschalluntersuchungen oder auch andere bildgebende Verfahren zur Kontrolle der primären
Tumorregion unter Berücksichtigung der Lokalisation. Zur allgemeinen Nachsorge gehören entsprechend der verabreichten Medikamente regelmäßige Kontrollen des Serum-Kreatinins und Phosphats, der Hörfunktion (Cisplatin) und der
Lungenfunktion (Bleomycin). Die Nachsorgekontrollen sind zunächst monatlich.
Bei unauffälligem Befund innerhalb der ersten sechs Monate ist dann eine
schrittweise Verlängerung der Intervalle auf zwei bzw. drei Monate angezeigt.
I 6.9 Risiken der Zweittumorentstehung
Das Zweittumorrisiko ist bei Kindern mit Keimzelltumoren gering. Von 1132 evaluierten Patienten entwickelten sechs eine AML/MDS, von denen fünf einen auffälligen Karyotyp aufwiesen (z.B. Monosomie 7). Andere Erkrankungen wurden
bisher nicht beobachtet.
Literatur
466
1 Bamberg M, Kortmann RD, Calaminus G, Becker G, Meisner CH, Harms D,
Göbel U (1999) Radiation Therapy for Intracranial Germinoma: Results of the
German Cooperative Prospective Trials MAKEI 83/86/89: J Clin Oncol Vol 17
(8): 2585
2 Calaminus G, Andreussi L, Garré ML, Kortmann RD, Schober R, Göbel U
(1997) Secreting germ cell tumors of the central nervous system (CNS). First
results of the cooperative German/Italian pilot study (CNS sGCT). Klin Pädiatrie 209: 222
3 Göbel U, Calaminus G, Engert J, Kaatsch P, Gadner H, Bökkerink JPM, Haas
RJ, Blohm MEG, Dippert S, Teske C, Harms D (1998) Teratoma in infancy and
childhood. Med Pediat Oncol 31: 8
4 Haas RJ, Schmidt P, Göbel U, Harms D (1994) Treatment of malignant testicular tumors in childhood: Results of the German National Study 1982–1992.
Med Ped Oncol 23: 400
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
G. Calaminus, Düsseldorf; H. J. Haas, München; U. Göbel, Düsseldorf, C. Rübe,
Homburg/Saar, N. Willich, Münster, D. v. Schweinitz, Basel
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
467
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
G. Calaminus, H. J. Haas, U. Göbel
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
468
I7
Hepatoblastom des Kindesalters
I 7.1 Definition und Basisinformation
Das Hepatoblastom ist der häufigste Lebertumor des Kindesalters, er nimmt
0,8–1,0% aller malignen Tumoren des Kindesalters ein. Die Inzidenz beträgt 0,6
auf 100 000 Kinder. Ein ausgesprochener Altersgipfel liegt zwischen sechs
Monaten und drei Jahren. Die männliche Prädisposition beträgt 1,5 zu 1,0. Das
Hepatoblastom findet sich selten extrahepatisch, Lymphknoten und Fernmetastasen treten meist erst bei fortgeschrittener Tumorkrankheit auf. Das Hepatoblastom ist wegen des unterschiedlichen biologischen Verhaltens und der damit
verbundenen anderen Therapiemöglichkeiten streng vom hepatozellulären Karzinom zu trennen (2, 5).
I 7.2 Klassifikation und Stadieneinteilung
Das Hepatoblastom ist ein maligner Tumor, dessen Zellen primitiven Leberparenchymzellen ähneln, zusätzlich können mesenchymale Elemente vorhanden sein.
Unter den epithelialen Zellen unterscheidet man zwei Zelltypen:
1. „Embryonale” Zellen (wenig differenziert, klein, spindelig, wenig Zytoplasma)
2. Fetale Zellen (höher differenziert, größer, mehr Zytoplasma, mit wechselnd
reichlich Glykogen und/oder Lipiden)
Zusätzlich können sich Strukturen ähnlich einem trabekulären, hepatozellulären
Karzinom des Erwachsenen und/oder kleine Herde von Plattenepithel finden.
Weiter kommt eine kleinzellige Variante vor (sie sollte nach Ishak nicht als anaplastisches Hepatoblastom bezeichnet werden). An mesenchymalen Strukturen
können sich fibröse Areale, Knorpel, osteoidähnliche Herde, selten auch glatte
Muskulatur, rhabdomyoblastenartige Elemente oder melaninhaltige Zellen finden.
Die klinische Stadieneinteilung ist derzeit uneinheitlich: Im Rahmen der kooperativen Studien in den U.S.A. und in Deutschland (5) werden für den klinischen Gebrauch je nach der Resezierbarkeit die postchirurgischen Stadien I bis III angewendet. Dabei bedeutet Stadium I eine primäre komplette (R0)-Resektion, Stadium II mikroskopischer Resttumor (R1) und Stadium III makroskopischer
Resttumor (R2). Das Stadium IV entspricht einem Tumor mit Fernmetastasen.
Weitere Stadiensysteme sind in anderen nationalen und internationalen, kooperativen Studien im Gebrauch (3). Das pTNM-System der UICC für adulte Leberkarzinome (4) weist auch bei Hepatoblastomen eine hohe prognostische Signifikanz auf (6). Dagegen zeigen neuere Befunde, dass das 1983 in Japan ent-
469
wickelte TNM-System für kindliche Lebertumoren bei den derzeit üblichen Therapieverfahren keine prognostische Bedeutung hat (6).
I 7.3 Leitsymptome
Tastbarer Tumor, Fieber, Störung des Ess- und Trinkverhaltens, Pubertas praecox,
Thrombozytose.
I 7.4 Diagnostik
Verfahren zur Diagnose des Hepatoblastoms
Labor
Notwendige, spezifische Tumormarker: Alpha-Fetoprotein (Normalwerte der jeweiligen Altersstufe beachten!), β-HCG (20% der Kinder mit Hepatoblastom
haben erhöhte Werte)
Im Einzelfall nützliche, unspezifische Labordiagnostik
Thrombozyten, Ferritin, LDH, Leberenzyme
Bildgebende Verfahren
Notwendig: Abdominelle Sonographie mit Farbdoppler oder MRT bzw. CT des
Oberbauches, Röntgen-Thorax ap und seitlich, CT des Thorax
Nützlich: Leberszintigraphie, Leberangiographie oder DSA
Verfahren zum prätherapeutischen Staging
Abdominelle Sonographie, Thorax-CT, ggf. MRT oder CT des Oberbauches
Histopathologische Diagnose
Aus Tumorresektat oder Biopsie: Konventionelle Paraffinhistologie, im Einzelfall
ist Immunhistochemie nützlich. Die Diagnose sollte durch einen Referenzpathologen abgesichert werden.
Nach neueren Erfahrungen haben Kinder zwischen sechs Monaten und drei Jahren mit einem Serum-Alpha-Fetoprotein über 1000 ng/ml immer ein Hepatoblastom, sodass in dieser Situation auf eine bioptische Sicherung der Diagnose verzichtet werden kann, insbesondere wenn die unter Verfahren zur Diagnose des
Hepatoblastoms genannte unspezifische Labordiagnostik entsprechend pathologische Werte ergeben hat (5).
I 7.5 Therapie
470
Prinzipien der Therapiestrategie
Es ist wiederholt gezeigt worden, dass primär inoperable Hepatoblastome durch
eine präoperative Cisplatin-haltige Chemotherapie bei einer Reihe von Fällen in
ihrer Größe reduziert werden können. Mit der aktuellen, kombinierten Therapiestrategie (Operation und Chemotherapie) ist eine Fünfjahres-Überlebensrate von
70–75% zu erreichen (5). In Deutschland favorisiertes Vorgehen: Kleine, nicht
metastasierte, sicher auf einen Leberlappen beschränkte Hepatoblastome werden primär mit einer Hemihepatektomie reseziert. Erscheint ein Tumor mit diesem Operationsverfahren nicht resektabel, ist eine primäre Chemotherapie indiziert. In diesem Fall kann die Diagnose entweder klinisch gemäß den unter I 7.4,
Seite 470, genannten Kriterien oder bei allen anderen Patienten durch eine
bioptische Sicherung gestellt werden. In letzterem Fall wird eine offene Biopsie
über eine Probelaparotomie empfohlen. Nach neoadjuvanter Chemotherapie
(siehe Chemotherapie) sollte erneut die Operabilität evaluiert werden. Bei der
danach erfolgenden Laparotomie sollte in jedem Fall ein Resektionsversuch
durchgeführt werden, jetzt auch mit erweitertem Resektionsverfahren (erweiterte Hemihepatektomie). Bei noch nicht gegebener Resektabilität ist es sinnvoll,
weitere Chemotherapieblöcke anzuschließen (5). Es konnte jedoch gezeigt
werden, dass Hepatoblastome eine Resistenz gegen Cisplatin enthaltende
Zytostatikakombinationen entwickeln. Deshalb wird empfohlen, ab dem dritten
Chemotherapieblock eine alternative Zytostatikakombination zu wählen.
