Pruefungsunterlagen Differentielle KHL–Borderline Stoerung SS08

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DIFFERENZIELLE KRANKHEITSLEHRE
Einführung in die Borderline-Störung
Grenzstörung – sie wurde definiert, um eine Grenze zwischen Neurose und Psychose zu
beschreiben, wie es Kernberg postuliert. Stern verwendete erstmals 1938 „Borderline“ als
nosologischen Begriff.
Aus der geschichtlichen Entwicklung dieser Diagnose heraus, lassen sich vier Strömungen
ableiten (vgl. auch dazu Sabine Herpetz und Henning Saß in „Handbuch der
Borderlinestörungen“ Kernberg, Dulz, Sachsse 2001 S 115-123)
1. Eine Einordnung dieses Störungsbildes zu den Schizophrenen Erkrankungen:
Kraepelin versuchte im Zuge seiner Klassifikation ein Störungsbild der auffälligen
Persönlichkeit in der Dementia simplex unterzubringen. Einige der Symptome finden
wir verankert in der von Bleuler (1911) beschriebenen latenten Schizophrenie.
2. Eine Einordnung dieses Störungsbildes zu den affektiven Störungen.
3. Eine Einordnung dieses Störungsbildes zu den Impulskontrollstörungen.
4. Eine Einordnung dieses Störungsbildes zu den Posttraumatischen
Belastungsstörungen.
Einige der Fallgeschichten von Sigmund Freud werden diagnostisch in die Richtung von
Borderline Störungen gedeutet. (siehe: „Der Wolfsmann“ , Christa Rhode-Dachser, Seite 8;
Wolberg, A.R.: „The borderline patient“. New York; Intercontinental Medical Book
Corporation, 1973; oder: „Anna O.“ in „Band 1 der Psychoanalyse“, Mertens)
Hier stellt sich natürlich die Frage der Behandlungstechnik. Die meisten Autoren (Christa
Rohde-Dachser, Kernberg, …) gehen davon aus, dass Menschen mit dieser Diagnose der
klassischen Psychoanalyse nur sehr schwer zugänglich sind. Die derzeitigen
Behandlungsmanuale, wie sie von Kernberg und Linnehan vertreten werden, haben sich vom
klassischen Behandlungsbild der Psychoanalyse in der Couchsituation sehr weit entfernt. Das
1
Konzept von Linehann beruht auf VT-Regeln, während jenes von Kernberg auf eine
strukturelle Veränderung des Patienten abzielt und aus der Tradition der
Objektbeziehungstheorien stammt.
Ziel dieser Klassifikation:
Die Borderlinestörung zählt zu den Persönlichkeitsstörungen und ist diejenige von ihnen, die
in den letzten Jahrzehnten am Besten erforscht wurde.
Im klinischen Alltag wird diese Diagnose in zweierlei Hinsicht verwendet:
1. um damit auf die Persönlichkeitsstruktur des Patienten zu verweisen und
2. zweitens, um die Vielschichtigkeit seiner Probleme fassbar zu machen.
Meist wird auch eine gewisse Hilflosigkeit mit dieser Diagnose verbunden. Mit der
medikamentösen Behandlung lassen sich derzeit noch immer keine großen Erfolge erzielen.
Dies ruft auf versorgenden Psychiatrischen Stationen bei dem klassisch medizinisch
ausgerichteten Personal eine gewisse Ratlosigkeit hervor und löst damit eine Kränkung in den
Behandlern aus.
Zwei Möglichkeiten der Konfliktbewältigung:
1. die Diagnose auf der Persönlichkeitsebene zu stellen
2. auf der beschriebenen Symptomatologie des Patienten zu diagnostizieren, wobei fast
immer die Diagnose der Depression gegeben wird. (Affektive Störung)
Die Borderlinepersönlichkeitsstörung, wie sie im DSM IV definiert wird, hat sich im
europäischen Raum nie durchgesetzt. Im ICD-10 finden wir die BorderlinePersönlichkeitsstörung eher in Richtung der Impulsivität beschrieben. Weiters fehlen im ICD10 die Beschreibung von dissoziativem und paranoidem Erleben. Es findet sich die
Unterscheidung in zwei Subtypen. Neben der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung gibt
es auch die Persönlichkeitsstörung mit mangelhafter Impulskontrolle. Zweitere betrifft eher
Männer und kommt weniger in Kliniken vor, als in Gefangenenhäusern. Die
Geschlechtsspezifität erscheint für diese diagnostische Unterscheidung fragwürdig.
Ich glaube aber, dass es aus verschiedenen Gründen sinnvoll ist, die Persönlichkeitsstörung
am Konzept vom DSM-IV und nach den Kriterien von Kernberg zu diagnostizieren, wobei
viele Kriterien im DSM-IV von Kernberg übernommen wurden. Eine weitere sehr gut
2
Darstellung, der ich mich gerne anschließen möchte, ist jene von Christa Rohde-Dachser:
„Das Borderline-Syndrom“ (6. korrigierte Auflage 2000)
Wenn man von einer Borderline-Störung spricht, meint man eine Persönlichkeitsstörung
(siehe ICD-10).
F60 – Persönlichkeitsstörungen:
Definition der Persönlichkeit:
Mit Persönlichkeit ist die Summe aller psychischen Eigenschaften und
Verhaltensbereitschaften gemeint, die dem Einzelnen seine eigentümliche, unverwechselbare
Individualität verleihen. Das Konstrukt Persönlichkeit bezieht im Einzelnen Merkmale des
Wahrnehmens, Denkens, Fühlens sowie der interpersonellen Beziehungsgestaltung mit ein.
Diagnostische Leitlinien:
•
Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und im Verhalten in mehreren
Funktionsbereichen wie Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen, Denken
sowie in den Beziehungen zu anderen.
•
Das abnorme Verhaltensmuster ist andauernd und nicht auf Episoden psychischer
Krankheit begrenzt.
•
Das abnorme Verhaltensmuster ist tiefgreifend und in vielen persönlichen und
sozialen Situationen eindeutig unpassend.
•
Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend und manifestieren sich
auf Dauer im Erwachsenenalter.
•
Die Störungen führen zu deutlichem, subjektivem Leiden (manchmal erst im späteren
Verlauf).
•
Die Störung ist meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen
Leistungsfähigkeit verbunden.
Klinische Erscheinungsbilder der Persönlichkeitsstörungen
1. Emotional instabil (Borderline)
2. Histrionisch
3. Paranoid
4. Schizoid
5. Dissozial
3
6. Ängstlich
7. Anankastisch (zwänglich)
Die Borderline-Theorie in einem psychoanalytischen Raster ist von Kernberg entwickelt
worden und stellt noch immer das gängigste Modell dar. Kernberg ist ehemaliger Professor
für Psychiatrie und Direktor des Instituts für Persönlichkeitsstörungen des New Yorker
Presbyterian Hospital.
Kernberg spricht über diese Erkrankung in seinen ersten Aufsätzen von einer Ich-Störung.
(Kernberg 1967). Er versuchte auf Grund von verschiedenen Symptomen zu definieren. Sein
bekanntestes Buch ist „Borderline Conditions and Pathological Narcissm“, New York 1975.
Kernberg beschreibt zunächst die Symptome vor dem Hintergrund einer Ich-Störung. Seiner
Meinung nach genügt es, wenn drei davon auftreten, damit der Verdacht einer
Borderlinestörung vorliegt.
Die Borderline-Störung definiert er als eine Erkrankung der Persönlichkeitsstruktur und nennt
sie Borderline Personality Organisation. Man kann natürlich diese Organisation nicht
beobachten. Daher gab es immer Kritik, sie sei keine sichere diagnostische Grundlage. Von
ihr ausgehend, muss man auf Borderline Personality Organisation von Kernberg
schlussfolgern.
Was ist eine Strukturelle Störung?
Als Struktur im psychischen Sinne, betrachten wir das gesamte Gefüge von innerseelischen
Dispositionen. Diese innere Struktur durchzieht unser gesamtes Leben und bestimmt damit
unsere regelmäßigen und wiederholbaren Verhaltensweisen. Sie dient somit zur
Aufrechterhaltung unseres psychischen Gleichgewichtes. (Rudolf et al 1995)
Von einer Störung sprechen wir dann, wenn gewisse Ich-Funktionen nicht vollständig in ihrer
stabilisierenden Funktion zur Verfügung stehen. Hier sprechen wir von einer
entwicklungsbedingten strukturellen Störung. Im Gegensatz dazu kann eine gewisse
Vulnerabilität bei Belastungen zu strukturellen Störungen führen. (Rüger, Ulrich)
4
Symptome nach Kernberg
Mindestens drei Symptome müssen vorhanden sein, um den Verdacht auf eine
Borderlinestörung zu äußern. Diese Symptome müssen zeigen, dass der Patient nicht in der
Lage ist, Konflikte, die sein Selbst bedrohen, mit bestimmten neurotischen Symptomen zu
bewältigen, sondern, dass er eine Vielzahl von Symptomen braucht, um diesen Konflikt
abzuwehren.
