der Vortragsunterlagen.

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GERHARD ROTH
INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG
UNIVERSITÄT BREMEN
Die Rolle vorgeburtlicher belastender
Faktoren auf die psychische Entwicklung
des Kindes aus Sicht der Neurobiologie
 G. Roth 2016
GENERELLE AUSSAGE DER
PSYCHO-NEUROWISSENSCHAFTEN
Seelisch-psychische Zustände beruhen auf der Aktivität corticaler
(bewusstseinsfähiger) und subcorticaler (nicht bewusstseinsfähiger)
Zentren und ihrer Wechselwirkung.
Psychische Störungen und Erkrankungen beruhen auf strukturellen
und funktionalen Defiziten dieser Zentren.
Diese werden verursacht durch eine Kombination genetischer und
epigenetischer Vorbelastung, vorgeburtlicher negativer Einflüsse,
frühkindlicher Traumatisierung und negativer Erfahrungen in
späterer Kindheit und Jugend.
Seitenansicht des menschlichen Gehirns
Gewicht ca. 1,35 kg
Ca. 85 Mia. Nervenzellen und 1 Trillion
(1018) Synapsen
Großhirnrinde
(ca.14 Mia. Nz.
300 Bio. Syn.
Kleinhirn
ca. 30 Mia. Nz.
Längsschnitt
durch das
menschliche
Gehirn mit dem
limbischen System
als „Sitz“ unbewusster und
bewusster Emotionen und Motive
Hypothalamus
(nach Spektrum der
Wissenschaft,
verändert)
Limbisches
System
Vorgeburtliche
Entwicklung des
menschlichen
Gehirns
VORGEBURTLICHE HIRNENTWICKLUNG
5.-7. Woche: Beginn der Entwicklung limbischer Zentren
(Hypothalamus, Amygdala, Septum, Nucleus accumbens)
7.-8. Woche: Beginn der Entwicklung der Basalganglien, von Teilen
des Kleinhirns, des limbischen Cortex
13. Woche: Beginn der Entwicklung des Hippocampus und der
umgebenden Rinde
14.-21. Woche: Beginn der Entwicklung des Cortex, des Gyrus
cinguli, des Hinterhaupts- und Scheitellappen
22. Woche: Beginn der Entwicklung des Hippocampo-corticalen
Systems
26.-38. Beginn der Entwicklung des präfrontalen Cortex
Die Interaktion des Gehirns mit der Umwelt beginnt
bereits vor der Geburt!
Zellulärer Aufbau der
Großhirnrinde
(Cortex)
Zeichnung von
S. Ramón y Cajal
(nach Spektrum der Wissenschaft)
CORTICALE SYNAPTISCHE KONTAKTE
(nach Spektrum der Wissenschaft, verändert)
PRÄSYNAPSE
ERREGUNGSÜBERTRAGUNG
AN EINER
CHEMISCHEN
SYNAPSE
POSTSYNAPSE
NEUROMODULATORISCHE SYSTEM
Noradrenerges System/Noradrenalin/Locus coeruleus:
Aktivierung, Erregung, unspezifische Aufmerksamkeit
Serotonerges System/Serotonin/Raphe-Kerne: Dämpfung,
Beruhigung, Wohlbefinden
Dopaminerges System/Dopamin/VTA und Nucleus
accumbens: Antreibend, belohnungs-versprechend, Neugierde
Cholinerges System/Acetylcholin/basales Vorderhirn:
Gezielte Aufmerksamkeit, Gedächtnissteuerung
FRÜHES LERNEN UND HIRNREIFUNG
A
Dendrit
Axon
Synapse
B
Grobvernetzung
C
Verstärkung
Abschwächung
Umwelt
emotionale Erfahrungen,
Lernen, Erziehung
II
III
„Formatierung“,
Feinvernetzung
Konvergenz sensorischer und neuro-modulatorischer
Eingänge auf corticalen Pyramidenzellen
NEU?
WO?
WAS?
Sensorischer
Input
Gedächtnissystem
(Hippocampus, bas. VH)
Neuromodulation
WICHTIG?