Chemotherapie
Als Standard kann grundsätzlich gelten, dass eine Kombinations-Chemotherapie eingesetzt wird, die Cisplatin und Adriamycin enthält. In Deutschland wird
gemäß den Protokollen HB94 und HB99 der GPOH zusätzlich Ifosfamid verabreicht. Bis zu drei Blöcke werden als präoperative, neoadjuvante Chemotherapie
eingesetzt. Zusätzlich wird diese als adjuvante Chemotherapie nach der Tumorresektion in ein oder zwei Blöcken verwendet. Für Tumoren mit einer verlängerten Chemotherapie können mit Erfolg Carboplatin und Etoposid (VP 16) eingesetzt werden (1). In der neuen Studie HB99 soll bei Hochrisiko-Hepatoblastomen
(Stadium III multilokal und/oder Gefäßinvasion, Stadium IV) nach Ansprechen
auf Carboplatin und Etoposid und Sammlung peripherer hämatopoetischer
Stammzellen diese Kombination als Hochdosistherapie verabreicht werden. Als
alternative Medikamente der dritten Linie können auch 5-Fluorouracil und Vincristin angewendet werden.
Lokaltherapie
Bei der Lokaltherapie gilt es, sämtliche Tumoren in der Leber sowie auch Fernmetastasen zu beseitigen. Nur Kinder mit vollständig resezierten Tumoren haben
auf lange Sicht eine Überlebenschance.
Chirurgische Therapie
Nach heutigem Wissensstand ist die komplette Tumorresektion essenziell für das
Überleben der Patienten. Eine primäre Resektion des Tumors in der Leber ist
jedoch nur indiziert bei kleinen, nicht-metastasierten Tumoren, die mit einem
Sicherheitsabstand mittels einer Hemihepatektomie entfernt werden können.
Residualtumor oder primäre Fernmetastasen unterliegen nach einer Leberresektion ohne vorausgegangene Chemotherapie oft einem raschen Wachstum, das
471
die Heilungschance der betroffenen Patienten reduziert. Bei größeren Tumoren
sollte nach neoadjuvanter Chemotherapie eine radikale Resektion unter Berücksichtigung erweiterter Resektionsverfahren versucht werden. Bei Kindern mit
nicht resezierbaren Tumoren sind nun spezielle Techniken, wie die totale Okklusion der zu- und abführenden Gefäße mit oder ohne Hypothermie und Kreislaufarrest unter Herz-Lungen-Maschine, eine Ex-situ-Resektion oder eine Lebertransplantation zu erwägen. Auch Fernmetastasen müssen nach Chemotherapie reseziert werden, sofern sie mit bildgebenden Verfahren noch dargestellt
werden können oder sich als Rezidive erneut präsentieren.
Strahlentherapie
Diese ist bei Hepatoblastom nicht als wirksam belegt. Sie wird deshalb nicht als
Standardtherapie eingesetzt. Lediglich in einzelnen Fällen mit mikroskopischem
Tumorrest am Leberresektionsrand nach vorangegangener, intensiver Chemotherapie ist ihr adjuvanter Einsatz zu diskutieren.
Modifikationen der Therapie
Prinzipielle Modifikationen der Therapie können sich ergeben bei Nicht-Ansprechen des primären Tumors auf Chemotherapie (z.B. kleinzellig undifferenzierte
Hepatoblastome), bei zusätzlichen Erkrankungen der Kinder, bei Neugeborenen
und sehr jungen Säuglingen sowie bei multifokal disseminierten, die gesamte
Leber ausfüllenden Hepatoblastomen, wenn eine Lebertransplantation nicht in
Frage kommt. In solchen Fällen ist ein individuelles Vorgehen erforderlich.
Besonderheiten der Begleittherapie
Die Begleittherapie während der Chemotherapie unterliegt keinen vom Hepatoblastom abhängigen Besonderheiten. Sehr junge Säuglinge mit ausgedehnten
Hepatoblastomen unterliegen einem erhöhten Risiko eines Leberversagens unter der Chemotherapie. Die Begleittherapie nach Leberresektion richtet sich
nach den allgemein gültigen, kinderchirurgischen Regeln.
Therapieschema
Die derzeit in multizentrischen Studien angewandten Therapieschemata befolgen alle die unter Therapiestrategie geschilderten Prinzipien, so auch das Schema der GPOH-Studien HB94 und HB99.
Zukünftige Entwicklungen
In der aktuellen Studie werden Hepatoblastompatienten in eine Hochrisiko- und
eine Niedrigrisikogruppe unterteilt, um eine differenzierte Therapie möglich zu
machen. Als Grundlagen hierfür dienen prognostische Faktoren, wie die Ausdehnung des Tumors in der Leber, das Vorhandensein von Metastasen und
Gefäßinvasion (6). Vorläufige molekulargenetische Untersuchungsbefunde deuten an, dass sich in Zukunft mittels dieser Verfahren Hepatoblastome verschiedenen Risikogruppen zuordnen lassen werden.
472
I 7.6 Verlaufsdiagnostik und Nachsorge
Als wichtigster Verlaufsparameter gelten die Tumormarker Alpha-Fetoprotein
und β-HCG im Serum, sofern diese Proteine vermehrt ausgeschüttet wurden.
Die Abnahme des Serum-Alpha-Fetoproteins unter neoadjuvanter Chemotherapie korreliert signifikant mit der Prognose der Patienten (5). Bei Rezidivtumoren
geht ein erneuter Anstieg des Tumormarkers Alpha-Fetoprotein der Darstellbarkeit des Rezidivtumors mit bildgebenden Verfahren oft um ein bis zwei Monate
voraus (5). Die wichtigsten bildgebenden Verfahren für Verlaufskontrollen und
Nachsorge sind die Sonographie der Leber und die Röntgen-Thoraxaufnahme.
Weitere bildgebende Verfahren können im Einzelfall notwendig sein. Die Tumornachsorge sollte zunächst monatlich, ab dem zweiten Jahr dreimonatlich und ab
dem dritten Jahr sechsmonatlich erfolgen. Zur Nachkontrolle hinsichtlich möglicher Langzeitfolgen der Chemotherapie sollten regelmäßig die Leberwerte
sowie Kreatinin und Phosphat im Serum gemessen werden, ferner ein EKG, ein
Echokardiogramm und eine Überprüfung der Hörfunktion durchgeführt werden.
I 7.7 Prophylaxe
Eine sinnvolle Prophylaxe ist nicht bekannt.
Literatur
1 Fuchs J, Bode U, von Schweinitz D et al (1999) Analysis of treatment efficiency of carboplatin and etoposide in combination with radical surgery in advanced and recurrent childhood hepatoblastoma: A report of the German Cooperative Pediatric Liver Tumor Study HB89 and HB94. Klin Pädiatr 211:
305–309
2 Ishak KG, Glunz PR (1967) Hepatoblastoma and hepatocarcinoma in infancy
and childhood. Cancer 20: 396–422
3 MacKinlay GY, Pritchard J (1992) A common language for childhood liver
tumours. Pediatr Surg Int 7: 325–326
4 UICC (1993) TNM-Klassifikation maligner Tumoren. 4. Aufl. 2. Revision
(1992) (Deutsche Übersetzung von Hermanek P, Scheibe O, Spiessl B, Wagner G) Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
5 von Schweinitz D, Byrd DJ, Hecker H et al (1997a) Efficiency and toxicity of
Ifosfamide, Cisplatin and Doxorubicin in the treatment of childhood hepatoblastoma. Eur J Cancer 33: 1243–1249
6 von Schweinitz D, Hecker H, Schmidt-von-Arndt G et al (1997b) Prognostic
factors and staging systems in childhood hepatoblastoma. Int J Cancer 74:
593–599
473
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
D. v. Schweinitz, Basel; U. Göbel, Düsseldorf; H. Mildenberger, Hannover;
H. J. Haas, München; J. Engert, Herne; P. Weinel, Hannover;
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
474
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
D. von Schweinitz
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
475
476
Pädiatrie
Hirntumoren
J
477
478
J1
Leitsymptome und Diagnostik
der Hirntumoren im Kindes- und
Jugendalter
J 1.1 Leitsymptome
Kleinhirnsymptome: Ataxie, Nystagmus, Intentionstremor
Hirndruckzeichen:
Erbrechen, Kopfschmerzen, Abduzensparese
Lokale Ausbreitung: Hirnnervenparesen, Ausfälle langer Bahnen,
Regulationsstörung vitaler Zentren.
J 1.2 Diagnostik
Notwendige präoperative Tumordiagnostik
1. Neurologische Untersuchung einschl. Fundusspiegelung
2. Kraniale MRT mit Gadolinium (CT vor und nach Kontrastmittel, wenn MRT
unmittelbar nicht verfügbar oder früh postoperativ nicht durchführbar)
Histopathologische Diagnose
Die histopathologische Diagnose wird vom lokalen Pathologen gestellt. Es werden die Richtlinien der WHO-Klassifikation und Gradierung von Tumoren des
Nervensystems zugrunde gelegt (1). Eine zentrale Beurteilung durch das Hirntumorreferenzzentrum der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie ist nützlich und in Therapiestudien notwendig! Außer der konventionellen Histopathologie und Immunhistologie sind molekularbiologische Untersuchungen, die für
ein besseres Verständnis der Biologie der Hirntumoren zunehmend an Bedeutung gewinnen werden, empfehlenswert.