Unterscheidung zwischen Neurose und Borderlinestörung.
Kernberg und sein Team sind davon ausgegangen, dass man die Diagnose einer BorderlineErkrankung nicht in einem Anamnesegespräch stellen kann, da die Symptome wechseln. Es
ist wichtig zu beobachten, ob diese Symptome stabil bleiben, oder charakteristische
Fluktuation zeigen, wie wir sie eben bei dieser Störung beobachten können. Die Fluktuation
der Symptome ist ein wichtiges diagnostisches Kriterium der Diagnose „Borderlinestörung“.
Wie sich hier bereits abzeichnet, können Anamnesegespräche nur einen sehr unvollständigen
Teil abdecken, da ja nur das momentan vorherrschende Symptom diagnostiziert werden kann.
Es bedarf einer sehr genauen Beobachtung des Patienten und einer ausgereiften
Teamkommunikation, um diese Strukturen zu erkennen. Als ein wichtiges diagnostisches
Kriterium brauchen wir uns selber, damit wir jene verschiedenen Symptome am Patienten
beobachten, welche wir in unterschiedlichen Dynamiken und Situationen auslösen. Wir
verursachen unterschiedliche Konflikte im Patienten, die er auf unterschiedlichste Weise
lösen muss.
1. chronische, frei flottierende Angst
2. multiple Phobien
3. Hypochondrie
4. Zwangssymptome mit der Tendenz zur zwanghaften Umgestaltung
5. Ausgestanzte Wahnvorstellungen
6. Multiple oder bizarre Konversionssymptome
7. Dissoziative Reaktionen
8. Dämmerzustände
9. Depersonalisation
10. Derealisation
5
11. Veränderungen des Körperschemas
12. Depression (Diffuse Wut steht im Vordergrund)
13. Polimorph-perverse Sexualität
14. Episodischer Verlust der Impulskontrolle
15. Neigung zu sensitiver Verarbeitung
16. Neigung zu optischen Pseudohalluzinationen
17. Fortbestehen kindlicher Gespensterängste
18. Körperliche Selbstverletzungen (ohne suizidaler Absicht)
1.
Chronische, frei flottierende Angst:
Patienten sprechen immer wieder von massiven Ängsten, die sie keiner Situation zuordnen
können. Grundsätzlich können wir erkennen, dass die Angstschwelle erhöht liegt, die beim
Durchbrechen zur Instabilität der Impulskontrolle führen kann.
Diese Menschen benötigen sehr viel Energie, um diese Ängste unter Kontrolle und in Folge
ihre innere Struktur aufrecht halten zu können. Diese Ängste scheinen bewußtseinsnahe
Affekte zuzudecken. Wenn es zu Impulsdurchbrüchen kommt, scheint die Angst ihre Aufgabe
nicht mehr bewältigt zu haben und es kommt zu einem Strukturzusammenbruch.
Patientin schweigt immer wieder in den Sitzungen, nach einigen Minuten beginnt sie mich zu
entwerten und zu beschimpfen, sie springt auf und verlässt das Zimmer.
Im Moment der Aggression mir gegenüber war keine Angst mehr da, diese war nicht mehr
nötig, da dieser Impuls zum Durchbruch kam. In der nächsten Stunde hatte sie Schuldgefühle
und beschäftigte sich mit der Möglichkeit einer Bestrafung von meiner Seite aus.
Viele Autoren sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer Pan-Angst (Hoch u.
Polatin 1949, Hüloch u. Catell 1959, Springer-Kremser 1999). Die Unterscheidung zu
neurotischen Erkrankungen besteht in der chronischen Beständigkeit dieser Ängste, bzw.
dieser erhöhten Angstschwelle.
Der Patient fühlt sich diesen Ängsten sehr ausgeliefert: er kann sie nur sehr schwer an
Situationen binden, auch nicht ausweichen und hat das Gefühl, sich ständig im Feindesland zu
bewegen. Jederzeit könnte ein Angriff aufgrund eines Affektes erfolgen, der die innere
Schranke durchbricht und zu unkontrollierbaren Situationen führt.
6
Wenn ich genau weiß, wovor ich Angst habe, ist das eine Verbesserung gegenüber diffusen
Ängsten, die mich ständig bedrohen können und die ich nicht einordnen kann. Es gibt keine
Flucht vor diesen diffusen Ängsten.
Eine frei flottierende Angst bedeutet, dass es keine stabile Abwehr gibt, die mit Hilfe eines
Symptoms die Angst binden kann. Es sind mehr Ängste in der Seele vorhanden, als die
neurotischen Symptome binden können.
Diese Instabilität trifft auch auf die anderen Symptome zu. Es können keine stabilen
Symptome auf neurotischem Niveau gebildet werden. Es scheint die Angst vor jenen
Situationen, welche die Affekte mobilisieren können, zu groß zu sein.
Auf einem höheren Strukturniveau gelingt es dem Patienten eine dieser Ängste in Mutliple
Phobien umzuwandeln.
2.
Multiple Phobien:
Das heißt, dass ein entsprechender Patient nicht nur eine Phobie hat, wie z.B. vor Spinnen,
vor Schlangen, Tunneln, dem Fliegen oder ähnliches, sondern dass diese Ängste
nebeneinander bestehen, oder fluktuieren.
Eine Unterscheidung zur neurotischen Phobie scheint mir die Erklärung dafür zu sein, dass
nicht nur dann ein Hinweis auf eine, das neurotische Niveau übersteigende, Phobie vorliegt,
wenn der Patient in der bedrohlichen Situation seine Ängste entwickelt, sondern auch, wenn
diese bereits bei Gedanken und Vorstellungen an diese Situation auftreten. (Dickes 1974)
3.
Hypochondrie:
Dies ist eine weitere Möglichkeit Angst zu binden. Hypochondrie ist eine quälende Angst vor
der Verletzlichkeit des eigenen Körpers, zieht einen Teil der Libido auf den Körper. Die
Unterscheidung zur neurotischen Bindung liegt wieder in der Fluktuation. Hypochondrische
Ideen können zu Gunsten von anderen Symptomen wieder aufgelassen werden. Kernberg
siedelt die Hypochondrie auf einem „niedrigen“ Niveau der BorderlinePersönlichkeitsstörung an. (Kernberg-Dulz-Sachse 2001, S 51)
Hypochondrie erscheint mir als ein sehr unspezifisches Phänomen und bedarf einer genauen
Beschreibung der Vorstellung der eigenen Verletzlichkeit des Körpers. Nach meinen
7
Erfahrungen gibt es eine große Bandbreite zwischen neurotischen und psychotischen
Hypochondrischen Ängsten.
4.
Zwangssymptome
im Sinne von Symptomen, die vorübergehend immer wieder die Tendenz haben, sich
zwanghaft auszugestalten (Zwang wird bei Gefahr stärker), bis hin zu einer
Wahnsymptomatik. (Zwang und Wahn liegen sehr nahe)
Z.B.: die Gedanken werden immer drängender und können sich zu einer Gewissheit aufbauen.
Kurt Schneider sprach in diesem Zusammenhang von einer Wahngewissheit.
Aus den Zwangssymptomen wird aber auch kein dauerhafter Wahn, weil der Patient in dem
Moment, in dem die schwierige innere Situation, aus der heraus er möglicherweise den Wahn
entwickelt hat, nach lässt, wieder auf das Zwangssymptom zurückkehrt. D.h.: auch die
Realitätsprüfung ist nach einiger Zeit wieder da. Meist vergessen die Patienten diese
Situation, in der sie diese Vorstellungen entwickelten, oder reagieren beschämt auf jene
Gedanken, die sie damals entwickelt haben.
5.
Ausgestanzte Wahnvorstellungen:
sind deswegen nur sehr kurz auftretend. Der Patient organisiert niemals seinen Lebensinhalt
um den Wahn. Der Wahn ist an die auftretende Angst gebunden. Die Wahnvorstellungen
werden aufgegeben, sobald die Angst wieder die Ich-Stabilität übernehmen kann. Es tritt
dadurch nie ein systematisierter Wahn auf und dies ist ein wichtiges Differentialdiagnostikum
zur Psychose.