Bewertungssystem
(Limbisches System)
WICHTIGE SCHRITTE IN DER PSYCHO-NEURALEN
ENTWICKLUNG DES KINDES
• Entwicklung des Stress-Verarbeitungssystems (vorgeburtlich, früh nachgeburtlich)
• Entwicklung des internen Beruhigungssystems (vorgeburtlich, früh nachgeburtlich)
• Entwicklung des internen Motivationssystems (erste Lebensjahre)
• Entwicklung des Impulshemmungssystems (1.–20. Lebensjahr)
• Entwicklung von Bindungsfähigkeit, Empathie und Theory of
Mind (2.-20. Lebensjahr)
• Entwicklung des Realitätssinns und der Risikowahrnehmung
(3. – 20. Lebensjahr oder noch später)
STRESSREGULATIONSYSTEM
Beteiligte Strukturen: Hypothalamus, Amygdala, Hypophyse, Locus
coeruleus, sympathisches und parasympathisches System, Nebennieren, NN-Rinde
Regulation der
Hypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-(HHN)Achse
Freisetzung von CRH,
ACTH, Cortisol
Freisetzung von Adrenalin
und Noradrenalin
Unterdrückung des
Immunsystems
Negative Rückkopplung auf
CRH- und ACTH-Produktion
SEROTONIN- (5HT-) SYSTEM
Cools et al., Nature Neuroscience 2007
SEROTONERGES BERUHUNGSSYSTEM
Serotonin (dorsaler und medialer Raphe-Kern):
5-HT1A-Rezeptoren: Meist hemmend. Regulation der Nahrungsaufnahme, Schlaf und Temperatur; Dämpfung, Verhaltenshemmung, Beruhigung, Wohlbefinden, Mangel ruft Schlaflosigkeit,
Depression, Ängstlichkeit, reaktive Aggression und Impulsivität
hervor.
5-HT2A-Rezeptoren: Erregend, teilweise auch hemmend, stimuliert
Freisetzung von ACTH, Cortisol und Oxytocin.
Erhöhte Ängstlichkeit über Defizite im Transporter-Gen (5-HTT).
Erhöhte Aggression über Defizite im Monoamin-Oxydase (MAOA)-Gen.
„BASALE“ CORTISOLAUSSCHÜTTUNG IM
TAGESVERLAUF
Cortisol steht morgens zwischen 7 und 8.00 Uhr für die Regulation wichtiger Körperfunktionen bereit, Im Lauf des Tages fällt
Cortisol stark ab, wobei vormittags der Hauptabfall stattfindet
und abends nur noch ca. 10% des Morgenwertes vorhanden
sind.
Die stressbedingte Cortisolausschüttung setzt sich pulsartig auf
diesen Tagesgang auf. Ist die basale Cortisolausschüttung zu
niedrig, wird die stressbedingte Ausschüttung ineffektiv. Ist sie
zu hoch, dann steht die betroffene Person stets unter Stress.
TAGESGANG DER ACTH-CORTISOLAUSSCHÜTTUNG
Roth und Strüber, 2014
„STRESSACHSE“
CRF-ACTH-Cortisol-Rückkopplungsschleife zwischen
Nebennierenrinde, Hypothalamus und Hippocampus
Hypothalamus
CRF
+
_
Hippocampus
Hypophyse
ACTH
_
+
GR, MR
+
Nebennierenrinde
Cortisol
Cortisol
FRÜHE TRAUMATISCHE ERFAHRUNGEN
(10-20% der Kinder)
- Sexueller Missbrauch,
- Misshandlung,
- Vernachlässigung bzw. inkonsistentes
Fürsorgeverhalten
- Ungelöst-desorganisierte Bindungserfahrung
- Frühe Gewalterfahrung
- Stark konflikthafte Trennung der Eltern
- Tod einer Bindungsperson
FÖTUS IM
MUTTERLEIB
Die Plazenta als „Treffpunkt“ des mütterlichen und
fötalen Blutkreislaufs
Glucocorticoide können prinzipiell die Plazenta-Schranke überwinden, wobei unter normalen Umständen nur ein geringer Teil des
mütterlichen Cortisol „durchgelassen“.
Das fötale Plasma-Cortisol beträgt entsprechend nur etwa ein
Dreizehntel des mütterlichen. Dadurch werden auch akute
Erhöhungen des Cortisolspiegels im mütterlichen Blut abgepuffert.
Dies ist notwendig für eine normale Entwicklung des fötalen
Stressverarbeitungssystems, da dieses viel empfindlicher auf
Cortisol reagiert als das der Mutter.