Notwendige postoperative Resttumor-Diagnostik
1. Neurologische Untersuchung
2. Kraniale MRT mit Gadolinium (falls MRT nicht verfügbar CT vor und nach
Kontrastmittel; prä- und postoperativ zur besseren Vergleichbarkeit die gleiche Methode einsetzen; Untersuchung innerhalb der ersten 48 Stunden erforderlich, da wegen unspezifischer postoperativer Schrankenstörungen später
kaum mehr interpretierbar (2)
Notwendige Metastasendiagnostik
1. Spinales MRT mit Gadolinium (präoperativ oder 10–14 Tage postoperativ)
2. Liquorzytologie (lumbal gewonnener Liquor 14 Tage postoperativ vor Beginn
der postoperativen Therapie)
479
Im Einzelfall nützlich
1. Schädelsonographie bei Säuglingen
2. Skelettszintigramm/-röntgen
3. Knochenmarkbiopsie und -aspiration
Zusätzlich empfehlenswerte Diagnostik zur Erfassung der Schädigung durch den
Tumor
1. Neurophysiologische Untersuchungen (Visus-/Gesichtsfelduntersuchung, altersgemäße Hörprüfung, EEG, VEP, AEP, SSEP)
2. Neuropsychologische Testung
3. Neuroendokrinologische Diagnostik
Weitere allgemein übliche präoperative Diagnostik
Körperliche Untersuchung mit Körpermaßen, Röntgenaufnahme des Schädels
(seitlich) und der Lungen, EKG sowie Laboruntersuchungen einschließlich Blutbild, BSG, Gerinnung und im Rahmen von Studien LDH sowie neuronenspezifische Enolase.
In Erprobung befindliche Methoden
1. Positronen-Emissions-Tomographie (PET)
2. Szintigraphie (z.B. Somatostatinrezeptor-S.)
3. Insulin-Like-Growth-Factor (-Bindungsproteine) im Liquor.
Literatur
1 Kleihues P, Cavenee WK (2000) World Health Organization Classification of
Tumours. Pathology and genetics. Tumours of the nervous system. IARC
Press, Lyon
2 Albert K, Forsting M, Sartor K et al (1994) Early postoperative magnetic resonance imaging after resection of malignant glioma: Objective evaluation of
residual tumor and ist influence on regrowth and prognosis. Neurosurgery
34: 45–61
Verfahren der Konsensbildung
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
480
Mitglieder der Expertengruppe waren
Arbeitsgruppe für Hirntumoren im Kindesalter der Deutschen Gesellschaft für
Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (J. Kühl, Würzburg), Arbeitsge-
meinschaft Pädiatrische Radio-Onkologie (R.-D. Kortmann), Gesellschaft für
Neuropädiatrie (D. Rating), Referenzzentrum der Deutschen.Gesellschaft.für
Neuropathologie, Abteilung für Neuroradiologie (L. Solymosi) und Abteilung f.
Pädiatrische Neurochirurgie (N. Sörensen, Würzburg)
Beratende wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaften
Arbeitsgemeinschaft experimentelle Krebsforschung (AEK-P), Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO), Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Onkologie (APO), Arbeitsgemeinschaft Radiologische Onkologie (ARO), Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation, Nachsorge u. Sozialmedizin (ARNS), AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie, Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Onkologie (CAO),
Neuro-Onkologische Arbeitsgemeinschaft (NOA)
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), Deutsche Gesellschaft
für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie;
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Deutsche Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der GPOH angehört);
Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft; Gesellschaft für
Neuropädiatrie
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Redaktion
J. Kühl
Leitlinienkoordination:
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
481
Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
482
J2
Medulloblastom im Kindes- und
Jugendalter
J 2.1 Definition und Basisinformation
Häufigster maligner Hirntumor im Kindes- und Jugendalter, Lokalisation im
Kleinhirn und IV. Ventrikel, Häufigkeitsgipfel um das fünfte Lebensjahr, männliche Prädisposition 1,5:1. Wächst lokal infiltrierend, z. B. in den unteren Hirnstamm, aber auch per continuitatem entlang der Liquorwege; metastasiert in
den gesamten Liquorraum, sodass in Abhänigkeit vom Alter bei bis zu einem
Drittel der Patienten bereits primär solide ZNS-Metastasen und bei einem Viertel
der Patienten initial maligne Zellen im lumbal gewonnenen Liquor nachgewiesen werden können; systemische Metastasierung, z. B. in Knochen oder im Knochenmark, ist bei Erstdiagnose sehr selten.
J 2.2 Klassifikation/Stadieneinteilung
Das Medulloblastom entsteht aus primitiven neuroektodermalen Zellen; es wird
von der WHO als PNET (primitiver neuroektodermaler Tumor) der hinteren Schädelgrube klassifiziert; immer von höchster Malignität entsprechend einem WHOGrad IV; in ca. der Hälfte der Fälle Differenzierung entlang neuronaler und seltener glialer Linien nachweisbar; desmoplastische Variante tritt vorwiegend bei Jugendlichen und Erwachsenen auf; sehr selten sind das Medullomyoblastom und
das melanotische Medulloblastom.
Einteilung nach TNM-Klassifikation nicht üblich; prognostisch bedeutsam sind
der Nachweis von kontrastmittelaufnehmendem Resttumor nach der Primäroperation mittels Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie
(CT) und der Nachweis von Metastasen (M2 = supratentorielle Metastasierung,
M3 = spinale Metastasierung, M4 = Metastasen außerhalb des ZNS); alleiniger
Nachweis maligner Zellen im Liquor (M1) hat keine sichere prognostische Relevanz. Der Standard-Risikogruppe (bezogen auf Rückfallwahrscheinlichkeit) werden Patienten ohne Metastasen und ohne Resttumor zugeordnet; Hochrisikopatienten haben Metastasen und/oder Resttumor.
J 2.3 Leitsymptome
Siehe Kapitel Leitsymptome und Diagnostik der Hirntumoren im Kindes- und Jugendalter (siehe J 1.1, Seite 479).
J 2.4 Diagnostik
Siehe Kapitel Leitsymptome und Diagnostik der Hirntumoren im Kindes- und Jugendalter (siehe J 1.1, Seite 479).
483
J 2.5 Therapie
Rationale und aktueller Stand der Therapie
Lokale und regionale Therapie
Basistherapie sind die primäre Resektion sowie die kraniospinale Bestrahlung mit
lokalem Tumorboost.
Neurochirurgische Therapie
Da Kinder mit Medulloblastom durch die lokale Raumforderung und Liquorzirkulationsstörung vital bedroht sind, kommt der primären Resektion eine zunächst lebensrettende Bedeutung zu. Es ist eine operationsmikroskopisch totale
Resektion anzustreben, da Kinder ohne Resttumor ein niedrigeres Rezidivrisiko
haben (3). Ist z.B. bei einer Infiltration des Kleinhirnbrückenwinkels oder des Mittelhirns eine totale Resektion ohne die Gefahr bleibender neurologischer Schäden nicht möglich, soll ein Tumorrest belassen werden, der ggf. in einer „Second-look”-Operation nach postoperativer Strahlen- und/oder Chemotherapie
angegangen werden kann. Auf die primäre Anlage eines permanenten Liquorshuntsystems sollte verzichtet werden; die Anlage einer passageren externen
Drainage kann im Einzelfall nützlich sein. Nur etwa 1/5 der Patienten sind im Verlauf permanent shuntpflichtig; ein ventrikulo-peritonealer Shunt ist dann vorzuziehen.
Strahlentherapie
Da ein Medulloblastom wegen seines infiltrativen Wachstums nie onkologisch
radikal reseziert werden kann, ist eine Heilung ohne nachfolgende Strahlentherapie nicht möglich. Da bei jedem Patienten zumindest mit einer okkulten Metastasierung über die Liquorwege gerechnet werden muss, ist eine kraniospinale
Bestrahlung des gesamten Liquorraums notwendig. Es werden Dosierungen im
Bereich des Hirnschädels und des Spinalkanals zwischen 35 und 36 Gy gefolgt
von einer Aufsättigung der hinteren Schädelgrube bis 54 Gy empfohlen (2).
Exakte Richtlinien können dem jeweils aktuellen Therapieprotokoll entnommen
werden. Solide ZNS-Metastasen werden nach Möglichkeit lokal bis zu einer Gesamtdosis von 45 bis 50 Gy aufgesättigt.
Diese kombinierte Standardtherapie mit postoperativer Bestrahlung hat in Studien mit hohen Patientenzahlen zu Heilungsraten zwischen 40 und 50% geführt.
484
Chemotherapie
Das Medulloblastom ist ein chemotherapiesensibler Tumor. In den ersten internationalen randomisierten Studien lagen die Fünfjahres-RFÜ bzw. -EFÜ im jeweiligen Arm mit adjuvanter Chemotherapie tendenziell höher als im Arm mit alleiniger postoperativer Bestrahlung: SIOP-I 56 vs. 42% und CCG 59 vs. 50%. Die Effektivität der adjuvanten Chemotherapie mit CCNU und Vincristin konnte durch
die zusätzliche Kombination mit Cisplatin deutlich verbessert werden (4, 5).
Die Chemotherapie besteht grundsätzlich aus einer Kombination mehrerer Substanzen. Etablierte Zytostatika bei der adjuvanten Therapie sind Nitrosoharnstoffderivate (CCNU, BCNU) sowie Platinderivate (Cisplatin, Carboplatin) und
Vincristin; bei neoadjuvantem Einsatz kommen alkylierende Substanzen (Ifosfamid, Cyclophosphamid), Platinderivate (Cisplatin, Carboplatin) sowie Alkaloide
(Vincristin, Etoposid) und evtl. auch Antimetabolite (hoch dosiertes Methotrexat,
Cytosinarabinosid) zum Einsatz; zur Hochdosis-Chemotherapie werden außerdem Busulfan und Melphalan eingesetzt.