Kernberg verwendet diese Fähigkeit des Patienten zur Wahnauflösung in seinen Therapien. Er
weißt den Patienten auf die „inkompatiblen Realitäten“ hin. Dies funktioniert nur bei einer
positiven Übertragungssituation, da sonst der Patient den Therapeuten als Lügner erlebt, da er
„seine Umwelt feindlich“ deutet.
(Kernberg-Dulz-Sachse 2001, S. 458)
6.
Multiple oder bizarre Konversionssymptome
Kernberg hebt besonders die chronifizierten bizarren Konversionen hervor, die für eine
Borderlein-Störung sprechen. (Kernberg, 1978, S.27) Vermutlich meint er auch bizarre Tics.
8
Spannender zu diesem Konversationssymptom scheint mir die Frage des Zeitlichen so wie des
kulturellen Kontextes zu sein. Zu Zeiten Freuds war die Konversationshysterie eine sehr
gängige Diagnose. Von Untersuchungen aus Indien wissen wir, das Konversionen einen
großen Teil der Psychiatrischen Patienten ausmacht. (Nandi, Bznerjee et al 1992) Meine
klinischen Erfahrungen mit Konversionen erstrecken sich auf Patienten aus dem vorderen
Orient. Eine mögliche Hypothese besteht in der repressiven Haltung von traditionellen
Strukturen. (Murphy 1982)
D.h. natürlich umgekehrt, dass in solchen Gesellschaften impulsive Störungen sehr selten
auftreten. Speziell in Japan finden wir keine Borderline-Störungen. (Sato u. Takeichi 1993)
Grundsätzlich findet sich eine Unterscheidung der Häufigkeit zwischen ländlichen und
städtischen Gebieten. Millon und Paris erklären das mit der Repression von Emotionen in
ländlichen Strukturen. (Millon 1993, Paris 1996b) Deshalb kommt es zu einer Zunahme
dieser Erkrankungen in städtischen Gebieten. Es wirft sich natürlich die Frage auf, wandern
solche Menschen, die vermutlich Probleme mit der Integration haben, nicht in städtische
Gebiete ab, wo sie aber mit noch größren Veränderungen und die damit verbundenen Ängsten
konfrontiert werden und damit erst recht zu einem Aufblühen ihrer Symptome kommt. Hier
geht es bei diesen Untersuchen um Länder, in denen diese Abwanderung direkt in die Slams
der Großstädte führt.
Jedenfalls scheinen sich hier noch viele Fragen im Hinblick der kulturellen Auswirkung auf
diese Diagnose aufzutun.
Beispiel:
Eine Patientin zog immer die Schultern während eines Gespräches hoch und blickte nach
hinten um zusehen, ob jemand hinter ihr steht, so als ob sie jederzeit befürchtete geschlagen
zu werden.
7.
Dissoziative Reaktionen
Die Patienten berichten öfters von Dämmerzuständen, in denen sie sich wie in Trance
befinden.
Ein Patient erzählte, dass er sich in Sitzungen, die er als fad wahrnahm, sich weg zu „beamen“
versuchte. Er verfiel in eine Art von Tagtraum.
Patienten können sich auch nicht erinnern was in solchen Sitzungen gesprochen wurde, es
herrscht eine Amnesie vor. Bei Gruppentherapien habe ich dieses Symptom sehr oft erlebt. Es
fällt beim Erzählen von solchen Geschichten auf, wie „cool“ und „abgebrüht“ manche
9
Patienten über gewisse Dinge berichten können. Sie berichten es, als ob sie es in einer
anderen Welt erlebt hätten und bei der Transformierung in diese Welt sei der Affekt dazu
verloren gegangen. Die Patienten können diese dissoziative Reaktion meist selber nicht
erkennen und auch nicht benennen.
8.
Derealisation
Derealisation wird beschrieben als eine Wand zwischen innen und außen. Die Patienten haben
den Eindruck, die Außenwelt habe sich verändert und sie hätten keinen Zugang mehr zu ihr.
Sie wissen aber, dass die Welt da ist und sie in ihr leben.
Der Patient muss zwischen sich und der Realität eine Grenze ziehen.
Ein Patient beschrieb es als ein Gefühl, wie in Watte gepackt zu sein. Er konnte meine Worte
hören, sie kamen aber nur sehr gedämpft an ihn heran. Er spürte dadurch auch keine Gefühle,
da die Worte in ihm nichts bewirkten. Es verunmöglichte ihm befriedigende Beziehungen zu
führen. Diese Problematik führte ihn zu mir in die Therapie, es war ihm nicht gelungen, mit
26 Jahren eine Beziehung zu einer Frau aufzunehmen.
9.
Depersonalisation
Der Patient beschreibt dieses Phänomen, als würde er sich selber bei seinem Tun und Handeln
zu sehen. Manchmal tritt es mit dem „Freezing“ auf. Frauen beschreiben dieses Phänomen oft
während einer Vergewaltigung. Sie stehen nebenbei und beobachten, was mit ihrem leblosen
Körper passiert.
Es gibt in diesem Moment für den Patienten zwei Welten. Er nimmt eine Außenposition ein,
die er wie eine Beobachtungsposition beschreibt. Es kommt zu einer Spaltung der Realität.
Depersonalisation und Derealisation sind wichtige Momente einer Borderline-Persönlichkeit
in Situationen, in der die übliche Abwehr nicht mehr ausreicht und zu psychotischen
Abwehrmechanismen gegriffen werden muss.
Depersonalisation heißt, dass ich mich selber nicht mehr wahrnehme. Patienten sagen dann
oft, sie hätten keine Gefühle mehr. „Ich kann nichts fühlen. Ich sehe wie von außerhalb, was
ich tue. Ich bin aber nicht mehr ich selber und ich habe keine Gefühle mehr“.
10
10.
Veränderung des Körperschemas
Der Patient hat plötzlich das Gefühl, dass bestimmte Körperteile nicht mehr zu ihm gehören.
Sie beschreiben auch manchmal, dass bestimmte Körperteile größer erlebt werden, als sie
tatsächlich sind. Diese Körpersensationen lösen im Patienten Ängste aus. Patienten haben
dadurch oft die Angst, „verrückt zu werden“.
11.
Depression (Diffuse Wut steht im Vordergrund)
Wenn Patienten depressive Symptome schildern, ist immer eine Wut im Hintergrund. Diese
Wut kann auf der sprachlichen Ebene nicht diagnostiziert werden. Auf der kommunikativen
Ebene kann man diese Wut nur durch das innere weitere Ausformulieren der Sätze des
Patienten erkennen. Hier sehen wir bereits das Phänomen der „Projektiven Identifizierung“.
Es fällt schwer, sich nicht wegen dieser Wut im Gespräch zurück zuziehen. Einerseits richten
sie diese Wut nach außen, andererseits aber klagen sie sich auch gleichzeitig für ihr erlittenes
Schicksal an. Im Gespräch werden wir bereits als guter Retter, der auf der Seite des Patienten
steht oder ebenfalls zu den Verfolgern gerechnet. Wir haben in diesem Moment keine andere
Identifikationsmöglichkeit. Wenn der Patient seine Klagen gegen die Gesellschaft mit viel
Aggression verbindet, wird die Verführung und Identifikation zum Retter bereits gut
vorbereitet. Es ist nun sehr schwierig, sich mit der dem Patienten vermittelnden
Eigenverantwortung als Behandler zu identifizieren.
Viele Diagnostiker bleiben auf der deskriptiven Ebene behaften, verschieben die Wut des
Patienten auf die gesellschaftlichen und familiären Faktoren und behandeln die depressiven
Symptome.
Die Patienten pendeln permanent zwischen Innen- und Außengrenzen hin und her.
Sie vermitteln in diesen Schilderungen ein sehr ambivalentes Bild ihrer Empfindungen. Man
kann hier die Brüchigkeit zwischen den Innen- und Außengrenzen erkennen. Viele dieser
Patienten werden daraufhin im klinischen Alltag mit Antidepressiva behandelt. Ich bezweifle,
dass diese medikamentöse Behandlung für die Patienten hilfreich ist. Vermutlich kann es auch
die Grenzen der Ich-Stabilität zum Psychotischen gefährden.
Kernberg unterscheidet noch eine weitere Facette in der Übertragung zum Therapeuten,
nämlich die der schizoiden Depression. Hier schildern die Patienten das Phänomen innerer
11
Leere, die Unmöglichkeit zur Bildung von Beziehungen und die Sinnlosigkeit des Lebens. In
der Begegnung spürt man als Therapeut dieselbe Entfremdung zum Patienten hin, die sie eben
noch geschildert haben. (Kernberg, Otto; „Borderline Störungen und pathologischer
Narzissmus“, Suhrkamp Taschenbuch Erste Auflage 1983, S.247f)
12.