Eine chronische Erhöhung des Cortisolspiegels im Gehirn und
Blutplasma der werdenden Mutter aufgrund akuter oder früherer
traumatischer Erlebnisse führt zu einer dramatischen Erhöhung
der Durchlässigkeit der Plazenta für Cortisol.
Dies schädigt die Ausbildung der fötalen Stressachse nachhaltig,
insbesondere die Ausbildung der regulatorischen GR und MR im
Hippocampus und anderen Hirnteilen.
Ebenso werden die in der Plazenta vorhandenen CRF-,
Oxytocin-, Serotonin- und Acetylcholin-Rezeptoren nachhaltig
beeinflusst .
DIE AUSBILDUNG VON HYPER- UND
HYPOCORTISOLISMUS
CAR
Hyper-Cortisolismus
(minder schwerer Missbrauch)
Normaler Tagesgang
kein Missbrauch
Hypo-Cortisolismus
schwerer Missbrauch
AUSWIRKUNGEN PRÄNATALEN UND POSTNATALEN
STRESSES
Pränatal über mütterliche Stresserfahrung sowie früh-postnatal wird
der Besatz mit Glucocorticoid-Rezeptoren in unterschiedlichen
Bereichen des Gehirns massiv gestört.
Bei relativ mildem postnatalen Stress und Bindungserfahrung
kommt es zu einem Hypercortisolismus, d.h. einer Überängstlichkeit,
Angstzuständen, melancholischer Depression und reaktiver
Aggression.
Bei starkem, chronischem und nicht bewältigbaren Stress der
Mutter oder des Kleinkindes kommt es zu einen Hypocortisolismus,
der zu atypischer Depression, Hilf-losigkeit, Empfänglichkeit für PTSD
und emotionaler Unempfindlich-keit bis hin zu Psychopathie führen
kann.
Serotonin:
Vorgeburtliche Erfahrungen können Auswirkungen auf das spätere
Temperament und das Verhalten des Kindes haben; diese sind
allerdings abhängig von der genetischen Ausstattung („L“ oder „S“
Gen-Allele).
Kinder mit zwei S-Allelen, deren Mütter während der Schwangerschaft starke Angstzustände hatten, sind selbst ängstlicher und
neigen zu depressiven Symptomen, während dieselben
Bedingungen bei Kindern mit dem L/L-Genotyp zu einer erhöhten
Aggression und zu aggressivem Verhalten führen können.
Oxytocin
Frauen, die während ihrer Kindheit missbraucht wurden, neigen
zu einer verringerten Oxytocinkonzentration im Hirnliquor. Dies
wirkt negativ auf die Ausbildung von Oxytocin-Rezeptoren im
Gehirn des Fötus und beeinträchtigt dessen spätere Bindungsfähigkeit.
Acetylcholin:
Mütterlicher Stress während der Schwangerschaft führt zu
einer veränderten Ausbildung der Bindungsstellen für das
Acetylcholin im Hippocampus des Fötus. Dies kann kognitive
Funktionen des Kindes stark beeinträchtigen.
EPIGENETISCHE REGULATION DER GEN-EXPRESSION
Methylierung und DeMethylierung von Cytosin:
Hemmung und Enthemmung der Gen-Expression
Methylierung und Acetylierung von
Histonen: Hemmung und Enthemmung der
Gen-Expression. Wird an Tochterzellen
weitergegeben
Geschehen diese Mechanismen in den
Keimzellen, so wird das veränderte GenExpressionsmuster an die nächste
Generation als genomische Prägung ohne
Veränderung der DANN weitergegeben .
Hohe Empfindlichkeit für frühe negative Erfahrung bei MAOA-L - Allel
und geringe Empfindlichkeit bei MAOA-H – Allel in Hinblick auf späteres
antisoziales Verhalten (Buckholz und Meyer-Lindenberg (2008)
TRANSGENERATIONELLER TRANSFER
VON TRAUMATISIERUNG
Eine psychische Traumatisierung kann auf vier Arten an die
nächsten Generationen weitergegeben werden:
(1) Genetisch
(2) Epigenetisch über Gen-Expressionsmechanismen
(3) durch vorgeburtliche Einwirkung auf die Genexpression
in den Keimzellen
(4) durch eine gestörte mütterliche Fürsorge
Klett-Cotta, Stuttgart 2014
ICH DANKE IHNEN FÜR
IHRE AUFMERKSAMKEIT
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