Therapie von Kindern unter drei Jahren
Kinder unter drei Jahren sollten möglichst nicht bestrahlt werden, um Störungen
der psychomotorischen, mentalen und kognitiven Entwicklung sowie neuroendokrine Ausfälle zu vermindern (1). Die Zeit von der Operation bis zur Bestrahlung wurde in der deutschen Studie HIT-SKK’87 und in internationalen Studien
durch längerfristige Chemotherapie zum Teil erfolgreich überbrückt. Mittlerweile wird in den aktuellen Studien bei Kindern, die initial keine Metastasierung aufweisen und am Ende der Chemotherapie in anhaltender kompletter Erstremission sind, auf eine Bestrahlung gänzlich verzichtet.
Begleittherapie
Perioperativ und bei Auftreten von Hirndrucksymptomen unter der Strahlentherapie ist der Einsatz von Dexamethason notwendig und prophylaktisch während
der früh postoperativen Chemotherapie im Einzelfall nützlich.
Rezidivtherapie
Selbst bei einem begrenzten Lokalrezidiv ist durch eine Resektion keine längerdauernde Zweitremission zu erreichen. Wegen der Bestrahlung im Rahmen der
Primärbehandlung ist auch diese Option begrenzt. Spezielle Bestrahlungstechniken wie z.B. externe fokussierte Bestrahlung oder interstitielle Bestrahlung eröffnen erneute kurative Chancen nur in günstig gelagerten Einzelfällen. Eine auch
bei Rezidiven wirksame Chemotherapiekombination besteht aus Carboplatin
und VP-16.
Ob Hochdosis-Chemotherapieregime mit Blutstammzelltransplantation bei
Patienten, die ein gutes Ansprechen auf konventionelle Chemotherapie zeigten,
kurative Möglichkeiten eröffnen, ist gegenwärtig Gegenstand klinischer Studien. Bei Lokalrezidiven und solitären Metastasen kann eine „Second-look“-Operation eine nützliche Therapieoption sein.
Prognose
In der BRD lag die Zehnjahres-Überlebensrate in den 1980er Jahren bei 39%;
international zwischen 40 und 60%. Ungünstige prognostische Faktoren waren
ein niedriges Alter, primäre ZNS-Metastasen sowie ein postoperativer Resttumor
und möglicherweise ein ungenügendes Ansprechen auf Chemotherapie (3,5).
Rückfälle wurden häufig in den ersten drei bis vier Jahren, aber auch noch nach
sechs bis zehn Jahren entdeckt. Bei Rückfällen stand das Lokalrezidiv im Vordergrund. Mit einer postoperativen Bestrahlung und adjuvanten Chemotherapie
mit Cisplatin, CCNU und Vincristin wurden Fünfjahres-PFÜ von 87% bei Hochrisikopatienten und 79% bei Standardrisikopatienten, die eine reduzierte kraniospinale Bestrahlungsdosis erhielten, erzielt (4).
485
Zukünftige Entwicklungen
Eine Steigerung der Effektivität der Bestrahlung könnte durch die hyperfraktionierte Strahlentherapie sowie zusätzlich fokussierende Bestrahlungstechniken
erreicht werden.
Bei Hochrisikopatienten, insbesondere Säuglingen und Kleinkindern mit primärer Metastasierung, wird derzeit international der Einsatz einer Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Blutstammzelltransplantation untersucht.
Zur Prophylaxe und Therapie von ZNS-Metastasen wird der Nutzen intrathekaler
bzw. intraventrikulärer Gaben bekannter (z.B. Methotrexat, Etoposid) und neuer
Substanzen (z.B. Mafosfamid) geprüft.
J 2.6 Verlaufsdiagnostik und Nachsorge
Die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen dienen der onkologischen Verlaufsbeurteilung (bildgebende Verfahren siehe auch J 1.2, Seite 479) und der Feststellung
des Residualschadensyndroms (siehe auch J 1.2, Seite 479), das durch den Tumor
und die Therapie verursacht wird. Art und Frequenz der Untersuchungen wie z.B.
Visus- und Hörprüfung, EEG und evozierte Potenziale, endokrinologische Testung,
Blutbild und Nierenfunktionsprüfung müssen dem Einzelfall und den lokalen
Gegebenheiten angepasst werden; einmal jährliche Wiedervorstellung beim
behandelnden Radioonkologen. Neuropsychologische Tests sind eine wichtige
Basis für die psychosoziale Rehabilitation. Auch nach dem zehnten Jahr ist zur
Aufdeckung von Spätfolgen und Zweittumoren eine Nachsorge empfehlenswert.
Intensive Rehabilitationsmaßnahmen zur Bewältigung u.a. neurologischer Probleme (z.B. Gangstörungen) oder anderer Funktionsstörungen (z.B. Hörverlust,
Wachstumshormonmangel) sowie eine enge psychosoziale Begleitung der Kinder
und ihrer Eltern (z.B. Familienkuren) sind notwendig, damit die geheilten Patienten einen Platz mitten in unserer Gesellschaft und nicht an ihrem Rande finden.
Literatur
486
1 Duffner P, Horowitz M, Krischer J et al (1993) Postoperative chemotherapy
and delayed radiation in children less than three years of age with malignant
brain tumors. N Engl J Med 328: 1725–1731
2 Kortmann RD, Timmermann B, Kühl J et al (1999) HIT’91: Präzision und akute maximale Nebenwirkungen der Strahlenbehandlung der kraniospinalen
Achse. Strahlenther Onkol 175: 162–169
3 Kühl J, Müller HL, Berthold F et al (1998) Preradiation chemotherapy of children
and young adults with malignant brain tumors. Klin Pädiatr 210: 227–233
4 Packer RJ, Goldwein J, Nicholson S et al (1999) Treatment of children with
medulloblastomas with reduced-dose craniospinal radiation therapy and
adjuvant chemotherapy. J Clin Oncol 17: 2127–2136
5 Zeltzer PM, Boyett JM, Finlay JL et al (1999) Metastasis stage, adjuvant treatment, and residual tumor are prognostic factors for medulloblastoma in
children. J Clin Oncol 17: 832–845
Verfahren zur Konsensbildung
Erstellung im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und ihrer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften sowie der Deutschen Krebshilfe und in Kooperation mit nachstehend aufgeführten wissenschaftlichen Fachgesellschaften von
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie.
Mitglieder der Expertengruppe
B. Allolio, Würzburg; M. Bamberg, Tübingen; M. Bettendorf, Heidelberg; U.
Bode, Bonn; J. Brämswig, Münster; G. Calaminus, Düsseldorf; M. Flentje, Würzburg; A. Gnekow, Augsburg; U. Göbel, Düsseldorf; P. Gutjahr, Mainz, N. Graf,
Homburg/Saar; A. Grüters-Kieslich, Berlin; G. Henze, Berlin; N. Jorch, Bielefeld,
R. Korinthenberg, Freiburg; R. D. Kortmann, Tübingen; J. Kühl, Würzburg; U.
Mittler, Magdeburg; H.L. Müller, Würzburg; C. Niemeyer, Freiburg; H. Ottensmeier, Würzburg; F. Pohl, Würzburg; D. Rating, Heidelberg; C. Roth, Göttingen;
N. Sörensen, Würzburg; L. Solymosi, Würzburg; B. Timmermann, Tübingen; C.
Urban, Graz; E. Waldeck, Murnau; M. Wabitsch, Ulm; M. Warmuth-Metz, Würzburg; O.D. Wiestler, Bonn; N. Willich, Münster; J.E.A. Wolff, Münster;
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche
Gesellschaft für Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der
GPOH angehört); Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft;
Gesellschaft für Neuropädiatrie
Aktualisierung 2001
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Arbeitsgemeinschaften
AEK-P
AIO
ARO
ARNS
CAO
AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie
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Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT)
Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)
Deutsche Röntgengesellschaft
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Redaktion
J. Kühl
Leitlinienkoordination:
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Erste Fassung: 1997
Überarbeitete, aktualisierte Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
488
J3
Hochgradig maligne Gliome und
Ponsgliome im Kindes- und
Jugendalter
J 3.1 Definition und Basisinformation
Die Definition hochgradiger Gliome („high grade glioma“) basiert auf histologischen Kriterien (2). Neben der astrozytären oder oligodendroglialen Differenzierung der Tumorzellen sind vor allem die Merkmale der Malignität wichtig: zelluläre Anaplasie, mitotische und apoptotische Figuren, hohe Zelldichte, Angiogenese und Nekrosen. Hirnstammgliome stellen jedoch eine Ausnahmesituation
dar. Bei Tumoren dieser Lokalisation ist das Morbiditätsrisiko von Operationen
hoch und die prognostische Relevanz der Histomorphologie gering. Daher werden sie in erster Linie radiomorphologisch klassifiziert:
1. Typische diffuse intrinsische Ponsgliome
2. Typische Mittelhirn- (Mesenzephalon-) Gliome
3. Dorsal exophytische zerebello-medulläre Gliome
4. Untypische Hirnstammgliome
ad 1: Das typische diffuse intrinsische Ponsgliom ist in der Brücke lokalisiert.
Die Tumorgrenzen sind in der Computertomographie nur schwerlich auszumachen, der Tumor scheint vielmehr die Pons diffus aufzutreiben. Er erscheint
in der Computertomographie hypodens, in T1-gewichteter Kernspintomographie hypointens und in T2-gewichteter Kernspintomographie hyperintens.