Polimorph-perverse Sexualität und Paraphilie:
Im klinischem Bereich wird über die Sexualität der Patienten eher selten diskutiert
Es handelt sich hier weniger um Funktionsstörungen wie in der Perversion beschrieben, als
um den Umgang mit dem Sexualobjekt. Perversion definiert in der Regel eine Sexualität, die
meist nicht reibungslos funktioniert.
Auf der Übertragungsebene besteht eine Tendenz auch hier den Therapeuten bzw. das
Stationspersonal als befriedigende aber auch versagende Sexualobjekte zu gewinnen, eben im
Sinne einer Borderlinestruktur.
Bei dieser Definition muss auch der eigene Körper als Sexualobjekt miteinbezogen werden.
Es stellt sich hier die Überlegung inwieweit es durch eine Zersplitterung des Selbst zu einer
Abspaltung der Sexualität bzw. Fremdheit der eigenen Sexualorgane führt.
Ein Patient hat zum Beispiel das Verlangen sich hintereinander auf verschiedene Weise
homo- und heterosexuell zu befriedigen. Eine Patientin berichtete davon, dass sie plötzlich
während des Eindringens des Penis in ihre Scheide von Ekelgefühlen gegenüber dem Mann
befallen wurde und sie große Sehnsucht nach homosexueller Betätigung bekam. Sie würde
viel lieber mit einer Frau Sex haben. Obwohl sie bis zu diesem Zeitpunkt große Befriedigung
an der Verführung des Mannes hatte und auch daran, mit ihm Sex zu haben. Hier sehen wir
bereits die Verknüpfung mit massiven aggressiven Impulsen.
Eine Patientin fantasierte, dass sie meinen Penis besitzt und sich mit diesem befriedigen
würde. Sie zerstückelte mich in ihrer Vorstellung und nahm sich von mir im Moment den
Teil, den sie zur Befriedigung benötigte. Als die Therapie durch einen Urlaub von mir
unterbrochen wurde, fuhr die Patienten ebenfalls auf Urlaub. Durch einen Konflikt mit einer
Freundin rannte die Patienten mit dem Küchenmesser in den Keller und führte sich dieses
Messer in die Scheide ein, so als wäre es mein Penis.
12
13.
Neigung zu sensitiver Verarbeitung oder übertriebenem Argwohn:
Patienten haben immer wieder das Gefühl, dass andere Menschen ihnen Übles wollen. Die
Angst wird nach außen auf eine verfolgende Situation verlagert. Mit Hilfe der Projektiven
Identifizierung werden die Menschen in der Umgebung zu realen Verfolgern. Der Patient
bekommt dadurch wieder die Bestätigung seines Argwohns gegenüber der Umwelt. Dieser
Argwohn wird natürlich auch in der Therapie dem Therapeuten gegenüber gebracht. Um
dieser die Beziehung zerstörenden Angst auszuweichen wird der Therapeut bzw. eine
Teilobjektbeziehung (M. Klein 1946/ 1992) zu ihm ihn aufgebaut und als Partner gegen die
„böse Umwelt“ gesehen. Auf der nicht sprachlichen Eben hat der Therapeut die Möglichkeit
sich zur „bösen Umwelt“ zählen zu lassen und verfolgt zu werden.
14.
Neigung zu optischen Pseudohalluzinationen
Darunter verstehen wir bildhafte Erlebnisse oder sehr plastische Vorstellungen, wobei die
Überstiegsfähigkeit erhalten bleibt. Der Patient erkennt immer den Trugcharakter.
(Wörterbuch der Psychotherapie, Werner Brosch S. 269)
Dulz betrachtet diese optischen Halluzinationen als den symbolhaften Ausdruck der erlittenen
Traumatas. (Dulz, B./ Schneider A.; 1996, „Borderline-Störung Theorie und Therapie“,
Schattauer Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, S. 25)
Er differenziert bezüglich des halluzinatorischen Inhaltes zwischen sexuellem Missbrauch und
körperlicher Misshandlung. (Dulz, Handbuch der der Borderline - Störungen S. 71)
15.
Fortbestehen kindlicher Gespensterängste
Sie führen im Klinik Betrieb immer wieder zu massiven Konflikten. Die Patienten möchten
die Beleuchtung auf Grund ihrer Ängste nicht ausschalten. Da sich in Kliniken meistens
Mehrbettzimmer befinden, kommt es zu massiven Konflikten mit dem Pflegepersonal. Diese
Ängste sind auch ein Zeichen dafür, dass eine erwachsene Abwehr nicht funktioniert und man
daher auf etwas zurückgreifen muss; speziell in konflikthaften Situationen, in denen man sich
als Kind gegen innere Eindrücke, die man mit dem Ich als nicht kompatibel empfunden hat,
gewehrt hat. (siehe Christa Rohde-Dachser VO)
13
Wir finden dieselben Dialoge bei kleinen Kindern, die die Mutter auffordern das Licht im
Kinderzimmer nicht abzudrehen. Ein ähnliches Phänomen beobachten wir auch im
geriatrischen Bereich bei sehr regressiven Patienten, wo die Bedrohung meist sexueller Natur
ist.
Häufig existiert die Angst alleine in einem Zimmer zu sein bedeute, dass sich noch etwas
Gefährliches im Raum befindet. Manchmal ist es die Vorstellung, ein Mann ist im Zimmer
oder ein Gespenst steht in der Ecke.
16.
Körperliche Selbstverletzungen (ohne suizidaler Absicht)
Dies betrachten wir im klinischen Bereich als wichtigstes diagnostisches Kriterium.
Ich möchte die Beschreibung von Scharfetter verwenden. Er definiert die Automutilation als
eine selbst zugefügte und eigenaktive, direkte, zielgerichtete- ob bewusst oder unbewusst –
oder als Automatismus ablaufende Schädigung und Deformation des eigenen Körpers, welche
kulturell nicht sanktioniert und nicht direkt lebensbedrohlich ist. (wo?)
Ich möchte nicht ausschließen, dass es auch hier zu Todesfällen kommen kann im Sinne eines
„Unfalls“. (z.B.: der Patient verblutete, da er zu spät behandelt wurde)
Favazza und Conterio (1989) befragten 240 Frauen zu ihrer Art der Selbstverletzung. Die
Häufigste Form der Selbstverletzung besteht im Schneiden (72%), gefolgt vom Verbrennen
(35%), sich selbst schlagen (30%), Verhinderung der Wundheilung (22%), Haare ausreißen
(10%) .
Diese Angaben stimmen mit meinen Erfahrungen im klinischen Bereich überein. Meist
werden spitze Gegenstände wie Rasierklingen, Scheren, ... verwendet um sich
Hautverletzungen zufügen zu können. Der Schweregrad der Verletzung ist im Gegensatz zur
Art sehr variabel. Das Brennen erfolgt meistens mit Zigaretten die an den Unterarmen
ausgedämpft werden.
Es gibt dieses Symptom natürlich bei den verschiedensten Erkrankungen. Wobei z.B. bei
Psychosen nicht die Selbstverletzung im Vordergrund steht, sondern massive
Verstümmelungen. Eine 20-jährige Patientin versuchte sich vor dem Spiegel ihr linkes Auge
heraus zu operieren, da sie davon überzeugt war, dass sich dahinter ein eingebauter Sender
befindet.
14
Auf der anderen Seite finden wir natürlich selbstverletzendes Verhalten in vielen Kulturen. Im
westlichen Raum finden wir die Tätowierung, Piercing, Ohrringe, …usw. Viele
Jugendgruppen sehen das als Zugehörigkeitsmerkmal. Die Interpretation von
selbstverletzendem Verhalten unterliegt einer örtlichen- zeitlichen Achse.
Die meisten Patienten berichten, dass dem selbstverletztenden Verhalten eine massive innere
Leere voranging. Öfters können wir auch belastende Situation erkennen die sich vorher
abgespielt haben. Diese innere Leere scheint in gefühlsbetonten Momenten aufzubrechen und
ein massives Angstgefühl vor dem Überfluten tödlicher Gefühlen scheint in diesem Moment
da zu sein. Danach setzt immer eine Entspannung ein. Weiters berichten die Patienten auch,
dass sie etwas „Böses“ aus sich heraus lassen mussten. Dieses „Böse“ wäre in diesem
Moment etwas sehr fremdes, was keine andere Abfuhr duldet als es aus sich heraus zulassen
in dem z.B. Blut über die Unterarme auf den Boden fließt, wie es viele Patienten beschreiben.