Eine Kontastmittelanreicherung findet sich typischerweise anfangs nicht. Diese Tumoren haben eine ausgesprochen schlechte Prognose.
ad 2 und 3: Mesenzephale Hirnstammgliome und dorsal exophytische zerebello-medulläre Tumoren sind typischerweise nur langsam oder gar nicht progredient – siehe Leitlinien für niedriggradige Gliome.
ad 4: Einige Hirnstammgliome können in keine der oben genannten Gruppen
eingeordnet werden. Dies gilt insbesondere für exophytische Ponstumoren,
oder bei primärer Kontrastmittelanreicherung. Bei diesen Tumoren ist eine histologische Abklärung notwendig.
Maligne Gliome wachsen schnell infiltrativ vornehmlich entlang der Fasersysteme der weißen Substanz. Nur sehr selten metastasieren sie, dann am häufigsten
über den Liquor cerebrospinalis. Eine präoperative Stadieneinteilung wie bei anderen Tumoren ist nicht üblich.
489
J 3.2 Klassifikation und Stadieneinteilung
Unter dem Sammelbegriff hochgradige Gliome werden folgende, sich zum Teil
in der Bedeutung überlappende Diagnosen gemäß WHO und ICD-0 zusammengefasst:
Glioblastoma multiforme
Riesenzell-Glioblastom
Glioblastom mit sarkom. Komp.
Anaplastisches Astrozytom
Malignes Gliom
Anaplastisches Oligodendrogliom
Malignes Oligoastrozytom
Gliomatosis cerebri
Gliosarkom
WHO-Grad
ICD-0
ICD 10
IV
IV
IV
III
nicht definiert
III
III
III
IV
M9440/3
M9441/3
M9442/3
M9401/3
M9380/3
M9451/3
M9382/3
M9381/3
M9442/3
C71.9
C71.9
C71.9
C71.9
C71.9
C71.9
C71.9
C71.9
C71.9
Die histologisch definierten Diagnosen, können in der ICD-10 nur nach Lokalisation beschrieben werden:
C71.0 „Cerebrum, ausgenommen Hirnlappen und Ventrikel“ wird am
häufigsten für die Beschreibung von dienzephalen Tumoren verwendet
C71.1 Frontallappen
C71.2 Temporallappen
C71.3 Hirnventrikel exklusive 4. Ventrikel,
C71.6 Cerebellum
C71.7 Hirnstamm, infratentoriell ohne nähere Angaben, und 4. Ventrikel
C71.8 Gehirn, mehrere Teile überlappend
C71.9 Gehirn, nicht näher bezeichnet
C72.0 Rückenmark
C72.1 Cauda equina
C72.2 N. olfactorius
C72.3 N. opticus
C72.4 N. acusticus
C72.5 sonstige, nicht näher bezeichnete Hirnnerven
C72.8 Gehirn und andere Teile des Zentralnervensystems überlappend
C72.9 Zentralnervensystem, nicht näher bezeichnet
J 3.3 Leitsymptome
Siehe Kapitel Leitsymptome und Diagnostik der Hirntumoren im Kindes- und
Jugendalter (J 1, Seite 479).
490
J 3.4 Diagnostik
Siehe Kapitel Leitsymptome und Diagnostik der Hirntumoren im Kindes- und
Jugendalter (J 1, Seite 479).
J 3.5 Therapie
Grundsätze
Hochmaligne Gliome und diffus intrinsische Ponsgliome haben eine sehr
schlechte Prognose. Erfolgsrezepte existieren nicht. Die Therapie ist daher immer
ihrem Wesen nach experimentell. Der wichtigste prätherapeutische Schritt sollte
sein, nach ausführlicher Aufklärung eine Entscheidung darüber zu fällen, ob individuell überhaupt therapiert werden sollte und wenn ja, ob die Ausrichtung eine kurative oder eine palliative sein soll. In beiden Fällen sollte man sich bei diesen seltenen und kompliziert zu behandelnden Erkrankungen einer der multizentrisch organisierten Studien anschließen (3, 5).
Therapieprotokolle mit kurativer Intention beginnen mit einer intensiven Lokaltherapie (Operation, Strahlentherapie), die die Haupttumormassen mit den im
Verbund wachsenden Tumorzellen mit eigenen Tumorgefäßen beseitigt. Anschließend folgt in der Regel eine Erhaltungstherapie, um die infiltrierenden Einzelzellen im Randgebiet und die überlebenden resistenten Tumorzellen des ehemaligen Verbundes zu beseitigen. Die typische Reihenfolge der Modalitäten ist
dementsprechend: erst chirurgische Tumorresektion, dann Radiotherapie mit
oder ohne Radiosensitizer, dann Erhaltungschemotherapie, Induktion von Differenzierung oder Immuntherapie.
Die Therapie von denjenigen Hirnstammgliomen, die radiomorphologisch nicht
den diffus intrinsischen Ponsgliomen entsprechen und die bei der histologischen
Abklärung niedrigmalignen Gliomen entsprechen, sollten nach den Prinzipien
der niedriggradigen Gliome behandelt werden.
Neurochirurgische Tumorentfernung
Wie alle anderen Tumoren, die mit nicht-operativen Methoden noch nicht zu beherrschen sind, sollten auch maligne Gliome so weit wie möglich reseziert werden. Bei Kindern spielt die Menge operativ entfernten Tumorgewebes eine entscheidende Rolle für die Überlebenszeit (4, 5). Je nach Lokalisation gelten folgende grobe Empfehlungen, die im Einzelfall zu modifizieren sind:
Supratentorielle kortikale Lokalisation: Eine komplette Resektion sollte angestrebt werden. Langzeitüberleben ist möglich. Tumoren dieser Lokalisation
unterscheiden sich am deutlichsten von den gleichnamigen Tumoren des Erwachsenenalters.
Dienzephale Tumoren: In der Regel keine komplette Resektion möglich, daher: bioptische Sicherung der Diagnose und Fortführung der Therapie mit anderen Methoden.
Intrinsische mesenzephale Hirnstammtumoren: Warten und beobachten ohne Resektion.
491
Diffus intrinsische Ponsgliome mit kurzer Anamnese, typischer Radiomorphologie und Klinik: keine Operation (1) sondern sofort Beginn mit nicht-operativer Therapie.
Dorsal exophytische Gliome des zerebello-medullären Übergangs: Vorgehen
gemäß dem Konzept für niedriggradige Gliome: Resektion, dann warten und
beobachten
Untypische Hirnstammgliome: Biopsie, Vorgehen dann nach histologischem
Ergebnis.
Radiotherapie
Die Radiotherapie verlängert das Überleben von Patienten mit malignen Gliomen
und diffus intrinsischen Ponsgliomen. Sie wird grundsätzlich für Kinder im Alter
über drei Jahren empfohlen. Die Standard-Radiotherapie erfolgt nach konventionellem Fraktionierungsschema, d.h. es werden in fünf Einzelfraktionen pro
Woche mit je 1,8 Gy bis insgesamt 54 Gy (drei bis fünf Jahre alte Kinder) bzw.
59,5 Gy (bei Kindern ab dem siebten Lebensjahr) Zielvolumendosis über einen
Zeitraum von sechs bis sieben Wochen appliziert. Das Zielvolumen erfasst die
erweiterte Tumorregion mit einer Sicherheitszone von 2 cm. Bei Hirnstammgliomen sollte besondere Sorgfalt auf die Schonung der Innenohren gelegt werden.
492
Chemotherapie
Im Gegensatz zur Radiotherapie ist ein Vorteil verschiedener chemotherapeutischer Protokolle im Sinne verlängerter Überlebenszeiten nicht nur bei Erwachsenen sondern auch bei Kindern mit malignen Gliomen in formalen kontrollierten
randomisierten Studien gezeigt worden. Bei diffus intrinsischen Ponsgliomen
fehlt dieser Nachweis noch.
Im Einzelnen liegen folgende Ergebnisse vor: Im Vergleich von CCNU/Vincristin/Prednison gegenüber keiner Chemotherapie war der chemotherapeutische
Arm überlegen (3)(CCG, p = 0.026 46% Fünfjahres-EFS). Die Studie wird oft
wegen der kleinen Fallzahlen und der damals geringen Standardisierung der
neuropathologischen Referenzkontrolle kritisiert. Eine Überprüfung mit moderner Histologie brachte mit noch kleineren Fallzahlen den gleichen Befund. Ein
randomisierter Vergleich zwischen zwei chemotherapeutischen Protokollen,
BCNU/Cisplatin gegenüber Cyclophosphamid/VP16, zeigte einen Vorteil des
BCNU/Cisplatin-Arms. Es ist unklar, ob der Unterschied ausschließlich auf BCNU
zurückzuführen ist, das bei Erwachsenen wirksam war.
In den deutschen Studien zeigte sich in der Untergruppe der Patienten mit kompletter Resektion ein Vorteil durch das Protokoll HIT-91-S, das Cisplatin/VP16 gefolgt von Methotrexat und Ifosfamid/Ara-C vor der Radiotherapie einsetzte (so
genannte Sandwich-Chemotherapie). Auch hier waren die Patientenzahlen
klein. In der Studie HIT-GBM-B, die systemische Chemotherapie gleichzeitig mit
der Radiotherapie einsetzte, waren weniger Tumorfrühprogressionen aufgetreten als in der vorangegangenen Studie HIT-GBM-A (5). Das Follow-up ist noch
kurz und es bleibt abzuwarten, ob sich die niedrigere Rate an Tumorfrühprogressionen in verlängerte Überlebenszeiten übersetzen wird. Zusammenfassend ist
die Wirksamkeit der systemischen Chemotherapie gut belegt, der Vorteil, der
entsteht, ist jedoch noch immer zu gering, um von einem Standardprotokoll mit
nachgewiesener Wirksamkeit ausgehen zu können.