Ulrich Sachse bietet im Handbuch der Borderlinestörungen S. 360ff mehrere
Erklärungsmodelle an:
1. Selbstverletzendes Verhalten als globales Druckventil und Tranquilizer
2. Selbstverletzendes Verhalten als Antidepressivum und Antidysphorikum
3. Selbstverletzendes Verhalten als fokaler Suizid und Suizidprophylaxe
4. Selbstverletzendes Verhalten als Autoaggression und Selbstbestrafung
5. Selbstverletzendes Verhalten als narzisstisches Regulans und Anteil der eigenen Identität.
Kernberg verweist hier auf Patienten die durch ihre Verletzungen, die sie sich selber
zufügen, eine Allmachtsphantasie erleben. Meine Erfahrungen können diese Vorstellung nur
herausstreichen. Speziell im Umgang mit Suchtsubstanzen schildern die Patienten ihre
Substanzeinnahme und die damit verbundene Menge auf der Wortebene als etwas
verdammenswertes aber im mimischen Gesichtsausdruck spiegelt sich etwas heldenhaftes
wieder. Ihr geschilderter Inhalt stimmt selten mit meiner Empfindung als Therapeut überein.
15
6. Selbstverletzendes Verhalten als neurotische Kompromissbildung:
Aufmerksamkeit auf die Verletzung lenken und damit die wahre Traumatisierung
verbergen, die eben nach oben drängt.
7. Selbstverletzendes Verhalten als Antidissoziativum:
Hier geht es um dem Versuch, Gefühlen von Depersonalisation und Derealisation
entgegen zu wirken.
8. Selbstverletzendes Verhalten als Mittel gegen Impulskontrollverlust
9. Hyperarousal
Weiters erwähnt Sachse auch die Interpersonelle Funktion der Selbstverletzung:
1. Selbstverletzendes Verhalten als averbaler Appell.
2. Selbstverletzendes Verhalten als Möglichkeit, das intrapsychische Dilemma mittels
projektiver Identifizierung interpersonell zu inszenieren.
3. Selbstverletzendes Verhalten als Flucht vor sozialer Überforderung.
Z.B. Schneiden am Arm, Brennen mit Zigaretten,...
Mit diesen Schnitten will sich der Patient lebendig fühlen, zu bluten, sich selber zu
bestrafen, einen Innenreiz abwehren usw.
Es kommt noch hinzu, dass Patienten in Situationen, in denen sie sich innerlich schwer
belastet fühlen, für kurze Zeit eine psychotische Episode haben (Minipsychose).
Christa Rohde-Dachser zitiert die Punkte von Ganderson: (Das Borderline-Syndrom, S. 51)
1. Auslösung durch äußere Stressbedingungen
2. Reversibilität
3. Flüchtigkeit
4. Ich-Dystonizität
5. Mangelnde Systematisierung
Diese dauert einige Stunden bis maximal zwei Tage. Wenn der Konflikt zurückgeht, ist
danach die Überstiegsfähigkeit wieder voll gegeben.
16
Auslöser: äußere Stressbedingungen und eine mangelnde Systematisierung, (Wahnsystem)
In der Psychotherapeutischen Situation erleben wir oft das Auftreten einer Mini-Psychose.
Wenn ein zentraler Konflikt in den Fokus der Behandlung kommt, können dadurch
psychotische Symptome auftreten. Wenn wir es schaffen den Konflikt durch gezielte
Interventionen zu entschärfen, so verschwinden auch diese Symptome.
MINDESTENS DREI Symptome müssen diagnostiziert werden, um den Verdacht einer
Borderline - Erkrankung aussprechen zu können. (Kernberg)
Diese Symptome deuten auf eine Ich-Störung hin.
Diese Ich-Störung kann man unter anderem auch durch eine charakteristische
Abwehrschwäche beschreiben;
und parallel dazu durch eine bestimmte Form der Objektbeziehung, in denen die
Abwehrfunktion der Spaltung im Vordergrund steht.
Abwehrfunktionen
Abwehrmechanismen sind komplexe psychische Phänomene, die das Ich bei der Anpassung
an die Wirklichkeit unterstützen. Anna Freud hat 1936 ihr Werk „Das Ich und die
Abwehrmechanismen“ veröffentlicht, in dem sie begonnen hat eine Systematik für diese
Phänomene zu erstellen. Paulina Kernberg (Aktuelle Perspektiven über Abwehrmechanismen .
In Bulletin der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Heft 1, 1992) wendet den Begriff der
Abwehrmechanismen auf die gesamte Interaktion von inneren und äußeren Mechanismen an.
Sie unterscheidet 4 Gruppen von Abwehrmechanismen. (normale, neurotische, borderline,
psychotische)
-
Spaltung
-
Projektion
-
Projektive Identifizierung
-
Verleugnung
-
Omnipotenz Phantasien
17
-
Verdecken
-
Externalisierung
-
Ich-Regression
Für Borderline-Patienten hat Kernberg die Idee der Spaltung in den Vordergrund gestellt.
Rohde-Dachser sieht die Spaltung als vorrangigen Abwehrmechanismus beider
Borderlineerkrankungen, dem sich die anderen Abwehrmechanismen unterordnen.
Definition aus „Bausteine der Psychoanalyse“, Peter Schuster, Marianne Sprimger-Kremser,
WUV Studienbücher, S. 61:
... Psychischer Vorgang, der auch zu Abwehrzwecken Verwendung findet, durch den Selbstund Objektrepräsentanzen, die durch spezifische Affektdispositionen miteinander verknüpft
sind, von anderen Selbst- und Objektrepräsentanzen, die durch konträre Affektdispositionen
miteinander verbunden sind, getrennt gehalten werden.
Die daraus resultierenden Vorstellungen von einem selbst und anderen erinnern stark an die
Schwarz-Weiß-Malerei der Märchen. Beziehungen werden erlebt als Beziehungen, die von
entweder nur positiven oder nur negativen Gefühlsqualitäten beherrscht werden. Menschen
sind entweder gut oder böse und werden oft nur in einzelnen Aspekten wahrgenommen
(Teilobjektbeziehungen). Der Spaltung wird oft eine ebenso große Bedeutung zugemessen
wie der Verdrängung. Wird die Spaltung als zentraler Organisationskern von
Abwehrstrukturen nicht durch die Fähigkeit zur Verdrängung ersetzt, hat dies eine schwere
Persönlichkeitsstörung zur Folge: Spaltung allein genügt den Abwehrzwecken meist nicht.
Jürgen Kind stellt die Frage ob Spaltung ein Vorgang oder ein Ergebnis ist. (Handbuch der
Borderline-Störungen S. 40f)
Er verweist auf Freud, der die Spaltung nicht als aktiven Vorgang darstellt, sondern ihn als
Ergebnis eines Vorgangs aus dem Zusammenwirken von verschiedenen Abwehrmechanismen
betrachtet. Jürgen Kind vertritt die Ansicht, das wir die Spaltung neu definieren sollten und
sie eher als Ergebnis von unterschiedlichen Abwehrmechanismen betrachten sollten wie
Verleugnung, Projektion, Introjektion, Entwertung, Idealisierung, Projektive Identifizierung,
Omnipotenzphantasien usw.
Er sieht es im Ich als eine hohe Leistung verankert, wenn es mit Hilfe dieser
Abwehrmechanismen das Phänomen der Spaltung erzeugen kann. Mit dieser Überlegung
stellt er damit das Primitive Ich in dieser Entwicklungsform in Frage. Er plädiert für eine neue
18
Deutung des Spaltungsbegriffes und eine neue Bedeutung der anderen Abwehrmechanismen
für die Borderlinestörung.
Damit stellt er auch die Spaltung als Entwicklungsstufe in Frage.
Ich finde seine Überlegungen nicht unbedeutend und sie sollten doch zu einer Neubewertung
und Weiterentwicklung verschiedener Abwehrmechanismen, die mit der
Borderlineerkrankung verbunden werden, führen. Derzeit scheint mir die Überwertigkeit der
Spaltung in diesem Krankheitsbild zu einer Einengung der Überlegungen zu führen.
Wie funktioniert dieser Abwehrmechanismus? Hier noch einmal eine Zusammenfassung wie
es von Christa Rhode-Dachser und Kernberg vertreten wird:
Wenn man sich neben dem klassischen psychischen Apparat ein anderes Modell vorstellt,
welches in den Bereich der Objektbeziehungstheorie (Objekte = Umgang mit andere
Menschen) gehört, dann findet man eine Spaltung, die dazu führt, dass etwas als gut oder böse
wahrgenommen wird und es keine Zwischentöne gibt.
Als kleines Kind kann ich diese Spaltung anwenden. Wenn ich das, was ich im Leben als gut
erfahren habe und das was ich als schlecht erfahren habe, durch die Spaltung auseinander
halten muss. Es lässt sich nicht als integrativer Bestandteil im Ich verankern. Rhode-Dachser
und Kernberg betrachten es als normalen Entwicklungsschritt in der Kindheit.
Paulina Kernberge verwendete den Satz: Das Erlebnis wird in der Mitte geteilt; es existiert
neben dem „Ich“, ist jedoch von diesem gelöst.“ (P.Kernberg, 1992, S.14)
Spaltung heißt immer, dass man das Gute vom Schlechten trennt.
Eine Möglichkeit wäre, die Mutter als ganz gut und den Vater als ganz böse betrachten, oder
umgekehrt. Sie kommt in dieser Form sehr selten vor und wechselt von Situation zu Situation.
Meist betrifft es eine Person deren Anteile gespalten werden müssen. (Mutter oder Vater)
Nach Christa Rhode-Dachser kann eben Spaltung auf Dauer nicht alleine aufrecht erhalten
werden. Es benötigt noch andere Abwehrmechanismen um dieser Form der Angstabwehr
gerecht zu werden. Diese Abwehrformen unterstützen die „Reinigung“ des
Spaltungsmechanismus. Um die nachdrängenden Triebwünsche immer abwehren zu können
muß der entstandene innere Konflikt nach außen gewendet werden.
Deswegen gehört in der Regel die Projektion zur Spaltung.
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Wenn ich z.B. einen inneren Konflikt habe zwischen zwei sich widerstrebenden
Empfindungen so kann ich eine davon nach außen projizieren und dann im Außen verfolgen.
Die Verfolgung geschieht auf Basis von einem strengen Überich. Ich brauche meine
verpönten Triebe nicht in mir verfolgen, sondern habe die Möglichkeit sie im Anderen zu
bekämpfen. Mit Hilfe der Projektion entgehe ich der Depression. Wenn ich meinen Konflikt
in mir lasse, so wird meine Libido von dem Konflikt blockiert da es sich ja um zwei
widerstrebende Kräfte handelt.
Die Schwierigkeit bei der Behandlung von Menschen mit einer Borderlinestruktur besteht
darin, dass sie die Projektion als solche nicht erkennen, d.h. das sie keine Als-Ob Position
einnehmen können. Wir können zum Beispiel nicht sagen, das sie die selben Gefühle mir
gegenüber erleben wie sie sie immer ihrem Vater gegenüber erlebt haben. Diese
Abstraktionsfähigkeit scheint in diesem Moment des Gefühlsimpulses verloren zugehen.
Mit dieser Abwehr wirke ich meinen Schuldgefühlen entgegen und reduziere somit mein
Strafbedürfnis. Wenn der andere auch noch zornig reagiert über meine Projektion, so schaffe
ich es auch noch meine Bestrafung nach außen zu verlagern. (Masochismus –polymorphperverse Sexualität usw.)
Ich kann natürlich diese Projektion auch auf das Gute anwenden.
Wenn wir die Spaltung im Sinne von Rohde-Dachser und Kernberg betrachten so gehört eben
zur Spaltung, dass man etwas nach draußen projiziert, was mit dem Ich nicht kompatibel ist,
wobei in konflikthaften Situationen die Projektion in der Regel nicht so gut klappt, wie es bei
den Neurosen der Fall ist.
Wenn ich üblicherweise etwas los werden will, das in meine Selbstrepräsentanz nicht hinein
passt, gleichzeitig aber dem Bewußtsein so nahe ist, das ich es auf Dauer nicht verdrängen
kann, dann wäre natürlich eine Lösungsmöglichkeit es nach außen zu projizieren.
Beispiel: Fremdenfeindlichkeit, usw.
Damit diese Projektion auch funktioniert, muss die Grenze zwischen drinnen und draußen
stabil sein, damit es auch draußen platziert werden kann. Wenn diese Grenze nicht stabil ist,
ist das was draußen ist noch immer so nahe, dass ich mich hineinversetzen muss und Angst
haben muss, dass das was draußen ist, sich wieder auf mich zurück bewegt.
20
Freud verwendete den Begriff der Projektion in verschiedenen Bedeutungszusammenhängen.
Wichtig erscheint mir die Feststellung die er zur „projektiven Eifersucht“ trifft. Hier schreibt
er, ....wendet es (Subjekt) seine Aufmerksamkeit von seinem eigenen Unbewußten ab,
verschiebt sie auf das Unbewußte des anderen und kann dabei ebensoviel Scharfsinn im
Hinblick auf den anderen erreichen......... (Freud S., Über einige neurotische Mechanismen bei
Eifersucht, Paranoia und Homosexualität, 1922, G.W., XIII, S.195-198) Freud schreibt ja
auch, dass das Unbewußte des Analytikers auf das Unbewußte des Patienten trifft.
Die Projektion scheint ein wichtiger Mechanismus zu sein um das Unbewußte des Patienten
verstehen zu können. Jede Deutung ist eben auch eine Projektion von Seiten des Analytikers
auf den Patienten. Freud hat immer wieder auf den „normalen“ Charakter dieses
Mechanismus verwiesen, wie er ihm im Aberglauben, in der Mythologie und im Animismus
sah. (Freud S., Zur Psychopathologie des Alltagslebens, 1901, G.W. IV, S. 287-288)
Wir erlernen das Unbewußte am anderen verstehen in dem wir die Fähigkeit besitzen etwas
von uns hergeben zu können beziehungsweise etwas in uns aufnehmen können. In einem
katatonen Zustand können wir nichts hergeben, wir können in so einem Zustand vermutlich
auch wenig empfangen. Wir müssen die Stufe der Projektion erreicht haben in unserer
Entwicklung um vom Gegenüber ein Countaining erhalten zu können. Wir müssen die
Fähigkeit haben etwas hergeben zu können und das Subjekt muß als Projektionsfläche zur
Verfügung stehen. Wir müssen die Fähigkeit haben, etwas in uns eindringen lassen zu
können.
Bei Menschen mit fragilem Ich, wie wir es uns bei den Psychosen begegnet, erkennen wir,
das diese Fähigkeit nur mangelhaft vorherrscht. Es findet sich immer wieder eine
Patientengruppe, meist mit der Diagnose „chronisch paranoide Schizophrenie“ wo es bei
vielen Therapeuten bei der Gegenübertragung bzw. als Reaktion im Analytiker zu einer
Schläfrigkeit kommt.
Was macht uns so müde?
Hier scheint es sich um eine Form zu handeln, wo der Analytiker versucht für das Unbewußte
offen zu sein, wie eine Wachsplatte, wo zum erstenmal bei Tonaufnahmen sich die Nadel
hineinbohrt. Wenn keine Nadel kommt, kann nichts graphiert werden. Der Mechanismus zum
Lesen des Unbewussten bleibt offen, wir sind in diesem Moment nach außen gerichtet. Ohne
Gegenüber wird unser Unbewußtes, oder wie es Freud gesagt hat, der Mechanismus in
unserem Unbewußten nicht gefordert, er läuft heiß, wie eine Maschine an der keine Kraft
wirkt.
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Das wäre dann ein Abwehrmechanismus, den man nicht mehr als Projektion bezeichnen
würde, sondern als projektive Identifizierung.
Melanie Klein führte 1946 diesen Begriff ein. Sie bezeichnete damit einen interpersonellen
Mechanismus, wo unbewusste Phantasien in das Objekt hinein projeziert werden und von
diesem als ihm fremde Gefühle wahrgenommen werden. Sie bezieht sich vorrangig auf
aggressive Gefühle, da es sich meist um sadistische Phantasien handelt die von Seiten des
Säuglings in die Mutter eindringen sollen. (M. Klein „Die Psychoanalyse des Kindes“ 1932)
Das, was draußen ist, der Feind, wird dann in der projektiven Identifizierung zum Verfolger.
Also ich muss mich vor dem Feind in Sicherheit bringen, weil das was draußen ist, nicht
wirklich von mir getrennt ist, sondern mich verfolgt und versucht, wieder in mich
einzudringen.
Wenn Patienten über Pflegepersonen sprechen, die sie als Verfolger erleben, so ist auffallend,
wie viel Zeit sie in diese Verfolgungsphantasien investieren. Hier ist die Angst und die damit
verbundene Wachsamkeit deutlich zu sehen. Diese Identifizierung kann sich auch geschlossen
auf das Krankenhauspersonal beziehen, während die Mitpatienten als gut erlebt und idealisiert
werden. Sie sind die Einzigen, die den Patienten verstehen.
Verleugnung:
Freud beschäftigte sich bereits 1894 mit dem Phänomen der Verleugnung. Später brachte er
die Verleugnung immer wieder mit der Ich-Spaltung in Verbindung. Er gibt somit die
Verleugnung in Richtung Psychotischer Abwehrmechanismen. Für Freud ist dieser
Abwehrmechanismus eben eine Abwendung von der Realität und kann in seiner stärksten
Ausprägung zu einer halluzinatorischen Psychose führen.