Zunehmend wird Chemotherapie auch zur Verstärkung der Lokaltherapie eingesetzt. Dies geschieht als direkte interstitielle Implantation von chemotherapiehaltigen Polymeren, als Genübertragung gefolgt von spezifischer systemischer Chemotherapie oder als konventionelle systemische Chemotherapie während der
Bestrahlung. Diese Konzepte sind jünger und experimenteller. Wirksamkeitshinweise beschränken sich im Wesentlichen auf die Beobachtung von Response bei
postoperativen Resttumoren. Die jeweils laufende multizentrische klinische Studie im deutschsprachigen Raum kann in der Zentrale der HIT-GBM-Studien abgefragt werden (email: [email protected]).
Rezidivprotokolle setzen in der Regel mit palliativer Zielsetzung orale Chemotherapeutika wie Topotecan, VP16 oder Temozolomid ein.
Immuntherapie
Im theoretischen Konstrukt sind immuntherapeutische Ansätze bei malignen
Gliomen sinnvoll. Gegenwärtig wird eine aktive Tumorvakzination überprüft.
Diese Methode hat bei In-vitro-Testungen und Tierversuchen Wirksamkeit gezeigt und ist bei erwachsenen Patienten mit malignen Gliomen auf ihre Machbarkeit überprüft worden.
Antiangiogenese und Induktion von Differenzierung
Maligne Gliome sind gefäßreich. Hemmung des Gefäßwachstums, oder besser:
Verödung bereits bestehender Tumorgefäße, ist somit ein sinnvolles Therapiekonzept bei bestehenden Tumormassen. Mehrere Substanzen befinden sich in
Überprüfung. Bei Kindern wird am häufigsten die Substanz Thalidomid verwendet. Ein Nachweis einer Wirksamkeit am Tumor fehlt jedoch bisher. Ähnliches
gilt für die Induktion von Tumordifferenzierung. In-vitro-Daten weisen darauf
hin, dass Substanzen wie Butyrophenone und Valproinsäure Gliomzellen von einem hochmalignen in einen weniger malignen Status schieben können.
Begleittherapien
Glukokortikoide vermindern das Hirnödem um maligne Gliome und führen oft
schon nach einem Tag zu klinischer Besserung. Sie können jedoch Tumorwachstum nicht relevant verhindern. Im Zusammenhang mit Chemotherapie können
sie Tumorzellresistenzen erzeugen, im Zusammenhang mit Immuntherapie die
Wirksamkeit durch Hemmung der T-Zell-Aktivität vermindern und sind daher mit
Zurückhaltung einzusetzen.
J 3.6 Prognose
Ohne Therapie liegt das mediane progressionsfreie Überleben von Kindern mit
malignen Gliomen und diffus intrinsischen Ponsgliomen zwischen drei und sechs
Monaten. Mit maximaler Therapie verlängert sich diese Zeit für diffuse Ponsgliome auf ein Jahr. Bei malignen Gliomen anderer Lokalisation wurden mit
493
multimodaler Therapie Fünfjahres-Überlebensraten um 50% beschrieben. Prognostisch relevant sind der klinische Zustand bei Diagnosenstellung, die Tumorlokalisation (Pons ist schlechter, kortikale Tumoren besser als der Durchschnitt)
und der Erfolg der Resektion. Über langzeitüberlebende Patienten wird nach
kompletter Resektion kortikal gelegener Tumoren mit nachfolgender intensiver
multimodaler Therapie berichtet.
Literatur
1 Albright AL, Packer RJ, Zimmerman R (1993) Magnetic resonance scans
should replace biopsies for the diagnosis of diffuse brain stem gliomas: a
report from the Children’s Cancer Group. Neurosurgery 33(6): 1026–1030
2 Kleihues P, Cavenee WK (2000) World Health Organisation Classification of
tumours. Pathology and genetics: Tumours of the nervous system. IARC
Press, Lyon
3 Sposto R, Ertel IJ, Jenkin RD, Boesel CP, Venes JL, Ortega JA et al (1989) The
effectiveness of chemotherapy for treatment of high grade astrocytoma in
children: results of a randomized trial. A report from the Children’s Cancer
Study Group. J Neurooncol 7(2): 165–177
4 Wisoff JH, Boyett JM, Berger MS, Brant C, Li H, Yates AJ et al (1998) Current
neurosurgical management and the impact of the extent of resection in the
treatment of malignant gliomas of childhood: a report of the Children’s Cancer Group Trial no. CCG-945. J Neurosurg 89(1): 52–59
5 Wolff JEA, Mölenkamp G, Westphal S, Pietsch T, Gnekow A, Kortmann R-D,
Kühl J (2000) Oral Trofosfamide and VP16 in pediatric patients with glioblastoma multiforme. Cancer 89(10): 2131–2137
Verfahren zur Konsensbildung
Die Leitlinie wurde von den Leitlinienkoordinatoren den Mitgliedern der Expertengruppe vorgelegt, Änderungen und Ergänzungen wurden nach Rücksprache
mit den Leitlinienkoordinatoren eingearbeitet. Anschließend wurde die Leitlinie
folgenden Institutionen vorgelegt und deren Änderungswünsche wurden nach
Rücksprache mit den Leitlinienkoordinatoren berücksichtigt.
Mitglieder der Expertengruppe waren
J. E. A. Wolff, Regensburg, O. Peters, Regensburg, J. Kühl, Würzburg; A. Gnekow,
Augsburg; R. Kortmann, Tübingen; T. Pietsch, Bonn; M. Warmuth-Metz, Würzburg
494
Beratende wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaften
Arbeitsgemeinschaft experimentelle Krebsforschung (AEK-P), Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO), Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Onkologie (APO), Arbeitsgemeinschaft Radiologische Onkologie (ARO), Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation, Nachsorge u. Sozialmedizin (ARNS), AK Supportivmaßnahmen in der Onkologie, Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Onkologie (CAO),
Neuro-Onkologische Arbeitsgemeinschaft (NOA)
Beratende wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), Deutsche Gesellschaft
für Kinderchirurgie; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde; Deutsche
Gesellschaft für Chirurgie; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie; Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Deutsche Gesellschaft für
Pathologie; Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (besonders die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Radioonkologie, die ebenfalls der GPOH angehört);
Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie; Deutsche Gesellschaft für Urologie; Deutsche Röntgengesellschaft; Gesellschaft für
Neuropädiatrie
Kooperierende Institutionen
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT)
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDS)
Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK)
Redaktion
J. E. A. Wolff
Leitlinienkoordination
Prof. Dr. Ursula Creutzig
Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
– Hämatologie/Onkologie –
Albert-Schweitzer-Straße 33
D- 48129 Münster
Prof. Dr. G. Henze
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt
Onkologie/Hämatologie
Charité Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Fassung: Oktober 2001
Nächste Aktualisierung geplant: Frühjahr 2006
Die Leitlinienkoordinatoren werden außerdem jährlich vom ISTO in einer Umfrage
zu notwendigen Aktualisierungen befragt. Falls diese erforderlich sind, wird
die aktualisierte Version der Leitlinie im Internet unter http://www.krebsgesellschaft.de bzw. unter http://awmf.org/ veröffentlicht.
495
J4
Gliome niedrigen Malignitätsgrades im Kindes- und
Jugendalter
J 4.1 Definition und Basisinformation
Gliome niedrigen Malignitätsgrades stellen 30–40% der primären Hirntumoren
des Kindesalters und kommen in allen Abschnitten des ZNS vor. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei fünf bis sieben Jahren, die männliche Prädisposition
dokumentiert sich in einem Geschlechterverhältnis von 1,5 : 1. Bei ca. 10% der
Patienten liegt als Grunderkrankung eine Phakomatose (Neurofibromatose von
Recklinghausen NF I, tuberöse Sklerose) vor.
Während WHO-Grad I-Tumoren im Allgemeinen abgrenzbar sind vom umgebenden Hirngewebe, weisen WHO-Grad II-Tumoren bereits eine diffuse Infiltrationszone auf. Das Wachstum der Tumoren ist meist lokal. Über das Risiko einer primären oder sekundären Entstehung multifokaler Tumoren auf dem Liquorweg liegen keine systematischen, prospektiven Untersuchungen vor. Im Rahmen
retrospektiver Untersuchungen wird die Frequenz mit 5–10% angegeben und
scheint erhöht zu sein bei jüngeren Kindern mit chiasmatisch-hypothalamischen
Tumoren. Der Tumorzellnachweis im Liquor ist eine Rarität. Zum Risiko einer systemischen Metastasierung ohne oder mit Shuntsystem liegen nur Einzelfallberichte vor.
J 4.2 Klassifikation und Stadieneinteilung
Gliome niedrigen Malignitätsgrades leiten sich von Zellen glialer Herkunft ab. Sie
können Elemente aus verschiedenen glialen Entwicklungslinien aufweisen, aber
auch neoplastische Ganglienzellen (Gangliogliome). Desmoplastische Varianten
werden bevorzugt bei sehr jungen Kindern beobachtet. Definitionsgemäß entsprechen alle Tumorkomponenten den WHO-Graden I oder II. Ependymome
werden diesem Sammelbegriff nicht zugeordnet.