Ich muss, wenn ich die Realität nicht richtig sehe, bestimmte Folgen von Handlungen, mit
denen jeder andere rechnen würde, verleugnen. Ich sehe einfach nicht hin, weil ich sie
verleugne und tue so als ob die Folgen nicht existierten.
Konsumieren Patienten Rauschmittel im Zuge eines Aufenthaltes, verleugnen sie in diesem
Moment die Folgen und werden sehr wütend und abwertend gegenüber dem Personal. Es
wiederholt sich ihre Vorstellung von einer feindlichen Umwelt.
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Omnipotenz Phantasien (= Omnipotente Kontrolle) kommen auch noch dazu, die aber
wiederum Hand in Hand mit der Abwertung der Objekte gehen. „Ich bin alles, die anderen
sind nichts.“ Es ist insofern ein Abwehrmechanismus, weil man Menschen die man verachtet
nicht mehr hassen muss.
„Die Therapeuten sind alle deppert“, „Ich habe schon viele psychologische Bücher gelesen
und weiß deshalb, dass die alle nichts können.“
„Der Arzt würde mich ja nicht entlassen, wenn das Pflegepersonal nicht so gegen mich
eingestellt wäre. Der ist ja eh leiwand.“ (plus Neigung zur sensitiven Verarbeitung)
Verdecken betrifft ein bestimmtes Gefühl, von dem man glaubt es nicht aushalten zu
können, oder das in Bereiche führt, die sehr schmerzlich sind, die man aber auch nicht
verdrängen kann. Dieses Gefühl versucht man einfach dadurch zum Verschwinden zu
bringen, in dem man es durch ein anders überdeckt.
Es kann z.B. sein, dass jemand an Stelle der Angst, die sehr quälend ist, nur mehr Leere oder
Angst als Deckeffekt empfindet. D.h. man ängstigt sich in dem Moment, wo die Angst
aufgeben wird und sein Blick auf etwas fällt, das von der Angst zugedeckt, aber nicht
verdrängt wird. Es betrifft Situationen, in denen man ein bestimmtes Gefühl immer
aufrechterhalten muss, damit das, was darunter liegt, nicht zum Vorschein kommt.
Beispiel: Wenn ich Zahnschmerzen habe zwicke ich mich in die Hand und die
Zahnschmerzen werden von einem anderen Schmerz überlagert. Ähnlich funktioniert es auch
mit der Angst.
Frage: „Sind ihnen solche Situationen unangenehm? Ich erlebe, dass sie bei gewissen Themen
immer die Gruppe verlassen.“
Patient: „Das macht mir überhaupt nichts aus, ich finde diese Sitzungen fad (siehe Leere) und
sie bringen mir nichts.“
Mit der Externalisierung ist gemeint, dass Borderline-Patienten manchmal die äußere
Struktur benützen, um sich mit deren Hilfe entsprechend einzurichten und unauffällig
funktionieren zu können, solange die äußere Struktur aufrecht bleibt.
Wir beobachten auf der Abteilung manchmal ein „überangepasstes“ Verhalten. Manche
Patienten versuchen durch dieses Verhalten jeden äußeren Konflikt zu vermeiden, der dann
innerpsychisch zur Katastrophe führen könnte. Dieses Verhalten ist nur bei kurzzeitigen
Aufenthalten aufrecht zu erhalten.
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Ich-Regression ist ein wichtiger Begriff im Zusammenhang mit der Betrachtung von IchStörungen und der Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Es gibt eine Regression im Dienste des Ichs. (Einschlafen, usw.):
Regression im Dienste des Ichs können Situationen sein, in denen man etwas von dem, wie
man üblicherweise funktioniert, abstreift und in sehr gefühlshafte Zusammenhänge eintaucht,
um später wieder zu einem Ich zurück zu kehren, das nicht durch diese Regression bedroht
wurde. (bei Krankheit fühle ich mich klein und bedürftig).
ICH-REGRESSION:
Diese wird so beschrieben, dass in der Regression wichtige Funktionen mit hineingenommen
werden, die dann für die Beobachtung dieses Zustandes nicht mehr zur Verfügung stehen.
Wenn sich jemand z.B. ganz stark identifiziert mit Gespenstern aus der Kindheit oder mit
etwas anderem, das er im Zusammenhang mit seinen Symptomen erlebt bis hin zur
Selbstverstümmelung oder selbstschädigenden Verhalten, dann wird dieses Ich soweit
hineingezogen, dass man keine Kontrolle mehr über diese Situation empfindet. Das ganze
kann noch weiter gehen bis hin zu einem psychotischen Symptom. Es kann aber auch soweit
gehen, dass man andere Ich-Funktionen, die in gewissen Situationen ganz selbstverständlich
sind, in bestimmten Situationen nicht zur Verfügung hat. Dann reagiert der Patient mit Angst
darauf. Es kommt zu einer Veränderung der Denkfunktion. (sieht von außen wie ein
Gedankenabreißen aus)
Was bedeutet diese Form der Abwehr für die Objektbeziehung?
Wenn wir es mit Objektbeziehungen (Beziehungen zu anderen Menschen) zu tun haben und
die Spaltung die Funktion hat, dass ich mich (das Selbst) oder einen anderen (Objekt) anders
sehe als er real ist (so kann man Spaltung auch beschreiben), kann ich immer davon ausgehen,
dass jeder Mensch, also auch jeder von uns, im Lauf seiner kindlichen Entwicklung (aber
auch später wie Lehrer, Chef, ...) Erfahrungen mit der Umwelt (in erster Linie mit der Mutter
und anderen Objekten) gemacht hat und im Zuge dieser Erfahrungen innere
Objektrepräsentanzen aufgebaut hat.
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Objektrepräsentanz = es sind keine äußeren Objekte (Mutter, Vater, Lehrer, Partner,.....)
mehr, sondern ich nehme Erfahrungen, die ich gemacht habe, insofern in mich auf, dass sie
dann als innere Strukturen weiter existieren. Diese innere Struktur haftet sich an ein
entsprechendes Ereignis oder an die Struktur eines Ereignisses, in der immer die Vorstellung
eines Selbst vorhanden ist, oder aber auch die Vorstellung eines Objektes und ein Affekt
(Gefühl) vorhanden sind, die dann das Selbst (Ich) und das Objekt(wichtigste Bezugsperson)
miteinander verbindet.
Beispiel: ein kleines Kind, das von der Mutter immer in einer bestimmten Weise gestillt wird,
entwickelt auf diese Art eine Vorstellung, wie die Stillsituation ist. Es sind nicht alle
Stillsituationen, die jemals geschehen sind, internalisiert, sondern man würde sagen, der
Auszug von Invarianz aus einer Stillsituation, also das, was die verschiedenen Stillsituationen
miteinander verbindet (immer gleiche Elemente der Stillsituation).
Das wäre ein Auszug von Invarianz.
Eine solche strukturierte Stillsituation würde enthalten:
ein Selbst das saugt und das Gefühl hat, es wird gesättigt
ein Objekt das die Nahrung zur Verfügung stellt und das sich liebevoll diesem Selbst
zuwendet
den Affekt, der diese Stillsituation beherrscht.
Vom Kind aus gesehen, ist es wahrscheinlich ein vertrauensvoller Affekt der signalisiert, dass
man gesättigt wird und hoffen kann, dass die Situation immer wieder in der gleichen Weise
zur Verfügung stellt wird. Es ist ein angenehmes freudiges Gefühl, das gleichzeitig die
Bindung mit der Mutter stärkt. Mutter und Kind schauen sich in der Stillsituation ja häufig an.
Die Bindung zwischen Mutter und Kind wird gefestigt.
Es gibt andere Situationen, wo die Mutter böse ist und dem Kind signalisiert, dass es schlecht
ist wenn es nachts weint. Das ist eine ganz andere Vorstellung und hat mit der Stillsituation
überhaupt nichts zu tun. Sie beinhaltet in der Vorstellung des kleinen Kindes wahrscheinlich
ein ganz anderes Mutterbild, das mehr der Hexe ähnelt. Das Kind entwickelt dadurch ein
Selbst (eine Vorstellung von sich selber), das schlecht und böse ist und vielleicht dadurch ein
Gefühl von „vernichtet sein“ oder ähnlichem hervorruft.