Eine Stadieneinteilung der Gliome niedrigen Malignitätsgrades gemäß der TNMKlassifikation ist nicht üblich. Historisch erfolgt überwiegend eine Einteilung gemäß den Hauptlokalisationen (zerebrale Hemisphären, supratentorielle Mittellinie, Mittelhirn, Zerebellum, Hirnstamm und Spinalkanal), die sich aufgrund der
unterschiedlichen Tumorresektabilität als prognostisch bedeutsam herausgestellt haben.
496
Klassifikation gemäß WHO und ICD-O (sowie ICD-10) Code
Der Terminus „Gliome niedrigen Malignitätsgrades“ steht als Sammelbegriff für
eine Gruppe glialer Hirntumoren, die gemäß der WHO-Klassifikation von 2000
als Grad I und Grad II eingestuft werden:
Pilozytisches Astrozytom I°
Subependymales Riesenzellastrozytom I°
Pleomorphes Xanthoastrozytom II°
Desmoplastisches infantiles Gangliogliom I°
Gangliogliom I° und II°
Dysembryoplastischer neuroepithelialer Tumor I°
Astrozytom II°
Fibrilläres Astrozytom II°
Protoplasmatisches Astrozytom II°
Gemistozytisches Astrozytom II°
Oligodendrogliom II°
Oligoastrozytom II°
9421/3
9384/1
9424/3
9412/1
9505/1
9413/0
9400/3
9420/3
9410/3
9411/3
9450/3
9382/3
(ICD C 71.9)
(ICD E 75.5)
(ICD C 71.9)
(ICD C 71.9 Z)
J 4.3 Leitsymptome
Infolge der möglichen Tumorlokalisation im gesamten ZNS rufen Gliome niedrigen Malignitätsgrades das vollständige Spektrum von ZNS-Symptomen hervor.
Das langsame Wachstum der Tumoren bewirkt eine eher protrahierte Symptomentwicklung, teilweise über Jahre, die besonders bei Säuglingen und Kleinkindern uncharakteristisch sein kann.
1. Hirndruckzeichen
Erbrechen (besonders nüchtern), Kopfschmerzen, Abduzensparese, Gedeihstörung, Entwicklungsretardierung, Kopfumfangszunahme, Nackensteife, Funktionsstörungen des kaudalen Hirnstammes, Bewusstseinsstörungen
2. Großhirnsymptome
Paresen, Krampfanfälle, Visusstörungen, Persönlichkeitsveränderungen, Sprachstörungen
3. Supratentorielle Mittellinie
Nystagmus, Einschränkung von Visus und Gesichtsfeld, endokrine Störungen,
dienzephales Syndrom, Paresen, Schlaf-Wach-Umkehr
4. Hintere Schädelgrube und Hirnstamm
Ataxie, Nystagmus, Intentionstremor, Ausfälle langer Bahnen, Regulationsstörungen vitaler Zentren, Hirnnervenausfälle
5. Spinalkanal
Paresen (sensibel/motorisch) bis zur Querschnittsymptomatik, Schmerzen, Skoliose, Funktionsstörungen von Blase und Mastdarm
J 4.4 Diagnostik
Diagnostik der Hirntumoren siehe Leitlinie Leitsymptome und Diagnostik der
Hirntumoren im Kindes- und Jugendalter (siehe J 1, Seite 479). Hier wird nur die
ergänzend notwendige Diagnostik dargestellt.
497
Notwendige primäre Tumordiagnostik
1. Neurologische Untersuchung
2. Ophthalmologische Untersuchung mit Fundusspiegelung unter Einschluss
von altersadäquaten Formen der Visus- und Gesichtsfeldprüfung bei allen Tumoren der supratentoriellen Mittellinie
3. Kraniales MRT ohne und mit Gadoliniumverstärkung. Ein CT ohne und mit
Kontrastmittel sollte nur angefertigt werden, wenn eine kernspintomographische Untersuchung nicht verfügbar ist
Ein CT ohne Kontrastmittel kann zur Klärung der Differenzialdiagnose z. B.
zum Nachweis oder Ausschluss von Verkalkungen und/oder zur Abgrenzung
von zellreichen Tumoren sinnvoll sein
Histopathologische Diagnostik
Eine pathologische Diagnosesicherung ist in allen Fällen erforderlich.
Als Ausnahme wird das Vorliegen eines Tumors bei Patienten mit Neurofibromatose NF I akzeptiert, wenn dieser radiomorphologisch eindeutig dem Sehbahnsystem zugeordnet werden kann. Bei dieser Konstellation finden sich regelhaft
pilozytische Astrozytome WHO °I.
Die Diagnosestellung erfolgt durch den lokalen Pathologen gemäß den Richtlinien der WHO-Klassifikation und der Gradierung von Tumoren des Nervensystems.
Die zentrale Begutachtung durch das Hirntumorreferenzzentrum der Deutschen
Gesellschaft für Neuropathologie ist nützlich und im Rahmen von Therapiestudien notwendig.
Die konventionelle Histopathologie ist durch immunhistochemische Zusatzuntersuchungen, wie Anfärbung von GFAP (saurem Gliafaserprotein), Synaptophysin oder Neurofilament-Protein, zu ergänzen, um die Vielzahl histologischer Diagnosen untereinander abzugrenzen.
Der Wert weiterer Parameter (z.B. p53-Protein-Nachweis, Ki67/MIB-1-Proliferationsindex) ist für das Kindesalter noch wenig belegt und wird in Studien geprüft. Standardmäßige, molekulargenetische Zusatzuntersuchungen wurden für
Gliome niedrigen Malignitätsgrades in dieser Altersgruppe bislang nicht etabliert.
Notwendige postoperative Tumordiagnostik
1. Neurologische Untersuchung
2. Ophthalmologische Untersuchung unter Einschluss altersadäquater Formen
der Bestimmung von Visus und Gesichtsfeld bei supratentoriellen Mittellinientumoren
3. Kraniales MRT ohne und mit Gadoliniumverstärkung innerhalb von 48 Stunden postoperativ zur Bestimmung des Resektionsausmaßes und der Resttumorgröße bei allen Kindern, bei denen nachfolgend eine nicht-chirurgische
Therapie vorgesehen ist. (CT ohne und mit Kontrastmittel nur, falls MRT nicht
verfügbar)
498
Metastasendiagnostik
Die Notwendigkeit einer Untersuchung des Spinalkanals mittels Schnittbildverfahren und Lumbalpunktion zur Diagnose einer Tumordisseminierung ist bei
asymptomatischen Patienten nicht belegt.
Sie ist empfehlenswert bei Vorliegen multipler zerebraler Läsionen.
1. Spinales MRT ohne oder mit Gadoliniumverstärkung. In der früh postoperativen Phase sind durale Veränderungen möglich, die von einer Meningeose abgegrenzt werden müssen
2. Liquorzytologie (lumbal gewonnener Liquor mindestens 14 Tage postoperativ)
J 4.5 Therapie
Grundsätze
Gliome niedrigen Malignitätsgrades wachsen im Allgemeinen langsam und lokal
verdrängend. Neben Phasen des Wachstumsstillstandes sind auch der Übergang
in ein aggressives Wachstumsverhalten, die sekundäre Disseminierung sowie die
Malignisierung ohne vorausgegangenen Einfluss von Chemo- oder Radiotherapie beschrieben. Neben dem somit oft erratischen Wachstumsverhalten hat die
Therapie Tumorsitz und Tumorgröße, aber auch das Alter der Kinder und die
eventuelle Assoziation mit einer Phakomatose zu berücksichtigen. Grundsätzlich
anzustreben ist die vollständige Tumorresektion. Für Tumoren, die nicht ohne
schwere neurologische Folgeschäden und Läsionen vitaler Zentren resezierbar
sind, wurden Konzepte zur nicht-chirurgischen Therapie entwickelt (s. Abbildung 1).
Neurochirurgische Tumorentfernung
Die operationsmikroskopisch radikale Tumorresektion gilt als Therapie der Wahl
bei Gliomen niedrigen Malignitätsgrades. Sie ist zwar bei 90% der Tumoren der
zerebralen Hemisphären und etwa 2/3 der Tumoren der hinteren Schädelgrube,
aber nur in Einzelfällen bei Tumoren der supratentoriellen Mittellinie erreichbar,
da die Gefahr zusätzlicher, bleibender, schwerer neurologischer Schäden vermieden werden soll. Dennoch sollte vor der Einleitung einer nicht-chirurgischen
Therapie stets geprüft werden, ob eine Tumorresektion Erfolg versprechend ist.
Das Rezidivrisiko nach vollständiger Tumorresektion liegt nur bei 10–20%, sodass keine routinemäßige, nicht-chirurgische Nachbehandlung empfohlen wird.
Kann eine tumorbedingte Liquorzirkulationsstörung nicht durch die Tumorresektion beseitigt werden, so ist die Anlage eines liquorableitenden Shuntsystems
unumgänglich. Ein ventrikulo-peritonealer Shunt und eine III.-Ventrikulostomie
können bei entsprechender Befundkonstellation empfohlen werden.
Nicht-chirurgische Therapie
Grundsätze der nicht-chirurgischen Therapie
Aufgrund des individuellen, nicht vorhersehbaren Wachstumsmusters der Gliome niedrigen Malignitätsgrades wird der Einsatz nicht-chirurgischer Therapiemodalitäten heute in Studien von der klinischen Symptomatik und dem Progres-
499
Operation/klinische Diagnose
komplette Resektion
inkomplette Resektion
keine Symptome
schwere neurologische
Symptome
klinischer oder neuroradiologischer Progress
Beobachtung
Rezidiv oder
Tumorprogress
Zweitoperation
nicht möglich
Zweitoperation
nicht-chirurgische Therapie
< 5 Jahre
Chemotherapiea
> oder = 5 Jahre
Radiotherapiea
Tumorprogress
Radiotherapiea
a
500
Chemotherapiea
Bei Patienten mit dafür geeigneten Tumoren ist eine interstitielle
Radiochirurgie jederzeit im Verlauf indiziert.