So würden ganz verschiedene Internalisierte Objektrepräsentanzen, würde die
Psychoanalyse sagen, also internalisierte Strukturen äußerer Erfahrungen aussehen. Man
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würde nun im späteren und im erwachsenen Leben diese verschiedenen Erfahrungen (letzten
Endes nur die Struktur davon) nehmen und sie abwechselnd in Situationen, die man dann
entweder als ganz gut oder als ganz böse sieht, reaktivieren.
SELBSTOBJEKTBEZIEHUNG
Gutes Bezugssystem
Böses Bezugssystem
Spaltung
Beziehungsmuster des Borderlinetyp
Die Selbstobjektbeziehung ist der Bezug zu uns selber. Wir finden darin unsere „Großen“
Gefühle ebenso wie unsere Schuldgefühle usw.
Ein „gutes Bezugssystem“ = wo ein gutes Objekt zu einem guten Selbst in Beziehung steht
und eine positive Affekttönung hat. („ich fühle mich gut, mir geht es gut“)
Auf der anderen Seite, also jenseits der Spaltung, die hier dieses Selbst in zwei Hälften trennt,
kann man nicht sagen, dass es zwei Personen sind, aber man kann sagen, dass auch dieses
Selbst abwechselnd als gut oder böse wahrgenommen wird.
Auf der rechten Seite ist dann ein böses Bezugssystem mit einer negativen Tönung. („ich
fühle mich schlecht“, „ich fühle mich schuldig“, usw.)
Die fundamentale Angst, die in der Borderlinestruktur vorhanden ist, bewirkt diese
Spaltung. Es verhindert, dass die Spaltung aufgehoben wird und dann das gute und das böse
Bezugssystem zusammen kommen könnten und sich dann das Böse dabei als soviel stärker
erweist als das Gute. Das Böse würde das Gute überwältigen und der Patient sich dann in
einer Welt vorfinden, in der es nur mehr Hexen gibt.
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In jedem Märchen taucht irgendwo eine gute Gestalt auf, die ein Gegengewicht zur Hexe
darstellt; ob das jetzt die Mutter ist, die Königin oder eine gute Fee usw. Eine Welt in der es
nur böse Elemente gibt, ist eine Welt, in der man nur vergiftetes Futter findet, in der man sich
nicht nähren kann, in der es keinen Rückzug gibt vor diesen verfolgenden bösen Gestalten.
Aus diesem Grund muss diese Grenze (Spaltung) aufrecht gehalten werden.
Dies sind alles Beispiele dafür, dass die Spaltung letztlich garantiert, dass das Gute und das
Böse abwechselnd erlebt werden können. Man kann jetzt sagen, dass aus der Angst heraus,
das Aggressive könnte auf das Gute treffen, dieses dann vernichtet wird.
Man könnte es von einer anderen Warte aus auch so beschreiben: das gute Objekt muss unter
allen Umständen erhalten bleiben und die Vorstellung, dass es zu schwach ist, wenn die gute
und die böse Fee sich begegnen und kein dritter dabei wäre, der diesen Streit moderieren und
darauf schauen könnte, dass beide überleben würden.
Das ist der Hintergrund für diese Spaltung:
Diese Spaltung erleben wir auf der Station täglich. Manche Personen werden in gute Objekte
geteilt und manche in böse. Wenn wir diese Dynamik übernehmen, so spiegeln wir den
Kampf in und an uns wieder, wo die böse gegen die gute Fee rivalisiert. Kurzfristig entlasten
wir den Patienten, in dem wir seinen innerpsychischen Konflikt für ihn tragen. In dem es der
Patient meistens schafft, hinausgeschmissen zu werden (was er auch unbewusst bewirken
möchte), beweisen wir ihm, dass das Böse über das Gute siegt und er bekommt wieder eine
Bestätigung für die Aufrechterhaltung seiner Spaltung (Abwehr). Hier schließt sich der
Betreuungskreis und die innerpsychischen Konflikte des Patienten verschwinden wieder
hinter den verschiedenen Abwehrmechanismen.
Zusammenfassung:
Die Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung hat sich im Laufe der Geschichte durch
eine Annäherung der Psychiatrie und Psychoanalyse entwickelt. Das Wort Borderline hat
ursprünglich einen Grenzzustand zwischen Neurose und Psychose bedeutet, insbesondere
zwischen Neurose und Schizophrenie. Man hat lange Zeit die Grenzen nach allen Seiten hin
untersucht, hat eine Zeitlang auch überlegt, ob die Störung vielleicht eher in Richtung einer
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affektiven Psychose geht und die Grenze dort gezogen werden müsse um schließlich dann zu
einer Diagnose zu kommen, die sich in Richtung einer Persönlichkeitsstörung bewegt, wo
Grenzzustände zur Schizophrenie nur mehr vorrübergehend auftreten. Solche psychotischen
Zustände können auftreten, müssen aber nicht. (siehe Minipsychose)
DSM = Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen
Herausgeber: Amerikanische Psychiatrischen Assoziation und gilt neben dem
Klassifikationsverzeichnis (ICD 10) der World Health Organisation (WHO) als das Führende
Klassifikationsverzeichnis psychischer Erkrankungen.
DSM IV
Hier sind es nun bestimmte Persönlichkeitszüge - fünf von neun dieser Züge müssen
gegeben sein, damit man von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sprechen kann.
Wenn man die verschiedenen Auflagen des DSM vergleicht, kann man immer wieder einen
Wechsel zwischen der Rangordnung der Symptome beobachten.
Das erste Kriterium ist das am häufigsten auftretende und weist am eindeutigsten auf eine
Borderline-Diagnose hin.
Die anderen nehmen dann in ihrer Bedeutung ab. Was zum Beispiel im DSM III als achtes
Kriterium steht (verzweifeltes Bemühen, Alleinsein zu vermeiden, ein Alleinsein das ganz
real sein kann aber auch nur imaginär), steht im DSM IV an erster Stelle.
An zweiter Stelle werden erst die Objektbeziehungen beschrieben.
KRITERIEN DSM IV
Borderline Persönlichkeitsstörung 1994, S. 739
Die Kriterien 5 aus 9
(1) verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden.
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Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt,
die in Kriterium 5 enthalten sind.
(2) Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch
einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
(3) Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der
Selbstwahrnehmung.
(4) Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben,
Sexualität, Substanzmißbrauch, rücksichtsloses Fahren, "Fressanfälle")
Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt,
die in Kriterium 5 enthalten sind.
(5) Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder
Selbstverletzungsverhalten.
(6) Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z. B.
hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen
gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).
(7) Chronische Gefühle von Leere.
(8) Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren, (z. B.
häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).
(9) Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere
dissoziative Symptome.
Wir sprechen hier von einer Persönlichkeitsdiagnose – d.h. dass die Persönlichkeit
entwickelt sein muss, bevor man sie diagnostiziert.
Bei Kindern und Jugendlichen kann diese Art der Diagnose nicht gestellt werden. Man spricht
bis zum 18 Lebensjahr eher von einer Anpassungsstörung oder einer verlängerten
Adoleszenzkrise, weil man einfach nicht beurteilen kann, wie lange ein Patient vielleicht
braucht, um sich in diesem Leben, was ja nicht immer ganz so einfach ist, als Erwachsener
zurecht zu finden.
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LITERATUR
Autor
Brosch, Werner
Titel
Wörterbuch der Psychotherapie
Dulz, B./ Schneider A.
Borderline - Störung – Theorie und
Therapie
Schattauer
Verlagsgesellschaft mbH
Stuttgart
Freud, S.
Über einige neurotische
Mechanismen bei Eifersucht,
Paranoia und Homosexualität“,
1922, G.W., XIII
Zur Psychopathologie des
Alltagslebens“,
1901, G.W. IV
Borderline Conditions and
Pathological Narcissm“,
New York 1975
Borderline Störungen und
pathologischer Narzissmus
New York 1975
Kernberg, Paulina
Aktuelle Perspektiven über
Abwehrmechanismen
Bulletin der Wiener
Psychoanalytischen
Vereinigung, Heft 1, 1992
Kernberg, Dulz, Sachsse
Handbuch der Borderlinestörungen
2001
Klein, Melanie
Die Psychoanalyse des Kindes
1932
Mertens, Wolfgang
Psychoanalyse: Band 1, Anna O.
Kernberg, Otto
Rohde – Dachser, Christa Im Schatten des Kirschbaums –
Psychoanalytische Dialoge
Verlag Hans Huber, 1.
Nachdruck 1995, ISBN
3456825153
Der Wolfsmann
Das Borderline-Syndrom
6. korrigierte Auflage 2000
Peter Schuster, Marianne
Springer - Kremser
Bausteine der Psychoanalyse
WUV Studienbücher
Wolberg, A.R
The borderline patient“.
New York; Intercontinental
Medical Book Corporation,
1973;
30
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