Abbildung 1.
sionsverhaltens des nicht oder nur teilweise resezierbaren Tumors abhängig gemacht, wobei das Progressionsrisiko bei jungen Kindern bereits in den ersten
Jahren nach Diagnosestellung hoch ist (Bei Kindern mit supratentoriellen Mittellinientumoren im Alter unter fünf Jahren bleiben nach zwei Jahren nur 23 ± 6%
und nach zehn Jahren nur 9 ± 7% ohne Progression) (1).
Es besteht Übereinstimmung, bei Vorliegen schwerer neurologischer Symptome,
wie dem dienzephalen Syndrom oder rascher Visusreduktion, durch einen nicht
oder nur teilweise resezierbaren Tumor bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung eine nicht-chirurgische Therapie einzuleiten.
In Studien wird für Patienten mit stationären Symptomen nach Teilresektion und
nicht-progredienten Tumorresten eine Beobachtungsphase unter regelmäßiger
neurologischer und neuroradiologischer Verlaufsdiagnostik empfohlen. Die Länge der Kontrollintervalle orientiert sich dabei an der Länge der Beobachtungszeit
nach Operation bzw. klinischer Diagnosestellung (anfänglich alle drei bis fünf,
später alle sechs bis 12 Monate). Erst bei klinischer und/oder radiomorphologischer Progredienz sollte die nicht-chirurgische Therapie begonnen werden.
Gliome niedrigen Malignitätsgrades gelten als strahlensensibel. Zur Vermeidung
zusätzlicher neuroendokrinologischer und psychointellektueller Folgeschäden
sowie von Zweittumoren sollte der Zeitpunkt der Standardstrahlentherapie jedoch so weit wie möglich hinausgeschoben werden (1). Diesem Zweck dient
auch die systemische Chemotherapie, deren Stellenwert für die Verzögerung
des Beginnes oder für die vollständige Vermeidung der Radiotherapie Gegenstand laufender Studien ist.
Strahlentherapie
Die Strahlentherapie der Gliome niedrigen Malignitätsgrades erfolgt als lokale
Strahlentherapie. Das Ausmaß radiogener Therapiefolgen sollte durch kleine Volumina, niedrige Tagesdosen und multiple Fraktionen reduziert werden (3).
Nach computergestützter 3-D-Bestrahlungsplanung sollten moderne Bestrahlungstechniken eingesetzt werden. Im Rahmen konformaler Radiotherapien gelten Sicherheitsabstände von 0,5 cm bei Grad I- und von 1–1,5 cm bei Grad II-Tumoren als ausreichend. Die geometrische Präzision der gewählten Therapietechnik ist hierbei zu beachten (3).
Gesamtherddosen über 45 Gy sollten erreicht werden. Zumeist werden kranial
54 Gy in einer Fraktionierung von 1,6–1,8 Gy/Tag appliziert. Bei spinalen Tumoren werden analoge Dosisapplikationen vorgeschlagen.
Bei geeigneten Tumoren, definiert durch Tumorsitz und Tumorgröße sowie Tumorabgrenzbarkeit, ist der Einsatz der interstitiellen Radiochirurgie möglich.
Bislang fehlen Studien mit ausreichender Nachbeobachtungszeit, die den Stellenwert der Radiotherapie prospektiv definieren. Retrospektive Studien zeigen,
dass die Tumorkontrollrate abhängig ist vom Tumorsitz (z. B. schlechter bei
Thalamustumoren) und vom Ausmaß der vorherigen Resektion, nicht jedoch
vom Zeitpunkt der Radiotherapie. Die Radiotherapie zeichnet sich vor allem
dadurch aus, dass sie in einem hohen Maße eine Besserung bzw. Stabilisierung
des Visus bei Optikus-Gliomen erreicht, die andere Verfahren in dem Ausmaß
nicht bieten können (1).
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Chemotherapie
Die Überprüfung der Effektivität einer Chemotherapie bei Gliomen niedrigen
Malignitätsgrades ist Gegenstand laufender Studien.
Das Hauptziel ihres Einsatzes stellt die zeitliche Verzögerung des Beginns der Radiotherapie besonders bei Kindern unter fünf Jahren dar. Somit wird die
Stabilisierung der Tumorgröße neben der objektiven Tumorvolumenverkleinerung als ausreichender Therapieerfolg angesehen. Nahezu alle bislang eingesetzten Substanzkombinationen können die Tumorprogression bei über der
Hälfte der Kinder für mehr als drei Jahre verzögern. Die Progressionsraten liegen
bei 35% innerhalb von drei Jahren, was bedeutet, dass zwei Drittel der Kleinkinder und Säuglinge in dieser Zeit nicht bestrahlt werden müssen.
Wie hoch letztendlich der Anteil der Kinder ist, die nach Chemotherapie gar
nicht bestrahlt werden müssen, bedarf der Langzeitnachbeobachtung.
Bisherige Studien prüften Carboplatin, Iproplatin, Actinomycin D, Cyclophosphamid, Ifosfamid und Etoposid, aber auch Topotecan. In zahlreichen Studien
wurde Carboplatin in verschiedenen Dosierungen und Applikationsintervallen
als Einzelsubstanz oder in Kombination mit Vincristin oder Etoposid eingesetzt.
Die amerikanischen Arbeitsgruppen untersuchen gegenwärtig die Gleichwertigkeit eines Carboplatin/Vincristin-Regimes (4) und einer Nitrosoharnstoffkombination (5).
Die Arbeitsgruppe Hirntumoren der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und
Hämatologie setzt im Protokoll HIT-LGG Carboplatin und Vincristin über einen
Zeitraum von 53 Wochen ein: In einer zehnwöchigen Induktionsphase wird Vincristin wöchentlich und Carboplatin in Woche 1, 4, 7 und 10 gegeben, anschließend werden in der Konsolidierungsphase beide Medikamente gemeinsam im
Vierwochen-Rhythmus appliziert (2).
Der Einsatz der Chemotherapie erfolgte bislang vorrangig bei jüngeren Kindern,
wobei die Altersgrenze meist bei fünf Jahren gezogen wurde, und bei
hypothalamo-chiasmatischen Tumoren. Widersprüchlich sind bislang die Ergebnisse für den Chemotherapieeffekt bei älteren Kindern. Auch für diese Altersgruppe kann die Verzögerung der Radiotherapie im Hinblick auf neuroendokrinologische und neurokognitive Spätfolgen relevant sein. Ihre Behandlung sollte
jedoch ausschließlich im Rahmen kontrollierter Studien erfolgen.
Der Chemotherapieresponse scheint nach ersten Studien nicht von der Lage und
den Nachbarschaftsbeziehungen der Tumoren abhängig zu sein. Spinale und
Thalamustumoren ebenso wie hypothalamo-chiasmatische Tumoren weisen vergleichbare Responseraten auf im Hinblick auf Wachstumsstabilisierung und Verzögerung der Radiotheapie. Jedoch fehlen auch hierzu prospektive Langzeituntersuchungen.
Begleittherapien
Der Einsatz von Dexamethason ist perioperativ und bei Auftreten von Hirndrucksymptomen unter Strahlentherapie notwendig. Während Phasen der Tumorprogression kann zur Behandlung eines peritumoralen Ödems gelegentlich auch
längerfristig nicht auf Kortikosteroide verzichtet werden.
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J 4.6 Prognose
In Abhängigkeit von Histologie, Tumorlokalisation und Resektionsgrad sowie der
durchgeführten Therapie unterscheidet sich die Prognose der Gliome niedrigen
Malignitätsgrades erheblich, wobei nahezu alle vorgelegten Studien ausgewählte Kollektive retrospektiv beschreiben.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass nicht vollständig resezierte Tumoren
auch noch nach über fünf bis zehn Jahren und später in Phasen der Progredienz
übergehen können und Nachbeobachtungszeiten von 20–25 Jahren vor einer
abschließenden Beurteilung erforderlich sind.
Ungeklärt sind gegenwärtig die entscheidenden Prognosefaktoren, die das biologische Verhalten der Tumoren steuern.
Die Überlebensprognose ist für den größten Teil der Gliome niedrigen Malignitätsgrades als sehr gut anzusehen. Für 1038 Kinder, die im Deutschen Kinderkrebsregister zwischen 1980 und 1998 mit Grad I–II Astrocytomen registriert
wurden, lag die Zehnjahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bei 78%.
Für niedrigmaligne Astrocytome der zerebralen Hemisphären und des Zerebellums werden Langzeitüberlebensraten nach vollständiger Resektion bis 100%
angegeben, während Überlebensraten für Chiasmatumoren mit dorsaler Extension nach zehn Jahren bei 76% und für Thalamustumoren nach vier Jahren nur
bei 52% (2) liegen.
Zukünftige Entwicklungen
1. Es ist zu prüfen, ob intensivere Chemotherapien zu höheren objektiven Responseraten führen und ob dadurch die Zeit bis zur Progression bei nicht oder
nur teilresezierten Tumoren verlängert wird.
2. Bei bislang uneinheitl
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